Lea T. Earl
Remus - Urban Warriors
Remus – Urban Warriors
Text: © Lea T. Earl 2014
www.leatearl.wordpress.com
Deutsche Erstausgabe September 2014
Cover: © Lea T. Earl
unter Verwendung folgenden Motivs:
Paar: © Artem Furman - Fotolia.com
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder
eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher
Genehmigung der Autorin gestattet.
Alle Personen dieses Romans sind frei erfun-
den. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen
Personen sind rein zufällig.
In der Nacht, in der Dr. Melanie Bright einen
Patienten
verliert,
wünscht
sie
sich,
niemals
wieder ins L.A. Memorial zurückkehren zu müssen.
Ihr Wunsch erfüllt sich auf viel schrecklichere
Weise, als sie es sich vorstellen kann: Auf dem
Heimweg wird sie Zeugin eines Deals der Drogen-
mafia, bei dem es um illegalen Medikamentenhandel
geht. Die Dealer haben es daraufhin auf ihr Leben
abgesehen, und nur dem Schutz eines gefährlichen
Fremden verdankt Melanie es, dass sie die Nacht
überlebt. Sie flieht mit ihrem unbekannten Retter
und eine Jagd quer durch den Westen der USA be-
ginnt.
Bald
wird
ihr
jedoch
klar,
dass
ihr
Beschützer der tödlichste Killer von allen ist …
Remus‘
Mission
lautet,
einen
Mafiaboss
zu
beschatten, als eine junge Frau durch Zufall in
einen Drogendeal hineinstolpert. Der Urban Warri-
or Krieger missachtet seine Befehle, bricht die
Beschattungsaktion ab und rettet der Frau das
Leben,
indem
er
die
Auftragskiller
des
Mafi-
abosses
umbringt.
Obwohl
die
junge
Frau
ihn
fürchtet, muss er sie jetzt dazu bringen, ihm ihr
Leben anzuvertrauen …
Thriller Romance – ein erotischer Liebesroman
Inhalt
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Prolog
Remus hat sein Leben riskiert, um mich vor
tödlichen Drogendealern zu beschützen. Aber er
hat noch viel mehr als das für mich getan.
Er hat mir gezeigt, wer ich wirklich bin.
Kapitel 1
Das Blut des Mannes schießt aus seiner Ader
und spritzt mir mitten ins Gesicht.
„Verdammt nochmal!“ Ich habe die Arterie ver-
letzt. „Eine Klemme, schnell!“
Ich greife nach dem Instrument, das mir Sch-
wester Trisha reicht, während ich das Blutgefäß
mit meinen Fingern zusammendrücke. Dann klemme
ich die Ader ab, die Blutung ist gestillt, mein
Assistenzarzt Craig saugt das überschüssige Blut
ab.
Ich wische mir hastig über das Gesicht und
arbeite weiter. Seit sechs Stunden hänge ich über
dem Brustkorb dieses Patienten, setze den dritten
Bypass. Es ist weit nach Mitternacht.
Achtundfünfzig,
Raucher,
Arterienverstopfung,
ein Herzinfarkt. Mr Miller … George, James, ich
weiß es nicht mehr.
Ich spüre meine Beine kaum noch, aber wir
haben
es
fast
geschafft.
Trisha,
meine
unermüdliche OP-Schwester, tupft mir den Schweiß
von der Stirn.
„Sie machen das schon, Doc.“
Es
dauert
eine
gefühlte
Ewigkeit,
bis
der
dritte Bypass gesetzt ist. Dann die Probe … er
ist durchlässig.
Innerlich atme ich ebenso auf wie mein ges-
amtes Team. Ich lehne mich zurück.
„Machen Sie zu, Dr. Sanders.“
Craig übernimmt eifrig. Ich weiß, dass er seit
sechs Stunden die Klemmen gehalten hat, weil er
auf diese Chance gehofft hat. Er ist einer dieser
eingebildeten,
selbstverliebten
Studienabgänger,
die meinen, als Chirurg geboren worden zu sein.
Niemand ist als Chirurg geboren. Es hat mich
acht Jahre harte Arbeit gekostet, um hier zu
stehen.
Aber Craig hat Talent. Eines Tages wird er ein
fähiger Chirurg sein. Ich blicke ihm über die
Schulter, während er den Brustkorb des Patienten
schließt.
Trisha macht einen Scherz, während sie begin-
nt, die Instrumente wegzuräumen, und ich bin in
Gedanken
schon
fast
auf
dem
Heimweg,
als
es
plötzlich geschieht. Kammerflimmern.
Sofort
sind
alle
in
Alarmbereitschaft.
Ich
spritze Mr Miller Adrenalin, Craig tritt bebend
zurück, bevor ich dem Patienten einen Elektros-
chock
verpasse.
Und
noch
einen.
Und
einen
dritten.
„Kommen Sie schon, wir haben nicht sechs Stun-
den hier geschuftet, damit Sie jetzt sterben“,
stoße ich zwischen den Zähnen hervor. Ich schocke
ihn ein letztes Mal.
Nichts.
Das EKG zeigt eine Nulllinie.
Das ist einer dieser Momente, in denen ich es
hasse, Ärztin zu sein. Der OP fühlt sich plötz-
lich nüchtern und leer an. Die Enttäuschung des
ganzen Teams liegt in der Luft, alle sind er-
schöpft und niedergeschlagen.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. „Ster-
bezeitpunkt: 1 Uhr 47.“
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Dr.
Craig
sucht
verunsichert
meinen
Blick.
Seine Coolness bröckelt.
„Herzversagen.“ Ich bemühe mich um einen neut-
ralen
Tonfall.
„Kommt
vor.
Sie
haben
gut
gearbeitet, Dr. Sanders.“
Ich verlasse den OP, um Mr Millers Familie
mitzuteilen, dass ihr geliebter Ehemann und Vater
es nicht geschafft hat. Die Worte kommen ruhig
und beherrscht über meine Lippen, während die
Familie um mich herum zusammenbricht.
So lange ich die kühle Fassade noch aufrech-
thalten kann, drehe ich mich um und gehe. Ich
ziehe
mich
in
einen
der
hinteren
Waschräume
zurück, die selten benutzt werden, und streife
mir die OP-Kleidung vom Körper. Meine Hände zit-
tern.
Meine
Finger
krampfen
sich
um
das
Waschbecken,
ich
beginne
zu
schluchzen.
Ich
möchte
gegen
die
Wand
treten,
um
meine
Wut
rauszulassen, möchte weinen und schreien, doch
ich habe keine Kraft mehr. Eine einzelne Träne
läuft über meine Wange und ich fühle mich, als
müsste ich mich übergeben.
So geht es mir jedes Mal, wenn ich einen Pa-
tienten
verliere.
Dann
schwöre
ich
mir,
nie
wieder in den OP zurückzukehren, und am nächsten
Tag tue ich es doch.
Ich rutsche an der Wand entlang hinunter, bis
ich auf dem kalten Fliesenboden sitze, schlinge
meine Arme um meine Beine und meine Schultern
beben, während ich lautlos weine.
Irgendwann ist mein Kopf leer. Ich weiß nicht,
wie lange ich schon hier auf dem Boden des Was-
chraums kauere. Ein Blick auf die Uhr sagt mir,
dass es kurz vor drei Uhr morgens ist.
10/221
Der
Rest
des
Teams
ist
längst
nach
Hause
gegangen. Ich ziehe mich am Waschbecken auf die
Beine
und
schlurfe
nach
draußen,
um
mich
umzuziehen.
Die Spitalsgänge sind menschenleer und ruhig,
obwohl im L.A. Memorial eigentlich immer viel los
ist. Aber es ist mir Recht, dass mir kein Kollege
über den Weg läuft, mir ist nicht nach Smalltalk
zumute. Ich will einfach nach Hause, eine heiße
Dusche nehmen und schlafen.
