Hans J Alpers, Ronald M Hahn Raumschiff Der Kinder Band 6 Ring Der Dreißig Welten (1886)

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Hans J. Alpers / Ronald M. Hahn

Ring der

dreißig Welten

Band 6

der Reihe

„Raumschiff der Kinder“

überarbeitete  Ausgabe

aus dem Sammelband

 „Weltraumvagabunden“

©   Ensslin   &   Laiblin   Verlag   GmbH   &   Co.   KG   Reutlingen   1986.   Sämtliche
Rechte,   auch   die   der   Verfilmung,   des   Vortrags,   der   Rundfunk­   und
Fernsehübertragung,   der   Verbreitung   durch   Kassetten   und   Schallplatten
sowie der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany.

ISBN 3­7709­0621­7

Ursprüngliche Einzelausgabe erschienen 1979, ISBN 3­7709­0437­0

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Bevölkerungsexplosion

Es   war   warm,   und   der   laue   Wind   hatte   fast   überhaupt   keine   kühlende

Wirkung. Harpo wischte sich seufzend die Schweißtropfen von der Stirn. Die
Temperatur auf Deck 17 lag bei fünfunddreißig Grad Celsius – und das war
mehr,   als   man   bei   einem   anstrengenden   Marsch   als   angenehm   empfand.
Aber Harpo und seine beiden Begleiter hatten keine Wahl. Sie waren nicht
zum Vergnügen aus der Zentrale des riesigen Sternenschiffes mit dem selt­
samen Namen EUKALYPTUS heruntergekommen. Im Gegenteil. Der Anfüh­
rer der kleinen Expedition, die sich seit einer halben Stunde durch ein buntes
Gewirr von Sträuchern und Büschen, Bäumen und Riesenblumen schlug, war
Karlie Müllerchen. Ihm schien der Marsch noch am wenigsten auszumachen
– was natürlich daran lag, daß er die längsten Beine hatte und viel gemächli­
cher   gehen   konnte   als   die   anderen:   Karlie   war   nämlich   volle   zwei   Meter
zwanzig groß, was auch für einen Erwachsenen eine außergewöhnliche Grö­
ße gewesen wäre. Aber Karlie hatte nicht mehr als sechzehn Jahre auf dem
Buckel. Und noch gab es kein Anzeichen dafür, daß er zu wachsen aufhörte.
Grinsend   sah   er   auf   die   anderen   hinab.   Seine   hellblauen   Augen   blitzten
schalkhaft, während er mit der rechten Hand in einer charakteristischen Ge­
bärde seinen schütteren Bart kraulte.

„Nun stellt euch mal nicht so an“, sagte er mit heller Stimme von oben her­

ab. „Gleich haben wir es geschafft.“

Micel Fopp, der Dritte im Bunde, war fünfzehn Jahre alt. Ihm machte der

holprige Weg durch die Büsche, deren Zweige mit boshafter Regelmäßigkeit
zurückfederten und dann in die Gesichter der Eindringlinge peitschen woll­
ten, am meisten zu schaffen. Denn im Gegensatz zu Harpo Trumpff und Kar­
lie   besaß   Micel   Fopp   nicht   die   Möglichkeit,   die   Zweige   mit   erhobenen
Händen abzufangen. Seine Arme waren nämlich so kurz, daß man eigentlich
gar nicht von Armen reden konnte.

Er war mit diesen kurzen Ärmchen geboren, weil seiner Mutter während

der   Schwangerschaft   falsche   Medikamente   verschrieben   wurden.   Seine
Hände   waren   klein   wie   die   eines   Fünfjährigen   und   fast   direkt   an   den
Schultern angewachsen. Micel hatte sich daran gewöhnt, diese Hände trotz­
dem zu benutzen, aber er mußte seinen Körper dabei ziemlich winden. Bei
vielen alltäglichen Verrichtungen war er auf die Hilfe seiner Kameraden oder
jener kleinen Roboter angewiesen, die wegen ihrer früheren Hülle aus grü­
nem Plüsch  noch  immer  die „Grünen“  genannt wurden.  Er war nicht der
einzige an Bord, der wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Hilfe benö­
tigte.   Schließlich   war   die   EUKALYPTUS   früher   eine   Art   Hospitalschiff   ge­
wesen.

Aber   das   mußte   ihm   kein   Kopfzerbrechen   bereiten.   Nicht   nur,   daß   die

anderen Micel als Kameraden gern hatten – was schon genug gewesen wäre –
er gab ihnen noch mehr. Micel war nämlich ein Telepath, er konnte die Ge­
danken anderer Wesen lesen. Manchmal wenigstens, denn seine Gabe steck­

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te noch in den Kinderschuhen und reichte meistens nur dazu aus, in den
Köpfen jener zu lesen, die er gut kannte. Das war ein Talent, das außer ihm
nur noch der geheimnisvolle Akkai Bharos hatte und sonst niemand an Bord.
Mehr als einmal hatte Micel der EUKALYPTUS und ihrer Besatzung mit sei­
nem ungewöhnlichen Können in kritischen Situationen geholfen.

Als   die   drei   Jungen   oben   auf   der  baumbestandenen  Anhöhe   angelangt

waren,   rief   Karlie   plötzlich:   „Da   unten!   Seht   mal!“   Harpo   hatte   eigentlich
vorgehabt,   sich   erst   einmal   gründlich  auszukeuchen  –   schon,   um   den
anderen anschaulich klarzumachen, wie sehr ihn der Marsch anstrengte –
aber   der   Anblick,   der   sich   ihm   bot,   ließ   alles   andere   vergessen.   Vielmehr
rutschte ihm vor Schreck die Luft in die falsche Kehle. Er verschluckte sich,
hustete und kämpfte mit einem Schluckauf. „Hick...“ machte er nach einer
Weile und sah dabei immer noch mit weit aufgerissenen Augen hinab in das
kleine Tal, das sich zwischen zwei Hügeln bis an die Schiffswandung hinzog.
Die nackte Wand erinnerte daran, daß sie sich keineswegs im Freien, sondern
im Innern des Riesenraumschiffes EUKALYPTUS befanden.

Wenn es hier richtige Tiere und Pflanzen gab, so war das keineswegs selbst­

verständlich. Früher, als die EUKALYPTUS noch die Erde umkreiste, gab es
zwar auch so etwas wie ein Tier­ und Pflanzenleben – jedenfalls sah es so aus.
In Wahrheit handelte es sich jedoch um künstliche Nachbildungen, um Plas­
tikpflanzen  und  Robotertierchen, denn echte Tiere und Pflanzen gab es auf
der   durch   riesige   Umweltschäden  inzwischen   öden  Erde   fast  nur   noch  in
zoologischen und botanischen Gärten. Was heute an Bord des Raumschiffes
blühte, krabbelte oder vor sich hin hopste, stammte von anderen Welten oder
von einem Raumschiffwrack, dem die EUKALYPTUS­Besatzung einen Besuch
abgestattet hatte.

„Das darf doch – hick! – nicht wahr sein!“ sagte Harpo.
„Ich werd’ verrückt!“ stöhnte Micel.
Das   kleine   Tal   war   mit   mindestens   dreitausend,   vielleicht   auch   fünf­

tausend, zehntausend – zählen konnte man in dem Gewimmel wirklich nicht
– winzigen blauen Drachen bevölkert, die überall  herumsprangen,  überein­
anderkrochen, durch  Felsspalten  flutschten, auf Steinen saßen und zu der
grellen Miniatursonne an der Decke hinaufblinzelten oder ganz einfach trüb­
sinnig durch die Gegend tapsten. Alle zischten vor sich hin, wie das so ihre
Art war, und insgesamt hörte sich das wie ein Bienenschwarm an, der einen
Imker  daran   hindern   wollte,   den  Honig   zu  holen.  Die   fast durchsichtigen
kleinen  Schwingen  der  salamanderähnlichen  Wesen  flatterten  nervös.   Der
Boden in der Umgebung war nahezu kahl. Was grünte und blühte, war radi­
kal abgefressen worden, und über die letzten Reste machte sich die zischende
Armada gerade her. Eine Vorhut hüpfte bereits nagend den  Nachbarhügel
hinauf.

„Aber ... aber wir haben doch höchstens einhundertfünfzig von ihnen an

Bord genommen“, protestierte Harpo. „Wie können sie sich nur so schnell
vermehrt haben?“

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„Da solltest du erst mal auf Deck 15 die Eichkatzen sehen“, erwiderte Kar­

lie.   „Und   die   Schlangen!   Dann   würdest   du   dich   über   gar   nichts   mehr
wundern.“

„Und die Kröten?“ fragte Micel. „Was ist mit den Kröten?“
„Die haben sich kaum vermehrt; es sind eher weniger geworden. Das liegt

aber daran, daß die Zahl der Schlangen zugenommen hat. Je mehr es von
denen gibt, desto mehr Kröten fallen ihnen zum Opfer. Du weißt ja, daß sich
Schlangen von Kröten ernähren.“

„Hmmm“,   machte   Harpo.   „Natürlich   hätten   wir   auf   der   EUKALYPTUS

eigentlich Platz genug, um einige Hunderttausend von den kleinen Viechern
unterzubringen. Und wenn die natürliche Nahrung ausgeht, können wir mü­
helos künstliche produzieren. Aber ich weiß nicht recht ... Irgendwie ist das
eine Spirale ohne Ende.“

„Tja“, meinte Karlie und strich wieder seinen Bart. „Daran haben wir nicht

gedacht, als wir die Tiere aus dem Raumschiffwrack herüberholten. Dort war
der Lebensraum begrenzt – hier jedoch haben sie alles, was sie brauchen.
Einige der Arten jedenfalls. Es gibt ausreichend Wasser, Nahrung, Licht und
Wärme. Sie sind hier abgeschirmt wie in Abrahams Schoß ...“

„Was für ‘n Ding?“ fragte Micel. Ein kurzer geistiger Vorstoß in Karlies Be­

wußtsein sagte ihm, wer dieser Abraham gewesen war. „Aha“, grunzte er zu­
frieden. „Erzähl nur weiter, laß dich nicht aufhalten.“

„... und weil es Mutter Natur so eingerichtet hat, daß viele Jungtiere gebo­

ren werden, damit unter den normalen, sehr harten Bedingungen wenigstens
einige überleben, steigt die Zahl der Tiere bei uns mit rasender Geschwindig­
keit.“

„Aber die sollten doch mal vernünftig sein und nachdenken!“ platzte Micel

heraus.

„Na, na“, sagte Karlie gönnerhaft. „Das können Tiere eben nicht – vernünf­

tig sein und nachdenken. Sonst wären es ja keine Tiere.“

Micel bekam ganz rote Ohren. „Na gut“, sagte er. „Dann müssen wir eben

das Denken für sie übernehmen. Wie wär’s mit Pillen oder so was, also Mit­
teln, die verhindern, daß sie so viele Junge bekommen?“

„Frühreifer Bengel!“ Karlie feixte. „Du hast wohl was aufgeschnappt, wie?

Aber im Ernst: Wie willst du das denn machen? Jedem dieser kleinen Drachen
eine Pille in den Rachen stopfen? Prost Mahlzeit! Viel Vergnügen! Das kann
Jahre dauern, bis du durch bist.“

Micel schwieg.
„Und trotzdem müssen wir was unternehmen“, pflichtete Harpo Micel bei.

„Aber was, frage ich mich. – He, ich habe eine Idee! Wir setzen unseren Zoo
auf einem Planeten aus!“

Karlie sah ihn erschreckt an. „Was denn? Tatsächlich?“ In seiner Stimme

klang Besorgnis mit. „Glaubst du denn, daß es unsere kleinen Freunde schaf­
fen, sich auf einem fremden Planeten zurechtzufinden? Immerhin leben sie
seit   Jahrhunderten,   wenn   nicht   seit   Jahrtausenden,   in   einem   abge­
schlossenen Raum. Die Gefahren, die eine völlig neue Umwelt für sie bietet ...

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Ich meine, wir sind doch für sie verantwortlich, wo wir uns einmal mit ihnen
eingelassen haben. Man kann Tiere nicht einfach so an die Luft setzen, nur
weil sie lästig werden!“

Er warf einem der tauchenden kleinen Drachen einen mitleidigen Blick zu.

Man sah ihm an, daß er es kaum übers Herz bringen würde, sich von den
harmlosen kleinen Kerlchen zu trennen. Karlie hatte ein weiches Herz für
alles, was kreuchte und  fleuchte.  Wie eigentlich alle an Bord, denn auf der
verseuchten Erde hatten sie gelernt, wie kostbar das Leben auch in seiner
winzigsten Form war. Und der lange Karlie fühlte sich besonders zu den ganz
kleinen Wesen hingezogen – vielleicht, weil er so groß war. Oft hatte er sich
hier unten verkrochen und still die Tiere beobachtet. Er versuchte sogar, den
kleinen Drachen das Fliegen beizubringen – was natürlich sinnlos war, denn
die   zarten,   seidigen   Flügel   konnten   die   verhältnismäßig   schweren   Körper
nicht tragen.

„Aber Karlie!“ rief Harpo. „Du weißt doch, daß wir genauso denken. Wir

setzen die Tiere natürlich nur aus, wenn wir ganz sicher sind, daß sie es auf
dem Planeten gut haben werden. Sie sollen es sogar besser haben als hier und
nicht so zusammengepfercht leben müssen. Na ja, und dann sollten wir na­
türlich auch an uns denken. Stell dir mal vor, die nagen vor lauter Hunger an
Plastikteilchen  und   Kabeln   herum   ...“  Und   um   Karlie   zu   trösten,  fügte   er
schließlich hinzu:

„Ein paar von den kleinen Viechern können wir ja auch an Bord behalten.

Die   beobachten  wir   dann   und  sorgen  dafür,   daß  sie sich   nicht   wieder   so
schnell vermehren.“

Micel stimmte ihm zu, und Karlie nickte schließlich ebenfalls. So gut ging

es   den   Tieren   auch   wieder   nicht   auf   der   EUKALYPTUS.   Die   Schlangen
würden die Kröten ausrotten, falls man nicht bald etwas dagegen unternahm.
Und dann würden die Schlangen selbst sterben müssen, weil sie keine Nah­
rung mehr fanden – und wer wußte schon, ob sie Ersatznahrung annahmen.
Vielleicht   würden   sie  auch   vor   lauter   Hunger   die   Eichkätzchen   angreifen.
Nein, es war wirklich am besten, wenn sie einen Planeten für sich hatten.

„Schwatzmaul soll uns sagen, wie weit es bis zum nächsten Planeten mit

voraussichtlich guten Lebensbedingungen ist“, schlug Micel vor. „Dann se­
hen wir weiter.“

Mit Schwatzmaul war niemand anderer als der manchmal recht vorlaute

Bordcomputer gemeint. Seine Kameras und Mikrophone überwachten bein­
ahe jeden Winkel eines jeden Decks. Daß er Micel nicht sofort antwortete, lag
wahrscheinlich daran, daß selbst die scharfen Ohren eines Computers etwas
überhören konnten, wenn einige tausend Drachen summten und fauchten.

Harpo, Micel und Karlie strebten der nächstliegenden Schiffswand zu und

verschwanden   hinter   der   Tür   eines   Notausstiegs.  Von   dort   aus   führte   ein
niedriger Gang zum Antigravlift. Wenige Minuten später schwebten sie in der
dunklen Röhre, die alle Decks miteinander verband, zur Zentrale des Schiffes
im obersten Deck. Die Körper wurden von  Energiefeldern  gehalten und an
das vorprogrammierte Ziel geschleust.

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Für einen flüchtigen Moment mußte Harpo an ihre ersten  mißtrauischen

Versuche mit dem Lift denken. Damals, als sie, auf sich allein gestellt, lernen
mußten, die Einrichtungen des Raumschiffs in den Griff zu bekommen. Die
Erwachsenen hatten das Schiff verlassen, als sich eine Katastrophe anbahnte.
Und seither gehörte es den Kindern. Wie alles andere war auch der Antigrav­
lift   inzwischen   zu   einer   Selbstverständlichkeit   geworden.   Man   program­
mierte sein Ziel und sprang in den Lift, ohne sich mehr dabei zu denken als
beim Öffnen einer Tür und dem Betreten eines Raumes. Die Zentrale lag vor
ihnen.   Wie immer  herrschte  ein  angenehmes  Halbdunkel  in  dem  riesigen
Raum unter der gläsernen Kuppel. Das weiße, gelbe und manchmal auch rote
Licht der Sterne fiel auf die Instrumentenpulte und die weichen, breiten Ses­
sel,   in   denen   mehrere   Besatzungsmitglieder   der   EUKALYPTUS   saßen.  Die
meisten   Regel­   und   Steuervorgänge   erledigte   der   Computer   in   eigener
Verantwortung. Wenn überhaupt mal ein menschlicher Eingriff erforderlich
war, dann konnte der bequem aus den Sesseln heraus vorgenommen werden.
Alle   erforderlichen  Bedienungsapparaturen  waren   in   den   Armlehnen   un­
tergebracht.

Man konnte nicht nur durch die Kuppel direkt in das All hinausblicken,

sondern hatte auch noch zahlreiche plastische Bildschirme zur Verfügung,
auf denen Schwatzmaul wahlweise andere Blickwinkel oder vom Bordobser­
vatorium  eingespeiste  Vergrößerungen bestimmter  Raumausschnitte  proji­
zierte.   Im   Moment   sah   man   auf   dem  Hauptschirm  die   Außenhülle   des
mächtigen Schiffes, das von der Erde stammte, aber durch ein noch immer
weitgehend   ungeklärtes   Ereignis   in   einen   fernen   Raumsektor   verschlagen
worden war.

Zwei kleine Gestalten wanderten in der einsamen kosmischen Nacht über

die Metallhülle der EUKALYPTUS. Sie trugen Raumanzüge mit magnetischen
Schuhen und machten deshalb sehr eigenartige,  schwerfällige Bewegungen.
Zwar gab es im Weltall keinen Fahrtwind wie auf einem Planeten, der sie vom
dahinjagenden   Raumschiff   fortreißen   konnte,   aber   die   Magnetschuhe
verhinderten, daß sie durch eine unbedachte Bewegung in das All  hinaus­
schwebten. Eine der Außenkameras verstellte auf einen Knopfdruck hin das
Zoom­Objekt. Das Fernsehbild zeigte nun die Gesichter der Gestalten. Unter
einem der Plexiglashelme erkannte Harpo das lange schwarze Haar und das
Gesicht seiner Schwester Anca. Das andere Gesicht erinnerte stark an einen
kleinen   Grizzlybären   mit   rotem   Fell.   Die   Nase   sah   wie   eine   dunkelblaue
Pflaume aus, und das kräftige weiße Gebiß, das gerade sichtbar wurde, konn­
te einen unwissenden Beobachter leicht das Fürchten lehren. Alexander. Er
war viel gutmütiger, als sein Gebiß ahnen ließ, und stammte vom Planeten
Nordpol. Und wenn er auch wie ein Bär aussah, so war er doch keineswegs
ein Tier, sondern so intelligent wie alle anderen Besatzungsmitglieder.

Von allen Rotpelzen – wie sich Alexanders Rasse nannte – hatte er die wei­

teste Reise unternommen, eine Fahrt in den Weltraum. Und darauf war er
auch gehörig stolz. Denn seine Leute, die auf Nordpol vom Fischfang lebten,
liebten   das   Reisen   und   sahen   es   gern,   wenn   die   Jungen   auszogen,   um

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Abenteuer zu erleben. Manche von Alexanders Verwandten hatten nach jah­
relanger   Wanderschaft   den   ganzen   Planeten   umrundet.   Aber   Alexander
schlug sie alle. Seine Freundschaft zu den Kindern der EUKALYPTUS ließ ihn
die Wunder anderer Planeten erleben.

„Sieht’s  schlimm aus, Leute?“ fragte jemand. Er saß als einziger nicht in

einem gewöhnlichen Sessel, sondern in einem Rollstuhl. Es war Thunderclap
Genius. Er trug einen halbkugelförmigen Helm, um Funkverbindung zu Anca
und Alexander zu halten, ohne den  Hauptkanal benutzen zu müssen. Seine
Frage hatte jedoch den Eintretenden gegolten.

„Viel schlimmer.“ Harpo seufzte. Er ließ sich in einen freien Sessel fallen

und   schlug   die   Beine   übereinander.   „Wenn   wir   nicht   bald   etwas   unter­
nehmen, Thunderclap, dann fressen uns die Drachen die Haare vom Kopf.“

„Aussetzen wäre wirklich die beste Lösung“, ließ sich eine andere Stimme

aus dem Halbdunkel vernehmen. Harpo sah auf. Auf dem Sitz des Navigators,
den normalerweise Karlie für sich gepachtet hatte, saß Bharos. Obwohl  er
nicht nur ein Erwachsener, sondern – durch seine Langlebigkeit bedingt – ein
uralter Erwachsener war, war er kleiner als die Kinder und sah zierlich, beina­
he elfenhaft aus. Er las in ihren Gedanken wie in einem offenen Buch und
wußte deshalb sofort Bescheid.

Thunderclap machte: „Hmmm, hmmm...“ und rief dann Anca und Alex­

ander von ihrem Spaziergang zurück.

Ein Problem mußte gelöst werden. Und da die EUKALYPTUS keinen Kapi­

tän hatte, der allen anderen seine Befehle gab, wurde der Rat einberufen. Ihm
gehörten alle Besatzungsmitglieder an. Aber dieses Mal würde es wohl keine
langen Diskussionen geben, denn die Tatsachen sprachen für sich.

Die Tiere mußten ausgesetzt werden. Und zwar auf dem nächsten geeigne­

ten Planeten.

Station der Geheimnisse

Der Planet unter ihnen war eine kleine, grünblaue Welt mit viel Wasser und

drei größeren Kontinenten. Die Mannschaft der EUKALYPTUS fühlte sich so­
gleich an die Erde erinnert – an eine Erde, wie sie vor vielen hundert Jahren
existiert   hatte.   Es  gab   wildwuchernde   Wälder  und  andere   unberührte  Ge­
biete, glitzernde Flüsse, die aus der Höhe wie silberne Fäden aussahen, und
Tiere, deren huschende Gestalten Schwatzmauls scharfe Augen erspähten.

Nach einigen Umkreisungen im Orbit des Planeten lagen ausreichende Da­

ten vor. Intelligentes Leben schien es nicht zu geben – zumindest nicht auf
der Oberfläche dieser Welt. Und dafür, daß sich solche Wesen im Erdreich
verkrochen, zeigte sich kein Anhaltspunkt. Alles in allem machte diese kleine
Welt – die nur etwa halb so groß wie die Erde war – einen idyllischen, fast pa­
radiesischen Eindruck. Das Klima war mild, die Umwelt schien friedvoll und

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harmonisch  zu sein,   die  Atmosphäre   entsprach  den  Verhältnissen  auf  der
Erde  und   damit   den  Bedürfnissen  von  Sauerstoffatmern  –  und  das waren
nicht nur die Kinder der EUKALYPTUS, sondern auch ihre tierischen Passa­
giere vom Raumschiffwrack.

Schwatzmaul sammelte unentwegt Daten und erarbeitete eine Hochrech­

nung. So einfach war es schließlich nicht, die Passagiere auszusetzen: Ihnen
sollte nichts Böses geschehen, aber auch die eingespielte Natur des Planeten
durfte nicht durcheinandergebracht werden.

Die Speicher des Computers wußten über die irdische Geschichte in allen

Einzelheiten Bescheid. Deshalb kannte Schwatzmaul die Fehler, die die Men­
schen gemacht hatten. In Australien, einem Erdteil, der vor dem Siegeszug
des   Menschen   von   den   anderen   Kontinenten   abgekapselt   war   und   eine
eigene Tier­ und Pflanzenwelt entwickelt und bewahrt hatte, war durch ein
paar ausgesetzte Wildkaninchen unermeßlicher Schaden entstanden. Und es
gab Hunderte von Beispielen ähnlicher Art.

Aber schließlich konnte Schwatzmaul mit an Sicherheit grenzender Wahr­

scheinlichkeit   verkünden,   daß   sich   Kröten,   Schlangen,   Eichkätzchen   und
Drachen   so   gut   mit   der   einheimischen   Tier­   und   Pflanzenwelt   vertragen
würden, daß keine Schwierigkeiten zu befürchten waren.

Schwatzmaul schickte einige Sonden hinunter und sammelte Proben, aber

die meisten Daten speicherte er mit seinen tausend Augen, tausend Ohren
und hunderttausend Sensoren, die Eindrücke erfaßten, die der Mensch vom
Orbit aus nicht wahrnehmen konnte.

Nachdem die EUKALYPTUS den Planeten achtmal umkreist hatte, schleus­

te man eines der Gleitboote aus, um sich die Gegend mal aus der Nähe anzu­
sehen. Schwatzmaul hatte so nebenher natürlich auch alle Luftaufnahmen
ausgewertet und Landkarten ausgedruckt. Thunderclap und Anca leisteten
dabei eifrig Unterstützung und gaben den Flüssen, Kontinenten und Gebirgs­
formationen Namen. Blaufluß, Schubladenberge – sie sahen wirklich so aus–‚
Krummrücken und Zickzackdelta waren nur einige ihrer Wortschöpfungen.
Nur einen Namen für den Planeten selbst hatten sie sich noch nicht ausge­
dacht. Das lag wohl daran, daß sie sich zu sehr an die Erde erinnert fühlten.
Karlie meinte, man solle den Planeten doch kurzerhand „Erde II“ nennen,
aber dieser Vorschlag wollte keinem so recht gefallen. Schließlich sagte Brim
Boriam, der für die ärztliche Betreuung an Bord zuständig war: „Nennen wir
ihn doch Dragon. Das ist ein anderes Wort für ,Drache‘ und kommt der Sache
ziemlich nahe. Schließlich soll diese Welt unseren kleinen Drachen eine neue
Heimat bieten.“

Alle waren begeistert, und es blieb bei diesem Namen.
Als   die   Besatzung   des   Gleitbootes   ausgelost   wurde,   gab   es   einige   lange

Gesichter und vier strahlende Glückspilze. Genauer gesagt strahlten nur drei
vor  Freude,   nämlich   Harpo,   Anca   und   Ollie.   Lonzo,   der   vierte   im   Bunde,
konnte mit seinem  Robotergesicht  keine Gefühle ausdrücken. Statt dessen
schlug er mit all seinen Tentakeln ein Rad, um seine Begeisterung zu zeigen.

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Dann war es soweit. Das Gleitboot fiel aus der Schleuse in die Schwärze des

Alls und senkte sich dem Planeten entgegen. Schon erreichte es die obersten
Schichten der Atmosphäre und stieß durch sie hindurch. In diesem Moment
summten   die   Lautsprecher   der   Video­Kommunikationsanlage.  Die   Bild­
schirme   flackerten,   dann   sah   man   die   erregten   Gesichter   von   Karlie   und
Thunderclap in der Zentrale der EUKALYPTUS. Stimmen im Hintergrund be­
wiesen,   daß   die   anderen   Freunde   ebenfalls   in   der   Nähe   waren,   von   der
Fernsehkamera aber nicht erfaßt wurden. Ein grünes Licht auf dem Kontroll­
pult des Bootes zeigte an, daß die Bildfunkanlage sendebereit war.

Zunächst   jedoch   meldete   sich   Schwatzmaul   mit   einem   Räuspern:

„Ähem...“ Die Computerstimme wollte daran erinnern, daß sie auch noch da
war.   Tatsächlich   kontrollierte   das   Bordgehirn   der   EUKALYPTUS   alle
Funktionen   des   Gleitbootes,  das   –  bildlich  gesprochen   –  mit   dem   großen
Raumschiff durch eine Art Nabelschnur verbunden war. Allerdings bestand
die „Nabelschnur“ aus einem Energiestrahl, der auch dann nicht abriß, wenn
das Boot einige tausend Kilometer entfernt war. Dieses Energiebündel ver­
sorgte den Antrieb des Bootes und ermöglichte auf einer Spezialfrequenz die
Bildverständigung.

„Meine   lieben   Freunde!“   begann   Schwatzmaul   in   der   ihm   eigenen

salbungsvollen Art. Er machte eine Pause und fuhr dann fort: „Ich möchte
nicht   versäumen,   euch   darauf   hinzuweisen,   daß   meine   überaus   perfekt
funktionierenden   Schaltkreise   in   Verbindung   mit   der  hyperpräzisen  Aus­
wertungsabteilung meines ...“

„Oh, nein!“ riefen Harpo und Anca wie aus einem Munde. „Sag jetzt bloß

nicht, daß du dich geirrt hast und sich diese Welt nun doch nicht eignet!“

„Das“, sagte Schwatzmaul galant, „habt ihr gesagt, nicht ich. Aber um zum

Kernpunkt meines kleinen Problems zu kommen: Auch ein armer Computer
kann sich einmal irren, und wenn er noch so intelligent ist. Na ja, geirrt habe
ich mich eigentlich trotzdem nicht. Das wäre ja auch schlechthin unmöglich,
nicht wahr? Hmm – was wollte ich eigentlich damit sagen?“

Harpo, der sich vor Schreck hingesetzt hatte, warf Anca und Ollie einen

Blick zu und sagte dann: „Ja, das möchten wir auch gern wissen!“

Aus   der   Zentrale   der   EUKALYPTUS   erklang   die   Stimme   von   Alexander:

„Probleme! Probleme! Diese Computer sehen überall Probleme! Wenn meine
Leute auf Nordpol auch so viele Probleme sehen würden, wäre es ihnen nie­
mals im Leben möglich gewesen, auch nur einen einzigen Fisch zu fangen!“

„Nun“, sagte Schwatzmaul und hüstelte dezent, während auf einem  der

Bildschirme Thunderclaps Gesicht auftauchte. Er hatte sich in die Sendung
eingeschaltet   und   schien   Mühe   zu   haben,   nicht   aus   der   Haut   zu   fahren.
„Rundheraus gesagt“, meinte Schwatzmaul schließlich, „rundheraus gesagt –
es gibt Anzeichen dafür, daß der Planet mit dem hübschen Namen Dragon ...
Übrigens, Kompliment Herr Boriam, etwas Besseres hätte selbst mir nicht
einfallen können. Wie geht es eigentlich ...“

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„Zur Sache!“ donnerte Thunderclap dazwischen. Er war hochrot im Gesicht

und fuchtelte mit den Armen herum. „Diese geschwätzige Maschine bringt
mich noch um den Verstand!“

„Tja, es sieht so aus“, fuhr Schwatzmaul fort, „aber das sage ich nur euch

und nicht diesem tobenden Herrn Genius: Es sieht so aus, als sei Dragon be­
wohnt!“

„Peng!“ sagte Harpo. Er schaute ziemlich einfältig.
In diesem Moment schaltete sich Anca in das Gespräch ein. „He, da scheint

was dran zu sein!“ sagte sie aufgeregt. „Wir sehen nämlich gerade ...“

„Gebäude!“ schrie Harpo.
„Zwei Türme!“ brüllte Karlie in der Zentrale. „Nein – drei!“ Der große Bild­

schirm erlaubte es den Zurückgebliebenen, die Ereignisse fast so deutlich zu
verfolgen, wie es der Besatzung des Gleitbootes möglich war. Jetzt hatten es
alle gesehen. Unter dem Boot lag nicht unberührter Dschungel. Und es gab
nicht nur das silberne Band des Stroms, der den seltsamen Namen Garten­
schlauch erhalten hatte. Eine nahezu quadratische Lichtung mit einer Seiten­
länge von etwa fünfhundert Metern war zu erkennen.

„Was mag das für ein komisches Leuchten sein?“ wollte Alexander wissen,

der seine  Pflaumennase  am Bildschirm in der Zentrale schier  plattdrücken
wollte, während seine Bärenpranken Furchen  in das  Spezialglas  zu reißen
drohten. Er fletschte die Zähne und verfiel für einen Moment lang wieder in
seine Muttersprache, die inzwischen auch die meisten seiner Freunde gelernt
hatten: „Mächtiger Schneeiglu aus rotem Licht ... Halbkugel ...“

Tatsächlich! Das quadratische Gelände war nicht nur durchgehend bebaut,

sondern schien auch von einer komischen  Lichthülle  umgeben zu sein, die
bis dicht an den Wald heranreichte. Als habe jemand eine Käseglocke aus
Licht über die Gebäude gestülpt.

„Funkkontakt?“ fragte Harpo.
„Nichts“,   kam   es   von   Thunderclap   zurück.   „Unser   Sender   arbeitet   auf

Hochtouren. Aber es ist nichts zu machen.“

Lonzo saß vor der Funkanlage und hielt ein Mikrophon im Tentakel – so

ein Mimer, er konnte doch auch ohne Mikrophon funken! Er trug die alte Ma­
trosenmütze mit den beiden dunkelblauen Bändern und rief mit plärrender
Stimme:

„Ahoi! Ahoi! He, ihr da unten! Captain Kidd bittet um Landeerlaubnis im

Hafen von New Orleans! Wir haben ein Fäßchen Rum an Bord und möchten
euch zu einer Fete einladen! Ahoi! Ahoi! Meldet euch endlich, ihr Galgenvö­
gel!“

„Lonzo!“ knirschte Thunderclap auf dem Bildschirm. „Aber doch nicht in

diesem Gossenjargon! Was sollen die Leute von uns denken!“

Der   Roboter   drehte   sein   kugelförmiges   Köpfchen   und   schlug   sich   mit

einem anderen Tentakel auf die kleine  Mikrophonöffnung, die bei ihm den
Mund darstellte. „Huch, ich habe mich wohl im Ton vergriffen“, jammerte er.
Dann setzte er neu an: „Hier spricht das S. S. EUKALYPTUS. Bitten, an Land

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kommen zu dürfen, Herr Hafenkommandant! Wir haben nichts zu verzollen –
ihr Galgenvögel!“

„Lonzo! Du sollst nicht ‚Galgenvögel‘ sagen!“
„Nicht?  Das   ist  aber  ein  freundschaftlicher   Ausdruck,  den  Captain   Kidd

auch gern benutzte. Er sagte immer: ‚Lonzo, du Galgenvogel, wo bleibt der
Rum? Chissimatucki!‘“

Kopfschüttelnd   meinte   Bharos   in   der   Zentrale   der   EUKALYPTUS:   „Was

heißt denn S. S.?“ Er hatte zwar die irdische Sprache schon recht gut gelernt,
aber manche Redewendungen und Abkürzungen machten ihm noch Schwie­
rigkeiten. Und bei Lonzo versagten seine telepathischen Fähigkeiten. Einem
Roboter kann auch ein Gedankenleser nicht in den Kopf schauen.

„Na, Sternenschiff, nehme ich an“, erwiderte Thunderclap.  „Hier ist das

Gleitboot 1 von der EUKALYPTUS!“ schrie Lonzo in das Mikrophon. Dann
richtete er seine Sehlinsen auf die Kamera und meldete: „Kein Pieps. Entwe­
der schlafen die Galgen... äh, Matrosen dort unten, oder sie haben das Weite
gesucht.“

„Das werden wir bald genauer wissen“, ließ sich nun auch die krähende

Stimme des kleinen Oliver vernehmen. Seltsam, daß der Kleine, der sonst nie
mit   seinen   Kommentaren   hinter   dem   Berg   halten   konnte,   so   lange   ge­
schwiegen hatte. Vielleicht hatte ihm Anca den Mund zugehalten, denn man­
chmal   verwandelte   der   Wicht   die   gebotene   Funkdisziplin   –   wenn   alle
durcheinanderriefen, konnten lebenswichtige Botschaften überhört werden –
in ein mittleres Chaos. Möglich war aber auch, daß der Kleine, der nur von
einer   Krankheit   zu   hören   brauchte,   um   sich   einzubilden,   er   sei   davon
befallen, mit Angst einen Pickel an seiner Hand betrachtet und darüber alles
andere vergessen hatte.

„Landeanflug“,   meldete   nun   Schwatzmaul.   „Bitte   hinsetzen   und   an­

schnallen!“

Das mit dem Anschnallen war natürlich Unfug, da die Gleitboote mit dem

Antigravantrieb  ausgerüstet   waren   und   stets   butterweich   landeten.   Auch
diesmal gab es kaum eine Erschütterung, als die Maschine etwa dreißig Me­
ter vor der leuchtenden Fläche aufsetzte. Nur ein paar morsche Äste knack­
ten.

Zischend öffneten sich die Schleusen. Noch bevor Harpo, der die Leitung

des  Landeunternehmens  übernommen   hatte,   überhaupt   dazu   kam,   Ollie,
Anca und Lonzo zur Vorsicht zu ermahnen, sah er den kleinen Ollie schon
über den weichen Waldboden flitzen. Er raste direkt auf das flimmernde Feld
zu, das die stillen Gebäude umschloß.

