Fox, Miranda J Eine Zugfahrt ins Glueck

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Miranda J. Fox

Eine Zugfahrt ins Glück

Roman

Deutsche Erstausgabe Oktober 2014

Copyright © 2014 Miranda J. Fox

Cover: Alexander Kopainski

Lektorat: Lilian R. Franke

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder

teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten

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Miranda J. Fox

www.mirandajfox.com

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Inhalt

Höflich ist anders!

Baguette und Schokolade

Ein Zufall zu viel!

Der ganz normale Wahnsinn

Un caffé con Luca

Die Ballkönigin

Harmloser Spaziergang

Eine Raubkatze bei der Jagd

Das etwas andere Date

Ein Spaziergang für die Liebe

Unschöne Entdeckung

Wieder auf Anfang

Epilog

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Höflich ist anders!

»Tut mir leid, aber alle Plätze sind belegt«, sagte der Schaffner und wis-
chte sich zum wiederholten Male über die Stirn. Obwohl es noch so früh
war, herrschten bereits unangenehme 28 Grad und im Zug schienen sich
die Temperaturen noch einmal verdoppelt zu haben. Kein Wunder, da sich
die drückende Luft in den geschlossenen Abteilen staute. Die Fenster auf-
zumachen, wäre allerdings auch verkehrt, denn dann würde noch mehr
Wärme hereinströmen. Wie man es also drehte und wendete, ich würde
der verdammten Hitze nicht entkommen.

»Aber ich habe den Platz gebucht«, beharrte ich und deutete auf das

Abteil vor mir. Eine Großfamilie hatte sich darin niedergelassen und
beanspruchte alle sechs Sitze. Er starrte auf sein Lesegerät, als würde dort
die Lösung des Problems stehen, dann wieder zu mir und fuhr sich noch
einmal über die Stirn. Konnte er sich kein Taschentuch besorgen? Es war
nämlich nicht gerade appetitlich, dass er seinen Schweiß von den Fingern
auf das Gerät schmierte!

»Diese Familie ebenfalls. Da muss wohl das System durcheinander

gekommen sein«, vermutete er und holte ein Walkie-Talkie aus seiner
hinteren Hosentasche. Durcheinander gekommen? Wie konnte so etwas
bei moderner Technik überhaupt möglich sein? Man loggte sich auf der
entsprechenden Internetseite der Zuggesellschaft ein, bekam die verfüg-
baren Plätze angezeigt, klickte auf buchen, bezahlte und fertig. Total easy!

»Einen Moment, ich sehe nach, ob sich noch ein Platz findet, damit

Sie nicht durch den gesamten Zug laufen müssen«, sagte der Schaffner
und hielt sich das Gerät ans Ohr.

Ich atmete tief durch und ermahnte mich zur Ruhe. Ich durfte ihn

nicht so anfahren, es war schließlich nicht seine Schuld, dass die Plätze
doppelt vergeben worden waren, und er bemühte sich ja um eine Alternat-
ive. Vielleicht wollte er mich aber auch einfach schnell loswerden - mein-
en bitterbösen Blick konnten nur die wenigsten ertragen. Er entfernte sich
einige Schritte, und ich ließ meine schwere Tasche zu Boden gleiten. Als

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ich vorhin zum Zug gehetzt war, waren mir blöderweise die Räder
abgebrochen, sodass ich die Reisetasche nun tragen musste. Doofes Ding!
Aber was erwartete ich auch von einer Tasche, die nicht einmal zwanzig
Euro gekostet hatte und hoffnungslos überladen war? Obwohl der
Schaffner Abstand nahm, konnte ich ihn deutlich sprechen hören. Das war
der Vorteil an einem ICE – oder auch ein Nachteil, je nachdem wie man
es sehen wollte. Er verursachte kaum Geräusche und auch ein Holpern der
Schienen fand kaum statt. Dafür raste er so schnell an der Natur vorbei,
dass man kaum ein Auge darauf werfen konnte.

»Und es gibt wirklich keinen anderen Platz?«, hörte ich ihn fragen.
»Na, der wird aber nicht erfreut sein.« Wer? Was? Von wem sprach er

da? Er ließ den Knopf am Funkgerät los und kam mit einem gezwungenen
Lächeln auf mich zu.

»Sie haben Glück, es gibt tatsächlich noch einen Platz, sogar in der er-

sten Klasse.« Er machte eine kleine Pause, vielleicht weil er erwartete,
dass ich deswegen Luftsprünge machte, doch mir war es gleich, wo ich
saß. Erste Klasse, zweite, was machte das schon für einen Unterschied?
Solange ich heil ankam, war es mir egal. Außerdem konnte ich auf
getrennte Einzelsitze und den Businessservice gut verzichten. Ich war
keine materialistische, versnobte Tussi. Ich war nicht meine Mutter!

»Folgen Sie mir bitte«, sagte er, als die von mir erwartete Reaktion

ausblieb, und ich hievte meine schwere Tasche über die Schulter, um sein-
er Aufforderung nachzukommen.

»Ich muss Sie allerdings warnen. Das Abteil wird schon von jeman-

dem verwendet. Es handelt sich um einen Stammkunden, der es regel-
mäßig für sich alleine bucht.«

Ich hob unbeeindruckt die Schultern und sagte spöttisch: »Ich bin

sicher, der feine Herr wird es vier Stunden mit jemandem vom gemeinen
Volk aushalten.« Ehrlich, wie abgehoben musste man denn sein, wenn
man ein ganzes Abteil für sich beanspruchte? Und das auch noch regel-
mäßig! Er gab ein zustimmendes Grunzen von sich und führte mich in den
Erste-Klasse-Bereich. Dort herrschte wie erwartet eine ganz andere Atmo-
sphäre. Hörte man weiter hinten noch Kinder herumtollen, Freundinnen
kichern und angeheiterte Männer grölen, saßen hier alle vor ihren Laptops

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und hauten in die Tasten, als würde ihr Leben davon abhängen. Die Stim-
mung war reserviert, keiner unterhielt sich, niemand sah auf, alle waren in
ihrer eigenen Welt, bestehend aus wichtigen Terminen, dringenden
Geschäften und bedeutenden Verträgen. Irgendwie bemitleidete ich diese
Leute, denn anstatt einmal die Zugfahrt zu genießen und die Wälder an
sich vorbeifliegen zu sehen, klebten sie an ihren Handy- und Laptopbild-
schirmen und schenkten der Natur kaum Beachtung.

Sie waren eine Karikatur ihrer selbst. Gefangen in einer Welt, die nur

noch aus Macht, Geld und Ansehen bestand. Gut, ich sollte mich nicht zu
sehr aus dem Fenster lehnen, denn schon bald würde ich selbst zu dieser
Welt gehören – wenn ich das letzte Gespräch überstand – aber ich schwor
mir, nie so zu werden. Ich würde Berufliches und Privates stets trennen,
mir keine Arbeit mit nach Hause nehmen, sondern mir genügend Zeit zum
Leben lassen. Man war schließlich nur einmal fünfundzwanzig. Hatte ich
allerdings gedacht, das Klima wäre in diesem Areal besser, so wurde ich
enttäuscht. Was für ein schlechter Witz. Da zahlte man für die erste Klasse
hunderte von Euro mehr, und selbst hier funktionierte die Lüftung nicht.
Wir schoben uns durch die Sitzreihen und näherten uns einem Waggon,
der ausschließlich aus geschlossenen Abteilen bestand. Das vorletzte war
unser. Der Schaffner klopfte an, wartete drei Sekunden und schob dann
die Tür auf.

»Verzeihen Sie, aber ich muss heute einen Passagier bei Ihnen unter-

bringen. Alle übrigen Plätze sind belegt«, sagte er demütig und trat bei-
seite, damit ich hinein konnte. Der braunhaarige Mann sah kurz auf,
nickte und wandte sich dann wieder dem Laptop auf seinem Schoß zu.
Dafür verharrte mein Blick etwas länger auf seinem Gesicht. Das dunkel-
braune Haar war wirr, aber dennoch gewollt durcheinander gestylt, ein
gepflegter Drei-Tage-Bart säumte seine untere Gesichtshälfte und große,
rauchgrüne Augen schmückten sein Gesicht. So schnell, wie er aufgese-
hen hatte, wandte er sich aber auch wieder ab, was mir einen altbekannten
Stich versetzte. Weshalb sollte sich auch so jemand für mich interessier-
en? Er war groß, das sah man sogar in seiner sitzenden Position, und
natürlich fein gekleidet.

Neben einer glänzend schwarzen Hose trug er ein weißes, bis zu den

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Ellenbogen hoch gekrempeltes Hemd, und wenn mich nicht alles täuschte,
baumelte an seinem linken Handgelenk eine Rolex-Uhr.

»Sie können ruhig reinkommen, ich beiße nicht«, sagte der Mann,

ohne aufzusehen, und weckte mich aus meiner Starre. Verdammt. Hatte
ich ihn gerade wie ein sabbernder Hund angeglotzt? Ich bedankte mich bei
dem Schaffner, hievte meine schwere Tasche in das Abteil und steuerte
den Fensterplatz an.

»Bitte verzeihen Sie noch einmal die Unannehmlichkeiten, wir wer-

den Ihnen die Einzelreservierung selbstverständlich erstatten«, sagte der
Schaffner und zog sich zurück. Ach, ich war also eine Unannehmlichkeit,
ja? Der Braunhaarige nickte und tippte etwas in sein Laptop, ich nahm ge-
genüber Platz, zwischen uns ein Tisch, auf dem ein Handy und diverse
Dokumente lagen. Ich hatte Mühe, eine einigermaßen bequeme Sitzhal-
tung zu finden, denn seine Beine waren so lang, dass sie fast auf meiner
Seite des Tisches wieder rausguckten. Aber nicht, dass er mir irgendwie
Platz machte oder seine Beine etwas zurückzog, um es mir gemütlicher zu
machen. Nö, ich war ja nur ein armes Ding aus der Unterschicht, das sich
glücklich schätzen konnte, einmal in seinem Leben in einem Erste-Klasse-
Waggon mitfahren zu dürfen! So oder so ähnlich stellte ich mir zumindest
seine Gedanken vor, denn er schien nicht glücklich über meine Anwesen-
heit zu sein.

Oder waren seine Kiefer immer so angespannt? Sehr kräftige und

männliche Kiefer übrigens. Nachdem ich eine annehmbare Position für
meine Beine gefunden hatte, sah ich stirnrunzelnd zu der zugezogenen
Gardine auf meiner Seite. Das grelle Deckenlicht sorgte zwar für aus-
reichende Beleuchtung, trotzdem wollte ich auf den Anblick der vorbeiz-
iehenden Bäume nicht verzichten. Das war doch das Schönste am Zug-
fahren. Das und das Ruckeln der Sitze.

»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich die Gardine aufziehe?«, fragte

ich deshalb freundlich.

»Ja«, antwortete er knapp, ohne aufzusehen. Ich starrte ihn ungläubig

an. Eigentlich hatte ich nur aus Höflichkeit gefragt und ein nur zu oder
keineswegs erwartet, doch mit so einer barschen Antwort hatte ich nicht
gerechnet. Arroganter Arsch! Aber nicht mit mir.

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»Zu schade, ich will nämlich was von der Zugfahrt haben«, sagte ich

und zog den Stoff ruckartig beiseite. Sofort wurde das Abteil von Licht
durchflutet und ein greller Sonnenstrahl fiel auf seine Augen. Als er sie
zusammenkniff, hätte ich beinahe vor Schadenfreude laut losgelacht.
Geschieht dir recht! Er sah mich zwei Sekunden lang finster an, länger
hielt er der Sonne nicht stand, dann senkte er den Blick und holte eine
schwarze Sonnenbrille aus seiner Aktentasche. Er setzte sie auf, schnalzte
verärgert mit der Zunge und wandte sich wieder seinem Laptop zu. Na,
das konnte ja noch was werden!

***

Es verunsicherte mich, dass er die Brille trug und ich seine Augen nicht
sehen konnte, denn so kam ich mir ziemlich beobachtete vor. Immer,
wenn er von seinem Laptop aufsah und sich nach vorne beugte, um die
Dokumente auf dem Tisch zu betrachten, hatte ich nämlich das Gefühl,
angestarrt zu werden. Ich konnte mich natürlich auch irren, aber weil das
Glas blickdicht war, konnte ich mir auch nicht wirklich sicher sein.
Schade, dass ich keine eigene Brille dabeihatte, dann könnte ich sie auf-
setzen und ihn verunsichern! Obwohl, ich glaube nicht, dass ihn überhaupt
etwas unsicher machen konnte. Er strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das
mich ganz zappelig machte, und sein missbilligender Gesichtsausdruck
machte es leider auch nicht besser. Immerhin standen auf seiner Stirn ganz
deutlich die Worte geh mir bloß nicht auf die Nerven geschrieben - fett
gedruckt, mit drei Ausrufezeichen und unterstrichen. Da musste man sich
ja unwohl fühlen. Außerdem sah er einschüchternd gut aus.

Wie ein Mann, der alles haben konnte und der mit großer Wahrschein-

lichkeit auch alles besaß. So auch eine Rolex, die ab 6.000 Euro aufwärts
kostete. Ich hatte mich natürlich ausreichend über die Welt der Schönen
und Reichen informiert, bevor ich mich bei Marcs Entertainment be-
worben hatte, der größten Eventfirma der Hauptstadt. Angesagte Design-
er, teure Marken und die begehrtesten Clubs Berlins. Das alles war mir
jetzt bekannt und würde schon bald zu meinem Umfeld gehören – das und

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eine vorlaute, Fantasy begeisterte Mitbewohnerin namens Lisa. Sein
Handy vibrierte, und als er es vom Tisch nahm und einen Blick riskierte,
fluchte er leise. Er nahm seine Brille ab, warf mir einen angespannten
Blick zu, als wäre der Anruf meine Schuld, und nahm das Handy vom
Tisch. Er hatte sich schon erhoben und war zur Tür gelaufen, als er sich
noch einmal umdrehte und mich misstrauisch musterte.

»Kann ich meine Sachen hier unbeaufsichtigt liegen lassen?«, fragte

er und sah mich abschätzend an. Ich starrte ihn empört und mit offenem
Mund an. Wie konnte er es wagen, mir böse Absichten vorzuwerfen, nur
weil ich keine teuren Designerfummel trug? Eingebildeter Sack!

»Das meinen Sie nicht ernst oder? Was genau soll ich denn hier

stehlen? Ihre bescheuerten Unterlagen vielleicht?«, giftete ich ihn an und
deutete auf den Papierhaufen vor mir.

»Arroganter Sack«, zischte ich laut hörbar und wandte mich zum Fen-

ster. Das würde er mir büßen! Ich bildete mir ein, ihn im Fensterspiegel
kaum merklich lächeln zu sehen, dann stellte ich meinen Blick auf Weit-
sicht und anstelle seines Antlitzes traten weite Felder und Bäume. Ohne
mir eine Antwort zu geben, verließ er den Raum und zog die Tür hinter
sich zu, dann nahm er das Gespräch an. Pah! Als ob ich mich für seine
blöden Dokumente oder seinen Laptop interessierte. Reiche Menschen
gingen immer automatisch davon aus, dass wir Armen es ihnen wegneh-
men wollten oder nicht gönnten, dabei waren manche durchaus mit ihrem
durchschnittlichen Leben zufrieden. Ich war mir sogar sicher, dass er hart
für seinen teuren Anzug und die Uhr arbeitete, und war deshalb auch nicht
neidisch. Ich gönnte jedem das seine, aber wenn mir jemand so blöd kam,
konnte ich nur schwer an mich halten. Offenbar hatte er sich weit zurück-
gezogen, denn so leise der ICE auch war, ich konnte nichts von seinem
Gespräch hören. Nicht, dass es mich überhaupt interessierte, wer ihn da
anrief, Gott bewahre!, aber ich hoffte, dass es seine Mutter war, die ihm
eine ordentliche Portion Manieren einschärfte!

Als er wiederkam, schien seine Laune noch schlechter geworden zu

sein. Ich konnte es an seinem finsteren Blick im Spiegel des Fensters se-
hen. Vielleicht war mein Beten ja erhört worden und es war tatsächlich
seine Mutter gewesen. Er setzte sich wieder zu mir, und ich sah, dass der

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Sonnenstrahl von seinen Augen weggewandert war, sodass er die Brille
nicht länger benötigte. Er setzte sie auch nicht wieder auf, sondern ließ
seinen Hals knacken und platzierte seine Beine unter dem Tisch. Als er al-
lerdings innehielt und zu mir aufsah, biss ich mir in die Wangen, um nicht
zu grinsen. Ganz recht, Arschgesicht, der Platz gehört jetzt mir!, dachte
ich boshaft und sah wieder aus dem Fenster. Seine Abwesenheit hatte ich
natürlich genutzt, um mich unter dem Tisch breit zu machen, und so wie
ich jetzt saß, nämlich mit überschlagenen Beinen, hatte er keine Möglich-
keit, seine langen Stelzen unterzubringen.

Zu schade aber auch! Er sagte jedoch nichts, sondern beließ es bei

einem finsteren Blick und setzte sich seitlich, um die Beine ebenfalls zu
überschlagen. Herrlich, diese Genugtuung. Irgendwie machte das hier
gerade unheimlich viel Spaß. Wenn ich allerdings gedacht hatte, dass ich
nichts mehr von ihm hören würde, hatte ich mich gewaltig geirrt, denn mit
der nächsten Bemerkung erklärte er mir offiziell den Krieg.

»Sie tragen nicht oft Businesskleidung, oder?«, vermutete er und be-

trachtete mich mit unübersehbarem Spott.

»Wie bitte?«, fragte ich und wandte mich ihm widerwillig zu.
»Ihr Jackett ist falsch geknöpft. Als Frau trägt man es entweder ganz

geöffnet oder geschlossen. Ein Knopf auszulassen, ist ausschließlich den
Männern vorbehalten, was Sie wüssten, wenn Sie sich damit beschäftigt
hätten, und nebenbei bemerkt steht Ihr Kragen lächerlich schräg.« Ach,
war das so? Und wann hatte er mich bitte so eingehend betrachtet?

»Haben Sie gerade nichts zu tun oder klugscheißen Sie immer gerne?

Vielleicht sollten Sie sich mal die Beine vertreten, Sie scheinen es un-
gemütlich zu haben. Und noch etwas: Was ich wie trage, geht Sie über-
haupt nichts an«, erwiderte ich sauer. Wenn er dachte, dass er sich gefahr-
los mit mir anlegen konnte, war er eindeutig an die falsche Person geraten.
Ich wusste, wie man sich durchsetzte, schließlich war ich bei meiner her-
rischen Mutter aufgewachsen. Es juckte mich allerdings in den Fingern,
meinen Kragen zu richten und den Knopf zu öffnen, doch diese
Genugtuung wollte ich ihm nicht gönnen. Schon allein, weil ich ihm dann
eingestanden hätte, dass er recht hatte und ich ein Dorftrottel war, der sich
nicht zu kleiden wusste. Schlagfertig oder nicht, aber in Sachen

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Businesskleidung hatte er mir sicher einiges voraus.

Gleichgültig hob er die Schultern.
»Da haben Sie vollkommen recht, das geht mich nichts an. Sollte das

aber nicht Ihrer Alltagskleidung entsprechen, was ich ganz stark annehme,
dann sind Sie auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch oder Geschäft-
sessen oder dergleichen und wenn Sie sich so dort blicken lassen, wird
man Sie hochkant wieder rauswerfen oder auslachen.«

Dieser verdammte …! Los, lass dir was Schlaues einfallen. Irgendein

Spruch, der ihn dumm dastehen lässt, der ihm Kontra bietet oder zumind-
est zeigt, dass du schlagfertig bist!
Doch mir wollte partout nichts Ges-
cheites in den Sinn kommen. Stattdessen lief mein Kopf wie eine überre-
ife Tomate an, was mir ein wissendes Grinsen einbrachte. Er dachte
bestimmt, dass ich mich in Grund und Boden schämte, dabei schäumte ich
innerlich vor Wut, und genau das verursachte mir einen roten Kopf. Gott,
ich hasste diese absolut nutzlose und demütigende Eigenschaft.

Lisa hatte sich einmal beschwert, dass ihr die Tränen kamen, wenn ihr

etwas peinlich war. Manche hatten Probleme, ehrlich! Was würde ich
nicht dafür geben, meinen roten Schädel gegen ein bisschen Pipi tauschen
zu können. Die Tränen könnte ich wenigstens wegblinzeln, die rote
Gesichtsfarbe dagegen würde nur nachlassen, wenn ich mich beruhigte.
Was natürlich nicht geschah, denn mein Reisegefährte provozierte mich
weiter.

»Was denn, keine giftige Antwort? Ich dachte, das sei Ihr Spezialge-

biet«, stichelte er mit provozierendem Blick.

Ich war schockiert von seinen dreisten Worten. Wie konnte man nur

so hinreißend aussehen und gleichzeitig so ein Kotzbrocken sein?

»Es macht keinen Sinn, sich mit Ihnen zu unterhalten. Aus Ihrem

Mund kommt sowieso nur Nonsens«, erwiderte ich und sah resigniert aus
dem Fenster. Gerade noch war ich voller Tatendrang gewesen, doch jetzt
war mir die Streitfreude vergangen. Was hatte es denn für einen Nutzen,
sich die restliche Zugfahrt verbal zu fetzen? Ich könnte es, bei Gott, ich
hatte schon tagelange Wortgefechte mit meiner Mutter ausgetragen, aber
ich brauchte meine Energie noch für mein Vorstellungsgespräch. Außer-
dem machte mich die drückende Hitze fertig. Nein, ich würde mich nicht

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darauf einlassen und mir stattdessen die vorbeiziehenden Bäume ansehen -
die würden mich schon beruhigen.

»Na, wenigstens weiß sie, wann man aufgeben sollte«, murmelte er in

sich hinein, natürlich so, dass ich ihn gut verstehen konnte. Das war doch
wohl unfassbar. Ich knirschte mit den Zähnen und warf ihm über die
Spiegelung in der Fensterscheibe einen tödlichen Blick zu, doch seine Au-
gen waren wieder auf seinen Laptop gerichtet. Ganz ruhig, lass dich nicht
auf sein Niveau herab
, ermahnte ich mich. Aber, bei Gott, es war so
schwer! Sag mal, lachte er etwa? Sein angespanntes Gesicht und seine
bebenden Lippen machten zumindest den Anschein. Oh, wie gern ich
doch seinen Kopf nehmen und so lange gegen den Laptop donnern würde,
bis er ohnmächtig wäre. Das würde mich ungemein befriedigen.

***

Die nächste halbe Stunde verbrachten wir in drückendem Schweigen, was
ich nur allzu sehr begrüßte. Seine Finger donnerten ununterbrochen auf
der Tastatur herum, und ich sah aus dem Fenster und versuchte, mich zu
entspannen – was bei dem nervigen Geklapper natürlich nicht ging. Ich
hatte so etwas noch nie erlebt, aber ich hasste diesen Typen, obwohl ich
ihn erst zehn Minuten kannte. Alles nervte mich an ihm: Sein ange-
berischer Blick, seine nachgemachte Edward-Frisur, seine langgliedrigen
Finger, die wie kleine Spinnenbeinchen herumzappelten, und sein blödes
Parfum, das den ganzen Raum erfüllte. Ab und an vibrierte mein Handy,
wenn sich Lisa nach der verbleibenden Fahrzeit erkundigte, aber anson-
sten geschah nicht viel.

Mich alle 10 Minuten zu fragen,
bringt die Zeit auch nicht schneller voran
, schrieb ich zurück.

Aber es nervt dich, antwortete sie mit einem zwinkernden Smiley.

Nicht mehr als dieser Kotzbrocken gegenüber, schrieb ich zurück.

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Stell dir vor, er hat sich über mein falsch geknöpftes Jackett lustig
gemacht. Was ist das denn bitte für ein Arsch?
Alle Männer in Anzügen sind Ärsche
, schrieb sie zurück. Das muss so
sein.

Unwillkürlich musste ich lachen, woraufhin er aufsah. Unsere Blicke
begegneten sich flüchtig, alles andere als freundlich, dann sah er auf das
Handy in meiner Hand und schließlich wieder auf seinen Bildschirm. Was
denn, darf man hier nicht mal lachen?
, hätte ich ihn am liebsten gefragt.
Doch ich wollte keinen neuen Streit vom Zaun brechen – die Ruhe war
gerade sehr erfrischend.

Scheint wohl so, schrieb ich zurück.

Und? Sieht er wenigstens gut aus?, erkundigte sich Lisa in einer weiteren
Nachricht. Ich wusste ja nicht, was dieses Detail an seinem widerwärtigen
Charakter ändern sollte, antwortete aber wahrheitsgemäß mit: Leider ja!

Noch ein Minuspunkt. Wenn er dich anmacht, dann geh bloß nicht drauf
ein. Wir wissen beide, wohin das beim letzten Mal geführt hat!
, riet sie
mir.

Danke, dass du mich noch mal daran erinnerst. Wirklich sehr mitfühlend!,
schrieb ich zurück. Ich wusste selbst, dass mein Exfreund ein Arsch
gewesen war, nur war ich von seinem schicken Auto und seinen teuren
Geschenke zu sehr geblendet gewesen. Ziemlich traurig, nicht? Ich hatte
erst gemerkt, woran ich an ihm war, als er verkündet hatte, nach Hamburg
ziehen zu wollen, um dort Karriere zu machen. Er hatte schon immer Geld
gehabt, träumte aber von der dicken Million und ich einfaches Dorfkind
stand ihm da im Weg. Seitdem machte ich einen großen Bogen um alle
Kerle, die auch nur den Hauch von Wohlhaben und Selbstbewusstsein
ausstrahlten. Das war natürlich auch nicht richtig, denn man konnte auf-
grund eines einzelnen keine ganze Gattung über den Kamm scheren, aber

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mir ging es seitdem gut.

Keine verletzten Gefühle mehr, keine Eifersucht, keine Regeln. De-

shalb würde ich auch drei Kreuze machen, sobald ich Mr. Rolex hier los
war. Ich zog mich auf die Toilette zurück, konnte es mir aber nicht neh-
men, ihn zu fragen, ob ich meine Tasche unbeaufsichtigt lassen konnte.
Kindisch, ich weiß, aber es brannte mir zu sehr auf der Zunge. Zu meiner
Überraschung lächelte er aber nur und beließ es dabei. Aha, er konnte also
auch freundlich sein? Na, sieh mal einer an! Auf der Toilette angekom-
men, entledigte ich mich meines Jacketts und spritzte mir Wasser ins
Gesicht und auf die Arme. Gott, diese verdammte Hitze brachte mich
noch um. Ich überlegte ernsthaft, einfach das Wasser aus dem Hahn zu
trinken, verwarf den Gedanken aber gleich wieder und verzog das Gesicht.
Ich hatte einen Riesendurst und kein Bargeld bei mir, aber das Abwasser
hier würde ich sicher nicht schlucken! Erst letzte Woche hatte ich wieder
einen Bericht über die mangelnden Hygienezuständen in Zügen gesehen,
und das war wirklich nicht appetitlich gewesen.

Mann, wenn ich doch nur nicht so spät dran gewesen wäre, dann hätte

ich noch Zeit zum Wasser kaufen gehabt. So musste ich bis Berlin durch-
halten, in einem mittlerweile 35 Grad heißen Zug! Ich befeuchtete meinen
Nacken und hielt meine Haare in die Luft, damit etwas Frische an meine
Haut kam, dann nahm ich meine Ohrringe ab, die mich gerade ungemein
störten, und verstaute sie in der Jackentasche. Schließlich entledigte ich
mich noch meiner weißen Bluse, die ich nur durchschwitzen würde, wenn
ich sie noch länger trug und lockerte mein Top darunter, um meiner Haut
Luft zuzuführen. Mir war egal, wie ich in dem weißen Oberteil und dem
enggeschnittenen Rock aussah, und vor allem war es mir vor ihm egal. Ich
wollte nur verhindern, dass ich bei der Hitze zusammenklappte, also warf
ich mir die Bluse und das Jackett über den Arm und machte mich auf den
Rückweg. Ich hätte wissen müssen, was mich erwartete, doch meine Blase
hatte so sehr gedrückt, dass ich unbedingt hatte verschwinden müssen.
Dass er sich unter dem Tisch breit machen würde, hatte ich dabei natürlich
vollkommen vergessen. Mit einem genervten Stöhnen ließ ich mich auf
meinen Platz plumpsen und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
»Würden Sie vielleicht die Freundlichkeit besitzen und mir Platz

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machen?«, fragte ich genervt. In seinen Augen blitzte es amüsiert auf.

»Ach, Sie meinen, so wie Sie vorhin bei mir?« Gott, allmählich kam

ich mir wirklich wie im Kindergarten vor. Da waren wir, zwei Erwach-
sene, die sich um ihre Beinfreiheit stritten.

»Das war kindisch von mir, ich gebe es zu, aber wenn Sie sich dafür

rächen wollen oder dafür, dass ich in Ihrem Abteil mitfahre, lassen Sie
sich eines gesagt sein: Ich bin genauso wenig erpicht auf Ihre Gesellschaft
wie Sie auf meine - wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass Sie über-
haupt jemand in seiner Nähe haben will-, also, können wir es nicht einfach
dabei belassen? Sie können mich nicht leiden und ich Sie auch nicht.
Weitere Demonstrationen sind nicht notwendig.« Er sah mich nachdenk-
lich an und fragte doch ernsthaft: »Sie können mich nicht leiden?« Ich
lachte abfällig.

»Das ist noch untertrieben. Ihre selbstgefällige und besserwisserische

Art macht Sie leider wenig sympathisch, und allmählich verstehe ich
auch, warum Sie immer ein Abteil für sich alleine buchen. Ihr Ego würde
woanders niemals reinpassen.«

Er starrte mich eine endlose Sekunde lang an, und ich dachte schon,

dass er mich rauswerfen würde, doch dann lachte er so laut auf, dass ich
zusammenzuckte. Hatte ich gerade etwas Lustiges gesagt? Er fuhr sich mit
den Fingern über den Mund und musterte mich amüsiert, dann sagte er:

»Wissen Sie was? Ich fange langsam an, Sie zu mögen. Und ich

glaube, dass die Zugfahrt noch richtig lustig werden kann.« Damit klappte
er den Laptop zu, und ich starrte ihn verunsichert an. Konnte er nicht ein-
fach weiter auf seinen Bildschirm starren? Ich wollte seine
Aufmerksamkeit nämlich nicht. Verwirrt und eingeschüchtert von seinem
abschätzenden Blick verschränkte ich die Arme vor der Brust und schaute
aus dem Fenster. Plötzlich bereute ich es, meine Bluse ausgezogen zu
haben, denn nun fühlte ich mich nackt und beobachtet.

Ich riskierte einen Blick in den Spiegel und betrachtete sein weißes

Hemd, das sich gut sitzend an seinen Körper schmiegte. Es war beinahe
durchsichtig, sodass ich seine Haut durchschimmern sehen konnte. Außer-
dem zeigten seine sehnigen Arme, dass er sich fit hielt. Ich seufzte. Er war
ein wirklich nettes Exemplar von einem Mann, nur leider auch ein

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typisches Paradebeispiel für erfolgreiche, treulose und arrogante
Geschäftsmänner. Gott, wie ich diese Sorte hasste, und ich hasste es noch
viel mehr, dass ich auf so einen reingefallen war!

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Baguette und Schokolade

Im Laufe der nächsten halben Stunde ließ er sich eine große Flasche
Wasser und zwei Baguettes kommen, wobei er einen Knopf an seiner
Sitzlehne drückte und Minuten später eine hübsche Mitarbeiterin erschien.
Sie hatte braune, wellige Locken und trug die charakteristische Uniform
der Zuggesellschaft, nur dass ihr Rock für meinen Geschmack etwas kurz
geraten war. Die schwarze, aber fast durchsichtige Strumpfhose ver-
schwand unter dem blauen Rock und betonte ihre schlanken, ellenlangen
Beine. Ich verspürte einen Stich, als ich ihre Figur betrachtete. Ich fand
mich nicht hässlich oder dick, aber auch nicht besonders schön. Ich sah
ganz gut aus, hatte genug Oberweite, um die Männer zwei Mal hingucken
zu lassen, braune, volle Haare, war ansonsten aber eher klein und durch-
schnittlich – kein Hingucker wie sie. Nachdem mein Zuggefährte seine
Bestellung aufgegeben hatte, überraschte er mich, indem er mich fragte,
ob ich ebenfalls etwas essen wolle. Seine Stimme war plötzlich freund-
lich, überhaupt nicht neckend, und sein Blick aufrichtig.

Ja, ja, wahrscheinlich wollte er vor der Schnecke einen guten

Eindruck machen und sich als Gentleman aufspielen – Heuchler! Aber so
war das ja ständig mit den Männern. Zu Beginn umwarben sie einen,
schmeichelten mit Komplimenten, hörten zu und waren zuvorkommend
… bis sie einen ins Bett gelockt hatten. Aber was war das überhaupt für
ein Phänomen, dass sie uns wie schlechte Lebensmittel wegwarfen,
nachdem sie sie uns im Bett hatten? Als wären wir Einwegprodukte, die
man nur einmal verzehren konnte, sobald man sie geöffnet hatte. Auf
seine Frage hin warf ich ihm einen bösen Blick zu und verneinte dankend.
Wobei mir das Danke nur schwer über die Lippen kam. Es brannte wie
Säure in meinem Hals, als läge ein Fluch auf diesem Wort. Also zog die
Frau von dannen, und als er einen langen Blick auf ihr hübsches Hinterteil
warf, sah ich meinen Verdacht bestätigt. Ich verzog angewidert das
Gesicht, und als die Schönheit verschwunden war, glitt sein Blick zu mir.
Er wusste, was ich dachte, konnte es förmlich auf meiner Stirn lesen, doch

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alles, was er tat, war, in sich hinein zu lächeln und etwas in sein Handy zu
tippen. Wahnsinn, er schämte sich nicht einmal für sein asoziales
Verhalten!

Ich sah wieder aus dem Fenster und ließ die Minuten verstreichen,

dann kam die Frau zurück, und ich wünschte, sie würde auf dem Absatz
kehrtmachen. Sie servierte eine große Karaffe mit eisgekühltem Wasser
und Limettenscheiben drin, dazu zwei riesige belegte Baguettes. Als mir
der Geruch von frisch gebackenem Brot, Käse und Wurst in die Nase
stieg, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Wehe, du knurrst jet-
zt, ich warne dich!, dachte ich mit angehaltenem Atem. Ehrlich, ich würde
vor Scham im Boden versinken, wenn sich mein Magen jetzt meldete. Die
Wahrheit war nämlich, dass ich mir das teure Essen hier im Zug nicht
leisten konnte. Überhaupt besaß ich nur wenig Knete, denn ich war Hals
über Kopf aus den Fängen meiner boshaften Mutter geflüchtet und das
bisschen Geld, das ich mitgenommen hatte, musste ich für meine erste Mi-
ete aufheben. Ich hätte also nur zu gern ein Glas Wasser genommen und
in dieses saftige Baguette gebissen, jedoch nicht, wenn es von ihm kam.
Lieber würde ich verhungern und verdursten, als mich von ihm einladen
zu lassen, nur weil er der Bedienung imponieren wollte. Oh nein, nicht mit
mir! Er schien wirklich Hunger zu haben, denn kaum hatte sie das Essen
abgestellt, griff er nach dem Brot und biss herzhaft hinein. Mein Magen
begann zu knurren, wenn auch nur leise, und ich hielt erneut die Luft an.

»Soll ich es wie üblich auf die Rechnung schreiben?«, fragte sie und

sah ihn an, als würde sie nur liebend gern das Baguette sein, das er gerade
vernaschte.

»Wie üblich, danke«, sagte er, nachdem er den Bissen hinun-

tergeschluckt hatte, dann verließ sie das Abteil und schloss die Tür. Er
wandte sich wieder seinem Brot zu, und ich konnte nicht anders, als ihn
neidisch zu betrachten. Der Duft der würzigen Marinade schien den gan-
zen Raum einzunehmen, und die Tomaten und Zwiebelringe, die aus der
Seite quollen, kamen mir mit einem Mal so saftig vor wie in einer
McDonald’s-Werbung. Ich bildete mir sogar Wasserperlen auf den To-
matenscheiben ein, so einen Hunger hatte ich. Und noch drei Stunden bis
Buffalo … ich meine Berlin! Was sollte ich denn so lange mit hungrigem

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Magen machen? Ich könnte in der ersten Klasse betteln gehen, überlegte
ich scherzhaft, oder mich doch dazu überwinden und so viel Wasser auf
der Toilette trinken, bis mein Magen platzte. Bäh!, dachte ich im nächsten
Moment.

»Wissen Sie, manch einer würde es als unmanierlich bezeichnen, an-

dere Leute beim Essen zu beobachten«, riss er mich aus meinen
Gedanken.

»Aber so hungrig, wie Sie mein Baguette anstarren, nehme ich an, Sie

möchten auch etwas?«, vermutete er und schluckte den letzten Bissen
hinunter.

Ich musste ganz in Gedanken versunken gewesen sein, denn nun sah

ich, dass er das Riesending aufgegessen hatte - innerhalb von zwei
Minuten, ganz allein, unfassbar!

»Ich habe nur geträumt«, erklärte ich peinlich berührt.
Da schenkte er mir ein schiefes Lächeln.
»Und wovon haben Sie geträumt? Von meinem Baguette?«, fragte er.
»Ja, ich meine nein, nein«, verbesserte ich mich und schlug mir inner-

lich gegen die Stirn.

»Glauben Sie mir, das Ding ist groß genug. Ich lasse Sie gerne mal

kosten«, bot er an und deutete auf das zweite. Äh, kam es mir nur so vor
oder bekam das Gespräch gerade einen leicht perversen Touch? Seinem
schelmischen Grinsen nach zu urteilen, sprach er hier nämlich von einem
ganz speziellen Baguette!

»Danke, aber ich glaube, ich würde daran ersticken«, erwiderte ich.

Zwei, drei Sekunden verstrichen, in denen er mich einfach nur fassungslos
ansah, dann dehnte sich sein Lächeln zu einem dämonischen Grinsen aus.
Erst da wurde mir bewusst, dass meine Worte durchaus auch zweideutig
zu verstehen waren.

»Äh …« Ich lachte verlegen und spürte Hitze in mir aufsteigen.
»Das habe nicht so gemeint«, erklärte ich mit erhobenen Händen.
»Ich wollte damit nur sagen, … dass, wenn ich etwas von Ihnen an-

nehmen würde, ich dran ersticken würde … aber nicht wegen Ihrer Größe,
sondern …« Oh Gott, halt doch einfach die Klappe! Er verfolgte mein
Gestotter mit sichtlichem Vergnügen und presste dabei fest die Lippen

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zusammen, um ein ernstes Gesicht zu wahren. Ich wäre am liebsten aus
dem fahrenden Zug gesprungen. Ich hatte doch nur sagen wollen, dass ich
vor Ekel erstickt wäre, wenn ich etwas von ihm annehmen würde.
Niemand hatte hier von seinem … Ding gesprochen! Ohne es zu wollen,
wanderte mein Blick automatisch zu seinem Schritt. Glücklicherweise war
aber der Tisch dazwischen, sodass mir die Ansicht verwehrt blieb. Mein
verstohlener Blick war ihm trotzdem nicht entgangen.

»Das sollten Sie lassen, sonst könnte ich noch auf den Gedanken kom-

men, dass Sie mit mir flirten wollen«, sagte er und hob seine rechte Braue.
Oh Gott, er sah absolut hinreißend damit aus.

»Keine Sorge, Sie sind ganz und gar nicht mein Typ«, log ich und ver-

schränkte unbehaglich die Arme vor der Brust. Gott, ich hatte mich gerade
zum Obertrottel gemacht.

»Schade«, murmelte er und das so leise, dass ich nicht sicher war, ob

es nicht nur Einbildung war. Dann beugte er sich über den Tisch und hielt
mir versöhnlich das Baguette hin.

»Kommen Sie, essen Sie einen Happen«, forderte er mich auf.
»Wir haben noch eine lange Fahrt vor uns.« Ich sah das Ding an, als

würde er mir eine giftige Schlange hinhalten. Wie kam er nur darauf, dass
ich etwas von ihm annehmen würde? Ich war doch kein Bettler.

»Wie gesagt, ich würde daran ersticken … vor Ekel!«, betonte ich und

sah wieder aus dem Fenster. Lachend lehnte er sich zurück.

»Finden Sie mich wirklich so eklig?«, fragte er belustigt. »Eher ab-

stoßend, was an Ihrem schrecklichen Charakter liegt.«

»Ah«, sagte er interessiert und legte das Brot beiseite. Irgendwie hatte

ich das Gefühl, dass ich wieder etwas Falsches gesagt hatte.

»Das heißt also, dass lediglich mein Charakter Sie abstößt, mein

Aussehen aber nicht?« Genervt wandte ich mich ihm zu. Wollte er jetzt et-
wa mit mir flirten? Jetzt, nachdem wir festgestellt hatten, dass wir uns
nicht leiden konnten?

»Das mag für jemanden wie Sie jetzt ein Schock sein, aber manche

Menschen legen mehr Wert auf die inneren Werte.«

»Die Hässlichen, stimmt«, sagte er nüchtern. Ich schüttelte den Kopf.
»Wow, so viel Arroganz ist mir nur selten untergekommen.«

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»Ich bin alles andere als arrogant, eher selbstbewusst«, erklärte er und

verschränkte die Arme hinter dem Kopf, wodurch sich seine Bizepse
spannten. Als ob ich noch einen weiteren Beweis für seine körperliche Fit-
ness bräuchte!

»Wo ist der Unterschied?«, fragte ich gelangweilt, ohne wirklich an

einer Antwort interessiert zu sein. Ich wollte diese Fahrt nur noch hinter
mich bringen.

»Eingebildete Menschen halten sich für etwas Besseres, selbstbe-

wusste wissen dagegen lediglich mit ihren Reizen und Stärken umzuge-
hen«, erklärte er. Was für ein Schwachsinn!

»Und was sind Ihre Stärken?«, fragte ich.
»Ich bin ein guter Beobachter und habe ein ausgezeichnetes Gedächt-

nis«, erklärte er, ohne jedoch arrogant zu klingen. Es war nur eine
nüchterne Tatsache, etwas, dass er schon lange wusste, aber nicht für
außergewöhnlich hielt.

»Ich weiß zum Beispiel, dass Sie vorhin saphirblaue Ohrringe getra-

gen haben und jetzt nicht mehr.« Wow, er war wirklich ein guter Beo-
bachter, vor allem weil die Ohrringe unter meinen Haaren versteckt
gewesen waren. Nun, wenn er so ein guter Beobachter war, dann dürfte
ihm aber auch meine Abneigung aufgefallen sein. Wenn er also so freund-
lich wäre, mich in Ruhe zu lassen! Um es noch deutlicher zu machen, dre-
hte ich mich demonstrativ zum Fenster und sah hinaus.

»Was ist mit Wasser? Wollen Sie nicht wenigstens was trinken? Es ist

verdammt heiß hier, nicht, dass Sie mir noch dehydrieren«, fragte er.

»Nein danke, ich habe keinen Durst«, log ich, ohne ihn eines Blickes

zu würdigen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er die Schultern zuckte
und selbst einen Schluck nahm. Ich musste schlucken und registrierte ein
raues Kratzen im Hals. Sobald wir Berlin erreicht hatten, würde ich einen
ganzen Wasserkasten austrinken, so viel stand fest! Irgendwann sah ich
auf die Uhr und konnte ein Stöhnen nur mit Mühe unterdrücken. Noch
zwei Stunden! Warum schlich die Zeit denn nur so dahin? Ich war schon
oft nach Berlin gefahren, wenn ich Lisa besucht hatte, aber heute kam mir
die Fahrt besonders lang vor. Das lag nur an diesem eingebildeten Idioten,
der jetzt vollends von seiner Arbeit abgelassen hatte und mich fortlaufend

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in irgendwelche Gespräche verwickeln wollte.

Keine Ahnung, womit ich vorhin sein Interesse geweckt hatte, aber

wenn ich es wüsste, würde ich es rückgängig machen. Er fragte mich über
mein Reiseziel aus, woher ich kam und was ich für Pläne hatte, doch ich
antwortete so schwammig wie möglich. Warum interessierte er sich plötz-
lich für mich? Zwischendurch forderte er mich immer wieder zum
Trinken auf, doch ich wollte mich partout nicht von ihm versorgen lassen.
Männer wie er hatten die Angewohnheit, es verbindlich zu nehmen, wenn
man etwas von ihnen annahm. Es war wie im Club. Wenn man sich einen
Drink spendieren ließ, glaubte der Typ, dass er einen reserviert hatte und
erwartete, dass man den restlichen Abend mit ihm verbrachte. So war es
auch mit Mr. Rolex, nur dass das hier kein Drink, sondern Wasser war.
Wasser, das mein Körper mehr als alles begehrte. Ich spielte sogar mit
dem Gedanken, mir heimlich einen Schluck zu genehmigen … wenn er
nur mal die Kabine verlassen würde, doch er wich nicht von der Stelle.
Als er mir einen Vortrag über den menschlichen Körper und Dehydrier-
ung halten wollte, langte es mir endgültig.