Auf dem Weg nach draußen fällt mir auf, dass
im Vorratsraum des chirurgischen OPs noch Licht
brennt. Ich nähere mich dem Raum, öffne die Tür
und strecke schon die Hand nach dem Lichtschalter
aus,
als
ich
plötzlich
ein
Geräusch
aus
dem
hinteren Teil des Raums höre. Es kommt von ir-
gendwo hinter den Regalen.
Ich runzele die Stirn. „Hallo? Trisha, sind
Sie das?“
Stille.
Ich trete einen Schritt auf die Regale zu.
„Hallo?“
Nichts.
„Wer ist da? Ich rufe den Sicherheitsdienst.“
Ich bin drauf und dran, auf den Gang zu laufen
und den Alarm auszulösen, als plötzlich ein jun-
ger Mann zwischen den Regalen hervortritt. Ich
kenne ihn flüchtig, er ist einer der Pflegehelfer
auf der chirurgischen Station.
„Ramón! Was machen Sie denn hier?“
„Dr. Bright … nichts … die Abendlieferung ist
heute später gekommen als gewöhnlich, ich wollte
bloß sichergehen, dass alle Medikamente für mor-
gen vorrätig sind. Tut mir leid, falls ich Sie
erschreckt habe.“
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Sein Dienst scheint schon zu Ende zu sein,
denn er trägt Jeans und hat eine Sporttasche
dabei. Während er sich an mir vorbeischiebt, mur-
melt er einen Gruß und verschwindet dann in Rich-
tung der Aufzüge.
Ich werfe einen prüfenden Blick in den Vorrat-
sraum, dann lösche ich das Licht und versperre
die Tür.
Der Raum ist voller verschreibungspflichtiger
Medikamente und ich bin keine Idiotin. Morgen
früh werde ich als erstes mit dem verantwort-
lichen Lagerverwalter sprechen und eine genaue
Inventur empfehlen. Es wäre nicht das erste Mal,
dass
Krankenhausmitarbeiter
Medikamente
en-
twenden. Manche ziehen damit sogar ein lukratives
Geschäft auf, und ich hoffe für Ramón, dass er
die Wahrheit gesagt hat.
Mein Wagen steht in der Tiefgarage. Ich hasse
es, zu dieser Uhrzeit allein durch die einsamen
Gänge zu gehen. Meine Schritte hallen von den
Wänden, als ich die Garage durchquere und auf
meinen Wagen zugehe.
Niemand begegnet mir und ich lenke den Wagen
aus
der
Tiefgarage
hinaus.
Dabei
spiele
ich
bestimmt zum hundertsten Mal mit dem Gedanken,
nie wieder ins Memorial zurückzukehren, um nie
wieder einen Patienten verlieren zu müssen. L.A.
und das alles hinter mir zu lassen, einfach losz-
ufahren, ohne Ziel, ohne Plan, ohne zu wissen,
was mich erwartet.
Davon träume ich schon mein ganzes Leben. Doch
ich bin zu feig, um es zu wagen.
Bevor ich auf die Hauptstraße einbiege, er-
wecken ein paar Männer in der Seitengasse neben
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der
Garagenausfahrt
meine
Aufmerksamkeit.
Sie
stehen um einen Lieferwagen herum und diskutieren
in gedämpften Stimmen. Ich erhasche bloß einen
flüchtigen Blick auf sie, doch dann erkenne ich
Ramón unter ihnen. Er scheint eine Meinungsver-
schiedenheit
mit
einem
der
Männer
zu
haben,
während ein anderer Ramóns Sporttasche in den
Lieferwagen lädt.
Mir kommt der Gedanke, dass Ramón in Schwi-
erigkeiten stecken könnte, ich lasse den Wagen
langsamer rollen und beobachte die Szene. Ich
folge meinem Gefühl, ziehe mein Smartphone aus
der Tasche und schieße ein Foto.
Plötzlich bemerkt mich einer der Männer und
Ramón wendet sich mir zu. Da begreife ich, dass
sie Ramón nicht belästigen, sondern dass er zu
ihnen gehört. Mein Instinkt schreit mir zu, mich
so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen
und ich trete aufs Gas.
Noch während ich mich in den Hauptverkehr ein-
reihe und das Memorial hinter mir zurückfällt,
weiß ich, dass es zu spät ist. Die Männer haben
mich gesehen und Ramón hat mich erkannt. Was auch
immer in dieser Seitengasse gerade gelaufen ist,
die Männer wissen, dass ich sie beobachtet habe.
Ein klammes Gefühl breitet sich in meinem In-
neren aus. Ich werfe alle paar Sekunden einen
Blick in den Rückspiegel, in der Erwartung, dass
der Lieferwagen hinter mir auftaucht.
„Mach dich nicht verrückt“, murmele ich zu mir
selbst, um mich zu beruhigen. „Wahrscheinlich war
es gar nichts. Du bist überarbeitet. Sei nicht
paranoid.“
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Trotzdem schießt mein Blick alle paar Sekunden
zum Spiegel. Die Minuten vergehen, kein Lieferwa-
gen taucht auf.
Langsam beruhige ich mich wieder. Erleichter-
ung mischt sich mit der Müdigkeit, die jetzt
schwer über mir zusammenbricht. Niemand verfolgt
mich, alles ist gut.
Trotzdem nehme ich mir vor, am nächsten Tag
den Sicherheitsdienst zu informieren. Wenn Ramón
nichts getan hat, dann hat er nichts zu befürcht-
en, aber die ganze Sache kommt mir merkwürdig
vor.
In den letzten Monaten gab es immer wieder
Medienberichte über Banden, die illegalen Medika-
mentenhandel
betreiben.
Die
Medikamente
werden
aus Kliniken und Apotheken entwendet, auch das
Memorial war schon betroffen.
Ich werfe nochmal einen Blick in den Rück-
spiegel. Obwohl niemand hinter mir her ist, habe
ich noch immer ein ungutes Gefühl im Magen.
Nach einer halben Stunde bin ich endlich zu
Hause. Ich parke vor dem Haus und hole meine
Sachen
aus
dem
Kofferraum.
Die
Straße
ist
menschenleer, es ist halb vier Uhr morgens.
Ich laufe ins Haus und verriegele die Tür.
Drinnen ist es dunkel und still. Es hat mich nie
gestört, dass ich allein lebe, bis heute.
Heute wünsche ich mir zum ersten Mal, jemanden
zu haben, der mich beschützt. Mein Herz pocht,
ich schalte das Licht ein und kontrolliere die
Zimmer.
„Du bist paranoid“, murmele ich immer wieder.
„Überarbeitet und paranoid. Hier ist niemand.“
Als ich mich vergewissert habe, dass ich al-
lein bin, ziehe ich die Vorhänge im Schlafzimmer
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zu, schlüpfe aus meiner Jeans und dem T-Shirt und
drehe die Dusche auf.
Das heiße Wasser läuft über meinen Körper, ich
schließe die Augen und genieße den warmen Wasser-
strahl. Es ist wie ein Ritual, das Wasser wäscht
die Erinnerungen an die missglückte Operation von
mir, damit ich nach vorn schauen und weitermachen
kann.
Doch immer wieder kehren meine Gedanken zu
Ramón
und
den
Männern
hinter
dem
Krankenhaus
zurück. Mit einem flauen Gefühl im Magen schalte
ich das Wasser ab und steige aus der Dusche. Ich
wickele
mich
in
ein
Badetuch,
sammele
meine
Kleidung
vom
Boden
auf
und
trete
aus
dem
Badezimmer.
Dann sehe ich die fremden Männer in meinem
Schlafzimmer und schreie los.
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Kapitel 2
Ich lasse meine Kleidung fallen und renne auf
die Haustür zu. Zwei Schritte weit komme ich,
dann umklammern mich kräftige Hände und reißen
mich zurück.