„Ollie!“ schrie Harpo über die Außenlautsprecher des Gleiters. „Willst du

wohl hierbleiben!“

Der  Kleine hörte  nicht,  obwohl  ihm bei dem Geschrei die Trommelfelle

hätten dröhnen müssen. Erst kurz vor der wabernden Wand blieb er stehen
und äugte zurück.

„Immer hübsch beieinanderbleiben“, ordnete Harpo an. Sie stiegen aus der

Maschine: Anca und Lonzo, zuletzt Harpo. Plötzlich tauchte Bharos vor dem

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Gleitboot auf. Er hatte an Bord der EUKALYPTUS gespürt, daß etwas nicht in
Ordnung   war.   Mit   einem   gedankenschnellen  Teleportationssprung  war   er
den   Freunden   auf   den   Planeten  nachgeeilt.  Bharos   war   nahe   daran,   mit
einem weiteren Sprung die Entfernung zu überwinden, um Ollie zurückzu­
halten, aber dann las er in den Gedanken des Benjamins der Expedition, daß
dieser die seltsame Wand gar nicht berühren wollte. Ihm hatte nur daran ge­
legen, als erster an Ort und Stelle zu sein. Die Wand war gar keine Wand –
wenigstens nicht das, was man normalerweise darunter versteht. Man konnte
hindurchsehen,  aber sie bestand nicht aus Glas oder Kunststoff. Dennoch
war es nicht nötig, lange herumzurätseln. Das Flirren und ein fast unhörbares
Knistern   wiesen   darauf   hin,   daß   es   sich   bei   dem   Gebilde   nur   um   einen
Energieschirm  handeln   konnte.   Irgendwo   in   einem   der   dahinterliegenden
Gebäude mußte sich ein Generator oder eine andere Energiequelle befinden,
die diesen Schirm erzeugte. Fragte sich nur, welchen Zweck der Energievor­
hang erfüllen sollte und aus welcher Art von Energie er bestand.

„Bitte mal die Kuppel anmessen“, sagte Harpo in das Mikrophon seines

Funkhelms.  „Wir haben es mit einem Energieschirm zu tun und möchten
gern wissen, ob es gefährlich ist, ihn zu berühren.“

In Harpos Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wenn es dort unter der

Kuppel  etwas   gab,  das  gegen   Eindringlinge   geschützt   werden  sollte,   dann
konnte   der   Schirm   durchaus   unter   einer   lebensgefährlichen   Spannung
stehen. Andererseits gab es auch magnetische  Prallfelder, deren Berührung
ungefährlich war, die man aber trotzdem nicht ohne weiteres überwinden
konnte. Beruhigend war schon mal, daß nirgendwo verkohlte Pflanzen zu se­
hen waren, auch dort nicht, wo der Schirm das Gras am Boden berührte.

„Die Spannung schwankt um Werte von zwei Volt“, meldete sich Thunder­

clap. „Ihr könnt in dieser Beziehung beruhigt sein. Ich würde aber trotzdem
sehr   vorsichtig   sein.   Schwatzmaul   ist   es   noch   nicht   gelungen,   alle   Eigen­
schaften dieser unbekannten Energieform zu analysieren!“

„Und was machen wir nun?“ fragte Anca.
Ollie schien seine erste Neugier befriedigt zu haben. Hinzu kam wohl, daß

die Gebäude hinter dem Schirm kantig und sehr nüchtern aussahen, so gar
nicht dazu geeignet, die Phantasie anzuregen. Und wenn jemand unter der
Kuppel lebte, dann ließ er sich zumindest nicht sehen. „Müssen wir über­
haupt da hindurch?“ fragte er deshalb. „Es zwingt uns doch niemand, oder?“

Harpo biß sich nervös auf die Unterlippe. „Es ist Neugier, Mann, Neugier!

Möchtest du denn nicht wissen, was dahinter auf uns wartet?“

„Nöö“, sagte Ollie. „Man sieht doch alles. Vier Gebäude, vom Zahn der Zeit

schon ganz schön zernagt.  Klötze mit  Türmen  drauf. Runde Fenster ohne
Glas.  Metalldächer,  Steinwände, meinetwegen  auch  Betonwände. Was soll
daran interessant sein?“

„Ächz!“  schnaubte  Harpo.   „Was  sagt  man   dazu   –  die  neugierigste   Seele

diesseits und jenseits der Galaxis will uns einreden, wir sollen lieber auf die
EUKALYPTUS   zurückkehren,   weil   es   hier   doch   nichts   zu   entdecken   gibt!
Mann, ich werde blaß!“ Um ein Haar hätte Harpo noch hinzugefügt, daß er

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wisse, weshalb Ollie sich nicht für die Gebäude und den Schirm interessierte.
Der Kleine hatte Angst vor der flimmernden Kuppel und wollte das bloß nicht
zugeben. Statt dessen redete er schnell  weiter,  bevor Ollie etwas erwidern
konnte: „An unsere Tiere denkst du wohl gar nicht, was? Sollen wir die hier
aussetzen, wenn wir nicht einmal wissen, ob unter der Kuppel nicht wilde
Gesellen hausen, die liebend gern Drachen und Eichkätzchen verspeisen?“
Ollie wurde erst blaß, dann rot. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Mit
beiden Fäusten hämmerte er plötzlich gegen den Energieschirm und schrie
dabei:   „Hier  frißt  keiner   kleine   Drachen!   Das   verhindere   ich!   Ich,   Ollie!
Jawoll!“

„Mann, bist du denn wahnsinnig!“ brüllte Harpo. Das hatte er schließlich

nicht gewollt.

„He!“   sagte   Anca.   „Ollie,   deine   Hände   gehen   ja   durch   den   Schirm

hindurch!“

„Was?“ fragte Ollie verdutzt. Erschreckt zog er seine kleinen Fäuste zurück

und schaute sie an. „Sie sind noch da. Aber diese Kuppel ist wirklich komisch.
Fühlt sich an, als würde man in eine weiche Masse hineinboxen.“

Harpo  versuchte verwirrt,  seine Beobachtungen  zu  ordnen.   Erst  einmal,

das war am wichtigsten: Ollie hatte die Sache unverletzt überstanden. Und
dann: Der Schirm bot keinen harten Widerstand. Schließlich: Ollies Fäuste
waren   tatsächlich   durch   den   Schirm  hindurchgedrungen.  Harpo   hatte   es
ebenfalls gesehen. Merkwürdig. Harpo sah sich mißtrauisch um, als wäre ir­
gendwo in der Ferne des Rätsels Lösung zu suchen.

Der Waldrand war knapp fünfzig Meter von ihnen entfernt. Es war still.

Kein   Piepen,   Zwitschern,   Pfeifen   oder   Knurren   war   zu   hören.   Eine   merk­
würdige Ruhe lag über dem Land. Nur die Sonne schickte sich an, dem Hori­
zont  entgegenzusinken.  Schon tauchten am unteren Teil des Himmels zwei
Monde auf. Die waren ihnen schon aufgefallen, als sie an Bord der EUKALYP­
TUS im Orbit des Planeten kreisten.

„Es wird bald dunkel“, mahnte Bharos. „Lange können wir uns hier nicht

mehr   aufhalten.   Vielleicht   müssen   wir   wirklich   nicht   wissen,   was   hinter
dieser Kuppel liegt. Unsere Meßergebnisse dürften ausreichen, um unsere
Tiere gefahrlos auszusetzen.“

„Schön“, sagte Harpo. „Wenn wir uns beeilen müssen, dann beeilen wir

uns eben. Machen wir einen kleinen Versuch. Hat jemand von euch einen
Stein gesehen?“

Niemand hatte. Kurzentschlossen nahm Harpo seinen Funkhelm ab und

hielt ihn prüfend in der Hand. Er wog etwa ein Kilogramm und konnte derbe
Stöße ganz gut vertragen. Wuchtig holte er damit aus und warf den Helm
gegen das Energiefeld.

Es entstand ein schmatzendes Geräusch, schließlich ein Knistern wie bei

einer Entladung. Und dann blieb der Helm mitten in der  Energiewand  ste­
cken!

„Das darf doch nicht wahr sein!“ staunte  Ollie  und riß vor Überraschung

Augen, Mund und Nasenlöcher weit auf. „Wie geht das denn?“

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„Me­Me­Mensch!“ hörten sie ihren Freund Brim Boriam in den Helmemp­

fängern.  Nur   Harpo   hörte   nichts.   „Wir   haben   a­a­a­a­alles   beobachtet!“
keuchte   Brim.   Manchmal,   wenn   er   sehr   aufgeregt   war,   stotterte   dem
schwarzlockige Afrikaner. „Unglaublich!“

Man glaubte, ihn und die anderen an Bord der EUKALYPTUS förmlich zu

sehen, wie sie vor dem Bildschirm in der Zentrale saßen und sich die Hälse
schier ausrenken wollten, um nur ja nichts zu verpassen. Die Kameras in den
Gleitbooten ließen sie jede Einzelheit miterleben.

„Juchhu!“   rief   Anca   und   gab   ihrem   Bruder  einen  dicken   Schmatz.   „Der

Energieschirm taugt nichts! Wahrscheinlich ist die Batterie leer.“

Bharos lachte. Er schloß die Augen und verschwand. Plötzlich tauchte er

auf der anderen Seite des Schirms wieder auf. Er bewegte den Mund, aber
man konnte kein Wort verstehen.

Dann stand er wieder neben ihnen. „Das Ding ist brüchig wie ein rostiger

Eimer“,   gab   er   bekannt.   „Wahrscheinlich   hat   Anca   im   Prinzip   recht.   Der
Schirm wird nur noch mit einer letzten Energiereserve aufrechterhalten und
kann seine früheren Funktionen nicht mehr erfüllen. Normalerweise bin ich
nicht in der Lage, Energieschirme zu durchspringen – aber dieser hier ist aus­
gesprochen   kraftlos. Nur  ein  kleines  Kitzeln   habe ich  gespürt.“   Unterneh­
mungslustig deutete er auf die stillen Gebäude. „Kommt ihr mit?“

Ollie   fletschte   die   Zähne,   nahm   einen   Anlauf,   warf   die   Arme   wie   ein

Schwimmer nach vorn – und saß auf dem Hintern. Diesseits des Schirms. Er
war zurückgeprallt.

Alle lachten über das verdutzte Gesicht des Kleinen. „Zu mager, der kleine

Bursche“, brummte  Lonzo, packte  Ollie und klemmte  ihn  sich  unter  zwei
Tentakel. Dann zog er sich die Matrosenmütze in die Stirn und rannte los. Er
durchstieß die Energiewand wie eine Bombe und raste noch zehn Meter wei­
ter, bevor er auf der anderen Seite zum Stehen kam. Harpo nickte Anca zu.

Bharos war bereits wieder verschwunden und tauchte gerade neben Lonzo

auf.

„Jetzt wir“, sagte Harpo und holte tief Luft.

Verschwunden im Nichts

Die Gebäude besaßen Türen – aber diese Türen waren verschlossen. Und

sowenig sich bisher unter der Kuppel etwas bewegt hatte, sowenig zeigte sich
auch jetzt ein Bewohner der Gebäude. Aus der Nähe besehen wirkten die Be­
tonquader  erschreckend  alt  und brüchig.  Man  mußte  daran   zweifeln,   daß
hier noch jemand lebte.

Ohne Tageslicht und Werkzeug waren die Versuche, die Türen der Gebäu­

de zu öffnen, zum Scheitern verurteilt. Deshalb einigte man sich rasch dar­

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auf,   zunächst   zur   EUKALYPTUS   zurückzukehren   und   den   Morgen   abzu­
warten.

Erst  sechsunddreißig  Stunden   später   –   so   lange   dauerte   ein   Tag   auf

Dragon, weil sich der Planet viel langsamer als die Erde drehte – drangen
zwei Gleitboote erneut in die Atmosphäre ein.

Diesmal blieb Schwatzmaul allein an Bord zurück. Nur die Grünen unter­

stützten ihn bei seinen Überwachungs­ und Steuerungsfunktionen.

Thunderclap hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich den seltsamen

Energieschirm in Augenschein zu nehmen, und alle anderen waren begeis­
tert, daß ihr Freund im Rollstuhl dabei war. Mit Unmengen von Werkzeug
ausgerüstet – obwohl der Tentakelkünstler Lonzo ein personifiziertes Werk­
zeug war – landete die Mannschaft vor dem Energievorhang. Sie durchbrach
ihn, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt, und drang zu den
Gebäuden vor.

Nur Thunderclap hatte beim Passieren des Schirms einige Mühe, weil der

Motor   seines   Rollstuhls   jedesmal   aussetzte,   wenn   das   Energiefeld   ihm   zu
nahe kam. Alexander löste das Problem. Er nahm Thunderclap huckepack
und schob sich mit der Kraft einer Lokomotive in das Innere der Kuppel.

Dann holte er den Stuhl nach. Seine Freunde applaudierten, und er ver­

neigte sich artig wie ein Kraftathlet in der Zirkusmanege.

Thunderclap zischte mit seinem Stuhl allen anderen voraus, denn das Ge­

lände war fugenlos betoniert, und der Motor des Gefährts funktionierte auch
wieder. Er bremste scharf ab, als er das erste Gebäude erreicht hatte, und rieb
sich vergnügt die Hände. Dann deutete er auf die breite Metalltür.

„Die wird uns nicht  lange Widerstand leisten“, sagte er. „Aber vielleicht

kann einer von euch zunächst mal durch eines der Fenster peilen. Kann sein,
daß wir schon etwas Interessantes entdecken.“

Auf den ersten Blick schien dieser Wunsch unerfüllbar zu sein. Aber Karlie

grinste nur, schnappte sich den zeternden Ollie und stellte den Kleinen auf
seine   Schultern.   „Reicht’s?“   fragte   er.   „Oder   soll   ich   mich   auf   die   Zehen­
spitzen stellen?“

„Gu­gu­gut“, keuchte Ollie, der ganz entsetzt war über das, was der Große

mit ihm angestellt hatte. Was man sich bei solchen Aktionen alles für Krank­
heiten holen konnte: Beulen, Beinbrüche, blaue Flecken ... Oder Schnupfen.
Schließlich zog es da oben viel mehr.

Aber dann umklammerte er doch den Rand des runden Fensters und steck­

te den Kopf hinein. „Da ist ‘ne große Halle“, meldete er aufgeregt. „Ziemlich
leer. Aber es gibt eine breite Treppe, die nach oben führt. Und eine Galerie
sehe ich. Eine Menge Türen ... hmm ...“

„Ist das alles?“ fragte Thunderclap enttäuscht.
Lonzo wartete gar nicht erst darauf, daß sich jemand der mitgeschleppten

Werkzeuge annahm. Er ließ seine Werkzeuglade aus dem Bauch schnellen,
stülpte einen Schraubenzieheraufsatz über einen Tentakel und stocherte da­
mit in der Türritze herum. Bald darauf stieß er wüste Verwünschungen aus,

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weil er mit dem Schraubenzieher nichts auszurichten vermochte. Ein Schloß
war nirgendwo an der Tür zu sehen.

Bharos hatte lächelnd zugeschaut. Er las Ollies Gedanken und sah durch

seine Augen hindurch das Innere der Halle. Diese Orientierung machte es
ihm leichter. Dann löste er sich in Luft auf – ein Teleportationssprung hatte
ihn in das Innere des Gebäudes versetzt. Er hantierte an irgendwelchen ver­
borgenen Riegeln herum. Zehn Sekunden später schwang die Tür auf, und
Bharos machte eine einladende Verbeugung.

Alle jubelten.
„Du  hättest   Schlosser   werden  sollen“,   lobte  Thunderclap.  „Oder  Tresor­

knacker“, meinte Anca und kicherte. Die runden Fensteröffnungen ließen ge­
nügend Licht in das Gebäude einfallen. Man konnte erkennen, daß Ollie, der
inzwischen  wieder  auf eigenen   Beinen   stand  und   darüber  sehr  erleichtert
war, bei seiner Beschreibung keine wichtigen Einzelheiten vergessen hatte.
Die Halle wirkte in der Tat sehr kahl und reizlos. Von der Decke hingen Kabel
herab, die Überreste einstiger elektrischer Leitungen. Die Lampen hatte man
wohl bereits vor langer, langer Zeit abmontiert. Zögernd trat die Gruppe in
die Halle ein. Mißtrauische Blicke musterten die Decke und die Wände und
suchten nach losen Teilen, die herunterfallen könnten. Aber trotz der rissigen
Außenwände schien der Bau noch recht stabil zu sein. Die Stimmen klangen
hohl in dieser leeren Halle. Die Mannschaft der EUKALYPTUS teilte sich in
mehrere kleine Gruppen auf, die immer nahe genug beieinanderblieben, um
bei Gefahr oder einer überraschenden Entdeckung nicht allein zu sein. So
durchstreiften sie die beiden Stockwerke des Gebäudes und schließlich auch
die  zugänglichen  Räume   des  Turmes.  Sie  fanden  nur   Staub   und   ein  paar
Steine.   Ansonsten   war   das   Gebäude   so   leer   wie   die  Taschen   eines   neuen
Anzugs. Nichts deutete auf frühere Bewohner hin. Kein technisches Gerät,
keine verrostete  Gabel, kein Schuhanzieher und  kein Fetzen Papier. Nicht
einmal   Schriftzeichen   an   den   Türen   waren   auszumachen.   Staub,   Staub,
nichts als Staub. Bei jedem Schritt, den die unternehmungslustigen Forscher
machten, wirbelten ganze Staubwolken durch die Luft und brachten sie zum
Niesen.   „Wie   ungemütlich“,   sagte   Anca,   als   sie   eine   halbe   Stunde   später
wieder auf Harpo traf. Sie zog eine Schnute. „Und wie trostlos. Da kommen
wir extra von der Erde, um die Errungenschaften dieser fremden Rasse zu be­
wundern, und was finden wir – Staub und Beton! Hatschiiii!“ „Hallo, wo seid
ihr denn?“ rief Thunderclap von irgendwoher und kam wenig später mit sei­
nem Rollstuhl durch den Korridor geflitzt. „Hier hinten ist ein Eingang zum
Nachbargebäude. Vielleicht haben wir dort mehr Glück.“

Von   allen   Seiten   her   liefen   die   „Entdecker“   zusammen.   Die   vor   ihnen

liegende Tür war unverschlossen. Der Raum rief nicht gerade Begeisterungs­
stürme hervor. Immerhin gab es jedoch so etwas wie Reste einer Einrichtung:
Leere Regalwände aus Blech unterteilten den Raum in viele schmale Gänge.
In der Mitte stand ein U­förmiger Tisch mit einer schweren, massiven Platte
aus Holz oder einem ähnlichen Material.

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Auf der geschlossenen Seite des U­Tisches entdeckte der winzige Trompo

als erster eine kleine Schalttafel mit mehr als zwanzig Drucktasten, alle aus
Kunststoff. Mehrere trugen eingepreßte Zeichen und Symbole, deren Sinn je­
doch schwer zu erraten war.

„Aha“, sagte Bharos. „Jetzt wird es interessant.“ Er stellte sich hinter den

Tisch   und   probierte   der   Reihe   nach   alle   Tasten   aus.   Nichts   geschah.   Die
Gesichter der Zuschauer wurden immer länger.

„So ein Reinfall!“ schnaubte Karlie. „Ich komme mir ziemlich gelackmeiert

vor, wißt ihr das?!“ Er stampfte zornig mit dem Fuß auf. „Wenigstens ein duf­
tes Geheimnis hätten uns die Leute ja wohl zum Lüften übriglassen können,
meint ihr nicht auch?“

„Ulp!“ machte Ollie plötzlich.
Alle Köpfe fuhren herum. Mit schreckgeweiteten Augen stellte Harpo fest,

daß Ollie nur noch aus einem Kopf bestand – und der schien direkt aus dem
Fußboden zu ragen. Dann war auch der Kopf verschwunden. Dort, wo der
Kleine eben noch gestanden hatte, gähnte ein schwarzes, quadratisches Loch
mit einer Seitenlänge von etwa drei Metern.

„Ollie!“ schrien die Kinder im Chor. „Was ist mit dir?“ Sie lösten sich aus ih­

rer Erstarrung, denn erst jetzt hatten sie erkannt, daß es nicht der Erdboden
war, der den Kleinen verschluckt hatte. Vielmehr war eine versenkbare Platte
auf einen Knopfdruck von Bharos hin mitsamt Ollie in die Tiefe gefahren.

Wenig später lagen alle flach auf dem Boden und lugten in die vier oder

fünf Meter tiefer liegende Etage.

Eine hohl klingende Stimme drang zu ihnen herauf. „Junge, Junge! Das sind

ja Sachen! Das kann ich kaum glauben!“

„Ollie?“ fragte Harpo. „Geht’s dir gut?“
„Da biste von den Socken!“ fuhr Ollie begeistert fort, ohne auf Harpos Frage

einzugehen.

„Ollie!!!“ schrie Anca. „Was machst du da unten?“
„Ich gucke Fernsehen“, schrie der Kleine zurück. „Gutes Programm, aber ‘n

bißchen verschwommen. Schickt mal Lonzo mit seinen Werkzeugen herun­
ter!“

„Oje!“ meinte der Roboter. „Der arme Ollie hat seinen Grips verloren!“
Bharos   fingerte   wieder   an   den   Tasten   herum   und   versuchte   herauszu­

finden, welche davon den Fahrstuhl ausgelöst hatte. Tatsächlich fuhr wenige
Sekunden später die Bodenplatte  wieder in die alte  Position. Bharos  stieß
einen Triumphschrei aus. Er stand immer noch mit gespannter Miene hinter
dem   Schaltpult   und   drückte   weitere   Knöpfe.   Vor   Aufregung   war   ihm   die
Zungenspitze zwischen die Lippen gerutscht. Die Platte ruckte an, fuhr ein
Stück nach unten, dann wieder herauf. „Jetzt habe ich es!“ rief Bharos. „Ich
kann das Ding steuern!“

Harpo durfte als erster auf der Platte Platz nehmen und zu Ollie hinabfah­

ren. Nach und nach folgten die anderen. Nur Bharos blieb oben. Wahrschein­
lich konnte man den Fahrstuhl auch von unten aus steuern, aber es war ja

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nicht nötig, dieses Risiko einzugehen. Als er allerdings in Ollies Gedanken las,
zog er es doch vor, mit einem Teleportationssprung zu den anderen zu eilen.

Harpo und seine Freunde hatten inzwischen den engen Schacht mit der

Fahrstuhlplatte verlassen und waren zu Ollie in den unterirdischen Saal ge­
treten.   Durch   einige   Lichtschächte   fiel   genügend   Sonnenlicht   herein,   daß
man die Umgebung erkennen konnte. Entlang der Wand standen in endloser
Reihe Transportfahrzeuge mit fünf Meter langen, offenen Ladeflächen, dicker
Gummi­ oder Kunststoffbereifung und einem Fahrersitz hoch über der Lade­
fläche.

In der Mitte des Raumes jedoch stand etwas, das auf den ersten Blick beim

besten Willen nicht einzuordnen war. Es sah aus wie eine auf vier stumpfen,
plumpen, sehr kurzen Beinen stehende Metallplatte. Sie war fast quadratisch,
gut zwanzig Zentimeter dick und hatte an einer Seite einen  kastenförmigen
Anbau. Dort schienen Kabel zusammenzulaufen, die von der Unterseite der
Platte kamen.

Was jedoch am meisten verblüffte: Über diesem metallischen Gerät befand

sich ein leuchtendes,  würfelförmiges Energiefeld. Und darin gefangen  war
das   Bild   einer   fremden,   exotischen   Welt,   so,   als   würde   man   einen
dreidimensionalen Farbfilm sehen.

Eine Steppe mit blaugrünem Gras breitete sich dort aus, und in der Ferne

stolzierte eine etwa zwei Dutzend Tiere zählende Herde von Kamelen dahin.
Das heißt, eigentlich waren es nur die langen, dünnen Beine und die drei Hö­
cker, die an Kamele erinnerten. Die Köpfe wirkten massiver, fast wie die von
Stieren, und trugen auch kurze, krumme Hörner. Sie schienen nicht in Eile zu
sein,  fraßen  hier und da etwas Gras und zogen nur ganz allmählich weiter.
Eine grünliche Sonne stach grell in die Augen.

„Äh ...“ machte jemand.
Harpos   Augen   suchten   Ollie   und   fanden   ihn   schließlich.   Er   saß   im

Schneidersitz keine zwei Meter  von dem seltsamen „Fernsehapparat“  ent­
fernt auf dem Fußboden,  starrte mit  unverkennbarer  Begeisterung auf die
Szene   und   machte   auch   sonst   einen   höchst   zufriedenen   Eindruck.   Die
anderen Besatzungsmitglieder waren kaum weniger gefesselt.

Plötzlich änderte sich die Szene schlagartig. Das Bild kippte förmlich um.

Die Steppe war fort. Statt dessen sah man eine Gebirgsformation, über die ein
eisiger Wind fegte. Verkrüppelte  Bäume stemmten sich knorrig dem Wind
entgegen.   Riesige  lederhäutige  Vögel   kreisten   am   Himmel,   ein   weiterer
Schwarm zog über die zackigen Bergspitzen dahin. Das Panorama wirkte so
lebensecht, daß Harpo fröstelnd die Schultern hochzog. War es nicht wirklich
eisig kalt in diesem unterirdischen Saal geworden?

„Ollie ...“ flüsterte  er heiser und wollte den Kleinen mit sich  fortziehen.

Aber eine wie magisch wirkende Kraft hielt ihn fest. Nur unter größter An­
strengung schaffte es Harpo, sich so weit von dem Bild loszureißen, um den
Kopf wenden zu können.

Auch   die   anderen   vermochten   ihre   Blicke   anscheinend   nicht   von   dem

dreidimensionalen Fernseher zu lösen. Neben sich fühlte Harpo den schwer

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atmenden Thunderclap. Karlies Zunge leckte nervös über die Lippen. Ancas
Augen sahen riesengroß aus. Brim schaute etwas skeptischer drein und rieb
sich  nachdenklich  sein  schwarzes  Kinn.  Trompo   hatte  den  kleinen   Rüssel
angehoben,   als   wolle   er   dem  Bildwürfel  entgegenschnüffeln.  Alexander
brummte vor sich hin, wandte die Augen aber keine Sekunde lang von der
Szene ab. Nur Bharos und Micel tauschten einen raschen Blick aus. Vermut­
lich hatten sie sich auf geistigem Wege versichert, daß der eine so erstaunt
wie der andere war.

Unbeeindruckt zeigte sich allein Lonzo. Zwar waren auch seine Sehzellen

auf den Würfel gerichtet, aber er wandte sich sofort Harpo zu, als dieser ihn
anblickte.  An  Lonzos  Verhalten  zeigte  sich,  daß   sie  keiner  optischen   Täu­
schung oder hypnotischen Beeinflussung aufsaßen. Lonzo hätte sonst Alarm
geschlagen.   Sein  Gehirn   konnte   niemand   täuschen.  Ein   Roboter   läßt   sich
nichts vormachen.

„Ollie!“  sagte  Harpo  noch   einmal.   Diesmal  sprach  er   lauter.   Tatsächlich

erhob sich der Kleine und tat ein paar Schritte, ziemlich unsichere Schritte.
Er schien das selbst zu bemerken, denn er streckte die Arme wie Balance­
stangen aus, um das Gleichgewicht zu halten. Trotzdem schwankte er wie ein
Segelflugzeug unter einer Böe.

„Paß auf!“ zischte Harpo und trat zwei Schritte vor.
Aber die Warnung kam zu spät. Ollie stolperte plötzlich und fiel wie eine

leblose Puppe nach vorn. Eine Sekunde lang glaubte Harpo einen Entsetzens­
schrei zu hören. Im gleichen Moment kippte das Bild des Würfels wieder um.
Aber er achtete nicht auf die neue Landschaft. Hell war es – das war alles,
woran er sich später erinnern konnte. Er hatte nur Augen für Ollie, versuchte
ihn zu erreichen –  vergeblich.  Der  Oberkörper des Kleinen tauchte  in das
leuchtende Feld ein. Seine Beine stießen gegen die Platte und knickten ein.
Aber Ollie fiel nicht aus dem Würfel heraus. Eine geheimnisvolle Kraft schien
ihn förmlich in das Feld hineinzuziehen. Die Beine zappelten hin und her,
das   Hinterteil   berührte   die   Metallplatte.   Dann   war   Ollie   spurlos
verschwunden.

„Ollie!“ schrien die Kinder auf.
Aber   Ollie   kam   nicht   zurück.   Das   Bild   im   Würfel   war   fast   im   gleichen

Augenblick   erneut   umgekippt,   als   der   kleine   Oliver   verschwand.   Zehn,
zwanzig Sekunden lang gab es nichts als einen wilden Farbwirbel, als hätte
jemand   die   Farben   eines   Tuschkastens  durcheinanderlaufen  lassen.   Dann
stabilisierte   sich  das   Bild.   Man   sah   die   Landschaft   von   vorhin:   blaugrüne
Steppe, Kamele, eine grüne Sonne.

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Expedition ins Unbekannte

Es dauerte bestimmt fünf Minuten, bis sich die Unruhe soweit gelegt hatte,

daß gemeinsam überlegt werden konnte, was zu tun war. Beendet wurde das
Durcheinander und das Geschrei durch Lonzo. Er hatte mit stoischer Ruhe
abgewartet, als würde er auf eine innere Uhr blicken. Dann ließ er plötzlich
ein Geräusch ertönen, das wie Kanonendonner klang und schlagartig alles
verstummen ließ.

„Ollie ist verschwunden“, sagte Lonzo mit ganz ungewohntem Ernst in der

Stimme. „Wir haben alle gesehen, wie es passiert ist. Dennoch  wissen wir
nicht, was mit ihm geschehen ist. Hat die seltsame Maschine ihn regelrecht
verschlungen und damit seinen Körper aufgelöst? Oder hat sie Ollie nur un­
seren Blicken entzogen, das heißt, an einen anderen Ort transportiert? Wenn
ihr   mich   fragt:   Ich   glaube,   daß   die   Maschine   ein  Materietransmissions­
zentrum ist – ein Gerät also, das über ähnliche Fähigkeiten verfügt wie unser
Freund Bharos. Nur daß es nicht sich selbst, sondern andere von einem Ort
zum anderen  versetzt.  Aber das  werden  wir  sicherlich  noch  herausfinden!
Viel wichtiger ist die Frage, ob Ollie überhaupt noch lebt. Und wenn ja, wo er
sich befindet. Das führt uns dann schließlich zu dem Problem, ob und wie
wir ihm helfen können.“ Diese ungewöhnlich lange und ernste Ansprache
hinterließ zunächst nur stumme, unbehaglich dreinblickende Gesichter.

Bharos reagierte schließlich als erster. „Lonzo, ich teile deine Ansicht“, sag­

te er. „Alles deutet darauf hin, daß die Maschine nicht nur verschiedenartige
Landschaften  in  dem  Würfelfeld  abbildet, sondern  daß eine  tiefergehende
Verbindung zu diesen Landschaften existiert. Wenn es wirklich so eine Art
Materietransmitter sein sollte, dann kann es sein, daß die im Kubus gezeigten
Bilder die Umwelt anderer Transmitterstationen sind. Demnach müßte Ollie
auf einer solchen Station angekommen sein. Vielleicht können wir ihn sogar
sehen, wenn wir die Maschine lange genug im Auge behalten.“

Die   Köpfe   der   Anwesenden   wandten   sich   dem  Leuchtwürfel  zu.   Noch

immer stelzten die  Kameltiere  durch die blaugrüne Steppe. Von Ollie keine
Spur. Bei den Kamelen hielt er sich offensichtlich nicht auf.

„Wo mag diese Gegend wohl liegen?“ fragte Anca mit leiser Stimme. Sie

hatte im ersten Schreck nach der Hand ihres Bruders gegriffen und hielt sie
auch jetzt noch fest.

„Tja, wenn wir das wüßten ...“ meinte Bharos. „Vielleicht auf der anderen

Seite von Dragon, trotz der grünlichen Sonne. Niemand sagt uns, daß die
Farben realistisch abgebildet werden. Andererseits ... also, um ehrlich zu sein
– ich glaube eher daran, daß diese Bilder von anderen Planeten stammen.
Und die müssen nicht einmal in der Nähe dieses Systems liegen.“

„O   weh!“   sagte   Thunderclap.   Ihm   wurde   plötzlich   ganz   schlecht.   Einen

verschwundenen   Oliver   auf  einem  bestimmten   unerforschten  Planeten   zu
suchen – das mochte ja noch angehen. Aber wenn praktisch die halbe Galaxis
– oder die ganze? – in Frage kam, dann ...

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„Nun mal nicht gleich den Kopf hängenlassen“, sprach ihm Bharos Mut zu.

„So ernst ist das auch wieder nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen, daß
die Landschaften im Würfel nicht unbedingt zu Planeten des nächsten Sterns
gehören. Wißt ihr, ein kleines bißchen kann ich mitreden, wenn es um Trans­
mitter geht. Meine Rasse hat früher ebenfalls Experimente mit Transmittern
durchgeführt.  Allerdings  wurden die Forschungen eingestellt. Ein winziger
Hüpfer kostete nämlich so viel Energie, wie eine mittlere Sonne sie das ganze
Jahr hindurch abgibt. Die fremden Erbauer dieser Maschine hier haben mehr
Erfolg gehabt, das sieht man ja. Aber Energie wird trotzdem benötigt. Das
funktioniert so ähnlich wie bei einer Funkanlage. Stellt euch vor, ein Funk­
spruch soll abgestrahlt werden. Steht der Empfänger nur ein paar Kilometer
weiter, benötigt man wenig Energie, um sich verständlich zu machen. Steht
er   dagegen   am   anderen   Ende   der   Milchstraße,   müßte   man   einen
Riesensender   haben   und  gewaltige   Energien   aufbringen.   –  Was  wollte   ich
eigentlich sagen?“

„Daß Ollie doch nicht sooo weit weg sein kann“, half Alexander aus.
„Ach, richtig. Also, ist doch klar: Die einzelnen Stationen dürften  relativ

dicht beieinanderstehen, um Energie zu sparen. Na ja, vielleicht gibt es auch
mal eine dazwischen, die als Außenstation sehr weit weg ist ... Aber da wollen
wir lieber nicht dran denken. Und überhaupt: Transmitter müssen erst mal
von ganz gewöhnlichen Raumschiffen an Ort und Stelle gebracht werden,
weil ein Sender ohne den Empfänger wertlos ist. Das engt den Radius be­
stimmt ziemlich ein!“

„Für uns kann das noch immer zu groß sein“, meinte Harpo seufzend.
„Und wer weiß, ob die Fremden das Problem nicht ganz anders angepackt

haben oder auf eine unerschöpfliche Energiequelle gestoßen sind“, gab Karlie
zu bedenken. „Der arme Ollie – ob wir ihn jemals wiedersehen?“

„Was ist denn mit meinen Matrosen los?“ schimpfte Lonzo. „Einer weint

dem anderen etwas vor? Das dulde ich nicht! Laßt uns lieber ernsthaft über­
legen, wie wir den kleinen Ollie zurückholen!“

„Richtig“, sagte Bharos. „Immerhin können wir selbst das gleiche tun, was

Oliver   unfreiwillig   getan   hat   –   nämlich   mit   dem   Transmitter   reisen.   Und
dann bleibt uns immer noch die EUKALYPTUS. Beides zusammen ...“

Er brach ab, weil sich die Szene im Bildwürfel verändert hatte. Es gab er­

neut einen kurzen  Farbwirbel.  Dann wurde eine neue Umgebung sichtbar.
Im   ersten   Augenblick   konnte   man   nicht   viel   mehr   als   grellrotes   Licht   er­
kennen. Doch dann, als sich die Augen daran gewöhnt hatten, blickte man
auf zwanzig oder dreißig menschengroße Wesen, deren Gesichter von kurz­
haarigem Fell bedeckt waren und von großen, runden schwarzen Augen be­
herrscht   wurden.   Die   Fremden   steckten   in

 beutelähnlichen

Kleidungsstücken,   die   unterschiedliche   Schattierungen   aufwiesen.   Farben
konnte man in dem grellroten Licht nicht erkennen.

