SPIEGEL ONLINE - 12. November 2004, 12:12
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,327534,00.html
Kampf ums Öl
Warum China am Arabischen Meer einen
Hafen baut
Von Joachim Hoelzgen
Mit gigantischen Aufwand baut China in Pakistan einen Hafen für
Containerschiffe und Öltanker. Das Projekt soll Chinas westliche Regionen ins
Industriezeitalter katapultieren. Nebenbei erhält die aufstrebende Weltmacht
damit eine strategisch interessante Basis am Arabischen Meer. Und Pakistan
freut sich auf millionenschwere Transiteinnahmen.
AFP
Bau eines Hafens: In
Gwadar entsteht ein
chinesisches Mammutprojekt
Die Fischer von Gwadar führten bisher ein karges,
isoliertes Leben, für das sich kaum jemand interessierte.
Es gab keine Straße, die zu der Halbinsel an der Küste von
Belutschistan hinführte. Meist legten nur arabische
Schnellsegler aus Holz dort an - mit Autoreifen und
Kühlschränken als Fracht, die für das riesenhafte
Hinterland Belutschistans bestimmt war.
Im Gegenzug nahmen die schnittigen Schiffe den frischen
Fang der Fischer mit an Bord: Hummer, Krabben und
Riesengarnelen - und manchmal auch einen besonderen
Stoff: Haschisch in großen Baumwollsäcken, die von Kamelkarawanen durch die
Wüsten von Belutschistan nach Gwadar befördert wurden.
Mit der Abgeschiedenheit des Fischerdorfs, das sich in einer Bucht am Rand eines
Tafelbergs befindet, ist es jedoch bald vorbei: Vom 460 Kilometer entfernten Karatschi
ist ein Highway am Arabischen Meer entlang zur Halbinsel von Gwadar gebaut worden.
Und hohe Besucher werden dort im Januar zu einer Zeremonie erwartet, die das
Fischerdorf jäh ins 21. Jahrhundert katapultieren soll.
Pervez Musharraf wird nach Gwadar kommen, der Militärpräsident Pakistans, von dem
wiederum Belutschistan mit 347.188 Quadratkilometern die größte Provinz bildet. Die
Fläche des wilden Belutschistan, das zur Hauptsache aus fast menschenleeren Wüsten
besteht, entspricht damit fast derjenigen Deutschlands (357.027 Quadratkilometer).
Wälder von Bambusgerüsten und Gebirge von Baustahl
Begleitet wird Musharraf wiederum von keinem Geringeren als Wen Jiabao, dem
Premierminister Chinas. Am Ostufer der Halbinsel will der Gast aus Peking einen neuen
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Hafen inspizieren und eröffnen, erbaut unter der Anleitung
von 500 chinesischen Technikern und Ingenieuren. Das
Tempo des Hafenbaus verlief nach chinesischem Muster
gleichsam auf der Überholspur - als Sturzprogramm, das
gerade Mal im März 2002 begann.
AP
Gwadar, März 2002:
Präsident Musharraf und Wu
Bangguo, stellvertretender
chinesischer Regierungschef,
sprechen ein Gebet nach dem
ersten Spatenstich
So sehr lag den Chinesen an
einem raschen Gelingen des
Projekts, dass der Hafen drei
Monate früher als geplant den
Betrieb aufnimmt. Ganze
Wälder von Bambusgerüsten
sind inzwischen abgebaut, die eine Flotte von
Küstenfrachtern nach Gwadar brachte, zusammen mit
Gebirgen von Baustahl, 200 Bulldozern und kolossalen
Mengen von Zement.
Das aber war nur die erste Bau-Etappe, die drei Piers mit
einer Länge von je 602 Metern umfasst. Ein zweiter,
ungleich größerer Abschnitt sieht neun Anlegeplätze vor,
darunter ein Container-Terminal. Richtig geklotzt aber wird mit zwei Terminals für
Öltanker, Tankfarmen und dazu einer Raffinerie, die mit den Terminals durch eine
unterirdische Pipeline verbunden werden soll. Bisher hat China in den Hafen nahe der
Grenze zum Iran 198 Millionen US-Dollar investiert. Für den weiteren Ausbau ist der
erkleckliche Teil eines Kredits in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar vorgesehen, mit dem
aber auch chinesische Fregatten für die Marine Pakistans beschafft werden sollen.
Arme Kleinwelten aus Lehm
DPA
Die schwarze Gefahr: Im
August 2003 verlor ein
griechischer Tanker Unmengen
Öl und verschmutzte die
Strände Pakistans
All das wird im heißen Belutschistan, in dem nur 6,5
Millionen Menschen leben, kaum dringend gebraucht.
Wasser wäre wichtiger, denn der Grundwasserspiegel sinkt
nach einer langen Dürrezeit bedrohlich ab. Viele Brunnen
sind ausgetrocknet, und Viehsterben ist die Folge. Die weit
zerstreut liegenden Dörfer bilden arme Kleinwelten aus
Lehm - mit Lehmgebäuden, Lehmmauern und Festungen
aus Lehm. Aufsässige Stammesführer bestimmen hier den
Gang der Dinge: Nawab (Fürsten), Sardar (Gebieter) und
Tumandar, so genannte Kommandanten, deren Mächtigste
gleich alle Titel tragen.