»Hören Sie, ich will Ihr verdammtes Wasser nicht!«, sagte ich und

stand auf.

»Wenn ich Durst habe, lasse ich es Sie wissen und jetzt entschuldigen

Sie mich. Ich gehe mir die Beine vertreten«, erwiderte ich. Er hob resig-
niert die Hände.

»Wie Sie wollen, ich wollte nur höflich sein.« Ha! Der Zug war längst

abgefahren! »Danke, aber wie wir vorhin schon festgestellt haben, …«
Plötzlich spürte ich ein Kribbeln in meinen Beinen und die Ränder meines
Gesichtsfeldes färbten sich schwarz. Es ging so schnell, dass ich keine
Zeit hatte, mich hinzusetzen oder abzustützen. Du bist zu schnell aufgest-
anden
, war mein letzter Gedanke, dann wurde es dunkel.

***

»… mich hören?«, vernahm ich eine verzerrte Stimme. Ich öffnete

blinzelnd die Lider und schaute in zwei rauchgrüne Augen.

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»Verdammt«, murmelte ich mit trockenem Mund und starrte zur

Decke. »Allerdings«, sagte er und hob mich in eine sitzende Position.
Mein Körper fühlte sich taub an, sodass ich seine Berührung auf meiner
Haut kaum spürte, trotzdem war es mir unangenehm. Als er meinen Rück-
en angelehnt hatte, hielt er mir einen Becher Wasser an den Mund.

»Also, ich will ja nur ungern wieder klugscheißen, aber … ich habe

Sie gewarnt«, meinte er und musterte mich mit diesen erstaunlichen
Augen.

Ich umging eine Antwort, indem ich den Becher ansetzte und in weni-

gen Zügen leerte, dann fragte ich: »Bin ich mit dem Kopf
aufgekommen?«

»Nein, ich konnte Sie rechtzeitig auffangen«, sagte er und betrachtete

mich besorgt. Das erste Mal, seitdem ich die Kabine betreten hatte, lag
kein Spott oder Verachtung in seinem Blick, nur ernsthafte Sorge.

»Geht es wieder?«, fragte er und goss mir einen weiteren Becher ein.

Wieder hielt er ihn mir an die Lippen, und wieder trank ich. Das hätte ich
schon viel früher tun sollen, mein Körper war regelrecht ausgetrocknet.

»Ja, es wird besser. Danke … dass Sie mich aufgefangen haben«,

sagte ich aufrichtig und wischte mir über die schweißnasse Stirn. Er
lachte.

»Danken Sie mir nicht. Ehrlich, das klingt wie der Anfang einer

kitschigen Lovestory.« Gegen meinen Willen musste ich lachen, denn
wenn ich mir unsere zurückliegenden Gespräche in Erinnerung rief, waren
wir alles andere als füreinander geschaffen.

»Können Sie aufstehen?«, fragte er, nachdem ich den zweiten Becher

abgestellt hatte.

Ich versuchte es, doch meine Beine fühlten sich noch etwas taub an.
»Ich könnte zwei starke Arme gebrauchen«, sagte ich, woraufhin er

meinen linken Arm nahm und mich daran hochzog. Er tat es jedoch zu
schwungvoll, sodass ich gegen seinen Körper stieß. Ich hatte allerdings
noch nicht genug Blut in den Beinen, um eigenständig stehen zu können,
weswegen er mir eine Hand auf den Rücken legen und mich aufrecht hal-
ten musste. Plötzlich waren seine Augen und Lippen viel zu nahe, und ich
fragte mich, ob es wirklich notwendig war, dass er mich so an sich

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presste? Und lag es daran, dass ich noch etwas duselig im Kopf war, oder
schienen seine Pupillen größer geworden zu sein? Nun, da ich ihm so nah
war, konnte ich gelb gesprenkelte Flecken in seiner Iris sehen – es war ein
faszinierender Anblick. Als ich mich etwas zurücklehnte, um Abstand zu
gewinnen, setzte er mich mit zuckenden Mundwinkeln auf meinen Platz
zurück. »Das haben Sie mit Ansicht gemacht«, stellte ich fest, klang aber
weder beleidigt noch wütend. Meine Stimme hatte einfach noch nicht
genug Festigkeit dafür … und außerdem war seine Nähe nicht annähernd
so abstoßend, wie sie hätte sein sollen. Oh nein! Damit fängst du gar nicht
erst an, ermahnte ich mich. Du wirst diesen Kerl nie wieder sehen und
nur, weil er dich ritterlich aufgefangen hat, macht ihn das nicht zu einem
Ehrenmann. Wahrscheinlich hat er es nur getan, weil er keine Leiche in
seinem Abteil haben will! Erinnere dich nur an seine Unverschämtheiten
– er ist Satan höchstpersönlich, verkleidet als Klosterbruder.

»Geht’s Ihnen wirklich gut?«, erkundigte er sich wieder. Ich sah zu

ihm auf.

»Wie bitte?«
»Sie scheinen nicht ganz bei sich zu sein. Ich fragte eben, ob Ihnen

das öfter passiert?«, sagte er.

Ȁh, ja, so ziemlich einmal im Jahr. Meistens, wenn es das erste Mal

heiß wird. Es ist keine große Sache. Mein Körper feiert den Sommeran-
fang nur auf seine eigene Weise«, erklärte ich mit schwacher Stimme. Ei-
gentlich war es als Scherz gemeint, doch er lachte nicht.

»Vielleicht sollten wir einen Sanitäter kommen lassen«, schlug er vor,

doch ich winkte ab.

»Nein wirklich, das geht gleich wieder vorbei«, versicherte ich.
»Okay, aber ich möchte, dass Sie sitzen bleiben, während ich Ihnen

Schokolade hole. Ihr Körper braucht jetzt Zucker«, sagte er und wandte
sich zur Tür.

»Sicher, dass Sie mich mit Ihren Sachen alleine lassen wollen?«,

fragte ich, nachdem er die Tür aufgeschoben hatte. Er drehte sich zu mir
um und hob die linke Augenbraue.

»Kaum auf den Beinen und schon geben Sie wieder spitze Bemerkun-

gen von sich. Sie sind wirklich unglaublich«, sagte er kopfschüttelnd und

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ging davon. Oh, und du erst!, dachte ich mit einem Kribbeln im Bauch.
Kurz fragte ich mich, was geschehen war, dass meine Gefühle so plötzlich
umgeschlagen waren. Hatte ich ihn nicht vorhin noch für einen
Kotzbrocken gehalten? Es konnte doch nicht sein, dass sich meine Abnei-
gung in Sympathie verwandelte, nur, weil er mich aufgefangen hatte. Was
war mit den mordlustigen Gedanken, die ich vor zehn Minuten verspürt
hatte? Alle verpufft!

Wenige Augenblicke später kam er mit einer ganzen Hand voll

Schokolade wieder, und als er die Schokoriegel auf dem Tisch ausbreitete,
staunte ich nicht schlecht.

»Die muss ich aber nicht alle essen, oder?«, fragte ich belustigt.
»Wenn nicht, dann tu ich es«, sagte er schulterzuckend.
»Aber Sie dürfen gern zuerst wählen.« Was ich als Nächstes tat, war

typisch für mich, denn ich konnte nicht so unbefangen an das Thema Kal-
orien herangehen, wie die Männer es taten. Nein, ich machte gleich eine
Wissenschaft daraus, denn folgende Fragen stellten sich mir: Sollte ich
den großen Snickers-Riegel nehmen oder lieber das kleine KitKat? Aber
das Twix sah auch lecker aus, nur war es eine XXL-Packung mit zwanzig
Prozent mehr Inhalt. Wenn ich die nahm, würde er mich sicher für einen
Vielfraß halten und ungehobelt wäre es obendrein. Das Bounty war am
kleinsten und wäre am unauffälligsten, aber ich mochte kein Kokos. Und
wenn ich ihm seine Lieblingssorte wegnahm? Warum hatte er mir nicht
einfach einen Riegel holen können, dann würde ich jetzt nicht so in der
Misere stecken. Und wie viele Kohlehydrate hatte das Mars noch mal?

»Stimmt was nicht?«, erkundigte er sich, als ich nach einer Minute

immer noch nicht gewählt hatte.

»Doch, doch«, sagte ich und griff kurzerhand nach dem Twix. Ich

hatte es getan, erleichtertes Aufatmen. Stirnrunzelnd nahm er das Mars
und biss hinein, und während er kaute, sah er mich nachdenklich an.

»Das ist so ein Frauenphänomen, oder?«, fragte er irgendwann. Ich

musste lachen, weil ihn das offenbar schwer beschäftigte.

»Ja, aber glauben Sie mir, das wollen Sie gar nicht verstehen«, fügte

ich hinzu, weil ich wenig Lust hatte, ihm die Macken einer Frauen zu
erklären.

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»Das glaube ich auch«, murmelte er, und wir kauten schweigend un-

sere Schokoriegel. Als ich aufgegessen hatte, faltete ich das leere Papier in
meiner Hand zusammen und sagte: »Danke für den Riegel, ich werde ihn
nur leider nicht bezahlen können. Ich habe kein Bargeld dabei«, erklärte
ich. Er hörte auf zu kauen und sah mich schon fast beleidigt an.

»Sehe ich aus wie jemand, der Ihnen einen Schokoriegel in Rechnung

stellt?« Ich schnaubte abwertend. War ja klar, dass sich Mr. Superreich
gleich beleidigt fühlte. »Stimmt, Sie besitzen wahrscheinlich genug Geld,
um den ganzen Zug kaufen zu können, ich vergaß«, bemerkte ich
spöttisch.

»Das meinte ich nicht, aber einer ohnmächtigen Frau einen

Schokoriegel in Rechnung zu stellen, wäre nicht gerade ehrenhaft, finden
Sie nicht?«

»Dann halten Sie sich also für einen Gentleman?«, fragte ich belustigt.

Er legte die Arme auf den Tisch und beugte sich zu mir rüber, dann sagte
er mit einem frechen Grinsen: »Ich gebe zu, wir hatten nicht den perfekten
Start, aber im Grunde genommen bin ich ziemlich nett.« Geh nicht darauf
ein, verbotene Zone!
, ermahnte ich mich. Aber verdammt, es war schon so
lange her, dass ich mit jemandem geflirtet hatte. Ich riskierte einen Blick
in seine rauchgrünen Augen, und so schwer es mir auch fiel, aber ich
entschied mich für das Richtige. Anstatt also darauf einzugehen, lehnte
ich mich mit einem Lächeln zurück und starrte aus dem Fenster. Ich
würde denselben Fehler nicht noch einmal begehen!

***

Die restliche Fahrt verbrachten wir überwiegend schweigend, zumind-

est, wenn ich seine wenigen Versuche, ein weiteres Gespräch aufzubauen,
ignorierte. Sicher, es hätte ja ganz unterhaltsam sein können, aber was
würde das bringen? Ich würde ihn nie wiedersehen und außerdem war ich
immer noch nicht von seinem freundlichen Auftreten überzeugt. Der erste
Eindruck war nun einmal negativ gewesen und genauso würde ich ihn
auch

in

Erinnerung

behalten.

Als

einen

gutaussehenden,

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besserwisserischen Arsch. Dann waren wir endlich da und der Zug fuhr in
den Berliner Hauptbahnhof ein. Endlich!

»Also, vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte ich, warf die Reisetasche

über meine Schulter und steuerte den Ausgang an. Da hielt er mich
zurück.

»Wohin wollen Sie denn so schnell?«, fragte er.
»Ich habe noch ein Bewerbungsgespräch vor mir. Bei dem ich mich

lächerlich machen werde. Erinnern Sie sich?«, sagte ich mit hochgezogen-
en Brauen. Er lachte etwas verlegen, dann sagte er:

»Wenn Sie nichts dagegen haben, können wir vorher noch einen Kaf-

fee trinken. Nur, um sicherzugehen, dass Sie auch wirklich bei Kräften
sind«, fügte er mit einem einladenden Lächeln hinzu. Ich starrte ihn eine
gefühlte Ewigkeit an, unschlüssig, ob er es ernst meinte oder nicht und
lehnte schließlich ab. »Das ist nett, aber ich werde abgeholt … von
meinem Freund«, log ich, um ihm weitere Versuche zu ersparen. Er sah
tatsächlich etwas enttäuscht aus, als er sagte:

»Verstehe, also dann. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.« Er gab

mir die Hand. War das sein Ernst?

»Äh, danke«, sagte ich nur, denn die Freude war nicht meinerseits

gewesen. Das schien er auch zu begreifen, denn er schenkte mir ein wis-
sendes und ganz und gar hinreißendes Lächeln. Schade, dachte ich. Wirk-
lich schade
. Vielleicht, wenn wir uns unter anderen Umständen begegnet
wären und er nicht so ein eingebildeter Snob wäre, aber so konnte ich ihm
nichts abgewinnen.

Lisa erwartete mich bereits am Bahnsteig und schloss mich fest in die

Arme.

»Endlich, ich habe vor lauter Langeweile jede einzelne Minute

gezählt«, sagte sie und betrachtete mich eingehend.

»Und jetzt gehen wir erst mal was essen, du siehst mager aus«, sagte

sie und schnappte sich einen Henkel meiner Tasche.

»Sehr witzig«, blaffte ich, nahm den anderen Henkel, und gemeinsam

verließen wir den Bahnhof. Lisa war schwarzhaarig, hatte etwas mehr auf
den Rippen, aber nicht so, dass ich sie als übergewichtig beschreiben
würde, und meistens eine ziemlich große Klappe – naja, wie ich. Sie war

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meine alte Schulfreundin und schon damals nach Comics und Fantasy-
Spielen verrückt gewesen. Ich hatte ihre Euphorie nie ganz teilen können,
dennoch hatten wir uns super verstanden. Vor fünf Jahren war sie nach
Berlin gezogen, um in die Computerbranche einzusteigen und ihr Hobby
zum Beruf zu machen. Jetzt entwickelte sie Computerspiele und verdiente
recht gut damit. Anders als man vielleicht erwarten würde, trug sie aber
keine klischeehaften Gruftie- oder Heavy Metal-Klamotten oder lebte
zurückgezogen. Sie hielt aber auch nichts vom Barbie-Look und lief
hauptsächlich in Jeans und einfachen Shirts herum - total bodenständig
eben. Es war verdammt nett von ihr, mich bei ihr aufzunehmen.

Ganz umsonst würde es natürlich nicht sein, aber in ihrer Dreizimmer-

wohnung hatte sie ein großes Zimmer frei, das sie vorher als Abstellraum/
Waschraum/Rumpelkammer/was auch immer genutzt hatte und das sie
nun an mich vermietete. Zweihundert Euro im Monat waren wirklich ein
Witz, wenn man bedachte, dass sie direkt in Berlin Mitte und nur 10
Minuten von Marcs Entertainment entfernt wohnte. Besser hätte ich es
also nicht treffen können. Ich würde weit weg von meiner Mutter sein,
dank Lisa in einer super Lage wohnen und genügend Zeit haben, mir
Rücklagen zu bilden und mich später ganz in Ruhe nach einer eigenen
Wohnung umzusehen. Ich würde sie als Dankeschön ins Kino einladen –
sie liebte Fantasy-Filme in 3D.

»Und? Wie hat euer Rosenkrieg geendet? Ich habe irgendwann gar

nichts mehr von dir gehört«, erkundigte sie sich, als wir bei Starbucks
saßen und unseren Kaffee schlürften. Eine Sekunde überlegte ich, ob ich
lügen sollte, denn mein Zusammenbruch war mir unendlich peinlich, dann
erzählte ich es ihr aber doch, und wie erwartet lachte sie mich aus.

»Das glaube ich nicht. Du bist in seinen Armen zusammengebrochen?

Er muss sich vorgekommen sein wie ein Superheld.« Ich ließ mich von
ihrem Lachen anstecken.

»Und stell dir vor, danach war er plötzlich total nett und wollte mich

auf einen Kaffee einladen!«, sagte ich mit hochgezogenen Brauen.

»Natürlich wollte er das. Zusammenbrechende Frauen wecken den

männlichen Beschützerinstinkt. Das hättest du nicht besser machen
können. Kein Mann kann ohnmächtigen Frauen widerstehen, glaub mir«,

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sagte sie überzeugt und schlürfte genüsslich ihren Caffé Latte.

»Ja, nur dass ich überhaupt nicht von ihm eingeladen werden wollte.

Ich meine, er war der totale Arsch und hat mich sogar ausgelacht! Ich bin
froh, dass ich ihn endlich los bin.« Wir ließen uns Zeit beim Trinken, und
während sich Lisa einen zweiten Kaffee bestellte, ließ ich meinen Blick
umherschweifen und beobachtete die Menschen. Berlin war eine hektische
Stadt, ganz anders als das kleine Dörflein, aus dem ich stammte, aber ich
war immer gern hergekommen und war glücklich, nun endlich hier zu
leben. Meine Mutter hasste Großstädte. Sie besaß eine kleine Mode-
boutique und träumte davon, von einem reichen Schnösel entdeckt und in
den Himmel der Reichen und Schönen geholt zu werden. Als ob sich
jemals so einer in unser Dorf verlaufen würde! Ich war sechzehn Jahre alt
gewesen, als mein Vater die Scheidung eingereicht hatte und so schreck-
lich es auch war, das auszusprechen, aber ich hätte an seiner Stelle
dasselbe getan.

Meine Mutter war eine schreckliche Frau, die nur auf materielle Dinge

aus war, und nachdem mein Vater nach einem Unfall seinen gut bezahlten
Job hatte aufgeben müssen, hatte sie ihn jeden Tag dazu gedrängt, sich et-
was anderes zu suchen. Sie hätte ihn sogar auf den Strich geschickt, wenn
sich so nur ihr Lebensstandard halten ließe, und dann war es ihm zu viel
geworden. Nun lebte er mit seiner Freundin in Norwegen, die wirklich
nett und so anders war als meine Mutter. Ich wünschte, ich hätte mich
ebenfalls von ihr scheiden lassen können, doch leider konnte man seine
Herkunft nicht so einfach verleugnen. War das nicht schrecklich?

Dabei war sie früher gar nicht so schlimm gewesen. Ich hatte eigent-

lich eine sehr schöne Kindheit gehabt, aber mit zunehmendem Alter war
sie immer verbitterter geworden, und als sie dann geschieden war, hatte
sie ihre Menschlichkeit irgendwo verbuddelt und nie wieder hervorgeholt.
Als hätte sie einen Pakt mit dem Teufel unterschrieben und ihre Seele für
diese Boutique verkauft. Der Laden lief wirklich gut und hatte uns stets
gutes Geld eingebracht, sodass es mir an nichts gemangelt hatte, doch
dafür hatte ich mit meiner Freizeit bezahlen müssen. Ich hatte die Ausb-
ildung gemacht, die sie für mich vorgesehen hatte, das Abitur, das sie für
mich gewünscht hatte, und hatte sogar ein Fach studiert, das mich

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eigentlich überhaupt nicht interessierte.

Jetzt hatte ich mein Jurastudium abgeschlossen - und wofür das Gan-

ze? Damit sie mich in die Anwaltskanzlei ihres Bruders stecken konnte,
um in seine Fußstapfen zu treten und später eine Vorzeigeanwältin zu
werden! Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich es all die Jahre zu-
gelassen hatte, dass sie mein Leben bestimmte. Ich meine, nichts davon
hatte ich wirklich gewollt, und trotzdem hatte ich alle Prüfungen mit Bra-
vour bestanden. Ihr zuliebe, weil ich dachte, dass sie danach endlich Ruhe
geben würde, doch dann hatte ich begriffen, dass es nie enden würde.
Dass sie mein Leben schon verplant hatte und nie aufhören würde, es zu
bestimmen. Sie hatte mir sogar Tobi vorgestellt, meinen wohlhabenden
Exfreund, der sich als absolutes Arschloch erwiesen hatte, aber ich war
selbst schuld.

Wie meine Mutter hatte ich mich von seinem Geld und Selbstbewusst-

sein blenden lassen, doch damit war jetzt Schluss. Mit allem! Mit 25
Jahren hatte ich mich endlich aus den Fängen meiner Mutter befreit, und
nun war es an der Zeit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, Fehler
zu machen und verdammt noch mal zu leben – ich hatte mir lange genug
Zeit damit gelassen.

Nachdem Lisa auch den zweiten Latte getrunken hatte, begaben wir

uns zu ihrem Auto, wo sie meine Tasche im Kofferraum verstaute. Mein
Gespräch fand in einer Stunde statt, deshalb hatte ich mich auch schon
entsprechend gekleidet. Im Auto musste ich allerdings mein Oberteil
wechseln, denn das war von meinem Zusammenbruch noch vollkommen
durchgeschwitzt. Das Make-up erneuerte ich ebenfalls, und während mich
Lisa zum Zielort fuhr, zog ich den dunkelroten Lippenstift nach. Ich fand
den Aufzug etwas übertrieben, aber ich hatte mir sagen lassen, dass die
Sekretärinnen hier nun mal so aufgedonnert herumliefen.

»Also, Süße, ich wünsche dir viel Glück, und heute Abend feiern

wir«, sagte Lisa, als wir vor dem Gebäude parkten. Marcs Entertainment.
Das schimmernde Gebäude sah im Realen noch viel beeindruckender aus
als im Internet.

»Falls ich überhaupt eingestellt werde«, sagte ich kleinlaut und sah

vom Fenster aus zum Gebäude hinauf. Plötzlich waren meine Knie ganz

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weich.

»Klar wirst du das, du hast immerhin schon zwei Bewerbungsge-

spräche durchlaufen.«

»Telefonisch!«, entgegnete ich und klang nun alles andere als

zuversichtlich.

»So oder so, der Schampus wird heute Abend fließen, auch wenn du

es nicht schaffst. Das hier ist nicht die einzige Firma in Berlin. Du kannst
überall als Sekretärin arbeiten.« Das stimmte, aber Marcs Entertainment
war die einzige Firma, die ihren Sekretärinnen ein fürstliches Gehalt
zahlte, und sollte ich gar als Chefsekretärin eingestellt werden, könnte ich
mir schon im nächsten Monat meine eigene Wohnung leisten. Gott, das
wäre perfekt.

»Okay, ich bin eine selbstbewusste und zielstrebige Frau«, murmelte

ich und stieg aus.

»Ich schaffe das.« Lisa pflichtete mir bei, reichte mir meinen Akten-

koffer, und ich schritt auf das Gebäude zu.

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Ein Zufall zu viel!

»Willkommen bei Marcs Entertainment«, begrüßte mich die Empfangs-
dame und das so überzeugend, als würde sie den Satz nicht dreihundert
Mal am Tag und mit einem freundlichen Lächeln sagen müssen – sie war
gut.

»Wen darf ich anmelden?«, fragte sie und musterte mich höflich.
So ein Arsch Mr. Rolex auch gewesen sein mochte, aber ich war froh,

dass er mich auf das falsch geknöpfte Jackett aufmerksam gemacht hatte,
denn alle Frauen trugen hier entweder komplett geöffnete oder
geschlossene Sakkos, sodass ich mich mit meiner Variante ziemlich zum
Idioten gemacht hätte. Schon traurig, dass man sich darüber den Kopf zer-
brechen musste, aber wenn ich in diesen Kreisen arbeiten wollte, musste
ich mich eben mit so geistlosen Themen wie der richtigen Knöpftechnik
auseinandersetzen.

»Frau Neumann, ich bin zum Bewerbungsgespräch eingeladen«, sagte

ich und legte meinen Ausweis vor.

Sie hakte mich auf einer langen Liste ab, und ich spürte meinen Mut

sinken. Der Liste nach zu urteilen, war ich nur eine von vielen, die heute
eingeladen waren. Dabei hatte ich geglaubt, dass ich mich nur gegen
wenige Mitbewerber behaupten musste.

»Bitte fahren Sie in die dritte Etage und nehmen Sie dort Platz. Man

wird Sie abholen.«

Ich bedankte mich, nahm meinen Ausweis zurück und lief zum Fahr-

stuhl. Mist, Mist, Mist! Wie sollte ich mich gegen so viele Bewerberinnen
durchsetzten, zumal ich doch nicht einmal Erfahrung als Sekretärin hatte?
Während ich die Aufzüge ansteuerte, ließ ich meinen Blick beeindruckt
wandern. Als meistgebuchte Firma der Stadt musste Marcs Entertainment
natürlich einen gewissen Ruf wahren, demnach war der ganze Prunk, der
mich umgab, auch kaum überraschend. Die Außenwände des Gebäudes
waren komplett verglast, sodass man die beeindruckende Innenarchitektur
schon von außen bewundern konnte. Der Boden war natürlich aus

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feinstem, glänzendem Marmor und überall standen meterhohe, verzierte
Säulen sowie Pflanzen. In der Mitte der Empfangshalle gab es einen
plätschernden Brunnen mit Goldfischen und dahinter sah man einen
märchenhaften Innenhof.

Ich betrat den Fahrstuhl und gerade, als er sich schließen wollte, er-

schien eine Hand im Spalt und die Türen öffneten sich wieder. Herein trat
ein hochgewachsener Mann, der mich aus schokoladenbraunen Augen an-
sah und ein ganz bezauberndes Parfüm trug. Wie alle hier war er fein
gekleidet, trug einen dunkelblauen Anzug und hatte hellbraunes Haar, das
er modern nach oben frisiert hatte. Er musterte die Bewerbungsmappe in
meinen Händen und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.

»Viel Glück«, sagte er. Er sah gut aus, auch wenn seine Nase etwas zu

lang und seine Gesichtszüge etwas zu schmal waren. Er erinnerte mich
stark an den Schauspieler Adrian Brody, den ich genau wegen dieser
Makel attraktiv fand.

»Danke, das kann ich gut brauchen«, erwiderte ich und drückte

lächelnd den Knopf. Wieder wollten sich die Türen schließen und wieder
wurde sie aufgehalten. Ein Glück, dass ich zwanzig Minuten zu früh bin,
dachte ich und machte einer kleinen Gruppe Platz.

»Wenn diese Frau … wie heißt sie noch gleich?«, fragte ein langhaari-

ger, bunt gekleideter Mann und gestikulierte wild mit den Händen.

»Wozniak«, antwortete eine hochgewachsene Frau mittleren Alters,

die einen viel zu langen Hals und viel zu große Augen hatte, um noch als
hübsch durchzugehen.

»Sie ist Polin«, fügte sie flüsternd hinzu, als ob das etwas Schlechtes

wäre.

»Ist mir egal, was sie ist«, meckerte der Mann.
»Wenn sie wieder nicht pünktlich zum Fotoshooting erscheint, fliegt

sie raus.«

Die beiden anderen Frauen, die noch anwesend waren und offenbar

dazugehörten, kritzelten etwas in ihre Notizblöcke und beobachteten jede
Bewegung des Mannes. Als wären sie seine Haustiere und er ihr Her-
rchen. Endlich schlossen sich die Türen und der Aufzug setzte sich in
Bewegung.

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»Puh, ich hoffe, die Klimaanlagen werden bald erneuert. Ich sterbe

jedes Mal in diesen verdammten Fahrstühlen«, bemerkte er und fächerte
sich theatralisch Sauerstoff zu. Okay, wenn ich noch irgendeinen Beweis
dafür gebraucht hatte, dass er vom anderen Ufer war, dann wurde er mit
dieser Geste geliefert. Kein Hetero fächerte sich so dramatisch Luft zu!

»Was meinen Sie dazu, Mike? Sie müssen in dem Anzug doch

umkommen«, fragte er und sah zu dem braunhaarigen Mann an meiner
Seite.

»Ich kann mich nicht beschweren, aber wenn es Ihnen nicht passt,

schlage ich vor, dass Sie mit Herrn Marcs persönlich sprechen«, sagte er
mit einem angedeuteten Lächeln.

»Sind Sie verrückt?«, fragte der Mann mit piepshoher Stimme und

machte ein schockiertes Gesicht.

»Der alte Greis frisst mich bei lebendigem Leibe.«
Der Braunhaarige lachte, dann öffneten sich die Türen und die Meute

stieg aus. Zurück blieben Mike und ich. Wow, was war das denn eben
gewesen? Mike bemerkte mein Stirnrunzeln und sagte: »Ich weiß, was Sie
denken. Luis ist unser Fotograf und eine Spezies für sich.« Als ich ihn
lachen sah, erlaubte ich mir ebenfalls ein Grinsen. »Nett.«

Als ich austeigen wollte, sagte er: »Ein Rat für die Zukunft: Äußern

Sie Ihre Meinung nie im Fahrstuhl, so wie es Luis gerne tut. Der sogenan-
nte Greis hört nämlich gerne mal mit.« Er zwinkerte mir zu, dann
schlossen sich die Türen, und ich lief zum Empfang, den es in jeder Etage
zu geben schien. Man schickte mich in den Warteraum, in den ich mich
setzte und meine Umgebung sondierte.

Auch diese Etage war wieder sehr modern und büromäßig ein-

gerichtet. Dominierende Farben waren hier Weiß und Dunkelgrau, außer-
dem gab es eine Menge Pflanzen und Bilder, um die kalte Atmosphäre
aufzulockern. Ich wusste nicht, wie es in den anderen Etagen aussah, aber
dieses war wie eine Art Rondell eingerichtet. In der Mitte der Etage be-
fanden sich die Bürotische, an denen die Sekretärinnen saßen, und jedem
Tisch befand sich ein abgeschotteter Raum gegenüber, hinter dem wahr-
scheinlich irgendein Chef saß. Die Tische bildeten somit einen Kreis und
die Räume drum herum einen weiteren, sodass man als Sekretärin stets

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den Überblick hatte.

Kurz fragte ich mich, wie viele Führungspositionen es hier gab, denn

ich zählte sechs Büroräume. Andererseits war Marcs Entertainment auch
eine große Firma, die von Immobilien über Fotoshootings und Pressemit-
teilungen bis hin zum Eventmanagement so ziemlich jeden Bereich ab-
deckte. Klar, dass da mehrere Führungskräfte benötigt wurden, und wie
praktisch, dass jeder seine eigene Sekretärin brauchte.

Während ich auf meinen Aufruf wartete, gesellten sich immer mehr

Bewerberinnen dazu, was meine Laune weiter drückte. Dann, endlich,
wurden wir in einen großen, verglasten Raum gerufen. Es war ein Schu-
lungsraum, in dessen Mitte ein langer Tisch stand, an den wir freundlich
gebeten wurden. An unseren Plätzen fanden wir je ein Glas, eine Wasser-
flasche, Stifte und Papier vor.

Ein Test, wie nicht anders zu erwarten und pünktlich um 12 Uhr

begann er. Zuerst sollen wir etwas über uns erzählen. Was wir gelernt hat-
ten, was unsere Stärken waren und warum wir uns für diese Stelle be-
worben hatten, dann sollten wir, und diese Aufgabe fand ich irgendwie
lächerlich, einen simplen Text auf Rechtschreibfehler untersuchen. Wobei,
so ganz lächerlich war es doch nicht, denn als Sekretärin sollte man schon
der deutschen Sprache und Rechtschreibung mächtig sein. Als Bewerberin
für diese Stelle hatte ich es nur einfach vorausgesetzt. Der Text war wirk-
lich leicht und die Fehler winkten mir förmlich zu, dennoch gab es nicht
wenige, die kläglich daran scheiterten und auch sofort aussortiert wurden.

Ich fragte mich, wie viele Stellen überhaupt vergeben werden sollten,

denn mit jedem weiteren Test schwand die Bewerberzahl rapide. Zu guter
Letzt mussten wir uns im Zehnfingerschreiben am Computer beweisen,
was ich ebenfalls mit Leichtigkeit bestand. Nun will ich ja nicht überheb-
lich erscheinen, aber sehr anspruchsvoll schienen mir die Tests nicht zu
sein. Am Ende blieben nur noch sage und schreibe 12 Bewerberinnen
übrig, die zu Einzelgesprächen aufgerufen wurden.

Puh, dann geht es jetzt wohl um die Wurst!, dachte ich und wartete mit

verschwitzten Händen darauf, dass ich zum Gespräch gebeten wurde.
Doch als wollte man meine Nervosität noch etwas schüren, wurde ich
natürlich als Letzte aufgerufen! Ich weiß, einer muss immer den Schluss

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machen, aber warum ausgerechnet ich und was, wenn die Herrschaften
ihre Wahl längst getroffen hatten?

»Herr Marcs und sein Sohn werden Sie nun empfangen«, sagte eine

Frau und führte mich in das gegenüberliegende Büro. Ich atmete tief
durch, öffnete die Tür und trat ein. Ich war so nervös, dass ich die
Gesichter nur flüchtig betrachtete. Stattdessen konzentrierte mich darauf,
die Tür zu schließen und mich dem Tisch ohne Wanken zu nähern. War-
um fühlte es sich eigentlich immer so an, als hätte man seine Beine nicht
unter Kontrolle, wenn man aufgeregt war? Erst, als ich den beiden die
Hand gab und ihnen ins Gesicht sah, nahm ich sie wirklich wahr, und als
ich seinen Sohn begrüßte, traf mich der Schlag. Meine Hand war schon
ausgestreckt, doch als ich Mr. Rolex erkannte, zog ich sie unwillkürlich
zurück.

Zu groß war der Schock, ihn hier zu sehen. Ich meine, das konnte

doch eigentlich gar nicht sein, oder? Er war doch im Zug geblieben und
weitergefahren. Obwohl, hatte er mich nicht auf einen Kaffee einladen
wollen? Das hätte er ja schlecht machen können, wenn er hätte weit-
erziehen wollen. Ich war nur so beschäftigt gewesen, ihn loszuwerden,
dass ich dieses winzige Detail übersehen hatte.

Soweit ich das beurteilen konnte, trug er noch dieselben Sachen wie

im Zug, nur hatte er jetzt ein schwarzes Sakko über das weiße Hemd
gezogen – einen Knopf offenstehend. Seine Haare waren jetzt nicht mehr
so wunderbar wirr gestylt, sondern ordentlich nach oben frisiert und mit
einer Menge Gel beschmiert. Ich musste zugeben, dass es mir im Zug
besser gefallen hatte, natürlicher und nicht so schmalzig geschäftlich, aber
dieser Look schien zu diesem Beruf zu gehören wie geleckte Schuhe.

Seine rauchgrünen Augen musterten mich, und im Gegensatz zu mir

schien er alles andere als überrascht zu sein.

»Schön, Sie kennenzulernen, Frau Neumann«, sagte er, nahm un-

aufgefordert meine Hand und schüttelte sie. Ich war immer noch nicht
fähig, mich zu bewegen, geschweige denn zu antworten, und erst als sein
Vater ein Räuspern hören ließ, erwachte ich aus meiner Starre.

»Äh, ja, ganz meinerseits«, murmelte ich und ließ mich in den Stuhl

sinken - oder eher plumpsen, denn ich hatte die Kontrolle über meinen

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Körper verloren.

Marcs Junior presste die Kiefer zusammen, um sich ein Lachen zu

verkneifen, und blätterte in meiner Bewerbungsmappe herum, auf dessen
Vorderseite mein Foto haftete. Deswegen ist er auch nicht überrascht,
dich zu sehen
, dachte ich. War es nicht schön, wenn man in der Position
war, seine Gesprächspartner schon vorher unter die Lupe nehmen zu
können? Diesen Luxus hätte ich auch gern gehabt, dann hätte ich mir
diese überaus peinliche Begegnung erspart und wäre nie hergekommen.
Hier und jetzt schreiend aus dem Zimmer zu rennen, erschien mir aber
auch unangebracht, also ließ ich das Gespräch über mich ergehen. Schlim-
mer konnte es sowieso nicht mehr werden!

»Nun, Frau Neumann, Ihre Bewerbungsunterlagen haben uns sehr

zugesagt, außerdem sind Sie eine der wenigen, die ein abgeschlossenes
Studium vorweisen können. Jura, sehr eindrucksvoll, aber wie kommt es,
dass Sie sich nun als Sekretärin bewerben? Das scheint mir ein Schritt
rückwärts zu sein«, fragte der alte Marcs. Wow, er war ziemlich direkt.

Ich holte tief Luft und ließ meinen Blick zwischen den beiden hin und

her schweifen. Du hast ihn als Arschloch bezeichnet. Sicher wird er sich
jetzt dafür rächen
, wisperte eine Stimme in meinem Kopf. Ich warf einen
sehnsüchtigen Blick auf die Tür zu meiner Rechten. Noch kannst du ge-
hen. Du wirst ihn nie wieder sehen und dich einfach woanders bewerben
,
redete ich mir zu. Ich meine, wie sollte ich auch für jemanden arbeiten,
den ich nicht leiden konnte? Sicher, die meisten konnten ihren Chef nicht
ausstehen, aber wie viele hatten sich mit ihm in einem Zug gefetzt und
waren anschließend in seinen Armen zusammengebrochen?

Na? Marcs Junior sah mich mit einem wissenden Blick an, so, als

ahnte er, was in mir vorging, doch ich wandte den Blick von ihm ab und
konzentrierte mich auf seinen Vater.

»Ich … wollte mal etwas anderes ausprobieren«, sagte ich wahrheits-

gemäß und hätte mich im nächsten Moment dafür ohrfeigen können. Et-
was anderes ausprobieren? Was Besseres fällt dir nicht ein?

»Ah, verstehe«, sagte der Alte mit gerunzelter Stirn. Glaub mir, Opi,

ich habe mir das Gespräch auch anders vorgestellt, dachte ich und spürte
meine Laune rapide sinken. Gott, ich hatte ja so was von keinen Bock auf

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dieses Gespräch, vor allem weil ich nicht wusste, wohin es führen würde.
»Dann erzählen Sie doch mal: Was sind Ihre Zukunftspläne und wie stel-
len Sie sich die Arbeit bei Marcs Entertainment vor?«, fragte der Senior
und lehnte sich interessiert über den Tisch. Damit nahm das Bewerbungs-
gespräch seinen Lauf und abgesehen davon, dass mich Juniors Anwesen-
heit total ablenkte und einschüchterte, schlug ich mich ganz gut – glaubte
ich zumindest. Ich sprach gerade von meinem Studium, als ein Handy vi-
brierte und sich der Senior erhob.

»Entschuldigen Sie bitte, aber das ist wichtig. Mach doch bitte weit-

er«, sagte er an seinen Sohn gewandt und zog sich aus dem Raum zurück.
Oh, bitte nicht. Lass mich doch nicht mit ihm allein!, rief ich ihm stumm
hinterher. Ich blickte dem Alten nach, bis er die Tür geschlossen hatte,
dann wandte ich mich widerwillig an seinen Sohn.

»Na? Überrascht, mich zu sehen?«, fragte er sichtlich amüsiert.
»Allerdings, was machen Sie hier?«, fragte ich säuerlich. Vorbei war

das höfliche Wortgeplänkel. Ich würde hier sowieso nicht arbeiten, wenn
er mein Boss war, also brauchte ich mich auch nicht mehr höflich geben.

»Offensichtlich arbeite ich hier«, sagte er und schenkte mir ein selb-

stgefälliges Grinsen.

»Ich weiß, aber … wie kommen Sie hierher? Sie sind doch weiterge-

fahren?«, fragte ich genervt.

»Bin ich nicht, und wenn Sie nicht so schnell die Flucht ergriffen hät-

ten, hätten Sie gesehen, dass ich direkt nach Ihnen ausgestiegen bin.« Sein
Ton klang leicht tadelnd. »Ich bin nicht geflüchtet!«, log ich.

»Doch sind Sie, als hätte ich Sie da drin belästigt, dabei habe ich

Ihnen genau genommen das Leben gerettet. Eine schöne Art, sich zu be-
danken«, murmelte er. Ich wusste nicht, ob sein beleidigter Ton echt oder
gespielt war, tippte aber auf Letzteres.

»Jetzt übertreiben Sie aber, ich hätte mir lediglich eine Beule geholt«,

wehrte ich ab. »Oder eine Gehirnerschütterung. Wie dem auch sei, einen
eigenartigen Freund haben Sie da. Lange, schwarze Haare und eine
Handtasche?«, fragte er und zog eine Braue hoch. Mist, er hatte uns
gesehen?

»Äh, ja, mein Freund hat kurzfristig abgesagt«, improvisierte ich.

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»Ein Glück, dass Ihre Freundin so schnell einspringen konnte. Sie

muss zufällig in der Nähe gewesen sein«, sagte er spöttisch und ließ einen
Kugelschreiber spielerisch zwischen den Fingern gleiten. Okay, allmäh-
lich gingen mir seine zweideutigen Kommentare auf den Wecker. Ich
hatte gelogen, und er hatte mich erwischt. Themenwechsel!

»Also, wie lange wissen Sie es schon?«, fragte ich. Er lächelte.
»Nicht viel länger als Sie. Fünf Minuten, bevor Sie rein gerufen wur-

den, sind wir Ihre Mappe durchgegangen, und da habe ich Ihr Bild
gesehen.«

»Sie scheinen das sehr amüsant zu finden«, sagte ich und verschränkte

die Arme vor der Brust.

»Eher schicksalhaft, ich meine, ist es nicht ein riesiger Zufall, dass wir

uns so schnell wiedersehen?«, fragte er augenzwinkernd und beugte sich
vor.

»Ein Zufall zu viel für meinen Geschmack«, gab ich trocken zurück.

Er lachte.

»Also … Sophia«, sagte er und las meinen Vornamen von meiner

Mappe ab. Warum hörte sich das Wort in seinem Mund so an, als würde
er jeden Buchstaben auf der Zunge rollen?

»Sprechen wir über Ihre Arbeitszeiten und Urlaubstage«, meinte er

und faltete die Hände auf dem Tisch. Ich sah ihn mit großen Augen an.

»Heißt das, Sie wollen mich einstellen?« Er hob die Schultern.
»Warum nicht? Sie sind intelligent, zuverlässig, widerstandsfähig …«
»Das wissen Sie doch gar nicht«, unterbrach ich ihn.
»Aber darauf legt mein alter Herr Wert und wenn ich ihm sage, dass

Sie die Voraussetzungen mitbringen, stellt er Sie ein.« Ich sah ihn un-
schlüssig an.

»Hören Sie, ich glaube, es ist keine gute Idee, wenn ich für Sie

arbeite.« Nun sah er ehrlich überrascht aus.

»Warum das?« Ich lachte verlegen.
Ȁh, vielleicht weil wir nicht gerade den perfekten Start hatten, um

eine geschäftliche Beziehung aufzubauen?«

»Ich sehe da kein Problem. Als meine persönliche Assistentin erwarte

ich Belastbarkeit, Eigeninitiative und Zuverlässigkeit. Was außerhalb

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dieser Mauern vorgefallen ist, tut dabei nichts zur Sache«, erklärte er.

»Aber … ich habe Sie ein Arschloch genannt«, beharrte ich. Ich kon-

nte einfach nicht begreifen, warum er mich unbedingt einstellen wollte.
War es Rache? Wollte er mir das Leben als seine persönliche Assistentin
zur Hölle machen? Das traute ich ihm glatt zu!

»Ich bin nicht nachtragend, und vorhin war ich ja auch noch nicht Ihr

Chef«, sagte er grinsend. Ich zog eine Grimasse und senkte die Lider.

»Ich weiß nicht recht.«
»Sie wissen schon, dass ich Sie gerade anflehe, für mich zu arbeiten?

Das ist wirklich peinlich.« Gegen meinen Willen musste ich lachen. Das
war wirklich skurril und genau deshalb sollte ich ausschlagen. Als ich im-
mer noch nicht antwortete, schob er mir mehrere zusammengeheftete
Blätter über den Tisch.

»Das ist Ihr Arbeitsvertrag. Unterschreiben Sie ihn und arbeiten Sie

für mich«, bat er und legte einen Stift dazu.

»Herr Marcs«, protestierte ich unschlüssig.
»Luca, nennen Sie mich Luca«, schlug er vor. Na, das würde ich ganz

bestimmt nicht tun! Soweit kam es noch!

»Ich denke, ich sollte jetzt gehen«, sagte ich, griff nach der

Handtasche zu meinen Füßen und erhob mich. »Haben Sie überhaupt mal
einen Blick auf den Vertrag geworfen?«, fragte er und hielt ihn mir hin.
Ich seufzte kaum merklich und setzte mich, dann ließ ich meinen Blick
gelangweilt über das Papier gleiten und verschluckte mich fast.

»Sie … Sie wollen mich als Ihre Chefsekretärin einstellen?«, fragte

ich verblüfft und sah mir das Gehalt an. Das wären fünfhundert Euro mehr
als das ohnehin schon vortreffliche Gehalt – netto! Das war unglaublich.