Man hatte den Eindruck, daß nicht nur die Besatzungsmitglieder der EU­

KALYPTUS die Fremden anstarrten, sondern daß diese ebenso verwundert
zurückguckten. Ja, Harpo hatte sogar das Gefühl, er säße in einem  Zookäfig

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und werde von den Besuchern bestaunt. Ganz unberechtigt war das wohl
nicht, denn einige der Wesen hoben kleine Geräte an und ließen Blitzlichter
aufleuchten.   Fotografierten   sie?   Dann   traten   die   Wesen   zurück.   Einer   der
Fremden blieb vorne stehen, zeigte mit der Pranke auf die „Zuschauer“ und
begann   unter   vielen   Grimassen   und   Gebärden   etwas   zu   erklären.   Hören
konnte man allerdings nichts.

„Das ..., ist ... doch ...“ stotterte Harpo.
„Wir werden beobachtet!“ rief Micel. „Die sehen uns.“
„Und sie scheinen einen  Heidenrespekt davor zu haben, sich zu nähern“,

meinte Karlie.

„Was wohl kaum an uns liegt“, sagte Bharos. „Das gilt dem Transmitter.

Wer weiß, welche schlechten Erfahrungen sie damit gemacht haben. Mich
sollte  es auch  gar  nicht  wundern,  wenn  das Ding dort  in einem  Museum
steht. Das Innere eines Gebäudes scheint es jedenfalls zu sein.“

Zum erstenmal wurde Harpo so richtig bewußt, was es bedeuten konnte,

wenn ihre Vermutungen über die Transmitterstationen  zutrafen.  Es konnte
heißen, daß Hunderte, vielleicht Tausende von Stationen an das Netz ange­
schlossen waren. Und auf irgendeiner Station war Ollie gelandet. Niemand
wußte überhaupt, ob ihr Transmitter gerade diese Station noch einmal als
Empfänger vorsehen würde. Und wenn Ollie, neugierig wie er war, dort nicht
ausharrte, sondern ... Es war nicht auszudenken!

„Mit dem Energieschirm draußen ist nicht mehr alles so, wie es sein sollte“,

überlegte Micel laut. „Und diese Gebäude hier sind verlassen und nicht ge­
rade gut in Schuß. Ein anderer Transmitter steht eventuell schon im Muse­
um. Das heißt ... Ja, das kann nur bedeuten, daß die Transmitterkette schon
uralt ist. Die Konstrukteure leben vielleicht gar nicht mehr. Wir können froh
sein, wenn die Maschinen noch einwandfrei funktionieren. Also, wenn wir
Ollie nicht suchen müßten – keine zehn Pferde würden mich in die Nähe des
Transmitterfeldes bringen.“

„Ach, funktionieren wird es noch“, versicherte Bharos. „Sonst könnten wir

auch die Bildwürfel nicht mehr sehen. Nein, nein, die Energiequelle für den
Schirm draußen kann nichts mit den Transmittern zu tun haben.“

„Was   ich   nicht   verstehe“,   sagte  Anca,   „ist,  warum   man   das   Gerät   nicht

steuern   kann.   Und   wieso   manche   Landschaften   lange   im   Würfel   bleiben,
andere aber nur ein paar Sekunden. Da muß doch etwas faul sein.“

„Wir können die Anlage nicht steuern“, korrigierte Bharos. „Aber zugege­

ben, ganz geheuer ist mir auch nicht dabei. Vielleicht gibt es eine Umschalt­
automatik, die nicht mehr richtig funktioniert. Wie auch immer – wir müssen
uns mit den Tatsachen abfinden und das Beste daraus machen.“

„Das heißt aber doch wohl“, überlegte Harpo laut, „es gibt keine Garantie

dafür, daß wir zurückkehren. Selbst wenn wir Ollie finden – die Rückfahrkarte
zum Planeten Dragon und zur EUKALYPTUS haben wir nicht in der Tasche.“

„Hmm“, machte Thunderclap. In der folgenden Stille hätte man leicht eine

Stecknadel fallen hören können. Natürlich dachte keiner daran, Ollie seinem
Schicksal zu überlassen. Das kam überhaupt nicht in Frage. Aber wie sollte es

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ihnen in kurzer Zeit gelingen, entweder die Steuerung des  Transmittersys­
tems zu erlernen oder aber ein System hinter den Umschaltungen zu entde­
cken? Und die Zeit drängte, wenn sie Ollie helfen wollten. Eigentlich zählte
jede Sekunde. Selbst wenn es Lonzo und Schwatzmaul gelingen sollte, den
Schaltcode – vorausgesetzt, es gab einen – zu entziffern und durch Rückrech­
nung  Ollies Aufenthaltsort zu ermitteln – das würde alles viel zu lange dau­
ern. Vielleicht kämpfte Ollie gerade in einem Sandsturm um sein Leben oder
rannte vor einem Raubtier davon ...

Lonzo hatte alle Daten über die bisherigen Umschaltungen längst an den

Bordcomputer weitergeleitet. Aber daraus ließ sich noch nichts ablesen. Am
liebsten hätte Schwatzmaul den Transmitter von den Grünen zerlegen lassen,
um   hinter   das   Geheimnis   zu   kommen.   Diese   Lösung   mußte   jedoch   aus­
scheiden. Das würde viele Stunden dauern. Wenn Ollie in der Zwischenzeit
zurückkehren   wollte,   konnte  es  zu   einer   Katastrophe   kommen.   Ohne  den
funktionsfähigen Empfänger war Ollie verloren.

„Die Frage ist dann wohl nur, ob sich einer allein in das  Transmitterfeld

stürzt oder ob es mehrere von uns wagen“, sagte Harpo schließlich. „Etwas
anderes bleibt uns jedenfalls nicht übrig. Ich melde mich schon mal freiwil­
lig.“ Dieser Entschluß war ihm nicht leichtgefallen.

„Ich mache mit!“ rief Anca.
„Wir sollten mit einer möglichst kleinen Gruppe den Sprung ins Ungewisse

wagen“, riet ihm Bharos. „Wer weiß, was uns erwartet!“

Aber niemand wollte zurückstehen, so mulmig den meisten auch zumute

war. Es ging ja um Ollie.

„Also,   einige  müssen   schon  auf   der   EUKALYPTUS   bleiben“,   protestierte

Schwatzmaul   über   Funk.   „Schließlich   brauche   ich   hin   und   wieder   mein
Kännchen Öl!“ Das war natürlich nicht der wahre Grund, aber das Bordge­
hirn hatte im Prinzip recht. Sie durften nicht alles auf eine Karte setzen.

„Na ja“, sagte Thunderclap. „Da muß ich wohl in den sauren Apfel beißen,

sonst kriege ich gleich noch zu hören, daß ein Rollstuhl nicht das Wahre in
Morast oder Geröll ist. Ja, ihr habt ja recht! Aber wartet nur ab, bis die Grünen
mir meinen  Einmannhubschrauber  gebastelt haben. Dann werdet ihr mich
nicht mehr so leicht los!“

„Noch drei“, forderte Schwatzmaul. „Außer Thunderclap müssen noch drei

zurückbleiben!“

Lonzo   nickte   mit   einer   heftigen   Kopf­Rumpf­Bewegung,   fing   die   sonst

immer so stramm auf dem Kopf sitzende Matrosenmütze auf und rührte dar­
in mit einem Tentakel herum. „Das haben wir gleich!“ rief er triumphierend.
Dann  zog er  ein  Kärtchen  aus  der  Mütze. „Brim Boriam“,  las  er  laut  vor.
„Brim bleibt bei Pitter.“

„Bei welchem Pitter?“ fragte Thunderclap wütend, denn seinen richtigen

Namen hörte er überhaupt nicht gern.

„Sagte ich Pitter?“ fragte Lonzo unschuldig. „Da muß ein Relais ausgefallen

sein, bei Thunderclap.“

„Ist das auch mit rechten Dingen zugegangen?“ fragte Brim mißtrauisch.

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„Aber ja doch!“ versicherte Lonzo fröhlich. „Für solche Fälle habe ich von

allen  Matrosen  ein  Namenskärtchen  in  der  Mütze.  Nicht   verzagen,  Lonzo
fragen!   Und,   Herrschaften“   –   Lonzo   ließ   seine   Stimme   lauter   werden   –
‚ „schon geht es weiter.“

Abermals griff er in das Mützchen und zog ein weiteres Kärtchen hervor,

dann noch eines. „Karlie Müllerchen“, schnarrte er.

„Oooooch!“
„Und Micel Fopp!“ fügte Lonzo hinzu und stülpte sich die Mütze mit den

Namenskärtchen wieder über den kleinen Metallkopf.

„Na ja, da kann man nichts machen“, kommentierte Micel, aber ein biß­

chen enttäuscht sah er doch aus.

„Ich habe was für euch“, meldete sich Schwatzmaul.
„Ja, was denn?“
„Eine   feine   Sicherheitsmaßnahme.   Wir   bauen   Lonzo   einen   starken   Si­

gnalgeber ein. Das geht ganz schnell! Die  Peiltöne kann ich über 300 Licht­
jahre hinweg anpeilen.“

„Hurra!“ schrie Thunderclap. „Wir holen euch aus dem Schlamassel, wenn

ihr Ärger habt. Egal, wo ihr seid!“

„Warum immer ich?“ kreischte Lonzo. „Ich mag es nicht, wenn in meinem

Bauch etwas piept! Andere haben auch dicke Bäuche, in denen viel Platz ist.“

„Aber Lonzo!“ sagte Anca honigsüß. „Würdest du es auch nicht mir zuliebe

tun?“

„Na ja, wenn du mich so nett darum bittest, mein Schätzchen ...“
„Dann kann es ja losgehen, sobald Lonzo zurück ist“, sagte Karlie. Vor Auf­

regung hatte er rote Flecken im Gesicht.

„Wir werden Lonzo zur EUKALYPTUS begleiten“, erwiderte Bharos. „Wir

brauchen Raumhelme,  Bodyskinanzüge, Vorräte und ein paar Ausrüstungs­
gegenstände, auch Waffen gegen wilde Tiere. Ab geht die Post!“ Er sprang in
das obere Stockwerk, um den Fahrstuhl zu bedienen.

„Und wir haben eine prima Aufgabe“, sagte Brim. „Während ihr unterwegs

seid, laden wir die Tiere aus.“

Die zerbrochene Kuppel

Einige Stunden später kletterte die Expeditionsgruppe aus dem Gleitboot

und winkte Brim noch einmal zu. Der wedelte wild mit beiden Armen, dann
sprach er etwas in das Mikrophon, offenbar den Befehl für den Start, denn
wenig später hob das Boot sanft vom Boden ab. Schwatzmaul bewegte das
kleine Raumfahrzeug zur EUKALYPTUS zurück.

Dort würden Karlie und Micel schon damit beschäftigt sein, einen Teil der

kleinen Drachen in das zweite Gleitboot zu verladen. Brim würde das von
ihm gesteuerte Boot ebenfalls beladen. Sicherlich waren mehrere Pendelflüge

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beider Boote nötig, bis alle Tiere ihre neue Heimat erreicht hatten. Aber die
Zurückbleibenden hatten ja Zeit.

Viel Zeit durfte  sich die Expeditionsgruppe dagegen nicht nehmen. Was

immer mit Ollie passiert sein mochte: Mit jeder Stunde, die verstrich, konnte
die Situation für den Kleinen womöglich gefährlicher werden. Voller Unge­
duld   warteten   Harpo   und   seine   Freunde   darauf,   Ollie   helfen   zu   können.
Wenn sie nur  wüßten, wo sie mit der Suche anfangen sollten! Ein bißchen
seltsam fühlte sich Harpo schon, als er vor dem leuchtenden Würfel stand
und in die rote, leblos wirkende Wüste hineinstarrte.

Als sein Blick auf die Gesichter seiner Freunde fiel, wurde ihm allerdings

recht   schnell   klar,   daß   er   mit   diesem   Gefühl   nicht   allein   war.   Auch   die
anderen   schauten   ängstlich   und   trotzig   zugleich   auf   das   fremdartige
Panorama – ängstlich, weil sie nicht wußten, was sie dort erwartete, und trot­
zig,   weil   sie  dennoch   den   Kampf   gegen   das   mysteriöse   Gerät   aufnehmen
wollten.

Selbst Moritz, der Dackel, schnupperte skeptisch in Richtung des flirrenden

Energiefeldes. Das half ihm natürlich nichts, denn wie alle anderen steckte er
in einem Raumanzug aus Bodyskin. Und da konnte er höchstens sich selbst
erschnuppern. Aber es sah nicht so aus, als würde er das jemals einsehen.

Moritz’ Nase, so hofften die Kinder, würde ihnen einen guten Dienst er­

weisen.   Sie   hatten   ihn   eigens   mitgenommen,   weil   er   Ollies   besonderer
Liebling  war  und  deswegen   am  ehesten   die   Spur   des  Kleinen   aufnehmen
würde. Natürlich  erst  zu einem späteren  Zeitpunkt  und selbstverständlich
ohne den Plexiglashelm, der seinen Kopf jetzt luftdicht umschloß.

Auch bei Trompo, jenem winzigen Wesen, das von einem fernen Planeten

kam   und   äußerlich   große   Ähnlichkeit   mit   einem   rosafarbenen  Spielzeug­
elefanten  aufwies,   dabei   aber   hochintelligent   war,   hatte   sich   die  Bord­
schneiderei  besondere   Mühe   geben   müssen,   um   einen   enganliegenden
Anzug zu konstruieren.

Nur einer zeigte sich unbeeindruckt: Lonzo. Er pfiff – grausig falsch – ein

fröhliches Piratenliedchen vor sich hin und hielt mit zweien seiner Tentakel
einen   Rucksack   auf   dem   Rücken   fest.  Sein   Metallkörper   war   so   glatt   und
rund, daß das Gepäckstück, welches  Vorräte  und Ausrüstungsgegenstände
der Expedition enthielt, keinen rechten Halt fand. Aber Lonzo hatte darauf
bestanden, sich wie alle anderen am allgemeinen Schleppen der Ausrüstung
zu beteiligen.

„Ulkig“, meinte Alexander. „Was sind wir eigentlich jetzt: Bergsteiger oder

Raumfahrer?“

„Laß mal“, antwortete Anca. „Diese Rucksäcke sind verdammt praktisch.

Auch wenn wir jetzt aussehen wie ein Kommando der berittenen Gebirgsma­
rine.“

Alexander lachte brummend. Wenn ihm etwas besonders an der Sprache

der Menschen gefiel, so waren das die Wortspielereien. Und natürlich die saf­
tigen Piratenflüche, die Lonzo, wenn er in Rage war, ausstieß.

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Moritz, der die Stimmen über seinen Helmlautsprecher gehört hatte, bellte

freudig. Der hintere Teil seines Bodyskinanzugs setzte sich wedelnd in Bewe­
gung.

„Ob Ollie wirklich dort gelandet ist?“ fragte Harpo skeptisch. Er deutete mit

dem Kopf auf die rote Wüste.

„Viel zu trocken für einen echten Seemann!“ stimmte ihm Lonzo zu. Aber

seine Stimme klang ernster als sonst. Die Angst um Ollies Schicksal erstickte
jeden Spaß.

„Wenn sich einer von uns daran erinnern könnte, welches Szenenbild der

Würfel zeigte, als das Malheur passierte“, warf Bharos ein, „wäre alles viel
einfacher.“ Und damit hatte er recht. Unglücklicherweise hatte genau in dem
Augenblick, in dem Ollie in das Energiefeld  hineingezerrt  worden war, das
Bild gewechselt. Und die Landschaft, in der Ollie verschwunden war, hatte so
schnell einer anderen Platz gemacht, daß es für die entsetzten Umstehenden
unmöglich gewesen war, sie im Gedächtnis zu behalten.

„Ich bin dafür, daß wir jetzt etwas unternehmen“, sagte Harpo ungeduldig.

Wenn ihm schon nicht ganz wohl bei der Sache war, so wollte er sie wenigs­
tens schnellstens hinter sich bringen.

„Klar!“ riefen Anca und Alexander. „Ist doch egal, wo wir anfangen!“
„Wir nehmen, was kommt!“ ergänzte Lonzo.
Harpos Finger bewegten einen Drehwiderstand, der an der Kontrollbox auf

seiner Brust angebracht war. Ihm war es zu warm, und mit dem Knopf konn­
te man die Temperatur regulieren. Normalerweise – wenn man keine beson­
deren Wünsche hatte – mußte man sich um diese Box nicht kümmern. Ein
kleiner Computer registrierte alle  Meßdaten  und veränderte sie bei Bedarf
automatisch. Das war auch der Grund, warum diese Apparatur den Namen
Körperwächter trug: Von hier aus wurden die Sauerstoffvorräte gesteuert, die
Heizventile des Miniaggregats geöffnet oder geschlossen sowie die  Preßluft­
patronen  bedient,  die für einen  leichten  Überdruck innerhalb der  Anzüge
sorgten, um sie prall zu halten. Der Körperwächter war sogar in der Lage,
selbst konzentrierte Flüssignahrung direkt in die Venen zu spritzen, ohne daß
man dabei etwa einen Schmerz spürte. Aber das war wirklich nur für einen
Notfall   gedacht.   Wenn   man   die   Wahl   hatte,   griff   man   natürlich   lieber   zu
richtigem Essen, auch wenn es sich dabei nur um künstlich erzeugtes Synt­
hofood handelte.

„Aufpassen,   daß   wir   zusammenbleiben“,   mahnte   Harpo   die   anderen.

„Sonst haben wir am Ende Ollie gefunden und sind doch nicht vollzählig.“

„Aber   dieser   Würfel“,   warf   Alexander   irritiert   ein,   „wechselt   sein   Bild   je

nach Laune. Wenn wir Pech haben, landet jeder von uns auf einer anderen
Welt.“

„Daran   sollten   wir   lieber   nicht   denken“,   unterbrach   Harpo   seine

Schwester, die gerade ähnliche Bedenken anmelden wollte. „Solche Überle­
gungen   können   wir   uns   in   dieser   Situation   nicht   leisten.   Auf   jeden   Fall
müssen wir alle möglichst gleichzeitig in den Würfel hineinhechten!“

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„Ha!“ schrie Lonzo. „Das ist für uns Seeleute doch überhaupt kein Problem!

Schon mein alter Schulfreund Captain Kidd legte  allergrößten  Wert darauf,
daß   alle   seine   Freibeuter   gleichzeitig   in   die   Wanten   kletterten   oder   die
Enterhaken schwangen. Wir stellen uns an allen Seiten des Würfels auf und
springen los, sobald das Nebelhorn erklingt!“

„Und wo kriegen wir ein Nebelhorn her?“ fragte Alexander ganz naiv.
Harpo grinste.
„Du mußt das Nebelhorn aber über Funk ertönen lassen“, sagte Anca, lach­

te leise und stupste den Roboter in die Seite. „Sonst können wir nämlich un­
ter unseren Raumhelmen nichts davon hören.“

„Au Backe, das hätte ich glatt vergessen!“ rief Lonzo und tänzelte aufgeregt

hin und her. „Ja, wenn wir unser Pummelchen ... äh, ich meine natürlich un­
ser Fräulein Anca nicht hätten!“ Er flunkerte natürlich, denn ohne Zweifel
wußte er sehr gut, daß ein normal ausgestoßenes Geräusch nicht an die Oh­
ren seiner Freunde dringen konnte. Schließlich unterhielt er sich bereits die
ganze Zeit mit ihnen über Funk. Da Lonzo als einziger keinen Raumanzug
trug – seinem Metallkörper konnte weder die giftige Atmosphäre eines unbe­
kannten Planeten noch die Kälte des Weltraums etwas anhaben –‚ hatte er
früher in solchen Situationen schweigen müssen. Aber inzwischen hatte man
ihm ein Funkgerät eingebaut.

Wieder   wurde   das   vom   Leuchtwürfel   projizierte   Bild   in   einen   Wirbel

flimmernder   Farben   gezogen.   Eine   neue   Szene   stabilisierte   sich:   Nacht,
glitzernder Sternenhimmel, schattenhafte Umrisse. Das Bild blieb stabil.

„Jetzt   ist   die   Chance   am   größten!“   rief   Anca   aufgeregt.   „Laß   uns   jetzt

springen!“

„Aber warum denn?“ wollte Alexander wissen. „Ollie ist doch in einer Welt

verschwunden, in der es hell war.“

„Na und?“ entgegnete Anca. „Seither sind viele Stunden vergangen. Warum

soll es in dieser anderen Welt nicht inzwischen Nacht geworden sein?“

„Schon gut, schon gut“, gab Alexander brummend zu. „Ich gebe mich ge­

schlagen.“

Die Expeditionsmitglieder nahmen um den Würfel herum Aufstellung, wie

es ausgemacht war. Anca hielt Moritz ganz kurz an der Leine, damit er sich
nicht selbständig machte und verlorenging.

Lonzo war ganz in seinem Element. Aufgeregt wirbelte er mit den beiden

freien Tentakeln herum und dirigierte die Mannschaft hin und her, bis alle so
standen,   wie   es seiner  Vorstellung   entsprach.  Anca   hatte  den   Dackel   nun
doch  auf  den  Arm genommen,   weil der  ausgesprochen  eigenwillige  Hund
mitunter   genau   das   Gegenteil   von   dem   tat,   was   man   von   ihm   verlangte.
Außerdem hätte Moritz doch einen ziemlichen Satz tun müssen, denn die
metallene Plattform des Transmitters war etwa fünfzig Zentimeter hoch.

„Achtung!“ schnarrte Lonzo. „Und ...“ Er ließ einen rostig klingenden, heu­

lenden Ton über alle  Funkkanäle  sausen. Das Nebelhorn! Fast gleichzeitig
warfen sich die Freunde in das Feld hinein. Wie sie es schon bei Ollie vermu­

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tet hatten, spürte jeder, daß er von einem Sog erfaßt wurde, der die noch im
Freien baumelnden Beine förmlich mitzerrte.

„Uuuiiiiiii! Das ist ja wie auf einer Achterbahn!“ rief Anca. Harpo spürte

zum ersten Mal nach langer Zeit wieder jene fast überwundene Angst, die ihn
noch vor zwei Jahren ständig überkommen hatte, wenn er im Begriff gewesen
war, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihm war, als würde er durch
einen engen, finsteren Schacht in eine bodenlose Tiefe stürzen. Tapfer biß er
sich auf die Unterlippe. Er wollte nicht schreien. Die anderen waren ja bei
ihm. Nichts würde passieren. Alles würde gutgehen.

Dann fühlte er Metall unter den Füßen, eine glatte, harte Fläche. Das muß­

te die Plattform des anderen Transmitters sein, das Gegenstück – oder die
Empfangsstation des Gerätes, von dem aus sie aufgebrochen waren.

Sie waren auf einer anderen Welt. Und obwohl er geglaubt hatte, in einen

Schacht zu stürzen, waren sie keineswegs gefallen. Nein, die Plattform war
ganz plötzlich unter ihren Füßen.

Neben sich spürte Harpo jemanden zappeln. Er glaubte, daß es Anca war,

doch konnte er es nicht genau erkennen. Die Augen mußten sich erst an die
Finsternis der Nacht und das spärliche Licht des Sternenhimmels gewöhnen.

Aber Lonzo wußte Rat. Er ließ an drei Stellen seines Körpers Öffnungen auf­

gleiten und fuhr Scheinwerfer aus. Als sie aufflammten und die Plattform und
die Besucher von der EUKALYPTUS hell erleuchteten, konnte man den Robo­
ter selbst kaum erkennen. Lonzo sah wie ein kleiner Leuchtturm aus, als er
sich drehte.

„Komisch“, rief Alexander, der als erster wieder reden konnte, „eigentlich

müßten wir doch jetzt unseren Absprungstransmitter sehen. Man sieht aber
nur die Umgebung unseres Standortes.“

„Entweder ist das eine besondere Eigenschaft dieser Maschine, oder es gibt

eine Sicherheitsschaltung, die verhindert, daß das Feld neu aufgebaut wird,
bevor die Reisenden die Plattform verlassen haben.“ Es war Harpo, der diese
Worte aussprach.

„Oha“, bemerkte seine Schwester kichernd. „Du redest ja beinahe so schlau

wie Thunderclap!“

„Matrosen!“ schrie Lonzo. „Sofort die Enterhaken klarmachen. Und dann:

Auf mit Gebrüll!“ Erneut ließ er das infernalische Nebelhorn aus seinem In­
neren erklingen. Ein Lärm, der selbst tote Piraten wieder auf die Beine ge­
bracht hätte. Lachend kugelte die Mannschaft von der Plattform hinunter.

„Mächtig dunkel hier“, brummte Alexander.
Damit hatte er recht. Es war kaum etwas zu erkennen. Aber sie lagen auf

felsigem  Untergrund.  Trotz  der Bodyskinanzüge  konnte man  deutlich den
rauhen, unregelmäßigen Boden spüren, der aus Staub, Geröll und größeren
Steinbrocken bestand. Ein Grund mehr, sich aufzurappeln.

„Chissimatucki“, schrie Lonzo. „Jetzt habe ich überall an meinem herrli­

chen Körper diese ekligen blauen Flecke!“

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Alles kicherte. Dieser Lonzo! Wenn jemand von ihnen gegen blaue Flecke

geschützt war, dann er ganz allein. Selbst um eine Beule zu bekommen, hätte
er sich unter eine Lawine legen müssen.

„Was hast du eben gesagt?“ fragte Anca neugierig.
„Daß   ich   überall   an   meinem   Körper   blaue   und   grüne   Flecke   habe“,

jammerte der Roboter. Und mit einem kläglichen „O weh!“ drehte er sich ra­
send schnell um seine eigene Achse und ließ die Scheinwerfer tanzen.

„Nein, nein“, meinte Anca ungeduldig. „Vorher ... Chissi... Chissima...“
„Chissimatucki!“   wiederholte   Lonzo.   „Das   ist   ein  Geheimfluch,   dessen

wahre Bedeutung nur Captain Kidd und ich kennen!“

„Oh, bitte, Lonzo, verrate sie mir“, bettelte das Mädchen. „Ich sage es auch

gewiß nicht weiter!“

„Tut mir leid, mein naseweises Schätzchen. Geheimfluch ist und bleibt Ge­

heimfluch. Ich darf nichts sagen. Sonst klettert der alte Captain Kidd aus sei­
nem Grab und läßt den armen Lonzo kielholen.“

Einen Moment lang waren alle vergnügt. Aber dann holte sie die Sorge um

Ollie wieder ein.

Die fröhlichen Gesichter wurden ernst.
„Ihr   solltet   mal   auf   den   Transmitter   achten“,   murmelte   Harpo.   „Wir

können nämlich nicht zurück. Wenigstens nicht auf die Welt, aus der wir ge­
kommen sind.“

Er deutete auf den Leuchtwürfel, in dem jetzt die Landschaft eines Sumpf­

gebiets sichtbar war. Man sah einen kleinen Fluß mit tiefschwarzem Wasser,
mehrere Tümpel, Morast und spitzes Gras. In der Ferne kreisten einige zer­
zaust wirkende Vögel über dem Schilf. Im Vordergrund gluckste das Wasser.
Entweder gab es dort Fische, oder Faulgase stiegen an die Oberfläche.

„Puh“, machte Alexander und klapperte mit den Zähnen, „das sieht aber

ungemütlich aus.“

„Dahin will ich auf keinen Fall“, maulte Trompo.
„Ich auch nicht!“ rief Anca. „Nur wenn uns gar keine andere Wahl bleibt.“
„Sehen wir uns ein wenig um“, schlug Bharos vor.
Die Expeditionsteilnehmer ließen ihre Blicke wandern. Der leuchtende Ku­

bus gab jetzt so viel Licht ab, daß die nähere Umgebung genügend erhellt
wurde,  um   einiges  auszumachen.  Dennoch   schaltete  Harpo  seinen  Brust­
scheinwerfer ein und leuchtete, gefolgt von den anderen, in die Ecken, die
das Licht bisher nicht erreichen konnte.

„Auch   hier   ist   es   nicht   gerade   gemütlich“,   kommentierte   Bharos.   „Aber

ohne Zweifel war es hier früher anders.“ Er deutete mit ausgestreckter Hand
auf   ein   Gebilde   mit   eigenartig  zerlaufenen  Formen.   An   einigen   Stellen
schimmerte   das   Ding   dort,   wo   der   Staub   es   noch   nicht   bedeckt   hatte,
schwarz. Bharos berührte es und wischte den Staub von der Oberfläche.

„Metall“, gab er bekannt. „Sicher war das einmal eine Maschine. Aber jetzt

kann man nicht mehr erkennen, welchem Zweck sie früher gedient hat.“

„Seht doch mal!“ rief Alexander und deutete zum Himmel hinauf. „Über

uns befindet sich eine gläserne Kuppel!“

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Tatsächlich! Sie hatte eine große Ähnlichkeit mit der durchsichtigen Über­

dachung, die die Zentrale des Raumschiffes EUKALYPTUS vor der Kälte und
dem Vakuum des Weltraums abschirmte.

„Sie ist zersprungen!“ rief Anca.
„Dort, die zackigen Kanten!“ piepste Trompo aufgeregt.
„Was mag hier nur geschehen sein?“ grübelte Harpo laut vor sich hin.
„Na,   zunächst   müssen   wir   wohl   davon   ausgehen,   daß   die   Erbauer   der

Transmitteranlagen  sich   aus   unbekannten   Gründen   nicht   mehr   um   ihr
Eigentum kümmern“, folgerte Bharos. „Und zwar tun sie dies schon lange
nicht mehr. Das  Transmittersystem  scheint vollautomatisch und selbstver­
sorgend zu sein. Es hat all dies schadlos überstanden ...“

„Na, na“, mischte sich Lonzo ein, „sooo gut funktionieren diese vertrackten

Dinger ja nun auch wieder nicht!“

„Na ja“, gab Bharos zu. „Aber das System hat sich, in Anbetracht der Tatsa­

che, daß es bestimmt seit sehr langer Zeit nicht mehr gewartet wird, relativ
gut gehalten. Immerhin kann es noch Personen befördern. Möglicherweise
speist es seinen  Energiebedarf aus einer Quelle, die wir nicht kennen,  die
aber immer noch nicht erschöpft ist. Ja, und dieses hier“ – er machte eine
großzügige Handbewegung, die alles umschloß, was sich in ihrem Blickfeld
befand –‚ „das könnte eine Station der Unbekannten gewesen sein.“

Harpo nickte.
„Ich nehme an“, fuhr Bharos fort, „daß wir uns auf einem unbewohnbaren

Planeten, vielleicht  auch  auf einem  Asteroiden  befinden.  Groß kann  diese
Welt jedenfalls nicht sein, am Horizont erkennt man ihre Krümmung. Und
daß wir alle hier weniger wiegen, habt ihr sicher selbst schon gemerkt.“ Wie
zur Bestätigung faßte Lonzo Ancas Hand und hüpfte mit ihr mühelos aus
dem Stand einen Meter in die Höhe.

„Und was wollten diese Leute auf dieser kalten und leblosen Welt?“ fragte

Alexander gebannt.

„Vielleicht haben sie hier seltene Erze gefördert. Und später durchschlug

ein Meteor die Schutzkuppel.“

„Damit konnte der kosmische Staub ungehindert eindringen“, warf Harpo

ein, „und legte sich wie ein graues Tuch über alles. Große und kleine Meteore
legten nach und nach die Gebäude in Trümmer, zerstörten die Maschinen
und   lösten   dort,   wo   noch   Energie   war,   Kurzschlüsse   aus.   Es   entstanden
elektrische Lichtbögen, die zerschmolzen, was in ihrem Bereich lag. Nur das
Transmitterfeld schützte sich und die Maschine vor der Zerstörung.“

„So   wird   es   gewesen   sein.“   Bharos   nickte   und   registrierte   mit

Verwunderung  Harpos Verlegenheit, die jedoch bald einem träumerischen
Blick wich.

In der Tat musterte Harpo jetzt  die  staubverhangenen  Umrisse der Ma­

schine. Seine Phantasie fegte den Staub fort und machte die Zerstörungen
rückgängig. Vor seinem geistigen Auge tauchten prächtige Gebäude auf, die
aus hohen Metallkugeln und Waben zusammengesetzt waren. Haushohe Ma­
schinen fraßen Erze in sich hinein, polterten, knurrten, prusteten und stießen

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am   anderen   Ende   lange  Metallzylinder  aus.   Riesige  Bergwerksmaschinen,
Brecher, Schieber, Sauger, fuhren in den Fels hinein, zermalmten ihn und lu­
den ihn auf Robotkarren und Förderbänder, damit den Fabrikmaschinen die
gefräßigen Mäuler gestopft werden konnten.

Er schüttelte den Kopf und verscheuchte die Vision. Dann blickte er wieder

auf die nahen und fernen Umrisse der bizarren Staubberge. Sah das da nicht
wirklich wie ein Bagger aus? Und jenes Dreieck mochte ein Förderband ge­
wesen sein. Eigentlich hatte Harpo große Lust, sofort zu erkunden, ob seine
Vermutung stimmte. Und was mochte noch an Schätzen in den erhaltenge­
bliebenen Gebäudeteilen zu finden sein?

„Ich   würde   ja   zu   gerne   wissen,   wie   das   früher   hier   ausgesehen   hat“,

murmelte Harpo. „Oder herumbuddeln. Aber schließlich suchen wir Ollie. –
Mensch, der Winzling muß, wenn er hier gelandet ist, längst erfroren sein.“

„Nicht nur das“, fügte Bharos hinzu. „Ohne Raumanzug wäre er sofort tot

umgefallen.“

„Was redet ihr denn da für dummes Zeug?“ machte sich nun Anca Luft. Die

Vorstellung, daß dem Kleinen etwas zugestoßen sein könnte, wollte sie soweit
wie möglich von sich schieben. „Ihr seht doch, daß Ollie nicht  hiergewesen
ist, daß er gar nicht hiergewesen sein kann! Wenn es stimmt, was Bharos sagt,
hätte er keine Gelegenheit gehabt, sich von der Plattform zu entfernen. Und
solange sie besetzt gewesen wäre, hätten wir niemals hier landen können!“

„Schwesterlein“,   sagte   Harpo   seufzend   und   legte   einen   Arm   um   Ancas

Schulter,   „jetzt   hast   du   aber   so   messerscharf   kombiniert   wie   Freund
Thunderclap! Und du hast recht. Ollie kann wirklich nicht hiergewesen sein.“

„Worauf   warten   wir   dann   noch?“   brummte   Alexander   und   fletschte   die

Zähne. „Nichts wie rein in die nächste Welt!“

„Chissimatucki!“ krächzte Lonzo unternehmungslustig. „Ich will nicht in

diesen gräßlichen Sumpf. Ich will ...“

„Juchhu!“ unterbrachen ihn die anderen. Das Würfelfeld war in den schon

bekannten Farbenwirbel gekippt und hatte sich neu stabilisiert.

Vor ihnen lag ein dunkles Etwas, vielleicht eine Höhle. An einer Seite, dort,

wo der Eingang war, leuchtete es tief rot.

Die Stadt der silbernen Brücken

Erneut fielen sie durch einen dunklen Tunnel, der sie durch Raum und Zeit

transportierte. In Wahrheit wurden ihre Körper in ein Muster aus Atomen
aufgelöst   und   am   Ziel   der   Reise   nach   eben   diesem   Muster   erneut   zu­
sammengesetzt.   Kein   angenehmer   Gedanke,   aber   nach   ihren   bisherigen
Erfahrungen doch nicht so risikoreich, wie man befürchtet hatte.

Das Bild des Würfels hatte sie nicht getäuscht. Auf der Plattform der Emp­

fangsstation angekommen, sahen sie sofort, daß sie tatsächlich im Innern

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einer Höhle gelandet waren. Ein aufmunterndes Kommando von Lonzo er­
übrigte sich also. Blitzschnell robbte die ganze Gesellschaft nach vorn und
fand sich abermals auf felsigem Boden wieder.

Hier war es heller als auf der Welt, die sie soeben verlassen hatten. Aber das

hieß noch lange nicht, daß etwa strahlender Sonnenschein vom Höhlenein­
gang her in das Innere fiel. Es herrschte ein diffuses rotes Zwielicht.

„Warum die wohl den Transmitter in einer Höhle versteckt haben?“ meinte

Harpo verwundert und richtete seinen Scheinwerfer gegen die Decke. Hier
gab es außer dem vertrauten Bild der Plattform nicht viel zu sehen. Die Höhle
endete wenige Meter entfernt an graurotem Fels. Nicht ein einziger Tunnel­
strang führte weiter in das Innere des Berges hinein und regte die Phantasie
der   Expeditionsmitglieder  an.  Die   Grotte war  gerade   groß  genug,  um  den
Transmitter zu fassen, und bot außer dem Anblick rohen Gesteins nichts von
Interesse. Wenn es auf dieser Welt Geheimnisse zu erkunden gab, dann dort
draußen, wo das rote Licht lockte. Die Besatzung der EUKALYPTUS rappelte
sich vom Boden auf und kletterte über verstreut herumliegendes Geröll ins
Freie. Dort blieben sie erst einmal alle stehen und bestaunten die Umgebung.