Und eigentlich war die Küste Belutschistans bis heute nur
Schrotthändlern bekannt, die sich auf Schiffsstahl
spezialisieren. Denn auf den einst bildschönen
Sandstränden östlich von Gwadar werden seit Jahren rostige Tankerveteranen
angelandet und zerlegt. Die Küste ist dort stellenweise schwarz wegen des Bunkeröls
der Wracks. Feuer und Explosionen sind auf den Verschrottungsplätzen alltägliche
Ereignisse. Asbest liegt umher; giftiges Ballastwasser verseucht den Sand. Zuletzt hat
man in dem militärischen Sperrgebiet die "Sea Giant" abgewrackt, einen 555.051-
Tonnen-Tanker.
AFP
Die Bucht von Gwadar:
Eine Goldküste wie in Dubai?
Bei Gwadar wiederum soll obendrein auch eine neue Stadt
entstehen, inklusive eines Flughafens, einer
Meerwasserentsalzungsanlage und mehrere Fünf-Sterne-
Hotels, verspricht eine Gwadar-Entwicklungsbehörde
anhand eines Master-Plans. Auch ein Golfplatz "von
Weltformat" sei vorgesehen, und überhaupt werde die
künftige "Mega-City" in wenigen Jahren bereits halb so
groß sein wie die Hauptstadt Islamabad. Reiche
pakistanische Familien vertrauen solchen Sprüchen und
kaufen im rückständigen Gwadar, wo Trinkwasser am Tag
nur eine Stunde fließt, Grund und Boden unbesehen.
Beamte mit "Scheuklappen wie Maulesel"
Die Idee eines Booms mit Touristenstädten, Jachthäfen und Themenparks
ausgerechnet in Belutschistan beflügelt auch Ikram Sehgal, den Herausgeber der
angesehenen Zeitung "The Nation". Pakistan besitze dort eine "Goldküste" wie jene
von Dubai am Persischen Golf, fabuliert Sehgal. Nur Regierungsbeamte "mit den
Scheuklappen von Mauleseln" hätten in der Vergangenheit das Potenzial dort
übersehen.
In Wirklichkeit verdecken Vergleiche mit Dubai und enthusiastische Vorstellungen von
einem Club Mediterannée im Sand Belutschistans handfeste politische und strategische
Interessen. Denn Gwadar ist vor allem für China verlockend, das sich mit dem Hafen
eine Großtankstelle nahe zu den Öl-Ländern am Golf und erstmals auch ein Macht-
Bollwerk am Arabischen Meer geschaffen hat.
AP
Schrott-Tanker an der
pakistanischen Küste: Viel
Arbeit für die Händler
"Damit verfügt China künftig über einen Ankerplatz, der
seinen Ölfluss aus dem Golf absichert", sagt etwa Ashley
Tellis, Südasien-Experte bei der Carnegie-Stiftung in
Washington. Gwadar eröffnet aber auch den kürzesten
Weg in die endlos anmutende Westregion Xinjiang, die
Peking mit einem neuen Großen Sprung in ein
Industriezentrum verwandeln will: Nur so lassen sich seine
hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten beibehalten.
Ausweichen vor der energiehungrigen USA
Ein Hafen am Arabischen Meer ist aber auch weit genug
vom politisch labilen Golf entfernt, der traditionell eine amerikanische Einflusssphäre
darstellt: China verringert mit dem Außenposten in Belutschistan die Gefahr eines
Zusammenstoßes mit den nicht minder energiehungrigen USA - und hat von Gwadar
aus gleichwohl den Blick auf die Straße von Hormus, das neuralgische Tanker-Nadelöhr
an der Einfahrt zu dem Krisenmeer.
Mit mehr als elf Prozent seiner gesamten Importmenge an Öl ist beispielsweise der
Oman zu einem Hauptlieferanten Chinas aufgestiegen. Das Sultanat aber verlädt sein
Öl praktischerweise an der Küste zum Arabischen Meer und meidet so die Straße von
Hormus, in der während des Kriegs zwischen dem Irak und Iran beide Seiten Jagd auf
Tanker machten.
AFP
Hochbetrieb im Hafen
Gwadar: Typisch chinesisches
Sturzprogramm
Gwadar bietet China auch die Möglichkeit, an die neuen
Ölstaaten Afrikas andocken zu können. Peking hat
Lieferabkommen mit aufstrebenden Öl-Ländern wie
Äquatorialguinea, Kamerun, Gabun und Angola
abgeschlossen - und es bedient sich seit längerem im
Sudan. Dessen Verladeplatz befindet sich mit dem Ölhafen
Port Sudan am Roten Meer und damit gleichfalls in sicherer
Distanz zum Persischen Golf, dem Kriegslärm im Irak und
Saudi-Arabiens, eines unsicher werdenden Lieferanten.