Ich schreie und trete gegen den Mann, der mich
festhält. Er schleift mich zurück ins Schlafzim-
mer, wo seine Freunde warten. Sie sind zu dritt,
ich glaube zwei von ihnen wiederzuerkennen. Es
sind die Männer, die mit Ramón bei dem Lieferwa-
gen gestanden sind.
„Wer sind Sie?“, kreische ich. „Was wollen
Sie? Lassen Sie mich sofort los!“
Der Mann, der mich gepackt hat, hält mir den
Mund zu. Seine Finger graben sich so grob in
meine Haut, dass mir vor Schmerz die Tränen in
die Augen schießen.
„Halt die Schnauze, Schlampe.“ Einer seiner
Freunde tritt auf mich zu. Ich winde mich unter
dem harten Griff und reiße die Augen auf, als der
Mann ein Messer zieht.
Der dritte Mann, ein Kerl in einem blauen
Shirt, greift nach meiner Handtasche und leert
den Inhalt aufs Bett. Er fischt mein Smartphone
heraus und dreht es zwischen seinen Fingern.
„Du hättest kein Foto von uns machen sollen,
Süße.“
„Mach schon, Juan“, knurrt der Mann, der mich
festhält. „Schneide ihr die Kehle durch.“
Mein Verstand rast. Ich bin tatsächlich in ir-
gendeinen
kriminellen
Deal
hineingestolpert.
Ramón muss den Männern verraten haben, wer ich
bin, und sie müssen mir doch gefolgt sein.
Jetzt werden diese Männer mich umbringen! Ich
wehre mich verzweifelt, die Todesangst verleiht
mir ungeahnte Kräfte. Es gelingt mir, den Mann,
der mich festhält, so heftig gegen das Bein zu
treten, dass er mich fluchend loslässt.
Ich stürze auf die Tür zu, doch sein Freund
mit dem Messer greift nach meinem Arm und reißt
mich
zurück.
Dabei
rutscht
das
Badetuch
von
meinem Körper.
Ich stehe nackt vor den Männern, und der Kerl
mit dem Messer bekommt glänzende Augen. Er packt
meine Handgelenke und starrt meinen Körper gierig
an.
„Wisst ihr was, wir werden uns vorher mit der
Kleinen amüsieren. Seht sie euch an, wäre doch
schade, so etwas verkommen zu lassen.“
Der
Dritte
steckt
mein
Smartphone
ein
und
schlendert zu uns, ein schmieriges Grinsen auf
den Lippen. „Wir werden sie alle durchficken, und
dann kannst du sie umbringen, Juan.“
Mein Magen dreht sich um, Tränen laufen über
meine Wangen. Ich wehre mich und trete nach Juan,
dabei schneidet er mich mit dem Messer. Ich bin
so sehr in Panik, dass ich den Schnitt nicht
spüre, ich sehe nur das Blut, das hellrot über
meinen Arm rinnt.
Der Kerl, der mich als Erster festgehalten
hat, tritt von hinten an mich heran und packt
grob meine Brüste. Ich schreie erschrocken auf,
die Männer lachen. Dann wirft mich Juan aufs
Bett, während sie beginnen, ihre Hosen zu öffnen.
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Ich krieche über die Matratze, greife wahllos
nach irgendetwas auf dem Nachttisch, das ich als
Waffe verwenden kann, erwische die Nachttisch-
lampe und schleudere sie den Männern entgegen.
Krachend prallt sie gegen meinen verspiegelten
Schrank, die Scherben splittern auf den Boden,
und im nächsten Moment ist Juan über mir.
Er hält mich fest und zwingt meine Schenkel
auseinander. Ich schreie und spucke ihn an, wehre
mich verzweifelt, doch ich habe keine Chance ge-
gen ihn. Seine Freunde lachen und feuern ihn an.
Ich bete, aus diesem Albtraum zu erwachen,
doch ich fühle Juans alkoholisierten, stinkenden
Atem
in
meinem
Gesicht.
Gleich
wird
er
mich
vergewaltigen, und dann werden seine Freunde über
mich
herfallen.
Wahrscheinlich
werde
ich
sie
danach anflehen, mich umzubringen.
Mein ganzer Körper ist verkrampft, ich höre
das Grölen der Männer – und plötzlich verstummen
sie.
Juan ist über mir, ich kann nichts sehen, aber
ich höre ein Röcheln und dann einen schweren
Körper zu Boden fallen. Einer der Männer stößt
einen Fluch aus, Juan dreht sich um und endlich
kann auch ich sehen, was geschieht.
Ein vierter Mann ist aufgetaucht, er steht in
meinem Schlafzimmer über einem von Juans Freun-
den, der leblos auf dem Boden liegt. Der fremde
Mann ist größer als Juan und die anderen, breit
und durchtrainiert. Er hat schulterlange, braune
Locken
und
ein
so
männliches,
attraktives
Gesicht,
dass
er
als
Model
Karriere
machen
könnte.
18/221
In diesem Moment sieht er jedoch zum Fürchten
aus. Seine braunen Augen blitzen und er schwingt
in jeder Hand eine unterarmlange Klinge.
Noch bevor Juan sich vom Bett aufrappeln und
auf
den
fremden
Mann
stürzen
kann,
hat
der
bereits
dem
Kerl
im
blauen
Shirt
die
Kehle
durchgeschnitten – lautlos und blitzschnell. Der
Körper des Mannes fällt mit einem dumpfen Ger-
äusch zu Boden, ich schreie und Juan flucht. Er
zieht sein eigenes Messer und geht auf den frem-
den Mann los. Im Vergleich zu dem Hünen ist Juan
ein Zwerg, der fremde Mann ist mehr als einen
Kopf größer als er.
Trotzdem stürzt sich Juan auf ihn und ein
wilder Kampf beginnt. Juan scheint mit dem Messer
umgehen zu können, doch der langhaarige Mann ist
besser. Nach endlosen Sekunden schneidet er Juan
mit einer Klinge in den Messerarm und sticht ihm
gleichzeitig die andere Klinge ins Herz.
Ich bin vor Entsetzen wie gelähmt, kauere am
Kopfende
meines
Bettes,
während
Juans
Körper
leblos zu Boden fällt. Der fremde Mann steht vor
mir wie ein Rachegott, die Klingen in seinen
Händen blutbefleckt, und starrt mit blitzenden
Augen auf mich herunter.
Mir wird bewusst, dass ich nackt vor ihm auf
dem Bett kauere. Dieser tödliche Mann jagt mir
mehr Angst ein als Juan und seine beiden Freunde
zusammen, innerhalb weniger Sekunden hat er drei
Männer erstochen, und jetzt kommt er mit blutigen
Messern auf mich zu …
Ich dränge mich gegen das Kopfende des Bettes,
unfähig, zu fliehen. Instinktiv ziehe ich meine
Beine an und verschränke die Arme vor meinen
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Brüsten. Immer noch laufen mir Tränen über die
Wangen und die Wunde auf meinem Unterarm blutet.
„Sie sind verletzt.“ Seine Stimme klingt tief
und ruhig. Beherrscht, nicht wie die Stimme eines
Killers.
Er schiebt die beiden Klingen in seinen Gürtel
und kniet sich auf das Bett.
Ich
schreie
heiser
auf
und
wage
einen
sinnlosen Fluchtversuch, krieche vom Bett hin-
unter und presse mich mit dem Rücken gegen die
Wand, kauere mich in der Ecke des Zimmers zusam-
men. Ich zittere am ganzen Körper, als der Mann
langsam
um
das
Bett
herumgeht
und
vor
mir
niederkniet.