„Möööönsch, ist das eine dicke, rote Sonne!“ rief Anca und deutete auf den

riesigen   Feuerball,   der   fast   ein   Viertel   des   Himmels   einnahm,   dabei   aber
trotzdem erstaunlich wenig Licht abgab.

Eigentlich sah diese Sonne sehr müde und alt aus.
„Habt   ihr  eigentlich   schon  gemerkt“,   meldete  sich  Bharos,   „daß  es   hier

nicht nur eine Sonne gibt, sondern noch vier weitere?“

Alle   sahen   zum   Himmel   hinauf.   Man   konnte   in   die   dicke,   rote   Sonne

schauen, ohne daß einen dabei die Augen schmerzten. Die Plexiglashelme,
die aus einem Spezialglas bestanden und sich bei intensiver Sonnenbestrah­
lung verdunkelten, um die Augen zu schützen,  hatten sich kaum verfärbt.
Bharos hatte recht.

Der Gigant wurde von vier weiteren kleinen Sonnen umkreist, die weiß­

gelbes Licht ausstrahlten, aber so klein aussahen, daß man sie für besonders
helle, aber weit entfernte Sterne halten konnte.

Vielleicht waren sie aber gar nicht so klein, sondern wirkten nur so. Das

ganze System, das wie ein Rad mit der roten  Riesensonne  als Nabe aussah,
mochte so weit von diesem Planeten entfernt sein, daß die Begleitsonnen in
Wahrheit nicht kleiner waren als andere Sonnen auch.

„Seht euch mal die Umgebung an“, schlug Harpo vor, „und überlegt, ob

Ollie hiergewesen sein kann.“

„Ein altes  Piratensprichwort  lautet“, sagte Lonzo und kicherte, „daß der,

der immer nur zu den Sternen aufblickt, bald auf der Nase liegen wird.“

„Wenn er hier war“, meldete sich der kleine Trompo zu Wort und zeigte mit

dem Rüssel auf eine Art Pfad, der den Berg hinabführte, „müßte er dort hin­
abgeklettert  sein.   Nicht   einfach,   mit   heilen   Knochen   hinunterzukommen,
aber man könnte es schaffen.“

„Das hat Ollie bestimmt getan!“ rief Anca. „Wo er doch so gerne herum­

kraxelt.“

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„Fragt sich nur, was er dort unten wollte“, erwiderte Harpo. „Und über­

haupt ist mir total unklar, wieso der Transmitter an einer solch unzugängli­
chen Stelle aufgestellt wurde.“

Sie standen nämlich auf einem Felsplateau, das auf der einen Seite von

dem schroffen, steil aufragenden Berg mit der Höhle fast umschlossen wurde,
während es nach vorne ziemlich steil in die Tiefe ging. Zur Rechten gab es
weitere Berge und eine finstere Schlucht, durch die ein so heftiger Wind pfiff,
daß es hier noch an ihren Rucksäcken zerrte.

„Das kann ich dir sagen“, erklärte Alexander mit stolzgeschwellter Brust.

„Erstens wollten die Erbauer nicht, daß jemand über die Anlage stolpert. Dar­
um haben sie sie versteckt. Das deutet darauf hin, daß der Planet bewohnt ist.
Oder zumindest war. Und was deine erste Frage betrifft: Vielleicht wollte Ollie
in die Stadt gehen.“

„Noch ein eiskalt kombinierender Thunderclap!“ stöhnte Anca.
„Eine Stadt?“ fragte Harpo verdutzt. „Was? Wo? Wie?“
„Du hast scharfe Augen“, lobte Bharos den jungen Rotpelz vom Planeten

Nordpol. „Es ist wirklich eine Stadt,  wenn sie auch sehr  seltsam aussieht.
Kommt mal alle zu mir herüber – dann könnt ihr sie besser sehen.“

„Die Großen sind im Vorteil, das ist ungerecht“, protestierte Trompo, aber

er folgte wie die anderen Bharos’ Wink, der sich nun ganz weit nach links bis
zum Rand des Plateaus hin bewegt hatte.

Jetzt konnten sie sie alle sehen. Selbst der Dackel Moritz bellte die fernen

Türme   an,   die   bisher   durch   einen   dicken   Felsbrocken   zum   größten   Teil
verdeckt gewesen waren.

„Toll!“ sagte Harpo.
Alle verharrten einen Moment lang in stummer Bewunderung und starrten

zu der mysteriösen Stadt. Eine Unzahl von schlanken Türmen ragte in den
Himmel. Zwischen ihnen hing ein silbernes Gespinst graziös geschwungener
Brücken, das wie ein mit Rauhreif überzogenes Spinnennetz aussah.

Lonzo unterbrach die Andacht. „Wenn ihr wollt, könnt ihr jetzt die  Gold­

fischgläser  von  den   Köpfen   nehmen“,  verkündete  er.  „Die  Atmosphäre  ist
atembar und enthält  keine für uns Menschen schädlichen Beimengungen.
Auch   für   Akkais   und   Rotpelze   –   und   kleine   rosa   Elefanten   –   ist   sie   nicht
schädlich. Richtige Seebären können sich hier mal eine echt steife Brise um
die Ohren wehen lassen.“

Das mußte er natürlich nicht zweimal sagen. Sofort nestelten zahlreiche

Finger an den Verschlüssen herum und klappten die Helme nach hinten. Tief
atmeten alle die kühle Luft ein, während der Wind durch ihre Haare fuhr.

„Brrrrr, ist das kalt“, schnatterte Anca. „Beinahe wie auf Nordpol!“
„Ja“, stimmte Alexander ihr freudig brummend zu, „das ist wirklich herr­

lich!“   Er   fletschte   die   Zähne   und   schnupperte.   Die  frostige   Luft   war   zwar
nicht mit der seines Heimatplaneten zu vergleichen, aber immerhin. Nach
der Hitze auf der EUKALYPTUS war dies für den Kälte gewohnten Rotpelz
eine richtige Erfrischung.

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„Ich habe rein zufällig einen größeren Posten Pudelmützen dabei“, beeilte

sich Lonzo zu versichern. „Wer will, kann sie sich über die Ohren ziehen!“

Schon öffnete er seinen Rucksack und begann, blaue Mützen zu verteilen.

Selbst  Anca  nahm eine und zog sie so weit  über die Ohren,  daß man  ihr
Gesicht kaum noch erkennen konnte. „Du bist mir einer!“ Sie lachte. „Hast
du nicht gesagt, in dem Rucksack wären deine Vorräte?“

„Sind das etwa keine Vorräte?“ gab Lonzo scheinheilig zurück und stülpte

sich   dann   selbst   seine   geliebte   Matrosenmütze   über   den   Metallkopf.   Die
Bänder flatterten im Wind, und der Himmel mochte wissen, wieso die Mütze
nicht fortgeweht wurde. „Mir nach!“ jauchzte er, schlug zweimal ein Rad auf
seinen Tentakeln, kullerte über das Geröll und wäre fast den Abhang hinun­
tergepurzelt, wenn er sich nicht im letzten Moment an einer Felsspalte fest­
gekrallt  hätte. „Hoppla!“ meinte er nur. Die Mütze trug er immer noch und
den Rucksack auch.

Die anderen hatten ihm mit immer blasser werdenden Nasenspitzen zuge­

sehen und atmeten auf, als er sich wieder auf die dürren Beine zog.

„Laß den Unfug sein!“ knurrte Alexander. „Da kann einem ja vor Schreck

das Herz stehenbleiben!“

„Jawohl!“ sagte auch Harpo. „Wir haben schon viel zu viel Zeit verplempert.

Schluß mit dem Unsinn. Wir müssen endlich den armen Ollie finden! Sonst
könnte es zu spät sein.“ Anca hatte Mühe, Moritz zu halten. Während sie ihm
den kleinen Raumhelm abzunehmen versuchte, wollte der Dackel mit aller
Gewalt hinter Lonzo her, um mit dem radschlagenden Roboter zu spielen.

„Such Ollie! Such!“ rief Anca, als sie den Helm zurückgeklappt hatte.
Moritz schoß wie ein geölter Blitz hinter Lonzo her und versuchte laut blaf­

fend,   einen   von   dessen  schlangenähnlichen  Fangarmen   zu   erwischen.   Er
machte wirklich einen Heidenspektakel.

„Schöner Spürhund!“ schimpfte Anca und lachte sich schief, als sie Lonzo

laut kreischen hörte, man solle den Drachen vertreiben, der ihm, dem tapfe­
ren Ritter Hughbold von Asutria, auf den Fersen sei.

Moritz, der sich überhaupt nicht für einen Drachen hielt, wedelte eifrig mit

dem Schwanz, schnupperte dann jedoch interessiert an den Steinen herum,
hob   schließlich   sogar   trotz   des   ihn   umgebenden   Raumanzuges   ein   Hin­
terbein und versuchte, gegen einen Felsen zu pinkeln.

Das Gelächter, das ihm nun aus allen Richtungen  entgegenschlug, führte

dazu, daß Moritz verwirrt von einem zum anderen äugte und dem in die Tiefe
führenden Pfad folgte.

„Sieht nicht gerade so aus, als ob Moritz uns weiterhelfen könnte“, kom­

mentierte   Bharos.   „Wir   müssen   uns   schon   selbst   entscheiden,   in   welche
Richtung wir lostigern.“

„Wenn Ollie wirklich hiergewesen ist, dann ist er auch hier runtergeklettert

und hat die Stadt erforscht!“ behauptete Anca fest.

Niemand   zweifelte   daran,   und   damit   war   die   Entscheidung   der   Expe­

ditionsteilnehmer gefallen. Sie würden der Stadt der silbernen Brücken einen
Besuch abstatten!

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Die singenden Türme

Seit drei Stunden waren sie nun unterwegs. Längst hatten sie den  Geröll­

pfad verlassen. Jetzt gingen sie auf einer breiten Straße.

Seltsam, daß sich außer ihnen nichts regte. Seltsam auch, wie alt und rissig

der Kunststoffbelag der Straße aussah. Man konnte meinen, daß sich hier seit
hundert Jahren oder mehr weder Fußgänger noch Fahrzeuge vorwärtsbewegt
hatten. Der mächtige Wind aus der Schlucht blies unerbittlich über die Ebene
und fegte jedes Staubkorn fort. Niemand konnte mit letzter Gewißheit sagen,
ob der kleine Oliver diesen Weg gegangen war oder nicht. Moritz schnüffelte
weiterhin nur mäßig interessiert.

Aber der Planet war nicht ohne Leben. Fremdartige, baumhohe Schlingge­

wächse hatten  die Ebene vor  der  Stadt  erobert  und  reckten  ihre  gespens­
tischen, schlangengleichen Arme bisweilen so weit in die Straße hinein, daß
die Gruppe es vorzog, sicherheitshalber im Gänsemarsch in der Straßenmitte
zu gehen. Wenn sich die Äste auch nicht bewegten, sondern höchstens hier
und da mal im Wind schwankten – sie wirkten irgendwie bedrohlich und sa­
hen aus, als könnten sie jeden Moment zum Leben erwachen und wie Fang­
arme nach ihnen greifen.

Eigenartiger als die rissige Straße und die seltsamen Gewächse war jedoch

etwas anderes. Es wurde deutlicher, je mehr sie sich der Stadt näherten. Eine
Art von Musik lag über der Ebene, Töne, die sich anhörten, als würde jemand
auf einer Orgel spielen, die nur noch aus wenigen heilen Orgelpfeifen be­
steht. Die Musik kam aus der Stadt. Sie klang seltsam fremd, zerrissen und
düster.

„Weißt du, was ich glaube?“ fragte Harpo seine Schwester. „Ich glaube, daß

diese Geräusche gar nicht von Leuten in der Stadt gemacht werden. Es ist die
Stadt selbst, die diese Töne von sich gibt. Der Wind streicht an den schlanken
Türmen vorbei und spielt dabei auf ihnen wie auf Musikinstrumenten.

„Aber warum?“ fragte Anca zurück. „Der Wind ist doch kein intelligentes

Geschöpf. Und trotzdem hören sich die Geräusche wie Musik an. Alles ist
so ... so traurig.“

„Es paßt zu diesem Planeten und zu dieser Stadt“, sagte Bharos. „Ich weiß

zwar auch nicht, wie diese Musik entsteht, aber sie scheint zu diesem Plane­
ten zu gehören. Seht euch die  düsterrote  Landschaft an oder die sterbende
rote Sonne. Dort links – sind das nicht Reste einstiger Türme? Sind nicht so­
gar   die   meisten   Türme   der   Stadt   verfallen,   nur   noch   Ruinen?   Ich   glaube
immer mehr, daß wir uns auf einer dem Untergang geweihten Welt aufhal­
ten. Wer weiß, ob noch jemand in der Stadt lebt.“

„Das hört sich ja richtig unheimlich an“, meinte Anca.
„Wo sollen die Bewohner denn geblieben sein?“ fragte Alexander, der am

Ende der Gruppe marschierte.

Niemand antwortete. Harpo lag es auf der Zunge, Bharos zu fragen, ob er

mit   seinen   telepathischen   Fähigkeiten   die   Anwesenheit   Ollies   oder   eines

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anderen Stadtbewohners nicht spüren könne, aber er ließ es bleiben. Erstens
waren sie wohl noch nicht nahe genug, und zweitens würde Bharos schon
Bescheid sagen, wenn er fremde Gedanken auffing. Er wandte sich dennoch
zu Bharos um – und sperrte die Augen auf. Wo sich eben noch der Akkai be­
funden hatte, war jetzt niemand. Bharos war verschwunden. Von einer Se­
kunde zur anderen hatte er seinen Körper durch reine Geisteskraft von einem
Ort zum anderen bewegt. Das war für die Kinder eigentlich keine Überra­
schung mehr, da früher ein Junge namens Lucky Cicero unter ihnen gewesen
war, der das auch konnte. Lucky lebte allerdings schon seit längerem nicht
mehr   auf   der   EUKALYPTUS:   Zusammen   mit   einer   ganzen   Reihe   anderer
Kinder war er auf dem Planeten Nordpol zurückgeblieben, von dem Alex­
ander stammte.

Die Fähigkeit der Teleportation war nur eine von mehreren anderen, derer

sich   der   Akkai   bedienen   konnte.   Zaubern   konnte   Bharos   allerdings   auch
nicht. Das Teleportieren kostete ihn viel Kraft und Konzentration und war
über große Strecken hinweg sogar fast unmöglich. Wahrscheinlich hatte er so
lange  mit   seinem   Plan   gewartet,   bis   sie  der   Stadt   nahe   genug   gekommen
waren.

„Verschwindet einfach, ohne was zu sagen“, murrte Harpo. „Sollen wir nun

weitergehen,   oder   warten   wir   lieber,   bis   Bharos   zurück   ist?“   wollte   Anca
wissen. „Mir tun nämlich die Füße weh.“

„Mir auch!“ schrie Lonzo. „Mir auch!“ Und er fing gottserbärmlich an zu

stöhnen, obwohl ihm natürlich überhaupt nichts weh tun konnte. Aber das
zuzugeben hätte ja womöglich bedeutet, daß er sich selbst für einen Roboter
hielt. Da allen nach einer Pause zumute war, gab es nicht viel zu überlegen.
Sie ließen sich einfach auf dem Kunststoffbelag der Straße nieder, streckten
alle viere von sich und machten es sich bequem.

Selbst Moritz war müde geworden, gähnte und streckte die Schnauze zwi­

schen die Vorderpfoten.

Eine Weile war es ziemlich still, weil alle zu faul waren, auch nur ein Wort

zu sagen. Planetenabenteuer waren ganz schön anstrengend, und außerdem
zerrte diese Welt mit ihrer Gravitation an ihren Körpern. Hier war es nicht
möglich, aus dem Stand heraus  meterhohe  Luftsprünge zu machen wie auf
dem Planeten mit der geborstenen Kuppel.

Sie alle waren an das künstlich erzeugte Schwerefeld der EUKALYPTUS ge­

wöhnt, dessen Werte knapp unter denen der Erde lagen. Im Gegensatz dazu
wog der menschliche Körper hier noch ein bißchen mehr als auf der Erde.
Wer für gewöhnlich 120 Pfund wog, mußte hier vielleicht 130 oder gar 140
Pfund mit sich herumschleppen – und dazu noch den Rucksack. Das machte
sich unangenehm bemerkbar, zumindest dann, wenn man stundenlang über
einen Gebirgspfad geklettert war. Der Rückweg würde sie, da es dann bergauf
ging, noch mehr schlauchen.

Schließlich fiel Alexander ein, daß er Hunger hatte. Er holte eine Schachtel

mit kalten Kartoffelpuffern heraus, die ihnen Karlie vorsorglich eingepackt

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hatte, und begann, wie ein Höhlenbär zu schmatzen. Kichernd folgten die
anderen seinem Beispiel.

Harpo war schließlich  der erste, der sich  aufrichtete  und sagte: „Bharos

wollte sich doch bestimmt nur ganz kurz umsehen und zurückkommen! Da
muß etwas passiert sein. Junge, Junge, jetzt haben wir auch Bharos verloren!“

„Nun mal  langsam“,  meinte Alexander. „Ihr wißt doch, daß sich  Bharos

meistens zu helfen weiß,  wenn er in Schwierigkeiten kommt. Ein bißchen
sollten wir noch warten.“

„Hmmm“, brummte Harpo, „warten wir noch fünf Minuten, dann machen

wir uns aber auf die Socken. Irgend etwas stimmt da wirklich nicht.“

Er schwieg und überlegte kurz, ob er Bharos über Funk suchen sollte. Aber

das war wohl sinnlos, da auch die Helmfunkgeräte eine begrenzte Reichweite
hatten. Anders wäre das natürlich gewesen, wenn sich die EUKALYPTUS mit
ihren mächtigen Verstärkern in der Nähe aufgehalten hätte. Dank Schwatz­
mauls   Unterstützung   hätten  sie dann   auch  über  weitere   Strecken   mitein­
ander sprechen können. Die Funkwellen wurden in einem solchen Fall vom
Bordcomputer aufgespürt, verstärkt und wieder abgestrahlt.

Die   fünf  Minuten  vergingen,   ohne   daß  Bharos   zurückkehrte.  „Also   los“,

meinte Alexander und setzte sich als erster in Bewegung. Lonzo heftete sich
voller Tatendrang sofort an seine Fersen. Die anderen folgten den beiden mit
eher gemischten Gefühlen.

Die Straße führte geradewegs auf die phantastische Stadt zu. Immer deutli­

cher wurde beim Näherkommen, wie stark der Zahn der Zeit an den Türmen,
Brücken   und   Gebäuden   genagt   hatte.   Einzelne   Türme   waren   zu­
sammengefallen, und das silberne Netz der Brücken sah aus, als hätte ein
Sturm in einem Spinnennetz gewütet.

Verbindungsstreben  hingen   herab,   zerborstene  Metallgitter  ächzten   im

Wind, und an einigen Stellen gab es nur noch Fragmente der einstigen Netz­
struktur. Rußgeschwärzter Stahl zeigte an, daß hier ein gewaltiges Feuer ge­
wütet hatte. Aber nicht allein die Zerstörungen fielen den Ankömmlingen auf.
Die Mauern einiger mächtiger Gebäude wirkten so makellos glatt, als hätten
unbekannte  Baumeister   sie  erst   vor   wenigen  Tagen   in   die  Höhe  gezogen.
Zwischen zwei Gebäudeblöcken dieser Art führte die Straße schnurgerade in
die Stadt hinein. Hoch über den Köpfen der Expeditionsmitglieder öffneten
sich   die   ansonsten   fensterlosen   Gebäude   zu   Balkons,   Galerien   und   Platt­
formen mit dahinterliegenden dunklen Tunnelhöhlen.

„Was hältst du davon?“ fragte Anca, tippte Harpo auf die Schulter und deu­

tete auf die in luftiger Höhe angebrachten Terrassen.

„Wer sich dort hinaufwagt, muß schwindelfrei sein.“
„Nicht nur das“, warf Trompo ein. „Bei dem Wind muß man ganz schön

aufpassen, daß man nicht weggeweht wird.“

„Vielleicht besaßen die Bewohner dieser Stadt Flügel“, vermutete Anca.
„Kann sein“, meinte Harpo.

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„Wahrscheinlich ist die Lösung viel einfacher“, mischte sich nun Alexander

ein. „Von hier unten sehen die Plattformen klein aus, in Wahrheit sind sie
aber vielleicht so groß, daß Hubschrauber auf ihnen landen können.“

„Schon möglich“, sagte Harpo. Seine Worte wurden beinahe von den Ge­

räuschen der singenden Türme verschluckt, die jetzt wieder zu einem phan­
tastischen   Konzert   ansetzten.   Eine   Weile   hatten   sie   nur   still   vor   sich   hin
gesummt, aber jetzt stimmten mehrere von ihnen zugleich ein Klagelied an.

Als sie das Eingangsgebäude hinter sich gelassen hatten, passierten sie eine

Brücke. Darunter  floß  ein dunkles Gewässer. Die Straße schraubte sich nun
langsam   höher   und   führte   in   tausend   Verästelungen   zu   den   silbernen
Brücken empor und von dort aus zu den Türmen. Unter ihnen lag ein Gewirr
von Kanälen, auf deren schwarzer Wasseroberfläche die düsteren Reflexe der
roten Sonne glitzerten. „Wie sollen wir in diesem Durcheinander von Straßen
und Brücken Bharos oder gar Ollie finden?“ fragte Alexander.

„Am   besten   überlegen   wir   uns,   welche   Gebäude   Ollie   oder   Bharos   am

meisten interessiert haben könnten“, schlug Anca vor. „Und dort suchen wir
sie zuerst!“

„Klar!“ stimmte Harpo zu. „Erst mal dorthin, wo es am geheimnisvollsten

aussieht. Ich würde sagen: Schauen wir uns den nächstgelegenen Turm mal
von innen an.“

„Endlich!“ sagte plötzlich hinter ihnen eine vertraute Stimme, und alle fuh­

ren wie elektrisiert herum. Nur wenige Meter von ihnen entfernt war Bharos
aufgetaucht und lächelte ihnen zu. Von Ollie war jedoch keine Spur.

„Tut mir leid, daß ich so plötzlich verschwunden bin“, sagte Bharos zer­

knirscht. „Aber vielleicht versteht ihr mich, wenn ich euch gestehe, daß die
Neugierde mit mir durchgegangen ist. Ich konnte mich einfach nicht beherr­
schen!“

„Du hast einen Schatz gewittert, wetten?“ krähte Lonzo rostig. „Das ent­

schuldigt   natürlich   alles!   Captain   Kidd   erging   es   genauso:   Ihm   mochten
schon die Kanonenkugeln um die Ohren fliegen – wenn er auf einen Schatz
gestoßen war, ließ er alles stehen und liegen und starrte ihn erst einmal eine
Stunde und neunundzwanzig Sekunden lang in stummer Andacht an.“

„Nein, nein“, wehrte Bharos lachend ab. „Ich ...“
„Du hast Ollie gefunden!“ triumphierte Alexander.
Ehe ein allgemeiner Jubel ausbrechen konnte, schüttelte der Akkai rasch

den Kopf, um nicht falsche Hoffnungen in den Kindern zu wecken. „Leider
nein“, fuhr er fort, „aber ich weiß inzwischen, daß er hier nicht war! Das war
auch der Hauptgrund für meine unbeabsichtigt lange Abwesenheit. Ich bin
aus purem Zufall in eine Art Informationszentrum geraten, wo bereits beim
Eintritt eine  Lautsprecherstimme  auf mich einredete. Sie wurde von einem
Computer erzeugt, und mit Hilfe meines Translators gelang es mir, die Spra­
che zu übersetzen. Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis ich begriff, was
dieser Computer mir mitteilen wollte. Er überschüttete mich förmlich mit In­
formationen. Als ich dann begann, gezielte Fragen zu stellen, erfuhr ich, daß
der letzte Besucher vor uns vor  sechsundsiebzig  Jahren die Stadt  betreten

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hat. Ollie war also nicht hier. Ja, und dann habe ich euch gesucht und konnte
euch zunächst nicht finden. Wie ihr merkt, hat es eine Weile gedauert, bis ich
euch auf die Spur kam.“

„Es war trotzdem nicht richtig, einfach wortlos zu verschwinden“, schimpf­

te Anca. „Wirklich, Bharos, du hättest uns vorher Bescheid geben sollen. Wir
haben uns große Sorgen gemacht!“

„Du hast ja völlig recht, Anca“, gab Bharos kleinlaut zu. „Ich will so etwas

auch nicht wieder tun. Da habt ihr es: Obwohl ich euer Urururgroßvater sein
könnte, benehme ich mich manchmal nicht anders als der kleine Oliver!“

„Hmmmm“, machte Harpo. „Dann können wir uns jedenfalls weiteres Su­

chen   in  der Stadt   ersparen.  Machen  wir  uns  auf die  Socken.  Zurück  zum
Transmitter!   Wir  müssen  Ollie   finden   –   und   wir   müssen   ihn   bald   finden.
Wenn allerdings unsere Pechsträhne anhält, dann ...“

Die Gruppe setzte sich in Bewegung.
„Und unterwegs kannst du uns erzählen, was du über die seltsame Stadt

erfahren hast“, meinte Anca.

„Sicher“, antwortete Bharos. „Mach’ ich.“
„Was  sollen   die   Türme?“   fragte  Alexander  neugierig.  „Und  warum  diese

Musik?“

„Oh“, sagte Bharos. „Was wir von der Musik hören, ist nur noch ein Rest

der früheren Klangfülle. Stellt euch vor: Diese Stadt wurde erbaut, um Musik
zu   machen.   Windmaschinen,   von   Computern   gesteuert,   ließen   den   Wind
gegen die Türme blasen und erzeugten damit Töne, die sich zu einem Musik­
stück zusammenfügten.“

„Aber warum?“ fragte Harpo ungeduldig.
„Das habe ich Martin auch gefragt. Er zeigte mir ...“
„He!“   unterbrach   Alexander.   „Wer   ist   Martin?   Lebt   doch   jemand   in   der

Stadt?“

„Ach, entschuldigt“, antwortete Bharos. „Martin – so habe ich den Compu­

ter genannt, als ich mich mit ihm unterhielt. Wie gesagt, er zeigte mir Filme
aus der Vergangenheit der Stadt. Ich sah Menschen, es müssen Menschen
von eurer Erde gewesen sein! Sie erbauten diese Stadt, um ein Fest zu feiern.
Dieser Planet, den sie Worlorn nannten ...“

„Aber es können doch unmöglich Menschen von der Erde gewesen sein!“

protestierte Anca.

„Nun laß ihn doch mal ausreden!“ schimpfte Harpo.
„Nun, dieser Planet ist ein kosmischer Vagabund, der nur zufällig in den

Anziehungsbereich  der roten Sonne geriet und sich bereits wieder von ihr
entfernt. Offenbar gibt es in der Nähe mehrere bewohnte Planeten. Die Be­
wohner nutzten die Gelegenheit, um ein großes Fest zu feiern. Jeder Planet
baute eine Stadt, nur für diesen Zweck. Dann überließ man alles sich selbst.
Was wir sehen, sind die Reste dieses großen Ereignisses ...“

„Also gibt es noch andere Städte?“ Das war wieder Anca, die fragte.
„Ja, aber sie sehen nicht viel anders aus als diese hier. Der Planet stirbt, die

Menschen haben ihn aufgegeben.“

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„So was“, sagte Harpo kopfschüttelnd. „Eine ganze Stadt als Musikinstru­

ment zu bauen.“

Inzwischen hatten sie den Rand der Stadt erreicht und betraten die rissige

Straße, die in die Berge führte. Bald schon sahen die Türme nur noch wie
Spielzeug aus, und die Musik wurde zu einem leisen Säuseln. Dann begann
der mühselige Aufstieg zum Transmitter.

„Seltsam“, sagte Harpo, den die Geschichte dieser Stadt noch immer nicht

losließ. „Du sagst, daß die Leute in diesen Filmen wie Menschen aussahen.
Ich frage mich, ob es tatsächlich Menschen waren.“

„Seltsam wäre das schon“, sagte Bharos und runzelte die Stirn.
„Schau mal“, versuchte Harpo zu verdeutlichen, „wir wissen ja bereits seit

geraumer Zeit, daß wir Menschen nicht die einzigen intelligenten Wesen im
All sind. Wir haben auf unserer bisherigen  Reise zwar schon mehr als ein
halbes Dutzend Völker kennengelernt, aber nie waren Wesen dabei, die uns
zum Verwechseln ähnlich sahen!“

„Was   willst   du   damit   sagen?“   fragte   Alexander,   der   Harpos   Worten   mit

besonderem Interesse gelauscht hatte. „Daß es keine anderen Wesen gibt, die
genau wie ihr aussehen?“ Harpo zuckte mit den Schultern und machte sich
an den Aufstieg. „Ich weiß nicht. Vielleicht sind wir wirklich die einzigen, die
so aussehen, und die Bewohner dieser Stadt waren tatsächlich  Menschen,
nur andere eben.“

„Hmm“, machten Bharos, Anca und Lonzo gleichzeitig.
„Wer weiß, ob uns der Transmitter vielleicht nicht nur durch den Raum

führte, sondern auch noch durch die Zeit. Vielleicht hat Bharos Szenen aus
einer   fernen   Zukunft   der   Menschheit   gesehen,   die   für   uns   nun   bereits
Vergangenheit ist. Man hätte den Computer fragen sollen, ob er den Namen
Erde kennt.“

„Aber   ...“  begann   Anca,   doch  dann   verstummte  sie.   Eigentlich   hatte  sie

fragen wollen, wovon überhaupt die Rede war. Aber gerade noch rechtzeitig
war ihr eingefallen, daß sie nicht zum erstenmal seltsame Erfahrungen mit
dem Ablauf der Zeit machten. Sie selbst wußte aus den Physikstunden unter
Schwatzmauls Anleitung, daß ein fester Zeitablauf mit einem bestimmten Ort
im Universum,  zum Beispiel  dem   Planeten   Erde,  verbunden  war.  Relative
Zeit nannte man das. Wie der große Physiker Einstein herausgefunden hatte,
veränderte sich der Ablauf der Zeit, wenn man sich in einem Raumschiff vom
ursprünglichen   Bezugssystem   löste   und   dabei   in   die   Nähe   der   Lichtge­
schwindigkeit kam. An Bord herrschte dann eine eigene Zeit, die viel lang­
samer als die auf dem Planeten Erde verlief, obwohl die Beteiligten selbst
nichts   davon   bemerkten.   Erst   nach   der   Rückkehr   wurde   deutlich,   was
passiert war – wenn auf der Erde vielleicht schon einige hundert Jahre verstri­
chen waren, während die Raumfahrer nur wenige Jahre im Weltraum verlebt
hatten. Richtig bunt wurde es jedoch erst, wenn die Lichtgeschwindigkeit –
die Einstein noch als höchstmögliche Geschwindigkeit im Universum ange­
sehen hatte – überschritten oder, das war Thunderclaps Theorie, durch die
Existenz von Raum­Zeit­Falten überlistet wurde. Dann nämlich schienen alle

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bekannten Gesetze  über Raum und Zeit verrückt zu spielen. So etwas war
passiert,   als   sich  die   EUKALYPTUS   aus  dem   Erdumlauf   gelöst   hatte.   Und
anderen war es ähnlich ergangen. Wie wäre es sonst zu erklären gewesen, daß
die Schiffbrüchigen der AESCLIPUS – mit denen die Besatzung der EUKA­
LYPTUS in einem ihrer letzten Abenteuer zusammengetroffen war – 128 Jah­
re vor der EUKALYPTUS gestartet waren? Daß sie sich in einem Raumsektor
aufhielten, den ihre kleine Raumjacht zu Lebzeiten der Besatzung niemals
hätte   erreichen   können,   wenn   sie   innerhalb   der   Lichtgeschwindigkeit   ge­
blieben wäre?

„Noch ist Gelegenheit, die versäumten Fragen nachzuholen“, meinte Bha­

ros. „Wir könnten umkehren ...“

Harpo   dachte   an   die   zerfallenen   Türme   und   die   traurige   Musik.   Er

schüttelte sich. „Nein“, sagte er dann seufzend, „man muß nicht jedes Rätsel
lösen   wollen.   Laßt   uns   lieber  alles   daransetzen,   unseren  verschwundenen
Kumpel Ollie wiederzufinden.“

Der Große Shuubuu

Obwohl   der   Bildwürfel   des   Transmitters   eine   freundliche,   sonnenbe­

schienene  Waldlandschaft gezeigt hatte, durchquerten sie das Tor zwischen
den   Welten   dennoch   mit   geschlossenen   Helmen.   Kaum   lagen   sie  auf   der
Plattform   der   Empfangsstation,   als   Lonzo   auch   schon   Entwarnung   si­
gnalisierte.   Seine  Meßinstrumente  hatten   blitzschnell   die   Atmosphäre
analysiert. Die Luft war also atembar.

Anca klappte den Raumhelm als erste nach hinten. Dabei streifte ihr Blick

den Himmel über dem Transmitter. „He! Seht euch das Netzdach an. Wenn
das die Plattform vor dem Regen schützen soll, sehe ich schwarz!“

Daß dieses engmaschige Netz nicht als Regenschutz gedacht war, erwies

sich kaum eine Sekunde später. Das Netz senkte sich mit ungeheurer Schnel­
ligkeit auf die völlig verdutzte Gruppe hinab.

Alle purzelten durcheinander.
„Verrat!“ schrie Lonzo und versuchte, auf die Beine zu kommen. „Wetzt die

Messer, Matrosen! Alle Mann an Deck! Feindliche Piraten wollen uns ans Le­
der!“ Er schlug wild um sich und versuchte unter Einsatz aller Tentakel, das
Netz zu heben. Aber sein Widerstand hatte nur den sichtbaren Erfolg, daß er
sich hoffnungslos verhedderte.

Wieselflinke kleine Wesen rannten hinter einer Buschkette hervor, ergriffen

herabhängende   Leinen   des   Netzes   und   zogen   es   blitzschnell   unter   den
zappelnden   Körpern   der   Gefangenen   hindurch.   Ehe   die   Expeditionsteil­
nehmer auch nur einen klaren Gedanken fassen konnten, war aus dem Netz
ein Beutel geworden, der mitsamt Inhalt mit einem primitiven Baum in die
Höhe   gezogen   und   aus   dem   Transmitterfeld  herausgeschwenkt  wurde.

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Immer mehr der fremden Wesen eilten hinter den Büschen hervor. Sie halfen
dabei, das Netz noch enger zu verschnüren und mit Stricken zu verstärken.

„Da hinten muß ein Nest sein“, meinte Alexander stöhnend.
„Die haben uns hereingelegt“, knirschte Harpo wütend. „Die Büsche sind

nur Tarnung, dahinter steht ein Gebäude, das wie ein Bunker aussieht. Man
kann deutlich Treppen erkennen.“

„Die   machen   bestimmt   nicht   zum   ersten   Mal   auf   diese   Weise   Beute“,

knurrte der sonst nicht so leicht aus der Ruhe zu bringende Bharos. „Wenn
sie den Kleinen auch so empfangen haben ...“

„Kannst du dich nicht wegteleportieren?“ fragte Harpo.
„Das kann ich schon“, erwiderte Bharos, „aber diese Knilche behalten uns

ziemlich genau im Auge. Ich fürchte, sie werden sich dann an euch rächen,
wenn ich jetzt abhaue, um aus dem Dunkel heraus zu operieren.“

„Chissimatucki!“ fluchte Lonzo. „Wenn der alte Captain Kidd das miterlebt

hätte, wäre ich jetzt aber ganz schön blamiert!“ Er zwängte seine Tentakel in
die  Netzmaschen und versuchte, diese zu zerreißen. Er mußte sich gewaltig
anstrengen, weil das Material zäher als erwartet war. Schließlich riß das Netz
an zwei Stellen, was aber nicht ausreichte, um Lonzo  durchzulassen.  Auch
Bharos und die anderen versuchten nun, das Netz anzureißen.

Ohne   Erfolg.   Da   mußte   man   schon   Kräfte   wie   Lonzo   haben.   Alexander

fletschte die Zähne und zerrte an den Maschen, was das Zeug hielt, aber auch
seiner Kraft waren Grenzen gesetzt. So begnügte er sich damit, die wild her­
umtanzende   und   johlende   Meute   ihrer   Peiniger   zu   beschimpfen.   „Dreck­
spatzen“ war noch der freundlichste der saftigen Ausdrücke, die er ihnen an
die Köpfe warf.