»Als meine persönliche Assistentin genießen Sie einige Vorteile. Sie

werden ein überdurchschnittliches Gehalt bekommen und in der größten
Eventfirma Berlins arbeiten. Außerdem werden Sie so ziemlich in jeden
Club und auf jede Veranstaltung gelassen. Unsere Mitarbeiter genießen
viele Extras. Denken Sie, dass Sie dem gewachsen sind?« Mein Blick glitt
von dem Vertrag zu seinem Gesicht, und ich konnte es immer noch nicht
glauben.

»Sicher, nur, wo ist der Haken?«, fragte ich und erntete

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anerkennendes Nicken, was mich ein Stück weit beleidigte. Was dachte er
denn? Dass ich mich von dem Gehalt blenden ließ, ohne mir überhaupt
das Kleingedruckte durchzulesen?

»Sie werden stets auf Abruf bereit sein und mich eventuell auf

Geschäftsessen begleiten müssen, aber das kommt eher selten vor. Außer-
dem unterstehen Sie natürlich der Schweigepflicht, was mich und meine
Firma anbelangt.«

»Nun«, sagte ich und blätterte den Vertrag durch.
»Ich fürchte, ich werde mir das erst mal genau durchlesen müssen, be-

vor ich eine Entscheidung treffe. Wir wollen ja nicht das Kleingedruckte
überlesen.« Keineswegs beleidigt schenkte er mir ein freches Grinsen, das
überhaupt nichts in einem Bewerbungsgespräch zu suchen hatte.

»Aber, Frau Neumann, unterstellen Sie mir etwa, meinen Mitarbeitern

Knebelverträge anzudrehen?« Noch ehe ich es verhindern konnte, ver-
ließen die nächsten Worte meinen Mund.

»Nun, nachdem was ich von Ihnen kennengelernt habe, traue ich

Ihnen so ziemlich alles zu.« Im nächsten Moment hätte ich mir am lieb-
sten die Hände vor den Mund geschlagen, doch er schien keineswegs
beleidigt. Nahm sich dieser Mann überhaupt etwas zu Herzen? Ich legte
den Vertrag auf den Tisch.

»Sehen Sie? Genau das meine ich. Ich kann einfach nicht für Sie

arbeiten und so tun …« eine Worte wurden von dem Senior unterbrochen,
der gerade hereinschneite. Als er sah, dass ich aufgestanden war, fragte er:
»Ist das Gespräch schon beendet?« Ich wollte ihm erklären, dass ich
weder für ihn noch für seinen Sohn arbeiten würde, als Luca sagte: »Ich
habe ihr die Stelle meiner persönlichen Assistentin angeboten. Du weißt
ja, dass ich Ersatz brauche.«

Der Senior hob die Brauen und sah von mir zu meinem Sohn.
»Chefsekretärin? Willst du die Stelle nicht jemandem mit mehr … Er-

fahrung geben?«, fragte er wenig begeistert und schloss die Tür. Ich hob
die Brauen. Was sollte das denn bitte heißen?

»Frau Neumann ist sehr qualifiziert, das hast du selbst gesagt«, er-

widerte Luca und deutete auf mich. Der Senior sah mich an, und als ich
seinem zweifelnden Blick begegnete, fühlte ich mich an die Gespräche

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mit meiner Mutter zurückerinnert. Genauso hatte sie mich auch immer an-
gesehen, wenn sie mal wieder an meinen Fähigkeiten zweifelte. Aber ich
wohnte nicht mehr bei ihr, und es war an der Zeit, dass ich es mir und der
Welt bewies.

»Ich bin sicher, dass ich den Anforderungen gewachsen bin und werde

Ihren Sohn gerne davon überzeugen«, sagte ich kurz entschlossen und zog
den Vertrag wieder zu mir heran. Dabei klang meine Stimme selbst in
meinen Ohren zu schneidend. Ich sah zu Luca, der einen überraschten
Ausdruck in den Augen hatte und an seinen Vater gewandt unschuldig die
Schultern hob, dann unterschrieb ich und reichte ihn ihm zurück. Er unter-
schrieb ebenfalls und zeigte es seinem Vater, der immer noch nicht
überzeugt aussah, aber das schürte meine Entschlossenheit nur noch weit-
er, es ihm zu beweisen. Ich würde mich von solchen Nichtigkeiten wie im
Zug nicht aufhalten lassen. Ich war erwachsen genug, mit der Situation
umzugehen, und wenn Luca das schaffte, dann konnte ich das erst recht.

»Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«, fragte Luca und erhob sich.
»Nein«, sagte ich und nahm den Vertrag entgegen.
»Dann begleite ich Sie zum Aufzug. Ihre Arbeit beginnt morgen um

acht.« Ich nickte und warf mir meine Jacke über, dann verabschiedete ich
mich von dem Senior und folgte Luca. Als wir das Büro verließen, waren
schon alle Bewerberinnen gegangen, und ich fragte mich, wer noch
eingestellt worden war oder ob es überhaupt noch jemand geschafft hatte.
Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich nun seine persönliche Ass-
istentin war, mit diesem unglaublichen Gehalt. Ich war aber auch schlau
genug, um zu wissen, dass es sicher nicht leicht sein würde und ich mir
jeden Cent würde verdienen müssen. Ich wusste ja nicht, was mit meiner
Vorgängerin geschehen war, aber es gab sicher einen Grund, warum er
eine neue Assistentin gesucht hatte.

»Ihr Vater scheint nicht sehr überzeugt von mir zu sein«, rutschte es

mir bei den Fahrstühlen heraus, und ich biss mir daraufhin fest auf die
Lippen. Sind das etwa Themen, die man mit seinem Chef erörtert?, tadelte
ich mich. Ich musste wirklich damit aufhören, ihn wie einen Bekannten zu
behandeln, denn das war er nicht. Er war jetzt mein Chef, kein heißer und
eingebildeter Anzugmann aus dem Zug mehr - obwohl, heiß war er immer

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noch, nur war er jetzt noch mehr tabu als vorher. Er war jetzt eine ver-
botene Zone! Zu meiner Verwunderung ging er aber unbekümmert darauf
ein, und ich fragte mich, ob es ihm ebenfalls schwerfiel, die geschäftliche
Ebene zu wahren, oder ob er es einfach nur nicht wollte. Er sah etwas ver-
legen aus, als er sagte: »Nehmen Sie ihm das nicht übel. Er ist eigentlich
bei jedem misstrauisch … selbst bei mir.«

»Oh, okay«, sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich darauf antworten

sollte, und weil ich das Thema schnell wieder beenden wollte. Wie sein
Vater zu wem war, ging mich überhaupt nichts an und schon gar nicht
wollte ich etwas über Lucas, ich meine Herr Marcs‘ Familienangelegen-
heiten wissen. Als der Aufzug nur noch zwei Etagen entfernt war, sagte
er: »Seien Sie morgen eine Stunde früher da, Aileen wird Sie an Ihren
Platz weisen und Ihnen alle weitere Unterlagen verschaffen.« »Aileen?«,
wiederholte ich verwundert.

»Wir sprechen uns hier alle mit Vornamen an, außer in Gegenwart

meines Vaters«, sagte er lächelnd, als sich die Fahrstuhltüren öffneten.
Zum Vorschein kam der braunhaarige Mann von vorhin, Mike, glaubte
ich. In den Händen trug er einen schweren, ledernen Aktenkoffer, und
seine wachsamen Augen waren auf mich gerichtet.

»Mike, darf ich dir meine neue Assistentin Sophia vorstellen?«, sagte

Luca und deutete auf mich. Mike deutete ein Lächeln an, dann stieg er aus
und gab mir die Hand. »So schnell sieht man sich wieder. Ich würde Ihnen
ja gerne gratulieren, aber Sie haben sich da mit dem Teufel eingelassen.
Mein Beileid«, sagte er scherzhaft, woraufhin Luca die Augen verdrehte.

»Sehr witzig, Mike. Beeil dich lieber, mein Vater wartet schon auf

dich.« Mike nickte, verabschiedete sich von mir und lief in das Büro, aus
dem wir gerade gekommen waren.

»Also, Sophia, willkommen bei Marcs Entertainment … und auf eine

gute Zusammenarbeit«, sagte Luca, als ich in den Fahrstuhl gestiegen war.

»Danke«, erwiderte ich, und obwohl ich es auch allein hätte machen

können, beugte er sich in den Fahrstuhl und betätigte den Knopf für mich.
Kurz, bevor sich die Türen schlossen, sah ich ihn unverschämt mit den
Augen zwinkern, oder vielleicht bildetet ich es mir auch nur ein. Jeden-
falls meldete sich mein Magen mit einem unruhigen Flattern und machte

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mir eines bewusst: Dieser Mann war ein Jäger, und ich war geradewegs
dabei, in sein Spinnennetz zu laufen!

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Der ganz normale Wahnsinn

»Na, wenn das nicht nach Ärger riecht«, meinte Lisa, als ich zu Ende
erzählt hatte. Sie hatte natürlich alles über mein Bewerbungsgespräch wis-
sen wollen, aber damit hatte sie selbstverständlich nicht gerechnet.

»Findest du? Ich sehe da eigentlich kein Problem, denn ich kann

diesen Typen sowieso nicht ausstehen, und sollte er mich irgendwie
bedrängen, kann ich ihn wenigstens anzeigen«, sagte ich unbeschwert und
würzte den Salat mit Olivenöl und Salz. Nur, wen wollte ich hier eigent-
lich überzeugen? Wenn schon ein kleines Augenwinkern von ihm Schmet-
terlinge in meinem Magen entfachen konnte, was würde dann eine Ber-
ührung in mir auslösen?

»Klar, Schnecke. Ich will dich ja nicht beleidigen, aber du ziehst sol-

che Männer förmlich an! Sie sind die bedauernswerten Motten und du das
Licht, nur dass du am Ende immer die Bedauernswerte bist.«

Ich hielt in meiner Bewegung inne und wandte mich zu ihr um.
»Weißt du, ich schätze deinen Rat wirklich sehr, aber kannst du bitte

die Klappe halten? Deine Worte sind nicht gerade aufbauend!«

Sie zuckte ungerührt die Schultern.
»Gut, ich sag ja nichts. Ich wollte nur vernünftig sein.«
Ich wandte mich wieder meinem Salat zu und Lisa sich der heißen

Pfanne. Ȇberlass das mir, ich habe aus meinen Fehlern gelernt und werde
nicht noch einmal denselben begehen, glaub mir.«

Wir deckten den Tisch, servierten unseren Salat und die gebratenen

Hähnchenkeulen und setzten uns an den Esstisch im Wohnzimmer. Lisa
hatte wirklich eine schöne Wohnung. Drei Zimmer, 86 Quadratmeter,
überwiegend weiße IKEA-Möbel und einen Karthäuser namens Khasi.
Sein graues Fell war kuschelig weich und schimmerte im Sonnenlicht
leicht bläulich. Er war ein wirklich stattlicher Kater und ließ selten eine
Gelegenheit aus, sich in Szene zu setzen. Jetzt zum Beispiel thronte er auf
seinem Kratzbaum und sah gebieterisch auf uns herab, um alles im Blick
zu haben. Er erinnerte mich stark an Luzifer, dem Kater aus Disneys

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Cinderella, nur dass Khasi verschmuster war und mich gut leiden konnte.
Ich hatte auch immer ein Haustier haben wollen, einen Hund, doch meine
Mutter konnte Tiere nicht ausstehen … genauso wenig wie gackernde
Frauen, überfüllte Supermärkte, brillentragende Männer, Freizeitparks, zu
knapp bekleidete Mädchen und noch vieles mehr. Eigentlich konnte sie
nichts und niemanden leiden, außer vielleicht sich selbst. Ernsthaft, wenn
ich mit ihrer Einstellung durchs Leben gehen würde, hätte ich mich schon
längst von einer Brücke gestürzt. So viele negative Gedanken konnte man
doch gar nicht in sich aufnehmen!

Nach dem Essen räumten wir das Geschirr in die Spülmaschine und

fuhren zu IKEA, um mir ein Bett zu kaufen. Ich liebte es, bei IKEA ein-
zukaufen. Man fand immer wunderschöne Dekoartikel und günstige Mö-
bel, die sowohl für den privaten Gebrauch als auch für Büroeinrichtungen
taugten, und als preiswerte Alternative war das schwedische Möbelhaus
genau richtig. Deshalb kaufte ich das günstigste Bett und den günstigsten
Schrank, um mich provisorisch einzurichten und noch einiges an Dekor.

200 Euro später steuerten wir auch schon wieder den Heimweg an und

machten uns ans Aufbauen. Ich hatte keine Möbel von zuhause mitgenom-
men und meinen kompletten Kleiderschrankinhalt per Post vorschicken
lassen.

Auf dieselbe Weise war ich auch mit meinen Unterlagen, Büchern und

anderen Habseligkeiten verfahren, sodass meine Mutter schließlich ein
leeres Zimmer vorgefunden hatte, und weil sie es so gut wie nie betrat,
war ihr mein heimlicher Umzug auch nicht aufgefallen. War das nicht
traurig? Keine Mutter, die eine gesunde Beziehung zu ihrer Tochter
führte, würde es nicht bemerken, wenn sie auszog! Aber wir führten ja
schon lange keine gesunde Beziehung mehr. Die Ummeldung und den
dazugehörigen Papierkram hatte ich schon vor Tagen erledigt, sodass ich
nur auf eine Gelegenheit hatte warten müssen, bei der sie wieder mal mit
ihren Freundinnen zum Essen war. Wobei das Wort Freundinnen weit
hergeholt war, denn sobald die drei wieder getrennt waren, zogen sie
übereinander her, was das Zeug hielt. Warum sie sich trotzdem immer
wieder trafen? Wahrscheinlich ertrug kein anderer ihre Nähe, sodass sie
eine Art Zwangsfreundschaft entwickelt hatten.

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Ich weiß, dass es feige war, nachts und ohne Vorwarnung abzuhauen,

doch meine Mom war so bekannt, dass sie Beziehungen in sämtliche
Ebenen hatte, auch zu den örtlichen Polizisten. Sie war ein Teufel, der un-
sere Ortschaft aus dem Hintergrund regierte, und wenn ich sie vorgewarnt
hätte, hätte sie mich irgendwie aufgehalten und meinen Plan vereitelt. Ich
hatte also keine andere Wahl gehabt. Ein Zettel war das einzige, das ich
ihr hinterlassen hatte, doch ich wusste, dass sie keine Träne ver-
schwenden, sondern höchstens einen Wutanfall bekommen würde. Sie
hatte mich seitdem auch nicht angerufen, obwohl sie mein Verschwinden
schon längst bemerkt haben musste. Immerhin hätte ich gestern meine
Stelle in der Anwaltskanzlei antreten sollen, und für gewöhnlich schliff sie
mich persönlich zu solchen Terminen. Aber so war sie eben, stur und
herrisch.

Sie dachte bestimmt, dass ich gerade eine rebellische Phase durch-

machte, und würde glauben, dass ich irgendwann zurückkäme. Demnach
würde es auch einige Wochen dauern, bis sie den Ernst der Lage begriff
und sich bei mir melden würde. Ich hatte ihr natürlich nicht verraten, wo-
hin ich gezogen war, doch früher oder später würde sie es mithilfe ihrer
Kontakte herausfinden. Ach, wie gern ich doch ihre Versuche miterleben
würde, unserer Nachbarschaft mein Verschwinden zu erklären. Das würde
sie mir nie verzeihen, aber das machte nichts, denn ich würde ihr auch so
einiges nicht vergeben.

Am frühen Abend waren wir mit dem Aufbauen fertig und ließen uns

chinesisches Essen kommen. Anschließend zog ich mich in mein Bett
zurück.

Da ich keine Ahnung hatte, was mich morgen erwartete, wollte ich

ausgeruht sein und brauchte deshalb viel Schlaf. Wobei, eigentlich wusste
ich es schon, denn ich hatte mich natürlich ausführlich über den
Aufgabenbereich einer Sekretärin informiert. Als seine persönliche Assist-
entin war es meine oberste Bestimmung, für meinen Chef da zu sein und
als seine rechte Hand zu fungieren. Ich war für den Empfang seiner per-
sönlichen Kunden verantwortlich, tätigte Telefonate in seinem Namen, fil-
terte die unwichtigen Anrufe heraus, plante Geschäftsreisen und Meetings,
übernahm seine schriftliche Korrespondenz und bearbeitete seine Post.

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Eigentlich ein sehr spannender und abwechslungsreicher Beruf, nur hätte
ich vielleicht nicht unbedingt für ihn arbeiten sollen! Aber verdammt, ich
brauchte das Geld, und wenn mir irgendetwas nicht koscher vorkam, kon-
nte ich ja immer noch kündigen.

***

Am nächsten Tag betrat ich das Büro schon eine halbe Stunde früher.
Nicht, weil ich einen guten Eindruck machen wollte, sondern weil ich
mich erst noch an den kurzen Arbeitsweg gewöhnen musste. Ich war tat-
sächlich zur Arbeit gelaufen, was ich überhaupt nicht gewohnt war, denn
bei uns im Dorf kam man ohne Auto überhaupt nicht raus und auch die
Arbeitswege betrugen eine halbe Stunde aufwärts. Deshalb war ich es ge-
wohnt, Extraminuten einzuplanen und die war ich nun zu früh.

Am Empfang wurde mir mein Kärtchen ausgehändigt, mit dem ich

Zugang zu sämtlichen Abteilungen hatte, außerdem bekam ich eine Liste
mit neuen Passwörtern für meinen Arbeitscomputer. Dann fuhr ich in die
dritte Etage, wo mir Aileen meinen Platz zuwies.

»Ich weiß ja nicht, wie du es zu seiner persönlichen Assistentin

geschafft hast«, raunte sie mir eine Stunde später ins Ohr.

»Aber auf deine Stelle sind einige von uns schon seit Jahren scharf«,

fügte sie hinzu, wobei sie aber weder missbilligend noch neidisch klang.
Es war einfach nur eine Feststellung.

»Warum erzählst du mir das?«, fragte ich.
Sie ließ ihren Blick umherschweifen, obwohl wir so gut wie allein

waren. Aus dem Fahrstuhl stiegen gerade zwei Herren und in Lucas Büro
staubsaugte eine Putzfrau, ansonsten war die Etage leer. Offenbar hatte
Aileen früher angefangen, um mich einzuweisen, denn alle anderen
Sekretärinnen-Plätze waren noch unbesetzt.

»Weil das der einen oder anderen sauer aufstoßen wird und du dich

nicht wundern sollst, wenn man dir zickig kommt«, erklärte sie.

»Na, toll. Also habe ich mir schon Feinde gemacht, bevor mein erster

Arbeitstag überhaupt richtig begonnen hat«, seufzte ich.

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Sie lächelte mitfühlend.
»Keine Angst, solange du unter meinen Fittichen bist, werden sie dich

in Ruhe lassen. Ich bin die dienstälteste Sekretärin, sie respektieren mich.«

Dienstälteste? Ich musterte Aileen genauer, die nicht älter als vierzig

sein konnte. Sie hatte feuerrotes Haar, Smokey Eyes, trug knallroten Lip-
penstift und hatte ein Tattoo, das sich an ihrem Hals entlang schlängelte.
Nicht gerade ein Look, den man unbedingt in einem Büro erwartete. Als
sie sah, wie mein Blick an ihrem Tattoo festhing, sagte sie: »Mit den
Jahren erarbeitet man sich hier ein gewisses Maß an Vertrauen und einige
Freiheiten, ich werde es wegen meines Aussehens aber nie zur persön-
lichen Assistentin schaffen.« Sie deutete auf ihr Tattoo. Wieder klang sie
nicht sauer, sondern eher so, als hätte sie sich schon lange damit abgefun-
den und als wäre sie mit ihrer Position zufrieden.

»Hat Luca etwa was gegen Tattoos?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
»Luca nicht, aber sein Vater und solange er die Firma führt, muss sich

Luca an seine altmodischen Richtlinien halten. Und eine tätowierte Frau,
die wichtige Konferenzen begleitet, gehört eindeutig nicht dazu.«

»Das heißt, er selbst geht damit viel lockerer um?«, erkundigte ich

mich. Ich fand es total spannend, etwas über Luca als Person zu erfahren,
vielleicht sogar etwas zu spannend. Andererseits war ich jetzt seine Assist-
entin, da musste das doch so sein, oder?

»Und wie locker er ist. Wenn der Alte auf Geschäftsreise geht, müssen

wir Frauen keine Röcke tragen und können auch mal in bequemen Jeans
kommen, außerdem spendiert Luca einmal im Monat Pizza für die ganze
Abteilung und lässt uns während der Arbeit im Internet surfen.« Jetzt
bekam ihre Stimme einen schwärmerischen Unterton.

»Ach, wenn ich doch nur fünfzehn Jahre jünger wäre, dann hätte ich

diesen Kerl schon längst vernascht.« Sie schenkte mir ein durchtriebenes
Zwinkern, und ich schloss sie sofort ins Herz.

»Das heißt also, seine Mitarbeiter mögen ihn«, schlussfolgerte ich. Ir-

gendwie kaum vorstellbar, so ein Mistkerl wie er im Zug gewesen war.

»Mögen? Mädchen, wir lieben ihn! Luca ist der heißeste, witzigste

und netteste Chef, den man sich vorstellen kann, und wir alle machen drei

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Kreuze, wenn der Alte endlich abdankt. So stur wie er ist, wird er seine
Führungsposition aber so schnell nicht abgeben, und jetzt solltest du dich
um Lucas Postfach kümmern. Er mag es gar nicht, wenn es schon am
frühen Morgen vor unwichtigen Mails überquillt«, sagte sie und setzte
sich zu mir.

Irgendwie fand ich die Vorstellung absurd, in seinem Postfach her-

umzustöbern. Ich wusste ja, dass ich als Assistentin auch ein Stück weit in
sein Privatleben eindringen musste und Dinge erfahren würde, die ich vi-
elleicht gar nicht wissen wollte, aber seine E-Mails lesen?

Aileen blieb die ganze Zeit an meiner Seite, zeigte mir, welche Na-

chrichten wichtig waren, welche ich von vorneherein löschen konnte und
welche ich auf später verschieben sollte. Währenddessen machte ich mir
haufenweise Notizen, und als mein Telefon klingelte, nahm sie ab und
zeigte mir, wie und wo man sich Notizen machte.

Im Laufe der Zeit trafen auch die anderen Sekretärinnen ein und

hießen mich in ihre kleine Runde willkommen. Dabei hätten sie unter-
schiedlicher nicht sein können. Bianca, die kleine Brünette, machte einen
verschlafenen Eindruck und schlürfte lustlos ihren Kaffee, Anne und Sam-
antha, die leicht aufgedreht wirkten, kicherten leise vor sich hin, und dann
war das noch Mary, die große Blonde, die mich kühl und abschätzend
musterte und die demnach wohl eine der Missbilligenden sein musste.

»Wo hast du vorher gearbeitet?«, erkundigte sie sich, ließ sich gebi-

eterisch in ihren Sessel sinken und drehte sich zu mir.

»Nirgendwo, ich komme direkt von der Schulbank«, sagte ich,

woraufhin mir die anderen Frauen ihre volle Aufmerksamkeit schenkten.

Mary dachte wohl, ich rede von einer Ausbildung, denn sie vermutete:

»Fachangestellte für Bürokommunikation?«

»Eher ein abgeschlossenes Jura-Studium«, sagte ich, was sie ihre per-

fekt gestutzten Brauen heben ließ. Ihr Blick war einen Hauch an-
erkennend, aber vor allem missbilligend.

Aileen jedoch wirkte beeindruckt.
»Hört, hört, unsere erste Studium Absolventin. Jetzt weiß ich auch,

warum er dich genommen hat.« Mary warf ihr einen unfreundlichen Blick
zu und kaute undamenhaft auf einem Kugelschreiber herum. Ihre Bluse

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hatte sie aufgeknöpft, sodass ihr praller und gepushter Busen zum
Vorschein kam und ob unecht oder nicht, aber er war definitiv ein Hin-
gucker. Zu ihren schwarzen, transparenten Strumpfhosen trug sie hohe
Absatzschuhe, ihr volles Haar lag auf der Schulter und für ihr
aufwendiges Make-up hatte sie bestimmt stundenlang vor dem Spiegel
gestanden. Ich lief da weniger spektakulär herum. Natürlich trug ich auch
einen Rock und eine Bluse, aber meine Pumps hatten einen bequemen Ab-
satz, und das einzige, das ich im Gesicht trug, war leichte Wimperntusche
und ein Klecks Concealer, um einen Pickel zu verdecken. Ich mochte
meinen natürlichen Look, und ohne eingebildet sein zu wollen, aber ich
wette, dass ich ungeschminkt frischer aussah als Mary.

»Wie kommt man denn vom Jurastudium zur Sekretärin?«, fragte sie,

ohne sich um einen freundlichen Ton zu bemühen, doch ich kannte diese
Sorte von Menschen und konnte damit umgehen. Es gab immer welche,
die sich für etwas Besseres hielten. Sei es vom Aussehen her oder vom In-
tellekt. Das war bei meinem Studium nicht anders gewesen, nur dass man
sich dort eher etwas auf sein Wissen einbildete und Mary eben auf ihr
Aussehen. Und ich gab es zu, sie sah wirklich rattenscharf aus und war
wahrscheinlich die heißeste Mitarbeiterin im ganzen Gebäude. Aber was
hatte ihr das gebracht? Lucas Assistentin war sie trotzdem nicht. Okay,
das war jetzt vielleicht gemein, aber man musste auch mal schadenfroh
sein und diese blöde Kuh hatte es nicht anders verdient!

»Keine Ahnung, es hat mich halt angesprochen«, sagte ich schul-

terzuckend und das entsprach auch absolut der Wahrheit. Nachdem ich
beschlossen hatte, meine Mutter zu verlassen, hatte ich mich kreuz und
quer für so ziemlich alle Berufe beworben – Hauptsache, es war in Berlin.
Und Marcs Entertainment war nun mal die erste Firma gewesen, die sich
bei mir gemeldet hatte. Ich gebe zu, anfangs war es mir egal gewesen, wer
mich nahm, aber als ich das vortreffliche Gehalt und die Lage gesehen
hatte, wollte ich unbedingt hier arbeiten.

»Und dann hast du einfach so beschlossen, dich zu bewerben?«, hakte

sie nach.

Ich schnalzte genervt mit der Zunge. Allmählich wurde mir ihre

Fragerei zu blöd, vor allem weil sie ihre Abneigung nicht einmal

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versteckte. »Und offenbar war mein Vorhaben von Erfolg gekrönt«, sagte
ich, drehte mich entschieden zu meinem Bildschirm um und kehrte ihr
somit den Rücken zu.

Aileen stieß mich von der Seite an und zwinkerte mir anerkennend zu

– offenbar konnte sie Mary genauso wenig leiden.

Pünktlich um neun war die Etage dann gefüllt und überall klingelten

Telefone, eilten Menschen umher, tuschelten Sekretärinnen und traten
Menschen im Minutentakt aus und in die Aufzüge – der ganz normale
Wahnsinn eines Büroalltages eben. Aileen erklärte mir, wer hier in der
dritten Etage sein Büro hatte und für wen meine Kolleginnen arbeiteten.
Bianca für die Finanzchefin, Anne für den Pressesprecher, Samantha für
den Vorstandsvorsitzenden der Modeabteilung, Mary für die Personal-
chefin und Aileen für Mike, den netten Kerl aus dem Fahrstuhl, der unser
IT-Manager war und nebenbei auch ein guter Freund von Luca.

Um halb zehn betrat Luca die Etage und bevor ich ihn überhaupt be-

merkt hatte, veränderte sich die Atmosphäre im Raum. Meine Kolleginnen
richteten schnell ihre Frisuren, setzten sich gerade hin und alle Blicke
schienen wie gebannt auf den Juniorchef gerichtet zu sein. Ich gebe es zu,
er sah wirklich zum Anbeißen aus in seinem dunkelgrauen Anzug und mit
seinem gepflegten Drei-Tage-Bart, aber man konnte es auch übertreiben.
Ich tat jedenfalls nichts dergleichen, sondern begrüßte ihn nur höflich.
Man musste ihm aber zugutehalten, dass er nicht nur mich grüßte, sondern
auch alle anderen Sekretärinnen und das äußerst charmant. Ein allge-
meines Raunen schien durch den Raum zu gehen, als er an uns vorbei war,
und als er die Bürotür hinter sich schloss, war der Zauber gebrochen und
jeder wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

»Warte eine Minute, damit er erst mal ankommen kann und geh dann

zu ihm«, riet Aileen mir. Also klopfte ich genau eine Minute später mit
einem Notizblock bewaffnet an seine Bürotür.

»Komm rein«, sagte er, und als ich den Raum betrat, schlich kalte

Luft, die von dem geöffneten Fenster hereinwehte, um meine Knöchel.
Das Sakko hatte er abgelegt und entblößte ein dunkles Seidenhemd dar-
unter, das sich wunderbar um seinen Körper spannte. Warum musste er
auch so groß und trainiert sein? So konnte ich mich kaum auf das

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Geschäftliche konzentrieren!

»Guten Morgen, Herr Marcs, folgende Termine …«, begann ich, doch

er unterbrach mich sofort.

»Herr Marcs? Ich bin nicht mein Vater, du kannst mich ruhig duzen,

Sophia«, sagte er belustigt und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.

»Ich bin es nicht gewohnt, meinen Chef zu duzen, wenn es Ihnen also

nichts ausmacht, würde ich das gerne beibehalten«, bat ich.

Er musterte mich und das amüsierte Funkeln in seinen Augen erlosch

etwas. »Wenn du dir Sorgen machst, dass unsere geschäftliche Beziehung
dadurch Schaden nehmen könnte, dann kann ich dich beruhigen. Hier
duzen sich alle, das hat nichts zu bedeuten.«

»Das mag gut sein, aber … ich würde Sie trotzdem gerne siezen«,

sagte ich. Ich wollte erst gar keine freundschaftliche Atmosphäre aufkom-
men lassen. Er war mein Chef und ich seine Angestellte und entweder er
respektierte das oder es würde nicht mit uns funktionieren!

Er musste es in meinen Augen gelesen haben, denn er seufzte schließ-

lich und gab nach.

»Einverstanden … fürs Erste. Und jetzt setz dich doch bitte«, sagte er

und deutete auf den freien Platz. Ich tat es und kam sofort zur Sache.

»Harry Cooper hat angerufen und möchte mit Ihnen einen neuen Ter-

min vereinbaren - es besteht weiterhin Interesse. Außerdem haben Herr
Wiens und Herr Andenberg dem Geschäftsessen zugesagt. Am besten
passt es ihnen um 20 Uhr.« Ich ging meine Notizen durch und spürte
dabei seinen Blick auf mir ruhen, was mich nervös machte. Klar, so würde
es ab jetzt jeden Morgen laufen, dennoch musste ich mich erst an seine
einschüchternde Ausstrahlung gewöhnen.

»Luis möchte Sie wegen der Klimaanlagen im Gebäude sprechen,

speziell wegen der Fahrstühle und äh … ich glaube, Sie haben das Fit-
nessstudio schon länger nicht mehr besucht. Um genau zu sein, schon seit
über einem Jahr nicht mehr. Ich weiß, es geht mich nichts an, aber, ähm,
vielleicht sollten Sie über eine Kündigung nachdenken? Ich kann das für
Sie erledigen«, sagte ich unbehaglich. Genau das meinte ich. So etwas
wollte ich einfach nicht wissen!

»Tatsächlich? Hm, ich dachte, ich hätte das schon längst erledigt.

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Irgendwann habe ich dem Studio abgeschworen und lieber im Freien
trainiert«, murmelte er wie zu sich selbst und ohne die geringste Spur von
Scham. War es ihm denn gar nicht peinlich, mit seiner Assistentin darüber
zu reden? Dann fiel sein Blick auf mich und er sah, dass ich wie eine
überreife Tomate angelaufen war.

»Ist es dir etwa unangenehm, mit mir über meine privaten Angelegen-

heiten zu sprechen?«, fragte er und hatte wieder diesen schelmischen Aus-
druck in den Augen. Ganz offensichtlich machte es ihm Spaß, mich verle-
gen zu sehen.

»Nun ja, ich komme frisch aus dem Jura-Studium, bei dem der

Datenschutz und die Privatsphäre eine große Rolle spielen. Es ist mir also
schon unangenehm, ja«, gab ich zu. Lügen hatte sowieso keinen Zweck, er
wusste, dass es so war.

Er winkelte die Arme hinter dem Kopf an und erklärte: »Mir macht es

überhaupt nichts aus, weißt du? Ich bin es gewohnt, dass man mir in die
Karten sieht, schon von klein an.«

Wem sagte er das? Vor meiner Mutter hatte ich damals auch nichts

geheim halten können. Sie hatte mein persönliches E-Mail-Postfach
durchstöbert, meine Handyanrufe verfolgt und sich bei meinen Freunden
über mich erkundigt, diese verrückte Frau. Wie war ich doch froh, endlich
von ihr los zu sein.

»Aber das ist doch … traurig, oder?«, fragte ich.
»Nie für sich zu sein, sich ständig für etwas rechtfertigen zu müssen,

immer unter Beobachtung zu stehen«, fügte ich hinzu und konnte den
schmerzhaften Ton in meiner Stimme nicht verdrängen. Als hätte er es
auch gehört, richtete er sich etwas auf und musterte mich nachdenklich.

»Klingt, als kennst du dich damit ebenfalls aus.« Sein Blick ruhte

schwer auf mir, und ich hatte das Gefühl, als würden seine Röntgenaugen
direkt in meine Seele blicken.

Ich räusperte mich, mich unwohl fühlend.
»Nein, zum Glück nicht.« Keine Ahnung, ob er mir die Lüge ab-

kaufte, aber er vertiefte das Thema nicht weiter, sondern bat mich, mit
meinem morgendlichen Bericht fortzufahren.

Zwanzig Minuten später hatten wir alle Termine besprochen und

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zurechtgerückt, und ich erhob mich von meinem Platz.

»Ach, noch etwas«, sagte er.
»Könntest du mir eine Kanne Kamillentee kommen lassen?«
Ich warf einen Blick auf seine Tasse, dessen Inhalt ich für Kaffee ge-

halten hatte, und musste mir plötzlich ein Lachen verkneifen. Er sah es
und fragte: »Habe ich irgendetwas verpasst?«

Ich biss mir fest auf die Unterlippe, konnte mir das Grinsen aber nicht

verkneifen und musste schließlich laut prusten.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich, belustigt, aber auch schockiert

darüber, dass ich meinen Chef gerade auslachte.

»Ich habe nur noch nie einen Geschäftsmann gesehen, der Kamil-

lentee trinkt.«

Er starrte mich einen Moment an, und ich dachte wirklich, dass er sich

über mein Benehmen beschweren würde, doch dann schenkte er mir ein
spitzbübisches Lächeln. »Ich bin ja auch kein gewöhnlicher Chef, außer-
dem hat Kamillentee eine vielfältige Wirkung. Ich werde sie dir bei Gele-
genheit zeigen«, sagte er und wandte sich seinem Laptop zu. Zeigen? Was
genau meinte er damit und was hatte dieser Unterton zu bedeuten?

Als ich mich an meinen Platz setzte, musterte Mary mich mit zusam-

mengekniffenen Augen. Herr Gott, was hatte sie nur für ein Problem?
Dachte sie etwa, ich hätte da gerade einen Quickie gehabt? Wenn sie so
auf Luca stand, dann sollte sie ihm das doch einfach sagen und nicht so
tun, als würde ich ihn ihr wegnehmen! Ich war ohnehin nicht interessiert.

Mein Arbeitstag endete pünktlich um 16 Uhr und abgesehen davon,

dass Mary versucht hatte, mich mit Blicken zu töten, hatte mir der erste
Tag sehr gut gefallen. Sehr angenehmes Arbeitsklima und sehr nette Kol-
legen. Ich würde definitiv wiederkommen.

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Un caffé con Luca

Die nächsten zwei Wochen vergingen wie im Flug und ich lebte mich

gut bei Marcs Entertainment ein. Schon nach dem dritten Tag musste
Aileen mich nicht mehr einarbeiten, denn ich lernte schnell und erledigte
meine Aufgaben gewissenhaft und zuversichtlich, und auch Luca und ich
wurden ein eingespieltes Team. Zwar wurden meine morgendlichen
Bürobesuche immer noch von einem leichten Bauchkribbeln begleitet,
doch lernte ich mit der Zeit, damit umzugehen und seine eingehenden
Blicke zu ignorieren. Auch Mary schien ihre spitzen Bemerkungen all-
mählich leid zu sein oder es ärgerte sie, dass ich kaum darauf einging.
Jedenfalls wurden sie immer weniger, und sie begnügte sich nur noch
damit, mir finstere Blicke zuzuwerfen, wenn ich aus seinem Büro kam.

»Was ist das?«, fragte ich Aileen, als sie einen gelben Brief auf mein-

en Schreibtisch klatschte.

»Deine Einladung zur Betriebsfeier«, sagte sie und ließ sich in ihren

Stuhl fallen. »Wir haben unsere schon vor Wochen bekommen, aber da
man sich nicht sicher war, ob du hier bleibst, hast du deine erst jetzt
bekommen«, fügte sie hinzu.

»Ach, und jetzt ist man sich sicher?«, fragte ich.
»Hab’s gerade von Mary erfahren, wobei sie es dir wohl kaum

verklickern wird. Aber ich denke, dass die Personalchefin im Laufe des
Tages auf dich zukommen und dir die frohe Kunde selbst überbringen
wird.«

Ich lächelte zufrieden und öffnete den Brief.
»Übermorgen schon?«, fragte ich wenig begeistert, nachdem ich die

Einladung gelesen hatte.

»Und du musst in festlicher Kleidung kommen«, sagte Aileen von ihr-

em Platz aus.

»Aber ich besitze kein Ballkleid, außerdem wird hier ausdrücklich

nach dem Partner verlangt, ich hab aber keinen«, sagte ich.

»Dann solltest du dir beides bis Samstag zulegen«, meinte sie

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grinsend. Als mein Gesicht ernst blieb, sagte sie: »War nur ein Scherz. Du
musst natürlich nicht in Begleitung kommen, aber du könntest. Nimm
doch deine Mitbewohnerin mit, und ein schickes Kleid wirst du ja wohl
auftreiben können.«

Also machte ich mich nach Feierabend auf die Suche nach einem

passenden Kleid und wurde in einem Second Hand-Laden fündig. Na also,
ein schickes Designerkleid für einen Spottpreis - so machte einkaufen
Spaß. Als ich nach Hause kam, wartete Lisa schon mit dem Mittagessen
auf mich. Lasagne, ihr Leibgericht.

»Und, hat dich Mr. Rolex wieder belästigt?«, fragte sie und tat mir

eine viel zu große Portion auf den Teller.

»Er heißt Luca, wie oft noch?«, sagte ich, genervt, weil sie ihn nie bei

seinem richtigen Namen nannte.

»Und nein, er belästigt mich nicht. Er macht nur manchmal etwas un-

angebrachte Kommentare, nichts weiter«, wehrte ich ab.

Lisa lachte.
»Und genau diese unangebrachten Kommentare nennt man flirten, du

Dummkopf.«

»Er flirtet nicht mit mir«, sagte ich kopfschüttelnd.
»Das ist nur seine Art, sich zu unterhalten. So spricht er mit allen

Frauen.«

»Ach, und was ist mit ich zeige dir die vielfältigen Eigenschaften von

Kamillentee?«, fragte sie und ahmte seine männliche Stimme nach.

»Das war sicher nicht anzüglich gemeint«, wehrte ich kauend ab.
»Und wenn du so weitermachst, dann erzähl ich dir gar nichts mehr!«
Sie verdrehte die Augen.
»Gott, Sophia, wie blind bist du eigentlich? Der Typ steht auf dich

und er flirtet mit dir, was alle anderen in diesem Universum begriffen
haben, nur du nicht! Oder willst du es nur nicht sehen?«, hakte sie nach
und musterte mich eingehend.

Ich zuckte die Schultern.
»Ist mir egal, was er macht. Ich führe eine rein geschäftliche Bez-

iehung mit ihm, nichts weiter. Begleitest du mich jetzt zur Betriebsfeier?«,
versuchte ich, das Thema zu wechseln. Ich wollte weder darüber

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nachdenken noch darüber diskutieren, ob er mit mir flirtete oder nicht. Er
war ein gutaussehender Geschäftsmann, der sicher jede Woche eine an-
dere im Bett hatte. So oder so, ich hatte kein Interesse.

»Keine Zeit, ich muss meinen Testbericht bis Sonntag abgeben«,

erklärte sie und kaute herzhaft auf ihren Nudeln herum. Na toll! Wenn ich
etwas gar nicht leiden konnte, dann war es, allein auf einer Party
aufzukreuzen. Aber ich war ein Neueinsteiger, ich konnte es mir nicht er-
lauben, abzusagen.

Nach dem Essen fanden wir uns im Wohnzimmer ein und stritten über

das heutige DVD-Thema – so wie jedes Mal eigentlich. Lisa wollte natür-
lich wieder nur Fantasy-Filme gucken, während ich diverse Thriller
vorschlug. Letztendlich einigten wir uns auf die Tribute von Panem, was
ein angenehmer Mix aus beidem war. Am Ende musste ich zugeben, dass
ich schwer begeistert war, auch wenn ich sonst nichts für fantasievolle
Filme übrig hatte. Ich las auch lieber Ratgeber als seichte Literatur und
schaute höchstens in einen Krimi, aber vielleicht musste das bei einer Jur-
istin ja so sein.

Am nächsten Tag herrschte aufgeregtes Treiben in der Firma. Alle

sprachen nur noch über die bevorstehende Feier und was sich das Mode-
Team denn diesmal als Kulisse hatte einfallen lassen. Thema war der Ab-
schlussball, und mit einem Mal fragte ich mich, ob mein Kleid nicht doch
etwas zu schlicht dafür war. Trug man auf Bällen nicht für gewöhnlich
richtig dick auf? Andererseits war ich auch nicht der Typ dafür und ich
wollte Mary ja nicht die Show stehlen, die sich extra ein Kleid hatte anfer-
tigen lassen, wie sie stolz verkündete. Schon traurig. In anderen Teilen der
Welt trugen die Menschen nicht einmal Stofffetzen am Leib und hier ließ
man sich für so unwichtige Dinge wie eine Betriebsfeier etwas anfertigen.
Ich wusste schon, warum ich in einen Second Hand-Laden gegangen war!

»Hey, Aileen, mit wem kommst du eigentlich?«, wollte ich wissen.
»Mit meiner Mutter, sie liebt unsere Partys«, sagte sie.
»Wollen wir uns vorher irgendwo treffen oder kommt ihr mit dem

Taxi?«, erkundigte ich mich. Ich wollte auf keinen Fall allein kommen.

»Klar, wir fahren vom Alexanderplatz mit der Straßenbahn her, dort

können wir uns treffen«, schlug sie vor.

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»Super«, sagte ich und stand auf, weil ich jetzt Mittagspause hatte.
»Dafür bringe ich dir einen Muffin mit«, versprach ich und warf mir

meine Handtasche über die Schulter.

»Den weißen mit den bunten Streuseln!«, rief sie mir hinter, als ich

auf dem Weg zu den Aufzügen war. Ich machte eine salutierende Geste,
stieg in den Fahrstuhl und fuhr hinunter.

In der zweiten Etage gesellte sich Mary zu mir, die sich noch schnell

von jemandem verabschiedete.

»Du wirst fabelhaft aussehen, Süße, wie immer«, sagte Luis und gab

ihr ein Küsschen auf die Wange.

»Ich weiß«, säuselte sie grinsend und stieg ein. Als sie mich erkannte,

bekam ihr Lächeln eine überhebliche Note.

»Und? Schon ein Kleid gefunden?«, fragte sie, doch es klang, als

würde sie es gar nicht interessieren.

»Es wird sicher nicht so pompös sein wie deins«, vermutete ich, denn

das war es doch, was sie hören wollte.

»Nein, bestimmt nicht. Ich wurde bisher jedes Mal zur bestgekleidet-

sten Mitarbeiterin gewählt und das wird auch dieses Jahr so sein«, sagte
sie zuversichtlich.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich.
»Na, dann schon mal herzlichen Glückwunsch«, sagte ich trocken und

stieg aus. Sie blieb drinnen und fuhr wieder hinauf. Gott, was für eine
aufgeblasene Kuh. Als ob es mich interessierte, wer morgen das schönste
Kleid trug! Ich war nur froh, dass ich dafür nicht mein ganzes Geld
hingeblättert hatte, denn das musste noch reichen, bis ich mein erstes Ge-
halt bekam. Mann, ich konnte es kaum erwarten.