Er
ist
riesig,
sein
Oberkörper
breit,
und
unter seinem engen schwarzen Shirt zeichnen sich
muskulöse Schultern und Oberarme ab. Ich traue
mich kaum, ihn anzusehen, halte den Kopf gesenkt.
„Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben,
Melanie.“
Woher kennt er meinen Namen?
„Sind Sie einer von denen?“ Meine Stimme zit-
tert und ist kaum ein Krächzen. Ich stelle diese
Frage, obwohl die Antwort offensichtlich ist. Er
gehört nicht zu diesen Kerlen. Er ist sehr viel
gefährlicher als sie es waren.
„Nein.“
„Was wollen Sie dann von mir? Bitte … tun Sie
mir nicht weh.“
„Das habe ich nicht vor.“
Mein Blick flackert zu den tödlichen Klingen
an seinen Hüften. Er bemerkt es.
„Ist es das? Meine Waffen machen Ihnen Angst?“
Mit einer geschmeidigen Bewegung zieht er die
beiden Klingen aus dem Gürtel. Ich zucke zurück,
20/221
doch
er
legt
sie
ruhig
neben
uns
auf
den
Nachttisch.
Langsam greift er nach dem Badetuch, das am
Boden liegt, und legt es behutsam um meine Schul-
tern. Ich zittere so heftig unter seiner Ber-
ührung, dass seine Augen schmal werden.
„Sie brauchen mich nicht zu fürchten.“
„Sie
haben
gerade
drei
Männer
umgebracht“,
flüstere ich und ziehe das Badetuch zusammen, um
meinen Körper zu bedecken.
„Diese Männer wollten Sie töten. Ganz zu sch-
weigen davon, was sie Ihnen noch antun wollten.“
Tränen
schießen
unkontrollierbar
aus
meinen
Augen. Meine Finger krallen sich in das Badetuch,
meinen
einzigen,
lächerlichen
Schild.
Meine
Stimme ist kaum noch ein Flüstern. „Wer sind
Sie?“
Er greift unter meine Ellbogen und zieht mich
sanft auf die Beine. „Kommen Sie. Wir müssen Ihre
Wunde versorgen, und dann müssen wir hier weg.“
Mein Körper bebt so stark, dass ich nicht
sicher bin, ob meine Beine mich tragen werden.
Ich mache einen Schritt und meine Knie geben
nach, ich sinke zusammen. Der fremde Mann umfasst
meine Taille, zieht mich an sich und hebt mich
auf seine Arme.
„Was tun Sie?“, hauche ich erschrocken und
umklammere seinen Nacken. Er hält mich an sich
gedrückt, sein Körper fühlt sich warm und hart
an, er ist so stark, dass er mich mühelos trägt.
Er deutet auf meine bloßen Füße. „Der Boden
ist voller Scherben. Sie würden sich verletzen.“
Mit kraftvollen Schritten durchquert er mein Sch-
lafzimmer, steigt über die Körper der toten Män-
ner,
die
Scherben
des
zerbrochenen
Spiegels
21/221
knirschen unter seinen Schuhen. Er trägt mich ins
Badezimmer, lässt sich mit mir auf den Rand der
Wanne sinken und platziert mich auf seinem Schoß.
„Wo ist Ihr Arzneischrank?“
„Dritte Lade“, murmele ich verwirrt.
Mein Bad ist so klein, dass er nur den Arm
auszustrecken braucht, um die Schublade neben dem
Waschbecken zu öffnen. Während er sie durchsucht,
spüre ich harte Gegenstände an seinem Körper. Ich
blinzele an mir herunter, bis auf das Badetuch
sitze ich praktisch nackt auf ihm.
Außer dem schwarzen Shirt trägt er eine dunkle
Cargohose, deren Taschen offenbar mit Metallge-
genständen gefüllt sind. Ich rutsche unbehaglich
auf seinem Schoß herum.
„Sie haben ja eine halbe Apotheke hier drin“,
schmunzelt er, während er Jod und Verbandsmateri-
al aus der Lade zieht und neben uns auf den
Waschtisch legt.
„Ich bin Ärztin“, murmele ich kaum hörbar.
Er bemerkt mein Unbehagen und schiebt unver-
mittelt seine Hand unter meinen Oberschenkel. Ich
erstarre, doch er leert nur den Inhalt seiner
Tasche und legt die harten Gegenstände auf den
Waschtisch.
Ein Schlagring, ein kleines Messer und … oh
mein Gott, sind das etwa Wurfsterne?
„Und Sie haben ein ganzes Waffenlager in Ihrer
Hose“, flüstere ich. Zu spät wird mir bewusst,
wie zweideutig meine Worte klingen, und die Röte
schießt mir ins Gesicht. „Ich, äh, meine …“
Seine Lippen verziehen sich zu einem attrakt-
iven Schmunzeln, das mir für einen Augenblick den
Atem raubt. Dann greift er nach meinem Unterarm
22/221
und untersucht die Schnittwunde, die Juans Messer
hinterlassen hat.
„Die Wunde ist nicht tief. Ein wenig Jod und
ein Verband müssten genügen.“
Ich starre den blutigen Schnitt an und frage
mich, warum ich noch immer keine Schmerzen spüre.
Wahrscheinlich stehe ich unter Schock.
Ich lasse zu, dass er die Wunde mit Jod aus-
wäscht und dann einen Verband anlegt. Er arbeitet
so
rasch
und
professionell,
dass
es
mich
überrascht.
„Sie
machen
das
öfter,
nicht
wahr?“
Meine
Stimme zittert noch immer.
„Was? Einen Verband anlegen oder eine Frau vor
Vergewaltigern retten?“
Mein Blick flackert zu den Waffen auf dem
Waschtisch. „Wie Sie mit den Messer umgegangen
sind …“ Ich verdränge den Gedanken an die drei
Leichen, die nebenan liegen.
Er verknotet den Verband. Ich hätte es selbst
nicht besser machen können. „Fertig.“
Er lässt seine Hand an meiner Hüfte ruhen, so-
dass sein Arm meinen Körper locker umschlingt. Es
fühlt
sich
nicht
aufdringlich
an,
sondern
beschützend.
Verwirrt räuspere ich mich. „Ich nehme an,
wenn Sie mich hätten umbringen wollen, dann hät-
ten Sie es längst getan.“ Als ich die harten
Muskelberge
um
mich
herum
spüre,
zweifle
ich
keinen Augenblick daran, dass er dafür nicht ein-
mal eine Waffe bräuchte. Dieser Mann könnte mein
Genick brechen wie einen Zweig. Mir wird klar,
dass ich nur deshalb noch atme, weil er es so
will.
23/221
„Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass ich Sie
umbringen will?“
„Was soll ich denn sonst denken? Sie dringen
mitten
in
der
Nacht
in
mein
Haus
ein
und
produzieren
innerhalb
von
Sekunden
einen
Berg
Leichen … Sie scheinen kein Polizist zu sein, und
Sie sind auch keiner von denen …“ Ich nicke in
Richtung Schlafzimmer, wo Juan und die anderen
beiden liegen.
„Ich
habe
keine
Zeit,
Ihnen
das
jetzt
zu
erklären.
Wir
müssen
hier
weg,
und
zwar
so
schnell wie möglich. Wenn Sie überleben wollen,
dann müssen Sie mit mir kommen, Melanie.“
„Woher kennen Sie meinen Namen? Warum wissen
Sie, wer ich bin?“
„Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um …“
„Warum sind Sie in mein Haus gekommen, um
diese Männer aufzuhalten? Wie konnten Sie über-
haupt wissen, dass ich überfallen wurde?“
In seinen braunen Augen lodert ein dunkles
Feuer. Abrupt steht er auf und zieht mich auf die
Beine. Dann fasst er mich eindringlich an den
Schultern. „Wir haben keine Zeit. Ziehen Sie sich
an, packen Sie ein paar Sachen zusammen und dann
verschwinden wir hier.“
Ich muss den Kopf heben, um ihm in die Augen
sehen zu können. „Ich werde die Polizei rufen und
…“
Der Griff seiner Hände um meine Schultern wird
härter. „Die Polizei kann Ihnen nicht helfen.