Lonzo zerriß ächzend eine weitere Masche. Das hätte er besser nicht tun

sollen, denn nun waren die Angreifer auf ihn aufmerksam geworden. Mindes­
tens zehn von ihnen kümmerten sich um den Roboter, indem sie dicke Stri­
cke um seinen kugelförmigen Leib schlangen und ihn in Windeseile zu einem
handlichen Paket verschnürten, aus dem nur noch der Kopf hervorsah. Sogar
die Matrosenmütze war ihm in der Hektik vom Kopf gerutscht.

„Ist das ein feines Benehmen?“ kreischte Lonzo. „Ihr habt wohl überhaupt

keine Bildung, was? Was soll ich mit dieser Strickweste? Mir ist doch über­
haupt nicht kalt, ihr  Schneckengesichter! Chissimatucki! Captain Kidd!  Höl­
lengeister! Wo seid ihr? Kommt uns zu Hilfe! Ein Fäßchen Rum für jeden, der
uns aus der Patsche haut! Selbst für gelbe und grüne Teufel!“

Aber nirgends waren Teufel zu sichten. Nur die quirligen Wesen, die Lonzo

nicht zu Unrecht als Schneckengesichter bezeichnet hatte, flitzten unter ih­
nen hin und her, schnitten Lonzo aus dem Netz heraus und flickten die Lücke
mit Stricken.

„Junge, Junge“, rief Bharos keuchend, „da sind wir ja schön in was reinge­

schlittert!“

Alexander knurrte: „Frechheit! Ist das eine Art, frage ich euch? Ist das eine

Art? Keine gute Kinderstube, sage ich euch, gar nichts!“ Er wollte vor Empö­
rung den Kopf schütteln, was ihm aber wegen der herrschenden Enge nicht

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gelang. „O du heiliger Eisberg“, schwor er, „wenn ich hier je wieder rauskom­
me und diese Burschen entschuldigen sich nicht, werde ich ihnen den Hin­
tern versohlen!“

Harpo gab das Zappeln auf, weil es ja doch nichts half. Statt dessen be­

trachtete er die fremden Wesen, die jetzt etwas gelassener wurden, weil sie
sahen, daß die Gefangenen nicht mehr fliehen konnten.

Keines der Geschöpfe war größer als einen Meter fünfzig, und keines trug

Kleider. Am auffälligsten war die blaue, schuppige und faltige Haut ihrer Kör­
per und der Stützschwanz, der auf den ersten Blick wie ein verkürztes drittes
Bein   wirkte.   Die   Gesichter   der   Wesen   waren   seltsam   ausdruckslos   und
schwammig. Die Haut schien ständig in Bewegung zu sein; nur die beiden
runden  Reptilienaugen  und   die  mundähnliche  Öffnung   darunter   wirkten
starr. Aus dem oberen Kopfteil ragten zwei Fühler, die sich dauernd verform­
ten und manchmal fast ganz im Kopf verschwanden. Die Beine dieser Krea­
turen waren stämmig und muskulös, während die Arme zierlich aussahen.
Daß sie damit dennoch kräftig zupacken konnten, hatten sie zur Genüge be­
wiesen.   Die   Füße   hatten   vorne   zwei   Zehen   und   hinten   einen   kräftigen,
krallenartigen Dorn. Vermutlich waren die Fremden gute Kletterer.

Auffällig  war,  daß  die  ganze  Aktion  beinahe  lautlos  erfolgt  war.  Die   Be­

wohner dieser Welt bewegten sich geräuschlos und schienen gut aufeinander
eingespielt zu sein, so daß es keiner Befehle bedurfte. Man hätte annehmen
können, daß sie gar nicht fähig waren, sich sprachlich auszudrücken, aber
das erwies sich wenig später als Trugschluß.

Eine Kolonne niedriger Kastenwagen, die von jeweils vier stämmigen, po­

nygroßen Echsen gezogen wurden, kam in das Blickfeld der Gefangenen. Die
Zugtiere blickten ziemlich stumpfsinnig drein, hatten schuppige, gelbgrüne
Körper und sehr kleine Köpfe. Den Zähnen nach zu urteilen handelte es sich
bei ihnen um Pflanzenfresser.

Während auf den hinteren Wagen nur Wagenlenker saßen, hob sich das

erste Gespann deutlich von den anderen ab. Die Zugtiere trugen  reichver­
ziertes Geschirr, der Wagen war mit fremdartigen Symbolen verziert und zu­
dem   von   einem   Baldachin   überdacht.   Drei   fremde   Wesen   kletterten   von
diesem Wagen herunter. Auf den ersten Blick unterschieden sie sich nicht
von den anderen, aber als sie näherkamen, erkannte Harpo, daß ihre  Stütz­
schwänze von bronzenen Ringen umschlossen waren.

Die   Neuankömmlinge   wurden   mit   sichtlichem   Respekt   behandelt.   Das

Wesen mit dem breitesten Schwanzring ergriff die Initiative, trat an das Netz
heran, das jetzt in seine Höhe gehievt wurde, und kniff Anca in die Wange.

„Autsch!“ schrie das Mädchen. „Was will der Kerl von mir?“ Obwohl ihm

eigentlich ganz und gar nicht lustig zumute war, mußte Harpo an das Mär­
chen von Hänsel und Gretel denken. Grinsend meinte er: „Er hat wohl gleich
erkannt,  daß  an dir   am   meisten   dran   ist,   Schwesterlein.   Aber   tröste   dich:
Wenn der wirklich vorhat, uns in einen Kochtopf zu stecken, wird er dich für
die Feiertage aufheben.“

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„Erzähl doch nicht so ‘n Mist!“ zeterte Alexander aufgebracht. Im nächsten

Moment wurde er selbst prüfend am Arm befühlt.

„Pfoten weg!“ rief er erbost, aber das half ihm wenig. Immerhin zeigte sich

das Wesen – ob es der Küchenchef war? – von Alexanders Körperbau beein­
druckt,   was   sich   in   einem   Geräusch   äußerte,   das   einem   anerkennenden
Zungenschnalzen nicht unähnlich war. Es musterte Alexander vom Scheitel
bis   zur   Sohle   und   zischte   den   Umstehenden   etwas   zu.   Ein   allgemeines
Zischen  und  Schnalzen   setzte  ein,  das  für  Sekunden   zu  einem  Orkan   an­
schwoll, als unterhielte man sich hier in aller Gemütsruhe über die Beute.

Harpo zerrte so lange an dem Netz herum, bis es ihm gelang, die rechte

Hand an das linke Handgelenk zu bringen. Dort drückte er den  Einschalt­
knopf des Translators. Nun mußte er die Wesen veranlassen, etwas lauter zu
reden, damit das intelligente Maschinchen Vokabeln sammeln konnte. Da es
– einmal betriebsbereit – die Aufmerksamkeit ohnehin auf sich lenken würde,
beschloß Harpo, sich jetzt schon ins Rampenlicht zu stellen.

„Schneidet mich los, ihr feigen Gesellen!“ rief er. „Ich will mit euch boxen!“
Geschnatter war die Antwort.
„Ehrlich?“ Alexander staunte.
„Was ist denn mit dir los?“ fragte Anca.
„Er will, daß sie etwas lauter reden“, flüsterte Trompo.
„Gute Idee!“ lobte Bharos. „Aber du mußt sie ein bißchen frecher reizen.“
„Was ist nun?“ tobte Harpo weiter. „Wir kämpfen über zwölf Runden. Der

Sieger bekommt eine Dose Bratfisch!“

„Mit Öffner!“ fügte Lonzo hinzu, der jetzt auch erkannt hatte, was Harpo

beabsichtigte.

„Eine Dose Bratfisch mit Öffner! Wer kann da noch nein sagen? Nur ein

Feigling kann das!“

Der Anführer – oder Küchenchef – starrte Harpo mit seinen unbeweglichen

Augen an und zischte seinen Begleitern erneut etwas zu. Und das hörte sich
so   an,  als  würde   eine  vorsintflutliche  Dampflokomotive  in  einen   Bahnhof
einfahren. Als einer der Begleiter antwortete, war der Translator schon in der
glücklichen Lage, übersetzen zu können.

„...   habt   ihr   ...   pschffft...   mein   Erhabener   ...   pschffft...   gute   Sklaven   ...

pschffft... viele... pschffft...“

„Sklaven? Was heißt hier Sklaven?“ schnaufte Alexander. „Die haben wohl

nicht alle Pfannen auf dem Dach!“

„Immer noch besser als Schaschlik!“ juxte Anca.
„Keine Sorge, Seeleute“, dröhnte jetzt Lonzos Baß zu ihnen herüber, „ich

werde nicht zulassen, daß mir etwas Böses geschieht!“ Er kicherte aus seinem
verschnürten Bündel heraus wie über einen guten Witz. Der Translator be­
eilte sich, soweit er mit den wenigen Vokabeln dazu in der Lage war, alles in
die Sprache der Fremden zu übersetzen.

Der Anführer schien gute Ohren zu haben, obwohl man die nicht sehen

konnte. Er erkannte sofort, daß die Worte von Harpo ausgingen, und fixierte
den Jungen mit starrem Blick. Geistesgegenwärtig bewegte Harpo die Lippen,

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während der Translator zischte. Er mußte unter allen Umständen vermeiden,
daß Freund Schneckengesicht merkte, wer hier in Wirklichkeit sprach, und
ihm das Gerät wegnahm.

„Aha“, sagte der Anführer – zumindest wurde seine Bemerkung so über­

setzt –‚ „... Sklave versteht ... pschffft... Sprache der ... pschffft. Kann ihm nicht
... pschffft... helfen. Trotzdem ... pschffft... Sklavenmarkt.“

„Aber wir kommen von einem anderen Planeten, einer Welt, die weit ...“

begann Harpo, aber der andere zischte so zornig, daß er verstummte.

„Schweig!“ übersetzte der Translator.
Harpo drehte ihn so leise, daß er nicht mehr zu hören war. Offenbar war

der Anführer nicht in Verhandlungslaune. Vielleicht ergab sich später eine
bessere Möglichkeit.

Dann kam eines der anderen Wesen näher. Rasch drehte Harpo die Laut­

stärke   wieder   hoch.   „Wenn   ich   den   Erhabenen   auf   diesen   anderen
Gefangenen aufmerksam machen darf“, sagte es.

Der Erhabene geruhte, sich Lonzo zuzuwenden, den man unter all den Stri­

cken kaum noch erkennen konnte. Als er ihn betrachtete, wirkte er seltsam
aufgeregt. Sein Stummelschwanz zuckte. Sein blaues Gesicht wurde beinahe
schwarz.

„Löst einige Fesseln!“ herrschte er einen Untergebenen an, der sofort ein

Messer zückte und sich daranmachte, Lonzo zur Hälfte auszuwickeln, wobei
er jedoch sorgfältig darauf achtete, daß er die Tentakel nicht mit befreite.

„Er ist es!“ zischte der Anführer der Schneckengesichter leise.
Lonzo, der über Funk die Übersetzung des Translators an Harpos Handge­

lenk mithörte, schrie: „Hach! Endlich erkennt man den Gefährten von Cap­
tain Kidd! Das wurde aber auch Zeit. Hallo, Herr Erhabener! Wie geht es dir?“

Da   der   Roboter   keinen   eigenen   Translator   besaß,   konnte   der   Anführer

nichts von seinen Worten verstehen. Immerhin starrte er Lonzo verzückt an.

„Soll ich den Translator wieder etwas lauter stellen?“ fragte Harpo.
„Besser nicht“, riet Bharos, „weil dieser komische Kerl, dieser ... Erhabene

ja nicht weiß, daß wir in Wirklichkeit gar nichts von seinem Gezischel ver­
stehen. Wenn er tatsächlich an Lonzo einen Narren gefressen hat, wird sich
das über kurz oder lang auch für uns auszahlen. Lonzo braucht nicht sehr
lange, um eine fremde Sprache zu lernen.“

„Es ist der Große Shuubuu!“ heulte der Erhabene plötzlich auf. „Endlich,

nach so langer Zeit, ist er wieder zu uns zurückgekehrt! Und wir haben ihn
gedemütigt!“ Er verbeugte sich vor Lonzo und verfluchte seine Untertanen,
die ihm das angetan hatten, bis ins siebte Glied. „Großer Shuubuu – verzeih
deinen unwürdigen Dienern. Sie haben dich nicht erkannt.“

Die anderen Wesen sanken zu Boden und verneigten sich so tief, daß sie

ihre Gesichter geradezu in die Erde bohrten.

„Ich werd’  verrückt!“ sagte Anca. „Die halten Lonzo wohl für einen ihrer

Götzen oder so was! Unser Lonzo als der Große Shuubuu – wer immer das
sein mag! Ich werde auf der Stelle wahnsinnig!“

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Unwillig drehte sich der Erhabene nach seinen Gefangenen um. „Führt sie

fort!“ donnerte er. „Sie stören den Großen Shuubuu!“

Sofort sprangen mehrere Dutzend seiner Leute auf.
„Weg   da!“   keifte   Lonzo.   „Wagt   es   ja   nicht,   meinen   Spießgesellen   etwas

anzutun! Chissimatucki! Mastbruch und tausend Klabautermänner! Captain
Kidd wird euch die Rumrationen kürzen! Und zu Weihnachten gibt es weder
Nüsse noch Ostereier, ihr Halunken!“

Aber der Erhabene sah ihn nur entgeistert an und flüsterte:
„Der Große Shuubuu spricht zu uns! Er hat uns verziehen!“ Dann fiel er in

einen rituellen Singsang und tanzte um Lonzo herum, der gar nicht wußte,
wie er sich verhalten sollte, da er zwar verstanden hatte, was der Erhabene
gesagt hatte, dem wiederum aber in seiner Sprache nicht antworten konnte.
Der   Erhabene   war   so   von   seiner   Entdeckung   berauscht,   daß   er   gar   nicht
merkte, daß der Angebetete immer noch halb gefesselt zu seinen Füßen lag.
Und   in   dem   allgemeinen   Gekreische,   das  jetzt   rundherum   anhob,   war   es
sinnlos, den Translator auf volle Lautstärke zu stellen. Was Lonzo jetzt auch
sagte oder schrie: Diesen  Höllenlärm   konnte  auch  sein Organ   nicht  mehr
übertönen.

„Mist!“ fluchten Bharos und Harpo im Chor. Daran war jetzt nichts mehr

zu ändern. Die Untergebenen erhoben sich und kümmerten sich um die Beu­
te. Das Netz wurde zu Boden gelassen, und eine Armee fiel über sie her. Mo­
ritz bellte wütend, und Alexander brüllte wie ein Grizzlybär. Aber auch er
konnte gegen die Übermacht nichts ausrichten.

Weder Harpo noch einer der anderen hatte die Gelegenheit, den Translator

zu   bedienen.   Alle   Gefangenen   wurden   zu   bewegungsunfähigen   Paketen
verschnürt   und   auf  zwei   der   wartenden  Kastenwagen   verladen.   Auf  einen
schrillen Pfiff hin setzten sich die Zugechsen in Bewegung.

„Haltet aus!“ schrie Lonzo hinter ihnen her. „Ich werde diesen verrückten

Erhabenen schon dazu bringen, euch wieder freizulassen!“

Die Wagen rumpelten davon.
Zurück blieben einige hundert heulende Derwische und ihr Anführer. Und

der Große Shuubuu, der in einer ganz und gar unfrommen Weise alle Flüche
herunterrasselte, die er im Laufe seines Lebens gelernt hatte.

Sklavenmarkt

„Hoffentlich ist es nicht mehr weit“, stöhnte Alexander und wand sich auf

dem nackten Holz des Kastenwagens, so gut es die Fesseln erlaubten. „Von
Stoßdämpfern haben die hier wohl auch noch nie was gehört. Mir tun schon
alle Knochen weh. Also ehrlich: Lieber als Sklave auf den Feldern schuften, als
das hier!“

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„Na, warten wir mal ab, was du sagst, wenn du deinen Pelz beugen mußt,

um Mohrrüben zu ziehen“, entgegnete Anca.

„Aber recht hat er doch. Auch mir tut alles weh“, meinte Harpo.
„Wir müssen bald am Ziel sein“, sagte Bharos tröstend. „Die ersten Häuser

einer Stadt tauchen vor uns auf.“

Die beiden Wagen wurden von einer Hundertschaft zu Fuß eskortiert, was

angenehmer   war,   als   auf   dem   ruckelnden,   über   jeden   kleinen   Stein   hop­
senden Gefährt zu sitzen. Und es strengte auch nicht an. Bei dem Schneck­
entempo der Echsen konnte jeder mithalten.

Die Wachmannschaft trug Lanzen und schirmte die Wagen gegen die Um­

welt  ab. Entweder  traute  man  den  eigenen  Fesselungskünsten  nicht  ganz,
oder man hatte Grund, einen Überfall zu befürchten.

Von   der   Landschaft   hatten   die   Gefangenen   ihrer   unbequemen   Position

wegen   bisher   recht   wenig   gesehen.   Hauptsächlich   schwitzten   sie   in   der
prallen Sonne vor sich hin. Hier und da spendeten braungrüne Blätter baum­
ähnlicher Gewächse Schatten.

Dem Rütteln der Karren nach zu urteilen, mußten sie sich in hügeligem Ge­

biet befinden.

„Echsenkarren und Holperwege!“ nörgelte Harpo. „Aber einen Transmitter

müssen sie haben!“

Mehrmals meldete sich Lonzo über das  Helmfunksystem  und versuchte,

sie  aufzumuntern.  Seine  Stimme   war   wegen   der   zurückgeklappten   Helme
schwer zu verstehen, aber es half ihnen allen schon sehr, sie überhaupt zu
hören. Offenbar machte der Erhabene noch immer keine Anstalten, seinen
geliebten Großen Shuubuu von den Fesseln zu befreien, sondern tanzte her­
um, stieß Beschwörungen aus und verfiel in  tranceähnliche Anbetung. Und
Lonzos kleines Elektronengehirn sammelte inzwischen alle  Sprachbrocken,
die   es   aus   seiner   Umgebung   aufnehmen   konnte.   Aber   das   war   sicherlich
nicht  allzu viel, wenn man mal von Gebeten  absah. Dann blieben Lonzos
Nachrichten aus. Die Entfernung zwischen ihnen war zu groß geworden.

Jetzt wurde deutlich, daß man sich einem Stadtzentrum näherte. Es rum­

pelte nicht mehr so stark, und zu beiden Seiten waren die Umrisse klobiger
Steinbauten   auszumachen.   Einmal   geriet   ein   quadratischer   Prachtbau   in
Harpos Blickfeld, der aus der Entfernung fugenlos glatt und makellos schön
wirkte. Ziersäulen und Reliefs schmückten die Fassade; dahinter waren hohe,
schmale  Fensterschlitze  erkennbar.   Offenbar   ein   Tempel   oder   ein   Re­
gierungsgebäude. Vielleicht war das aber auch der Besitz des Erhabenen. Was
Harpo jedoch vollständig den Atem raubte, befand sich unmittelbar vor dem
Eingangsportal  des  bahnhofsgroßen  Gebäudes. Er hatte höchstens zwei Se­
kunden Zeit, um das Gebilde anzusehen, aber es gab keinerlei Zweifel: Das
steinerne   Ding   bestand   aus   einem   kleinen,   daraus   hervorragenden   Kopf,
spindeldürren Beinen und vier Tentakelarmen. Es sah dem guten Lonzo zum
Verwechseln ähnlich!

„Habt ihr das gesehen?“ hauchte Harpo. „Was denn?“ fragten die anderen.
„Ich habe eben eine Statue gesehen!“

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„Und ich den Weihnachtsmann!“ sagte Anca vorlaut.
„Sei nicht albern! Da stand eine riesige Statue von Lonzo!“
„Von Lonzo? Du spinnst!“
„Na   gut,   dann   eben   nicht   von   Lonzo.   Sagen   wir   mal:   eine   Statue   vom

Großen Shuubuu!“

„Jetzt verstehe ich überhaupt nix mehr!“ schimpfte Anca. Bharos lächelte

geheimnisvoll,   während   Trompo,   der   zu   einem   kleinen   rosa   Päckchen
verschnürt neben Moritz lag, piepste: „Wie? Was?“

„Wuff!“ machte Moritz.
„Ohooooo!“ Das war Alexander, dem plötzlich ein Licht aufgegangen war.

„Jetzt wird mir alles klar! Die beten einen Götzen an, der zufälligerweise un­
serem   Lonzo   zum   Verwechseln   ähnlich   sieht.   Darum   also   der   Terror   am
Transmitter, als dieser Erhabene unseren alten Kumpel entdeckte!“

„Ja, aber wieso ...“ begann Anca.
„Das ist natürlich ein kurioser Zufall“, murmelte Bharos. „Andererseits ...

Ihr habt ja gesehen, daß diese Geschöpfe darauf vorbereitet sind, am Trans­
mitter Beute zu machen. Wer weiß, was im Laufe der Zeit alles an fremden
Geschöpfen hierher verschlagen wurde? Wer weiß, ob darunter nicht auch
ein Roboter war, der wie Lonzo aussah? Und der sich dank seiner besonderen
Fähigkeiten oder Kräfte den Ruf eines Gottes erwarb? Vielleicht war es nicht
einmal ein Roboter, sondern ein verirrter Raumfahrer. Oder nur ein Tier, das
sich seltsam bewegte und angebetet wurde.“

Alle schwiegen nachdenklich, um diese Neuigkeit erst einmal zu verdauen.
Dann kam der Kastenwagen zum Stillstand. Die Begleitmannschaft stellte

die Lanzen ab und hob die Gefangenen vom Wagen. Jetzt, da nicht mehr die
Seitenwand der Ladefläche im Weg war, sahen die Freunde mehr von ihrer
Umgebung.

Sie befanden sich auf einem Platz, der von den schon vertrauten schlich­

ten, einstöckigen Häusern und einigen Holzschuppen umstanden war.

Auf dem Platz herrschte geschäftiges Treiben. Allerlei seltsame Düfte lagen

in der Luft; es roch nach Gewürzen, gebratenem und geräuchertem Fleisch,
nach Fisch und dem Mist von Tieren. Die sonst so stummen Wesen zischten
und schnarrten durcheinander.

Auf rohgezimmerten Ständen, Podesten oder auch nur einfach ausgebrei­

teten  Tierhäuten  lagen   Lebensmittel,   Tonwaren,   Felle   und   undefinierbare
Werkzeuge, die angepriesen wurden. In Käfigen fiepte und pfiff die lebendige,
allerdings tierische Ware. Aber es gab auch andere Käfige, solche, in denen
Wesen jener blauhäutigen Rasse zum Verkauf angeboten wurden: Sklaven. Es
war für die Besatzung der EUKALYPTUS selbst in ihrer eigenen ungewissen
Lage deprimierend, das anzusehen.

„He“,   sagte   Harpo   plötzlich,   „hier   gibt   es   noch   eine   andere   Rasse!“   Er

machte eine Kopfbewegung und deutete damit die Blickrichtung an.

Tatsächlich!   Zwischen   den  Blauhäutigen  bewegten   sich   einige   dürre

Gestalten,   die   einen   Kopf   größer   waren   als   die   Schneckengesichter.   Sie
trugen  Fellumhänge  und erinnerten mit den knochigen  Stelzenbeinen, den

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schnabelähnlichen Mündern und den stechenden Augen ein wenig an Raub­
vögel.   Ihre   Haut   schimmerte  blaßgrün  und   wirkte   ebenfalls  schuppig.   Sie
stolzierten unnahbar durch das Gedränge. Und man machte ihnen bereitwil­
lig Platz.

Die Begleitmannschaft des Erhabenen hatte ihre Gefangenen auf die roh

bearbeiteten Steinplatten des Marktes gelegt, während die Wagenlenker ihre
Gespanne  fortbrachten.  Nun   wurden   Harpo   und   die   anderen   von   jeweils
sechs   Trägern  zugleich  angehoben   und   in   das   Gewimmel  hineingetragen.
Lanzenträger gingen voran und bahnten sich eine Gasse, indem sie mit den
stumpfen Enden ihrer Waffen nach allen Seiten drohten. Moritz bellte und
versuchte, seine beiden Träger mit den Zähnen zu erwischen, was ihm aber
nicht gelingen wollte.

„Macht Platz für die Sklaven des Erhabenen“, zischte der erste Wächter,

und bald fielen auch die anderen in diese ständig wiederholten Worte ein.

Aber auch ohne die Ausrufe wurde den Gefangenen Aufmerksamkeit zuteil.

Viele Marktbesucher reckten die Hälse und wollten sie sich aus der Nähe an­
sehen. Eine Sensation schienen sie allerdings nicht zu sein.

Man staunte, das war alles.
„Die Ungeheuer mit den  Stachelschwänzen  waren besser“, sagte jemand

abfällig und wandte sich ab. Diese Äußerung zeigte, daß man damit vertraut
war, daß unbekannte Lebewesen am Transmitter gefangen und als Sklaven
verkauft wurden. Aber warum?

Es mußte doch eher  ein  Zufall sein,  wenn sich  Tiere oder andere Lebe­

wesen hierher verirrten!

„Wahrscheinlich werden doch noch einige Transmitterstationen regelmä­

ßig benutzt“, vermutete Bharos. „Wenn auch möglicherweise nicht mehr von
den Erbauern.“

„Wie ist das denn möglich?“ fragte Harpo. „Wo man doch nie wissen kann,

wo man herauskommt.“

„Einige verstehen es wohl doch, die Maschinen zu steuern. Vielleicht ge­

hört dieser komische Erhabene auch dazu. Aber es kann  genausogut  sein,
daß bestimmte Transmitterstationen nur mit zwei oder drei anderen Welten
verbunden sind. Da wäre ein Sprung nicht so ein Lotteriespiel wie bei uns.“

„Findet ihr es nicht ungewöhnlich“, wandte nun Anca ein, „daß niemand

eine flammende Rede hält und berichtet, daß der Große Shuubuu zurückge­
kehrt ist?“

„Stimmt.   Die   Nachricht   müßte   sich   doch   wie   ein   Lauffeuer   verbreitet

haben!“

„Was wissen wir schon über diese Wesen und das Leben hier?“ gab Harpo

zurück. „Vielleicht  kriegt jeder, der es wagt, dem Erhabenen die Schau  zu
stehlen, ganz einfach was auf den Deckel.“

Das Gespräch stockte, weil die ersten Kaufinteressenten an sie herantraten.

Wieder war Anca das erste Opfer. Man fühlte durch die Stricke hindurch nach
ihren Beinen. Das schien unbefriedigend zu sein, da der Bodyskinanzug nicht

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nachgab.   Jetzt   passierte   es   zum   zweiten   Mal,   daß   man   sie   in   die   Wange
zwickte.

„Das ist gemein!“ schimpfte Anca.
„Ist  es  auch“,  gab  Harpo  zu.  „Niemand  hat  ein  Recht  dazu,  intelligente

Wesen zu verkaufen. Was ist das bloß für eine Gesellschaft, die so was zuläßt?
Selbst ihre eigenen Leute verkaufen sie, als wären sie eine Ware.“

„Auf der Erde war das aber früher auch so“, erinnerte ihn Bharos, der sich

über die irdische Geschichte informiert hatte. „Und ihr wißt, wie man eure
Eltern behandelt hat, bevor ihr auf die EUKALYPTUS kamt – zwar nicht direkt
als   Sklaven,   aber   als   Versuchskaninchen   für   irgendwelche   verdammten
Pillen,   an   denen   sie   zugrunde   gingen   oder   wodurch   ihre   Kinder  Mißbil­
dungen bekamen, als ...“

„Ich weiß“, verteidigte sich Harpo. „Ich habe ja auch nicht behauptet, daß

unsere eigenen Leute besser sind. Aber eins weiß ich: Hier wie auf der Erde ist
unbedingt was nicht in Ordnung. Man muß etwas dagegen tun.“

„Wäre ich doch nur auf Nordpol geblieben!“ meinte  Alexander seufzend

und   zerrte   an   seinen   Fesseln.   „Das   ist   ja   nicht   mehr   zum   Aushalten,   der
Pessimismus, der sich hier breitmacht! Habt ihr etwa schon aufgegeben, he?“

Harpo knuffte den breitschultrigen Rotpelz in die Seite. „Aufgeben? Wir?“
Die Umstehenden kümmerten sich kaum darum, daß sie sich unterhielten.

Gerne   hätten   sie   ihre   Translatoren   lauter   gestellt   und   sich   über   die   un­
würdige Behandlung beschwert, aber sie waren alle zu gut gefesselt, um sich
wehren zu können.

Nun mußte Harpo trotz allem kichern. Der potentielle Kunde zog mit der

Bemerkung ab, das fremde Ungeheuer – also Anca – sei zu mager und für
harte Arbeit nicht zu gebrauchen. „Stell dir vor, Pummelchen“, prustete er
los. „Er hält dich für zu mager! Ausgerechnet dich! Und außerdem bist du in
seinen Augen ein Ungeheuer!“

„Harpo Trumpfffff“, zischte Anca, während die anderen beinahe an einem

Lachanfall erstickten, „du hast es nur dieser vertrackten Fesselung zu ver­
danken, daß ich dir jetzt nicht in den Hintern treten kann!“ Sie gab aber,
humorig   wie  sie war,  bald klein   bei  und amüsierte   sich  mit.  „Immerhin“,
keuchte sie zwischen zwei ziemlich langen  Kicheranfällen, „hat der Blaue ja
die Wahrheit gesagt: Ich bin wirklich zu mager!“

„O weh!“ stöhnte Alexander ahnungsvoll und blickte auf. „Ich fürchte, diese

dürren   Burschen   mit   den  Raubvogelaugen  interessieren   sich   für   uns.   Bei
denen werden wir bestimmt nichts zu lachen haben.“

Tatsächlich verhandelten drei jener Wesen in den Fellumhängen, die ihnen

schon   vorher   aufgefallen   waren,   mit   dem   Anführer   der   Wache.   Offenbar
wurde nur noch um den Preis gefeilscht.

Die Vogelwesen sprachen sehr leise und mit kehligem Akzent; zu leise, um

die Membrane des Translators zu erreichen. Der Anführer der Wache schien
jedoch erfreut zu sein und versuchte lediglich, einen kleinen Aufpreis her­
auszuschlagen.

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„Die   Ungeheuer   haben   geheimnisvolle   Talismane   und   seltsame   Häute“,

zischte   er.   „Das   sollte   euch   mindestens   eine   halbe  Schrubbel  mehr   wert
sein!“

„Was soll das denn sein?“ fragte Anca verblüfft. „Eine halbe Schrubbel?“
„Das ist wohl eine Zahlungseinheit“, antwortete Harpo.
„Jetzt wird es aber wirklich brenzlig“, japste Trompo. „Hoffentlich ist Lonzo

schon unterwegs, um uns zu befreien!“ Dann geschah etwas Merkwürdiges.

Die Umstehenden bildeten eine Gasse und wichen mit ängstlichen Gesich­

tern zurück.

Fünf düstere Gestalten näherten sich. Ihre Statur glich der von Menschen.

Sie   trugen   Kutten   aus   schwarzem   Stoff,   die   bis   zum   Boden   reichten.   Die
Gesichter dieser Wesen waren hinter Kapuzen verborgen. Leuchtende Augen
funkelten drohend.

Eines der Vogelwesen sah die geheimnisvollen Kuttenträger, brach abrupt

die  Verkaufsverhandlungen  ab   und   suchte   mit   seinen   Gefährten   eilig   das
Weite. Die Lanzenträger des Erhabenen  umfaßten  zitternd ihre Waffen und
drängten sich enger zusammen.

Sie hatten ganz offensichtlich ein ungutes Gefühl, trauten sich aber nicht,

die Ware einfach stehenzulassen und davonzurennen.

Das   erste  Kapuzenwesen  schob   einen   tiefschwarzen,  narbenbedeckten

Arm   mit   zwei   Gelenken   unter   dem   Umhang   hervor,   ließ   beinahe   achtlos
einen  Lederbeutel  fallen und zeigte auf die Freunde von der EUKALYPTUS.
Seine Hand besaß fünf kurze, dicke Finger. Dann stieß es einen herrischen
Knurrlaut aus.

Der Anführer der Wachmannschaft öffnete mit zitternden Fingern den Le­

derbeutel   und   zählte   die   darin   befindlichen  elfenbeinähnlichen  Kugeln.
Schließlich nickte er und trat mit seinen Leuten erleichtert zurück.

Die Vermummten kamen heran, nahmen die Gefangenen und trugen sie zu

einem der schon vertrauten Lastkarren in der Nähe. Die Sklaven hatten neue
Herren gefunden.

„Au, verdammt!“ murmelte Harpo.

Jetzt ist alles aus!

Während der nun folgenden Fahrt wechselten ihre unheimlichen Begleiter

nicht ein einziges Wort. Sogar ihre Zugechsen trieben sie wortlos mit einer
Peitsche an.

„Wenn ich mich nicht täusche“, flüsterte Harpo, „dann fahren wir den Weg

zurück, den wir gekommen sind.“ Aber das war mehr ein Gefühl als eine Tat­
sache, denn sie lagen  jetzt wieder  genauso wie auf der  Hinfahrt  auf einer
Ladefläche, waren bewegungsunfähig und konnten nur winzige Ausschnitte
der Umgebung erkennen.

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„Wenn’s doch stimmen würde“, seufzte Anca. „Dann hätten wir wenigstens

die Chance, Lonzo zu begegnen.“

Sie hatten, als man sie auf den Karren geladen hatte, Gelegenheit gehabt,

einem der  Kapuzenmänner etwas genauer ins Gesicht zu sehen, und waren
dabei   ganz  gehörig   erschrocken.   Denn   die   Kreatur,   deren   Augen   wie   glü­
hende Kohlen funkelten, tat gut daran, ihr Gesicht zu verhüllen. Es war von
schwarzen Narben bedeckt.

„Wir   sind   schöne   Artisten“,   jammerte   Trompo.   „Statt   unseren   Ollie   zu

retten, geraten wir in die Sklaverei und können jetzt selbst Hilfe brauchen!“

„Wuff!“ machte Moritz.
„Solange in Alexander die Wut kocht“, knurrte der gefesselte Rotpelz, „ist

noch keine Schlacht verloren.“ Er kicherte plötzlich in sich hinein. „Sobald
diese Halunken uns nämlich auspacken – und das müssen sie, wenn sie uns
zum Arbeiten bringen wollen –‚ hat ihr letztes Stündlein geschlagen!“ Wie als
Beweis dafür bewegte er seine mächtigen Muskeln, die den enganliegenden
Raumanzug zu sprengen drohten.

„Wenn   Ollie   ebenfalls   auf   dieser   Welt   gelandet   ist“,   piepste   Trompo,

„können wir lange suchen. Wer weiß, an wen man ihn verkauft hat! Er könnte
bereits auf der anderen Seite des Planeten sein.“

„Jetzt   haben   wir   schon   den   dritten   Planeten   aufgesucht“,   sagte   Harpo.

„Zweimal waren wir auf der falschen Fährte und darüber halb erleichtert und
halb sauer. Hier aber müssen wir tatsächlich von Glück reden, wenn Ollie
nicht in einen Schlamassel  reingeraten  ist. Ich frage mich, ob Thunderclap
und die anderen uns von der EUKALYPTUS aus überhaupt anpeilen können.
Wenn ich daran denke, daß wir auf  Worlorn  am anderen Ende der Galaxis
waren ... Ich glaube, die Idee, daß die EUKALYPTUS uns anpeilt, war doch
nicht so gut. Wir haben eben geglaubt, die Transmitterstationen würden viel
näher beieinanderliegen.“

„Vielleicht liegen sie ja gar nicht so weit voneinander entfernt, wie du jetzt

vermutest“, versuchte Bharos ihn zu trösten. „Immerhin war Worlorn ja eine
Art kosmischer Wanderer. Theoretisch wäre es denkbar, daß er dem Raum­
sektor der Erbauer damals viel näher war als heute.“

„Trotzdem ...“ Harpo schwieg.
Die Wagenkolonne hielt an, und die Kuttenträger eilten zu dem letzten Ge­

spann. Sie hantierten eine Weile herum und kamen dann zurück. Zwei der
Fremden trugen Armbrüste, die sie drohend vorgestreckt hielten, obwohl die
Pfeile nicht direkt auf die Gefesselten gerichtet waren. Das sollte wohl eine
Machtdemonstration   sein. Die  anderen  drei  Vermummten  begannen  nun,
eine mitgebrachte Kutte in Streifen zu reißen. Dann packten sie Alexander
und stopften ihm einen Knebel in den Mund. Alexander war so verdutzt, daß
er nicht einmal einen Schrei ausstieß, als er es noch gekonnt hätte. „Diese ge­
meinen   Kerle   wollen   uns   zum   Schweigen   bringen“,   empörte   sich   Bharos.
„Die ganze Zeit habe ich versucht, ihre Gedanken zu lesen, und kam einfach
nicht   durch.   Aber  jetzt   spüre   ich  sie.   Sie  sind  häßlich  und  gemein.   Diese

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Wesen leben seit vielen tausend Jahren. Es sind Verfemte ihrer eigenen Rasse,
Banditen, die nichts anderes als Unheil angerichtet –“

Bharos war der nächste, dem sie mit einem Tuch den Mund stopften. Dann

war Anca dran, die einen schrillen Schrei ausstieß, was dazu führte, daß einer
der Bewaffneten seine Armbrust auf sie richtete.