***

Ich ging ins Café Léon , das direkt um die Ecke lag und die besten
Muffins der Stadt machte – hatte ich mir zumindest sagen lassen. Aber ich
kam auch wegen des leckeren Mittagessens her, das aus gesunden und
leichten Speisen bestand, sodass man sich anschließend guten Gewissens

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etwas Süßes gönnen konnte, und wegen des Ambientes. Jeden Tag lagen
aktuelle Zeitschriften auf den Tischen, sodass man sich neben seinem ge-
sunden Mittagessen auch noch auf dem Laufenden halten konnte. Es gab
aber auch Mode- und Klatschzeitschriften, die wohl eher etwas für Mary
gewesen wären … wenn sie denn hergekommen wäre.

Aber nachdem ihr eine Mitarbeiterin mal aus Versehen Kaffee über

den Rock geschüttet hatte, ließ sie sich hier nicht mehr blicken. Das war
ihre Lieblingsstory, und sie erzählte sie so etwa einmal in der Woche!

Ich wollte mich gerade auf meinen Stammplatz begeben, als ich Luca

dort sitzen sah, eine dampfende Tasse in der Hand und den Blick
aufmerksam auf die Tageszeitung gerichtet. Was machte er denn hier?
Den hatte ich ja noch nie in dem Café gesehen. Ob ich zu ihm gehen oder
ihn besser ignorieren sollte? Immerhin war er mein Chef und nur, weil wir
zusammen arbeiteten, hieß das nicht, dass ich mich ihm auch in der
Freizeit aufdrängen konnte. Schließlich ließ ich mich vier Tische weiter
nieder und setzte mich so, dass meine Gestalt von einem anderen Gast
verdeckt wurde. So konnte ich auch tun, als hätte ich ihn nicht gesehen,
falls er mich bemerken sollte. War das feige? Aber was sollte ich denn
sonst machen? Ich war nicht so cool wie Aileen, die sich mit einem
lockeren Spruch an seinen Tisch gesetzt hätte. Ich war auch nicht die
Schüchternheit in Person, aber dafür fehlte es mir dann doch an Selbstver-
trauen … oder langen Beinen, wie Mary.

Widerwillig widmete ich mich der Modezeitschrift an meinem Platz.

Ich hätte mich natürlich auch umsetzen oder mir eine andere Zeitschrift
holen können, aber dafür hätte ich aufstehen müssen und ich wollte nicht
unnötig Aufmerksamkeit erregen. Also gab ich bei der Kellnerin meine
Bestellung auf und sah mir die neuesten Modetrends an. Minuten später
legte sich ein Schatten über die Zeitschrift.

»Du willst dich doch nicht unters Messer legen, oder?«, erklang Lucas

Stimme neben mir, und ich zuckte zusammen. Ohne es zu wollen, hatte
ich mich von einem Artikel über Schönheitsoperationen mitreißen lassen,
der aber keineswegs Mut machen sollte, sondern von unschönen Misser-
folgen handelte.

»Äh, nein, da steht sowieso nur Blödsinn drin«, sagte ich und klappte

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die Zeitschrift eilig zu. Im nächsten Moment hätte ich mich dafür schlagen
können, denn es musste so aussehen, als wäre es mir vor ihm peinlich, sol-
che Magazine zu lesen.

Seine Mundwinkel zuckten, dann sagte er: »Du scheinst nicht überras-

cht zu sein, mich zu sehen. Ganz so, als hättest du dich absichtlich vor mir
versteckt.«

»Äh, doch, was tun Sie hier?«, fragte ich und versuchte, so erstaunt

wie möglich zu klingen.

Er lachte, als hätte ich einen äußerst lustigen Witz gemacht, was mir

sagte, dass er mir meine schlechte Schauspieleinlage keineswegs abnahm.

»Willst du dich nicht zu mir setzen?«, fragte er schließlich.
»Warum setzen Sie sich nicht zu mir?«, konterte ich.
Seine Augen funkelten erheitert. »Ich habe einen Fensterplatz und das

Ambiente ist dort viel angenehmer«, lockte er mich. Das stimmte, denn
das Café war in vier Bereiche geteilt und jeder Teil hatte eine andere
Farbe. Mein Stammplatz war in einem warmen Rot gehalten und besaß
eine mit bunten Kissen bestückte Lounge-Ecke. Außerdem hatte man von
dem Platz aus einen guten Blick auf die Geschäfte und konnte die
Menschen beim Einkaufen beobachten.

»Überredet«, sagte ich und erhob mich. Ich wollte mein Glas und den

Teller nehmen, doch er übernahm das für mich und bedeutete mir,
vorzugehen, und als wir uns drüben gesetzt hatten, sagte ich: »Ich hätte
mich schon viel früher hierher gesetzt, aber Sie haben mir meinen Stam-
mplatz gestohlen.«

Er hob die Brauen und lachte verblüfft.
»Ich dir? Ich arbeite hier schon länger als du, wenn dann ist es also

umgekehrt«, stellte er klar. Unbeeindruckt hob ich die Schultern.

»Ich habe Sie aber noch nie hier gesehen und ich komme seit zwei

Wochen fast jeden Tag her«, bemerkte ich. Er stützte den linken Ellenbo-
gen auf die Stuhllehne und fuhr sich gedankenverloren über den Mund,
bevor er sagte: »Vielleicht habe ich ja jetzt wieder einen Grund, öfter
herzukommen.« Wie so oft, wenn er solche Bemerkungen fallen ließ,
überhörte ich sie einfach und wandte mich meinem Salat zu, wobei ich
seinen Blick beflissentlich ignorierte. Konnte er nicht endlich damit

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aufhören? Er musste doch allmählich begriffen haben, dass ich keine Frau
war, die sich Honig um den Mund schmieren ließ! Ich war einfach nicht
an ihm interessiert, zumindest nicht so, wie er wollte.

Als ich aufgegessen hatte, sah ich auf die Uhr – noch zwanzig

Minuten – und fragte: »Kann ich mir mal Ihre Zeitschrift ausborgen? Ich
bin

sicher,

da

gibt

es

weitaus

interessantere

Themen

als

Schönheitsoperationen.«

Er reichte sie mir.
»Wie lange willst du mich eigentlich noch siezen, Sophia?« Wieder

schien mein Name wie Butter auf seiner Zunge zu zergehen. Als würde er
jeden einzelnen Buchstaben auf der Zunge rollen und schmelzen lassen.
Hatte er das irgendwo gelernt?

»Solange, bis Sie mich feuern?«, fragte ich und nahm einen Schluck

Wasser.

Jetzt lehnte er sich mit verschränkten Armen über den Tisch.
»Das heißt also, ich muss dir wirklich erst kündigen?«
»Nur, wenn Sie meiner überdrüssig sind«, antwortete ich lächelnd,

ohne den Blick von der Zeitschrift zu heben. Ich gebe zu, die kleinen
Neckereien zwischen uns waren manchmal sehr amüsant, aber mehr eben
nicht.

»Du machst deine Arbeit ziemlich gut, ich werde mir also etwas an-

deres überlegen müssen«, erwog er laut.

»Viel Spaß dabei«, sagte ich und sah wieder auf die Uhr.
»Hast du es eilig oder warum guckst du andauernd auf die Uhr?«,

fragte er mich zehn Minuten später.

»Ich muss arbeiten, und zwar bei Marcs Entertainment.« Ich beugte

mich vor und fügte verschwörerisch hinzu: »Der Chef ist ein Arsch, aber
das haben Sie nicht von mir.« Sein Lachen war so wundervoll, dass ich
nur allzu gern einstimmte und vielleicht, überlegte ich, könnten wir ja ir-
gendwann Freunde werden.

»Im Ernst, du musst noch nicht gehen«, sagte er, als ich die Kellnerin

herbeirief.

»Doch, ich muss arbeiten«, gab ich zurück.
»Und zufällig arbeitest du für mich«, erwiderte er.

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»Schon, aber wie sieht das denn aus, wenn ich zu lange in der Pause

bleibe? Ich will nicht, dass die Leute denken, ich bekomme eine Ext-
rabehandlung, nur weil ich Ihre Assistentin bin«, sagte ich. Ich wollte
meinen Status weder ausnutzen noch damit prahlen.

»Es wird aussehen, als hätten wir noch ein Meeting drangehangen«,

sagte er schulterzuckend. Sein Blick ließ keine Widerrede zu, also gab ich
nach. So locker wir auch manchmal miteinander umgingen, aber ich woll-
te ihm nicht jedes Mal Kontra bieten. Er war immer noch mein Boss, auch
wenn ich es manchmal fast vergaß. Also bestellten wir noch zwei
Getränke, und als ich später meinen Platz betrat, starrten mich alle an, wie
befürchtet.

»Luca und ich haben ein Meeting drangehangen«, erklärte ich,

woraufhin sich Anne und Samantha kichernd ansahen.

»Klar doch, Süße, glauben wir dir aufs Wort«, sagte Anne

augenzwinkernd.

Ich verdrehte die Augen und wandte mich meiner Arbeit zu. Klasse,

genau das, was ich nicht gebrauchen konnte. Gerüchte über eine angeb-
liche Affäre mit meinem Chef! Ich würde mich nicht noch einmal von ihm
überreden lassen, das schwor ich mir.

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Die Ballkönigin

Am nächsten Tag war es dann soweit und der Ball beziehungsweise die
Betriebsfeier stand an.

»Du siehst wunderschön aus«, sagte Lisa und breitete den Stoff

meines Kleides auf dem Boden aus. Es war dunkelrot, floss wie Lava an
meinem Körper herab und besaß nur einen Träger. Ich fand es unglaublich
elegant, vor allem, weil es leicht funkelte, aber dennoch schlicht war. Das
Highlight war der gleichfarbige Chiffon, der an den Seiten herunterhing
und dem Kleid etwas Weite gab. Mein Haar hatte ich hochgesteckt und
ließ es an der einen Seite locker herunterhängen, sodass einige Locken auf
meiner rechten Schulter lagen. Dazu noch schlichte Ohrringe, eine
Goldkette und fertig war mein Outfit. Es geschah nur selten, aber heute
fühlte ich mich ausnahmsweise mal schön.

»So kann ich aber schlecht in die U-Bahn steigen«, sagte ich und dre-

hte mich vor dem Spiegel.

»Dann fahr mit dem Taxi zum Alexander Platz und später mit Aileen

weiter«, schlug Lisa vor. Ich sollte mir für die paar Meter ein Taxi kom-
men lassen? Andererseits wollte ich den Weg auch nicht zu Fuß
zurückgelegen, weil ich um den sensiblen Stoff bangte, und da man die
Firma heute ohne Abendkleidung nicht betreten durfte, konnte ich mich
auch nirgends vor Ort umziehen. Ich würde mein Portemonnaie also
wieder einmal etwas erleichtern müssen, auch wenn es im Grunde raus-
geschmissenes Geld war.

Ich traf mich eine halbe Stunde vor Einlass mit Aileen und ihrer Mut-

ter, die wirklich eine entzückende Person war. Man merkte sofort, woher
meine Arbeitskollegin ihre Großmütigkeit hatte. Aileen trug ein pom-
pöses, mitternachtsblaues Kleid, das sich am Boden ungemein bauschte
und dadurch einen enormen Umfang hatte. Auch ihre Mutter, übrigens
ebenso knallige Haare und Tattoos, war nicht gerade schlicht gekleidet.
Ihr Gewand war zwar schwarz, bestand aber aus nicht weniger Stoff und
war mit roten Stickereien verziert. Es sah zwar mehr nach Halloween aus,

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passte aber auch zu ihr.

Wir legten die wenigen Meter vom Bahnhof zu Fuß zurück, weil sich

dafür nun wirklich kein Taxi gelohnt hätte, und sahen die bunten Lichter
der Firma schon von Weitem blinken. Vor den heiligen Toren von Marcs
Entertainment hatte man einen roten Teppich ausgelegt, und so fühlten wir
uns wie Prominente, als wir über den Teppich schritten. Musik drang aus
dem Inneren des Gebäudes und draußen hatten sich einige Raucher ver-
sammelt. Außerdem warteten an der Bordsteinkante Pagen, die den
Gästen aus den Taxis und Autos halfen, und am Eingang wurden wir mit
Champagner begrüßt. Das ist doch mal ne Betriebsfeier, dachte ich
beeindruckt und passierte das Tor.

Drinnen angekommen wurde die Musik lauter, aber nicht zu aufdring-

lich, sodass man sich noch unterhalten konnte. Und auch wenn Aileen
schon länger hier arbeitete und es von den vorherigen Partys gewöhnt sein
müsste, war auch sie von der Kulisse schwer beeindruckt, und so blieben
wir kurz im Eingangsbereich stehen und ließen das Innenleben auf uns
wirken. Die Party fand im Untergeschoss statt und man hatte die Mitte als
Tanzfläche freigeräumt. Die Säulen und Stauden waren mit weißen und
roten Luftballons geschmückt und die Halle wurde von warmen Licht
durchflutet, was dem Ganzen einen Hauch Disco-Feeling verlieh. Um die
Tanzfläche waren Stühle sowie Tische aufgestellt, die mit weißem Stoff
überzogen und alle mit einer roten Rose dekoriert waren. An den Seiten
waren etliche Bars und Büffets aufgebaut und selbst der Brunnen war rot
geschmückt. Alles in allem eine richtig schöne Abschlussballkulisse.

»Da habt ihr euch diesmal wirklich selbst übertroffen«, sagte Aileen

und veranlasste mich dazu, meinen Blick von der Deko abzuwenden.

Luis hatte sich zu uns gestellt und gab Aileen gerade ein Küsschen auf

die Wange.

»Man tut, was man kann«, sagte er, bescheiden wie immer, und maß

mich dann mit einem entzückten Blick.

»Oh, na, sieh mal einer an. Dich könnte man glatt als Deko ver-

wenden, du passt wirklich genau hierher«, sagte er und fuhr mit der Hand
über meinen Stoff.

»Ein wirklich entzückendes Kleid und das erste anständige, das ich

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heute gesehen habe. Vielleicht kannst du die Jury damit sogar überzeu-
gen«, erwog er. Ich runzelte die Stirn. Jury?

»Oh, ihr beiden seht natürlich auch bezaubernd aus«, fügte er auf-

grund der erbosten Blicke von Aileen und ihrer Mutter hinzu. Dann zog er
weiter, und ich fragte: »Was für eine Jury?«

»Es gibt wie jedes Jahr eine Jury, die im Laufe des Abends durch die

Reihen geht und die Kleider bewertet. Und am Ende wird die best-
gekleidetsten Mitarbeiterin gekürt – wie bei einem Prom-Ball.«

»Ah, das hat Mary also vorhin gemeint«, begriff ich.
»Bin mal gespannt, was sie sich diesmal hat einfallen lassen. Auch

wenn ich die Ziege nicht leiden kann, aber ein Händchen für glamouröse
Auftritte hat sie allemal«, gab Aileen zu und nippte an ihrem Sektglas.

Ich wollte gerade zustimmen, als Paradenmusik erklang und sich die

Menge zum Eingang wandte. Alle Lichter wurden auf den Eingangs-
bereich gerichtet, sodass wir im Dunkeln standen und zu den Personen
sahen, die gerade hereinkamen. Erst erkannte ich sie nicht, weil mir ein
großer Mann im Weg stand, doch dann erkannte ich Luca und Mary, die
Arm in Arm und breit lächelnd herein stolzierten.

»Habe ich irgendetwas verpasst?«, fragte ich und musterte Marys

Kleid. Mann, es sah aber auch gut aus!

»Die Gewinnerin des letzten Jahres darf beim nächsten Mal mit dem

Chef anreisen.«

»Anreisen?«, fragte ich argwöhnisch.
»Für gewöhnlich holt er sie mit einer Limousine ab und führt sie dann

zur Party«, erklärte Aileen.

Ich musste lachen. Ok, jetzt war klar, warum sich Mary jedes Jahr so

ins Zeug legte. Ich verspürte einen Stich und ertränkte das aufkommende
Gefühl mit einem großen Schluck Sekt. Ich, eifersüchtig? Wohl kaum!

»Wo ist der Senior?«, erkundigte ich mich, als der Marsch vorbei war

und sich die Lichter wieder verteilten.

Aileen gab ein abfälliges Schnauben von sich.
»Der lässt sich hier nie blicken.«
»Und ihr macht jedes Jahr einen Abschlussball? Wird das nicht auf

Dauer langweilig?«, fragte ich.

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»Auf keinen Fall. Wir haben jedes Jahr ein anderes Thema. Letztes

Mal war es Halloween, davor berühmte Filmfiguren und davor Glamour.
Das Mode-Team organisiert das Ganze, gibt die Themen vor und die Mit-
arbeiter stimmen dann ab.«

Ich nickte und sah unauffällig zu Luca, der Mary nun frei gab und sich

zur Personalchefin gesellte. Sie trug ein weißes, feenartiges Kleid, ihre
Begleitung einen schwarzen, altmodischen Anzug und hohen Zylinderhut,
sodass ich mir wirklich etwas underdressed vorkam. Mein Blick fiel auf
Mary, die etwas verloren neben Luca stand und offenbar gar nicht
begeistert war, dass er sie versetzt hatte. Sie selbst hatte ein gebauschtes
Kleid in Weiß und Gold an, das wahrlich königlich an ihr aussah. Eine
brünette Frau in einem lila Ballkleid kam zu ihr, hakte sich bei ihr unter
und zog sie mit sich. Dabei warf Mary noch einen letzten sehnsüchtigen
Blick über die Schulter, als hoffte sie, dass Luca ihr Verschwinden be-
merken und sie zurückholen würde, doch er war zu sehr in das Gespräch
vertieft. Mensch, hier spielen sich ja richtig dramatische Szenen ab,
dachte ich spöttisch und wandte mich wieder meinen beiden Freundinnen
zu.

»Gehen wir was trinken«, schlug Aileens Mutter vor, und wir machten

uns zur nächsten Bar auf.

Im Laufe des Abends füllten immer mehr Menschen die Halle, und

wir kamen gar nicht mehr von der Stelle. Jedes Mal liefen uns neue Mit-
arbeiter über den Weg und geschwätzig wie Aileen war, kamen wir gar
nicht mehr aus den Unterhaltungen raus. Sie besaß auch ein natürliches
Talent, Menschen miteinander zu verkuppeln, und so schloss ich Kontakte
zu den verschiedensten Abteilungen. Irgendwann gesellte sich Luca zu
uns, und während er auf uns zukam, zupfte ich unauffällig meine Frisur
zurecht. Natürlich nicht für ihn, aber man musste ja auch nicht wie eine
Strohpuppe herumlaufen, oder?

»Guten Abend die Damen, ich hoffe, der Champagner ist ganz nach

eurem Belieben?«, fragte er mit einer charmanten Verbeugung.

»Ah, Herr Marcs, ich habe mich schon gefragt, wann Sie mich endlich

besuchen kommen«, gab Aileens Mutter angetan zurück.

Er wandte sich ihr zu. »Ich habe schon die ganze Zeit über Ausschau

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nach Ihnen gehalten, aber das Beste kommt ja bekanntlich zum Schluss«,
sagte er grinsend und gab ihr einen Handkuss. Oh ja, Süßholz raspeln kon-
nte er gut! Ich bekam selbst fast weiche Knie bei seinen Worten. Ich
musste feststellen, dass er wieder einmal atemberaubend aussah, von Na-
hem sogar noch besser. Sein schwarzer Anzug schmiegte sich ganz wun-
derbar an seinen Körper, und seine Haare waren heute nicht ganz so streng
gestylt und hatten nun wieder mehr etwas von seinem zerwuschelten
Look. Und dann waren da natürlich seine atemberaubenden Augen, die
jede meiner Bewegungen aufmerksam verfolgten.

»Und? Willst du mir gar nicht deinen Freund vorstellen?«, fragte Luca

an mich gewandt und stupste mich leicht in die Seite.

»Äh …«, machte ich, doch da meldete sich auch schon Aileen zu

Wort.

»Freund? Du hast mir doch gesagt, du hast keinen?«, fragte sie ver-

wundert, und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.

»Nicht?«, hakte Luca nach und spielte gekonnt den Irritierten, dieser

Mistkerl.

»Wenn ich mich recht erinnere, hast du mir doch vor zwei Wochen

gesagt, dass du vergeben bist«, fügte er hinzu.

»Und mir hast du gesagt, du seist solo«, warf Aileen ein.
Ich warf resigniert die Hände in die Luft.
»Guuut, das war gelogen, ich habe gar keinen Freund«, gab ich

seufzend zu und mied Lucas Blick. Ich konnte mir seine Miene auch so
ganz gut vorstellen!

»Wozu die Lüge, Kindchen?«, fragte Aileens Mutter und kippte das

nächste Glas hinunter. Ich zuckte die Schultern.

»Keine Ahnung, ist wohl eine Art Reflex«, murmelte ich und nahm

ebenfalls einen Schluck. Mir fiel auf, dass es bereits mein zweites Glas
war, und wenn ich so weiter machte, würde ich noch rosige Wangen
bekommen. Das war das Letzte, was ich wollte, denn nichts war peinlich-
er, als sich auf einer Betriebsfeier daneben zu benehmen. Auf meine
Worte hin nickte Aileen verständnisvoll.

»Kann ich verstehen. Wenn ich so eine Augenweide wäre wie du,

dann könnte ich mich auch kaum vor Anwärtern retten.« Ich spürte meine

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Wangen heiß werden und lächelte verlegen, doch Aileen setzte noch einen
drauf, indem sie fragte: »Oder was sagst du dazu, Luca?« Das Gewicht
seines Blickes lastete schwer auf mir, und ich war gezwungen, ihn anzuse-
hen – alles andere wäre unhöflich gewesen.

»Eine Augenweide ist sie definitiv«, sagte er, und vielleicht bildete ich

es mir nur ein, aber seine Stimme schien rauer geworden zu sein.

»Wo ist eigentlich Ihr alter Herr?«, erkundigte sich Aileens Mutter

und unterbrach unseren Blickkontakt. Einen Moment war mir tatsächlich
die Luft weggeblieben.

»Ich habe Peter lange nicht mehr bei einer Betriebsfeier gesehen.«

Genüsslich schlürfte sie ihren Sekt, und als das Glas leer war, langte Luca
über die Bar und reichte ihr unaufgefordert ein neues.

»Er lässt sich entschuldigen, es geht ihm nicht gut«, sagte er, und der

Glanz aus seinen Augen verschwand. Niemand schien ihm die Ausrede
abzukaufen.

»So wie die letzten drei Male?«, hakte sie in einem wissenden Ton

nach. Er lächelte entschuldigend, auch wenn es seine Augen nicht ganz er-
reichte. Ich kannte diesen Ausdruck, ich hatte ihn selbst jahrelang
aufgelegt, nämlich immer dann, wenn sich meine Mutter wieder einmal
vor wichtigen Ereignissen gedrückt hatte, wie etwa vor meinem Ab-
schlussball, diversen Geburtstagen oder anderen wichtigen Momenten in
meinem Leben und ich sie entschuldigen musste. Sie war einfach nicht der
Typ dafür und wenn sie etwas nicht für wichtig hielt, dann arbeitete sie
eben lieber. Ich wusste nicht, ob Lucas Vater ähnliche Beweggründe hatte,
doch es machte ganz stark den Anschein und vielleicht, überlegte ich, hat-
ten er und meine Mom ja gewisse Ähnlichkeiten.

Unsere Blicke begegneten sich, und obwohl ich im ersten Moment

wollte, wandte ich meine Augen nicht ab. Der intensive Blick war einfach
zu fesselnd, sodass ich nur am Rande mitbekam, wie sich Aileens Mutter
räusperte und an den Ärmeln ihrer Tochter zog.

»Wir ziehen uns für kleine Mädchen zurück«, verkündete sie, und

zusammen zogen sie von dannen. Dann war der magische Augenblick
vorbei, und ich sah den beiden hinterher.

»Du siehst wunderschön aus«, sagte Luca und holte meinen Blick

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wieder zu sich zurück.

»Äh, danke … Sie auch«, sagte ich peinlich berührt. Ich weiß auch

nicht, aber Komplimente machten mich einfach unheimlich verlegen.

Da lachte er.
»Ach, ich sehe also wunderschön aus?«
»Nein! Ich meine, eigentlich schon aber … sagt man das bei einem

Mann überhaupt? Ach vergessen Sie es«, murmelte ich und hätte mich am
liebsten erwürgt. Was faselte ich da eigentlich schon wieder? Konnte er
mir nicht einmal ein Kompliment machen, ohne dass ich rot anlief? Ich
müsste es doch mittlerweile von ihm gewohnt sein!

»Verstehe, du findest mich bloß einfach attraktiv«, sagte er grinsend,

und ich nickte gedankenverloren. Ich sollte es nicht soweit kommen lassen
und mir seine Komplimente zu Herzen nehmen, denn ich war mit Sicher-
heit nicht die einzige, die er heute Abend schon umworben hatte. Ich
meine, hier liefen doch haufenweise wunderschöne Frauen herum. Nein,
sicher meinte er es nicht ernst!

»Na, hallo, das nenne ich mal ein entzückendes Kleid«, erklang Mikes

Stimme hinter mir. Grinsend drehte ich mich zu ihm um und ließ mich in
die Arme schließen.

»Du siehst aber auch ziemlich schick aus«, sagte ich und begutachtete

seinen dunkelblauen Anzug.

»Hörst du? Sie findet mich schick«, sagte er mit einem undefinierbar-

en Unterton und fasste Luca spielerisch in den Nacken.

»Den Anzug, Mike, dein Name ist nicht gefallen!«, gab er lachend

zurück und befreite sich aus seinem Griff. Ich fand die beiden total nied-
lich zusammen. Sie machten den Eindruck, als kannten sie sich schon seit
Jugendjahren und hätten schon viel zusammen erlebt. Ich würde Mike bei
Gelegenheit mal ausquetschen, nahm ich mir vor, während ich die beiden
beobachtete. Als ich Mary und ihre Freundin auf uns zu schlendern sah,
wappnete ich mich innerlich gegen etwaige abfällige Bemerkungen, denn
davon hatte sie für gewöhnlich viele für mich auf Lager. Ich hatte sogar
den leisen Verdacht, dass sie sich abends eine Liste erstellte, nur, um sie
am nächsten Tag an mir auszulassen.

»Frau Illinger, Sie sehen wie immer atemberaubend aus«, sagte Mike

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und gab ihr einen Handkuss.

»Danke, Mr. IT-Spezialist. Das Kompliment kann ich nur zurück-

geben«, sagte sie, wobei ihr Blick zu Luca huschte, als erhoffte sie sich
auch von ihm ein Lob. Doch dieser lächelte nur höflich … und sah dann
eigenartiger Weise zu mir. Warum tat er das ständig? Das machte einen ja
ganz nervös. Oder vielleicht war das auch nur die Wirkung des Alkohols,
dachte ich und stellte das Glas schleunigst weg. Sichtlich verärgert folgte
Mary seinem Blick.

»Sophia, du hast ja ein … entzückendes Kleid an«, sagte sie und

musterte mich mit einem Blick, der genau das Gegenteil besagte.

»Etwas underdressed, aber gut. Von wo ist es?«
»Aus einem Second Hand-Geschäft«, antwortete ich und lächelte kühl

zurück. Hätte man sich den Finger befeuchtet und zwischen unseren Köp-
fen in die Höhe gehalten, hätte man einen Stromschlag bekommen, so
aufgeladen war die Stimmung.

»Oh, ähm, und das macht dir nichts aus? Ich meine, man weiß ja nie,

wer die Sachen vorher getragen hat, oder?«, sagte sie und lachte künstlich.
Ihre Freundin stimmte mit ein, sodass sie beide ziemlich dümmlich kich-
erten. Mein Blick begegnete Mikes, und auch Luca schien etwas irritiert
über ihr Benehmen. »Wenigstens musste für mein Kleid kein Tier ster-
ben«, gab ich nüchtern zurück und schlürfte unschuldig meinen Drink
weiter.

Ihr linkes Auge begann zu zucken, wahrscheinlich vor Verärgerung,

dann setzte sie wieder ihr falsches Lächeln auf.

»Wie dem auch sei, wenn du mit der Ballkönigin tanzen willst, dann

sag Bescheid«, säuselte sie an Luca gewandt.

»Das werde ich«, sagte er und neigte leicht den Kopf. Als sie und ihre

Begleitung davon schlenderten, sah ich ihn mit hochgezogenen Brauen an,
und er hob unschuldig die Schultern.

»Hat da etwa jemand seine Krallen ausgefahren?«, fragte Mike und

stupste mich an.

»Wieso ich? Sie kann es doch nicht lassen«, verteidigte ich mich und

kam mir wie ein Kind vor, das sich vor seinem Vater rechtfertigte.

Wir hielten eine Weile Smalltalk, redeten über die Firma, die

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Mitarbeiter, aber auch über Hobbys und Vorlieben. Mike war zum Beis-
piel ein wahrer Adrenalinjunkie und liebte Badminton, Fallschirmspringen
und Wild Water Rafting. Außerdem reiste er unheimlich gern und in-
teressierte sich für andere Kulturen. Wenn Geschäftsreisen anstanden,
nahm ihn Luca deshalb öfter mit und sie hängten zwei, drei Tage Freizeit-
spaß hinten dran. Luca war da weniger aufgedreht. Er machte zwar gern
Sport und ging regelmäßig laufen, doch er mochte es lieber risikofrei und
weniger dramatisch.

Irgendwann stupste mich jemand von hinten an, und ich drehte mich

zu einer hageren, kleinen Frau um.

»Guten Abend, wir sind die Jury und uns ist Ihr wundervolles Kleid

aufgefallen«, sagte sie und deutete auf Luis und eine weitere Frau.

»Dürfen wir fragen, aus welchem Material Ihr Kleid gemacht ist?«
»Seide und Tüll«, antwortete ich und ließ es zu, dass sie mir unaufge-

fordert an den Stoff ging.

»Wirklich sehr schön verarbeitet«, sagte sie und rieb das Material

zwischen den Fingern. Luis und seine Kollegen umkreisten mich derwei-
len wie hungrige Raubtiere, und als ich zu Luca und Mike sah, zwinkerten
sie mir belustigt zu. Na, wenigstens amüsierten sich die beiden über mich!

»Und es schmeichelt dir ausgezeichnet«, fügte Luis hinzu.
»Darf ich noch deinen Namen erfahren?«, fragte die Frau.
»Sophia Neumann«, sagte ich. Sie bedankte sich, zog mit ihrem Ge-

folge weiter und stellte sich zu der nächsten Anwärterin.

»Was für ein Zirkus«, murmelte ich, doch offenbar nicht leise genug,

denn Mike sagte: »Nun sei keine Spielverderberin, das ist doch lustig!«

Ich schnaubte unbeeindruckt. »Was bekommt man überhaupt, wenn

man gewinnt? Ein goldenes Krönchen?«, fragte ich spöttisch.

»Einen Tanz, und zwar mit dem Ballkönig«, sagte Mike und deutete

auf Luca.

»Im Ernst?«, fragte ich lachend.
Luca zuckte die Schultern und sagte: »Ich habe mir die Regeln nicht

ausgedacht.«

»Und du bist immer der Ballkönig?«, hakte ich nach.
Luca schien um eine Antwort verlegen zu sein, doch glücklicherweise

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redete Mike für ihn.

»Der gute Luca hier wurde schon so oft gewählt, dass es zu einem in-

ternen Gag geworden ist, und jetzt geht es nur noch darum, welche Glück-
liche mit ihm tanzen darf«, sagte er und klopfte ihm auf die Schulter.
Glückliche? Na, wenn er meinte!

Wir redeten noch eine Weile weiter, dann klinkte ich mich aus und

zog mich auf die Toilette zurück. Als ich die Halle wieder betrat, hielt ich
nach Aileen und ihrer Mutter Ausschau und entdeckte sie am Büfett. Per-
fekt, denn ich bekam allmählich Hunger.

»Und? Was gab es zwischen dir und Luca denn so Schönes zu unter-

halten?«, fragte Aileen mit einem verschwörerischen Ton.

»Nichts Besonderes, üblicher Smalltalk eben«, sagte ich schul-

terzuckend und lud mir drei Häppchen, geräucherten Lachs und Obst auf
den Teller.

»Ach, komm schon, Sophia, dir muss doch auffallen, dass er total auf

dich abfährt«, sagte Aileen.

»Nein, tut er nicht, er ist nur höflich«, hielt ich dagegen. Ehrlich, ich

hatte nicht den Eindruck, dass er etwas von mir wollte. Er flirtete nur of-
fensichtlich gern, aber das schien er mit jeder anderen auch zu tun. Aileen
wechselte einen vielsagenden Blick mit ihrer Mutter, den ich jedoch ig-
norierte. Sollten sich die beiden doch einbilden, was sie wollten. Für mich
war nur wichtig, dass ich mich mit Luca verstand und am Ende des Mon-
ats mein Geld auf dem Konto war - alles andere war nebensächlich und
konnte ignoriert werden.

***

Es war bereits 21 Uhr, als die Lichter im Raum erloschen und sich auf ein-
en einzelnen Punkt im Saal richteten. Beleuchtet wurde ein Podest, auf
dem sich die dreiköpfige Jury zusammengefunden hatte. Die hagere Frau
schob ihre Brille zurecht, räusperte sich und beugte sich über das
Mikrofon.

»Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«, sagte sie und ließ ihren

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Blick über die Menge schweifen, die in ihrem Getue innehielt und sich ihr
aufmerksam zuwandte. »Wie jedes Jahr haben wir auch heute Abend nach
der bestgekleidetsten Mitarbeiterin Ausschau gehalten und eine eindeutige
Entscheidung getroffen.«

In diesem Moment trat Luca auf die Bühne und prostete den An-

wesenden feierlich zu, woraufhin sie begeistert klatschten. Ja, dachte ich,
er war wirklich ziemlich beliebt bei seinen Mitarbeitern.

»Wie immer gebührt es der Gewinnerin, mit unserem Juniorchef zu

tanzen, und diese möchte ich nun auf die Bühne bitten.« Mir fiel Mary ins
Auge, die sich direkt vor die Bühne gestellt hatte und sich schon in Rich-
tung Treppe bewegte. Doch plötzlich wurde ein ganz anderer Name
aufgerufen, ein Name, der mir vage bekannt vorkam und in meinen Ohren
widerhallte. Ich sah, wie Mary stockte und sich ungläubig zu mir umdre-
hte. Warum starrte sie sich so komisch an?

»Nun mach schon, geh zur Bühne!«, drängte Aileen mich und gab mir

einen sanften Schubs. Wie von selbst setzten sich meine Beine in Bewe-
gung, und ich fühlte mich von all den Blicken, die mich verfolgten, wie
betäubt. Ich hatte gewonnen? Ich war die bestgekleidetste Mitarbeiterin?
Aber ich hatte doch noch nie etwas gewonnen und Marys Kleid war viel
schöner als meines!

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Mike, als ich an ihm vorbeischritt

und klopfte mir auf die Schulter. Die anderen klatschten und pfiffen laut.
Dann kam ich an Mary vorbei, und der Blick, den sie mir zuwarf, hätte
Qualen verheißender nicht sein können. Als ob ich bei der Wahl geschum-
melt hätte! Als ob ich überhaupt hätte gewinnen wollen! Die Treppe, die
zum Podest hinaufführte, kam mir mit einem Mal ungeheuer hoch vor, so-
dass ich mich wie Karli, die Maus, fühlte, die zu Cinderellas Turmzimmer
hinauf wollte und schier unüberwindbare Stufen vor sich hatte. Ich raffte
mein Kleid und stieg hinauf, wobei mir Marys Blick bei jeder Stufe Hals-
und Beinbruch wünschte. Warum beachtest du sie überhaupt?, schalt ich
mich im nächsten Moment. Die Veranstaltung war doch nur ein Gag, und
wenn Mary diese Wahl so ernst nahm, konnte ich doch nichts dafür!

Endlich hatte ich das Podest erreicht, doch als ich auf Luca zuging,

verhedderten sich meine Füße in dem langen Stoff, und ich fiel vornüber.

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Die Menge hielt den Atem an, doch schon war Luca zur Stelle und fing
mich auf. Begeistertes Klatschen erklang aus dem Publikum, und als hät-
ten wir diese Hollywood reife Vorstellung geprobt, verbeugte er sich
grinsend. Als er mich immer noch festhielt, sah ich zu ihm auf, denn er
hielt mich länger als nötig fest, und als wäre es ihm erst jetzt aufgefallen,
ließ er mich los. Ich wandte mich an die Jury, die mir eine beschriftete
Schärpe um den Körper legten und mir gratulierten, dann traten sie vom
Pult zurück und der Wiener Walzer wurde eingespielt. Ich blieb un-
schlüssig auf der Stelle stehen und erinnerte mich mit Unbehagen daran,
dass mir als Gewinnerin ein Tanz bevorstand. Aber mit Luca? Vor all un-
seren Kollegen?

Er schien da weniger Bedenken zu haben, denn er kam zielstrebig auf

mich zu, legte mir eine Hand auf den Rücken und zog mich zu sich heran.
Ich schnappte nach Luft, und bevor ich protestieren konnte, fand ich mich
der Länge nach an seinen Körper gepresst wieder. Das war auf so vielen
Ebenen unpassend, dass ich zurückwich, doch er verstärkte seinen Griff,
was mich einerseits sauer machte, andererseits aber auch unheimlich
lockte. Ein Mann, der sich nahm, was er wollte. Oh ja, diese waren immer
die attraktivsten, leider aber auch die gefährlichsten.

»Kein Rückzieher, du bist die Ballkönigin und schuldest deinen Un-

tertanen einen Tanz«, raunte er mir ins Ohr, und bei dem Klang seiner
tiefen Stimme zog sich alles in mir zusammen.

Doch ich konnte mich weder von ihm befreien noch zurückweichen,

er hatte mich zu fest fixiert.

»Ich kann nicht mal Walzer tanzen«, sagte ich, doch er setzte sich

trotzdem in Bewegung.

»Das macht nichts. Lass dich einfach von mir führen«, flüsterte er,

und ich wünschte, er würde nicht so dicht an meinem Ohr sein. Seine Lip-
pen waren nur Millimeter von mir entfernt, und sein warmer Atem strich
sanft über meine Haut. Es fühlte sich gut an, zu gut für meinen
Geschmack, und ich spürte, wie sich meine Hand auf seinem Rücken
verkrampfte. Dann fiel mir mit Schrecken ein, dass er es merken musste,
wie ich meine Finger in seinen Rücken krallte und machte sie augenblick-
lich locker. So wirbelten wir über das Podest und die Menge schloss sich

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uns nach kurzer Zeit an. Ich musste feststellen, dass Luca recht hatte, denn
obwohl ich die Schritte noch nie getan hatte, war es ein Leichtes, sie aus-
zuführen. Ich ließ mich einfach von ihm führen und über das Parkett tra-
gen. Doch so gut Luca auch tanzte oder gerade deshalb, so schwindelig
wurde mir mit der Zeit. Ich hatte vergessen, dass so ein Walzer schon mal
zehn Minuten gehen konnte und entweder lag es an dem ganzen Sekt, den
ich getrunken hatte, oder in meiner Ohrmuschel fehlte etwas Flüssigkeit,
jedenfalls drehte sich alles in meinem Kopf. Ich schloss die Augen und
lehnte meine Stirn gegen seine Brust.

»Mir ist schwindelig. Luca, wir müssen aufhören«, sagte ich, und

meine Hand krallte sich wieder in seinen Rücken.

»Kein Problem«, sagte er und führte mich die Treppe hinunter. Sekun-

den später öffnete er eine Tür, und wir betraten den Innenhof, der in Form
einer kleinen Grünanlage im Freien lag. Wir näherten uns einer Bank,
wobei er mich immer noch am Arm hielt, doch als er mich auf die Bank
drücken wollte, schüttelte ich den Kopf.

»Nein, ich möchte stehen«, sagte ich und wischte mir über die nasse

Stirn.

»Zu viel getrunken?«, erkundigte er sich, und ich konnte nicht sagen,

ob er belustigt oder besorgt klang. Vielleicht etwas von beidem.

»Eigentlich nicht, aber das ganze Drehen bekommt mir wohl nicht«,

murmelte ich und machte einen Schritt nach vorne. Sofort kam mir der
Boden entgegen, und bevor ich hinfallen konnte, stellte sich Luca vor
mich, sodass ich stattdessen gegen seine Brust fiel. Es hätte mir unan-
genehm sein sollen, so gegen ihn gepresst zu sein, denn so nahe war man
für gewöhnlich nur seinem Freund, doch ich konnte nichts dagegen tun.
Wenn ich von ihm weggehen würde, würde ich binnen einer Sekunde auf
dem Boden liegen.

»Das ist unheimlich peinlich«, murmelte ich in seinen Anzug hinein

und spürte sein klopfendes Herz an meiner Wange.

»Mir nicht, ich finde es sogar gerade ziemlich angenehm«, sagte er

und legte mir einen Arm auf den Rücken. Ich konnte sein breites Grinsen
deutlich vor meinem geistigen Auge sehen.

»Sie sind unmöglich«, sagte ich kopfschüttelnd, lachte aber.

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Da wurde die Tür zum Garten aufgestoßen, und die Stimme von

Aileens Mutter erklang.

»Ach du meine Güte, was hast du, Kindchen? Du bist ja ganz blass«,

sagte sie und zog mich von Lucas Brust weg, um mich eingehend zu
betrachten.

»Sie hat ja auch kaum was gegessen«, mischte sich Aileen ein, die ihr-

er Mutter gefolgt war.

»Ich habe gleich gesehen, dass etwas nicht stimmt«, sprach ihre Mut-

ter weiter. »Aber dann wart ihr auch schon von der Tanzfläche ver-
schwunden. Was hast du nur mit dem armen Mädchen gemacht?«, fragte
sie an Luca gewandt.

»Nichts, was der Gesellschaftstanz nicht vorsieht«, antwortete er, und

vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber er hörte sich leicht verärgert an.

Aileen dirigierte mich auf die freie Bank und befahl ihrer Mutter, auf

mich aufzupassen.

»Ich geh dir ein Glas Wasser holen, und du solltest dich um deine

Gäste kümmern. Die sind ganz verwirrt«, sagte sie zu Luca und wirbelte
davon.

Er warf mir einen Blick zu und fragte: »Kommst du klar?«
»Ja, gehen Sie ruhig, ich muss nur etwas trinken«, sagte ich mit einem

schwachen Lächeln. Er musterte mich noch einen Moment, nickte dann
und machte sich davon. Den restlichen Abend bekam ich Luca kaum noch
zu Gesicht, was daran lag, dass ich von Aileen und ihrer Mom rund um
die Uhr bewacht wurde. Sie dachten wohl, ich würde jeden Moment
zusammenbrechen, weil ich immer noch blass war, aber darum machte ich
mir weniger Gedanken. Viel wichtiger war das, was sich zwischen Luca
und mir abgespielt hatte. Oder war es normal, dass ein Chef seine Mit-
arbeiterin fest in den Armen hielt? Und was noch viel schlimmer war, es
hatte mir sogar gefallen! Das hätte nicht geschehen dürfen, nichts von
dem.

Ich gebe zu, dass Luca unheimlich attraktiv und charmant war, ja,

auch nett, zuvorkommend und aufmerksam, aber waren sie das nicht alle
am Anfang? Ich hatte Freundinnen auf der Uni gehabt, die hatten mir die
Ohren vollgeheult, weil sie sich die frühere Aufmerksamkeit ihrer Partner

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zurückwünschten. Dass sie am Anfang mit Blumen und anderen kleinen
Aufmerksamkeiten beglückt worden waren und nun einen Bier
trinkenden, Fußball guckenden Mann vor dem Fernseher vorfanden,
dessen Bauch reichlich an Fülle gewonnen hatte und der es nicht mehr für
nötig hielt, sich zu rasieren.

Gut, ich glaube kaum, dass sich Luca jemals so gehen lassen würde,

aber was ich glaubte, war, dass er mich nur gewinnen wollte, um mit mir
in die Kiste zu steigen. Was sollte er auch sonst von mir wollen? Es gab
absolut nichts, was ich ihm bieten könnte – das hatte mir mein Ex zumind-
est immer vorgeworfen und so würde es auch bei Luca sein. Erfolgreiche
Männer erwarteten immer, dass ihre Partnerin mit demselben Ehrgeiz
durchs Leben gingen, aber manche waren schon mit einem Dach über dem
Kopf und vier Rädern unter dem Hintern zufrieden.

Am Anfang unserer Beziehung hatte mich Tobi zum Beispiel mit Ges-

chenken und Accessoires überhäuft und nichts im Gegenzug verlangt,
doch mit der Zeit hatte ich mir dann anhören müssen, dass ich ihm auf der
Tasche läge und keine höheren Ziele hätte. Er hatte es nie laut ausge-
sprochen, aber ich wusste, dass er ebenso teure Geschenke von mir erwar-
tete, die ich ihm aber nicht bieten konnte. Während er mir also zu Weih-
nachten ein neues Handy, einen iPod und Luxushandtaschen schenkte,
hatte ich meistens nur ein Budget von einhundert Euro zur Verfügung ge-
habt und dafür hatte ich dann schon kräftig sparen müssen. Ich glaube,
genau das hatte er mir insgeheim vorgeworfen, und deshalb konnte ich
mich, wenn Luca denn überhaupt an etwas Ernstem interessiert war, auch
niemals auf ihn einlassen. Ich hätte immer das Gefühl, ihm nicht genug bi-
eten zu können. Ich würde mich also mit jemand weniger Spektakulärem
zufrieden geben. War ich nicht bescheiden?