Wenn diejenigen, die diese Kerle geschickt haben,
Wind davon bekommen, dass Sie nicht tot sind,
dann kann nicht einmal die Polizei Sie schützen.
Wir müssen den Vorsprung ausnützen und so schnell
wie möglich untertauchen.“
24/221
Ich pralle zurück, doch er lässt mich nicht
los. „Sie wollen, dass ich mit Ihnen fliehe?“
„Sie
haben
keine
Ahnung,
in
was
Sie
da
hineingeraten sind. Hinter dem Deal, in den Sie
heute Abend geplatzt sind, steht die Drogenmafia.
Wo ist das Foto, das Sie gemacht haben?“
Verwirrt deute ich ins Schlafzimmer. „Der Kerl
im blauen Shirt hat mein Telefon eingesteckt.
Aber woher wissen Sie …?“
Ohne ein Wort zieht er mich zurück zur Sch-
lafzimmertür, steigt über die Scherben und kniet
neben der Leiche des Mannes nieder. Rasch durch-
sucht er dessen Taschen und zieht mein Smartphone
hervor.
„Davon spreche ich.“ Er kommt zu mir zurück
und hält mir das Bild unter die Nase. „Verdammte
Scheiße, sie sind alle drauf.“
Ich erkenne neben Ramón die drei Kerle, die
mich überfallen haben. Die anderen Männer kenne
ich nicht. „Wovon sprechen Sie eigentlich? Wer
sind diese Leute?“
Er fährt sich durch die braunen Locken. „Sie
wissen wirklich nicht, in was Sie da geraten
sind, nicht wahr? Das sind alles kleine Fische,
aber der Mann da, der Kerl mit dem Pferdeschwanz,
das ist Gonzales. Er ist die Nummer vier in der
Befehlskette des mächtigsten Drogenkartells der
Westküste, weiß der Teufel, warum er an diesem
Abend bei dem kleinen Deal dabei war, wahrschein-
lich war es bloß ein blöder Zufall. Aber Ihr Foto
beweist, dass er und seine Leute im illegalen
Medikamentenhandel drinstecken.“
Ich beobachte ihn mit schmalen Augen. „Woher
wissen Sie all das? Wer sind Sie? Polizei, CIA,
FBI?“
25/221
Er schüttelt ungeduldig den Kopf und steckt
mein Telefon ein. „Ziehen Sie sich an, ich muss
Sie
schleunigst
von
hier
wegbringen.
Gonzales
wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Sie
umzubringen. Ich werde mein Bestes tun, um Sie
bis zur Verhandlung am Leben zu erhalten.“ Sein
Gesichtsausdruck
verdüstert
sich,
wird
entschlossen und hart. „Dieses Foto macht Sie zur
Kronzeugin des Staatsanwalts.“
Ich starre ihn an, zu verwirrt, um etwas zu
sagen. Er schiebt mich ungeduldig ins Schlafzim-
mer hinein.
„Packen Sie das Nötigste zusammen. Machen Sie
schnell, mit jeder Minute, die wir verlieren,
verringert sich unser Vorsprung.“ Seine Stimme
wird sanfter und sein Blick flackert zu meinen
nackten Füßen. „Schneiden Sie sich nicht an den
Scherben.“
Er zieht sich zurück, offenbar damit ich mich
umziehen kann.
Dabei gibt es nichts, was er nicht ohnehin
schon gesehen hat …
Wie in Trance taumle ich über die Scherben und
ziehe mich an. Ich werfe Unterwäsche und ein paar
T-Shirts
in
eine
kleine
Tasche
und
ignoriere
dabei die Leichen, die um mich herumliegen.
Mein Herz rast noch immer, ich habe keine Ah-
nung, was ich tun soll. Ich werfe einen Blick zum
Fenster. Soll ich davonlaufen? Die Polizei rufen?
Oder
soll
ich
mit
diesem
tödlichen
Fremden
fliehen?
Großer Gott, was sind denn das für Wahlmög-
lichkeiten? Vor ein paar Stunden war mein Leben
noch verdammt normal – und verdammt langweilig.
26/221
Kann ich diesem Kerl vertrauen?
Wenn er die Wahrheit sagt und ich wirklich in
einen Deal der Drogenmafia gestolpert bin … kann
ich dann der Polizei vertrauen? Werden sie mir
glauben?
Wie
weit
reicht
der
Einfluss
dieses
Gonzales?
Meine Hände zittern, während ich Geld, Ausweis
und den restlichen Kram aus meiner Handtasche,
der noch immer verstreut auf meinem Bett liegt,
in die kleine Reisetasche stopfe.
Was soll ich nur tun? Soll ich meinem Bauchge-
fühl nachgeben und dem Fremden vertrauen?
Unsicher steige ich über die Scherben, die
Tasche an mich gedrückt, und gehe ins Bad, um
noch ein paar Sachen zu packen.
„Ich möchte Ihnen glauben“, sage ich leise.
„Aber Sie müssen mir etwas geben, damit ich Ihnen
vertrauen kann. Sie müssen mir sagen, wer Sie
sind und woher Sie das alles wissen …“
Ich verstumme. Der Fremde hat sein Shirt aus-
gezogen und steht mit nacktem Oberkörper vor mir.
Mächtige Muskelberge spielen unter seiner Haut,
während er über die Schulter in den Spiegel sieht
und versucht, Jod auf seinen Rücken zu träufeln.
Sein Anblick verschlägt mir für einen Augen-
blick die Sprache, so dass ich erst nach einigen
Momenten die Wunde an seinem Schulterblatt be-
merke.
Es
ist
ein
tiefer
Schnitt,
der
stark
blutet. Ich habe ihn bis jetzt nicht bemerkt,
weil das Blut auf dem schwarzen Shirt nicht zu
sehen war.
„Oh mein Gott! Hat Juan Sie mit dem Messer er-
wischt?“ Ich trete nah an ihn heran. Jetzt plötz-
lich
wieder
ganz
Ärztin,
umfasse
ich
seine
27/221
breiten Schultern und drehe ihn um, damit ich die
Wunde untersuchen kann.
Seine Stimme klingt hart. „Es ist nichts. Sind
Sie bereit?“
„Das ist nicht nichts. Das muss genäht werden,
Sie verlieren zu viel Blut.“
Er flucht leise. „Dafür haben wir keine Zeit.“
„Wenn ich es nicht nähe, verbluten Sie mir
während der Flucht.“ Ich drücke ihn mit sanfter
Gewalt auf den Rand der Badewanne nieder. Zu
meiner Verwunderung lässt er es geschehen.
„Sie können das nähen?“
„Ich
bin
keine
Augenärztin,
falls
Sie
das
meinen. Ich bin Chirurgin. Und jetzt halten Sie
still.“
Ich
durchsuche
meine
Arzneilade
und
habe
binnen
weniger
Sekunden
einen
provisorischen
Mini-OP in meinem Badezimmer aufgebaut.
„Wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihnen auf der
Flucht verblute, dann schließe ich daraus, dass
Sie mit mir kommen werden?“
„Habe
ich
eine
Wahl?
Mist.
Ich
habe
kein
Betäubungsmittel da.“ Ich durchsuche nochmals die
Lade. „Es wird ohne gehen müssen.“
„Machen Sie schon, Doc.“ Er zuckt nicht einmal
mit der Wimper, als ich die Wunde desinfiziere
und beginne, sie zu nähen.