“Sei keine Heldin“, flüsterte Harpo. „Wir wollen hier lebendig wieder her­

auskommen. Bharos – kannst du nicht verschwinden und Hilfe holen?“

Bharos   richtete   sich   halb   auf   und   nickte   mit   blitzenden   Augen.   Dann

schloß er sie, um sich zu konzentrieren.

Anca hörte auf zu schreien und ließ widerstandslos zu, daß auch sie ge­

knebelt wurde.  Kaum hatten die Vermummten ihre  Arbeit  erledigt,  als sie
sich umdrehten und erstarrten. Sie entdeckten, daß zwei ihrer Sklaven fehl­
ten. Bharos war fort! Und Alexander, der neben ihm gelegen hatte, ebenfalls.
Der   körperliche  Kontakt  zwischen  beiden   war  eng   genug   gewesen,   um   es
Bharos zu ermöglichen, den jungen Rotpelz mitzunehmen. Einen Moment
lang hoffte Harpo, Bharos würde zurückkehren, um ihn und die anderen zu
holen. Aber dann sah er ein, daß dies für alle Beteiligten sehr gefährlich ge­
wesen wäre. Und gefesselt konnte Bharos sowieso nichts unternehmen.

Einer   der  Armbrustschützen  machte   eine   ungeduldige   Handbewegung,

und die anderen Wesen erwachten aus ihrer Erstarrung. Offenbar hatten sie
jetzt weder Zeit noch Lust, sich um das Rätsel der Verschwundenen zu küm­
mern. Sie fuhren um so schneller mit ihrem Werk fort und hatten im Nu auch
Harpo geknebelt. Da sie mit Moritz und Trompo nichts anzufangen wußten,
banden sie ihnen kurzerhand die Mäuler zu. Trompo ließ alles mit sich ge­
schehen, während Moritz wütend nach seinen Peinigern schnappte, einen
Ärmel erwischte und knurrend daran zerrte. Ein Vermummter versetzte ihm
einen rohen Klaps hinter die Ohren, und daraufhin gab Moritz Ruhe; sehr zur
Beruhigung   der   Kinder,   die   bibbernd   zusahen   und   schon   um   sein   Leben
fürchteten. Erneut setzte sich der Karren in Bewegung. Er verließ einige Mi­
nuten später den Holperweg und rumpelte in ein Waldstück hinein. Die Sa­
che wurde immer rätselhafter. Nach weiteren zehn oder fünfzehn Minuten
Fahrt hielt die Kolonne an. Hastig und roh wurden die Gefangenen herausge­
hoben und unsanft auf den Waldboden geworfen. Zwei  der Vermummten
kümmerten sich um die Gespanne und führten sie tief in das Unterholz hin­
ein. Die anderen schlichen gebückt in die entgegengesetzte Richtung davon.
Sie waren bald nicht mehr zu sehen, aber Harpo wurde das dumme Gefühl
nicht los, daß sie dennoch in der Nähe waren.

Verzweifelt zerrten sie an ihren Fesseln. Ein Pech, daß Bharos nun nicht

mehr da war. Jetzt hätte er eine Chance gehabt, sich nacheinander an seine
Freunde  heranzumachen,   sie   zu   berühren   und   per   Teleportation  wegzu­
bringen.  Wahrscheinlich aber lag er jetzt irgendwo auf diesem Planeten im
Gras und versuchte, seine Fesseln abzuschütteln. Vielleicht gelang es Alex­
ander,   die   Stricke   mit   den   Zähnen  durchzunagen.  Wenn   der   Akkai   auch
teleportieren konnte – ein Entfesselungskünstler war er deshalb noch lange
nicht.

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Sicher   würde   Bharos   sein   Bestes   tun,   um   Lonzo   zu   finden.   Oder   ihren

Spuren folgen und einen Befreiungsversuch unternehmen. Alexander würde
bestimmt das letztere vorschlagen, denn wo es was zu raufen gab, konnte er
nicht fehlen.

Aber der Akkai und Alexander tauchten nicht auf. Statt dessen kehrten die

beiden Vermummten zurück, die sich um die Gespanne gekümmert hatten.
Auffällig war, daß sie auch jetzt stumm blieben. Sie verständigten sich entwe­
der durch Zeichen oder waren Telepathen wie Bharos.

Sie   schnürten   mehrere   Bündel   auseinander,   die   sie   vorhin   von   dem

anderen Wagen abgeladen hatten. Metall klirrte, und Harpo erkannte aus den
Augenwinkeln, daß es sich um Rüstungen handelte.

Stumm stiegen die Fremden in die Unterteile der Rüstungen und halfen

einander dabei, die Oberteile anzulegen. Zunächst rafften sie ihre Kutten nur
leicht   an,   dann   glitten   diese   zu   Boden.   Darunter   trugen   die   Wesen
enganliegende schwarze Anzüge, die bis zum Hals reichten. Nur die Schädel,
die Unterarme und Hände waren einen Moment lang unbedeckt. Flüchtig
konnte   man  narbenbedeckte,   runzlige,   tiefschwarze   Haut   erkennen.   Die
Köpfe der Fremden waren haarlos, aber im großen und ganzen wirkten sie
menschlich. Harpo glaubte auch, spitze Ohren gesehen zu haben, war sich
aber nicht absolut sicher.

Die Kutten wurden zu einem Bündel zusammengerollt. Dann griffen die

Fremden zu ihren Armbrüsten und wandten sich ihren Gefangenen zu. Sie
hatten Helme aufgesetzt und die Visiere  hinuntergeklappt.  Eigentlich sahen
sie jetzt noch finsterer und bedrohlicher aus als vorher.

Anca, Harpo und Trompo dachten schon, daß jetzt ihr letztes Stündlein ge­

schlagen   hätte.   Aber   ihre   Bewacher   beließen   es   dabei,   drohend   mit   den
Waffen   zu   gestikulieren.   Wahrscheinlich   wollten   sie   damit   zum   Ausdruck
bringen, daß Fluchtversuche zwecklos seien. Schließlich hängten sie sich die
Waffen um die Schultern und begannen, ihre Gefangenen noch tiefer in den
Wald hinein zu tragen.

Harpo und Trompo waren die ersten. Ihre Herzen klopften wild vor Angst.
Die Fremden  sahen  jetzt aus wie mittelalterliche Ritter, auch wenn ihre

Rüstungen eleganter und beweglicher wirkten als die, die man aus den Bü­
chern und Filmen der EUKALYPTUS­Bordbibliothek kannte. Man sah keine
sichtbaren   Scharniere   und   keine   unförmigen  Gelenkteile.  Irgendwie   er­
innerten die Rüstungen sogar ein bißchen an die Bodyskinanzüge der EUKA­
LYPTUS, wenngleich sie auch nicht so bequem zu sein schienen.

„Ein eigenartiges Metall“, dachte Harpo. Es schimmerte tiefschwarz.
Der unheimliche Ritter ließ ihn wieder auf den Boden fallen. Trompo er­

ging es genauso.

Dann gingen die Geharnischten zurück, um Anca und Moritz zu holen.
Harpo wälzte sich herum und spähte durch die Bäume. Nicht weit von hier

war eine Lichtung. Und plötzlich wußte er, wo sie waren: Dort, nur sechzig
oder siebzig  Meter  weiter, befand sich der Transmitter,  durch  den  sie auf
diesen Planeten gekommen waren! Deutlich erkannte er das Transmitterbild.

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Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Diese finsteren Wesen
waren gar nicht auf dieser  Welt zu Hause!  Sie kamen von einem anderen
Planeten und benutzten den Transmitter für ihre niederträchtigen Geschäfte
und Raubzüge!

Anca und Moritz kullerten neben ihm zu Boden. Anca hatte die Station

ebenfalls entdeckt und blinzelte Harpo zu.

Die Geharnischten ließen sich zu Boden gleiten und robbten bis an den

Rand der Lichtung heran. Reglos starrten sie den Transmitter an.

Der bunkerähnliche Unterschlupf, den die Leute des Erhabenen benutzten,

lag auf der anderen Seite.

Dort mochte es mehrere Wachen geben, aber sehen konnte man sie nicht.
Anscheinend machten sich die Geharnischten um die Wachen recht wenig

Sorgen. Zu Recht wohl, wenn man die Scheu der  Planetenbewohner  vor ih­
nen in Betracht zog. Und die Armbrüste waren den primitiven Lanzen der
Schneckengesichter garantiert überlegen.

Plötzlich ruckten die Körper der Geharnischten hoch. Das würfelförmige

Bild über der Plattform hatte sich verändert. Während vorher eine unwirtli­
che eisige Ebene zu sehen gewesen war, erkannte man jetzt eine weite Steppe
und darüber eine kleine, weiße Sonne.

Aber   die   Beobachter   sanken   uninteressiert   ins   Gras   zurück.   Harpo

verstand:   Sie   warteten   darauf,   daß   sich   ihre   eigene   Welt   in   dem   Trans­
mitterfeld abbildete. Hoffentlich dauerte das noch recht lange, denn je länger
sie hier lagen, desto größer wurde die Rettungschance.

Immerhin lag Lonzo nicht mehr gefesselt neben dem Transmitter. Sicher­

lich hatte er sich dem Erhabenen gegenüber inzwischen verständlich machen
können und ließ nach ihnen suchen.

Die Sonne stand bereits tief am Himmel, und die brütende Hitze war einem

kühlen   Wind   gewichen.   Bald   mußte   es   Abend   werden,   auch   wenn   damit
nichts gewonnen war. Die schwarzen Kreaturen waren wohl schlau genug,
den Schutz der Dunkelheit auszunutzen.

Plötzlich fuhren die Geharnischten wie elektrisiert hoch. Wieder war das

Transmitterfeld   umgekippt.   Es   zeigte   jetzt   einen   weißen   Strand   mit   den
anrollenden   Wogen   eines   Meeres.   Im   Hintergrund   wuchsen   unbekannte
Pflanzen.

Kein   Zweifel:   Das   war   ihr   Ziel.   Sie   robbten   zurück   und   schleiften   ihre

Gefangenen noch ein Stück näher an die Lichtung heran. Dann, nachdem
auch   die   drei   anderen   wieder   zwischen   den   Bäumen   aufgetaucht   waren,
traten zwei von ihnen herrisch auf die Lichtung hinaus.

Ihre Armbrüste zeigten drohend auf die Büsche, hinter denen die Leute des

Erhabenen das letzte Mal aufgetaucht waren. Die anderen Wesen schleppten
in   Windeseile   Harpo   und   Anca   als   erste   der   Gefangenen   zum  Trans­
mittertisch und legten sie davor ab.

„Lonzo!   Bharos!   Alexander!“   schrie   Harpo   verzweifelt,   aber   aus   seinem

Mund kam nur ein leises Murmeln. Der Knebel saß einfach zu fest.

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Wenn   nicht   bald   ein   Wunder   geschah,   waren   sie   für   immer  ausein­

andergerissen: Lonzo, Bharos und Alexander blieben auf dem Planeten der
Schneckengesichter, Anca, Trompo, Moritz und Harpo gerieten auf die unbe­
kannte Welt der Geharnischten – und Ollie befand sich irgendwo, wo man
ihn nie erreichen konnte.

Trompo   und   Moritz   wurden  herbeigetragen  und   sofort   auf   den   Trans­

mittertisch geworfen. Dann folgte Anca. Harpo wurde als letzter angehoben.

„Alles aus!“ dachte er mutlos.
Da regte sich Leben in den Büschen. Niemand anderer als Lonzo stürmte

an der Spitze einer mit Lanzen bewaffneten Armee heran.

„Elende   Schurken!“   schrie   Lonzo.   „Laßt   sofort   meine  heißgeliebten

Freunde los! Hätte ich mir doch gleich denken können, daß die Brüder in der
Nähe stecken! Loslassen, habe ich gesagt! Chissimatucki!“

Die Geharnischten schossen ungerührt einige Pfeile ab, die ihr Ziel jedoch

verfehlten. Dann sprangen sie mit Harpo in das Transmitterfeld.

Im letzten Moment sah Harpo Bharos und Alexander neben dem Trans­

mitter auftauchen. Sie hielten einander an den Händen und wuchsen förm­
lich aus dem Boden. Alexander schien schrecklich wütend zu sein, Bharos
wirkte aufgeregt wie nie zuvor.

Dann   gab   es   nur   noch   die   Schwärze   des   Tunnels,   der   Harpo   und   die

Fremden in eine andere Welt führte.

Revolte der Sklaven

Kaum daß sie angekommen waren, rissen harte Hände die Entführten von

der Plattform und warfen sie in den gelben Sand. Die Geharnischten ergriffen
ihre Armbrüste und richteten sie auf den leuchtenden Würfel.

„Vorsicht!“ wollte Harpo schreien. Er sah Bharos sich im gleichen Augen­

blick   materialisieren,   aber   der   Schrei   blieb   ihm   im   Halse   stecken.   Einen
bangen Augenblick lang sah er mit schreckgeweiteten Augen, wie einer der
Geharnischten auf Bharos anlegte und schoß. Aber der Pfeil – so gut er auch
gezielt sein mochte – traf nur ins Leere. Klirrend schlug er gegen das Metall
der Plattform. Bharos hatte sich bereits wieder in Luft aufgelöst.

„Huhu!“ rief er – und stand zwanzig Meter weiter im Sand. Die Schwarzen

fuhren herum, hoben ihre Waffen und drückten erneut ab. Ein Pfeilhagel pfiff
und segelte weit auf das Meer hinaus.

„Hier   bin   ich,   ihr  Deppen!“   rief   Bharos  jetzt   von   der   anderen   Seite  des

Transmitters her.

Seine   Unerreichbarkeit   schien   seine   Gegner   jetzt   zu   beunruhigen.   Sie

schossen erneut. Umsonst. Aber so leicht und elegant Bharos sich auch be­
wegte – es war ein ganz schön gefährliches Spiel.

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Wenn man fünf Gegner gleichzeitig im Auge behalten wollte, bedeutete das

ein großes Risiko.

Harpos Ohren registrierten ein schepperndes Geräusch. Sein Kopf wirbelte

herum, und er sah den guten alten Lonzo auf der Plattform stehen. „Folgt
dem Großen Shuubuu!“ schrie er winkend. „Wollt ihr wohl dem Großen Shu­
ubuu   folgen,  ihr  Feiglinge?“  Offenbar  hatte er  einige   Schwierigkeiten,  den
Erhabenen und dessen Leute dazu zu bewegen, auf die Plattform zu steigen.
Bei allem Respekt vor dem Großen Shuubuu – vor dieser Maschine hatten sie
wohl noch mehr Ehrfurcht.

„Dann   eben   nicht,   undankbare   Bande!“   grunzte   Lonzo.   „Ihr   seid   den

Großen Shuubuu gar nicht wert. Chissimatucki, jawoll! Nur die Piraten des
Captain Kidd haben es verdient, die Gesellschaft  des  Großen  Shuubuu  zu
genießen!“

Jetzt ließen die Geharnischten ebenfalls einen Pfeilhagel auf ihn los.
„Ha! Feindberührung!“ schmetterte Lonzo ihnen entgegen. Seine Fangar­

me wirbelten durch die Luft, suchten nach einem Ziel. Natürlich waren die
Pfeile wirkungslos von seinem metallenen Körper abgeprallt. Auch die zweite
Salve konnte ihm nicht das geringste anhaben.

„Aufhören, ihr  Konservendosenritter!“ schnaubte der Roboter und sprang

den Angreifern entgegen, was sie so verblüffte, daß sie hastig zurückwichen.
Die Tentakel  peitschten durch  den Sand und feuerten  ihn gegen die Rüs­
tungen der Feinde.

Schritt um Schritt zogen die Fremden sich zurück. Jetzt tauchte auch Alex­

ander auf der  Transmitterplattform  auf. In der rechten Pranke hielt er eine
Lanze. Er sah ziemlich grimmig aus. Offenbar hatte er so lange gewartet, bis
Lonzo die Fremden ein wenig zurückgetrieben hatte, ehe er auf den Trans­
mittertisch gestiegen war.

Bharos materialisierte urplötzlich unter den Zurückweichenden und stellte

einem ein Bein. Das Wesen fiel der Länge nach zu Boden.

„Hurra!“ donnerte Alexander und setzte sich wie eine Dampfwalze in Be­

wegung. Die Geharnischten begannen, offenbar in Panik, loszurennen. Der­
jenige, der gefallen war, sprang plötzlich vor, huschte an Lonzo vorbei, ergriff
Trompo und hielt ihn wie einen Schild vor sich.

Das kam so überraschend, daß niemand etwas dagegen tun konnte. Alex­

ander blieb stehen und hielt unschlüssig die Lanze in der Pranke, während
Bharos und Lonzo sofort ihre Attacken einstellten.

Schritt um Schritt zog der fünfte Geharnischte sich nun zurück und schloß

zu seinen Gefährten, die sich offensichtlich wieder etwas gefangen hatten,
auf.

Bharos nutzte die Zeit, um die Gefesselten blitzschnell zu befreien. Ruck,

zuck – schon fielen die Schnüre von Anca und Harpo ab.

„Puh!“ war Harpos erstes Wort, als er sich selbst den Knebel aus dem Mund

nahm.

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Er spuckte mehrmals in den Sand, um den muffigen Geschmack des Stoffes

von der Zunge zu kriegen. Dann rieb er seine steifen Glieder und wollte auf­
stehen.

„Unten bleiben!“ schrie Bharos. „Die Gefahr ist noch nicht vorbei!“ Moritz

machte „Wuff!“, zog aber genau wie Harpo und seine Schwester den Kopf ein
und schielte zu den Fremden hinüber.

„Das war Rettung in höchster Not“, flüsterte Harpo keuchend. „Wo habt ihr

denn so lange gesteckt?“

„Später“, sagte Bharos. „Erst mal sehen, was die Burschen vorhaben. Und

dann müssen wir Trompo retten.“

„Diese   Schufte“,   sagte   Anca   mit   tränenerstickter   Stimme.   „Keine   Sorge,

mein Schätzchen“, tröstete sie Lonzo. „Unseren Trompo kriegen wir schon
zurück!“

Die fünf Fremden sahen ihnen aus der Ferne zu. Sie schienen nicht recht

zu wissen, was sie tun sollten. Einerseits wollten sie wohl ungern auf ihre
„Beute“ verzichten, andererseits fürchteten sie anscheinend die schwierigen
Gegner Lonzo und Bharos.

Und Alexander, der so furchtlos wie ein Racheengel mit der Lanze in der

Hand   aus   dem   Transmitterfeld   gesprungen   war,   schien   ihnen   auch   nicht
ganz geheuer zu sein. Schließlich entschieden sie sich aber doch und zogen
ab. Sie bewegten sich langsam durch den Sand und waren bald hinter einigen
Schilfgewächsen verschwunden.

„Hinterher!“  schrie  Lonzo  rauf  lustig.  „Folgt  dem  Großen  Shuubuu,  wer

immer das auch sein mag!“

Alle rappelten sich auf und schlichen geduckt den Spuren der Fremdlinge

nach. Harpo fand einen von den Wellen angetriebenen Knüppel und wog ihn
prüfend   in   der   Hand.   Vielleicht   konnte   ihm   der   als   Waffe  dienen.   Moritz
führte sich auf, als sei er ein Wolf. Schließlich hielt er Trompo auch für eine
Art  Hund, und wenn  man  ihm  seine  Spielgefährten  raubte,  konnte er  arg
grantig werden.

„Es   hat   deshalb   so   lange   gedauert“,   berichtete  Bharos,   während   sie   die

Fremden verfolgten, „weil wir eine ganze Weile brauchten, bis wir einander
die Fesseln gelöst hatten. Alexander und ich sind dann mehrmals hin und her
teleportiert, bis wir endlich auf Lonzo und seine Anbeterschar stießen. Es war
ihm gerade gelungen, sich verständlich zu machen, aber erst mal erwischten
uns die Wächter des Erhabenen, weil sie uns für Attentäter hielten, die einen
Anschlag auf das Leben des Großen Shuubuu planten. Als Lonzo uns endlich
aus   dem   ganzen   Kuddelmuddel   herausgeholt   und   die   Lage   erklärt   hatte,
standen   wir   vor   der   Frage,   wohin   euch   die   schwarzen   Ritter   verschleppt
haben mochten.

Schließlich gab uns der Erhabene – der ist so eine Art Oberpriester bei den

Schneckengesichtern  –   einige   brauchbare   Informationen.   Er   kannte   die
Vermummten nämlich: Sie nennen sich Morr. Sie benutzen den Transmitter,
um von einer Welt in die andere zu gelangen. Für den Erhabenen sind sie
eine Art Dämonen. Wenn sie auf der Plattform erscheinen, hütet man sich

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davor, das Netz herabfallen zu lassen. Man läßt sie gewähren, zumal sie wohl
auch die Spielregeln einhalten. Meistens kaufen sie Sklaven und entführen
sie auf ihre eigene Welt. Es gab aber auch schon Kämpfe zwischen einzelnen
Morr und den  Transmitterwächtern.  Wahrscheinlich dann, wenn die Morr
die Rituale der Götzenanbeter störten.“

Sie hatten inzwischen die Buschkette erreicht und sahen die Gestalten der

fünf Morr in der Ferne.

„Ollie ist übrigens nicht auf der Welt der Schneckengesichter gewesen“, er­

klärte Lonzo. „Wenigstens hat mir das der Erhabene versichert.“  Er reckte
sich stolz. „Und den Großen Shuubuu wird er wohl kaum anlügen.“

„Na, Gott sei Dank!“ erwiderte Harpo. „Auch wenn das bedeutet, daß wir

Ollie weiterhin suchen müssen, ohne zu wissen, wo.“

Sie   stiefelten   weiter   durch   den   Sand   und   achteten   darauf,   jede   sich

bietende   Deckung   auszunutzen.   Schließlich   konnte   man   nicht   wissen,   ob
sich die Morr nicht anders besannen und auf ihre Verfolger schossen.

„Der Erhabene ist übrigens gleichzeitig der oberste Wächter der sogenann­

ten  Gottmaschine“,   führte   Bharos   weiter   aus.   „Außer   den   Morr   kommen
nämlich noch allerlei wilde Tiere und manchmal auch Eingeborene anderer
Planeten  mit  zottigen  Fellen  durch  das  Transmittertor.  Warum   das so ist,
weiß ich nicht. Vielleicht erregt eine Station irgendwo auf einer fremden Welt
regelmäßig die Neugier der Leute. Vielleicht wird irgendwo auch ein weiterer
Transmitter   angebetet,  gilt  vielleicht   als  Opferstätte  oder  als   Tor  zum   Pa­
radies? Wer weiß? Daß mal ein Wesen kam, das Ähnlichkeit mit Lonzo hatte,
muß sehr lange her  sein und auf einem Zufall beruhen.  So, wie auch wir
durch Zufall in diese Geschichte hineingeraten sind.“

Die Morr bewegten sich noch immer an der Küste entlang. Rechts von ih­

nen erhoben sich flache, mit spärlichem Grün bewachsene Hügel. Verein­
zelte knorrige Bäume mit violetten Blättern bildeten den Hintergrund. Ein
geierähnlicher, gefiederter Vogel flog krächzend über den Schaumkronen des
Meeres dahin. Offenbar suchte er nach Beute.

Die Küste öffnete sich jetzt zu einer engen Bucht. Und man konnte das Ziel

der   Geharnischten   erkennen.   Auf   dem   Wasser   dümpelte   ein   riesiges
schwarzes Schiff, wahrscheinlich aus Holz gebaut. Mehrere Dutzend unge­
wöhnlich   langer  Ruder  ragten   aus  runden  Löchern   in  der  Seitenwandung
heran. An Deck rührte sich nichts. Tiefschwarze Segel hingen schlaff von den
Masten.

„Eine Galeere!“ rief Harpo überrascht und legte eine Hand gegen die Stirn,

um besser in die Sonne sehen zu können. „Mensch, wir müssen was unter­
nehmen! Wenn die erst an Bord sind, sehen wir Trompo nie wieder. Vielleicht
befinden wir uns auf einer Insel und haben keine Gelegenheit, diesen Kahn
zu verfolgen!“

„Jetzt weiß ich auch“, sagte Anca laut, „was die Morr mit uns  vor hatten!

Wir sollten als Rudersklaven auf ihrem Schiff arbeiten. Harpo hat recht. Wir
müssen ...“

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„Aber   wie   denn?“   fragte   Alexander.   „Die   schießen   doch,   sobald   wir

angreifen!“

„Die einzige Chance“, sinnierte Bharos, „ist, daß wir den Überraschungs­

effekt   nutzen.   Die   werden   sicherlich   mit   einem   Boot   übersetzen   und   mit
keinem Angriff mehr rechnen. Vielleicht legen sie dann die Waffen beiseite.
Ich werde auf das Boot springen, mir Trompo schnappen und wieder abhau­
en.“

„O je, hoffentlich geht das gut“, meinte Anca.
„Der Große Shuubuu wird nicht zulassen, daß ihm auch nur einer seiner

Gläubigen entführt wird“, setzte Lonzo an, „und deswegen –“

„Pschschttt!“ machte Harpo und deutete auf das Schiff. Dort wurde jetzt

tatsächlich ein Boot zu Wasser gelassen. Man sah einen weiteren Geharnisch­
ten, dann noch einen. Mindestens zwanzig andere Gestalten liefen nun an
Deck herum. Sie trugen blanke Rüstungen und waren größtenteils kleiner als
die Schwarzen. Mit weithin hörbaren, quietschenden Geräuschen wurde das
Boot an Leinen ins Wasser gesenkt. Acht oder zehn Wesen mit blanken Rüs­
tungen stiegen ein und ruderten es zum Strand.

Als sie ihn fast erreicht hatten, ertönte von der Galeere her ein scharfer

Pfiff.

Hunderte von Gestalten, manche in blanken Rüstungen, andere aber unbe­

kleidet,   mit   Fetzen  und   seltsamen   Gewändern   bedeckt,   die  meisten  men­
schenähnlich, tauchten an Deck auf. Die beiden schwarzen Gestalten wollten
zu den Waffen greifen – jedoch: Es war zu spät. Sie wurden von den Fäusten
der anderen ergriffen und unter lautem Geschrei ins Meer geworfen. Die Be­
satzung des Bootes hatte sich auf den Pfiff hin erhoben und richtete Arm­
brüste auf die wartenden Morr am Strand. Schon zischten die ersten Pfeile
heran.

„Kneif mich!“ schrie Harpo Anca zu. „Ich glaube, ich spinne! Das muß ein

Sklavenaufstand sein!“

Die Morr duckten sich und wichen den Pfeilen aus. Plötzlich wandten sie

sich um und rannten davon. Ein Bündel wurde achtlos in den Sand geworfen.

Das mußte Trompo sein!
Die Leute von der EUKALYPTUS stimmten auf der Stelle in das von der Ga­

leere herüberdringende Gejubel ein und tanzten ausgelassen im Sand herum.

Eigentlich war das sehr unvorsichtig, und tatsächlich wurde die  Bootsbe­

satzung  auf sie aufmerksam. Aber dann legte das Boot an. Die Gestalten in
den blanken Rüstungen sprangen an Land und nahmen die Verfolgung der
flüchtenden   Morr   auf.   Bald   waren   sie   hinter   Büschen   und   Felsbrocken
verschwunden.

„Geht zurück!“ rief Bharos beschwörend. „Ich hole Trompo und rede mit

den Leuten. Es wäre bestimmt nicht gut, wenn wir mit der ganzen Horde da
auftauchen würden. Vielleicht halten sie uns auch für Dämonen. Auf jeden
Fall sind sie sehr erregt, da wird manchmal eher geschossen als gefragt!“

„Mir nach!“ trompetete Lonzo. „Bharos wird schon heil  rauskommen  aus

diesem Durcheinander!“ Die anderen ließen sich das nicht zweimal sagen

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und machten sich auf der Stelle auf den Rückmarsch zum Transmitter. Noch
ehe sie ihn erreicht hatten, tauchte Bharos wieder auf. Trompo saß auf seiner
Schulter, war bereits ohne Fesseln und piepste glücklich. Von den Morr war
weit und breit nichts mehr zu sehen.

„Nichts wie weg von hier“, sagte Harpo und fühlte zum ersten Mal, wie

müde er eigentlich  war. Wie lange hatten  sie nun  nicht  mehr geschlafen?
Neunzehn Stunden? Zwanzig? – Egal, es galt jetzt, Ollie endlich zu finden.
Schlafen konnte er anschließend, und wenn er wollte, sogar achtundvierzig
Stunden an einem Streifen.

Der  Transmitterwürfel  zeigte   augenblicklich   eine   schneebedeckte   Land­

schaft. Felsen und Berge. Einen eisblauen Himmel.

„Fertig?“ fragte Lonzo.
„Fertig!“ brüllten die anderen.
„Dann auf zur Schneeballschlacht!“
Sie stürzten sich in das Transmitterfeld hinein.

Die Entdeckung

Das erste, was Harpo spürte, als er auf dem Transmittertisch eintraf, war

schneidende Kälte. Der plötzliche Schock hatte den Körperwächter überrum­
pelt.   Im   nächsten   Moment   jedoch   floß   Energie   durch   die  Heizdrähte  des
Anzugs und vertrieb den Frost. Harpo rollte sich von der Plattform des Emp­
fängers in den Schnee hinein.

„Brrrrrrrrrrr“, schnatterte Lonzo und sprang hinterher. „Bei diesem Wetter

jagt man ja keinen Hund vor die Tür! Nur der arme Lonzo muß sich die Zehen
abfrieren! Außerdem spüre ich, wie es überall anfängt zu rosten.“ Er schlang
seine   Tentakel   um   die  Metallschultern,   als   würde   er   sich   damit   wärmen
können.

„Bautz!“   machte   Alexander   und   fiel   mit   dem   Hinterteil   voran   in   den

Schnee. Der Pulverschnee wirbelte auf, und einen Moment lang war nichts
mehr von Alexander zu sehen. Dann stieß er einen komischen Hilfeschrei aus
und begann, einen Abhang hinabzurutschen. Nichts, so schien es, konnte die
unfreiwillige Fahrt aufhalten.

„Rettung naht!“ trompetete Lonzo und hechtete hinterher. Sein runder Me­

tallkörper schien wie ein Schlitten durch den Schnee zu gleiten. Er sah ent­
fernt einer Rakete ähnlich. Anca, die gar nicht begriffen hatte, worum es ging,
sprang Lonzo jauchzend nach und zog Trompo mit sich. Der Roboter griff so­
fort mit den oberen Tentakeln nach den beiden und hielt sie fest. Dann ging
es mit wachsender Geschwindigkeit den Hang hinunter.

Alexanders Gebrüll war einem Jubeln gewichen. Er hatte wohl gemerkt, daß

ihm keine Gefahr drohte, und sah plötzlich nur noch den Spaß, den es mach­
te, über den Schnee zu gleiten. Für Späße dieser Art waren die Rotpelze auf

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dem Planeten Nordpol schließlich jederzeit zu haben. Alexander fühlte sich
an alte Zeiten erinnert.

Bharos und Harpo lachten, als sie Alexander, gefolgt von dem seltsamen

Lonzoschlitten mit Anca und Trompo, den Hügel hinabsausen sahen. Harpo
mußte an die erste Begegnung mit den Rotpelzen auf Nordpol denken. Laut
lachend  waren die zotteligen  Fellwesen  auf den dicken  Hinterteilen  jenen
Berg hinabgerutscht, der sich später als Schneekrabbler, ein riesiges, schild­
krötenähnliches  Lebewesen, entpuppte.  Flunki  und seine Raufbolde kamen
ihm in den Sinn – Zwerge, die in den Panzern der Schneekrabbler lebten, sich
unglaublich schnell bewegen konnten und auch beim Essen die Schnellsten
waren ... Wie mochte es ihnen allen in der Zwischenzeit ergangen sein: den
Rotpelzen, den Raufbolden, den  Schneekrabblern, dem  Weltraumarzt  Hugo
und natürlich den zurückgebliebenen Besatzungsmitgliedern der EUKALYP­
TUS? Aber dann fiel ihm Ollie ein, und er drängte die anderen Gedanken zu­
rück.

Während Alexander, Lonzo, Anca und Trompo vor Freude quietschend am

Fuße des Hügels angekommen waren und auf der Stelle mit einer Schnee­
ballschlacht begannen, konzentrierten Harpo und Bharos ihre Aufmerksam­
keit auf die nähere Umgebung. Der Dackel Moritz sah unschlüssig von einer
Gruppe zur  anderen,  entschied  sich  dann  aber für die  Schneeballschlacht
und schoß bellend den Hang hinab.

Lonzo   schaufelte   eifrig   Schnee   zusammen,   fand   jedoch   noch   Zeit,   um

nebenbei seine Meßergebnisse zu verkünden. Wer wollte, der konnte getrost
den Helm öffnen. Die Luft war gut und gesund – nur ein bißchen kalt.

Harpo schaute zu den nahen Bergen hinüber. Es handelte sich um einen

Gebirgszug mit verschneiten Gipfeln von gut dreitausend Metern Höhe. Nur
einzelne  Bergflanken  schimmerten graubraun aus dem Weiß hervor. Es gab
vereinzelte Bäume, die an Krüppelkiefern erinnerten, aber dreimal so groß
waren. Die nächsten davon waren nicht mehr als hundert Schritte entfernt
und schienen unter ihrer Schneelast förmlich zusammengesunken zu sein.

„Du bist uns noch eine Geschichte schuldig“, erinnerte Harpo den Akkai.
„Gewiß“, erwiderte Bharos. „Wir hatten richtig vermutet – es war ein Auf­

stand der Galeerensklaven gegen ihre Peiniger. Diese Sklaven gehörten ver­
schiedenen Rassen an. Das hat meine Mission erleichtert. Zwar griff man im
ersten Moment nach den Waffen, als ich aus dem Nichts heraus an Deck des
Schiffes auftauchte, aber dann gab man mir Gelegenheit, alles zu erklären.
Dabei erfuhr ich selbst eine Menge über die Sklaven, ihren Planeten und vor
allem über ihre grausamen Herren, die Morr. Das meiste davon las ich in ih­
ren Gehirnen, denn die Zeit war zu kurz, um alles zu erklären. Der Planet hat
eine Fülle von intelligenten Rassen hervorgebracht, die mehr oder weniger
friedlich nebeneinanderleben. Eine technische Zivilisation in unserem Sinne
kennt man nicht, sondern lebt noch ...“ – Bharos suchte in Harpos Gedächt­
nis nach einem Vergleich – „... wie auf der Erde vor zweitausend Jahren. Die
Morr jedoch stammen von einer anderen Welt. Niemand weiß mehr, wie sie
vor Hunderten von Jahren auf den Planeten gelangt sind – es gibt Sagen über

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einen   Kampf   mit   Fremden,   die   aus   dem   Himmel   kamen   und   zurückge­
schlagen wurden. Einige Morr müssen überlebt haben. Aber sie überstanden
den Kampf nicht unbeschadet. Eine unbekannte Strahlung fügte ihnen die
Narben zu, die wir gesehen haben – und zerstörte Teile des Gehirns. Offenbar
wurden sie dabei gleichzeitig langlebig,  grausam und gefühllos. Sie unter­
drücken   andere,   verbergen   ihre   Körper   unter   Rüstungen   und   Kutten   und
leben in riesigen Festungen. Ich glaube nicht, daß die Morr die Erbauer des
Transmitternetzes sind – aber sie sind in der Lage, etwas damit anzufangen.
Das ist alles, was ich erfahren habe.“

„Seltsame Wesen“, sagte Harpo. „Und beinahe wären wir ihnen zum Opfer

gefallen. Was mag das für eine Strahlung gewesen sein, der die Morr ausge­
setzt waren?“

„Vielleicht Radioaktivität?“ meinte Bharos. „Mag sein, daß es sich um einen

Unfall handelte. Oder sie wurden irrtümlich von ihren eigenen Leuten be­
schossen. Wir können nur Vermutungen anstellen.“

Ein polterndes Geräusch ließ Bharos und Harpo, die inzwischen ihre Hel­

me   abgenommen   hatten,   herumfahren.   Aber   es   war   nichts   Besorgniser­
regendes.   Von   den   Ästen   des  nächststehenden  Baumes   war   ein   Teil   der
Schneelast zu Boden gefallen.