»Hey, bist du überhaupt noch bei uns?«, fragte Aileen mich irgend-

wann. Ich war schon lange nicht mehr bei ihnen, denn nachdem sie mich
wieder aufgepäppelt hatten, hatte ich mich mit den beiden in eine Ecke
verkrochen und schwelgte in Gedanken.

»Ich glaube, ich fahre jetzt nach Hause«, verkündete ich und erhob

mich.

»Kommt ihr mit?«, wollte ich wissen, doch sie schüttelten die Köpfe.

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»Auf keinen Fall. Das ist die Party des Jahres und davon will ich keine

Sekunde verpassen. Nimm aber ein Taxi, ja?«, sagte Aileen und drückte
mich zum Abschied. Ich nickte und verließ die Feierlichkeiten.

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Harmloser Spaziergang

Die darauffolgenden Tage war Luca nicht da, aber das hatte ich zuvor
gewusst, denn als seine persönliche Assistentin hatte er mich natürlich
schon vor Tagen darüber informiert. Er war mit den Chefs der dritten
Etage bei einer dreitägigen Konferenz, sodass wir Sekretärinnen nichts
weiter zu tun hatten, als ihre Anrufer zu vertrösten und neue Termine aus-
zumachen. Genug Zeit, um über den gestrigen Abend zu quatschen und
sich über diejenigen lustig zu machen, die zu tief ins Glas geschaut hatten.
Mary verhielt sich auffallend ruhig und begnügte sich damit, mich einfach
zu ignorieren, anstatt mich mit spitzen Bemerkungen zu bombardieren –
sollte mir nur recht sein.

Am dritten Tag holte mich Lisa von der Arbeit ab, und wir fuhren

zusammen einkaufen, und gerade, als ich gedacht hatte, der Tag hätte
entspannter nicht enden können, rief meine Mutter an.

»Auch das noch«, stöhnte ich und drückte die Nummer weg.
»Was ist los?«, fragte Lisa, die den Blick auf die Straße gerichtet

hatte.

»Meine Mutter! Ihr ist nach drei Wochen dann endlich aufgefallen,

dass ihre Tochter verschwunden ist«, sagte ich spöttisch und steckte das
Handy weg.

»Geh doch ran. Je eher du mit ihr sprichst, desto schneller hast du es

hinter dir«, sagte sie. Ich sah sie mahnend an.

»Du willst ja bloß lauschen«, meinte ich vorwurfsvoll, und als sie nur

grinsend nickte und mein Handy erneut vibrierte, ging ich widerwillig ran.

»Hallo?«, fragte ich, obwohl ich genau wusste, wer mich da anrief.
Einen Moment war es still, als ob sie überrascht wäre, dass ich über-

haupt abnahm, dann herrschte sie mich auch schon an: »Wie konntest du
es nur wagen, mich hier im Stich zu lassen? Weißt du, dass ich unseren
Nachbarn Lügengeschichten auftischen musste, um dein plötzliches Ver-
schwinden zu erklären?«

»Lügen ist doch dein Spezialgebiet«, sagte ich ungerührt. Es hatte

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Zeiten gegeben, da war ich vor ihrer lauten Stimme und dem strengen
Blick davongekrochen, doch das war jetzt vorbei. Ich hatte keine Angst
mehr vor ihr. Das war eigenartig, denn wenn man ein Kind war, waren die
Eltern für einen immer die höchste Autorität, und man setzte alles daran,
ihren Zorn nicht auf sich zu ziehen. Bis man dann erwachsen wurde und
feststellte, dass sie auch nur Menschen und gar nicht so furchteinflößend
waren, wie man es als Kind immer gedacht hatte.

Meine Mutter schnappte empört nach Luft, dann fuhr sie mit ihrer üb-

lichen Leier fort: »Womit habe ich so ein undankbares Kind nur verdient?
Da besorge ich dir eine Ausbildung, ein Studium und einen gesicherten
Arbeitsplatz und du ziehst ohne Vorwarnung einfach nach Berlin! Was ist
bloß in dich gefahren?«

Wusste ich’s doch, dass sie es früher oder später herausfinden würde!
»Wir wissen beide, dass du es nur für dich getan hast. Ich wollte nie

Jura studieren, und das weißt du. Und falls es dich interessiert: Ich arbeite
jetzt als Sekretärin in einer Eventfirma und es macht mir unheimlich viel
Spaß.«

»Pah! Sekretärin. Jeder weiß, dass die einzige Aufgabe darin besteht,

sich mit dem Chef auf dem Schreibtisch zu wälzen. Da hättest du auch
gleich Stripperin werden können«, blaffte sie, doch ihre Worte prallten an
mir ab wie Wasser an einem Stein. Es war mir schlichtweg egal, was sie
sagte, sie konnte mich nicht mehr verletzen und genau das wurmte sie.

»Kann ich sonst noch was für dich tun? Ansonsten würde ich jetzt

gerne mein Leben leben!«, sagte ich.

Es herrschte einen Moment Stille, dann sagte sie: »Ich will, dass du

zurückkommst, Sophia. Du wirst Vernunft annehmen und gefälligst das
tun, was ich dir sage. Ich lasse nicht zu, dass du Schande über unsere
Familie bringst und mich hier alleine lässt. Du kommst auf der Stelle
zurück!«

»Hat mich gefreut, mit dir zu sprechen. Auf Wiedersehen«, antwortete

ich und legte auf.

»Sie wollte doch tatsächlich, dass ich zu ihr zurückkomme«, sagte ich

kopfschüttelnd und steckte das Handy weg.

»Das wird sie nicht auf sich sitzen lassen, das weißt du, oder?«,

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bemerkte Lisa und parkte den Wagen vor unserer Tür.

»Schon möglich, aber was soll sie denn machen? Mich kidnappen

lassen und zurückschleifen? Sie ist wütend, aber das wird sich legen. Ir-
gendwann wird sie vergessen, dass sie überhaupt eine Tochter hatte«,
sagte ich zuversichtlich und stieg aus. Gut, dass ich das nun endlich hinter
mir hatte. Jetzt konnte ich guten Gewissens nach vorne blicken.

***

Am dritten Tag waren Luca und die übrigen Chefs wieder anwesend, und
als er mit seiner morgendlichen Begrüßung an uns vorbeimarschierte,
schnappte ich mir eilig meinen Notizblock und folgte ihm. Ich würde mir
weder Gedanken über seine Umarmung auf der Betriebsfeier machen noch
darauf eingehen. Alles war wie gehabt, es war nichts geschehen. Er ließ
die Tür gleich offen stehen, sodass ich hindurch schlüpfen und sie hinter
mir schließen konnte.

Wie immer öffnete er zuerst die Fenster, dann stellte er eine große

Sporttasche ab und zog sich die Jacke aus.

»Wie geht es dir? Bist du an dem Abend noch gut nach Hause gekom-

men?«, fragte er, hängte sie über die Stuhllehne und nahm mir gegenüber
Platz.

Ich beugte mich über den Tisch, goss ihm Kamillentee aus der Ther-

moskanne ein, die ich vor schon einer halben Stunde hierher gestellt hatte
und sagte: »Ja, danke, ich weiß auch nicht, was los war. Es muss wirklich
an den ganzen Drehungen gelegen haben. Wo haben Sie überhaupt Walzer
gelernt?«, fragte ich und setzte mich. Das hatte ich schon an dem Abend
fragen wollen, doch dann war ich etwas abgelenkt gewesen.

»Meine Mutter hat es mir beigebracht, sie hat es geliebt«, sagte er,

und seinem wehmütigen Lächeln nach zu urteilen, weilte sie wohl nicht
mehr unter uns.

»Tut mir leid mit Ihrer Mutter«, sagte ich befangen. Ich hätte ihn nicht

fragen sollen.

»Was meinst du? Dass sie nach Italien ausgewandert ist?«, fragte er

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und musterte mich mit gerunzelter Stirn. Italien?

»Oh, dann lebt sie also noch?«, fragte ich erleichtert.
Er sah mich etwas irritiert an.
»Natürlich. Warum fragst du?«
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Entschuldigen Sie, es hatte sich nur so angehört, als wäre sie ver-

storben«, sagte ich und fragte mich im nächsten Moment, was wir hier ei-
gentlich taten? Ich meine, gehörte dieses Gespräch wirklich hierher? Ich
war seine Assistentin und kannte deshalb das eine oder andere private De-
tail über ihn, aber so privat wollte ich es nun auch wieder nicht.

Doch er schien diese Ansicht nicht zu teilen, denn er sagte: »Nein, tot

ist sie nicht, aber sie sitzt seit fünf Jahren im Rollstuhl. Sie war immer
eine begeisterte Tänzerin und ist vor ihrem Unfall oft Tanzen gegangen.
Sie hat sogar regelmäßig an Wettbewerben teilgenommen, auch wenn sie
nie gewonnen hat.« Er lächelte verträumt, als erinnerte er sich an eine
amüsante Situation.

»Dann hatte sie den Unfall, und mein Vater … naja, sie ist schließlich

nach Italien zu ihrer Schwester gezogen«, sagte er schnell, als wäre ihm
nun selbst aufgefallen, dass das Gespräch etwas zu persönlich wurde.

Um die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken, sagte ich de-

shalb: »Waren Sie vor der Arbeit trainieren? In welchem Fitnessstudio,
wenn ich fragen darf? Ich suche nämlich gerade eins.« Und das war nicht
einmal gelogen. Lisa, die regelmäßig Sport trieb, drängte mich jetzt schon
seit einer Woche, endlich etwas für meinen Körper zu tun. Nicht, dass ich
es figürlich nötig hätte, aber man wurde schließlich nicht jünger und
musste etwas für seine Ausdauer und Fitness tun.

Er folgte meinem Blick zu seiner Sporttasche und erklärte: »Ich gehe

jeden Mittwoch und Sonntag mit meinem Hund joggen.«

Das ließ mich aufhorchen.
»Sie haben einen Hund? Was für einen?«
»Eine Schäferhündin, Kira«, sagte er, überrascht wegen meines plötz-

lichen Interesses, und vielleicht fasste er es falsch auf, denn nach kurzer
Überlegung schlug er vor: »Du kannst uns diesen Sonntag begleiten. Wir
fangen um 10 Uhr an.«

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Äh, was? Ich sollte mit ihm joggen gehen?
»Ich weiß nicht, ist das nicht irgendwie … unpassend?«, fragte ich.

Immerhin war ich seine Sekretärin. Da verdrehte er die Augen.

»Sophia, du tust ja so, als hätte ich dich um ein Date gebeten! Wir

sprechen hier übers Joggen. Da schwitzt man, hechelt wie verrückt und
wird von tierischem Muskelkater geplagt. Hört sich das für dich in ir-
gendeiner Form romantisch an?«, fragte er. Ich musste lachen. Er hatte
recht, und irgendwie hatte dieser Mann auch immer die richtigen Worte,
um mir meine Zweifel zu nehmen, fiel mir auf.

»Also, können meine Freundin und ich auf dich zählen?«, fragte er.
»Deine Freundin?«, wiederholte ich überrascht und spürte einen klein-

en Stich. Hatte ich ihn etwa falsch verstanden? Er wollte doch nicht, dass
ich dabei zusah, wie er vergnügt mit seiner Freundin joggte, während ich
ihnen als seine Assistentin hinterher tigerte, oder? Nicht, dass es mich
störte, dass er eine Freundin hatte. Tat es doch nicht, oder?

»Meine Hündin. Kira«, erinnerte er mich mit einem amüsierten

Funkeln in den Augen. Mist, ihm war meine Reaktion nicht entgangen.

Ich zuckte unbeschwert die Schultern, um den peinlichen Moment zu

überspielen. »Klar, warum nicht.« Warum nicht? Weil er dein Boss ist,
verdammt, und du ihn sicher nicht in hautengen Trainingssachen sehen
willst!
, tadelte ich mich. Aber ich wollte ihm und vor allem mir beweisen,
dass es mir nichts ausmachte, mich mit ihm zu treffen. Es war ein harm-
loser Spaziergang, weiter nichts, und er hatte ja recht. Was sollte an einem
gemeinsamen Training schon verkehrt sein?

»Gut, kommen wir zum Geschäftlichen«, sagte er und klappte seinen

Laptop auf.

Als ich eine halbe Stunde später alle Termine und Anfragen mit ihm

abgesprochen hatte, sagte ich: »Ich brauche nächste Woche Mittwoch un-
bedingt frei. Meine Mitbewohnerin hat einen wichtigen Arzttermin, und
ich muss zuhause sein, weil unsere Rohre neu verlegt werden.«

»Nächsten Mittwoch?«, hakte er nach.
»Ich weiß, dass der Dienstplan schon steht, aber es ist wirklich drin-

gend, ich kann den Termin nicht verlegen«, sagte ich.

Er musterte mich abwägend, wobei er sich mit einer Hand das Kinn

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massierte, dann fragte er: »Was bietest du im Gegenzug dafür an?«

Ich hob die Schultern. »Eine Extraschicht?«
»Hm, wie wäre es stattdessen … wenn du mich ab sofort duzt?«,

schlug er vor.

»Zwei Extraschichten«, hielt ich dagegen.
Das entlockte ihm ein Lachen.
»Du willst tatsächlich lieber Überstunden schieben, als mich zu

duzen? Das ist ziemlich verletzend, weißt du das?« Als ich nur die Schul-
tern zuckte, sagte er: »Was ist mit den anderen Abteilungsleitern? Die
sprichst du auch mit Vornamen an.«

Ich musste lachen, weil er sich wie ein beleidigtes Kind anhörte. Den-

noch sagte ich:

»Aber Sie sind nun mal mein Chef.«
Er sah mich lange an, und ich konnte förmlich hören, wie es hinter

seiner Stirn arbeitete. Er suchte unbedingt nach einem Weg, mich umzus-
timmen, und zu sehen, dass er sich darüber so den Kopf zerbrach,
schmeichelte mir. Mit den nächsten Worten erstickte er jedoch die
aufkommende Sympathie in mir.

»Nun, Sophia, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dich einer an-

deren Abteilung zuzuteilen.«

Ich starrte ihn ungläubig an.
»Sie bluffen!«
»Keineswegs«, sagte er und holte eine Mappe mit Unterlagen heraus.
»In der fünften Etage sitzen noch genügend Führungspositionen, die

eine gute Sekretärin wie dich gebrauchen können.«

»Und was wollen Sie denen sagen, warum Sie mich versetzt haben?«,

fragte ich und spürte meine Knie weich werden. Er bluffte doch bloß,
oder? Ich wollte hier nämlich nicht weg. Ich hatte mich gerade so gut
eingelebt und für ihn zu arbeiten, war auch nicht unbedingt das schlecht-
este Los, wie ich mir eingestehen musste. Ehrlich gesagt war er sogar der
netteste und pflegeleichteste Mensch, für den ich jemals gearbeitet hatte –
abgesehen von seinen gelegentlichen Flirtversuchen, aber die waren bis
jetzt harmlos gewesen und störten mich auch nicht wirklich. Nein, ich
wollte also ganz und gar nicht in eine andere Abteilung versetzt werden.

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»Ich bin der Juniorchef, schon vergessen?«, erinnerte er mich mit

einem dämonischen Lächeln.

»Ich muss niemandem was sagen. Also, wie hättest du es gern?« Er

schenkte mir ein selbstgefälliges Grinsen, weil er wusste, dass ich
einknicken würde. Er war hier mit Abstand die beste Partie als Chef,
selbst meine Kolleginnen beneideten mich um meinen Posten und das
nicht einmal nur, weil Luca gut aussah, wie ich in den letzten Wochen
mitbekommen hatte. Marys Chefin war zum Beispiel eine totale Ober-
zicke, wenn sie ihren morgendlichen Kaffee nicht bekam, und Annes Chef
konnte offenbar überhaupt keine Frauen leiden. Ich würde Lucas Angebot
also annehmen, und das wusste er.

»Also gut, Sie … du hast gewonnen«, sagte ich und presste das du re-

gelrecht aus meinen Mund. Es widerstrebte mir einfach, eine Autorität-
sperson mit Vornamen anzusprechen, und vor allem widerstrebte es mir,
wenn sie dabei so verboten anziehend auf mich wirkte wie mein
Gegenüber!

***

Luca bot an, mich am Sonntag abzuholen, doch ich schlug sein Angebot
freundlich aus und traf mich stattdessen direkt am Waldrand mit ihm. Ich
wollte erst gar nicht den Eindruck wecken, wir könnten so etwas wie Fre-
unde sein, die sich gegenseitig mitnahmen oder ausgingen, denn das
würde dann doch zu weit gehen. Ich tat mich schon schwer damit, ihn
beim Vornamen zu rufen, da musste ich nicht noch mehr Nähe zulassen.
Außerdem wollte ich nicht, dass er wusste, wo ich wohnte, auch wenn er
meine Adresse sicher schon mal auf meinen Unterlagen gesehen hatte.
Keine Ahnung, aber mit ihm joggen zu gehen, war mir schon privat genug
– mehr war nicht drin!

Obwohl es wirklich bedauerlich ist, dachte ich Sekunden später, als

ich seinen Traumkörper erblickte. Er stand mit dem Rücken zu mir, trug
eine blaue, knielange Hose und dazu ein gleichfarbiges, enganliegendes
Shirt. Und hätte ich noch einen Beweis dafür gebraucht, dass er es war,

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dann gab ihn mir der große Schäferhund, der um ihn herumtänzelte. Als
hätte Luca meine Anwesenheit gespürt, drehte er sich zu mir um und
winkte mich zu sich heran.

»Scheiße«, murmelte ich, als ich seine athletische Figur von vorn be-

trachtete. Diese kräftigen Arme, der Waschbrettbauch und die trainierten,
langen Beine! Wie sollte ich nur jemals den Blick von seinem Körper neh-
men? Und dann hatte er noch Muskeln an genau den richtigen Stellen! Es
war keineswegs so, dass er ein Kraftprotz war, er war sogar ziemlich
schmal gebaut, aber seine Größe und sein definierter Körper machten ihn
zu dieser atemberaubenden Erscheinung. Ich sollte umdrehen und vor
diesem Dämon fliehen!

Luca hockte sich hin, kraulte Kira hinterm Ohr und schickte sie dann

zu mir.

»Sieh mal, wir haben eine neue Freundin«, sagte er, woraufhin mich

die Hündin schwanzwedelnd ansprang.

»Hallo, meine Hübsche«, sagte ich und ließ sie an meiner Hand

schnuppern, ehe ich sie streichelte.

»Ich habe sie im Alter von zwei Jahren aus dem Tierheim geholt. Hat

ziemlich lange gedauert, ihr wieder Lebensmut einzuhauchen«, sagte er
und erhob sich. Wow, das hatte er getan? Ich war ziemlich überrascht über
seine Tierliebe, das hätte ich von einem knallharrten Geschäftsmann gar
nicht erwartet. Bevor ich etwas erwidern konnte, richtete er sich zu seiner
vollen Größe auf, und mir blieb einfach nur der Mund offen stehen.

»Wow, du … bist ziemlich gut gebaut«, rutschte es mir heraus, und

ich konnte meinen Blick einfach nicht von seinem Oberkörper losreißen.
Erst, als er lachte und sich für das Kompliment bedankte, sah ich zu ihm
auf. Gott, diese verdammten Augen. Warum musterten sie mich so intens-
iv? Ich bemerkte, wie sich etwas in meiner unteren Körperregion zusam-
menzog, und verspürte den Wunsch, von ihm geküsst zu werden. Ich
wollte von diesen starken Armen gehalten und fest an ihn gedrückt wer-
den – Scheiße, ich wollte Sex! Ich räusperte mich.

»Sie ist wirklich wunderschön«, sagte ich und wandte meine

Aufmerksamkeit wieder der Hündin zu. Dabei sah ich, wie er seinen Blick
aufmerksam über mein Outfit wandern ließ, und zu wissen, dass er mich

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scannte, ließ mir nur noch wärmer zumute werden. Ich hatte meine Alltag-
skleidung noch an, denn er hatte mir versprochen, dass ich mich in seinem
Auto umziehen konnte.

Also führte er mich zu seinem schwarzen Jeep, der elegant, aber auch

sehr sportlich und wuchtig war. Ich mochte große Autos und die Bein-
freiheit, die sie mit sich brachten. Zweisitzer, in denen man fast liegen
musste, konnte ich dagegen nicht ausstehen. Ich war da eher praktisch ver-
anlagt. Sollte ich mir je ein Auto leisten können, würde es ein großes sein,
damit ich meinen Einkauf und eventuell ein paar Freunde darin verstauen
konnte. Denn was brachte mir ein edel aussehender Schlitten, wenn
niemand Platz darin fand? Aber das war ja ohnehin ein typisches Laster
unserer statusgeilen Gesellschaft, die sich jedes Jahr ein neues Smart-
phone zulegte, nur weil es eine Funktion mehr hatte. Ehrlich mal, was
sollte das? Ich hatte mein Handy bestimmt schon sechs Jahre und sah gar
nicht ein, teure Verträge zu unterschreiben, nur um mit der Zeit zu gehen.
Denn sein wir mal ehrlich, ein Handy musste genau zwei Dinge können,
um mit der Außenwelt kommunizieren zu können: telefonieren und Na-
chrichten schreiben!

An seinem Jeep angekommen, öffnete er mir die Tür und stellte sich

dann mit dem Rücken zu mir, damit ich mich in Ruhe umziehen konnte.
Er hatte doch keine Kameras im Wagen versteckt, oder? Bei diesen ver-
mögenden Männern wusste man nie! In Amerika gab es diverse Rapper,
die sich in den Schlafzimmern Kameras zugelegt hatten, damit ihre
Groupies sie nicht hinterher wegen Vergewaltigung verklagen konnten.
Das war nämlich schon oft geschehen und sollte ihnen als Absicherung
dienen und wer wusste schon, ob das bei Luca nicht auch so war? Geld
hatte er ja genug.

Als ich aus meiner Jacke schlüpfte, denn im Gegensatz zu Luca

machte mir die morgendliche Frische durchaus etwas aus, gesellte sich
Kira zu mir und beobachtete mich durch den offen stehenden Türschlitz.

»Hast du sie darauf angesetzt, mich zu bewachen?«, fragte ich

scherzhaft und knöpfte meine Hose auf. Luca lachte leise.

»Was, wenn ich dir sage, dass ich ein Warg bin und durch die Augen

eines Tieres sehen kann?«

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»Ein was?«, fragte ich verwirrt.
Er seufzte gekünstelt.
»Noch nie Game of Thrones gesehen?«
»Ist nicht mein Genre. Fantasy-Filme überlasse ich Lisa«, sagte ich

und schlüpfte in meine Sportsachen. Irgendwie fand ich den Gedanken
aber sympathisch, dass er abends vor dem Fernseher saß und sich Fantasy-
Filme ansah. Das war so bodenständig, ein Wort, das ich nie in Ver-
bindung mit ihm gebracht hätte. Für mich war er ein erfolgreicher
Geschäftsmann, der bis in die Nacht hinein an seinem Laptop saß und ir-
gendwelche Statistiken verfolgte, nicht jemand, der sich mit seinen
Kumpels einen gemütlichen DVD-Abend machen würde. Aber offenbar
schätzte ich ihn in so einigen Dingen falsch ein, denn ich hätte ja auch
nicht gedacht, dass er Tiere adoptierte.

Umgezogen stieg ich aus seinem Wagen, wobei ich nicht annähernd

so freizügig gekleidet war wie er. Meine Trainingshose reichte mir bis zu
den Knöcheln und mein pinkes Shirt wurde von einer Sportjacke bedeckt.
Jacke sowie Hose waren schwarz und hatten zwei pinke Streifen an den
Seitennähten. Dazu trug ich schwarze Asics und fertig war mein Jogging-
Look. Als er mich ungeniert betrachtete, wandte ich mich Kira zu, denn
mir waren seine Blicke zutiefst unangenehm.

Ich fragte mich, wie man ein derartiges Selbstbewusstsein aufbauen

konnte, um fremde Leute so zu mustern? Wenn ich in der U-Bahn saß,
traute ich mich nicht mal, jemanden auch nur drei Sekunden lang an-
zuschauen– er könnte sich ja belästigt fühlen. Luca dagegen schien solche
Bedenken nicht zu haben – der Glückliche. Ich würde Menschen auch
gern mit meiner bloßen Anwesenheit einschüchtern können, so wie meine
Mutter zum Beispiel, stattdessen konnte ich nur mit einem losen
Mundwerk punkten.

»Also dann, bist du bereit?«, fragte er und steuerte auf den Tiergarten

zu. Ich nickte, warf mir ein kleines Handtuch um den Hals und folgte ihm.
Zuerst joggten wir langsam und gemächlich, um uns aufzuwärmen, und
Luca erzählte den einen oder anderen Witz, um die Stimmung aufzulock-
ern. Ich gebe zu, ich war ein schwieriger Fall und nur sehr schwer zu
knacken – vor allem, wenn ich mich eingeschüchtert fühlte, aber mit

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Witzen konnte man mich immer kriegen. Je dümmer desto lustiger. Doch
schon bald erhöhte er das Tempo, und das Lachen verging mir allmählich.
Kira hatte natürlich keine Probleme, mitzuhalten, und tänzelte glücklich
um uns herum, doch ich war weder ein Vierbeiner noch ein Sportguru wie
Luca, und so machte ich schon nach zehn Minuten schlapp.

»Och, bitte, das ist doch wohl nicht dein Ernst«, sagte er, als ich lang-

samer wurde. Er klang nicht mal annähernd außer Atem!

»Ich dachte, du joggst öfter«, bemerkte er vorwurfsvoll.
»Das habe ich nie behauptet«, gab ich keuchend zurück. Mein Herz

pumpte schwer gegen meine Brust und meine Lungen brannten.

»Warum bist du dann mitgekommen?«, wollte er wissen und drosselte

sein Tempo auf mein Niveau.

»Ich wollte deinen Hund sehen, und es erschien mir eine gute Idee,

sich mal wieder körperlich zu betätigen«, sagte ich.

»Das hättest du gleich sagen sollen, dann wären wir es ruhiger

angegangen.«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Es geht schon, ich kann nur nicht so schnell«, sagte ich und lief tap-

fer weiter. Während wir weiterjoggten, hielt ich mich immer einige Zenti-
meter hinter ihm, damit ich ihn ungeniert von der Seite betrachten konnte.
Seine angewinkelten Arme waren angespannt und hatten eine wunder-
schöne Form. Ich stand total auf kräftige Arme, wenn sie nicht zu aufge-
pumpt waren, und Lucas hatten die perfekte Form. Eigentlich war alles an
ihm perfekt, und ich fragte mich zum ersten Mal, ob er eine Freundin
hatte. Jemand wie er war doch sicher vergeben, oder? Andererseits war er
gerade mit mir joggen. Tat man das, wenn man eine Beziehung führte?
Bevor ich mir noch weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, fragte ich
ihn: »Sag mal, gehst du oft mit deinen Assistentinnen joggen? Ist das ir-
gendeine Art Ritual, um sich besser kennenzulernen?«

»Natürlich nicht«, sagte er augenzwinkernd, sodass ich nicht sagen

konnte, ob er es ernst meinte oder nicht. Als er meinen zweifelnden Blick
bemerkte, wurde er jedoch ernst.

»Nein, Sophia, tue ich wirklich nicht«, versicherte er mir und schien

etwas beleidigt zu sein. Aber was konnte ich denn dafür? Es war mir

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einfach schleierhaft, warum er ausgerechnet mich hierher eingeladen
hatte? Was sollte er schon von mir wollen? Als hätte er meine Gedanken
gelesen, sagte er seufzend: »Du bist unfassbar misstrauisch und nur
schwer zu überzeugen und auch wenn ich es nur ungern zugebe, aber du
bringst mich wirklich an meine Grenzen.«

»Klingt, als wäre ich irgendein Projekt«, sagte ich nüchtern. Ich hatte

es eigentlich nur so daher gesagt, doch es schien ihn zu kränken, denn er
sah mich säuerlich an.

»Warum machst du das?«
»Was denn?«, fragte ich.
»Du reagierst auf alles, was ich sage, spöttisch, nimmst meine Worte

überhaupt nicht für voll.«

Ich warf ihm einen zweifelnden Seitenblick zu. Meinte er das wirklich

ernst? Als er stehen blieb, tat ich es ebenfalls.

»Tut mir leid«, sagte ich und wischte mir über die Stirn.
»Aber ich mag es einfach nicht, wenn man mit mir flirtet … oder auf

irgendeine sonderbare Weise nett zu mir ist.«

Er hob die Augenbrauen.
»Du meinst das auch noch ernst, oder?«
»Absolut«, bekräftigte ich.
Er setzte sich wieder in Bewegung, und ich folgte ihm, versuchte, mit

ihm mitzuhalten. Kira war irgendwo im Dickicht verschwunden.

»Aber das ist doch nicht normal. Jede Frau steht auf Komplimente und

ein bisschen flirten.«

»Tja, ich bin aber nicht jede Frau«, bemerkte ich.
»Den Eindruck habe ich auch«, murmelte er kaum hörbar. Wir liefen

eine Weile joggend nebeneinander her, ehe er sagte: »Okay, und wenn ich
ab sofort wieder vorlaut und unverschämt bin? Kannst du mich dann bess-
er leiden?« Unüberhörbarer Spott schwang in seiner Stimme mit.

Damit könnte ich zumindest umgehen, dachte ich wehmütig. Ich woll-

te ihm ja glauben, wollte glauben, dass er die Komplimente ernst meinte,
denn nichts würde mir mehr Bauchkribbeln verursachen, aber ich konnte
kein zweites Mal auf denselben Trick reinfallen. Das ging einfach nicht,
ich würde mich allerdings hüten, ihm von meinem Exfreund zu erzählen.

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Das musste er nun wirklich nicht wissen und es würde nur wieder alte
Wunden aufreißen. Da ich aber viele Stiche benötigt hatte, um sie zu
nähen, konnte ich getrost darauf verzichten.

»Keine Antwort ist auch eine, weißt du?«, sagte er, als ich nicht re-

agierte. Ich hob nur die Schultern. Was sollte ich auch sagen? Ich hatte die
gute Stimmung verdorben und egal, was ich jetzt sagte, es würde sie nicht
wieder auflockern.

»Okay, du musst nicht darauf antworten. Genießen wir einfach den

restlichen Spaziergang«, sagte er resigniert.

***

»Sag mal, willst du mich für irgendwas bestrafen?«, fragte ich und wurde
langsamer. Irgendwann hatte er das Tempo wieder angezogen, und meine
Beine drohten, allmählich unter meinem Gewicht nachzugeben.

»Keineswegs, aber wenn wir noch langsamer laufen, schlafe ich ein«,

sagte er und bremste seine Geschwindigkeit.

»Dann schlage ich vor, du lässt mich hier zurück. Ich bin sicher, dass

du mich irgendwann wieder einholst«, schlug ich atemlos vor. Selbst das
Reden fiel mir schwer.

»Das würde ich sogar mit großer Wahrscheinlichkeit, aber ich kann so

ein wehrloses Mädchen doch nicht alleine im Wald lassen«, sagte er mit
einem verschwörerischen Blick.

Ich lachte.
»Ich bin nicht wehrlos und mit 25 darf ich wohl darauf bestehen, als

Frau bezeichnet zu werden!«, forderte ich halb belustigt.

»Oh, eine Frau bist du mit Sicherheit«, sagte er und ließ seinen Blick

zu den betreffenden Körperteilen wandern. Ich lief rot an und tat, als
würde ich seinen Blick nicht bemerken. Und du bist eindeutig ein Mann,
hätte ich am liebsten gesagt und dabei einen Blick auf seinen Schritt ge-
worfen, aber so selbstsicher war ich natürlich nicht. Ich weiß auch nicht,
flirten hatte ich noch nie gekonnt.

Er hielt an.

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»Vielleicht sollten wir für heute Feierabend machen, ich bin schon

völlig aus der Puste«, sagte er scherzhaft und stützte seine Hände auf den
gebeugten Knien ab, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Er
machte sich über mich lustig, denn wir beide wussten, dass ich hier die
einzige war, die aus der Puste war, aber genau diese freche Art brachte
mich zum Lachen. Das gefiel mir viel besser, als wenn er mir Kompli-
mente machte.

Den Rückweg traten wir halb joggend, halb gehend an, um unseren

Puls langsam wieder zu normalisieren, bis wir schließlich nur noch
gingen.

»Gibst du mir deine Adresse? Dann fahre ich dich nach Hause«, sagte

er, als wir an seinem Wagen angekommen waren und ich mich umzog.
Spinnt der?

»Brauchst du nicht, ich fahre mit der U-Bahn«, sagte ich laut und trat

schließlich in sauberen Sachen heraus.

Er drehte sich zu mir und sah mich tadelnd an.
»Wenn ich mich recht erinnere, wohnst du in Mitte. Ich kann dich also

mitnehmen, es wäre kein Umweg«, sagte er und nahm eine Wasserflasche
vom Beifahrersitz. Als er sie ansetzte und gierige Schlucke nahm, blieb
mein Blick an seinem Kehlkopf hängen, der sich schluckend bewegte.
Doch so faszinierend der Anblick und der Gedanke, dass er mich chauf-
fieren würde, auch waren, ich lehnte ab. Ich meine, was würde als Näch-
stes kommen? Würde ich ihn irgendwann auf eine Pizza einladen und
schließlich mit ihm im Bett landen? Ich hatte nun keine Zweifel mehr,
dass er an mir interessiert war, aber so wie ich ihn einschätzte, war es rein
körperlich, und dazu war ich einfach nicht der Typ. Außerdem würde ich
ganz sicher nicht das Klischee bedienen und als Empfangsdame mit
meinem Boss in die Kiste steigen. Das war mir einfach zu blöd.

»Nein, ich fahre allein«, sagte ich bestimmt, und auf meinen strengen

Ton hin setzte er die Flasche überrascht ab.

»Gut, wie du willst«, sagte er abwehrend und stellte die Flasche weg.
»Ich wollte nur höflich sein«, fügte er hinzu und scheuchte Kira auf

den hinteren Sitz. Ja, ja, freundlich seid ihr am Anfang alle!, dachte ich
genervt und spürte meine Laune rapide sinken. Plötzlich hatte ich

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überhaupt keine Lust mehr auf seine Anwesenheit und wollte nur noch
nach Hause. Es war mein innerer Schutzmechanismus, der mich diese
bösen Gedanken haben ließ. Lieber das Negative in ihm sehen und keine
freundlichen Gefühle für ihn entwickeln, dann konnte er mich auch nicht
verletzen. Das war mein Motto. Doch dann dachte ich an meine Mutter,
die diese Taktik schon ihr ganzes Leben verfolgte und von der man ja
wusste, wohin das geführt hatte, und ich fragte mich, ob ich das wirklich
wollte. Wollte ich nie wieder einem Mann trauen? Wollte ich mein Herz
nie wieder verschenken und für immer allein bleiben?

» … oder willst du doch mitfahren?«, holte Lucas Stimme mich

wieder zurück.

»Hm?«, machte ich abwesend.
Er betrachtete mich amüsiert.
»Ich habe tschüss gesagt, aber dann hast du nicht reagiert, und ich

habe dich gefragt, ob du doch mitfahren willst. Ich frage mich, woran du
immer denkst, wenn du verträumt guckst«, sagte er mit weicher Stimme.

An dich?
»Ich …äh, nein, ich fahre dann«, sagte ich und stopfte das nasse

Handtuch in meinen Rucksack.

»Hat Spaß gemacht«, fügte ich hinzu, woraufhin er mir einen spöt-

tischen Blick schenkte.

»So siehst du auch aus. Wir sehen uns morgen, genieß den restlichen

Sonntag.« Damit sprang er in seinen Jeep, startete den Motor und fuhr
davon. Ich sah ihm noch eine ganze Weile hinterher und machte mich
dann ebenfalls auf den Heimweg.

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Eine Raubkatze bei der Jagd

»Verdammt noch mal, das ist ja nicht zum Aushalten!«, schimpfte ich und
vergrub den Kopf unter meinem Kissen. Doch welche Position ich auch
ausprobierte, ich konnte nicht einschlafen. Meine Gedanken hielten mich
einfach wach, Gedanken, die sich lästiger Weise alle um eine einzige Per-
son drehten: Luca. Kaum war mir der Vergleich mit meiner Mutter in den
Sinn gekommen, hatte mich der Gedanke nicht mehr losgelassen. Was
wäre, wenn?
Was, wenn Lucas Interesse an mir echt war? Was, wenn ich
mich auf ihn einlassen würde? Was, wenn er ganz anders war, als ich ihn
bisher eingeschätzt hatte? Ich konnte ja gar nicht wissen, ob seine Ab-
sichten falsch waren, oder? Und bisher hatte er auch keinen unaufrichtigen
Eindruck auf mich gemacht. Hatte ich ihn schon mal mit einer anderen aus
der Firma flirten sehen? Nein. Hatte mich irgendjemand vor ihm gewarnt?
Nein. Machte er den Eindruck, als wäre er ein abgehobener, reicher Sch-
nösel? Eigentlich nicht. Wo lag dann das Problem? Ach ja, da war meine
lästige Angewohnheit, keinem, aber auch wirklich keinem Mann mehr
über den Weg zu trauen, und genau diese Einstellung musste ich ablegen.
Bevor ich das tat, musste ich jedoch mehr über seine Vergangenheit
herausfinden, und was eignete sich da besser, als sich in der Firma
umzuhören? Es gab nichts Informativeres als ein Haufen geschwätziger
Sekretärinnen. Ich hatte also einen Plan!

»Sag mal, Aileen, was ist eigentlich mit meiner Vorgängerin passiert?

Muss ich mir Sorgen machen, dass sie auf mysteriöse Weise verschwun-
den ist?«, fragte ich scherzhaft und piekte mit dem Bleistift in ihre Seite.
Ich gebe zu, dass ich mich zuvor nie gefragt hatte, warum Luca eine neue
Sekretärin gesucht hatte – bis jetzt.

Aileen kicherte und sah sich viel zu auffällig um, bevor sie antwortete:

»Wir sollen zwar nicht darüber sprechen, aber sie hat zwei Wochen, bevor
du angefangen hast, gekündigt«, sagte sie verschwörerisch.

»Weshalb?«, fragte ich und beugte mich interessiert zu ihr rüber.
»Man munkelt, dass sie in Luca verliebt gewesen ist, und weil er ihre

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Gefühle nicht erwidert hat, hat sie gekündigt.«

Ja, das klang nach einer typischen und klischeehaften Büroromanze.
»Und wie kam sie darauf, dass er ebenfalls so fühlen könnte? Er muss

ihr doch irgendwelche Signale gegeben haben«, hakte ich nach.

Aileen zuckte die Schultern.
»Nun ja, sie war seine Assistentin, das heißt, dass sie ihn oft begleitet

hat. Auch in Clubs und auf Veranstaltungen. Wer weiß, was da zwischen
ihnen vorgefallen ist«, überlegte sie und klang sichtlich frustriert über ihre
eigene Unwissenheit.

»Ich mag Luca wirklich sehr, und er scheint ein netter Kerl zu sein,

aber ich arbeite hier schon sehr lange und habe viele seiner Sekretärinnen
kommen und gehen sehen. Es hat nie ein gutes Ende mit seinen Assisten-
tinnen genommen, deshalb lass dir eines gesagt sein: Du kannst mit ihm
flirten und ihn attraktiv finden, aber lass dich nicht auf ihn ein. Er würde
dir nur das Herz brechen, so wie deiner Vorgängerin.«

Ich spürte einen dicken Kloß in meinem Hals und nickte.
»Das hatte ich auch nicht vor«, log ich und ging an meinen Platz

zurück. Also war er genauso, wie ich immer befürchtet hatte!

***

An diesem Abend begleitete ich Luca zum ersten Mal bei einem Geschäft-
sessen. Ich hatte die Nachricht erst zwei Stunden vorher bekommen, aber
er hatte mich ja vorgewarnt, dass ich zeitweise auf Abruf bereitstehen
musste. Weil das Meeting in einer Cocktailbar am Alexander Platz
stattfand, hatte ich noch genügend Zeit, um in Ruhe mit Lisa zu essen.
Dabei erzählte sie mir von ihrem neuen Schwarm.

»Er arbeitet im Supermarkt gleich nebenan und sitzt meistens an der

Kasse. Gott er hat so wunderschöne Augen und dieses Lächeln. Ich
glaube, er ist Italiener«, schwärmte sie.

»Dann sprich ihn an«, schlug ich mit vollem Mund vor.
»Und was soll ich ihm um zehn Uhr morgens bitte sagen?«
»Dann warte eben, bis er Spätschicht hat und lade ihn auf einen Drink

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ein«, schlug ich vor.

»Geht nicht, er hat nur Frühschichten«, erklärte sie kauend. Ich sah

verwundert auf. »Und das weißt du woher?«

»Ich habe ihn zwei Wochen lang beobachtet, er hat keine Spätschicht-

en. Vielleicht ist er Student.«

»Oh Gott, was bist du denn für eine Stalkerin?«, fragte ich lachend,

woraufhin sie mir einen bösen Blick schenkte.

»Bin ich nicht, ich habe nur Nachforschungen betrieben«, verteidigte

sie sich entrüstet. Ich lachte und spülte schnell mit Wasser nach, weil ich
mich an meinem Bissen verschluckt hatte.

»Okay, wie wäre es dann, wenn du auf seinen Feierabend wartest und

ihn dann auf einen Kaffee einlädst?«, schlug ich vor.

»Oder du fällst ihm zufällig vor die Füße und lässt dich von ihm auf

ein Pflaster in seine Wohnung einladen, wie Oliver Martinez in Untreu«,
sinnierte ich weiter.

»Oder ich tue nichts dergleichen und warte stattdessen bis er mich an-

spricht«, warf sie ein.

»Er ist auf Arbeit, Lisa. Glaubst du wirklich, dass er da eine Kundin

belästigt? Außerdem sind wir nicht mehr im Mittelalter, wo der Mann
noch auf die Frau zugehen musste«, sagte ich.

»Na, du musst dich gerade melden. Wie läuft es eigentlich mit Luca,

schon was über ihn herausgefunden?«, wechselte sie das Thema. Meine
Laune sank augenblicklich.

»Nur das, was ich mir schon von Anfang an gedacht habe. Er ist ein

Frauenheld«, sagte ich seufzend und legte mein Sandwich zur Seite.

»Sagt wer?«, fragte sie.
»Sagt Aileen.«
»Und woher will sie das wissen?«, erkundigte sich Lisa.
»Naja, sie arbeitet schon ziemlich lange für Luca, wenn nicht sie, wer

dann?«

»Du solltest nicht immer so viel auf die Meinung anderer geben und

anfangen, dir selbst ein Urteil bilden!«, sagte sie streng und deutete
tadelnd mit ihrer Stulle auf mich.

»Ha, du warst doch diejenige, die gesagt hat, dass alle erfolgreichen

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Geschäftsmänner gleich sind!«, protestierte ich.

»Da wusste ich ja auch nicht, dass er so nett und tierlieb ist, und Aus-

nahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel«, sagte sie nüchtern und sich
keiner Schuld bewusst.

»Außerdem kannst du den Männern nicht ewig misstrauen, sonst end-

est du noch als Klosterschwester«, fügte sie hinzu.

Ich ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen, dann fragte ich: »Und

wenn er nun doch falsche Absichten hat?«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, das rauszufinden. Du kannst natürlich

den einfachen Weg nehmen und ihn einfach ignorieren oder du gehst ein-
mal im Leben ein Risiko ein und findest so vielleicht endlich dein Glück.
Glaub mir, es gibt nichts Schlimmeres im Leben, als sich ständig fragen
zu müssen: Was wäre wenn?« Ich dachte darüber nach, wägte die Vor-
und Nachteile ab und sagte schließlich: »Okay, ich mach’s, aber nur,
wenn du den Italiener ansprichst.« Ihre Augen weiteten sich kurz, dann
schluckte sie und nickte zustimmend. Wir hatten einen Deal.

***

»Ist das so in Ordnung? Ich wusste nicht, was ich bei einem Auswärtster-
min anziehen soll«, fragte ich Luca und öffnete meinen Mantel, damit er
meine Arbeitskleidung begutachten konnte. Wir hatten uns soeben vor
dem Lokal getroffen und warteten auf seine Verabredung. Er schenkte mir
ein raubtierhaftes Lächeln.

»Du siehst perfekt aus, wie immer«, war seine charmante Antwort.
»Tja, äh, danke«, sagte ich, als ein Wassertropfen auf meine Wange

prallte.