Eine Weile arbeite ich schweigend, dann dreht
er plötzlich den Kopf in meine Richtung. „Ich
kann Ihnen nicht sagen, wer ich bin oder für wen
ich arbeite. Ich kann Sie nur bitten, mir zu
vertrauen.“
„Wenn ich mit Ihnen fliehen soll, dann werden
Sie mir schon mehr geben müssen als das.“ Ich
steche konzentriert die Nadel durch seine Haut
28/221
und verschließe die Wundränder. Meine Finger zit-
tern erstaunlich wenig, mein Körper scheint auf
Chirurgen-Modus umgeschaltet zu haben und auto-
matisch zu funktionieren.
Mein Patient atmet langsam aus. Ich habe das
Gefühl, dass er nicht mit den Schmerzen ringt,
sondern mit der Entscheidung, ob er sein Geheim-
nis preisgeben soll.
„Die Organisation, für die ich arbeite, ist
schon
länger
an
der
Medikamenten-Mafia
dran.
Gonzales wird seit Monaten von uns beobachtet.
Irgendetwas ist heute schiefgegangen, so dass er
selbst beim Deal mit Ramón anwesend war. Als ich
gesehen habe, dass Sie den Deal beobachtet haben
– und auch noch ein Foto davon geschossen haben –
konnte ich es nicht fassen.“
„Sie waren dort?“
„Auf der anderen Straßenseite, unsichtbar für
Sie und die Dealer. Ich wusste, dass die Dealer
Ihnen folgen und Sie umbringen würden. Also habe
ich mich an Juan und seine Kumpane gehängt.“
Ich
beende
die
Naht
und
klebe
ein
großes
Pflaster auf die Wunde.
„Sie sind den Männern zu meinem Haus gefolgt?“
Plötzlich steckt ein Kloß in meinem Hals.
Er steht auf und dreht sich zu mir um, breit
und riesengroß. „Ich habe gesehen, dass sie in
Ihr Haus eingebrochen sind. Mir war klar, dass
Sie die Nacht nicht überleben würden, wenn ich
nichts unternehme.“
Meine
Hände
beginnen
wieder
zu
zittern,
während ich die Nadel wegwerfe und die Arzneien
einpacke. „Sie haben mir das Leben gerettet“,
flüstere ich, ohne ihn anzusehen. „Diese Männer
hätten Sie ebenfalls umbringen können.“
29/221
Er lacht, kurz und hart. „Dieser Abschaum?
Nein, ich denke nicht. Dass mich einer von ihnen
mit dem Messer erwischt hat, war ein bedauerlich-
er Unfall.“ Dann wird seine Stimme leiser. „Ich
kann Sie beschützen, Melanie. Ich werde nicht zu-
lassen, dass Ihnen etwas geschieht.“
Ich weiß nicht, warum, aber in diesem Moment
glaube ich ihm.
Ich stecke die Arzneien in meine
Tasche und ziehe den Verschluss zu. „Die werden
wir auf unserer Flucht brauchen. Ich werde nach
Ihrer Wunde sehen müssen.“
Er wirft einen Blick in den Spiegel auf das
Pflaster auf seinem Schulterblatt. „Danke, Doc.
Jetzt lassen Sie uns hier verschwinden.“
Er greift wie selbstverständlich nach meiner
Hand und zieht mich mit sich. Ich zögere kurz.
„Warten Sie. Sie haben mir immer noch nicht
gesagt, wie Sie heißen.“
Ein
Lächeln
kräuselt
sich
in
seinen
Mund-
winkeln. Es lässt ihn so attraktiv aussehen, dass
plötzlich ein Gefühl der Hitze durch meinen Körp-
er schießt.
„Nennen Sie mich Remus.“ Seine große Hand um-
schließt
meine,
während
er
mit
mir
auf
die
Haustür zusteuert. „Und jetzt lassen Sie uns end-
lich von hier abhauen.“
30/221
Kapitel 3
Die Straße ist still und menschenleer. Mit-
tlerweile steht der Sonnenaufgang kurz bevor, der
Himmel ist hellblau. Wir haben Ende Juli und die
Morgenluft ist angenehm kühl.
Vor meinem Haus steht ein fremder schwarzer
Wagen, zuerst denke ich, dass es Remus‘ Auto ist,
doch als er mich daran vorbeizieht begreife ich,
dass der Wagen Juan und seinen Freunden gehören
muss.
„Sollen wir mein Auto nehmen?“ Meine Stimme
klingt unsicher, ich frage mich, wie lang es wohl
dauern wird, bis die Leichen in meinem Haus ent-
deckt werden.
Remus
schüttelt
den
Kopf.
„Danach
werden
Gonzales‘ Männer zuerst suchen. Wir lassen Ihren
Wagen hier, das ist sicherer. So hinterlassen wir
keine Spuren.“
„Aber wie wollen wir …?“ Ich verstumme und re-
iße die Augen auf. „Das ist nicht Ihr Ernst!“
Wir stehen vor einer schwarzen Harley David-
son. Remus nimmt mir die Tasche aus der Hand und
verstaut sie in der Satteltasche, dann schwingt
er sich auf das Motorrad.
Er dreht sich zu mir um und streckt mir seine
Hand entgegen.
„Kommen Sie.“
Ich bin noch nie auf einem Motorrad gefahren.
Mein Leben lang war ich das behütete Mädchen,
nicht die Rockerbraut! Jetzt klettere ich zöger-
lich auf die Maschine und schlinge meine Arme um
den gefährlichen Killer vor mir.
Remus startet den Motor, er kontrolliert die
schwere
Maschine
mühelos.
Als
wir
aus
meiner
Straße brausen, werfe ich einen letzten Blick
zurück.
Dann
verschwinden
mein
Haus
und
mein
altes Leben, ich klammere mich an Remus‘ mächti-
gen Oberkörper und blinzele gegen den Fahrtwind.
Adrenalin schießt durch meine Adern, ich weiß
nicht, ob es vor Angst oder vor Aufregung ist.
Ich weiß nur, dass mein Herz heftig schlägt und
dass der tödliche Mann vor mir in diesem Moment
mein einziger Verbündeter ist.
Remus bringt uns so schnell wie möglich aus
der Stadt hinaus. Wir verlassen L.A. in nördlich-
er Richtung und halten auf Bakersfield zu.
Nach einiger Zeit geht die Sonne auf und der
Highway füllt sich mit dem morgendlichen Verkehr.
Ich halte Remus fest umklammert und lege meine
Wange
an
seinen
breiten
Rücken.
Die
harten
Muskeln unter seinem Shirt fühlen sich seltsam
tröstlich an. Es fühlt sich an, als könnte Remus
mich vor jeder Gefahr beschützen.
Wir fahren stundenlang den Highway entlang.
Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist oder wie
lange wir schon unterwegs sind, aber die Sonne
steht mittlerweile hoch am Himmel. Ich muss mich
zwingen, wach zu bleiben, aber hin und wieder
nicke ich für einen kurzen Moment ein. Die Er-
schöpfung nach dem langen Arbeitstag im Memorial
und nach allem, was danach geschehen ist, ist zu
groß.
32/221
Bei
einem
Roadhouse
irgendwo
hinter
Bakersfield fährt Remus vom Highway ab. Er parkt
das Motorrad, steigt ab und bietet mir seine Hand
an. Außer uns stehen noch ein paar LKWs auf dem
Parkplatz,
das
Roadhouse
scheint
ein
Trucker-
Treffpunkt zu sein.
Remus
mustert
mich
besorgt.
„Wie
geht
es
Ihnen?“
Ich reibe mir die Augen. „Es geht schon. Es
war einfach … eine beschissene Nacht. Und zwar
schon vor dieser ganzen Drogendealer-Sache.“
Er zieht die Augenbrauen hoch. „Sie wurden in
Ihrem eigenen Schlafzimmer von drei Dealern fast
vergewaltigt und umgebracht. Was kann denn noch
schlimmer sein?“
„Lange
Geschichte.