„Puh!“ rief Harpo. „Wenn man sich über die Morr unterhält, glaubt man

überall Gespenster zu sehen.“

Es  war   so  kalt,  daß   sich  beim  Sprechen   kleine  Nebelwölkchen  vor  dem

Mund bildeten, aber vorerst dachte keiner daran, die klare Luft wieder durch
einen aufgesetzten Helm auszusperren.

Bharos sah sich suchend im Schnee um und meinte: „Wenn der Kleine hier

gelandet ist, dann sind seine Fußspuren natürlich längst zugeweht und zuge­
schneit.“

Harpo nickte. „Und wenn wir nicht bald einen Unterschlupf finden“, sagte

er und deutete zum Himmel, „dann schneien wir selbst ein. Sieh dir nur diese
dicken Schneewolken an!“ Bharos ging zum Transmitter zurück und betrach­
tete ihn. Eine nachtschwarze Welt ohne erkennbare Konturen zeigte sich im
Bildwürfel.

Bharos untersuchte den Schnee in der Nähe des Gerätes. „Aha“, sagte er

dann zufrieden. „Ruinen. Der Transmitter stand nicht immer im Freien.“ Er
scharrte mit den Händen und legte ein Stückchen Beton frei, aus dem Reste
von Eisenstangen ragten.

„Ein unbeschädigtes Gebäude wäre besser“, sagte Harpo. „Das Ding fängt

ja schon an zu rosten.“ Er zeigte auf braunrote Flecken an der Unterseite des
Transmittertisches.

„Jemand hat es abgerissen, oder es ist einer Lawine zum Opfer gefallen“,

überlegte Bharos laut. „Seltsam nur, daß der Transmitter nicht  beschädigt
wurde.“ Er hielt inne, überlegte und fuhr dann fort: „Das wird mit dem Feld
zu tun haben; es scheint gleichzeitig ein Schutzdach zu sein. Siehst du? Es
liegt kein Schnee auf der Platte. Er wird vom Feld abgefangen.“

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„Müßte  er   nicht   trotzdem   eingeschneit   sein?“   fragte   Harpo.   „Normaler­

weise schon“, gab Bharos zurück. „Aber der Standort wurde wahrscheinlich
absichtlich auf der Kuppe des Hügels gewählt, um das zu verhindern. Und
außerdem strahlt der Transmitter eine gewisse Eigenwärme ab, die Schnee­
verwehungen schnell abtauen läßt.“

In diesem Moment ertönte unten am Abhang ein vielstimmiger Schrei. Die

Schneeballschlacht hatte ein Ende gefunden, und jetzt hüpften Anca, Alex­
ander und Lonzo wie die Wilden auf und ab. Sie schrien und winkten. Im
gleichen Moment, als Trompo ebenfalls  lospiepste, erkannten auch Bharos
und Harpo, was die Schreier beabsichtigten: Sie wollten auf sich aufmerksam
machen. Denn in der gut zwei Kilometer entfernten Ebene bewegte sich in
rascher Fahrt ein Fahrzeug dahin, das man eigentlich nur als Motorschlitten
bezeichnen   konnte.   Die   Sonnenstrahlen   gleißten   auf   einer   abgeflachten,
halbkugelförmigen  Kuppel.  Harpo   glaubte  sogar,  zwei  Gestalten  unter  der
Kuppel ausmachen zu können. Das Fahrzeug nahm einen halsbrecherischen
Zickzackkurs zwischen Felsnadeln hindurch und entschwand schließlich aus
dem Blickfeld.

Bharos erhielt einen begeisterten Schlag auf die Schulter. Das war Harpo.

„Dieser Planet ist bewohnt!“ schrie er. „Bewohnt! Juchhuuu! Und ich möchte
wetten,  daß wir es diesmal nicht  mit  Sklavenhändlern  zu tun bekommen!
Wenn Ollie hier aufgetaucht ist, sitzt er vielleicht schon lange in einem Unter­
schlupf am warmen Feuer.“

Obwohl das Verschwinden des Schlittens die Freude ein wenig gedämpft

hatte,  waren   die  Freunde   durch   die   Neuigkeit   in   helle  Aufregung   versetzt
worden. Eigentlich hatte man eher gemeint, diese Schneewelt sei ohne Leben
und damit nur eine kurze Episode bis zum nächsten Transmittersprung. Jetzt
sah die Sache natürlich anders aus.

Harpo raste den Abhang hinunter, rutschte schließlich aus und landete in

einer gewaltigen Schneewolke am Fuße des Hügels. Bharos ging vorsorglich
gleich in die Hocke und rutschte wie Alexander auf dem Hosenboden in die
Tiefe. Lachend rappelten sie sich unten wieder auf.

Sofort wurden die Neuankömmlinge mit einem Wortschwall überfallen.
„Habt ihr das auch gesehen?“
„Einwandfrei – das war ein Schlitten!“
„Wer hätte das gedacht!“
„Ob die Schlittenfahrer wissen, wo Ollie steckt?“
„Laufen wir ihnen nach?“
„Aber warum sind sie weitergefahren? Warum haben sie nicht angehalten?“
Lonzo fuchtelte mit den Tentakeln herum und schmetterte:
„Warum,   warum!   Weil   sie   vor   dem   Großen   Shuubuu   Angst   haben!   Zu

Recht! Ich werde sofort etwas unternehmen, um die ungläubigen Bewohner
dieses Planeten zu bekehren. Ich mache euch alle zu Generälen des Großen
Shuubuu!“

„Nichts da!“ knurrte Alexander. „So was tun wir nicht.“

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„Na gut“, lenkte Lonzo ein. „Ist mir eigentlich auch lieber, wenn ihr meine

Matrosen bleibt. Aber trotzdem haben die Galgenvögel ... äh, die lieben Leute
auf dem Schlitten Angst vor mir gehabt! Ich weiß es! Als ich noch mit Captain
Kidd auf Kaperfahrt ging, machten die feindlichen Piraten auch immer in die
Hosen, wenn sie mich nur an der Reling auftauchen sahen ...“

Anca   unterhielt   sich   inzwischen   mit   Bharos.   „Hast   du   etwas   in   ihren

Köpfen gelesen?“ wollte sie neugierig wissen.

Bharos nickte zögernd. „Na ja“, sagte er. „Ich konnte die Gehirnströme von

zwei denkenden Lebewesen erkennen.“

„Darauf wäre ich auch selbst gekommen“, unterbrach ihn Lonzo sehr vor­

laut. „Schließlich habe ich noch nie gesehen, daß Tiere einen Schlitten len­
ken.“

„Haben sie an etwas Bestimmtes gedacht – vielleicht sogar an Ollie?“ wollte

Harpo wissen und hampelte nervös von einem Bein auf das andere.

Jetzt redeten alle durcheinander und deckten Bharos derart mit Fragen ein,

daß er sich lachend die Ohren zuhielt.

„Nicht so stürmisch, nicht so stürmisch!“ rief er. „Denkt doch bitte daran,

daß   ich   nicht   nur   eure   Stimmen,   sondern   auch   noch   eure   sich   über­
schlagenden Gedanken höre. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was das für
ein Gefühl ist!“ Wenn sie ihre Gedanken schon nicht abstellen konnten, so
schwiegen  sie doch  zumindest. Alle Blicke  saugten  sich erwartungsvoll  an
Bharos’ Lippen fest.

„Also“, sagte Bharos gemächlich und lächelte über so viel Aufmerksamkeit.

„Um das Wichtigste vorwegzunehmen: Über Ollie habe ich nichts erfahren.
Die Schlittenfahrer schienen so etwas Ähnliches wie Postboten und zu einer
Station unterwegs zu sein, die ziemlich weit von den anderen bewohnten Ge­
bieten entfernt liegt. Und was konkret die Unterhaltung der beiden betrifft,
so erzählte der eine dem anderen gerade einen Witz.“

„Einen Witz?“ fragte Alexander erstaunt.
„Einen Witz?“ echote die versammelte Mannschaft.
„Unglaublich!“ krähte Lonzo. „Ja, haben denn diese Beamten überhaupt

keine Arbeitsmoral? Während der Dienstzeit erzählen sie sich Witze? Unge­
heuerlich, fürwahr!“

„Bei Captain Kidd“, flachste Anca, „hätte es so was nicht gegeben.“
„Im Gegenteil“, konterte der Roboter. „Schließlich war Captain Kidd kein

Beamter,   mein   Schätzchen.   Vielmehr  haßte  er   die   Beamten,  Behörden­
schreibtische und Dienststunden wie die Pest!“

Harpo wurde plötzlich ganz weiß im Gesicht, weil ihm ein ungeheuerlicher

Verdacht kam. Im nächsten Moment spürte er, wie ihm das Blut in den Kopf
schoß und ihn tomatenrot leuchten ließ. „Sag mal“, stotterte er. „Bharos ...
äh... bist du sicher, daß diese Leute zu einer abgelegenen Station unterwegs
waren?“

„Ganz sicher“, sagte Bharos und nickte bekräftigend mit dem Kopf. „Sie

freuten sich beide darauf, bald wieder einmal die Beine unter einem Tisch
ausstrecken   und   ein   würziges   Süppchen   schlürfen   zu   können.   Den   einen

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plagten übrigens Zahnschmerzen, und er freute und fürchtete sich zugleich
vor der Ankunft auf der Station, weil es dort wohl einen Zahnarzt gibt.“

„Tätterätääää!“ trompetete Lonzo und hechtete in den Schnee. Jetzt klang

seine Stimme ganz dumpf und hohl unter der Schneedecke hervor. „Ich weiß
es! Ich weiß es! Hihihihihi! Mal sehen, wer als nächster drauf kommt!“

Alexander starrte verdutzt Lonzo an, der sich gerade wieder auf rappelte.

„Was fehlt dir denn? Oder bin ich blöd? Warum sollen die hier keinen Zahn­
arzt haben?“

„Find’ ich aber auch!“ sagte Anca. Lonzo gluckste in sich hinein.
„Weiter, weiter!“ drängte Harpo. „Woran dachten die beiden ... Postboten ...

noch?“

„Nun ...“ Bharos suchte nach Worten und widerstand der Versuchung, in

Harpos Gedanken nachzuforschen, um seiner Unruhe auf die Spur zu kom­
men. „Das war eigentlich schon alles. Ich kann höchstens noch den Witz er­
zählen. Soll ich? Also gut, es ging dabei um einen gewissen Rastus, der ...“

Weiter kam er nicht.
„Ha!“ schrie  Harpo  und   machte   einen  Luftsprung.  „Ich  werd’  verrückt!“

sagte Anca und ließ sich der Länge nach in den Schnee kippen.

„Das gibt es doch nicht!“ japste Trompo. „Juchhu!“
Jetzt   konnte   Bharos   nicht   länger   widerstehen.   Er   las   die   Gedanken   der

anderen, die sowieso schon wie eine Woge gegen sein Gehirn schwappten.
Ein Leuchten wanderte über seine Züge.

Anca ergriff Lonzos Tentakel, der schnappte sich den Rüssel des kleinen

Trompo und Harpos Hand. Harpo packte Bharos.

Alle bildeten einen Kreis um Alexander und tanzten ausgelassen um ihn

herum. Moritz fegte wie ein Wirbelwind von einem zum anderen und bellte
sich heiser.

„Was habt ihr denn alle?“ rief Alexander. „Was ist denn in euch gefahren?

Sagt mir doch, was euch fehlt. Vielleicht finden wir in der Reiseapotheke ein
Mittel dagegen ...“

„Ja, weißt du  denn  immer noch nicht, wo wir  sind?“ quäkte Lonzo und

bespritzte mit seinen freien Tentakeln den jungen Rotpelz mit Schnee. „Auf
Nordpol! Wir sind auf deinem Heimatplaneten gelandet!“

„Da­da­das glaub’ ich nicht!“ stotterte Alexander. Nach einer Weile fuhr er

fort: „Aber  der Schnee ... der  Motorschlitten  ... Rastus ... etwa Rastus, der
Raufbold??! Hurrrrraaaaaaaa!“

Endlich ein Lebenszeichen!

Verständlicherweise herrschte helle Aufregung. Alle riefen durcheinander

und versuchten, sich gegenseitig lautstark an die Abenteuer auf dem Planeten
Nordpol zu erinnern.

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Nordpol war der erste Planet, den die von den Weltraumärzten nur not­

dürftig   reparierte   EUKALYPTUS   erreicht   hatte,   nachdem   das   Schiff   durch
eine Katastrophe in die Weiten des Weltraums gerissen worden war. Heilfroh
darüber, eine neue Heimat gefunden zu haben, blieben die meisten Kinder
auf Nordpol zurück, als die EUKALYPTUS zu neuen Abenteuern startete. Kein
Wunder,  denn sie hatten  Freunde  gefunden.  Da waren  einmal  Alexanders
Leute, die gutmütigen Rotpelze, zum anderen jene lustigen Zwerge, die sich
selbst Raufbolde nannten.

Als Bharos von einer Station mit einem Zahnarzt erzählte, hatte Harpo be­

reits Verdacht geschöpft. Er mußte unwillkürlich an den Weltraumarzt Hugo
denken,   der   eine   medizinische   Station   auf   Nordpol   unterhielt.   Sie   selbst
waren auf dieser Station gewesen. Station – Zähneziehen – Motorschlitten –
Schneewelt ...  Alles paßte zusammen, hatte Harpo überlegt. Oder konnte es
so viele Zufälle auf einmal geben? Andererseits wollte es ihm nicht in den
Kopf, daß unter Tausenden von möglichen Planeten ausgerechnet Nordpol
an das  Transmitternetz  angeschlossen sein sollte. Bei ihrem Aufenthalt auf
dem  Schneeplaneten  hatten sie nichts davon bemerkt. Aber der Planet war
groß, und sie kannten eigentlich nur einen winzigen Teil davon.

Als  der  Name  Rastus  fiel, konnte   es  keinen   Zweifel  mehr  geben.  Zu   oft

hatten   sie  diesen   Namen   bei   den   Raufbolden   gehört,   denn   er   tauchte  als
Phantasiefigur immer wieder in ihren Witzen auf.

So unglaublich es allen erschien: Sie waren wieder dort, wo ihre Abenteuer

begonnen hatten. Vielleicht würden sie schon in wenigen Stunden den zu­
rückgebliebenen Freunden von ihren tollen Erlebnissen berichten können.
Das würde  eine  Wiedersehensfeier  geben!  Namen und Gesichter  tauchten
auf:  Fantasia  Einstein,  Lori Powitz, Lucky  Cicero   und  Fidel  Flottbek.  Babs
Monroe, ein geheimnisvolles Mädchen, das als blinder Passagier an Bord des
Raumschiffes   gefunden   wurde   und   kaum   etwas   über   sich   selbst   erzählen
konnte, weil es das Gedächtnis verloren hatte. Daniel Locke, der im  Kälte­
schlaf gelegen hatte, weil er auf der Erde an einer gefährlichen Krankheit hät­
te sterben müssen. Der Weltraumarzt Hugo konnte ihm helfen, und Daniel
half ihnen. Seiner Hilfe vor allem war es zu verdanken, daß die EUKALYPTUS
wieder voll funktionsfähig wurde.

Der kleine Trompo tanzte besonders vergnügt herum. Kein Wunder, denn

auf der Station des  Weltraumarztes  gab es ein weiteres Wesen seiner Rasse,
das Hugo bei seiner Arbeit half. Er freute sich sehr darauf, es wiederzusehen.

Alexander schwelgte schon jetzt in seliger Vorfreude. Seine Leute würden

staunen,   ha!  Noch   nach  Jahrzehnten   würde   man  von   ihm  erzählen:   Alex­
ander, der erste Rotpelz im All. Alexander, der Tollkühne.

Alexander, der Erbe des Universums ...
Es wurde wirklich Zeit, ihn auf den Schneeteppich zurückzuholen!
„Deine Leute werden dir die Bärenhaut über den Kopf ziehen, wenn sie hö­

ren, daß du auf den kleinen Ollie nicht  aufgepaßt  hast“, meinte Lonzo und
ließ ein schepperndes Lachen hören. So ernst war das nicht gemeint, aber es
erfüllte den Zweck. Alexander wandte sich wieder den Alltagsproblemen zu.

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Wenn sie auch auf Nordpol waren – Ollie hatten sie damit noch lange nicht
gefunden.

„Wenn wir nicht bald etwas unternehmen“, klagte Lonzo, „werden wir uns

in dieser Bärenkälte noch was abfrieren.“

„Du kannst dir ja gar nichts abfrieren!“ rief Anca lachend, und die anderen

fielen mit ein.

„Bin nicht so sicher“, krähte der Roboter. Ernster fügte er hinzu: „Nehmt

euch  einen weisen Spruch von Captain Kidd zu Herzen.  Der pflegte  nach
Schiffbrüchen immer zu sagen: ‚Erst mal sehen, wo es was zu futtern und ein
Fäßchen Rum gibt. Dann eine Unterkunft suchen und ein warmes Feuerchen
anzünden. Und schließlich eine Flaschenpost absenden, damit die anderen
Piraten wissen, wo wir stecken‘“

„Nun mal langsam“, meinte Harpo. „Wenn wir unsere Anzüge schließen,

müssen wir nicht frieren. Und zu essen ist auch noch genügend ...“

„Papperlapapp!“ rief Lonzo dazwischen. „Ein Feuer ist viel gemütlicher!“
„Aber was ist mit der Flaschenpost?“ fuhr Harpo fort.
„Flaschenpost?   Wieso   Flaschenpost?“   warf   Bharos   ein.   „Na,   ihr   seid

vielleicht gut!“

„Wieso denn?“ fragte Lonzo. „Die Flaschenpost ist längst unterwegs. Ich

habe den Peilton meines Senders modifiziert und per Morsealphabet eine
Botschaft   an   Schwatzmaul   gefunkt.   Die   Matrosen   auf   der   EUKALYPTUS
wissen jetzt Bescheid. Die haben nach dem letzten Transmittersprung doch
längst wieder meinen  Hyperfunksender  angepeilt. Mag sein, daß Schwatz­
maul mit Hilfe der Sternkarten auch allein herausgefunden hätte, daß wir auf
Nordpol stecken. Aber so ist es sicherer. Ihr wißt ja, daß der alte Blechhaufen
nicht zu den Schlauesten im Universum zählt.“

„Lonzo, du bist gemein!“ schimpfte Anca.
„Aber die Idee mit dem veränderten Peilton war sehr gut“, lobte Harpo.
„Trotzdem“,   knüpfte   Alexander   an   den   Vorschlag   des   Roboters   an,   „ein

warmes Plätzchen würde sogar mir jetzt gefallen ...“

„Ich sehe mich mal in der Gegend um“, sagte Bharos. „Bleibt bitte in der

Nähe des Transmitters, damit wir uns nicht verlieren.“

Im nächsten Moment war er verschwunden, tauchte in der Ferne wieder

auf und verschwand erneut. Bharos setzte seine Teleportationskräfte ein.

Kaum war der Akkai fort, wandten sich die anderen dem Problem Ollie zu.
„Was hättest du getan, Alexander“, fragte Harpo den Rotpelz, „wenn du an

Ollies Stelle hier gelandet wärst? Ohne Schutzanzug und ohne Verpflegung!“

„Nun ... ich ...“ Alexander zupfte nachdenklich an seinem Brustfell herum.

Dann warf er einen Blick auf den Transmitter. „Vielleicht hätte ich zunächst
an   dem   Gerät  herumgefummelt,   um   zu   sehen,   ob   man   es   nicht   steuern
kann.“

„Falsch!“ unterbrach ihn Anca triumphierend. „Du hättest dir überlegt, daß

ein Rumfummeln am Transmitter zum Abschalten oder zur Zerstörung füh­
ren könnte. Also wären deine Finger hübsch ruhig geblieben!“

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Alexander brummte vor sich hin. „Ähhh ... zugegeben“, gestand er schließ­

lich ein. „Ich hätte gewartet. Auf euch!“ „Es ist aber kalt“, erinnerte Harpo.
„Du   frierst   und   hast   Hunger.   Und   deine   Freunde   kommen   und   kommen
nicht. Würdest du immer noch im Schnee hocken und warten? Denk daran,
daß Ollie kein natürliches Fell hat wie du.“

Alexander überlegte. „Na ja, irgendwann würde ich mir dann doch wohl

einen Unterschlupf suchen. Eine Höhle oder so was. He, ich würde mir einen
Iglu bauen!“

„Und das wäre alles?“ fragte Harpo.
„Nö“, sagte Alexander. „Eine Nachricht würde ich natürlich hinterlassen,

damit ihr wißt ...“

„Das ist es!“ Anca klatschte in die Hände. „Und Ollie hätte bestimmt genau­

so gedacht! Wir müssen jetzt nur noch ein bißchen suchen, dann ...“

„Wenn man dich so hört, denkt man, Ollie müßte auf jeden Fall hier ge­

wesen sein“, sagte Harpo.

„Miesmacher!“ antwortete Anca, lief als erste zum Transmitter und begann,

nach   Ollies  Botschaft  zu   suchen.   Die  anderen   folgten   ihrem   Beispiel   und
strengten sich genauso an.

Im Leuchtkubus über dem Transmittertisch war jetzt eine Felsklippe direkt

am Rande eines sturmgepeitschten Meeres zu sehen. Schneeflocken aus dem
Himmel des Planeten Nordpol versuchten, in die fremde Landschaft einzu­
dringen, zerschmolzen aber sofort beim Eintauchen in das Transmitterfeld.
Die blanke Fläche des Tisches war makellos und eben; auch das schärfste
Auge vermochte darauf keinen Kratzer zu entdecken, geschweige denn eine
eingeritzte Botschaft. Aber wenn man es genau nahm, konnte Ollie dort auch
keine Nachricht hinterlassen haben, weil ihn jedes Eintauchen in das Trans­
mitterfeld neuerlich in Gefahr gebracht hätte.

Der dicke Rand der Platte und der kastenartige Aufbau schienen für einen

solchen Zweck eher geeignet zu sein. Aber: nichts.

Als  Harpo   versuchte,  mit  dem Taschenmesser  das  Metall   zu  zerkratzen,

hatten sie immerhin den einen Trost, daß die fehlende Botschaft kein Beweis
war: Das Metall ließ sich nicht zerkratzen. Selbst dort, wo sich Rost angesetzt
hatte, konnte die Messerklinge nichts ausrichten.

Schon wollte Harpo entmutigt aufgeben, als ihm schlagartig etwas einfiel.

„Wir haben den Deckel des Kabelkastens vergessen!“ rief er mit neu erwa­
chender Hoffnung.

„Ach, der besteht doch nur aus den Plastiknoppen ...“
Anca brach ab, als ihr einfiel, daß man in Kunststoff leichter etwas einritzen

konnte als in Metall.

Bereits auf Dragon hatten sie entdeckt, daß die Oberseite des Kastens aus

Kunststoff  bestand   und  einzelne   Noppen  verschiedenfarbig   aufleuchteten,
wenn das Transmitterfeld wechselte.

Aber   die   Hoffnung,   damit   den   Steuerungsmechanismus   gefunden   zu

haben, war schnell der Erkenntnis gewichen, daß es zwar verschiedenfarbige
Lichter, jedoch keine Steuerungselemente gab.

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„Hepp!“ rief Alexander, packte kurzerhand Anca und setzte sie auf seine

Schultern. Aus dieser Höhe konnte Anca auf den Kasten hinunterblicken.

„Hmm“,   machte   sie.   „Das   sieht   irgendwie   ...,   was   ist   das   denn?   ...   Fast

könnte man glauben, daß ... Er war hier! Er war wirklich hier! So ein pfiffiges
Kerlchen!“ Die letzten Sätze hatte sie derart laut  herausgeschrien, daß Alex­
ander vor Schreck beinahe die Balance verlor.

„Was ist denn hier los?“ fragte Bharos und tauchte neben Alexander aus

dem Nichts auf. Ancas Erregung hatte ihn herbeieilen lassen. „Unglaublich“,
flüsterte er, als er Ancas Gedanken las. „Unglaublich.“

„Was ist denn so unglaublich?“ knurrte Alexander und stampfte mit dem

Fuß auf. Gleichzeitig setzte er seine Last wieder auf den Boden.

„Er hat wirklich eine Nachricht hinterlassen!“ rief Anca keuchend. „Er ist

hinaufgeklettert und hat es getan!“

„Ja, was hat er denn getan, zum Donnerwetter?“ explodierte Harpo.
„Ihr müßt das selber sehen! Er hat mit einem spitzen Gegenstand einzelne

Noppen zerschlagen und auf diese Art Buchstaben zusammengesetzt.“

Jetzt hielt es Alexander nicht mehr länger aus. Er suchte nach einem Halt,

fand   ihn   auf   einem   dicken   Kabelende,   das   in   den   Kasten  hineinlief,   und
stemmte sich hoch. „Ha!“ schrie er begeistert. „Der Ollie! Kaum zu glauben,
auf was für Ideen der kommt!“

Dann ließ sich Alexander in den Schnee plumpsen und half den anderen

nach   und   nach   gutmütig   auf   seine   Schultern.   So   konnten   schließlich   alle
Ollies Werk bewundern. Die Nachricht lautete: OLLIE HILFE !

„Ja, da wird ja sogar der Kabeljau in der Pfanne verrückt!“ jubelte Lonzo

und schlug mit seinen Tentakeln ein Rad. „Aber wo steckt der Wicht? Ollie ...
Schiffsjunge Oliver ... Wo steckst du???“

„Nicht so laut, nicht so laut!“ wehrte Bharos lachend das Geschrei ab. „Er

ist bestimmt nicht in der Nähe, sonst hätte er sich schon längst gemeldet.
Aber ich habe auch eine gute Nachricht.“ Er holte erst einmal tief Luft und
fuhr dann fort, dabei auf einen der fernen Berggipfel zeigend: „Dort oben war
ich   und   habe   die   gute   Aussicht   genutzt.   Es   gibt   in   der   Nähe,   vielleicht
zwanzig Kilometer entfernt, ein Tal, in dem ein riesiger Iglu steht. Ich konnte
sogar einige Gestalten erkennen, die sich in der Nähe des Baus bewegten.“

„Hurra!“   schrie   Alexander.   „Meine   Leute!“   Er   begann   sofort  loszurasen,

bremste jedoch nach zehn Metern ab und kam mit hängenden Ohren zurück.
„Ist wohl ein bißchen weit bis dahin“, brummte er.

„Ach wo“, gab Bharos zurück. „Jedenfalls nicht, wenn man teleportiert. Ich

bringe euch alle hin, Alexander zuerst!“

Mit Einzelheiten hielt sich Bharos nicht lange auf. Alexander kam nicht ein­

mal  dazu, ein erneutes „Hurra!“  zu brüllen.  Bei  „Hu...“  war  Bharos  schon
neben ihm, und beide verschwanden.

Harpo   folgte   als   nächster.   Die   Umgebung   veränderte   sich   von   einem

Moment zum anderen. Dann stand er in einer weiten, weißen Talebene, und
direkt vor ihm ragte einer jener riesigen Schneeiglus auf, wie er sie vor langer
Zeit auf diesem Planeten kennengelernt hatte.

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Der Iglu war etwa fünfzig Meter hoch und besaß einen  tunnelähnlichen

Einstieg, der direkt in die Richtung der Neuankömmlinge zeigte.

Vier Rotpelze hatten den Bau gerade verlassen, kehrten ihnen die Rücken

zu   und   hopsten   mit   geschulterten   Angelruten   einen   Weg   entlang,   der   zu
einem zugefrorenen See in der Nähe führte. Sie schienen in ausgelassener
Stimmung zu sein. Am See sah man weitere Rotpelze, die damit beschäftigt
waren, Fische in geflochtene Körbe zu werfen. Offenbar war heute der große
Angeltag.

Harpo mußte daran denken, daß die Raufbolde die Rotpelze gelegentlich

Faulpelze nannten, weil sie am liebsten solchen Beschäftigungen wie Rodeln
oder   Schnarchen   nachgingen.   Daß   diese   Bezeichnung   –   die   auch   mehr
augenzwinkernd ausgesprochen wurde – ungerecht war, konnte man hier se­
hen.

Alexander zappelte nervös herum. Am liebsten wäre er auf der Stelle ju­

belnd losgerannt, aber dann wartete er doch, bis die letzten seiner Freunde
von Bharos herbeigebracht worden waren. Es waren Trompo und Moritz.

„Nun   mal   los,   Dicker!“   flüsterte   Harpo,   der   genau   wußte,   was   in   dem

jungen Rotpelz vorging, und knuffte ihn in die Seite.

„Huchhuuuuu!“   brüllte   Alexander   und   jagte   los.   Weit   kam   er   nicht.   Er

rutschte aus und landete kopfüber in einer mächtigen Schneewehe. „Grum­
mel, grummel“, machte er. Irgendwie hatte er den Eindruck, daß dieser Sturz
nicht so recht in das Bild eines tollkühnen Weltraumhelden passen wollte.

Bis dahin waren die Freunde von der EUKALYPTUS unbemerkt geblieben.

Bei Alexanders Jubelruf wandten sich jedoch gleich mehrere Köpfe zu ihnen
hinüber.

Von der anderen Seite des Iglus kam ein ganzes Rudel Rotpelzkinder näher,

erst ein bißchen ängstlich, dann aber mit lachenden Gesichtern. Quietschend
folgten sie Alexanders Beispiel und warfen sich kameradschaftlich zu ihm in
den Schnee.

Prustend kam Alexander wieder auf die Beine. „Ich bin wieder da!“ schrie er

in seiner Muttersprache. „Hört ihr – Alexander ist zurückgekehrt!“

Von allen Seiten liefen jetzt Rotpelze herbei. Selbst die Angler ließen ihre

Angeln fallen und eilten zum Iglu. So ein Ereignis gab es schließlich nicht je­
den Tag. Das mußte gefeiert werden!

Die   Rotpelzkinder   beäugten   inzwischen   neugierig   Harpo   und   seine

Freunde.

Besonders Lonzo hatte es ihnen angetan.
Ollie war nicht unter den Herbeieilenden. Lonzo hob seine Tentakel wie ein

Dirigent und gab das  Einsatzsignal.  „Ollie! Olllllliiiiiieeeee!“ schrien alle aus
Leibeskräften.

Ein wildes  Indianergeheul antwortete aus dem Iglu. Der Schnee knirschte

unter  dahinrasenden  Stiefelsohlen.  Dann schoß der so lange Gesuchte aus
dem Eingangstunnel. Er mußte geschlafen haben. Das Haar stand ihm strub­
belig vom Kopf ab, und die schlaftrunkenen Augen waren weit aufgerissen.

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„Is’  nich’  wahr! Kann  nich’  wahr sein!“  krähte er. Im nächsten Moment

teilte er Alexanders Schicksal, rutschte aus, überschlug sich und schlitterte
auf dem Hosenboden auf seine vor Freude auf und ab hüpfenden Freunde
von der EUKALYPTUS zu.

Mit weit ausgestreckten Armen und kullernden Freudentränen landete der

Kleine in Ancas Armen und plärrte: „Daß ich euch endlich wiederhabe! Hu­
huhuhuhuhuuuuu! Und ich hatte mich schon damit abgefunden, ein Eisbär
zu werden!“ Was nichts anderes bedeutete, als daß der kleine Oliver gesund
und putzmunter war.

Ein freudiges Wiedersehen

Eingeklemmt   zwischen   lachenden,   ihnen   auf   die   Schultern   klopfenden

Rotpelzen marschierten sie durch den schmalen Tunnel in das Innere des
Rieseniglus. Für Bharos, der als einziger noch nicht auf der Welt der Rotpelze
und Raufbolde gewesen war, boten sich einige Überraschungen. Staunend
stand er in der gewaltigen, halbkugelförmigen  Schneefestung  und sah sich
um.

Wie groß der Iglu war, hatte man schon von außen ahnen können. Wenn

man die aus Schnee­ und Eisblöcken bestehende, hundertfünfzig Meter weite
Kuppel an Ort und Stelle besah, war man aber trotzdem beeindruckt. Überall
im   Innern   herrschte   geschäftiges   Treiben.   Dutzende   von   Rotpelzen   aller
Altersstufen drängten sich heran und betasteten die Neuankömmlinge.

Von   überall   her   steckte   man   ihnen   Leckereien   zu   oder   reichte   ihnen

dampfende Getränke.

Erst nachdem die Besucher auf weichen Matten um eines der vielen Feuer

hockten, gelang es ihnen, sich für die Gastfreundschaft zu bedanken.

Die Rotpelze dieses Stammes hatten zwar schon davon gehört, daß Besu­

cher von einem anderen Planeten einmal auf Nordpol gewesen waren, hatten
aber noch keinen davon zu Gesicht bekommen. Ollie war der erste Mensch
von der Erde, den sie erblickten. Mehrere Rotpelze hatten ihn entdeckt, als er
einsam und frierend durch den Schnee stapfte, und ihm erst einmal einen
Topf warmer Suppe eingeflößt. Ollie war natürlich begeistert gewesen. Nicht
nur wegen der Suppe, sondern auch, weil der Anblick der Rotpelze ihm ver­
raten hatte, daß er sich auf Nordpol befand. Wenn die Freunde ihn nicht ge­
funden   hätten,   wäre   er   irgendwann  in   den   nächsten   Tagen   in   Begleitung
mehrerer Rotpelze zur Station des Weltraumarztes aufgebrochen.

„Klasse, daß ihr Ollie gerettet habt“, sagte Harpo zu den Rotpelzen am Feu­

er.

„Oh“, erwiderte ein halbwüchsiger Rotpelz unter dem wiehernden Geläch­

ter seiner Verwandtschaft, „wir hatten viel Spaß mit Ollie. Besonders, als er
uns beibringen wollte, wie man Hustensaft herstellt.“

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Das war mal wieder typisch für den Kleinen! Ohne seine geliebten Pillen

und   Tröpfchen   gegen   jedes   mögliche   Wehwehchen   wäre   Ollie   ganz   trüb­
sinnig geworden – obwohl ihm ja eigentlich überhaupt nichts fehlte. Nicht
einmal einen Schnupfen hatte er sich beim Wandern im Schnee geholt. Dann
war ihm ein Hustensaftrezept eingefallen. Mit Feuereifer hatte er sich an die
Arbeit gemacht und aus Honigkraut, Fischtran und allerlei Gewürzen ein Ge­
bräu gekocht, das zwar nichts gegen Husten nützte und Ollie selbst gar nicht
so recht über die Lippen gehen wollte, ihm aber zu großem Ansehen bei den
jungen Rotpelzen verhalf. Denen schmeckte der Saft nämlich ganz hervor­
ragend.

Die Rotpelze hatten den großen Iglu­Saal zwar in allerlei Nischen unter­

teilt, aber abgeschlossene Räume gab es nicht. Man liebte die Geselligkeit
und   zog  sich   eigentlich   nur   in   die   von   kaum   meterhohen  Schneemauern
abgetrennten „Privatecken“ zurück, wenn man sich auf wichtige Gespräche
konzentrieren wollte.

Nahe der  Kuppelwand  gab es mehrere Feuer, riesige Kupferkessel hingen

darüber, und es duftete aromatisch. Einige Rotpelze rührten mit hölzernen
Schöpfkellen in den Kesseln und leckten sich genießerisch die Lippen. Das
war die  Gemeinschaftsküche.  Jeder mußte mal kochen, wie überhaupt alle
angenehmen und alle lästigen Arbeiten reihum ausgeführt wurden. Wirklich
von jedem, ob er nun dick oder dünn, alt oder jung, Mann oder Frau war.
Nicht   etwa,  daß  jemand   dazu  gezwungen  wurde   –  man   tat   es,  weil  es  so
richtig war.

Harpo mußte unwillkürlich an die Zustände auf der Ende denken. Dort war

das anders. Dort gab es Leute, die andere für sich arbeiten ließen und nichts
so   sehr   liebten,   wie   andere  herumzukommandieren.  Wer   glaubte,   daß   er
selbst einen etwas besseren Arbeitsplatz besaß, hatte Angst davor, ihn wieder
zu   verlieren,   und   blickte   argwöhnisch   auf   den   Nachbarn.   Jeden   kämpfte
gegen jeden, obwohl er das eigentlich gar nicht wollte.