»Warten wir lieber drinnen«, schlug Luca vor, als sich immer mehr

Tropfen dazugesellten und es schließlich nieselte. Wir ließen uns an den
reservierten Platz bringen und setzten uns an einen großen Tisch. Er be-
fand sich im VIP-Bereich und war durch ein rotes Seil getrennt, wie man
es vom roten Teppich kannte. Fünf Minuten später gesellten sich Lucas
Gäste zu uns. Der Erste war ein rundlicher, großer Mann, der für sein

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Alter viel zu gebräunt war und dessen Haut dadurch ledrig wirkte. Er hatte
lange, schwarze Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, und
war der Besitzer eines Stripclubs. Phillip war sein Name.

Dem Zweiten gehörte eine Cocktailbar in Charlottenburg und im Ge-

gensatz zu Phillip machte er einen harmlosen und freundlichen Eindruck.
Es gesellten sich noch drei weitere Männer zu uns, alle Besitzer von frag-
würdigen Nachtlokalen. Grund dieses eigenartigen Treffens waren Stam-
mkunden von Marc’s Entertainment, die eine Promi-Party in einem der
Clubs feiern wollten. Lucas Aufgabe war, den besten Preis auszuhandeln
und Interessenten zu gewinnen, und ich, nun ja, der Grund meiner An-
wesenheit würde sich wohl noch offenbaren.

»Meine Herren, schön, dass Sie es so schnell einrichten konnten«, er-

öffnete Luca das Gespräch. Er war elegant, aber nicht zu geschäftsmäßig
gekleidet. Zu der seidenen, schwarzen Hose trug er einen braunen Gürtel
und ein dunkelblaues Hemd, das er in die Hose gesteckt hatte. Auf eine
gestriegelte Frisur hatte er verzichtet, sodass seine Haare genauso wirr au-
seinanderstanden, wie ich es mochte. Wie schaffte er es, dass sein
Haarschnitt so locker und dennoch gewollt aussah? Ich glaube, das war
eine Kunst, die nur er verstand – naja, und Edward Cullen. Während er die
Männer über die Wünsche seiner Kunden informierte, machte ich mir
Notizen über deren Lokale. Phillip hatte zum Beispiel drei Etagen zur
Verfügung, die er vermieten konnte, verlangte dafür aber weit mehr als
die Kunden bereit waren auszugeben. Tonys Räumlichkeiten lagen dage-
gen ein ganzes Stück von Berlin Mitte entfernt, konnten dafür aber mit
drei Bars und einem guten Preis punkten. So nahmen die Verhandlungen
ihren Lauf, und meine Aufgabe war es, aufmerksam zuzuhören und mir
für Luca Notizen zu machen.

Dabei entgingen mir Phillips schmachtende Blicke keineswegs, doch

ich ignorierte ihn beflissentlich. Dass er wie ein typischer Zuhälter aussah,
war ja noch in Ordnung, aber musste er seinem Ruf auch noch alle Ehre
machen, indem er mich mit seinen Blicken auszog, als erwäge er, mich
einzustellen?

Ich hatte das Pech, ihm direkt gegenüberzusitzen, und dass im Laufe

des Abends immer mehr Alkohol floss, war auch nicht unbedingt

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vorteilhaft. Für Luca schon, denn nichts lockerte die Stimmung besser als
zwei oder drei Gläschen Wein, aber mich nervte der Kerl mit der Zeit
tierisch ab.

»Wie wäre es mit einem Gläschen Wein, Kleine? Du siehst durstig

aus«, fragte Phillip mich irgendwann. Kleine?

»Nein danke, ich bin mit meinem Wasser bestens versorgt«, wehrte

ich höflich ab. »Ach, komm schon, du musst wenigstens den Sekt
probieren.«

»Danke, aber ich bin beruflich hier«, hielt ich dagegen und warf unbe-

absichtigt einen Blick zu Luca. Eigentlich wollte ich ihn nicht ansehen,
schließlich war ich kein Hund, der um die Erlaubnis seines Herrchens bit-
ten musste. Ich war durchaus in der Lage, meine eigenen Entscheidungen
zu treffen, und wenn ich keinen Alkohol trinken wollte, dann konnte mich
auch mein Chef nicht dazu animieren, doch der schon leicht angeheiterte
Phillip schien meine Worte einfach nicht für voll zu nehmen. Er beugte
sich einfach über den Tisch, nahm mein Glas und schenkte mir einen
Schluck ein.

»Hier, ich nehme dir die Entscheidung ab, dann kann dein Boss auch

nicht mit dir meckern«, sagte er grinsend. Ich erwiderte das Lächeln,
wenn auch gezwungen, doch ich rührte das Glas trotzdem nicht an.

»Luca, sagen Sie Ihrer Assistentin doch, sie soll einen Schluck neh-

men«, bat er, und ich musste mich wirklich zusammennehmen, damit
mein Mund nicht aufklappte. Sah ich etwa aus wie sein Schoßhündchen?

»Selbst wenn er es täte, würde ich das Glas nicht anrühren«, warf ich

ein, sodass Phillip mir einen erstaunten Blick schenkte. Er sah erst mich
und dann Luca an, und was auch immer ich von meinem Boss erwartet
hatte, Rückendeckung war es nicht:

»Was soll ich machen? Meine Assistentin hat eben ihren eigenen

Kopf«, sagte er belustigt, woraufhin die anderen lachten.

Phillip musterte mich noch einen Moment, als könnte er es nicht

glauben, dass ich meine Stimme erhoben hatte, dann schloss er sich dem
Lachen halbherzig an.

»Ich bin beeindruckt, meine Sekretärin sagt zu allem Ja und Amen.

Ich wäre froh, wenn ich deine Assistentin hätte«, warf ein Mann namens

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Oliver ein und zwinkerte mir zu. Offenbar sollte das ein Kompliment sein,
also ich lächelte höflich. Das war wirklich unfassbar. Die Typen sprachen
über mich, als wäre ich gar nicht anwesend!

»Ob du sie mir mal ausborgst?«, fügte er hinzu, nachdem er einen

Schluck Wein genommen hatte. Ich begegnete Lucas Blick, und ohne
wegzusehen sagte er: »Tut mir leid, aber Frau Neumann gehört ganz allein
mir.« Ich spürte Hitze in mir aufsteigen, und plötzlich juckte es mich in
den Fingern, doch nach dem Glas zu greifen. Was machte er nur immer
mit seiner Stimme, dass sie so … lasziv klang? Die restliche Zeit lauschte
ich stumm ihren Gesprächen und machte mir hier und da Notizen. Es schi-
en auch niemand weiter meine Anwesenheit zu beachten, außer als ich
mich auf die Toilette zurückzog und man anstandshalber aufstand.

Ich ließ mir Zeit im Bad, vor allem weil schon seit einer ganzen Weile

keine geschäftlichen Dinge mehr besprochen wurden und man mich dem-
nach auch nicht vermissen würde. Ich hatte Luca genau beobachtet. Er
hatte sich eine Cola bestellt, während bei den anderen literweise Scham-
pus geflossen war. Er war gut darin, Gespräche in seine Richtung zu len-
ken, und verstand es meisterhaft, Witze an genau der richtigen Stelle zu
bringen, sodass er die Truppe schon nach kurzer Zeit für sich gewonnen
hatte. Kein Wunder, dass sein Vater ihn mit dieser Aufgabe betraut hatte,
denn niemand wickelte Menschen so geschickt um den Finger wie Luca.
Ob er das auch bei mir tat? Ich erinnerte mich daran, dass er im Zug
gesagt hatte, er sei ein guter Beobachter, und das stimmte.

Immer, wenn ich zu ihm geschmult hatte, hatte er seine Mitmenschen

mit kühler Präzision beobachtet, als präge er sich jede Eigenschaft und
jeden Schwachpunkt ein, um ihn später zu seinen Gunsten auszuspielen.
Das war ein faszinierender Anblick, ihm beim Arbeiten zuzusehen. Als ob
man eine Raubkatze auf ihrer nächtlichen Jagd begleitete. Irgendwann, ich
hatte schon das eine oder andere Gähnen unterdrücken müssen, war das
Meeting dann vorbei, und Luca und ich verabschiedeten uns von den
Herrschaften.

»Wie war es?«, fragte er, als wir in Richtung Bahnhof liefen. Ich hielt

den Notizblick hoch und wedelte damit herum.

»Sehr informativ. Ich habe ganze fünf Seiten vollgekritzelt«, scherzte

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ich. Leider war Luca aber nicht so leicht zu täuschen, was im Grunde eine
positive Eigenschaft war, mir hier und jetzt aber gar nicht gelegen kam. Er
blieb stehen, sodass ich gezwungen war, dasselbe zu tun.

»Und wie fandest du es wirklich?« Sein Blick war bohrend, ihm

würde keine Regung von mir entgehen.

»Ist das denn wirklich wichtig? Ich bin deine Assistentin, und selbst

wenn ich es widerlich gefunden und diesem Phillip nur allzu gerne die
Flasche über den Kopf gezogen hätte, das ist mein Job, ich muss da
genauso durch wie alle anderen auch«, sagte ich.

»Ich finde nicht, dass du wie alle anderen bist, Sophia, keineswegs«,

sagte er in einem sonderbaren Ton.

»Und dir müsste längst aufgefallen sein, dass ich dich auch nicht wie

eine gewöhnliche Assistentin behandle.« Oh nein, sieh mich nicht so an!,
dachte ich mit pochendem Herzen und spürte meine Knie weich werden.
Es sollte verboten sein, Leute so anzusehen, wenn man eine solche An-
ziehungskraft besaß. Es war einfach nicht fair, und Menschen aus der Fas-
sung bringen konnte Luca ja gut. Gerade jetzt hatte ich nämlich Mühe,
mich auf seine Worte zu konzentrieren, und versank stattdessen in seinen
Augen, die im Schein der Straßenlaterne geradezu magisch wirkten. Ich
hatte nicht so tolle Augen. Meine waren braun und ganz und gar gewöhn-
lich. Noch so eine Eigenschaft, um die ich ihn beneidete, denn wenn er
andere Frauen ansah, fielen sie doch bestimmt reihenweise in Ohnmacht
und das allein schon wegen seiner faszinierenden Augen.

»Du meinst, weil ich Alkohol trinken darf? Wie großzügig, Herr

Marcs«, sagte ich spöttisch und zerstörte damit den magischen Moment.
Ich tat, als hätte ich seine Anspielung nicht verstanden, wie ich es immer
tat, und setzte mich in Bewegung. Er folgte mir, sichtlich unzufrieden,
aber so war es mir nur recht. Ich wollte kein Knistern zwischen uns ver-
spüren und schon gar nicht wollte ich, dass er etwas anderes als eine Ass-
istentin in mir sah, denn mehr war ich nicht und würde ich auch nie sein!
Verdammt, dachte ich im nächsten Moment. Ich tat es ja schon wieder.
Ich blockte seine Annäherungen ab, dabei hatte ich Lisa doch ver-
sprochen, dass ich es zulassen würde! Mann, ich hätte nicht gedacht, dass
es so schwer sein würde, sich wieder zu öffnen, aber offenbar war ich

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ziemlich eingerostet, was das betraf.

»Jedenfalls musst du mich nicht mehr zu nächtlichen Meetings beg-

leiten, wenn du nicht willst«, sagte er. Ich sah zu ihm auf.

»Aber das gehört zu meinem Job.« Er lächelte wehmütig.
»Nein, gehört es nicht, oder glaubst du wirklich, ich brauche je-

manden, der Notizen für mich macht, während ich mich mit ein paar Män-
nern auf ein Glas Rotwein treffe? Bei einer dreißigköpfigen Konferenz ist
das vielleicht was anderes, aber das hier war lediglich ein Datenaus-
tausch.« Ich lachte empört.

»Du sagst mir also, dass meine Anwesenheit heute vollkommen un-

nötig war? Bekomme ich das trotzdem bezahlt?«

»Nur unnötig in geschäftlicher Hinsicht und natürlich bekommst du

die Stunden bezahlt. Was ich damit sagen will, ist, dass du von mir aus
heute Abend auch zuhause hättest bleiben können. Mein Vater ist
derjenige, der hier die Regeln aufstellt, aber wenn du nicht willst, musst
du mich in Zukunft nicht mehr begleiten. Mein Vater ist der Meinung,
dass ihr Assistentinnen so viel verdient, dass ihr auch etwas dafür tun kön-
nt. Deshalb plant er diese unnötigen nächtlichen Begleitungen ein – wenn
du mich fragst, vollkommener Schwachsinn.« Und er wollte sich für mich
gegen seinen Vater stellen?

»Was wird dein Vater dazu sagen?«, fragte ich. Da lachte er.
»Der wird nichts erfahren. Es sei denn, du willst mich unbedingt beg-

leiten, dann muss ich dich natürlich mitnehmen«, fügte er augenzwinkernd
hinzu. Ich grinste.

»Das ist nicht böse gemeint, aber nur sehr ungern.« Er nickte

schmunzelnd.

»Dachte ich’s mir doch. Einen Gefallen musst du mir aber tun.« Ich

seufzte.

»Ich wusste, die Sache hat einen Haken!«
»Nur einen klitzekleinen. Geh mit mir was trinken«, bat er. Ich biss

mir auf die Unterlippe. Mein erster Impuls war, sofort abzulehnen, aber
ich wollte mich ja ändern.

»Es muss auch kein Alkohol sein, hier gibt es genug Bars«, fügte er

hinzu, als er mich zögern sah. Ich kaute auf der Innenseite meiner Wange

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herum, dann sagte ich:

»Einverstanden.«
Er wirkte sichtlich überrascht, dass ich so schnell zugestimmt hatte,

und führte mich dann gut gelaunt in die nächste Bar.

***

»Also, Sophia, erzähl mir was über dich«, bat er, lehnte sich auf dem
Stuhl zurück und nippte an seiner Cola. Mir fiel auf, dass ich ihn noch nie
Alkohol hatte trinken sehen.

»Nicht dass es irgendetwas Aufregendes über mich zu erzählen gäbe,

aber was genau willst du wissen?«, fragte ich.

»Hast du Geschwister?«
»Nein.«
»Gehst du gerne ins Kino?«
»Eher selten.«
»Hast du irgendwelche Zukunftspläne?«
»Mein erstes Gehalt bekommen«, sagte ich trocken. Als er lachte,

fragte ich: »Was ist?« Schmunzelnd schüttelte er den Kopf.

»Ich versuche nur, herauszufinden, was in dir vorgeht. Normalerweise

kann ich Menschen sehr gut einschätzen und weiß schon nach Sekunden,
woran ich bin, aber du … bist mir ein Rätsel.«

»Ach ja?«, fragte ich argwöhnisch. Bisher hatte ich immer gedacht,

ich sei ein offenes Buch.

»Wie kommst du darauf?«, wollte ich wissen und nippte an meinem

Cocktail.

»Naja, du erklärst dich dazu bereit, mit mir joggen zu gehen, verhältst

dich aber abweisend. Du lässt dich von mir auf einen Drink einladen,
erzählst aber kaum was über dich und dann grübelst du die meiste Zeit,
aber ich weiß einfach nicht worüber. Das macht auf mich den Eindruck,
als ob du es versuchen willst, dir aber nicht sicher bist«, schlussfolgerte er.

»Was versuchen?«, fragte ich und hatte plötzlich einen trockenen

Mund. Und er behauptete, er könnte mich nicht durchschauen? Er hatte

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den Nagel doch auf den Kopf getroffen!

»Ich weiß es nicht«, sagte er und musterte mich nachdenklich. Ich

wollte etwas erwidern, wollte ihm erklären, warum ich mich so schwer
mit dem Vertrauen tat, als ich an ihm vorbei sah und erstarrte.

»Oh Gott, da ist Mary«, flüsterte ich und rückte zur Seite, damit mich

sein Körper verbarg. Er sah mich an, als könnte er nicht glauben, dass ich
mich gerade wirklich versteckte.

»Und wo genau liegt jetzt das Problem?«, fragte er mit hochgezogener

Braue.

»Na, dass wir zusammen hier sind!«, sagte ich vorwurfsvoll. Sein

Blick war belustigt, als er fragte: »Ist es dir etwa peinlich, mit mir gesehen
zu werden?«

»Natürlich nicht, aber du bist mein Chef, und ich will nicht, dass sie

irgendwelche Gerüchte in die Welt setzt«, sagte ich und machte mich
noch kleiner.

»Ich hätte dich nicht für jemanden gehalten, der sich um das Geplap-

per anderer kümmert«, bemerkte er, und etwas an seinem Ton ließ mich
aufschauen.

»Bin ich auch nicht.« Als er nur ungläubig die Brauen hob, denn

meine Taten standen im Gegensatz zu meinen Worten, fügte ich hinzu:
»Normalerweise!« Und in diesem Moment entdeckte Mary mich und kam
in unsere Richtung geschlendert. Ich stöhnte auf und wartete, bis sie bei
uns war. Ihre Freundin hatte sie an der Bar gelassen, und ihrem selbstge-
fälligen Blick nach zu urteilen, hatte Mary wieder nur freundliche Worte
für mich übrig. Als sie allerdings sah, wen ich da bei mir hatte, verging ihr
das Grinsen.

»Herr Marcs, ich meine, Luca. Was machst du denn hier?«, fragte sie

und hätte bestürzter nicht klingen können. Sie sah aus, als würde gerade
ihre Welt zusammenbrechen, und genau das hatte ich verhindern wollen.
Die Neue, die sich an den Juniorchef ranmacht! Ich konnte die Schlag-
zeile schon vor mir sehen.

»Sophia und ich kommen gerade von einem Meeting. Wie war dein

freier Tag?«, erkundigte er sich. Ihr Blick huschte zwischen mir und ihm
hin und her, als könnte sie es einfach nicht fassen.

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»Äh … ganz gut … ich …muss dann wieder gehen«, stotterte sie und

zog sich eilig zurück. Mann, so wortkarg hatte ich sie ja noch nie erlebt.
Befangen nippte ich an meiner Cola und sah dann zu Luca, der mich er-
heitert beobachtete.

»Was ist so lustig?«, wollte ich wissen.
»Gar nichts«, sagte er und grinste weiter.
»Du siehst nur aus, als würdest du liebend gern im Erdboden

versinken.«

»Das liegt daran, dass es morgen die ganze Firma wissen wird und die

kuriosesten Gerüchte über uns verbreiten werden – was du als Chef natür-
lich nicht mitkriegen wirst!«, sagte ich vorwurfsvoll.

»Geh mit mir aus«, bat er unvermittelt, sodass ich mich an meiner

Cola verschluckte. Ich spürte, wie ich rot wurde, was nichts damit zu tun
hatte, dass ich beinahe erstickte, und Luca beugte sich schmunzelnd über
den Tisch und klopfte mir auf den Rücken. Als ich wieder atmen konnte,
fragte ich: »Meinst du das ernst?«

»Todernst«, sagte er und nippte an seinem Glas.
»Warum?«, rutschte es mir heraus. Eigentlich hatte ich zustimmen

wollen, doch dann war mir die Frage durch den Kopf gegangen und nun
war sie meinen Lippen entschlüpft.

Anders als erwartet musste er jedoch nicht lange überlegen und sich

die Worte zurechtlegen, sondern sagte: »Weil ich dich schon kennen-
lernen wollte, seitdem wir uns das erste Mal begegnet sind.«

»Das glaube ich eher weniger«, sagte ich lachend und spürte

gleichzeitig ein warmes Kribbeln in mir aufsteigen. Luca Marcs wollte mit
mir ausgehen, mit mir!

»Du hast dich wie der letzte Arsch benommen«, fügte ich hinzu, klang

aber kaum beleidigt. Ich trug ihm sein Benehmen im Zug schon lange
nicht mehr nach, immerhin war ich selbst ziemlich ungemütlich gewesen.
Da lächelte er entschuldigend.

»Aber nur, weil ich an dem Tag schlechte Laune hatte. Mein Vater hat

mich frühzeitig aus meinem Urlaub geholt, nur weil ich ihm diese ver-
dammte Statistik zu spät geliefert hatte und das hat mich extrem angepisst.
Und ich will ehrlich mit dir sein. Meine letzte Trennung liegt noch nicht

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lange zurück, und ich war einfach abgrundtief von den Frauen genervt.
Mein ganzes Leben lang war ich mit erfolgreichen Frauen zusammen oder
welchen, die es werden wollten, und das nur, weil mein Vater der Mein-
ung war, dass ich jemand Gleichgestellten brauchte - und dann kamst du
in meine Kabine: In meinen Augen eine weitere abgehobene Geschäfts-
frau, die zu genau der Sorte gehörte, die ich so satt hatte. Aber dann habe
ich ziemlich schnell gemerkt, dass du nichts dergleichen bist.

Du wusstest ja nicht einmal, wie man sein Jackett richtig knöpft, und

plötzlich hatte ich mich so sehr amüsiert wie schon lange nicht mehr. Und
da war mir klar, dass ich dich unbedingt kennenlernen will.« Wow, noch
nie in meinem Leben hatte ein Mann so offen mit mir gesprochen, und es
überraschte mich, dass seine Gedanken ähnlich wie meine waren, denn
auch ich hatte diesen Männertyp satt, für den ich ihn gehalten hatte. Und
nicht einmal mein Exfreund hatte je so freundliche Worte für mich übrig
gehabt, wobei: »Du sagst also, du findest mich interessant, weil ich mich
nicht richtig anziehen kann und nicht erfolgreich bin?« Meine Stimme
klang gleichermaßen amüsiert wie beleidigt. Er biss sich auf die Unter-
lippe, was unbeschreiblich verführerisch aussah, und sagte dann breit
grinsend: »Ja, genau deshalb.«

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Das etwas andere Date

Wie erwartet brodelte die Gerüchteküche am nächsten Tag, und ich
musste neugierige und missbilligende Blicke über mich ergehen lassen.

»Na, da hast du ja was angestellt«, raunte Aileen mir zu, als ich mich

an meinen Platz setzte.

»Wir haben nur was getrunken«, beharrte ich genervt.
»Ich glaube dir das, Liebes, aber Mary schmückt diese Sache ziemlich

fantasievoll aus. Angeblich hat sie euch erwischt, als ihr euch gerade
küssen wolltet«, sagte sie. Ich starrte sie mit offenem Mund an.

»Das ist ein Scherz, oder?«
»Und wenn das zum Senior durchdringt, kann es schnell ungemütlich

werden. Er wird dich feuern, wenn er Wind davon bekommt, dass zwis-
chen euch etwas laufen könnte.« »Aber wir haben doch gar nichts getan«,
betonte ich.

»Aber das weiß er ja nicht.« Ich sah mich nach Mary um, konnte sie

aber nirgends entdecken.

»Wo ist sie, ich werde ihr die Extensions einzeln rausreißen!«, knurrte

ich. Es war offensichtlich, was sie vorhatte. Sie wollte mich aus der Firma
haben, damit sie wieder freie Bahn bei Luca hatte, aber daraus würde
nichts werden. So leicht ließ ich mich nicht abservieren.

»Dreimal darfst du raten: Sie ist gerade bei dem Senior.« Mein Herz

schlug schneller. Dieses verdammte Miststück.

»Hältst du kurz die Stellung? Bin gleich wieder da«, sagte ich und

sprang auf. Na warte, dachte ich. Über mich wirst du keine Gerüchte ver-
breiten!
Ich war noch nie in der fünften Etage gewesen, einfach, weil ich
nichts mit dem Senior zu tun hatte und er auch nur selten Mitarbeiter em-
pfing. Wenn er Mary jedoch anhörte, würde er mich sicher auch ein Wört-
chen mitreden lassen. Ich stieg in den nächstbesten Fahrstuhl und fuhr
hinauf, als sich die Türen im fünften Stock öffneten, stand allerdings Luca
vor mir.

»Wenn du wegen Mary hergekommen bist, ich habe das erledigt«,

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sagte er und drängte mich wieder zurück, als ich einen Schritt vormachte.

»Woher wusstest du, dass sie herkommen würde?«, fragte ich mit zit-

triger Stimme, als er mich gegen die Wand drückte. Die Fahrstuhltüren
schlossen sich, doch der Aufzug setzte sich nicht in Bewegung. Ich sah,
dass ein Schlüssel in der Anzeigetafel steckte.

»Wusste ich nicht, aber nachdem sie bei ihm war, hat er mich sofort

hochgerufen, und ich habe die Gerüchte aus dem Weg geräumt.«

»Wie das?«, fragte ich. Er hatte die Hände neben meinem Gesicht ge-

gen die Wand gestützt und war mir so nahe gekommen, dass ich die win-
zig gelben Flecken in seinen Augen sehen konnte. Seine Nähe und sein
Anblick raubten mir schier den Atem. Er hob die Schultern.

»Ich habe ihm einfach gesagt, dass nichts zwischen uns läuft«, sagte

er, als wäre die Antwort offensichtlich wie einfach.

»Weißt du, dass ich schon den ganzen Tag an nichts anderes denken

kann als daran, dich zu küssen?«, murmelte er und streifte meine Wange
mit seiner. Ich drohte ohnmächtig zu werden vor Sehnsucht – es war ein-
fach zu lange her. Dennoch konnte ich die Willenskraft aufbringen und
ihn von mir drücken, oder es zumindest zu versuchen, denn er bewegte
sich nicht wirklich.

»Keine Annäherungen vor dem ersten Date«, sagte ich und wollte

tadelnd klingen, doch meine Stimme zitterte zu sehr. So wie er mich an-
sah, würde er mich am liebsten vor Ort verschlingen, doch solange noch
ein kleiner Funken Selbstbeherrschung in mir brannte, wollte ich das nicht
zulassen. Nur, weil ich nach Jahren wieder beschlossen hatte, mich zu
öffnen, hieß das nicht, dass ich mit dem nächstbesten in die Kiste stieg.
Auch wenn er so ein Augenschmaus war wie Luca. Und hier war auch
ganz sicher nicht der richtige Ort dafür!

»Außerdem wird der Fahrstuhl von deinem Vater überwacht.«
»Egal«, murmelte er und strich meine Haare zurück. Als sich sein

Mund auf mein Schlüsselbein senkte, verdrehte ich tatsächlich die Augen.
Das Gefühl seiner weichen Lippen war einfach unbeschreiblich, und hätte
er mich nicht plötzlich gehalten, wäre ich einfach zusammengesackt. Es
tat beinahe körperlich weh, ihn wegzudrücken, doch ich musste vernünftig
sein.

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»Luca! Was, wenn dein Vater uns gerade beobachtet?«, fragte ich

entsetzt, und auf meine ängstliche Stimme hin lachte er.

»Das ist nur ein Ammenmärchen, das wir den Neuen erzählen, damit

sie nicht auf dumme Gedanken kommen«, sagte er amüsiert.

»Wie etwa über seine Assistentin herfallen?«, fragte ich mahnend und

versuchte, ihn weiter wegzudrücken - erfolglos. Glücklicherweise zog er
sich aber selbst zurück, zog den Schlüssel raus und schickte den Fahrstuhl
eine Etage tiefer. Dann lehnte er seine Stirn gegen meine und klang schon
fast gequält, als er sagte: »Du bringst mich noch um den Verstand, weißt
du das? Lass mich bloß nicht zu lange warten.« Damit stieg er aus und die
Türen schlossen sich, um in die dritte Etage zu fahren. Zu lange warten?
Was sollte das bedeuten? Vollkommen konfus betrat ich die dritte Etage
und wankte zu meinem Platz. Was war eben geschehen? Ich fühlte mich
geradezu betrunken, und meine Beine spürte ich auch kaum. Hätte er nicht
bis heute Abend zu unserem Date warten können? Wie sollte ich mich
denn jetzt noch auf die Arbeit konzentrieren?

So aufgedreht wie ich den restlichen Tag war, so mieser erging es

Mary. Nicht, dass sie mir leid tat, schließlich hatte sie mich hinterrücks
verraten, aber Luca schien ein ernstes Wörtchen mit ihr geredet zu haben.

Mit versteinerter Miene hatte er sie in sein Büro geholt, und ich gebe

zu, ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen, geschweige denn ernst. Für
gewöhnlich war er die Freundlichkeit in Person … und seit Neustem auch
ein ungemein guter Küsser. Wobei, geküsst hatten wir uns ja noch nicht,
aber was er mit meinem Hals gemacht hatte, hatte mir schon einen ziem-
lich guten Vorgeschmack auf seine Lippenfertigkeit gegeben. Den rest-
lichen Tag war ich natürlich zu nichts zu gebrauchen, denn ich musste im-
merzu daran denken, wie er mich gegen die Fahrstuhlwand gedrückt hatte
und welche tot geglaubten Gefühle das in mir geweckt hatte. Verdammt,
wo sollte das alles nur hinführen?

***

Nach dem Feierabend fuhr ich in den Supermarkt und kaufte frisches Obst

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und Gemüse ein. Ich wusste, dass ich etwas essen musste, doch mein Ma-
gen war schon voller Schmetterlinge und ließ leider nichts anderes in sich
hinein. Das hatte zur Folge, dass ich zum Abend hin ziemlichen Heißhun-
ger bekam und nur ungesundes Zeug in mich hineinstopfte. Oh Mann, wie
ein Teenie vor seinem ersten Date! Meine Reaktion war natürlich total
übertrieben, das wusste ich selbst, aber es war einfach schon so lange her,
dass ich mich mit jemandem verabredet hatte, dass ich schlicht und ein-
fach vergessen hatte, wie es ging. Und eh ich mich versah, waren es auch
nur noch zwanzig Minuten, bis Luca mich abholen würde, und ich hastete
wie ein Wirbelwind durch die Wohnung. Lisa war auf irgendeiner Games
Convention, sodass ihr der Zirkus, den ich hier veranstaltete, erspart blieb.
Als ich vor lauter Hektik gegen einen Stuhl lief und zu Boden ging, langte
es mir allerdings.

»Okay, immer mit der Ruhe«, ermahnte ich mich. Das war ja lächer-

lich, wie ich mich benahm! Ich war fünfundzwanzig Jahre alt, keine
sechzehn mehr und das hier war ein ganz harmloses Date. Mit dem at-
traktivsten Junggesellen der Stadt!
, fügte eine aufgeregte Stimme in
meinem Kopf hinzu.

Als es auf der Straße drei Mal hupte, sprintete ich zum Fenster, nur

um kurz davor zu bremsen und gemächlich die Gardine beiseite zu
schieben – ich wollte ja keinen allzu nervösen Eindruck machen. Gott, ich
kam mir vor wie in einem Hollywood-Liebestreifen. Ich winkte Luca von
meinem Fenster aus zu, gab ihm zu verstehen, dass ich runterkommen
würde, und drehte mich dann panisch wieder um. Verdammt, ich war
noch gar nicht fertig! Ich hatte mich immer noch nicht für Schuhe
entschieden, außerdem musste ich noch meine Hose putzen und mir die
Zähne anziehen – oder war es andersherum? Ich hastete durch die
Wohnung, ignorierte Khasis tadelnde Blicke, der sich in seinem Schön-
heitsschlaf gestört fühlte, und rannte ins Bad. Mit der Zahnbürste im
Mund schlüpfte ich schließlich in schwarze Röhrenjeans, zog ein dunkles
Oberteil an und griff nach dem saubersten Paar Schuhe. Ich hoffte, Luca
war klar, dass hohe Schuhe und kurze Röcke in meiner gewöhnlichen
Garderobe nichts zu suchen hatten und ich mich nur für die Arbeit so
kleidete, denn wenn nicht, würde er gleich ziemlich enttäuscht sein. Aber

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wozu sich auch verstellen? Er wollte ein Date mit mir, also würde er mich
auch so kennenlernen wie ich war: Wenig glamourös, stattdessen bequem.
Auch das Schminken ließ ich weg, aber nicht, weil ich es in der Freizeit
nicht tat, sondern weil ich schlichtweg zu hibbelig dafür war.

Ich hätte mir das Mascara nur in die Augen geschmiert und wäre ihm

mit geröteten Augen gegenübergetreten. Nein, damit würde ich nieman-
dem einen Gefallen tun. Noch schnell Parfum aufgetragen, verließ ich die
Wohnung und trat schließlich in die Nacht hinaus. Und da stand er. Per-
fekt gekleidet und mit diesen wunderbar zerwuschelten Haaren. Er hatte
seine Businesskleidung gegen eine locker sitzende, dunkle Hose und einen
schwarzen Pullover eingetauscht und nahm mir damit meine Befürchtung,
mich in einem eleganten Smoking abzuholen. Denn daneben wäre ich mir
ziemlich überflüssig vorgekommen.

So hatte er aber wenig Geschäftsmäßiges an sich und war damit per-

fekt auf mein lockeres Outfit abgestimmt. Ich war etwas irritiert, als er mir
weder ein Küsschen gab noch ein Kompliment machte, wie er es sonst tat.
Hätte ich mich vielleicht doch schicker anziehen sollen? Er lächelte nur,
legte mir eine Hand auf den Rücken und führte mich zu seinem Wagen.
Es war kalt heute Nacht, kälter als gedacht, und so wünschte ich, ich hätte
eine dickere Jacke übergezogen. Andererseits reichte ein Blick in seine
rauchgrünen Augen und mir wurde schon von ganz allein warm.

»Warst du schon mal Tacos essen?«, fragte er und öffnete mir die Bei-

fahrertür seines Jeeps. Da ich auf hochhackige Schuhe verzichtet hatte,
konnte ich problemlos in das erhöhte Auto einsteigen, und ohne kurzen
Rock musste ich mir auch keine Gedanken machen, ungesehene Gefilde
aufzudecken. Hach, ich liebte bequeme Hosen und Sneakers. »Nur die fer-
tigen aus dem Supermarkt«, antwortete ich und schnallte mich an. Seine
Mundwinkel zuckten.

»Dann wirst du Gonzalez Tacos lieben!«, sagte er und gab Gas. Die

Fahrt mit Luca war angenehm und gar nicht so verkrampft, wie ich be-
fürchtet hatte. War ich anfangs noch nervös gewesen, lockerte sich die
Stimmung zunehmend auf, was daran lag, dass er ein guter Redner war.
Mich beschlich der leise Verdacht, dass es die ganze Zeit an mir gelegen
hatte, dass ich so nervös in seiner Nähe gewesen war, denn es gab

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überhaupt keinen Grund dafür. Er war witzig, aufmerksam, wusste die
Stimmung immer wieder aufzulockern und war einfach ein angenehmer
Gesprächspartner. Die ganze Anspannung und Nervosität, die ich die let-
zten Wochen verspürt hatte, waren ganz allein von mir aus gegangen, wie
mir nun klar wurde. Weil ich ihn einfach nicht an mich heranlassen hatte
wollen und weil ich mich so dagegen gewehrt hatte, etwas für ihn zu em-
pfinden. Aber das tat ich, hatte ich schon seit unserer ersten Begegnung,
auch wenn es damals eher mordlustige Gefühle gewesen waren. Aber mit
der Zeit hatte ich gesehen, dass er gar nicht so ein Mistkerl war, und seine
Komplimente hatten mich auch nicht ganz kalt lassen – schließlich saß ich
jetzt hier mit ihm. Der Mexikaner lag in einem weit abgelegenen Stadtteil,
dafür lohnte sich aber die Fahrt dahin, und als wir das Geschäft betraten,
war ich baff.

Es handelte sich weder um ein gepflegtes Restaurant noch um einen

Gourmet-Tempel, sondern um eine einfache, fast schon heruntergekom-
mene Bude. Die Wandfarbe war bis zur Unkenntlichkeit ausgeblichen und
die bunt zusammengewürfelten Stehtische hatten ihre besten Jahre auch
schon hinter sich. Doch in Kombination mit den warmen mexikanischen
Farben und dem köstlichen Geruch, der in der Luft lag, war es unheimlich
gemütlich. Nie hätte ich gedacht, dass sich Luca in solchen Lokalen blick-
en ließ, und meiner Meinung nach hätte er keinen besseren Ort für unser
erstes Date wählen können. Von einhundert möglichen Punkten hatte ihm
allein diese Location schon neunundneunzig eingebracht.

Ich war hellauf begeistert und noch begeisterter war ich, als ich in das

erste Taco hineinbiss. Die frisch gemachte Guacamole, das würzige Hack-
fleisch und die knusprige Schale verursachten geradezu eine Geschmacks-
explosion in meinem Mund, sodass Luca nicht schlecht staunte, als ich
nach meinem fünften Taco immer noch nicht aufhörte.

»Und wenn du mich als Vielfraß abstempelst, aber davon werde ich so

viel essen, bis ich platze«, sagte ich und widmete mich dem nächsten. Da-
raufhin bestellte er eine weitere Portion, und wir verbrachten die nächsten
zehn Minuten damit, schweigend zu genießen. Ich hätte nie gedacht, dass
ich einmal so unbefangen vor Luca essen würde, denn wenn ich mich an
unsere erste Begegnung zurückerinnerte, war es mir damals unheimlich

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peinlich gewesen, vor ihm zu speisen. Nun machte es mir nichts mehr aus,
denn Luca strahlte eine Ruhe beim Essen aus, dass man sich einfach keine
Gedanken darüber machte. Außerdem scheffelte er so viele Tacos in sich
rein, dass er einen ohnehin übertraf. Irgendwann gab ich aber auf und
begnügte mich damit, ihm einfach zuzusehen. Unglaublich, was dieser
Mann in sich reinstopfen konnte, und das bei seiner Figur. Ich musste
wohl verträumt ausgesehen haben, denn als er aufgegessen hatte, fragte er:
»Woran denkst du?«

Ich hob die Schultern und nahm einen Schluck Fanta.
»Ich weiß nicht, ich hätte nur erwartet, dass du dick aufträgst und

mich im Smoking gehüllt in eine Oper führst oder so was. Stattdessen
sitzen wir hier in einem heruntergekommenen Lokal.« Er lachte, dann
wurde er ernst und fragte: »Wärst du denn gerne in ein gehobenes Res-
taurant gegangen?«

»Nein, das hier ist perfekt. Es … passt nur irgendwie nicht zu deinem

Image«, gab ich zu.

»Image? Was habe ich denn für eins?«, fragte er und klang vorsichtig

interessiert. Ich zögerte, denn das konnte ganz schnell in die falsche Rich-
tung laufen, und ich wollte keine schlechte Stimmung erzeugen.

»Okay, jetzt machst du mir wirklich Angst«, sagte er halb belustigt,

als ich nicht antwortete.

»Sophia?«
»Naja, bei den Mitarbeitern bist du unheimlich beliebt. Alle freuen

sich, wenn du das Haus betrittst, was fast schon verstörend ist, weil du ja
der Chef bist. Aber bei den Frauen …«

»Ja?«, hakte er nach und richtete sich etwas auf. Konnte es sein, dass

er wirklich keine Ahnung hatte, wovon ich redete? Hilflos hob ich die
Schultern. Warum hatte ich bloß damit angefangen?

»Es wird eben viel über Affären mit deinen Assistentinnen

getuschelt«, brachte ich schließlich heraus. Ich hatte auf meine Hände ges-
tarrt, und als ich nun zu ihm aufblickte, lastete sein Blick schwer auf mir.
Ich fühlte mich wie bei einem Verhör.

»Und weiter?«, fragte er.
»Nichts weiter, es wird zwar spekuliert, aber keiner weiß Näheres. Ich

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habe nur so viel gehört, dass meine Vorgängerin gekündigt hat, weil …
wegen dir.« Er biss sich auf die Innenseite seiner Wange, verschränkte die
Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster – alles ziemlich schlechte
Anzeichen. Dann sah er jedoch wieder zu mir.

»Das ist eigentlich kein Thema, das ich unbedingt bei einem ersten

Date besprechen würde, aber offenbar muss ich hier einige Missverständ-
nisse ausräumen«, sagte er, klang aber keineswegs beleidigt.

»Deine Vorgängerin Laura hat sich Hoffnung gemacht, wo keine war.

Ich weiß, ich kann es nicht beweisen, und hinterher ist es leicht, zu be-
haupten, aber wenn es eine Regel in meinem Unternehmen gibt, dann ist
es, keine Affären mit meinen Mitarbeiterinnen anzufangen.« Ich runzelte
die Stirn.

»Das ist schwer zu glauben, da ich doch jetzt hier mit dir sitze«, sagte

ich schmunzelnd.

»Du zählst auch nicht richtig, denn ich wollte dich ja schon kennen-

lernen, als du noch nicht für mich gearbeitet hast.« Ich lachte.

»Eine komische Art, das zu zeigen, ich erinnere mich nämlich noch

gut daran, wie du mich ausgelacht hast!«

»Nur am Anfang, aber dann fand ich dich ziemlich faszinierend, denn

du warst so anders als die Frauen, mit denen ich bisher zu tun hatte.« Ich
biss mir fest auf die Unterlippe, um nicht vor Entzückung zu grinsen,

»Aber ich arbeite für dich.«
»Ich könnte dich feuern«, überlegte er.
»Dann würde ich gegen keine Regel verstoßen.«
Ich lachte.
»Willst du mir das wirklich antun und mich auf die Straße setzen? Das

wäre ziemlich egoistisch«, sagte ich und zog eine unschuldige Schnute.
Doch wenn ich gedacht hatte, dass er darüber lachen würde, irrte ich mich,
denn er wurde plötzlich sehr ernst.

»Sophia«, sagte er, und an seiner veränderten Stimme erkannte ich,

dass ihm etwas Wichtiges auf dem Herzen lag.

»Ich sehe, dass du Angst davor hast, mir zu vertrauen, und dafür hast

du sicher deine Gründe, aber will ich dich einfach nicht länger nur als
meine Mitarbeiterin behandeln und dich ständig nur auf Distanz um mich

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haben. Ich habe dich heute hierher gebracht, weil ich will, dass du mich so
siehst, wie ich wirklich bin. Mein Job, die ständigen Geschäftsessen,
meine schicken Anzüge. Das ist alles ein Teil von mir, so wie das Jackett
zu deiner Arbeitskleidung gehört, aber das bin nicht ich – nicht nur zu-
mindest. Trotz meiner Position, trotz des ganzen Geldes bin ich immer
noch ein normaler Mensch, und wenn du mich lässt, würde ich dir gerne
mehr von mir zeigen.«

Ich war von dem plötzlichen Stimmungsumschwung etwas über-

rumpelt, sodass mein Kopf wie von selbst nickte.

»Okay«, sagte ich nur, als er mir ein hinreißendes Lächeln schenkte.
»Das ist schön, aber vorher möchte ich auch etwas über dich wissen.

Wie hat es dich nach Berlin verschlagen? Was hast du vorher gemacht?«
Seinen wunderbaren Worte zum Trotz fühlte ich mich etwas befangen,
wenn ich daran dachte, ihm meine traurige Lebensgeschichte erzählen zu
müssen. Aber irgendwie verlief das Date sowieso etwas anders als ge-
plant, und warum sollte ich nicht gleich auspacken? Wenn wir von vorne-
herein unsere Karten offen auf den Tisch legten, wussten wir zumindest,
woran wir waren, und es gab wahrlich verkorkstere Beziehungen als die,
die ich mit meiner Mutter führte. Ich sollte mich also nicht so anstellen.

»Also gut, ich bin nach Berlin gezogen, weil ich vor meiner kontroll-

süchtigen Mutter geflohen bin. Sie hat mich einfach zu sehr eingeengt –
wobei das noch freundlich ausgedrückt ist-, und da habe ich mich wie ein
Feigling klammheimlich davongemacht. Du musst dir vorstellen, dass ich
mein Leben lang alles getan hatte, was sie wollte. Schließ deine Ausb-
ildung ab, mach Abi, studiere Jura
. Und irgendwann habe ich den
Schlussstrich gezogen. Ziemlich spät, wie ich beschämt zugeben muss,
aber ich konnte einfach nicht mehr, und da habe ich mir vorgenommen, ir-
gendetwas zu machen - Hauptsache, es passt nicht in ihren Plan. Und war-
um auch nicht? Mit einer abgeschlossenen Ausbildung und einem Studi-
um in der Tasche habe ich nichts zu verlieren. Zeit, nach meinen eigenen
Regeln zu leben.«

»Tja, dann bist du einen großen Schritt weiter als ich«, sagte er und

klang, zu meiner Überraschung, keineswegs beeindruckt von meiner miss-
ratenen Beziehung.

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»Mein Vater will, dass ich die Firma übernehme, dabei möchte ich das

gar nicht. In der Hinsicht bist du also weitaus stärker als ich, denn du hast
dich durchgesetzt und von den Fesseln deiner Mutter befreit. Davon bin
ich noch weit entfernt.«

»Warum das? Tu es doch einfach«, sagte ich, denn er kam mir nicht

wie jemand vor, der Angst vor Entscheidungen hatte. Nicht, wenn er eine
halbe Firma leitete. Er sah mich lange an, überlegte wohl, ob er es mir
erzählen sollte und sagte dann: »Dass meine Mutter nicht mehr laufen
kann, ist meine Schuld.