Jetzt
brauche
ich
einen
starken, schwarzen Kaffee.“ Ich marschiere auf
den Eingang des Roadhouses zu, selbst überrascht
darüber, wie ruhig ich bin. Müsste ich nicht hys-
terisch sein? Verrückt vor Angst? Oder zumindest
eine Panikattacke kriegen?
Wahrscheinlich
stehe
ich
noch
immer
unter
Schock. Oder aber, ich bin einfach zu erschöpft,
um durchzudrehen. Remus verzieht anerkennend die
Lippen und hält mir die Tür auf.
Im Roadhouse hängen ein paar Trucker an einem
langen Bartresen herum, sie drehen sich nach mir
um als wir an ihnen vorbeigehen und uns an einen
Tisch am Fenster setzen. Ich habe das Gefühl,
dass Remus den Tisch absichtlich ausgewählt hat,
denn sein Blick scannt unablässig die Bar, er
scheint sowohl die Gäste als auch die Ausgänge im
Auge zu behalten.
„Sie sehen aus, als ob Sie einen Fluchtplan
schmieden.“ Ich spreche leise, obwohl die Musik
33/221
aus einer alten Jukebox es unmöglich macht, dass
die
anderen
Gäste
unsere
Unterhaltung
hören
könnten.
Eine Kellnerin um die fünfzig kommt an unseren
Tisch. Remus bestellt schwarzen Kaffee und die
Spezialität des Hauses, was auch immer das sein
mag. Als die Frau in Richtung Küche davonzieht,
lehnt er sich über den Tisch zu mir.
„Berufskrankheit.“ Er schmunzelt.
Ich spiele nervös mit einem Untersetzer aus
Pappe. „Meinen Sie, dass Gonzales uns bereits auf
den Fersen ist?“
„Das hoffe ich nicht. Wir können mit ziemlich-
er Sicherheit davon ausgehen, dass er die Leichen
seiner Männer entdeckt hat und weiß, dass Sie ge-
flohen sind. Aber er weiß nicht, dass Sie bei mir
sind oder wohin wir unterwegs sind. Sie dürfen
auf keinen Fall Ihre Kreditkarte benutzen, haben
Sie verstanden? Zahlen Sie nur noch mit Bargeld.
Und Sie dürfen niemanden anrufen.“
„Das
kann
ich
gar
nicht.
Sie
haben
mein
Handy.“
„Ich habe es abgeschaltet, damit Gonzales uns
nicht darüber ortet.“
Ich nicke stumm.
Als er weiterspricht, klingt seine Stimme san-
fter. „Haben Sie Familie? Gibt es jemanden, der
sich um Sie sorgen und nach Ihnen suchen wird?“
„Meine Mutter lebt in San Francisco. Wir tele-
fonieren ein-, zweimal in der Woche. Sie wird
nicht gleich die Polizei einschalten, wenn ich
mich ein paar Tage lang nicht melde. Sie weiß,
dass ich manchmal lange Dienste im Krankenhaus
habe.“
34/221
Plötzlich wird sein Blick forschender. „Keine
eigene Familie? Keinen … Freund oder Ehemann?“
Ich schüttele den Kopf und fühle, wie mir eine
sanfte Röte in die Wangen steigt.
Remus lehnt sich zurück und lächelt.
Die Kellnerin kommt zurück und schenkt uns
Kaffee ein. Der Duft weckt meine Lebensgeister
und ich nehme einen großen Schluck.
„Erzählen Sie mir von dem schrecklichen Tag,
den Sie gestern hatten.“ Remus‘ Arm ruht auf dem
Fensterbrett, er beobachtet mich mit Augen, die
denen eines Raubtiers gleichen. Die zurückhal-
tende
Stärke
und
Gefährlichkeit,
die
er
aus-
strahlt,
lassen
meinen
Puls
schneller
werden.
Seine Messer sind unter seiner Kleidung verbor-
gen, nur ich weiß, dass er bis an die Zähne be-
waffnet ist.
„Ich
musste
nach
einem
Acht-Stunden-Dienst
noch eine OP machen.“ Ich starre auf meinen Kaf-
feebecher und denke an Mr Miller, an Dr. Craig
und Schwester Trisha. All das scheint unendlich
weit entfernt zu sein, als gehörte es zu einem
anderen Leben. „Dreifacher Bypass. Keine einfache
Sache.“
Remus nickt. „Was ist passiert?“
Ich seufze. „Wir haben die Operation erfol-
greich hinter uns gebracht. Nach über sechs Stun-
den
am
OP-Tisch
ist
der
Patient
trotzdem
gestorben.“
„Das tut mir leid.“ Es ist keine leere Flo-
skel. Seine Hand streift meine, seine Berührung
schießt wie ein Stromstoß durch meinen Körper und
kribbelt auf meiner Haut.
„Manchmal hasse ich meinen Job. An Tagen wie
diesen
ganz
besonders.“
Ich
halte
den
Blick
35/221
gesenkt, weil ich nicht will, dass er die Tränen
in meinen Augen glitzern sieht.
„Sie sind eine hervorragende Ärztin.“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„In einer Situation, in der die meisten Frauen
hysterisch weinend in der Ecke gekauert hätten,
haben Sie mich zusammengeflickt. Mitten in Ihrem
Badezimmer,
nachdem
ich
nebenan
drei
Menschen
getötet hatte.“
Er senkt die Stimme, denn die Kellnerin bringt
unser Essen.
Die Spezialität des Hauses stellt
sich als Cheeseburger mit Pommes Frites heraus,
fettig und heiß. Erst als mir der Duft der Speis-
en in die Nase steigt, merke ich, wie ausgehun-
gert ich bin. Ich fische ein Pommes frites von
meinem Teller, knabbere daran, dann greife ich
nach dem Cheeseburger und beiße herzhaft hinein.
Remus schmunzelt. „Wann haben Sie zum letzten
Mal etwas gegessen?“
„Gestern“,
nuschele
ich
durch
einen
vollen
Mund. „Vor der OP. Einen halben Müsliriegel.“
„Und davor?“
Ich
zucke
mit
den
Schultern.
„Schwarzen
Kaffee?“
„Oh Gott.“ Er verzieht das Gesicht und schiebt
mir
seinen
Teller
hin.
„Bitte
essen
Sie,
Mädchen.“
Ich unterdrücke ein Schmunzeln. „Es war eben
eine harte Schicht. Da kommt es oft vor, dass wir
keine Zeit zum Essen haben.“
„Das erklärt, warum Sie so mager sind.“
Mager? Schlank, vielleicht, aber mager? Woher
will er das überhaupt wissen? Oh … plötzlich
fällt mir wieder ein, dass er mich vor wenigen
Stunden nackt gesehen hat. Ich senke meinen Kopf
36/221
über den Burger, als könnte ich mich dahinter
verstecken.
Remus scheint meine Verlegenheit richtig zu
deuten. „In Ihrem Schlafzimmer, nachdem ich … Sie
gerettet habe …“, beginnt er.
„Ich weiß“, sage ich schnell. Meine Wangen
glühen.
„Ich habe Sie getragen“, sagt Remus sanft.
„Erinnern Sie sich?“
Natürlich
erinnere
ich
mich.
Ich
habe
mit
nichts als einem
Badetuch um meinen Körper in
seinen Armen gelegen.
„Sie waren zerbrechlich und leicht wie eine
Feder. Das wollte ich damit sagen.“ Seine Stimme
klingt rau, fast wie eine Liebkosung. Ich presse
die Lippen zusammen und halte den Blick gesenkt.