Bei den Rotpelzen kannte man nicht einmal einen Iglu­Bürgermeister, von

irgendwelchen besonderen Aufsehern ganz zu schweigen.

Bharos hatte erstaunt bemerkt, wie angenehm warm es in dem aus Eis und

Schnee gefertigten Bau war. Er fürchtete, daß die Wärme den Schnee auftau­
en und das Bauwerk zusammenstürzen würde. Aber da konnte er ganz un­
besorgt   sein.   Ein   klug   durchdachtes  Lüftungssystem  ließ   Kaltluft   über   die
Innenwand fließen. Man brauchte dafür nicht einmal eine Maschine, son­
dern nur die seit Jahrhunderten vererbten Baukünste der Rotpelze.

Während   die   heiße   Suppe   aufgetragen   und   geschlürft   wunde,   musterte

Bharos die Rotpelze in seiner Nähe. Die meisten hatten längere und zottelige­
re Felle als Alexander. Kein Wunder, denn Alexander hatte sich an Bord der
EUKALYPTUS ein wenig den Pelz stutzen lassen, weil es dort viel wärmer als
auf seinem Heimatplaneten  war.  Erstaunen  konnte einen  immer  wieder  –
man sah das jetzt besonders gut beim Essen –‚ wie geschickt die Rotpelze mit
ihner scheinbar so ungefügen Pranken umgehen konnten. Das heißt, eigent­
lich war das gar nicht so verwunderlich, denn unter dem dichten Fell waren

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schlanke Finger verborgen, die zwar etwas kürzer waren als die eines Men­
schen, aber kaum weniger vielseitig einsetzbar. Einige aus der Sippe kamen
erst später, als die anderen bereits aßen. Das waren Fischer, die ihre Fang­
löcher weit draußen in die Eisdecke des Sees geschlagen hatten.

Sie   wurden   mit   lautem   Hallo   begrüßt.   Einer   von   ihnen,  Rauhfell  mit

Namen, hatte sich erst kürzlich bei Alexanders Sippe aufgehalten und war so­
gar entfernt mit dem jungen Weltraumfahrer verwandt. Er drückte Alexander
sofort gegen seine Brust und erzählte die letzten Neuigkeiten. Rauhfell wußte
auch allerhand über Lori Powitz und die anderen Kinder zu berichten, die bei
den Raufbolden oder Alexanders Sippe geblieben waren.

Inzwischen war es draußen dunkel geworden, aber so schnell fand man in

dieser Nacht verständlicherweise nicht zur Ruhe.

Wie   sich   herausstellte,   lagen   zwischen   diesem  Iglu  und   dem   von   Alex­

anders Familie nur knapp vierhundertfünfzig Kilometer. Weitere hundert Ki­
lometer   entfernt  fraß  sich   der   Schneekrabbler  Borro,   in   dem  Flunkis
Raufboldclan  hauste,   durch   den   Pflanzenteppich   unter   dem   Schnee.   Mit
einem Motorschlitten wären diese Entfernungen nur ein Katzensprung ge­
wesen,   aber die Rotpelze  besaßen  nur   drei Fahrzeuge  dieser  Art. Und  die
waren ausnahmslos im Einsatz und nicht verfügbar.

Am nächsten lag die Station des Weltraumarztes Hugo, der eigentlich gar

nicht so hieß, aber von den Kindern so genannt wurde, weil sein Name für sie
schier  unaussprechlich  war. Ganze achtzig  Kilometer  waren bis dahin  zu­
rückzulegen.   Eigentlich   eine   lächerliche   Strecke   für   Weltraumfahrer   und
Transmitterreisende.   Wenn   man   allerdings   nicht   einmal   einen   Motor­
schlitten besaß, bedeutete diese Entfernung einen mehrtägigen Fußmarsch
durch den Schnee. Aber sie hatten ja Zeit. Ohnehin würde die EUKALYPTUS
erst in einigen Wochen, vielleicht Monaten, im Orbit von Nordpol auftau­
chen.

Die Rotpelze hörten staunend zu, als von dem Transmitter die Rede war,

hatten aber keine Lust, die Maschine selbst einmal auszuprobieren. Nicht
einmal Ollie hatte es geschafft, ihre Neugier zu wecken. Ihnen gefiel es auf
Nordpol, und sie liebten das Leben, das sie führten. Warum sollten sie wag­
halsige Abenteuer riskieren?

Von weiteren Transmitterreisenden wußten sie nichts. Vielleicht waren die

meisten   anderen   Stationen,   mit   denen   Nordpol   Verbindung   hielt,   einsam
und verlassen. Und vereinzelte Reisende, wie etwa die Morr, schreckten wohl
vor der stillen Schneelandschaft zurück. Sie taten gut daran, denn Sklaven­
händlern   und   Sklavenhaltern   wäre   es   bei   den   Rotpelzen   so   schlecht
ergangen, daß sie gewiß darauf verzichtet hätten, noch einmal hierher zu­
rückzukehren.

Am nächsten Morgen erwachte Harpo als erster. Anfangs kuschelte er sich

noch einmal in die von Rauhfell, Breitfuß und Grätenfänger spendierten De­
cken. Alle Rotpelze trugen Namen, die etwas aussagten und für sie typisch
waren, schließlich hatte auch Alexander einen „echten“ Rotpelznamen: Räu­
cherfischvertilger.  Im  Iglu war es durch  die  herabgebrannten  Feuer  gegen

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Morgen kühl geworden. Schließlich raffte Harpo sich auf und weckte seine
Schwester. Anca hatte sich ganz eng an Alexanders weichen Pelz gekuschelt.
Sie blinzelte und döste halbwach weiter. Dann reckte sie sich. Im gleichen
Moment erwachte auch Lonzo. Er hatte sich über Nacht selbst ausgeschaltet.
Da die EUKALYPTUS mit ihren Energiequellen, wo er ab und zu seine Akkus
aufladen mußte, noch eine Weile ausbleiben konnte, versuchte er, Energie zu
sparen.

Sonst   war   noch   alles   still,   von   einigen  Schnarchlauten  abgesehen.   Das

Licht   des  frühen   Morgens   drang   durch   die   Luftlöcher   und   den  Eingangs­
tunnel des Iglus; ansonsten sorgte die letzte Glut der Feuer für ein rötliches
Funkeln.

Irgendwo knackte etwas. Schlagartig waren Harpo und Anca hellwach.
„Hast du das auch gehört?“ flüsterte Harpo.
Anca nickte und sagte leise: „Was war das? Ob die Morr am Ende doch

gesiegt haben und unseren Spuren gefolgt sind?“

„Ach, Unsinn!“ flüsterte  Harpo zurück. Er konnte aber nicht verhindern,

daß es ihm kalt den Rücken hinunterrann.

Alexander murmelte im Schlaf, dann öffnete er versuchsweise sein rechtes

Auge.

„Da ist ein komisches Geräusch“, wisperte ihm Harpo ins Ohr. Er deutete

vage in Richtung der Feuer, obwohl er ziemlich sicher zu sein glaubte, daß
dieses   eigenartige   Knacken   nicht   direkt   von   den   Feuern   gekommen   war.
Schon gar nicht hatte es etwas mit dem Knacken beim Verbrennen von Holz
zu tun gehabt. Es war irgendwie ein ... metallisches ... Knacken gewesen.

Harpo bemerkte hinter dem Feuerschein etwas, das ihm am Abend zuvor

nicht aufgefallen war. Dort befand sich ein schwarzes Loch in der Igluwand.
Beunruhigt starrte er es an. Es war rund und hatte einen Durchmesser von
etwa einem Meter. Da aber kein Licht durch das Loch ins Innere drang, konn­
te es sich nicht um ein Ausgangsloch handeln. Vielmehr schien es unter die
Schneedecke hinabzuführen.

Natürlich, das mußte so eine Art Kühlkammer sein, in der Vorräte gelagert

wurden.

Dann hörte er das Knacken – oder war es eher ein Klicken? – noch einmal.

Kein Zweifel, es kam aus dem Kellerraum. Dort unten war etwas, das sich be­
wegte. Wer oder was mochte das sein? Wer hatte es nötig, in einem Rotpelz­
Iglu herumzuschleichen? Etwas Gutes würde der kaum im Schilde führen.

Wieder ein Geräusch. War das eine Art Kichern gewesen? Was hatte  das

nun wieder zu bedeuten? Teuflisch! Die Unbekannten machten sich sogar
über ihre Opfer lustig. Er mußte unbedingt sofort Alarm schlagen.

Harpo holte tief Luft und wollte losbrüllen, brachte aber keinen Ton hervor.

Bharos war aufgesprungen und hielt ihm den Mund zu. „Auch ohne Geschrei
wird es gleich einen Aufruhr geben“, prophezeite er, aber der Schalk blitzte
aus seinen Augen. Harpo verstand die Welt nicht mehr.

Im nächsten Moment brach die Hölle los. Aus dem dunklen Loch lösten

sich mehrere Gestalten und stürmten heran.

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„Hilllll ... Lori!“  schrie Anca. „Tom! Fidel! Fantasia! Wo kommt ihr denn

plötzlich alle her?“

Überall auf den  Lagern  fuhren  die eben noch  schlummernden  Rotpelze

hoch, spitzten die Ohren und brachen dann in dröhnendes Gelächter aus.

„Bei allen Geistern und Klabautermännern der neun Weltmeere!“ donnerte

Lonzo. „Der Große Shuubuu sieht Gespenster! Das halten meine Stromkreise
nicht aus!“

Immer   noch   kletterten   Gestalten   aus   dem   Loch.   Sie   rannten   jauchzend

durch den Iglu und fielen den Freunden von der EUKALYPTUS in die Arme.
Alle, die mit der EUKALYPTUS den Planeten Nordpol erreicht hatten, es dann
aber   vorgezogen   hatten,   hierzubleiben,   waren   da:   Lori   Powitz,   Big   Tom
Schlitz und Fidel Flottbek, Lucky und Babs, Fantasia, Daniel Locke ... Insge­
samt waren es fast dreißig Besucher, die meisten im Alter zwischen zwölf und
sechzehn, die mit ihren Kameraden Wiedersehen feierten, ihre Namen riefen,
sie in die Arme nahmen und abküßten. Mitten im Karneval hätte der Trubel
auch nicht größer sein können.

Inmitten der wirbelnden Meute entdeckte Harpo seinen alten Freund Flun­

ki und drei weitere Raufbolde. Und Hugo, der galaktische Mediziner, winkte
auch herüber.

Der Große Flunkerer, wie Flunki in Wirklichkeit hieß, war ganz in seinem

Element. Er fluchte wie in seinen besten Tagen und sah sich mit blitzenden
Augen  um. „Frostbeule  und  gefrorener  Käsefuß!“  schrie er.  „Vier Schlitten
waren nötig, um die ganze Bande hierherzubringen. Beim listigen Eierdieb,
war das eine Fahrt! Ha, und diese gefräßigen Rotpelze liegen immer noch auf
der faulen Haut!“

Ollie hatte einen so gesunden  Schlaf, daß er  trotz des Trubels erst  jetzt

hochschoß. „Jetzt ist es passiert!“ jammerte er. „Ich habe es kommen sehen,
aber jetzt ist es wirklich passiert! Alte Raumschiffwracks, Nomaden, Raumpi­
raten, Gangster von der Erde, Transmitter... Das war zu viel für meine armen
Nerven. Ich sehe Ha­Hallu­Halluza... naz... also Trugbilder! Helft mir doch!“
Er riß Harpo am Ärmel und rief: „Sag mal, siehst du das auch? Siehst du es
wirklich?“ Im nächsten Moment bekam er einen dicken Kuß, und jemand
drückte ihn jubelnd an sich. Fantasia!

„Und ich?“  schrie Flunki mit gespielter Empörung. „Wer  küßt  mich? Da

müht man sich ab und ... Harpo, alte Weltraumratte!

„Flunki,   altes  Schlachtroß!“   Harpo   stürzte   auf   ihn   zu   und   schlug   dem

Freund  ausdauernd  auf  die Schulter.  Flunki  mühte   sich  ab, um  ein  grim­
miges, abweisendes Gesicht zu machen. Dazu klopfte seine Stiefelspitze un­
gehalten einen rhythmischen Takt. Doch das war alles nur Mache. Man sah,
daß   ihm   die   Freudentränen   in   die   Augen   stiegen.   Aber   zeigen   wollte   der
bärtige Wicht das nur ungern. Obwohl es kaum einen zweiten gab, der so gut­
mütig und den Kindern von der Erde so zugetan war wie Flunki, liebte er es
nun   mal,   den   Wüterich   zu   spielen,   und   hatte   einen  Heidenspaß  dabei.
Tränen flossen aber auch anderswo reichlich, und viele brachten vor Freude
in den ersten Minuten kaum ein verständliches Wort hervor. Erst als die Rot­

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pelze   Körbe   mit   Brot,   dazu   Räucherfisch   und   einen  Honigtrank  herbei­
schleppten und die ganze Schar zum Frühstück aufforderten, wurde es ru­
higer. Denn Hunger hatten sie alle. Die Schlitten waren den größten Teil der
Nacht hindurch unterwegs gewesen.

Bei   der  Ankunft   am   Iglu  hatte  Flunki   gleich   gesehen,   daß  noch   alles  in

tiefem Schlummer lag. Sofort war ihm der listige Plan eingefallen, durch die
Vorratskammern hindurch in das Innere zu stürmen. Er kannte die Iglus gut
genug, um zu wissen, daß die Vorratskammern zwei Ausgänge hatten, wovon
der eine außerhalb des Iglus lag. Das war ein Spaß, wie er einem echten Rauf­
bold gefallen konnte!

„Woher habt ihr eigentlich gewußt, daß wir hier sind?“ wollte Harpo zwi­

schen zwei Bissen Brot wissen.

Flunki zeigte auf Lucky Cicero und schmunzelte. „Das haben wir ihm zu

verdanken“, sagte er. „Hugo hat viel mit ihm gearbeitet. Lucky ist jetzt in der
Lage, seine Fähigkeiten zu kontrollieren. Ihr werdet staunen! Auf jeden Fall
hat er eure Gedanken gespürt und schließlich auch herausgefunden, wo ihr
euch aufhaltet.“

Also war es dem Weltraumarzt gelungen, sein Versprechen wahrzumachen

und Lucky zu helfen. Sie würden umdenken müssen. Lucky war nicht länger
jener auf die Hilfe anderer angewiesene Mongoloide, der nur in besonderen
Situationen seine Fähigkeiten erkennen ließ.

„Ja, und dann sind wir sofort mit den Schlitten gestartet und haben unter­

wegs alles aufgelesen, was Beine hat.“

„Aber mich hat Lucky nicht aufgespürt?“  fragte Ollie und erklärte  dann:

„Ich bin nämlich schon länger hier!“

„Wahrscheinlich  denkst  du   zu  leise“,   meinte   Anca  und   freute   sich  über

diesen Spaß.

„Lucky hat etwas gespürt“, antwortete Daniel Locke. „Nicht wahr, Lucky?

Aber anfangs war er seiner Sache nicht sicher und wollte nicht so recht mit
der Sprache herausrücken.“

„Dann bist du ja jetzt ein Genie, Lucky!“ rief Lonzo und umklammerte ihn

mit allen Tentakeln zugleich. „Aber Schätze suchen wir auch in Zukunft ge­
meinsam, was?“

„Klar!“ sagte Lucky. Er war noch ein bißchen schüchtern und wurde knall­

rot, weil ihn alle so freundlich ansahen. „Und ihr bleibt alle meine Freunde,
so wie früher!“

Ja – und das war der längste Satz, den Lucky in seinem bisherigen Leben

gesprochen hatte.

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Der Ring der dreißig Welten

Der erste Tag nach dem Wiedersehen verging wie im Flug. Einige zogen zu

einer ausgelassenen Rutschpartie auf die Hügel hinaus, andere lieferten sich
vor dem Iglu eine heftige Schneeballschlacht, an der sich auch die jungen
Rotpelze beteiligten.

Alexander und Anca gingen mit mehreren Rotpelzfischern zum Angeln auf

den See hinaus, während Harpo und Fantasia einfach so durch den Schnee
spazierten und  sich  dabei eine Menge zu erzählen  hatten. Flunki  und die
anderen Raufbolde waren unermüdlich im Einsatz, um all denen, die Lust
darauf verspürten, die Umgebung zu zeigen. Auch Bharos, der Akkai, nahm
an einer solchen Schlittenfahrt teil, ließ es sich auf dem Rückweg aber nicht
nehmen, sich selbst einmal am Steuer zu versuchen. Das machte ihm so viel
Spaß, daß Flunki anschließend beurlaubt wurde. Wenig später tauchte der
Raufbold zwischen den Hügeln auf und rannte auf Harpo und Fantasia zu,
die am Ufer des zugefrorenen Sees entlangwanderten.

„Heee!“   schrie   er   schon   von   weitem.   „Bharos   hat   mir   jetzt   eure  Trans­

mitterabenteuer  in   der   richtigen   Reihenfolge   erzählt.   Ein   dickes   Ei!   Hätte
nicht   gedacht,   daß   das   vergammelte   Ding   da   oben   überhaupt   noch
funktioniert!“

„Was?“   fragte   Harpo   verblüfft.   Er   wunderte   sich   nicht  darüber,   daß   der

Raufbold   ihre   Sprache   inzwischen   gelernt   hatte,   auch   nicht   darüber,   daß
Flunki bei dem Durcheinander am Morgen kaum ein Wort verstanden und
erst jetzt begriffen hatte, wie sie auf den Planeten gelangt waren.

„Du ... kennst den Transmitter?“ Harpo war fassungslos.
„Na, hör mal!“ empörte sich Flunki. „Hältst du uns etwa immer noch für

unterbelichtete Barbaren? Ich habe dir doch schon einmal gesagt, daß wir
Raufbolde vor Jahrtausenden bereits die Raumfahrt kannten. Und daß wir
freiwillig   darauf   verzichtet   haben,   zwischen   den   Sternen  herumzukut­
schieren.  Ja, die Transmitter haben wir damals auch benutzt – bis die Bur­
schen, die sie installierten, plötzlich einen Rappel bekamen und das Geschäft
aufgaben. Weiß das Schneehuhn, warum. Sie verschwanden eines Tages und
kamen niemals wieder. Und die Raufbolde verloren dann auch irgendwann
die Lust, von Planet zu Planet zu hüpfen.“ Flunki schmunzelte und zerrte an
seinen  Bartenden.  „Ihr  müßt wissen, damals  gab  es  eine Vereinigung  von
dreißig   verschiedenen   Planeten.   Alle   waren   dem   Transmitternetz   ange­
schlossen. Ja, so war das damals. Aber das ist schon unheimlich lange her.“

„Und  die   Erbauer   verschwanden   einfach?“   fragte   Harpo   aufgeregt.   „Die

Transmitter funktionierten weiter? Rätselhaft! Warum habt ihr nicht nachge­
sehen, wo die Transmitterkonstrukteure geblieben sind?“

„Erst mal können!“ gab Flunki zurück. „Du hast ja selbst erlebt, wie die

Transmitter   heute   funktionieren.   Man   kann   sie   nicht   mehr   steuern.   Das
haben die Konstrukteure damals veranlaßt, ganz plötzlich, ohne Vorankündi­
gung, sozusagen über Nacht. Wahrscheinlich war es ihnen zu mühsam, die

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Transmitter   einzusammeln.   Da   haben   sie   vermutlich   nur   ihren   eigenen
Transmitter und die zentrale Steuerung auf ihrem Planeten zerstört. Denn
der gehört seither nicht mehr zum Ring der dreißig Welten. Er ist unerreich­
bar   geworden,   und   niemand   kennt   seine   Koordinaten.   Sonst   hätten   wir
schon aus Neugierde mal ein Raumschiff hingeschickt, um zu erfahren, was
in die Kerle gefahren ist.“

„Aber es muß doch Steuergeräte an jedem Transmitter gegeben haben“,

meinte Harpo. „Sind die abgebaut worden?“

„Irrtum“, erklärte Flunki. „Wer mit dem Transmitter reiste, trug ein Hand­

gerät bei sich, so eine Art Hyperfunkgerät. Damit wurden die gewünschten
Zielkoordinaten an die Zentrale gegeben. Die Zentrale erledigte alles Weitere.
Als   die   Zentrale   ausfiel,   funktionierten   die   Handgeräte   nicht   mehr.   Klar,
nicht? Aber die Transmitter blieben einsatzfähig – die meisten bis heute. Die
Energiequelle muß noch  intakt  sein. Aber die Felder werden seither völlig
willkürlich aufgebaut. Man weiß nicht, wo man ankommen wird. Na ja, mit
Ausnahmen vielleicht, denn es scheinen einige Transmitter auf wenige, ein­
ander abwechselnde Verbindungen programmiert zu sein. Warum, weiß ich
auch nicht. Die ganze Transmittertechnik blieb für uns ein Buch mit sieben
Siegeln.“

„Das   ist   aber   eigenartig“,   sagte   Fantasia.   „So   Hals   über   Kopf   die   Ver­

bindung abbrechen, ohne sich auch nur zu verabschieden. Die müssen doch
einen   Grund   gehabt   haben!“  „Vielleicht   habt  ihr   die   Transmitterkonstruk­
teure verärgert?“ fragte Harpo.

„Verärgert? Was? Wen? Wiiiir?“ explodierte Flunki und sprang mindestens

einen halben Meter in die Luft. „Den möchte ich sehen, der Grund hat, sich
über so friedfertige und sanftmütige Wesen wie uns Raufbolde zu ärgern! Ha!
Der würde aber Ärger mit mir bekommen!“

Harpo und Fantasia lachten. Aber dann wurde Harpo wieder ernst. „Auf je­

den Fall hat die EUKALYPTUS demnächst ein neues Ziel – das sehe ich schon
kommen. Irgendwie werden wir schon herausfinden, wo der geheimnisvolle
Planet der Transmitterleute liegt! Ganz bestimmt! Und dann brechen wir auf,
um das Rätsel zu lösen!“

„Klar machen wir das!“ bekräftigte Flunki und schlug Harpo begeistert auf

die Schulter.

„Moment“, sagte Harpo verdutzt. „Hast du eben ‚wir‘ gesagt?“
Flunki   grinste.   Fantasia   verzog   ebenfalls   das   Gesicht   zu  einem   Lächeln.

„Das hättest du erleben müssen, Harpo!“ rief sie. „Ihr wart höchstens zwei
Tage fort, als Flunki zu fluchen begann. Er hatte sich die Sache anders über­
legt und leistete tausend Schnee­ und Eiseide, daß er an der nächsten Expe­
dition der EUKALYPTUS teilnehmen würde.“

„Ha!“ schrie Flunki. „Wagt es nur, mich abzuweisen! Ich komme mit, und

wenn ich mit dem Schlitten fahren muß.“

„Mensch, klasse!“ erwiderte Harpo. „Du hast uns in der Mannschaft gerade

noch gefehlt!“

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„Was   soll   das   heißen?“   knurrte   Flunki,   zwinkerte   dabei   aber   mit   einem

Auge.

„Flunki  wird  nicht   das   einzige   neue  Mannschaftsmitglied   sein“,  erklärte

Fantasia. „Ich möchte nämlich auch mit. Und Fidel redet auch dauernd da­
von. Ein paar anderen geht es, glaube ich, genauso.“

„Dich   hätte   ich   sowieso   überredet   mitzukommen“,   sagte   Harpo   und

schaute Fantasia in die Augen. Dann tanzte er ausgelassen im Schnee herum.

„Au ja! Thunderclap, Karlie, Micel und Brim werden Augen machen! Die

EUKALYPTUS bekommt eine neue Mannschaft!“

„Er hat ganz rote Ohren gekriegt, als von dir die Rede war“, sagte Flunki

und stieß Fantasia an. Er redete absichtlich so laut, daß ihn Harpo hörte.

„Ist gar nicht wahr!“ protestierte Harpo.
„Hihihi“, kicherte Flunki. „Sie sind noch röter geworden!“ Dann machten

sich die drei auf den Rückweg zum Iglu. Es galt, Pläne zu schmieden.

Drei Monate später kehrte die EUKALYPTUS zum Planeten Nordpol zu­

rück. Thunderclap, Micel,   Karlie  und   Brim   warteten  gar nicht  erst  ab,   bis
Schwatzmaul   das   kilometerlange   Riesenschiff   in   eine   Parkbahn   um   den
Planeten gesteuert hatte. Ihr Gleitboot schoß bereits Nordpol entgegen und
landete unter großem Jubel direkt vor der Nase des Schneekrabblers Borro –
der   darüber   sogar   das   Fressen   vergaß.   Später   wollte   er   von   den   Welten­
bummlern  die  allerneuesten  intergalaktischen  Witze erfahren. Borro  hörte
nämlich unheimlich gern Witze, die er sich sonst von eigens dafür abgestell­
ten Raufbolden erzählen ließ. Bald erschütterten Borros Lachsalven wieder
die Behausungen der Raufbolde, die ja unter dem Panzer des riesigen Tieres
lebten.

Zunächst schien es so, als wolle das Erzählen kein Ende nehmen, denn die

Neuankömmlinge wurden von allen Seiten mit Fragen bestürmt und wollten
natürlich   ebenfalls   wissen,   was   es   auf   Nordpol   Neues   gab.   Und   auch
Schwatzmaul   wurde   nicht   vergessen:   Die   auf   Nordpol   zurückgebliebenen
Kinder – und auch viele Raufbolde und Rotpelze – wollten unbedingt mal
wieder   „Raumluft“   schnuppern.   Die   Gleitboote   brachten   in   ununterbro­
chenem Pendelverkehr Passagiere zur EUKALYPTUS und zurück.

Nach einiger Zeit war dann doch der Reiz des Neuen verflogen, und der All­

tag zog wieder auf Nordpol ein. Eigentlich war der immer noch aufregend
genug, wenn man an die Ernteexpeditionen der stets zu Scherzen aufgelegten
Raufbolde, die für Borros Winterschlaf Futter einfuhren, oder die Fischfang­
und Rodelausflüge der Rotpelze dachte. Aber einige spürten bereits wieder
das Kribbeln, das sie zu weiteren spannenden Abenteuern im Weltraum rief.
Eine neue Expedition der EUKALYPTUS wurde vorbereitet ...

Und eines Tages war es dann soweit. Alle Freunde waren gekommen, um

den  Sternenfahrern  Lebewohl zu sagen. Auch Alexander, der junge Rotpelz,
der die allergrößte Reise aller jungen Rotpelze mit der EUKALYPTUS gemacht
hatte, nun aber lieber wieder bei seinen Leuten bleiben wollte. „Erst einmal“,
wie er sagte. Doch als das letzte Gleitboot  in den Himmel stieg, kullerten
Tränen über seine Wangen.

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Auch vier andere hatten feuchte Augen, als die Freunde davonflogen, näm­

lich Micel, Brim, Trompo und Bharos. Brim und Trompo wollten dem Welt­
raumarzt   Hugo   bei   der   medizinischen   Betreuung   der  Nordpolbewohner
helfen. Trompo freute sich außerdem darauf, längere Zeit mit einem weibli­
chen Geschöpf seiner Art – nämlich Neli, die den Weltraumarzt bei der Arbeit
unterstützte – zusammenzusein.

Und Brim durfte guten Gewissens bleiben, denn Hugo hatte Fantasia in­

zwischen so gut ausgebildet, daß sie  Brims Platz als Arzt auf der EUKALYP­
TUS einnehmen konnte.

Micel   wollte   gemeinsam   mit   Lucky   ausprobieren,   was   sie   mit   ihren

außergewöhnlichen Talenten alles anzustellen vermochten. Bharos würde ih­
nen helfen, solange er sich noch auf Nordpol aufhielt. Er wollte bleiben, weil
er   die   Ankunft   eines   Raumschiffes   der  Weltraumärzte  erwartete.   Dieses
Schiff, so hoffte er, würde ihn ein Stückchen weiter auf dem langen, langen
Rückweg zur Heimat bringen.

Die alten Weltraumhasen Harpo, Anca, Karlie, Thunderclap, Ollie – natür­

lich nicht ohne den Dackel Moritz – und Lonzo waren allerdings um keinen
Preis dazu zu bewegen, auf Nordpol zurückzubleiben. Schwatzmaul konnte
sie – selbstverständlich mit der gewohnten Geschwätzigkeit – wieder an Bord
willkommen   heißen.  Aber   ihnen   zur   Seite   standen   vier   neue   Raumfahrer:
Fantasia, Fidel, Lori und der Raufbold Flunki.

„Das wird eine lustige Reise!“ freute sich Flunki, als sich die EUKALYPTUS

aus   dem   Orbit   des  Planeten   löste.   „Schneezapfen  und  Eisflocken,   jawoll!“
Und dann lieferte er sich erst einmal ein hitziges Rededuell mit Schwatzmaul,
den er einen humorlosen Schrotthaufen nannte.

Wer wollte unter diesen Umständen daran zweifeln, daß es wirklich eine

lustige Reise werden würde ...

Ende

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Die Besatzung der EUKALYPTUS

Harpo Trumpff:
Sechzehn. Blondes, schulterlanges Haar. Hat gelegentlich Angst vor dem

Alleinsein in der Dunkelheit. Grund seines Aufenthalts auf dem Sanatoriums­
schiff:   Schwindelanfälle,  Gedächtnisstörungen   nach  Stürzen.  Chronist  und
Logbuchführer der EUKALYPTUS.

Anca Trumpff:
Harpos Schwester. Zwölf. Langes schwarzes Haar. Klein. Etwas pummelig.

Regt sich auf, wenn man sie „Pummelchen“ nennt. Liebt Tiere. Mit Ollie sehr
eng befreundet. Übertreibt gern. Wurde auf das Schiff geschickt, damit Harpo
sich nicht allein fühlt.

Brim Boriam:
Vierzehnjähriger Negerjunge. Krauses Haar. War anfangs sehr schüchtern.

Litt unter starken Sprachstörungen. Stottert jetzt nur noch, wenn er sehr auf­
geregt   ist.   Hat   medizinisches   Talent.   Wurde   von   den   Galaktischen   Medi­
zinern in einem Schnellhypnose Verfahren zum Arzt ausgebildet.

Thunderclap Genius:
Deckname eines gelähmten fünfzehnjährigen Jungen. Hütet seinen echten

Namen sorgsam. Hochintelligenter Tüftler. Technisch begabt. Alleswissende
Leseratte mit eidetischem Gedächtnis (vergißt kaum etwas, was er einmal ge­
hört oder gelesen hat). Hobby: Entschlüsseln von Geheimschriften.

Alexander:
Sieht wie ein Bär aus. Träg einen roten Pelz. Kein Wunder, denn er ent­

stammt einer intelligenten Lebensform des Planeten Nordpol, die als Rasse
der Rotpelze bekannt ist. Vielleicht zehn Jahre alt, aber sehr stark. Und lern­
eifrig.   Nur   mit   der   menschlichen   Sprache   will   es   noch   nicht   so   richtig
klappen.

Lonzo:
Roboter. Im Gegensatz zu seinen maschinellen Kollegen, die wegen ihrer

teddybärartigen Aufmachung die „Grünen“ genannt werden, ohne Verklei­
dung. Behauptet von sich, überhaupt keine Maschine, sondern ein ehema­
liger   Seeräuber   zu   sein.   Ist   zweifellos   defekt.   Steht   voll   auf   der   Seite   der
Kinder. Akzeptieren ihn, so wie er ist. Klopft gern Sprüche. Hat so ziemlich je­
des Buch über Piraten gelesen. Ist in  der  Lage, kleinere  Verletzungen und
Krankheiten   mit   einem  eingebauten   medizinischen  System  zu   behandeln.
Besitzt   aus   Metallringen   zusammengesetzte  Beine   und  einen   kugelrunden
Kopf.

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Micel Fopp:
Vierzehn.   Schwarzhaarig.   Dunkle   Augen.   Wurde   durch   falsche   Medi­

kamente, die seine Mutter während ihrer Schwangerschaft einnahm, mit ver­
kürzten Armen geboren. Hände klein wie die eines Fünfjährigen und direkt
an seinen Schultern angewachsen. Ansonsten körperlich unversehrt. „Tele­
path“ (ist in der Lage Gedanken zu lesen).

Karlie Müllerchen:
Fünfzehn.   2,20   Meter   groß.   Niemand   weiß,   wann   er   aufhören   wird   zu

wachsen. Bürstenhaarschnitt. Liebt nichts mehr als Kartoffelpuffer. Tischt sie
jedesmal, wenn er mit Küchendienst an der Reihe ist, den anderen in hundert
Variationen auf. Hat Humor und starkes Interesse an Funktechnik und Astro­
navigation.

Ollie:
Elf. Strubbelkopf. Fransenbesetzte Lederhose. Ziemlich frech. Sogenannter

„Hypochonder“ (eingebildeter Kranker). Kerngesund, redet sich aber ständig
ein, gegen alles und jeden allergisch zu sein. Schreit nach Medizin, sobald er
einen einsamen Pickel auf seiner Haut entdeckt. Sein Ziel: rasch erwachsen
zu werden, weil er Anca Trumpff heiraten will.

Moritz:
Dackel. Ollies Liebling. Darf eigentlich nicht in die Zentrale. Wird von Ollie

immer wieder eingeschmuggelt. Hat es auf Lonzos Metallbeine abgesehen.
Und auf Trompo, den er für eine Art Hund hält.

Trompo:
Außerirdisches Wesen von Katzengröße. Sieht wie ein rosafarbener Elefant

aus. Schlappohren. Haut ist von einem Fell bedeckt. Ist kein Tier, sondern ein
intelligentes Lebewesen von einem Planeten mit unaussprechlichem Namen.
Lebte als eine Art „Krankheitsaufspürer“ bei den Galaktischen Medizinern,
bevor er auf das „Raumschiff der Kinder“ kam.

Bharos:
Elfenhaft zierlicher Mutant aus dem Stamme Akkai. Langlebig. Kann Ge­

danken lesen sowie sich selbst und andere durch Kraft des Geistes von einem
Ort zum anderen transportieren. Strandete mit einem Raumschiff vor vielen
hundert   Jahren   und   überlebte   Generationen   von   Nachkommen   seiner
einstigen   Schiffskameraden,   die   sich   zu  Weltraumnomaden  entwickelten.
Schloß sich der EUKALYPTUS­Crew an, weil er gern auf seine Heimatwelt zu­
rückkehren möchte.

Schwatzmaul:
Elektronengehirn   der   EUKALYPTUS.   Umfaßt   alle   elektronischen   Teile,

Steuer­ und Kontrollelemente des Schiffes. Und die Speicherbänke. Die Bord­

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bibliothek. Ist nicht perfekt. Muß manchmal zugeben, daß er Wissenslücken
hat. Redet mit menschlicher Stimme viel, gern und geschwollen. Auch über
Sachen, die keinen interessieren. Das hat ihm seinen Namen eingetragen.

EUKALYPTUS:
Den Namen erhielt das Schiff erst durch die Kinder. Obwohl es ja eigentlich

eher  wie  eine  riesige   Hantel   aussieht.  Zwei   Kugeln,   ein  zylindrisches   Ver­
bindungsstück. Besteht aus  einer Vielzahl von Decks, jedes kilometergroß,
viele davon als künstliche Wüsten und Dschungel ausgestattet.

Ob das Raumfahrzeug ursprünglich als eine Art Auswanderungsschiff für

interstellare Reisen vorgesehen war, weiß man nicht so genau. Sicher ist nur,
daß es einen neuartigen, vorher nicht getesteten Antrieb besitzt, der mehrfa­
che Lichtgeschwindigkeit zuläßt. Es umkreiste als Hospitalschiff für kranke
und umweltgestörte Kinder die Erde – bis es sich aus noch ungeklärter Ursa­
che aus seiner Umlaufbahn riß. Die ursprüngliche Besatzung ließ das Schiff
und die Kinder im Stich. Diese mußten selbst lernen, das Schiff zu steuern.
Oder steuern zu lassen, denn die meiste Arbeit nimmt ihnen der allgegen­
wärtige Computer Schwatzmaul ab. Daß sich die EUKALYPTUS überhaupt
wieder   manövrieren   läßt,   verdanken   die   Kinder  vor   allem  den   hilfreichen
„Weltraumärzten“,   –   einer   extraterrestrischen   Rasse   –   und   dem   tüchtigen
Tiefschläfer Daniel Locke, der mit anderen Besatzungsmitgliedern auf dem
Planeten   Nordpol   zurückblieb.   Die   EUKALYPTUS   hat   mehrere   Beiboote,
Fabrikationsstätten für alles, was an Bord benötigt wird, Wartungsroboter –
und natürlich eine sehr tüchtige, aber auch fröhliche Besatzung.

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