Ich war in meiner Jugend nicht gerade gehorsam und habe viel Alko-

hol getrunken. Als mich meine Mutter wieder mal von einer Party abholte,
auf der ich mich betrunken hatte, habe ich im Auto Radau gemacht und
dadurch ist sie von der Straße abgekommen. Wir sind eine Böschung hin-
untergestürzt und dabei hat sie sich die Wirbelsäule angeknackt. Jetzt wird
sie nie wieder laufen können.«

»Oh mein Gott«, sagte ich und konnte gerade noch verhindern, mir die

Hand vor den Mund zu halten. Das hätte ihn wahrscheinlich noch mehr
geschmerzt.

»Ich war damals noch ein Kind, dreizehn Jahre alt, und mir war das

Ausmaß meiner Tat überhaupt nicht bewusst, aber die Folgen habe ich
ziemlich schnell zu spüren bekommen. Zuerst zogen wir nach Berlin,
dann musste ich in die Entzugsklinik und bin von dem Alkohol
runtergekommen, aber es wurde nie wieder so wie früher. Meine Mutter
verzieh mir, aber mein Vater konnte das nicht, und das berechtigt. Ich
habe ihr die Lebensfreude, das Tanzen genommen und ihm seinen ganzen
Stolz. Sie blieben noch ein Jahr zusammen, dann trennten sie sich und
meine Mutter zog weg. Sie hat es ihm nie vorgehalten, aber ich glaube,
dass er es einfach nicht ertragen konnte, sie so zu sehen. In Berlin lernte
ich dann Mike kennen, der mich durch die schwierige Zeit begleitete, und
auch wenn mein Vater nie wieder ein Wort über die Nacht verloren hat,
werde ich das Gefühl nicht los, dass er damals lieber mich als die Beine
meiner Mutter verloren hätte.« Ich bemerkte eine einzelne Träne, die über
meine Wange kullerte, und wischte sie eilig weg. Sein Blick wurde weich,
und er fuhr mir über die Wange.

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»Tut mir leid, dass ich dich bei unserem ersten Date zum Weinen

bringe, aber ich will dir damit nur sagen, dass du bei Weitem nicht das
schlechteste Los gezogen hast. Lieber wäre ich mit meiner Mutter
verkracht, als sie im Rollstuhl sehen zu müssen.« Ich nickte betrübt und
nippte an meinem Getränk. Was für eine traurige Geschichte, vor allem,
weil er damals noch ein Kind gewesen war. Ich meine, konnte man ihm da
überhaupt irgendeine Schuld geben?

»Tja, und seitdem tue ich alles, was mein Vater von mir verlangt. Ich

weiß selbst, dass er mir dadurch nicht verzeihen wird, aber ich sehe es als
meine Pflicht an, für ihn zu arbeiten. Das bin ich ihm schuldig.« Wir
schwiegen eine Weile, jeder in Gedanken vertieft, dann lachte er plötzlich
auf.

»Was ist?«, fragte ich.
»Ich glaube, das ist das schlechteste Date in der Geschichte«, sagte er

und massierte sich grinsend die Stirn. Ich stimmte mit ein, sagte dann
aber:

»Eigentlich finde ich es sehr schön.« Als ich kurz danach aber hinter

vorgehaltener Hand gähnte, hob er seine Brauen.

»Das sehe ich!«
»Nun ja, ich bin ziemlich müde, aber abgesehen davon habe ich viel

über dich erfahren. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass du kein eingebildeter
Schnösel bist«, sagte ich. Er schenkte mir sein Piratenlächeln.

»Heißt das, dass ich dich zum zweiten Date einladen darf?«
»Zum zweiten? Wie viele gibt es denn?«, fragte ich.
»Für gewöhnlich drei … glaube ich. Ich bin mir nicht sicher, ich habe

so was noch nie gemacht«, gab er zu. Das wunderte mich jetzt aber.

»Du hast noch nie ein Date gehabt?«
»Nein.« Ich grübelte darüber nach, dann fragte ich: »Wenn ich dich

jetzt frage warum, will ich die Antwort dann wissen?« Schmunzelnd
schüttelte er den Kopf, und ich beließ es dabei. Manche Dinge wollte man
doch gar nicht wissen.

***

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Als wir wieder im Auto saßen - er hatte beschlossen, mich nach Hause zu
fahren, bevor mir noch die Augen zufielen -, sprachen wir über unsere
zweite Verabredung. »Ich war zum Beispiel noch nie im Zoo«, sagte er,
nachdem er den Vorschlag gemacht hatte.

»Und morgen ist eine Sondervorstellung von 18 Uhr bis 23 Uhr.« Ich

war total begeistert von seinem Vorschlag und stellte mir einen nächt-
lichen Spaziergang durch den Tierpark wunderbar romantisch vor. Dass er
noch nie im Zoo gewesen war, konnte ich allerdings nicht begreifen.

»Aber du wohnst wie viele Jahre Berlin? Man muss doch wenigstens

einmal im Zoo gewesen sein«, sagte ich vorwurfsvoll.

»Selbst ich war schon zwei Mal dort «, fügte ich hinzu. Er machte ein

entschuldigendes Gesicht.

»Ich bin einfach nie dazu gekommen. Entweder war ein Termin

dazwischen oder ich konnte niemand anderen dafür begeistern.« Er sprach
es nicht aus, aber ich konnte mir vorstellen, dass er seine Exfreundinnen
damit meinte und nach dem zu urteilen, was Aileen mir über sie erzählt
hatte, wären sie wohl lieber gestorben, als mit ihren Stöckelschuhen an
einem Affengehege entlang zu laufen. Die Rückfahrt kam mir deutlich
kürzer vor, was daran lag, dass mir eine einzige Frage durch den Kopf
geisterte und mich beinahe um den Verstand brachte: Würde er mich
küssen? Bis hierher hatte ich mir noch gar keine Gedanken über den Aus-
gang des Abends gemacht, aber je näher wir meinem Zuhause kamen,
desto weniger wollte ich, dass der Abend endete. Dann war es soweit und
der Wagen hielt an. Als Luca meine Tür öffnete, um mir rauszuhelfen und
wir auf die Haustür zugingen, lief merkwürdigerweise die Filmmusik des
weißen Hais in meinem Kopf ab.

Sollte ich ihn einfach zu mir einladen? Lisa war noch die ganze Nacht

weg und wir würden allein sein. Noch fünf Schritte, dann waren wir da.
Oder würde das falsch rüberkommen? Schließlich sollte er mich nicht für
ein Flittchen halten. Vier! Und wenn er mich gleich vor der Tür küssen
wollte, wie in einem kitschigen Liebesfilm? Würde ich es zulassen? Drei!
Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich gar nicht merkte, wie er mich
beobachtete. Wir waren an meiner Haustür angekommen, und als ich zu
ihm aufblickte, sah er amüsiert auf mich herab.

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Verdammt, meine Grübelei war ihm nicht verborgen geblieben! Ich

warf einen Blick zu seinem Auto, dann auf den Boden und schließlich
wieder zu ihm. Warum sagte er nichts? Ich durchwühlte meine Tasche
nach dem Haustürschlüssel, bekam ihn zu fassen und ließ ihn wieder los,
um Zeit zu schinden. Rede doch endlich! Verabschiede dich, küss mich,
irgendwas!
Als ich es schließlich nicht mehr aushielt, fragte ich:

»Warum sagst du denn nichts?« Seine Augen funkelten erheitert.
»Weil ich darauf warte, dass du etwas sagst. Ich habe das Gefühl, du

willst dringend etwas loswerden.« Sag mal, machte sich der Typ gerade
über mich lustig? Seinem vergnügten Blick nach zu urteilen, definitiv! Er
wusste ganz genau, dass ich nervös war, und offenbar erheiterte es ihn,
mich zappeln zu sehen.

»Will ich nicht«, log ich und bekam meinen Schlüssel zu fassen. Das

Herz schlug mir bis zum Hals, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als
endlich von ihm geküsst zu werden, aber ich würde sicher nicht darum
betteln!

»Also dann«, sagte er und trat näher. Als der Stoff seines Pullovers

über meine Haust streifte und ich sein angenehmes Parfüm wahrnahm,
wäre ich beinahe gegen seinen Körper gesackt. Er übte einfach eine so un-
geheure Anziehungskraft auf mich aus, dass ich mich hilflos zu ihm
hingezogen fühlte. Automatisch schloss ich die Augen, und dann spürte
ich seine Lippen auf meiner Haut, doch anders als erwartet nicht auf
meinem Mund, sondern auf der Wange.

Nicht, dass sie dort nicht weniger Gefühle in mir auslösten, aber ich

konnte mir ein enttäuschtes Stöhnen nur mit Mühe verkneifen.

»Gute Nacht, wir sehen uns morgen«, hauchte er mir ins Ohr und

machte sich davon. Ich wollte irgendetwas Cooles erwidern, etwas, das
meine Trunkenheit überspielte, aber mir viel nichts Brauchbares ein. Also
wartete ich, bis er davongefahren war, und öffnete schließlich die Haustür.
Heilige Scheiße, ich glaube, ich war verknallt!

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Ein Spaziergang für die Liebe

Zum Glück hatte ich frei, denn ich wusste nicht, ob ich ihm heute schon
bei der Arbeit hätte gegenübertreten können, ohne an gestern Abend zu
denken. Ich glaube, ich wäre auf seinem Bürotisch über ihn hergefallen.
Zumindest hatte ich das gestern in meinen Träumen getan – mehrfach!
Gott, dieser verdammte Kerl wusste auch ganz genau, wie er mich um den
Verstand bringen konnte, denn indem er gestern nicht das getan hatte, was
ich wollte, hatte er mich nur noch mehr angeheizt. Das ärgerte mich,
gleichzeitig war es aber auch unheimlich erregend. So sehr, dass ich mir
vornahm, ihn heute zu küssen – und wenn ich ihn zwingen musste!

»Ich kann nicht glauben, dass du ihn dort getroffen hast. Das muss

Schicksal sein«, sagte ich zu Lisa und schüttete mir Cornflakes in die
Schale. Denn wie es der Zufall wollte, war ihr heimlicher Schwarm
gestern bei der Games Convention gewesen. War das nicht toll?

»Glaub mir, ich kann es auch kaum glauben, vor allem, dass er mich

angesprochen hat. Ich meine, er hat mich unter den tausenden von
Zuschauern entdeckt, was bedeutet, dass er mich auch schon im Super-
markt beobachtet haben muss«, sagte sie, und ihr Grinsen reichte von
einem Ohr zum anderen.

»Und wie seid ihr verblieben?«, wollte ich wissen und manschte in

meiner Schüssel herum.

»Wir treffen uns nächste Woche auf einen Kaffee. Er hat leider nicht

viel Zeit, weil er neben dem Studium eben arbeiten muss, aber das macht
nichts. Ich warte gern.«

»Das ist wirklich toll, ich freue mich für dich«, sagte ich, und gemein-

sam aßen wir unser Frühstück – jede mit einem Lächeln auf den Lippen.
Zum Abend hin machte ich mich dann langsam fertig, wobei ich nicht den
Fehler beging, wieder zu spät damit anzufangen. Es war frisch draußen,
und da wir heute im Freien spazieren gehen würden, zog ich einen langen,
warmen Mantel über. Die Haare steckte ich in einer lockeren Frisur hoch,
dann griff ich nach meiner Handtasche, ließ mir von Lisa viel Glück

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wünschen und verließ die Wohnung.

Wie gestern war Luca auch heute wieder lässig gekleidet. Er gab mir

einen Kuss auf die Wange, legte seinen Arm um mich und führte mich
zum Auto. Gott, ich konnte es kaum erwarten, ihn zu küssen.

»Wow, das sieht toll aus«, sagte ich, als wir vor den Toren des Zoos

standen, und überall bunte Lichter und Laternen aufgestellt waren. Aus
dem Inneren der Anlage erklang romantische Musik, und als wir näher ka-
men, sah ich, dass es sich bei den Lichtern um kleine Herzen handelte und
die Schrift auf dem Torbogen wie folgt lautete: »Ein Spaziergang für die
Liebe«, las ich laut vor.

»Was genau ist das hier?«
»Eine Veranstaltung für Pärchen«, flüsterte er mir ins Ohr, und ich sah

verblüfft zu ihm auf.

»Und, äh … was wollen wir hier?«, fragte ich mit flatterndem Herzen.
»Das wirst du noch früh genug erfahren«, sagte er mit einem geheim-

nisvollen Lächeln und führte mich hinein. Am Eingang zeigte er die
Karten vor, die er schon im Vorfeld gekauft haben musste, und ich bekam
eine rote Rose in die Hand gedrückt, dann gingen wir weiter. Die Sonne
war noch nicht ganz untergegangen, aber in einer halben Stunde würde
der Himmel dunkel sein und dann würden sich die Lichterketten, die an
den Bäumen hingen, sicher zu einem romantischen Lichtmeer entfalten.

Es war schön, in Lucas Armen zu sein und das nicht nur, weil seine

Berührungen meinen Körper zum Vibrieren brachten, sondern auch, weil
er eine wohltuende Wärme ausstrahlte, die ich bei den kühlen Temperat-
uren nur allzu willkommen hieß. Gott, ich fühlte mich schon so, als wären
wir zusammen, dabei hatten wir uns nicht einmal geküsst! Ob er es heute
tun würde? Mann, ich konnte an nichts anderes denken. War das nicht
versaut?

»Was hast du heute gemacht?«, wollte er wissen. Wir waren am Af-

fengehege angekommen und entdeckten tatsächlich noch ein paar herum
hangelnde Tiere. Die meisten schliefen bereits, aber der eine oder andere
Affe sah uns neugierig an. Um diese Uhrzeit bekamen sie bestimmt nicht
oft Besuch.

»Eigentlich nicht viel. Aufgeräumt und mit Lisa einkaufen gewesen«,

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sagte ich.

»Hm«, machte er und zog mich weiter.
»Und du?«, wollte ich wissen.
»Ich«, sagte er in einem verträumten Tonfall und zog mich etwas

fester an sich heran. »… habe den ganzen Tag damit verbracht, jede ein-
zelne Minute des gestrigen Abends Revue passieren zu lassen.« Ich sah
grinsend zu ihm auf und betrachtete sein Seitenprofil. Was für ein
Charmeur! Er zwinkerte mir zu, dann zog er mich weiter, als hätte er es
plötzlich eilig.

»Wohin willst du überhaupt?«, fragte ich, als wir zehn Minuten später

einen Hügel hinaufstiegen. Die Treppen, die nach oben führten, waren
steil, und es dauerte eine Weile, bis wir sie hinter uns gelassen hatten.
Oben angekommen standen dort bereits andere Pärchen und schauten auf
das Gelände hinab.

»Hierhin«, antwortete er verspätet, packte mich bei den Schultern und

drehte mich um.

»Oh«, machte ich begeistert, als sich die Anlage unter uns erstreckte.

Man konnte fast den gesamten Zoo sehen, und als hätte Luca die Zeit
genau abgepasst, leuchtete der Park unter uns plötzlich auf und ein wahres
Lichterfest offenbarte sich uns. Ein allgemeines Raunen ging umher, was
überwiegend von den Damen ausging, und ich fühlte mich wie in einem
Märchen.

»Das ist der Wahnsinn«, flüsterte ich und spürte, wie er mir von hin-

ten die Arme um den Körper legte. War das alles zu kitschig? Keine Ah-
nung, denn ich fühlte mich so glücklich wie schon lange nicht mehr. Ei-
gentlich wie noch nie, korrigierte ich mich, denn so etwas Schönes hatte
noch kein Mann für mich gezaubert.

»Und? Ist das angemessen für ein zweites Date?«, fragte er und küsste

meinen Nacken. Dadurch, dass meine Haare hochgesteckt waren, konnte
er ungehindert an meine Haut kommen. Ich unterdrückte ein Stöhnen und
schloss die Augen, dann grinste ich.

»Irgendwie vermisse ich noch den herzförmigen Heißluftballon, aber

ansonsten ist es ganz okay«, scherzte ich und drehte mich zu ihm um. Er
hatte seine Arme immer noch um mich geschlungen, und unsere Gesichter

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waren sich ziemlich nahe. Wenn du es nicht machst, dann tu ich es, aber
ich werde dich jetzt küssen
, dachte ich entschlossen. Ich hielt es einfach
nicht mehr aus, ihm so nahe zu sein, ohne ihn berühren zu können. Sein
Blick fiel auf meine Lippen, die ich leicht benetzte, und ein dämonisches
Lächeln machte sich auf meinem Mund breit, dann zog er mich mit einem
Ruck näher, legte eine Hand in meinem Nacken und küsste mich.

Als seine warmen Lippen das erste Mal auf meine trafen, konnte ich

mir ein leises Seufzen nicht verkneifen. Mir fiel auf, dass der Wunsch, ihn
zu küssen, schon sehr viel länger in meinem Kopf herumschwirrte, doch
nie hätte ich geglaubt, dass es sich so gut anfühlen würde. Jede Zelle
meines Körpers stand in Flammen, und meine Knie verwandelten sich au-
genblicklich in Wackelpudding.

Ich spürte meinen Körper davon schweben, gleichzeitig waren meine

Sinne aber auch zum Zerreißen angespannt. Als er den Mund öffnete, um
mit der Zunge in meinen einzudringen, glaubte ich, den Verstand zu ver-
lieren. Das war zu viel, ich war einfach zu lange enthaltsam gewesen, ich
hielt das nicht länger aus! Gleichzeitig klammerte ich mich nur noch fester
an ihn, denn ich wollte nicht, dass er jemals aufhörte, mich zu küssen. Ich
nahm sein angenehmes Parfüm wahr, den würzigen Geruch seiner Haut,
die Wärme und dann den Geschmack seiner Lippen. Gott, ich war ver-
loren, aber so was von! Keuchend löste ich von ihm und blickte in seine
fiebrig glänzenden Augen. Seine Lippen waren geschwollen, genau wie
meine, und sein Atem ging stoßweise.

»Was ist los?«, fragte er sichtlich verwirrt. Ich vergrub meinen Kopf

an seiner Schulter und schloss die Augen.

»Gar nichts, es ist nur …«
»Ja?«, hakte er nach und hielt mich an den Schultern von sich weg,

sodass ich ihm in die Augen gucken musste.

»Ähh, es ist nur … ich bin so lange enthaltsam gewesen, dass ich

gleich explodiere, wenn wir uns noch weiter küssen«, sagte ich und spürte
meine Wangen rot werden. »Verstehe«, sagte er schmunzelnd und fuhr
mit der Hand über meine gerötete Haut.

»Du weißt schon, dass ich dir Abhilfe verschaffen kann?«, fragte er

mit einem Piratenlächeln. Ich wollte empört nach Luft schnappen, doch da

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zog er mich lachend zu sich heran.

»War nur ein Witz. Komm, genießen wir lieber den Anblick«, sagte er

und drehte mich wieder mit dem Rücken zu sich. Wirklich nur ein Witz?,
dachte ich enttäuscht, denn ich hätte wahrlich nichts dagegen gehabt, mit
ihm in die Kiste zu springen. Es war einfach zu lange her, und ich war mir
ziemlich sicher – Oh Gott, ich sollte jetzt nicht daran denken! -, dass Luca
ein wunderbarer Liebhaber war. Ich musste ihm aber zugutehalten, dass er
mich nicht sofort zu sich nach Hause schleppte, sondern lieber mit mir die
Aussicht genoss. Ein wahrer Gentleman und jemand, dem ich endlich
bereit war, mein Herz zu schenken.

Doch wenn ich dachte, das wäre die einzige Überraschung heute

Abend gewesen, hatte ich mich geirrt. Als die Lichter allmählich wieder
erloschen, ich nehme an, man wollte die Tiere nicht zu lange damit ver-
wirren, legte sich plötzlich etwas Schweres um meinen Hals. Ich zuckte
zusammen und spürte dann, wie er hinter mir an meinem Hals herum
nestelte. Dann schaute ich an mir herab und sah eine silberne Kette um
meinen Hals baumeln. Die Kette an sich war sehr dünn und schlicht.
Keine Verzierungen und keine weiteren Farben, doch der schwarze Stein
in der Mitte war mit Silber eingefasst und reflektierte das Mondlicht.

»Luca«, sagte ich fassungslos und drehte mich zu ihm um.
»Das ist … wunderschön, aber das kann ich nicht …«
»Doch kannst du, ich möchte es«, unterbrach er mich. Benommen

schüttelte ich den Kopf. Ein Mann, der mir teuren Schmuck schenkte? Ich
hatte ein Déjà-vu! Immer noch kopfschüttelnd nahm ich die Kette wieder
ab.

»Tut mir leid, aber ich möchte das nicht. Ich kann das nicht anneh-

men.« Er sah dabei zu, wie ich die Kette in seine Hand legte, dann sagte
er: »Ich glaube, du verstehst mich falsch. Ich bin kein Mann, der mit teur-
em Schmuck um sich wirft. Genau genommen habe ich noch nie einer
Frau Schmuck geschenkt, aber diese Halskette hat meiner Mutter gehört
und sie hat sie mir vererbt. Sie sagte, ich solle sie mit Bedacht verschen-
ken und ich möchte, dass du sie hast, Sophia. Nimm sie, bitte, ich habe
nichts dafür ausgegeben«, bat er und legte sie wieder in meine Hand
zurück. Grübelnd sah ich die Kette an und das so lange, dass er allmählich

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unruhig wurde, also nickte ich schließlich resigniert.

»Okay, ich nehme sie, aber nur, wenn du mir versprichst, dass du mir

keine weiteren Geschenke machst«, verlangte ich streng. Er nickte er-
leichtert und legte sie mir um. In dieser Nacht schliefen wir nicht mitein-
ander, was leider nicht an mir, sondern an Luca lag.

»Und du willst wirklich nicht mit reinkommen?«, fragte ich zum

wiederholten Male. Verdammt, bettelte ich ihn gerade an, zu mir
hochzukommen? Er lachte.

»Ich habe morgen einen wichtigen Termin und brauche dafür einen

klaren Kopf. Außerdem sind wir noch nicht bei unserem dritten Date«,
fügte er augenzwinkernd hinzu. Er beugte sich zu mir herab, gab mir ein-
en langen Kuss und trat dann zurück, wie um sich selbst Einhalt zu
gebieten.

»Es macht dir Spaß, mich zu quälen, oder?«, fragte ich ihn mit

strengem Blick. »Glaub mir, für mich ist es genauso schwer«, sagte er und
zeigte eine Reihe weißer Zähne.

»Wir sehen uns in zwei Tagen, ich kann es kaum erwarten.« Damit

lief er zu seinem Auto und brauste davon.

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Unschöne Entdeckung

Zwei Tage waren seit unserem Kuss vergangen und noch immer konnte
ich die Wärme seiner Lippen auf mir spüren. Wir hatten uns darauf geein-
igt, Stillschweigen darüber zu bewahren, denn ich wollte nicht, dass mich
meine Kollegen anders behandelten, nur weil ich jetzt mit dem Chef
zusammen war. Und außerdem war es noch viel zu früh, um ein öffent-
liches Statement abzugeben, denn ich war niemand, der sich sofort bei
Facebook einloggte und seinen Beziehungsstatus änderte – nicht, dass ich
überhaupt solche Angaben über mich machte! Luca hatte gestern den
wichtigen Termin mit einer bekannten Modeagentur gehabt und heute seit
Langem mal wieder frei.

Da ich Lisa den heutigen Tag aber schon zugesagt hatte, würden wir

uns erst morgen wiedersehen, und ich konnte es kaum erwarten.

Hach, wie aufregend so eine frische Beziehung doch war und egal in

welchem Lebensabschnitt man sich befand, für Schmetterling im Bauch
war man nie zu alt. Ich bemühte mich, meine Freude zu verbergen, denn
für gewöhnlich neigte ich dazu, mein Glück in die weite Welt hinauszupo-
saunen, doch Aileen merkte sofort, dass etwas anders war. Sie war heute
erst wieder in der Firma, sonst wäre ihr mein dümmliches Grinsen bestim-
mt schon gestern aufgefallen.

»Sag mal, hast du im Lotto gewonnen, oder warum strahlst du so un-

erträglich?«, fragte sie mich amüsiert.

»Von deinem permanenten Lächeln bekommt ja schon allein vom

Zusehen einen Krampf in der Wange.« Ich drehte mich unschuldig zu ihr
um.

»Nicht, dass ich wüsste, ich hab einfach bloß gute Laune«, sagte ich.
»Na, dann kannst du mir vielleicht was davon abgeben. Der ganze

Papierkram hier bringt mich nämlich noch um den Verstand«, meckerte
sie und knallte die Hand auf ihren Tisch. Dadurch rutschten einige Blätter
beiseite und eine Modezeitschrift kam zum Vorschein. Ich warf nur einen
kurzen Blick darauf und bückte mich, um die heruntergefallenen Papiere

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vom Boden aufzuheben, doch dann erstarrte ich plötzlich.

»Moment«, sagte ich und richtete mich wieder auf.
Als ich die Zeitschrift vom Tisch nahm und mir vor die Nase hielt,

folgte Aileen meinem Blick und sagte: »Hast sie erkannt, nicht wahr? Ich
muss zugeben, sie wird von Jahr zu Jahr hübscher, auch wenn sie eine
eingebildete Schnepfe ist.« Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete,
denn ich kannte die Frauen auf dem Cover nicht, dafür erkannte ich aber
ein anderes, entscheidendes Detail. Das war meine Halskette, die sie da
um den Hals trug, original dieselbe, die mir Luca vor zwei Tagen ges-
chenkt hatte. Unwillkürlich betastete ich meinen Schmuck, nur, um sicher
zu gehen, dass ich es mir nicht nur einbildete. Doch es gab keinen
Zweifel, sie war es! Aileen, die sich derweil nach ihren Blättern gebückt
hatte, richtete sich wieder auf und bemerkte nicht, wie ich die Kette
schnell unter meiner Bluse verschwinden ließ.

»Wenn du mich fragst, hätte Luca sich eine suchen sollen, die weniger

erfolgreich und dafür menschlicher ist, aber Männer lassen sich ja häufig
vom Äußeren täuschen«, fügte sie schnaubend hinzu und legte die Blätter
wieder hin.

»Luca?«, fragte ich verwirrt und schaute auf. Aileen deutete auf das

Model.

»Na, das ist doch Alexandra, seine Exfreundin«, sagte sie, als müsste

ich das wissen. Ich sah mir das bildhübsche Mädchen an, das noch viel zu
jung wirkte, um das Titelblatt einer Zeitschrift zu küren, aber mit Make-up
und Photoshop konnte man heutzutage ja wahre Wunder bewirken. Wahr-
scheinlich war die Frau schon Mitte dreißig. Unwillkürlich warf ich einen
Blick auf das Kleingedruckte und als ich das Datum erblickte, traf mich
fast der Schlag.

»Die Zeitschrift ist von heute?«, fragte ich wie betäubt.
»Gestern wurde das Shooting gemacht und heute Morgen kam es

frisch aus dem Druck. Ich war die Erste, die es gelesen hat«, sagte Aileen
begeistert und setzte sich wieder auf ihren Platz.

»Darf ich mir die mal ausborgen?«, fragte ich, ohne den Blick von

dem Model zu nehmen.

»Klar, du kannst sie haben. Ich hab sie schon durchgelesen«, sagte sie

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mit einer wegwerfenden Handbewegung und widmete sich voll und ganz
ihrem Bildschirm.

Ich schluckte, weil mein Mund mit einem Mal ganz trocken war, und

ging dann an meinen Platz zurück. Ein unauffälliger Blick in die Runde,
und ich nahm die Kette hervor, um sie neben das Bild zu halten. Leider
änderte sich an meiner Erkenntnis nichts. Es war und blieb dieselbe Kette.
Nur wie war das möglich, wenn er angeblich nur dieses eine Exemplar be-
saß? Als meine Arbeitszeit um war, stopfte ich die Zeitschrift in meine
Tasche und begab mich zum Fahrstuhl. Er fuhr erst nach oben, um in der
fünften Etage den Seniorchef zu mir hereinzulassen.

»Guten Tag, Herr Marcs«, begrüßte ich ihn, als er mir zunickte und

sein Blick zu meinem Hals wanderte. Ich hatte die Kette vor einigen
Sekunden hervorgeholt und gedankenverloren damit herumgespielt, doch
irgendetwas schien ihn daran zu stören. Er runzelte die Stirn, dann sagte
er: »Eine schöne Kette haben Sie da.«

»Danke«, sagte ich und erstarrte im nächsten Moment. Er war Lucas

Vater. und wenn die Kette wirklich seiner Mutter gehört hatte, dann
wusste Herr Marcs ganz genau, dass ich sie von seinem Sohn hatte.

»Darf ich fragen, woher Sie sie haben?«, erkundigte er sich und klang

genauso wie ich mich fühlte, schockiert.

»Äh, geschenkt bekommen«, antwortete ich, in der Hoffnung, dass er

nicht weiter nachhaken würde. Zum Glück öffneten sich in diesem Mo-
ment die Türen. und ich verließ schon beinahe fluchtartig das Gebäude.
Verdammt. Niemand sollte das mit mir und Luca wissen und schon gar
nicht sein Vater! Nun wusste ich bloß nicht, was mich mehr beunruhigen
sollte. Dass er die Kette erkannt hatte und sie demnach wirklich Luca ge-
hörte oder dass Luca mich belogen hatte, was deren Exklusivität betraf?
Denn ganz offensichtlich trug seine Exfreundin dieselbe Kette und wenn
er kein Duplikat besaß, konnte sie dasselbe Stück unmöglich gestern bei
einem Fotoshooting getragen haben. Was wurde hier also gespielt?

***

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Wie ich es Lisa versprochen hatte, widmete ich ihr den restlichen Tag und
lud sie ins Kino ein – etwas, das ich schon lange hatte machen wollen, um
mich für die Bleibe zu bedanken. Und ich kann es nicht oft genug wieder-
holen: Ich hatte einfach nichts für Fantasy-Filme übrig und wusste nicht,
wie man sich für zwielichtige Kreaturen wie die X-Men begeistern kon-
nte, aber Lisa fieberte den ganzen Film über leidenschaftlich mit, und
wenn sie glücklich war, dann war ich es auch – zeitweise zumindest, denn
meine Gedanken drifteten immer wieder zur Kette ab.

Am Ende gingen wir noch essen und fanden uns kurz nach 22 Uhr

zuhause ein. Normalerweise keine Schlafenszeit für mich, aber ich war
ziemlich müde und wollte, dass der Tag so schnell wie möglich endete,
damit ich Luca morgen zur Rede stellen konnte. Also ging ich schon früh
ins Bett. Leider währte mein Schlaf nur kurz, denn gerade, als ich selig
vor mich hin schlummerte, klingelte mein Handy. Arrrg! Ich kannte die
Nummer nicht, glaubte aber nicht, dass es ein wichtiger Anruf war und
ging dementsprechend auch genervt ran.

»Was gibt’s?«, fragte ich schroff. War das meine Mutter? Rief sie mit

unterdrückter Nummer an, um mir die Ohren vorzuheulen, weil ich sie im
Stich gelassen hatte? Es herrschte einen Moment Stille, dann erkannte ich
voller Schrecken die Stimme des Seniorchefs.

»Frau Neumann, hier ist Herr Marcs. Können Sie mich in einer halben

Stunde im Seconds treffen? Es ist wichtig.« Ohne eine Antwort
abzuwarten, legte er auf, und ich hörte es nur noch tuten. Ähhh, okay?
War das gerade wirklich passiert oder träumte ich noch? Warum, zum
Teufel, sollte mich der Senior mitten in der Nacht anrufen und in ein Res-
taurant bestellen? Einige Sekunden blieb ich mit dem Handy in der Hand
sitzen, unschlüssig, was ich davon halten sollte, sprang dann aber hastig
auf und wirbelte durch mein Zimmer. Oh Gott, es war wegen der Hals-
kette! Er wollte bestimmt wissen, was da zwischen mir und Luca lief.

Als ich zehn Minuten später aus meinem Zimmer stolperte und am

Wohnraum vorbeikam, sah Lisa mich aus verschlafenen Augen an. Wie
immer war sie vor dem Fernseher eingeschlafen, bevor die Uhr auch nur
annähernd zwölf geschlagen hatte. Stures Weib. Warum ging sie nicht
einfach schlafen, wenn sie müde war? Aber sie wollte unbedingt die tollen

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Filme gucken, die abends liefen, dabei hatte sie es noch nie geschafft,
auch nur einen zu Ende zu gucken.

»Ich muss zu einem kurzfristigen Meeting«, erklärte ich ihr im

Vorbeigehen und öffnete auch schon die Tür. Sie nickte, wandte sich
wieder dem Bildschirm zu und war in der nächsten Sekunde sicher schon
wieder eingeschlafen. Sie war einfach kein Steher. Draußen angekommen
nahm ich mir ein Taxi, denn andernfalls würde ich es nicht pünktlich
schaffen, und ich wollte Herrn Marcs nur ungern warten lassen. Als ich
das Seconds schließlich betrat, ein Nobelrestaurant im Bezirk Charlotten-
burg, sah ich meine Verabredung im hinteren Teil des Raumes sitzen. Es
war ziemlich voll, selbst um diese Uhrzeit, doch die Tische um ihn herum
waren leer. Sicher war er hier Stammgast.

»Guten Abend, ich bin so schnell gekommen wie ich konnte«, sagte

ich etwas unsicher und setzte mich zu ihm. Weil ich nicht wusste, was
genau er von mir wollte und es sich vielleicht (ich bete stumm, dass es so
war) auch einfach um etwas Geschäftliches handeln könnte, hatte ich
meinen Notizblock mitgebracht, doch diesen Irrtum räumte er ziemlich
schnell aus.

»Packen Sie den Notizblock weg, den brauchen Sie nicht«, sagte er,

ohne meine Begrüßung zu erwidern. Seine Augen musterten mich mit
kühler Präzision, und als ich ihn fragend ansah, erklärte er: »Mein Anlie-
gen ist nicht geschäftlicher Natur, ich möchte vielmehr mit Ihnen über
meinen Sohn sprechen.« Ahhhh, warum musste das ausgerechnet mir
passieren? Hätte ich die Kette nicht einfach unter meiner Bluse lassen
können?

»Äh, gut, wie kann ich Ihnen da weiterhelfen?«, fragte ich mit

trockenem Mund. Er bot mir mit einer Geste ein Glas Wein an, doch ich
lehnte höflich ab.

»Sie und Luca scheinen sich näher gekommen zu sein?«, fragte er

schließlich und musterte mich mit bohrendem Blick. Ich lachte verlegen.

»Ähm, nun ja, ich …«
»Das müssen Sie ja, schließlich hat er Ihnen eine sehr kostbare Kette

geschenkt«, unterbrach er mein Gestotter.

»Eine Kette, die ich überall erkennen würde, weil ich sie damals

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meiner Frau geschenkt habe.« Ich wurde puterrot. Konnte das hier eigent-
lich noch peinlicher werden?

»Ich gebe zu, ich führe diese Unterhaltung nicht gern und würde es

Ihnen lieber schonend beibringen, aber offenbar spielt mein Sohn wieder
einmal eins seiner berühmten Spielchen, und ich weiß nicht, ob Sie sich
darüber im Klaren sind.« Ich hatte die Kette natürlich zuhause gelassen,
dennoch wanderte sein Blick kurz an die Stelle, an der sie normalerweise
hängen würde.

»Ich verstehe nicht ganz«, sagte ich und war bemüht, seinem

stählernen Blick standzuhalten.

»Wissen Sie, normalerweise interessiert es mich nicht, mit wem mein

Sohn ausgeht, schließlich hat er sich stets mit erfolgreichen Models und
Schauspielerinnen vergnügt, aber Sie scheinen einen … nun ja, schlechten
Einfluss auf ihn haben. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern,
dass er jemals eine Konferenz wegen eines … Zoobesuches verpasst
hätte«, sagte er, und am Klang seiner Stimme erkannte ich, dass ihm allein
das Aussprechen schon zuwider war.

»Ich wusste nicht, dass er eine wichtige Konferenz versäumt hat, aber

ich versichere Ihnen, dass er es war, der mich eingeladen hat«, sagte ich
und musste ein Grinsen unterdrücken, weil Luca einen wichtigen Termin
für mich hatte sauen lassen. Das juckte den alten Senior sicherlich in der
Nase.

»Wessen Idee es war, ist letztendlich egal, mich interessiert nur, dass

er seine Pflichten vernachlässigt, und das gefällt mir überhaupt nicht.« Die
Tatsache, dass er mich als schlechten Einfluss bezeichnete, ließ mich
wütend werden, und mutig. »Glauben Sie nicht, dass Sie diese Unterhal-
tung lieber mit Ihrem Sohn führen sollten?«, fragte ich deshalb.

»Oh, das habe ich schon oft getan … nämlich, wenn es um andere

Sekretärinnen ging. Sehen Sie, ich will Sie nicht beleidigen. Sie sind ein
kluges Mädchen und leisten wirklich gute Arbeit, aber fallen Sie nicht
dem Irrtum anheim, Luca würde Sie für etwas Besonderes halten oder Sie
gar lieben, denn das tut er nicht, glauben Sie mir. Er war schon immer
recht triebhaft, und für gewöhnlich sehe ich darüber hinweg, aber hin und
wieder tanzt er aus der Reihe und vernachlässigt seine Pflichten. Dann ist

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es an mir, ihn wieder in die richtige Bahn zu lenken.«

»Indem Sie von mir verlangen, dass ich mich ab sofort von ihm

fernhalten soll«, vermutete ich.

»Verlangen ist hier das falsche Wort. Ich würde es eher einen guten

Rat nennen, denn glauben Sie mir, seine Firma bedeutet ihm mehr als
Sie.« Ich schnappte empört nach Luft. Geschäftsführer oder nicht, aber ich
ließ mich sicher nicht als wertloses Spielzeug abstempeln. Was dachte
sich dieser Snob eigentlich?

»Bei allem Respekt, Herr Marcs, aber nach allem, was mir Luca

erzählt hat, scheinen Sie nicht viel von dem zu wissen, was Ihr Sohn
möchte und was nicht«, sagte ich. Doch anstatt beleidigt zu sein, lächelte
er nur.

»Luca hat Zweifel, ich weiß, und in Ihnen sieht er eine willkommene

Abwechslung. Er war schon immer etwas wankelmütig, doch am Ende hat
er sich wieder eingekriegt und das zumeist mit einer erfolgreichen und
zielstrebigen Frau an seiner Seite. Nichts für ungut, Frau Neumann, aber
ich glaube nicht, dass Sie und Luca eine Zukunft haben werden«, sagte er.
Mit anderen Worten, er hielt mich nicht gut genug für seinen Sohn!

»Ich werde Luca nicht verlassen, nur, weil Sie es so wollen und mir ir-

gendwelche Geschichten auftischen. Er soll selbst entscheiden!«, sagte ich
mit verschränkten Armen.

»Oh, das hat er bereits, und ich hatte befürchtet, dass Sie so etwas

sagen. Vielleicht hilft Ihnen das bei Ihrer Entscheidung«, sagte er und
reichte mir die Zeitschrift von heute. Es war dieselbe, die ich vorhin mit-
genommen hatte.

»Erkennen Sie die Kette? Ich bin sicher, dass er Ihnen gesagt hat, sie

wäre ein Einzelstück, aber das ist gelogen. Luca hat ein Dutzend davon
zuhause und geht nicht gerade sparsam mit dem Verschenken um. Das
Model auf dem Cover ist seine Exfreundin, das Foto stammt übrigens von
gestern, als er sich mit ihrer Agentur und sicher auch mit ihr getroffen
hat«, fügte er hinzu. Ich spürte, wie sich meine Augen mit Wasser füllten,
und blinzelte die Tränen weg.

»Sie haben sich sehr viel Mühe gemacht, um mir das zu zeigen«, be-

merkte ich bitter. »Ich möchte Ihnen lediglich eine Enttäuschung ersparen,

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denn er wird Sie enttäuschen - das tut er immer.« Ich legte die Zeitschrift
auf den Tisch.

»Wie kann es sein, dass es so viele davon gibt? Sie sagten, es wäre die

Kette Ihrer Frau.«

»Das ist sie auch, doch nachdem sie kaputt gegangen war, hat Luca sie

nachfertigen lassen, und offenbar ist sie später so gut angekommen, dass
er einfach mehrere davon hat machen lassen und nun schmücken sich
bereits eine Hand voll Frauen damit.« Ich rang ziemlich lange um Fas-
sung, und Herr Marcs ließ mir alle Zeit dazu.

»Nun, dann muss ich Ihnen wohl danken, dass Sie mir die Augen

geöffnet haben«, brachte ich schließlich hervor. Er nickte mitleidig.

»Trotz der Umstände möchte ich nur ungern auf Ihre Mitarbeit ver-

zichten, melden Sie sich morgen in meinem Büro, ich werde Sie in eine
andere Etage versetzten«, bot er mir an.

»Das ist sehr großzügig«, krächzte ich und erhob mich.
»Einen schönen Abend noch.« Ich schaffte es gerade so aus dem

Lokal, ehe der Damm brach.

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Wieder auf Anfang

In dieser Nacht machte ich kein Auge zu, was daran lag, dass zu viele Ge-
fühle in meinem Inneren tobten. Wut, Verletztheit, Enttäuschung,
Rachegefühle, Ohnmacht und dann wieder Wut. Außerdem zermarterte
ich mir das Hirn darüber, was ich jetzt tun sollte. Einerseits würde ich am
liebsten den Job schmeißen und der Firma den Rücken kehren, anderer-
seits sah ich es nicht ein, wegen dieses Arschs auf meine Arbeitsstelle zu
verzichten. Nachdem ich vorgestern nämlich mein erstes Gehalt bekom-
men und mich von meinen Schulden hatte befreien können, war ich nun
noch mehr bestrebt, meine Stelle zu behalten. Aber konnte ich unter
diesen Umständen wirklich für Herrn Marcs arbeiten? Er hatte mir gestern
ziemlich gemeine Sachen an den Kopf geworfen, andererseits hatte er ja
gesagt, dass es keinen schonenden Weg dafür gab und er wollte mich ja
auch behalten.

Nein, ich würde nicht kündigen und ich würde auch nicht wegen Luca

zusammenbrechen. Glücklicherweise hatte ich die Wahrheit über seine
Absichten erfahren, bevor ich tiefere Gefühle für ihn hatte entwickeln
können. Ich würde mich nicht wieder jahrelang zu einer Kugel zusammen-
rollen und in Selbstmitleid baden. Es gab andere, bessere Männer, und das
Leben war zu kurz, um sich mit Abschaum wie ihm aufzuhalten! Also
stand ich pünktlich um sieben auf, machte mich fertig und ging zur Arbeit
– nicht ohne die Kette natürlich.

»Weißt du, ob der Seniorchef schon im Haus ist?«, fragte ich Aileen,

als sie zehn Minuten nach mir ins Büro spazierte.

»Er kommt erst kurz nach neun. Wenn du was von ihm willst, musst

du dich aber beeilen, um halb zehn beginnen seine Meetings«, antwortete
sie. Ich nickte, packte meine Schreibutensilien aus und fuhr den Computer
hoch. Kurz vor neun marschierte dann Luca an uns vorbei und begrüßte
meine Kolleginnen, wie jeden Morgen. Doch anstatt diesmal nach meinem
Notizblock zu greifen, nahm ich die Kette, ließ sie in meiner Rocktasche
verschwinden und betrat sein Büro. Kühle Luft begrüßte mich und Luca

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zog sich gerade das Jackett aus.

»Guten Morgen, Sonnenschein. Gut geschlafen?«, fragte er und legte

das Sakko über die Stuhllehne. Ich musste laut lachen.

»Das kann man wohl sagen.« Er bemerkte meinen bitteren Ton und

sah fragend auf. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er. Ich ließ mich in den
Stuhl sinken und überschlug die Beine. Kurz überlegte ich, noch einen
drauf zu setzen und sie auf seinem Schreibtisch zu platzieren, aber so cool
war ich dann doch nicht.

»Oh, ich habe mich noch nie besser gefühlt – so befreit«, sagte ich fei-

erlich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Sichtlich verwirrt über
mein Benehmen zögerte er, dann kam er zu mir.

»Bekomme ich keinen Kuss?« Ich schüttelte den Kopf.
»Nichts für ungut, aber ich will mir nichts einfangen. Wer weiß, wer

schon vorher alles an deinen Lippen gehangen hat«, sagte ich mit zucker-
süßem Lächeln. Langsam begriff er, dass hier etwas ganz und gar nicht
stimmte.

»Okay, eigentlich wollte ich dich am Wochenende einladen, aber of-

fenbar liegt dir etwas auf dem Herzen«, sagte er und musterte mich
eingehend.

»Ich gehe am Wochenende schon mit Lisa in die Cocktailbar, ich habe

etwas zu feiern, aber da du gerade davon sprichst: Ich habe wirklich etwas
auf dem Herzen … oder besser gesagt um den Hals.« Ich stand auf und
meinem Vorsatz zum Trotz, ihm keine Szene machen zu wollen, konnte
ich nicht anders, als die Kette auf seinen Tisch zu feuern.