Allwetter-Freundschaft mit Pakistan
Von Port Sudan aus ist Gwadar hingegen leicht erreichbar - wie in einem Puzzle, das
die Strategie Pekings abbildet. Chinesische Arbeiter verlegten auch schon die Pipeline
vom Ölgebiet des Weißen Nil nach Port Sudan, und aktuell betrachtet China die
Konflikte in den Krisenregionen des Sudan nur als lästige Verirrung. Als im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Sanktionen gegen den Sudan beschlossen
werden sollten, drohte Peking zunächst mit einem Veto und enthielt sich am Ende der
Stimme - zusammen sinnigerweise mit Pakistan und dem Öl-Land Algerien, das Chinas
Staatschef Hu Jintao Anfang dieses Jahres besuchte.
AP
Allwetter-Freunde
Musharraf und Wu: Pakistan
rechnet mit Transit-Millionen
Selbst die Tanker-Piers des Tiefwasserhafens von Gwadar
sind auf die Absicht Pekings zugeschnitten, sich vom Golf
so weit wie möglich abzukoppeln. Die Anlegeplätze sind
nämlich nicht auf ultragroße Tanker, sondern auf Schiffe
bis zu 200.000 Tonnen ausgelegt, die auch in den
kleineren Ölstaaten beladbar sind.
Peking sieht sich nun auch für die zwischen beiden Ländern
oft beschworene Allwetter-Freundschaft mit Pakistan
belohnt, die in den sechziger Jahren eingeleitet wurde.
Pakistan hatte damals aus freien Stücken Gebirgstäler
nördlich des Achttausenders K 2 an China abgetreten, was
dessen Ministerpräsident Zhou Enlai mit dem Bau des Karakorum Highway belohnte,
der sich von der Grenze bis in die Nähe von Islamabad erstreckt. Die Highway-
Böschung stellt zugleich eine fast perfekte Pipeline-Piste dar, vorbei am Fuß des
Berggiganten Rakaposhi (7788 Meter) und hinauf zum berühmten Khunjerab-
Grenzpass. Von dort ginge es mühelos hinunter in die ehemalige Basarstadt Kaschgar
in Xinjiang, die heute eine Industriezentrale ist und mit ihren Hochhäusern wie
Shenzhen und Shanghai aussieht.
Einnahmen von Hunderten Millionen Dollar
AFP
Schweigeminute im Mai
2004: Nach einem
Bombenanschlag in Gwadar
ruht die Arbeit
Dank Gwadar hat China erreicht, was einst der
sowjetischen Parteiführung in Moskau vorschwebte: der
Besitz eines Warmwasserhafens am strategisch wichtigen
Arabischen Meer. Die Idee reichte bis in die Zarenzeit
zurück, endete aber mit der Invasion Afghanistans und
damit einer Katastrophe, die noch heute nachwirkt. Auch
die Taliban waren mit dem Projekt einer Gaspipeline nach
Gwadar gescheitert: Als die damalige US-Außenministerin
Madeleine Albright den sinistren Charakter der
selbsternannten Gotteskrieger erkannte, untersagte sie
dem kalifornischen Konzern Unocal, das Vorhaben zu
realisieren.
Nun verspricht sich die Regierung in Islamabad von einer Pipeline nach Xinjiang
Transiteinnahmen im Wert von Hunderten von Millionen Dollar. Und auch der Bau einer
Gaspipeline wird wieder erwogen - jedenfalls vom pakistanischen Premierminister
Shaukat Aziz. Der hatte Anfang Oktober in Duschanbe, der Hauptstadt des nördlichen
Nachbarn Tadschikistan, den Bau einer solchen Verbindung vorgeschlagen - mit einer
Stichleitung durch den schmalen Wakhan-Korridor im äußersten Nordosten von
Afghanistan.
AFP
Kamelmarkt in Karatschi:
Ware aus dem mittelalterlichen
Hinterland
Das größte Problem ist freilich das mittelalterliche Wüsten-
Hinterland Belutschistans. Die dortigen Fürsten und
Gebieter fürchten eine Modernisierung: Das neue Gwadar
könnte ihrer Machtfülle den Garaus machen und Fremde in
die Provinz locken. Anschläge auf Strommasten und
Transformatoren-Stationen geschehen deshalb immer öfter
- und desgleichen Angriffe auf Pipelines, die schon verlegt
worden sind. Denn auch Belutschistan besitzt große
Rohstofflager, unter ihnen Kupfererz, Silber und einen Hort
von 765 Milliarden Kubikmeter Erdgas.
Im Mai kamen drei chinesische Ingenieure durch eine
Autobombe ums Leben, als sie nach Gwadar zur Arbeit fuhren. Die Bombe explodierte
auf dem Stammesgebiet der Baluch, die von Anfang gegen den Bau eines Hafens
waren. Um die Baluch zu beschwichtigen, sind im Master-Plan auch Schulen und ein
Hospital erwähnt. Und dazu ein Luxus der besonderen Art: der Bau einer Eisfabrik.
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