»Diese Kette hier zum Beispiel«, zischte ich. Das laute Knallen, als

der schwarze Stein abplatzte, war wie Musik in meinen Ohren und sein
entsetzter Blick war schon fast Genugtuung für mich.

»Bist du verrückt geworden? Das ist die Kette meiner Mutter!«, sagte

er fassungslos und starrte mich an. Ich lachte höhnisch und fragte: »Bist
du sicher, dass du nicht noch dutzende davon in Reserve hast?« Er sah im-
mer noch ratlos aus, fassungslos, aber auch ratlos. Gott, was für ein guter
Schauspieler! Aber das war ja auch nicht verwunderlich. Bestimmt hatte
er diese Szene hier schon hundertmal durchgespielt.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Aber würdest du mich

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bitte aufklären, bevor du noch meine gesamte Einrichtung demolierst?«
War ja klar, dass er sich mehr Sorgen um seine teuren Möbel machte.

»Aufklären? Ist es nicht offensichtlich, dass ich dich durchschaut

habe?«, fragte ich und deutete auf die Kette.

»Offenbar hat es irgendetwas mit der Kette zu tun«, sagte er spöttisch,

und ich wäre ihm beinahe an die Gurgel gegangen. Ha, jetzt wurde er also
auch noch frech? Ich bedeutete ihm, sich nicht von der Stelle zu rühren,
spazierte aus dem Büro, nahm die Zeitschrift aus meiner Tasche und kam
wieder zurück.

»Bitte schön«, sagte ich und knallte ihm das Magazin auf den Tisch.

Er sah erst das Model und dann die Kette an und ließ sich schließlich in
seinen Sessel fallen.

»Dieses verdammte Miststück«, murmelte er so leise, dass ich nicht

sicher war, ob er die Worte wirklich gesprochen hatte. Deshalb fragte ich:
»Wie bitte?« Da lachte er bitter, fuhr sich mit der Hand über den Bart und
sah mich an.

»Sophia«, sagte er und kam mit erhobenen Händen auf mich zu, als

würde er so weniger bedrohlich wirken.

»Ich versichere dir, dass diese Kette dort auf dem Bild nicht echt ist.«
»Ich weiß, es ist ein Duplikat«, sagte ich kalt.
»Allerdings, aber keins, das ich ihr geschenkt habe«, versicherte er

mir und kam näher.

»Bleib stehen«, sagte ich drohend, und er tat es.
»Weißt du? Für eine Sekunde habe ich geglaubt, dass ich mich all die

Jahre wegen meines bescheuerten Exfreundes umsonst abgeschottet habe.
Dass du trotz deines Geldes wirklich Interesse an mir hast, aber jetzt weiß
ich dass du genauso bist wie er. Er hat mich am Anfang auch auf Händen
getragen, aber als ich ihm nicht mehr gut genug war, hat er mich einfach
weggeworfen. Doch er hat es wenigstens offen zugegeben. Du heuchelst
dagegen immer noch Interesse vor, obwohl ich dich schon längst durch-
schaut habe.«

»Sophia, ich habe Interesse an dir. Glaubst du, ich würde dir sonst die

Kette meiner Mutter …«

»Du hast«, rief ich und atmete dann tief durch, um meine Lautstärke

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zu drosseln.

»… ein Dutzend Duplikate davon zuhause. Glaubst du, ich kaufe dir

deine lahme Erbgeschichte noch länger ab?« Er breitete die Hände aus.

»Woher hast du nur diesen Blödsinn? Warum, zur Hölle, sollte ich

davon Duplikate anfertigen lassen?«, fragte er, und ich musste zugeben,
dass er ziemlich gut war. Seine gerunzelte Stirn, die wütende und
gleichzeitig unwissende Stimme. Das war eine reife schauspielerische
Leistung, das musste ich zugeben.

Als ich nicht sofort antwortete, sagte er: »Ich glaube, hier liegt ein

großes Missverständnis vor, Sophia.«

»Allerdings, und ich bin gerade dabei, es auszuräumen.« Seinem

Gesichtsausdruck nach zu urteilen verstand er nicht ganz, also sagte ich:
»Ich muss dir danken, denn auch wenn alles gelogen war, war der Abend
vor zwei Tagen wunderschön. Du hast mich für einen kurzen Moment
denken lassen, dass Träume wahr werden können, aber jetzt wird es an der
Zeit, wieder aufzuwachen.« Als ich mich zur Tür bewegte, kam er mir
hinterher.

»Wohin willst du?«, fragte er.
»Ich kündige.«

***

»Nun erzähl schon«, forderte ich sie auf.

»Nein, das wäre nicht richtig. Nicht, wo du und Luca … wo er dich so

belogen hat«, wehrte Lisa ab.

»Ich will aber wissen, wie euer Abend gelaufen ist. Außerdem ist

Luca Schnee von gestern«, hielt ich dagegen. Sie warf mir einen
zweifelnden Blick zu.

»So siehst du aber nicht aus.«
»Wie ich aussehe, interessiert niemanden, und jetzt raus mit der

Sprache!«, verlangte ich. Sie wickelte sich tiefer in ihre Kuscheldecke und
schaltete den Fernseher leiser.

»Es war schön, wir haben viel geredet, und er ist sehr aufmerksam.«

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Sind sie alle am Anfang!, meldete sich eine bittere Stimme in meinem
Kopf.

»Und er hat mir ein selbstgemachtes Armband geschenkt«, sagte sie

stolz und hielt es mir entzückt hin. Sicher, dass er keine Duplikate davon
hat?
Verdammt, ich musste damit aufhören.

»Soll ich wirklich weiterreden? Du siehst nämlich aus, als würdest

gleich jemandem an die Gurgel gehen«, bemerkte Lisa alarmiert.

»Nein, nein, sprich weiter«, bat ich.
»Und beachte mich am besten gar nicht.« Also redeten wir die ganze

Nacht über ihren André, und irgendwann schaffte ich es sogar, meine
finsteren Gedanken wegzuschließen.

»Und morgen«, beendete sie ihre Rede, »gehen wir einen trinken und

angeln dir einen scharfen Typen.«

»Gern, aber von Männern habe ich erst mal genug«, sagte ich und

ging schlafen. Als ich am nächsten Tag aufstand, tat ich es mit gemischten
Gefühlen. Es dauerte zwei Tage, bis ich in die obere Etage versetzt wer-
den konnte, und so musste ich die restlichen Tage an meinem alten Arbeit-
splatz verbringen. Luca bat mich zum gefühlt einhundertsten Mal, mich
mit ihm auszusprechen, doch ich blockte trotzig ab. Egal, was er mir
erzählte, ich schaltete auf Durchzug. Das konnte ich gut, und ich konnte
wirklich verdammt dickköpfig sein, wenn ich wollte. Luca hatte also
keine Chance, durch meine Mauer zu dringen, und das frustrierte ihn.

»Wenn du mich es dir nur erklären lassen würdest!«, sagte er an

meinem letzten Tag bei ihm, doch ich pulte nur gelangweilt an meinen
Fingernägeln herum.

»Ich werde nicht länger mit dir darüber sprechen, Luca, heute ist mein

letzter Arbeitstag auf dieser Etage und ehrlich gesagt will ich ihn so
schnell wie möglich hinter mich bringen.«

»Das heißt also, das war’s? Du schiebst mich einfach ab?«, fragte er

und der Schmerz war seiner Stimme deutlich anzuhören. Ich lauschte in
mich hinein, hörte auf mein Herz, doch das gab absolut keine Regung von
sich. Mann, ich konnte wirklich gefühllos sein, wenn ich wollte. Das er-
staunte mich immer wieder. Aber durch die jahrelange Knechtschaft
meiner Mutter hatte ich gelernt, meine Gefühle abzustellen. Das war das

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Einzige, wofür ich ihr dankbar war, denn das erleichterte mir dieses Ge-
spräch um einiges.

»Du hast es erfasst. Es wundert mich, dass dich das so mitnimmt,

dabei müsstest du doch wissen, dass man erntet, was man sät. Also, gibt es
irgendwelche Termine zu besprechen?«, fragte ich.

»Nein«, stieß er hervor und schnalzte mit der Zunge. Ich erhob mich.
»Gut, auf Wiedersehen.«
»Weißt du, dass ich mich schon am ersten Tag in dich verliebt habe?«,

sagte er unvermittelt und ich erstarrte. Ich drehte mich nicht zu ihm um
und fixierte stattdessen die Tür vor mir.

»Ich war mein Leben lang mit berechnenden und emotionslosen

Frauen zusammen. Sie waren hübsch, haben mich zeitweise unterhalten,
aber im Inneren waren sie kalt und falsch. Jetzt bist du diejenige, die kalt
ist, Sophia.« Etwas regte sich in meinem Herzen und eine Welle des Sch-
merzes drohte über mich zu schwappen, mich zu ertränken. Verdammt,
ich fühlte etwas! Doch anstatt zu antworten, straffte ich die Schultern,
holte tief Luft und verließ sein Büro.

***

»Ich wünschte, ich hätte dich davor bewahren können«, sagte Aileen und
umarmte mich fest.

»Ach, Quatsch, ich bin ein großes Mädchen, und außerdem ist es halb

so wild. Ist ja nicht so, als wäre ich in ihn verliebt gewesen«, sagte ich in
unbeschwertem Ton und drückte sie an mich.

»Und ich bin ja nicht aus der Welt. Wir werden immer noch zusam-

men nach Hause fahren, und in den Pausen komme ich dich besuchen,
okay?«

»Okay«, sagte sie und setzte sich wieder hin. Ich verabschiedete mich

auch von den anderen, und obwohl ich darauf gefasst gewesen war, trafen
mich Marys Worte härter als gedacht.

»Ich wusste, dass du es nicht lange machen würdest. Lucas Assisten-

tinnen kommen und gehen, aber letztendlich können sie ihn alle nicht bei

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der Stange halten.« Ihre Worte begleitete sie mit einem zufriedenen
Grinsen, und ich lächelte kalt zurück. Und sie dachte, dass sie bessere
Chancen bei ihm hätte?

»In diesem Fall wünsche ich dir von ganzem Herzen, dass er dich als

Nächstes einstellt. Verdient hättest du es.« Ihr Grinsen verrutschte etwas,
als ihr die Zweideutigkeit meiner Worte bewusst wurde, und ich
marschierte zufrieden davon. Ich war mir sicher, dass die ganze Ge-
hässigkeit und Missgunst, mit der sie den Leuten begegnete, irgendwann
mit doppelter Wucht auf sie zurückfallen würde, denn wenn ich schon
nicht an die große Liebe glaubte, dann wenigstens daran, dass am Ende
jeder das bekam, was er verdiente. Ich lebte mich an meinem neuen
Arbeitsplatz ziemlich schnell ein, was daran lag, dass es nicht viel anders
war als auf meiner vorherigen Etage. Es waren nur andere Kollegen und
Chefs, mit denen ich es jetzt zu tun hatte. In meinem Fall eine stämmige,
große Frau, die für das Firmenimage zuständig war und sich um unsere
Werbung kümmerte.

An meiner Aufgabe änderte sich eigentlich nicht viel, nur dass ich jet-

zt nicht mehr zu nächtlichen Meetings eingeladen wurde, denn um unsere
Werbung gestalten zu können, musste sich meine Chefin nicht in ir-
gendwelchen zwielichtigen Bars herumtreiben. Nein, nein, nein! Ich
würde nicht damit anfangen, an Luca zu denken. Das mit uns war vorbei.
Weder was er mir angetan hatte, noch was hätte sein können, spielte jetzt
noch eine Rolle. Verdammt, ich dachte ja bereits an ihn! Von meinem
Platz aus hatte ich einen direkten Blick auf den Fahrstuhl, sodass ich ganz
genau beobachten konnte, wer ein- und ausstieg.

Einmal sah ich sogar Luca, doch ich tat, als würde ich zu jemand an-

deren sehen. Kurz vor Feierabend bildete ich mir sogar ein, eine ganz an-
dere Person zu erkennen, aber das war unmöglich, und ich schob das
Gesehene meiner Erschöpfung zu. Den ganzen Tag auf den Bildschirm zu
starren, verursachte offenbar Halluzinationen.

Nach dem Feierabend holte ich Aileen wie versprochen an ihrem Platz

ab. Ein Blick zu Lucas Büro zeigte mir, dass er schon gegangen war.

»Und? Wie war es?«, wollte sie wissen. Ich hob die Schultern.
»Nicht anders als sonst, nur dass mein Chef jetzt Brüste hat. Was gut

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ist, denn so brauche ich keine Angst mehr haben, körperlich belästigt zu
werden – es sei denn, sie ist lesbisch«, fügte ich hinzu. Aileen lachte, ließ
sich von meinem nüchternen Ton aber nicht täuschen. Ich mochte sie
ziemlich, aber ihre Gabe, in die Menschen hinein schauen zu können,
wurde mir allmählich lästig. Zuhause angekommen machte ich den
Haushalt, räumte auf, brachte den Müll weg, wusch die Wäsche und
beschäftigte mich mit Khasi. Zum Abend hin kam Lisa nach Hause, und
wir machten uns fertig.

»Du, sag mal, hast du was dagegen, wenn André heute mitkommt?«,

fragte sie und warf sich die Jacke über.

»Und damit rückst du erst jetzt raus? Ich dachte, wir wollten einen

männerfreien Abend machen?«, sagte ich. Sie machte ein entschuldi-
gendes Gesicht.

»Ich weiß, aber er hat heute unverhofft frei bekommen, und das wäre

das erste Mal, dass wir was zusammen trinken.«

»Na, dann kommt er eben mit«, sagte ich und ließ mir meine Ent-

täuschung nicht anmerken. Ich hatte gedacht, dass wir uns volllaufen
lassen und über das andere Geschlecht lästern würden, aber daraus würde
ja jetzt wohl nichts werden. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fügte
sie hinzu: »Keine Sorge, er kommt erst später nach. Wir werden also
genug Zeit zum Quatschen haben.«

»Das will ich auch hoffen«, sagte ich, und wir verließen die Wohnung.

Ich hatte mich heute richtig aufgedonnert, was ebenfalls ein Phänomen
war, das ausschließlich uns Frauen vorbehalten war. Denn wann immer
wir uns von einem Mann trennten, versuchten wir, den Cut noch deutlich-
er zu machen, indem wir unsere Haare färbten, sie schnitten, unseren
Klamottenstil änderten oder sonst was für verrückte Sachen unternahmen.
Mein Plan war, mich richtig scharf anzuziehen und dann jeden Mann ab-
blitzen zu lassen, der sich für mich interessierte.

Ich weiß, das war den anderen Männern gegenüber nicht fair, aber ich

war gerade etwas melancholisch. Was nicht gut war, denn eigentlich sollte
ich gar nichts fühlen! Die Cocktailbar war ziemlich überfüllt, aber das
störte mich nicht, solange wir einen Platz zum Sitzen hatten. Tanzen woll-
te ich nicht, auch wenn Lisa mich immer wieder dazu aufforderte, denn

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dazu war ich noch nicht beschwipst genug. Ich wollte mich auch nicht
sinnlos besaufen, aber gegen ein bisschen Dusel war nichts einzuwenden,
oder? Auch Lisa, die normalerweise ordentlich was wegtrank, hielt sich
heute zurück, wahrscheinlich, weil sie ihrer Flamme nicht lallend ge-
genübertreten wollte. Also begnügten wir uns damit, zu reden und gele-
gentlich an unseren Drinks zu nippen. Dabei schärfte Lisa mir immer
wieder ein, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte und ich je-
mand besseren finden würde.

Der Meinung war ich auch, aber der Alkohol schien nicht nur meine

Zunge, sondern auch die Mauer um mein Herz zu lösen, denn in meinem
Kopf erklangen immer wieder die Worte, dass er mich liebte. War das ein
letzter verzweifelter Versuch gewesen, mich zu halten? Und was hatte es
mit seiner Reaktion bezüglich der Kette auf sich? Sein betroffener
Gesichtsausdruck hatte verdammt echt ausgesehen.

»Ich habe doch keinen Fehler gemacht, oder?«, fragte ich irgendwann.

Denn mit einem Mal war ich mir gar nicht so sicher, ob sein Vater wirk-
lich vertrauensvoll genug war. Aber ich hatte die Kette auf dem Magazin
gesehen.

War das nicht Beweis genug?
»Redest du mit mir, Püppchen?«, fragte der Mann neben mir. Ich sah

verwirrt auf und erinnerte mich daran, dass sich Lisa ja vor einer halben
Stunde zu André gesetzt hatte. Sie hatte verlangt, dass ich mich dazuset-
zte, und ich hatte versprochen, dass ich nur noch austrinken würde, aber
das war schon eine Weile her, und offenbar schien sie mich auch nicht
wirklich zu vermissen. Das machte nichts. Frisch verliebt zu sein, war et-
was Großartiges, aber ich hatte auch nicht wirklich Lust, ihnen dabei
zuzusehen. Es störte mich also nicht, allein an der Bar zu sitzen, was mich
allerdings störte, war, dass ich mittlerweile Selbstgespräche führte!

»Schon gut«, sagte ich zu meinem Sitznachbar und wandte mich um,

als ich plötzlich in hellblaue Augen sah.

»Das glaube ich jetzt nicht. Bist du das wirklich?«, fragte mein Exfre-

und Tobi und sah mich begeistert an. Oh Gott, womit hatte ich das nur
verdient? Bevor ich reagieren konnte, umarmte er mich, und endlich er-
wachte ich aus meiner Starre.

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»Spinnst du? Nimm deine Finger weg«, zischte ich und schlug seinen

Arm fort. Ein verwegenes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

»Ach, komm schon. Die Sache von damals kannst du mir doch nicht

mehr übel nehmen«, sagte er und richtete sich den Hemdkragen. Er sah
genauso hinreißend aus wie früher, sogar noch besser, denn er war männ-
licher und reifer geworden. Sein blondes Haar war modern frisiert und
sein Bart ordentlich gestutzt, wie eh und je. Selbst sein Parfüm erkannte
ich wieder. Es war ein zweihundert Euro teurer Duft. Er hatte schon im-
mer eine Schwäche für braune Hosen gehabt und so schmückten eben sol-
che sein knackiges Gesäß und ein dunkelblaues Hemd seinen Oberkörper.
Doch trotz seiner atemberaubenden Erscheinung sah ich ihn mordlüstern
an.

»Die Sache von damals? Weißt du, was für ein Arsch du gewesen bist

und was du mir an den Kopf geworfen hast? Ich war dir nicht erfolgreich
genug, schon vergessen?«

»Ich weiß und das war wirklich fies von mir, aber mittlerweile bin ich

so erfolgreich, dass ich mir darüber keine Gedanken mehr machen muss«,
verkündete er stolz und wollte mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht
streichen. Ich schlug seine Hand weg.

»Ist mir egal, wie erfolgreich du bist. Was machst du hier über-

haupt?«, wollte ich wissen.

»Wenn ich mich recht erinnere, bist du doch damals nach Hamburg

gezogen.« Ich hätte nie gedacht, dass ich noch so viel Hass ihm gegenüber
verspüren würde. Ich hatte mit Frust und Ohnmachtsgefühlen gerechnet,
aber dass meine Abscheu so schnell wieder hochkochte, überraschte mich.
Aber manche Gefühle verflogen wohl nie.

»Ich vertreibe erfolgreich Marketingkonzepte und stehe kurz vor

meinem Durchbruch. Marc’s Entertainment wird dir wahrscheinlich nichts
sagen, aber wenn ich nächste Woche meinen Deal abschließe, werde ich
nie wieder Geldsorgen haben«, erklärte er in schwärmerischem Ton.
Marc’s Entertainment? Er arbeitete mit meiner Firma zusammen? Dann
war es doch Tobi gewesen, den ich heute im Fahrstuhl gesehen hatte.
Gott, wie klein die Welt doch war. Und ungerecht!

»Also, kann ich dich auf einen Drink einladen? Ich bin heute in

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Feierlaune und würde gerne wissen, was du in Berlin so machst«, fragte er
unbeschwert. Sag mal, tickte dieser Mann nicht mehr richtig? Glaubte er
wirklich, dass ich mich mit ihm unterhalten würde, als wäre nichts
geschehen?

»Verpiss dich, Tobi, ich habe dir nichts mehr zu sagen.« Er lachte un-

beeindruckt. »Ach, komm schon, jetzt spiel doch nicht die
Eingeschnappte. Das ist wie viele Jahre her? Vier?«

»Fünf«, korrigierte ich ihn und exte mein Glas. Das musste ich mir

nicht länger antun. Ich würde Lisa Bescheid sagen und nach Hause gehen.
Doch als ich mich erhob und davonmachen wollte, legte sich eine
stählerne Hand um meinen Oberarm.

»Nicht so hastig, wo wir uns doch gerade erst wiedergefunden haben.

Außerdem wäre es wirklich schade, wenn du jetzt gehst«, sagte er und ließ
seinen Blick ungeniert über meinen Körper wandern. War er betrunken?

»Lass mich los«, verlangte ich und rüttelte an meinem Arm, doch er

verstärkte seinen Griff nur. Gott, so kannte ich ihn ja gar nicht.

»Ich glaube, die Dame wollte gerade gehen«, grollte eine Stimme

hinter mir, und als ich sie erkannte, erwachten die altbekannten Schmet-
terlinge in meinem Bauch zum Leben. Als hätten sie nur darauf gewartet,
wieder aufgescheucht zu werden. »Luca«, sagte ich überrascht und drehte
mich zu ihm um.

»Kennst du den Typen?«, fragte Tobi und ließ mich los.
»Allerdings«, knurrte Luca und trat neben mich. Er und Tobi waren

gleich groß, doch im Kampf würde ich Luca den klaren Vorteil geben.
Einfach, weil ich wusste, wie die beiden gebaut waren und wer von ihnen
mehr trainierte. Tobi sah zu mir und fragte:

»Ist das etwa dein Freund?« Nein, nein auf keinen Fall, wollte ich

sagen, doch stattdessen antwortete Luca für mich.

»Das bin ich und jetzt zieh Leine«, sagte er, und ich konnte nur

sprachlos zu ihm aufschauen. Wie konnte er es wagen, sich als mein Fre-
und auszugeben? Tobi schnaubte abfällig.

»Na, wenn du meinst. Sie ist es sowieso nicht wert«, sagte er und

wandte sich ab. Luca hob die Brauen und fragte mich: »Kennst du diesen
Typen?«

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»Habe ich ihn dir noch nicht vorgestellt? Das ist Tobi, mein Exfre-

und«, machte ich die beiden miteinander bekannt. Noch beschissener kon-
nte der Abend sowieso nicht mehr laufen, oder? Die Männer, die mich be-
logen und gedemütigt hatten, trafen sich nun auf ein Schwätzchen. Sie
sollten sich verbrüdern und zusammen einen trinken! Lucas Augen
weiteten sich.

»Der Exfreund?«, hakte er nach, und ich nickte.
»Eigentlich mache ich so was nicht, aber in diesem Fall kann ich

leider nicht widerstehen«, sagte er, tippte Tobi auf die Schulter und schlug
ihm ins Gesicht, als sich dieser umdrehte.

***

»Ich bin deinem Vater zwar etwas schuldig, aber sieh zu, dass das nicht
noch mal vorkommt«, sagte der Polizist und drückte Luca einen Zettel in
die Hand.

»Um ein Bußgeld wirst du trotzdem nicht herumkommen«, fügte er

hinzu, richtete seinen Gürtel und stieg in den Polizeiwagen. Tobi war vor
etwa zwanzig Minuten mit einer gebrochenen Nase ins Krankenhaus ein-
geliefert worden und hatte dabei gejammert wie ein kleines Kind. Ich
blieb mit Luca vor der Bar stehen, die Menschenmenge verlief sich all-
mählich, und als er mich nun ansah, konnte ich nicht anders, als schaden-
froh zu grinsen. Ich war mit Luca fertig, aber Tobis Nasenbruch war es
trotzdem wert gewesen.

»Danke, dass du ihm eine verpasst hast. Ich hätte es selbst getan,

wenn ich stärker wäre«, sagte ich und erlaubte mir noch ein letztes
Grinsen, dann wurde ich ernst.

»Aber das ändert nichts daran, dass du ein Arsch bist«, sagte ich und

wollte mich davonmachen. Da sagte er: »Ich weiß selbst nicht, warum ich
nicht früher darauf gekommen bin, denn natürlich konnte dir diese
Geschichte nur einer aufgetischt haben, aber ich habe meinen Vater
gestern zur Rede gestellt. Ich habe die ganze Zeit gegrübelt, wie du auf
den Unsinn mit den Duplikaten gekommen bist, und dann ist es mir

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eingeleuchtet.«

»Freut mich für dich«, sagte ich und machte einen Schritt vorwärts,

doch er hielt mich auf.

»Sophia, mein Vater hat gelogen. Es gibt gar keine Duplikate von der

Kette«, sagte er und stellte sich vor mich.

»Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen, Luca? Such dir eine

andere zum Spielen, ich bin raus«, gab ich zurück und schob ihn zur Seite.
Oder versuchte es zumindest, denn er bewegte sich nicht vom Fleck.

»Ich werde dich nicht noch einmal gehen lassen. Nicht, bevor du mir

nicht zugehört hast«, meinte er und schaute mit ernster Miene auf mich
herab. Ich sah mich auf der Straße um, die noch gut belebt war.

»Ich werde schreien«, drohte ich ihm an.
»Und dann wanderst du wirklich in den Knast.«
»Nein, wirst du nicht, denn ich tue dir nichts. Ich will nur endlich,

dass du mir zuhörst und es mich erklären lässt.« Seufzend rieb ich mir den
Nacken und setzte mich auf einen nahegelegenen, großen Stein. Ich hatte
heute schon so viel Mist durchgemacht, da kam es auf weitere Minuten
auch nicht mehr an. Ich war erschöpft und müde, müde, mir seine Lügen
anzuhören, und wenn ich dadurch nur bald ins Bett kam, würde ich mir
das hier eben auch noch antun.

»Du hast fünf Minuten«, sagte ich und schaute demonstrativ auf

meine Uhr.

»So viele werde ich nicht brauchen, denn im Grunde genommen ist

alles ein ziemlicher Irrtum, und mein Vater hat seinen nötigen Senf
dazugegeben.« Ich sah streng zu ihm auf.

»Fängst du heute noch an oder willst du nur faseln?« Da lachte er, und

obwohl es das nicht sein sollte, versursachte mir der Klang seiner Stimme
eine Gänsehaut.

»Du bist süß, wenn du sauer bist, weißt du das? Vielleicht sollte ich

das noch ein bisschen auskosten«, überlegte er amüsiert.

»Okay, das reicht!«, stieß ich hervor und sprang auf, doch da zog er

mich blitzschnell in seine Arme und hielt mich fest an sich gedrückt. Be-
vor ich auch nur empört nach Luft schnappen konnte, erklärte er: »Du bist
die erste Frau, der ich die Kette meiner Mutter geschenkt habe.« Ich

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schnaubte und versuchte, mich zu befreien.

»Das ist schwer zu glauben, wenn …«, begann ich, doch er fiel mir ins

Wort.

»Und was du da auf dem Magazin gesehen hast, war tatsächlich eine

Nachbildung, aber keine, die ich veranlasst habe. Kurz, bevor ich mich
von Alexandra getrennt habe, hat sie die Kette in meinem Zimmer gese-
hen und wollte sie für ein Fotoshooting haben. Ich erklärte ihr, dass es ein
Erbstück meiner Mutter sei und ich sie ihr nicht geben würde, und das
brachte das Fass unserer ohnehin oberflächlichen Beziehung endgültig
zum Überlaufen. Später habe ich dann gesehen, dass sie die Kette einfach
mitgenommen hat und entweder hat sie ein Foto davon gemacht, um sie
nachbilden zu lassen, oder sie ist damit direkt zum Juwelier gegangen,
diese Verrückte. Jedenfalls hat sie eine unerlaubte Imitation davon
machen lassen, bevor ich die Kette zurückholen konnte.«

»Aha, und das soll ich dir glauben?«, fragte ich und lehnte mich

zurück, um ihn anzusehen.

»Du kannst meinen Vater fragen, er wird es dir bestätigen, oder Alex-

andra selbst. Immerhin könnte ich sie dafür anzeigen.«

»Und warum, in Gottes Namen, sollte ich ihr glauben oder deinem

Vater trauen? Wer sagt mir, dass ihr nicht unter einer Decke steckt?«,
fragte ich mit gespaltenen Gefühlen. Hatte ich nicht vor einer halben
Stunde selbst an Herrn Marcs Worten gezweifelt?

»Weil er nicht sehr viel von der Vorstellung hält, dich als Schwieger-

tochter zu haben, aber das weißt du selbst. Glaub mir, er würde nicht für
mich lügen, damit ich dich zurückbekomme. Was er aber tut, ist, sich bei
dir zu entschuldigen, denn ich habe ihm gedroht, nie wieder ein Wort mit
ihm zu sprechen, wenn er die Lüge nicht aufdeckt.« Ich sah zu ihm auf
und schaute in absolut ehrliche Augen. Konnte das wirklich wahr sein?

»Warum hat er das getan?«, wollte ich wissen.
»Weil er begriffen hat, dass ich es ernst mit dir meine. Er ist total aus-

geflippt, als ich ihm gesagt habe, dass ich lieber mit dir in den Zoo gehe,
als seine ach so geliebten Meetings zu besuchen, und als er die Kette an
deinem Hals gesehen hat, ist es wohl mit ihm durchgegangen. Nichts, aber
auch gar nichts, geht für meinen Vater über die Firma und der Gedanke,

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mich an dich zu verlieren, war wohl nicht tragbar für ihn.«

»Dann liebt er dich wohl doch mehr, als er zugeben will«, schlussfol-

gerte ich, doch Luca lachte bitter.

»Nein, er denkt dabei bloß an seine Firma, denn er will die Führung

keinem Fremden überlassen. Das hat nichts mit Liebe, sondern mit Eigen-
nutz zu tun.« Ich machte mich von ihm los und trat einen Schritt zurück,
und diesmal ließ er es geschehen. Ich brauchte einfach Platz zum Atmen,
zum Denken. Konnte ich ihm wirklich glauben? War das alles nur ein
riesiges Missverständnis? Ich wollte es glauben, wollte nichts sehnlicher,
als in seine Arme zu fallen, aber da klopfte wieder das altbekannte Mis-
strauen an.

»Sophia, das ist die Wahrheit, und ich will keine andere außer dir«,

sagte er auf mein Zögern hin. Ich biss mir auf die Unterlippe.

»Warum überhaupt ich? Was willst du von mir?« Ich erinnerte mich,

die Frage schon einmal gestellt zu haben, doch ich wollte jetzt keine
schmeichelnde Antwort hören, ich wollte die Wahrheit, etwas, das ich ihm
glauben konnte.

»Weil du in meinen Augen sehr faszinierend bist. Mein ganzes Leben

lang habe ich perfekte Frauen vorgelegt bekommen, die aus gutem Hause
kamen und erfolgreich waren …«

»Und ich bin das alles nicht«, murmelte ich. Er nickte.
»Stimmt, und deshalb bist du so viel mehr. Du hast Persönlichkeit,

einen mehr als eigensinnigen Kopf und du bist witzig, all das, was die an-
deren nie sein werden. Sie sind perfekt, aber auf eine kalte und starre Art.
Du dagegen hast deine Ecken und Kanten und genau das fasziniert mich
so an dir. Gerade das macht dich perfekt, Sophia. Wenn du mich ansiehst
und rot wirst, wenn du über meine kläglichen Annäherungen lächelst,
dann tust du es wegen mir, nicht, weil ich ein erfolgreicher Geschäfts-
mann bin, nicht, weil ich bekannt bin, sondern allein meinetwegen. Weißt
du, wie lange ich schon nach einer Frau wie dir suche? Und dann sind da
unsere Eltern, die uns unser Leben lang bevormunden wollen und in
Schubladen zu stecken versuchen. Du verstehst mich, Sophia, du weißt,
wie es ist, nicht von seinen Eltern loszukommen, weil du dasselbe
durchgemacht hast wie ich. Ist das etwa nichts? Sieh mich an«, bat er und

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hob mein Kinn an.

»Ich liebe dich, verdammt noch mal, und ich lasse nicht zu, dass mir

mein Vater das zerstört. Lieber lebe ich mit dir als mit einer million-
enschweren Firma im Rücken. Marcs Entertainment bedeutete mir gar
nichts. Du hingegen …«, sagte er und zog mich zu sich heran.

»... bist alles für mich.« Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust und

spürte die Tränen laufen. Nur weswegen weinte ich? Vor Glück? Reue? Er
bemerkte mein Schluchzen und hielt mich von sich weg, um mich zu
betrachten.

»Sind das jetzt Freudentränen, oder ...?«, fragte er halb besorgt und

belustigt zugleich. »Tut mir leid«, sagte ich und wischte meine Tränen
weg,

»Ich weiß nur nicht, was ich sagen soll.«
»Du brauchst nichts sagen«, meinte er und zog mich wieder an seine

Brust. Und es gab auch nichts mehr zu sagen, denn mich von ihm halten
zu lassen und ihn fest an mich zu drücken, war alles, was er als Antwort
brauchte. Und ich brauchte ihn, so sehr ich mir in den letzten Tagen auch
das Gegenteil einzureden versucht hatte. Und wenn ich ehrlich war,
glaubte ich schon seit einer halben Stunde nicht mehr, dass er schuldig
war. Seine Reaktion, als ich ihm die Kette vor die Füße gefeuert hatte.
Kein Mensch konnte das spielen.

»Oh Gott, die Kette!«, rief ich daraufhin und schaute zu ihm auf.
»Sie war wirklich ein Erbstück deiner Mutter, und ich … habe sie auf

den Boden geworfen und … Gott, es tut mir so leid, Luca«, stammelte ich
und spürte wieder neue Tränen hochkommen. Warum konnte ich nicht
aufhören zu flennen, verdammt?

»Schon gut, mach dir darüber keine Gedanken. Ich habe sie noch am

selben Tag reparieren lassen, als du gekündigt hast, und ich habe mir
geschworen, alles dafür zu tun, dass du sie trägst«, sagte er, ließ mich los
und holte sie aus der Innentasche seiner Jacke hervor.

»Sie konnte zwar nicht vollkommen wiederhergestellt werden«,

erklärte er und deutete auf die abgeplatzte Seite des Steins.

»… aber sie ist zumindest wieder tragbar.«
»Das kann ich nie wieder gutmachen«, murmelte ich verschnupft und

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voller Reue. »Kannst du, indem du sie jeden Tag trägst«, antwortete er
und legte sie mir um. Ich versuchte, es zu verhindern, aber neue Tränen
kullerten über meine Wangen. Das war zum Verrücktwerden!

»Eine Frage habe ich noch: Woher wusstest du, dass ich heute hier

bin?«, fragte ich und wischte sie weg.

»Du hast es mir gesagt, schon vergessen? Du meintest, du gehst mit

deiner Freundin in eine Cocktailbar, und weil du schon öfter hier warst,
hatte ich gehofft, dich hier zu finden.« Er zog mich wieder in seine Arme,
bettete mein Gesicht an seine Brust und legte sein Kinn auf meinen Kopf.
Es fühlte sich so gut an, von ihm gehalten zu werden. Als könnte er mich
vor allem und jedem beschützen, und ich wusste, dass es so sein würde,
dass ich in ihm den Richtigen gefunden hatte. Die letzten fünf Jahre hatte
ich damit verbracht, mich allen Männern zu verschließen, mir Dates zu
versagen und hinter jedem freundlichen Blick schlechte Absichten zu ver-
muten. Weil ich im Inneren zutiefst verletzt gewesen war und mir nicht
vorstellen konnte, mein Herz jemals wieder zu verschenken. Doch genau
das hatte ich getan, schon während der Zugfahrt. Denn ich war Luca
begegnet, einem Mann, der all das verkörpert hatte, das ich so verabsch-
eute, und doch war er anders gewesen. Ich meine, wir hatten uns gefetzt,
was das Zeug hält, hatten uns gegenseitig beleidigt und aufgezogen. Wir
hatten jede erdenkliche Gemeinheit von uns gegeben, die auch nur die
Vorstellung einer Beziehung lächerlich gemacht hatte.

Ich hatte all meinen Frust an Luca ausgelassen, doch eben aus dieser

Abneigung hatte sich Liebe entwickelt. Er hatte mich hinter seine Fassade
blicken lassen, hatte mich sehen lassen, was für ein wundervoller Mensch
er war, und er hatte es geschafft, meine Mauer zu durchbrechen, und das
kleine, verletzbare Mädchen in mir hervor zu holen, dass tief in mir
geschlummert hatte und das immer noch auf der Suche nach der großen
Liebe war. Ich hatte sie gefunden, aber auch noch mehr, denn wir waren
durch unsere Eltern, mit denen wir unser restliches Leben klarkommen
mussten, verbunden. Doch das erste Mal in meinem Leben hatte ich keine
Angst davor, weil ich wusste, dass es ihm genauso erging.

Wir waren beide in diesen Zug gestiegen, um vor etwas zu fliehen,

doch jetzt begriff ich, dass wir nur uns selbst gesucht hatten und dass wir

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einander gebraucht hatten, um uns von unseren Fesseln zu befreien. Indem
ich in den Zug gestiegen war, hatte ich mein vorheriges Leben hinter mir
gelassen, aber mein altes Ich wiedererlangt. Denn manchmal muss man
erst vorwärtsgehen, um zu sich selbst zurückzufinden. Das wusste ich
jetzt.

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Epilog

Lucas Vater entschuldigte sich bei mir und deckte die Falschheit seiner
Worte auf, wobei er keinen allzu reumütigen Eindruck machte, aber das
machte nichts. Die Hauptsache war, dass unser Missverständnis ein für
alle Mal ausgeräumt war, und außerdem kannte ich diese Sturheit nur
allzu gut von meiner Mutter. Vielleicht sollten wir die beiden miteinander
bekannt machen, denn Herr Marcs war eigennützig, erfolgreich und ziel-
strebig, also all das, was meine Mutter immer gesucht hatte.

Er war nicht gerade glücklich, als Luca ihm erklärte, Marcs Entertain-

ment den Rücken zu kehren zu wollen und die Firma nicht zu übernehmen
– ich dafür umso mehr. Man musste Luca aber zugutehalten, dass er sein-
en Vater nicht ins kalte Wasser schmiss, sondern anbot, so lange zu
bleiben, bis er einen geeigneten Ersatz gefunden hatte. Ich persönlich
würde ja Mike empfehlen, denn er brachte die nötigen Qualifikationen mit
und würde der Firma mindestens ein so guter Chef sein, wie Luca es
gewesen war. Wir beschlossen, einen langen Urlaub zu machen, um un-
sere Zweisamkeit und Unabhängigkeit zu feiern, doch zuvor gab es noch
etwas zu erledigen: »Ich muss sagen, Ihr Konzept hat uns voll und ganz
überzeugt, und ich freue mich schon darauf, mit Ihnen zusammen-
zuarbeiten«, sagte Mike und reichte Tobi den Vertrag.

»Mit diesen Papieren händige ich Ihnen einen Zwei-Jahres-Vertrag

aus sowieso die vereinbarte Million. Außerdem wird Ihnen unsere
Zusammenarbeit die Türen zu sämtlichen Ebenen öffnen. Wenn Ihnen
Herr Marcs eine Empfehlung ausspricht, haben Sie es geschafft, Herr
Müller, dann können Sie zu den ganz Großen aufsteigen«, säuselte Mike
überzeugend. Ich konnte Tobis Gesicht nicht sehen, denn ich stand mich
im Nebenraum und versteckte mich hinter der offen stehenden Tür, aber
ich konnte die Eurozeichen förmlich in seinen Augen glitzern sehen.
Dieser geldgeile Sack! Etwas anderes hatte ihn nie interessiert.

»Bitte unterschreiben Sie hier«, bat Mike, und ich hörte, wie ein Stift

über Papier kratzte.

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»Gut, Sie haben es fast geschafft. Bevor wir fortfahren, möchte ich

aber noch den Segen unserer Juniorchefin einholen. Sie wird den Vertrag
gegenzeichnen«, sagte er. Das war mein Zeichen. Ich strich meinen Rock
glatt, trat aus dem Raum und schaute mit ungeheurer Befriedigung in
Tobis ungläubiges Gesicht.

»So…Sophia?«, fragte er und ließ sich schockiert zurückfallen.
»Hallo, Tobi, du hast dich geirrt, Marcs Entertainment sagt mir wohl

etwas. Wie geht es deiner Nase?«, fragte ich und setzte mich an den
Schreibtisch. Sie sah immer noch geschwollen und rötlich aus, denn es
war gerade mal eine Woche her, dass Luca sie ihm gebrochen hatte. Un-
willkürlich betastete er sie, und als Luca höchstpersönlich in den Raum
trat, sprang er von seinem Stuhl auf.

»Du!«, knurrte er und wich vor ihm zurück.
»Oh, habe ich vergessen, euch einander vorzustellen?«, fragte ich mit

einem zuckersüßen Lächeln.

»Das ist Luca, Juniorchef von Marcs Entertainment und mein Freund.

Und, ich glaube, das hier«, sagte ich und nahm den Vertrag an mich,
»brauchst du jetzt nicht mehr.« Ich riss das Papier einmal in der Mitte
durch, zerknüllte es und warf es in den Papierkorb.

»Genaugenommen solltest du dir gleich Gedanken über eine neue

Berufung machen, denn hier in Berlin wirst du keine Firma mehr finden,
die deine Projekte übernimmt«, sprach Luca für mich weiter.

»So wie mein Vater dir Empfehlungen aussprechen kann, so kann er

dich auch auf die schwarze Liste setzen. Ich schlage also vor, du ziehst in
eine andere Stadt und versuchst dort dein Glück.« Tobi sah aus, als würde
er gleich anfangen zu weinen. Gott, was für ein Weichei er doch war.
Dabei hatte ich ihn früher immer für einen Mann gehalten und zu ihm
aufgesehen. Jetzt gerade kam er mir allerdings ziemlich armselig vor.

»Damit werdet ihr nicht durchkommen. Ich will diesen Vertrag, sonst

werde ich euch verklagen«, stieß er wütend hervor, doch ich nahm auch
das Zittern in seiner Stimme wahr. Er würde gar nichts tun. Gegen Marcs
Entertainment hatte er keine Chance!

»Nur zu, versuch dein Glück«, sagte ich und erhob mich nun

ebenfalls.

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»Als du mich verlassen hast, hast du mich einen Niemand genannt,

Tobi, und lange Zeit habe ich das auch geglaubt, aber jetzt bist du
derjenige, der ein Nichts ist. Und weißt du warum? Weil jeder am Ende
das bekommt, was er verdient.« Er spuckte mir symbolisch vor die Füße,
knurrte etwas in sich hinein und knallte die Tür hinter sich zu, als er den
Raum verließ. Mike klopfte mir auf die Schulter und verließ dann eben-
falls das Büro.

»Soll ich ihm das Leben zur Hölle machen?«, fragte Luca und kam zu

mir, doch ich schüttelte den Kopf.

»Nein, ich brauche keine Rache, und dein Vater braucht ihn auch

nicht auf die schwarze Liste zu setzen. Ich habe meine Genugtuung
bekommen, und er wäre den Aufwand wirklich nicht wert. Ich glaube, er
wird auch so schon genug daran zu knabbern haben«, sagte ich grinsend
und ließ mich von ihm küssen. Wohin uns die Reise führen wird? Keine
Ahnung, aber ich freue mich darauf, es mit Luca herauszufinden.

***Ende***

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Weitere Romane von Miranda:

Love and Fire - Eric

Die neunzehnjährige Mary ist auf dem Weg zu ihrer großen Schwester
Emma, als ihr Zug auf halber Strecke stehen bleibt und sie notgedrungen
in einem Gasthaus übernachten muss. Dort angefallen, wird sie in letzter
Sekunde von dem unverschämten aber gutaussehenden Eric gerettet, doch
dieser nutzt die Gelegenheit prompt für eine Erpressung aus. Während sie
sich also gezwungenermaßen mit ihm zusammentun muss, entwickelt sie
widersprüchliche Gefühle für ihn, doch Eric scheint etwas zu verbergen

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und schon bald müssen beide erfahren, dass sie enger miteinander ver-
bunden sind, als ihnen lieb ist.

Eine witzige und prickelnde Liebesgeschichte.

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Zuchersüßes Chaos Teil 1

Claire und Jason sind endlich zusammen und alles könnte schön sein,
würde Jason sich nicht plötzlich so sonderbar verhalten. Als sie ihn immer
wieder mit derselben Frau zusammen sieht, packt Claire die Eifersucht,
doch was ist in ihn gefahren, dass er auf einmal ihre Beziehung aufs Spiel
setzt? Jason muss sich bald entscheiden, was ihm wichtiger ist und als ob
Claire nicht schon genug Probleme hat, muss sie sich auch noch mit
Taylors verkorksten Exfreundin herumschlagen, die ihn in einen Dro-
gensumpf zu ziehen versucht.

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