„Ich hätte damals nicht gedacht, dass so viel
Stärke in Ihnen steckt, Doc.“
Jetzt hebe ich überrascht den Kopf. „Und ich
hätte nicht gedacht, dass in Ihnen so viel …“
„Zivilisiertheit steckt?“
Ich senke meine Stimme. „Was hätte ich denn
sonst von Ihnen halten sollen? Als ich Sie das
erste Mal gesehen habe, haben Sie drei Männer mit
Messern umgebracht.“
„Und als ich Sie das erste Mal gesehen habe,
waren Sie vollkommen …“
„Schon gut!“, unterbreche ich ihn hastig.
„… verängstigt, wollte ich sagen.“ Er legt den
Kopf schief. „Wann haben Sie aufgehört, sich vor
mir zu fürchten, Melanie?“
„Als
ich
begriffen
habe,
dass
Sie
nicht
vorhatten, mich umzubringen.“ Ich senke den Kopf.
„Oder mir … wehzutun. So, wie Gonzales‘ Männer es
tun wollten.“
37/221
Ich
spüre
seine
große
Hand,
die
sich
beschützend auf meine legt.
„So
etwas
würde
ich
einer
wehrlosen
Frau
niemals antun. Diese Männer waren Schweine.“
Hitze prickelt über meinen Handrücken, dort,
wo er mich berührt. Die Kellnerin kommt an unser-
en Tisch und Remus zieht seine Hand fort.
„Noch etwas Kaffee, Schätzchen?“
Ich räuspere mich. „Ja, bitte.“
Als ich ihr meine Tasse reiche, fällt ihr
Blick auf den Verband auf meinem Unterarm und sie
keucht erschrocken. Die Trucker am Tresen sehen
zu uns rüber.
„Sie bluten ja, Liebes!“
Tatsächlich – auf dem Verband ist ein großer,
dunkler Blutfleck zu sehen. Erst jetzt fällt mir
auf, dass sich außerdem Blutergüsse auf meinen
Armen und Handgelenken gebildet haben, die von
meiner
Gegenwehr
gegen
Juan
und
seine
Männer
stammen. Ich bedecke den Verband rasch mit der
Hand. „Es ist nichts.“
Die Kellnerin runzelt argwöhnisch die Stirn
und wirft Remus einen bösen Blick zu. Ohne ihm
ebenfalls Kaffee anzubieten, füllt sie schweigend
meine Tasse und verschwindet dann ohne ein Wort
in der Küche hinter dem Tresen.
„Sie denkt, dass ich Ihnen das angetan habe.“
Etwas Dunkles klingt in Remus‘ Ton mit, während
sein Blick auf meinen Verletzungen ruht. „Haben
Sie Schmerzen?“
Ich
schüttele
den
Kopf.
„Wenn
Sie
nicht
gewesen wären, dann wäre ich jetzt tot. Ich kann
ein paar blaue Flecken ertragen.“
Er nickt knapp, dann erhebt er sich plötzlich.
„Ich muss kurz telefonieren. Bitte warten Sie
38/221
hier auf mich.“ Er legt genug Geld auf den Tisch,
um unsere Rechnung zu begleichen, und verlässt
die Bar. Die Trucker bemerken, dass er gegangen
ist, und schielen zu mir rüber.
Ich umklammere meine Tasse und nippe an dem
heißen Kaffee. Die Blessuren auf meinen Armen se-
hen wirklich schlimm aus. Ich ahne, dass ich
blass bin und schwarze Ringe unter den Augen
habe, weil ich die ganze Nacht nicht geschlafen
habe. Ich muss erbärmlich aussehen, kein Wunder,
dass die Kellnerin Mitleid mit mir hat.
Ich blicke mich nach ihr um, doch sie ist
nicht wieder aus der Küche zurückgekehrt. Dafür
stehen
die
vier
Trucker
vom
Tresen
auf
und
schlendern an meinen Tisch.
Es sind grobschlächtige Burschen, raue Gesel-
len, deren Nähe mich nervös macht. Mein Blick
flackert in Richtung Tür, doch von Remus fehlt
jede Spur. Die Trucker bauen sich vor mir auf.
„Hat Ihr Liebhaber Sie misshandelt, Lady?“
„Nein.“ Ich bemühe mich, höflich und selbstbe-
wusst zu klingen. „Es geht mir gut, wirklich.“
„Sieht aber nicht so aus. Sollen wir ihm eine
Lektion erteilen, was hier mit Typen passiert,
die einer so hübschen Lady wehtun?“
„Das ist wirklich nicht notwendig. Das ist
alles ein Missverständnis.“
Die Trucker stehen zu dicht vor mir. Die Art,
wie sie mich mit ihren Blicken ablecken, ekelt
mich an und macht mir Angst. Ich stehe auf.
„Danke
für
Ihre
Besorgnis.
Ich
muss
jetzt
gehen.“
Die Männer rühren sich nicht von der Stelle.
Sie stehen mir im Weg, so dass ich den Tisch
nicht verlassen kann.
39/221
Ich versuche, meiner Stimme einen festen Klang
zu geben. „Lassen Sie mich vorbei.“
„Wisst ihr, vielleicht gefällt es ihr ja, was
er mit ihr gemacht hat“, murmelt einer von ihnen
plötzlich. Seine Freunde grinsen. Die Stimmung
schlägt um.
„Sie sieht aus wie ein zerbrechliches Püppchen
… aber das bist du nicht, nicht wahr?“ Er fasst
in mein langes, dunkles Haar und befühlt es zwis-
chen seinen Fingern.
Ich schlage seine Hand von mir weg und sehe
mich hilfesuchend um. Von Remus fehlt jede Spur,
auch die Kellnerin bleibt verschwunden.
„Wenn du auf Kerle stehst, die es dir auf die
harte Tour besorgen, dann würde ich dir gern
meinen
harten
Freund
vorstellen.“
Der
Trucker
leckt sich anzüglich über die Lippen und greift
sich in den Schritt.
Sein Freund packt mich am Handgelenk. „Nehmen
wir sie mit nach draußen, da ist ein Plätzchen
hinter den Trucks …“ Er gafft mich mit gierigen
Augen an. „Schnell, so lange Dotty noch hinten im
Lager ist … wir wären mit ihr durch, bevor ihr
Freund zurückkommt …“
„Und
wenn
er
kommt,
dann
machen
wir
ihn
fertig.“
„Lassen Sie mich sofort los!“ Ich versuche,
ihm meine Hand zu entziehen, aber er ist zu
stark.
Reflexartig
verpasse
ich
ihm
eine
Ohrfeige.
Die Kerle werden wütend, einer von ihnen packt
mich und zerrt mich an den Haaren hinter dem
Tisch hervor. Er hält mir den Mund zu, damit ich
nicht schreien kann, und schleift mich auf den
Hinterausgang zu. Panik steigt in mir auf, ich
40/221
trete nach dem Mann und kämpfe gegen ihn an. War-
um hilft mir denn niemand? Wo ist Remus? Wo ist
die Kellnerin?
Wir haben die Hintertür fast erreicht, gleich
werden sie draußen auf dem Parkplatz über mich
herfallen! Es gelingt mir, den Trucker in die
Hand zu beißen, und er gibt für einen Moment
meinen Mund frei. In meiner Verzweiflung schreie
ich den Namen des einzigen Mannes, der mich jetzt
noch beschützen kann.
„Remus!“
Bevor mich die Trucker durch die Hintertür
zerren können, wird die Eingangstür der Bar auf-
getreten. Die Silhouette eines riesigen, breit-
schultrigen
Mannes
zeichnet
sich
gegen
das
Sonnenlicht ab.
Die Trucker halten inne.
Mit einem Blick hat Remus die Situation er-
fasst. Sein Knurren hallt durch die Bar, ich
sehe, wie sich seine Hände zu Fäusten ballen, und
dann bricht die Hölle los.
41/221
Kapitel 4
Schneller
als
ich
es
wahrnehmen
kann,
hat
Remus den Raum durchquert und sich auf die Truck-
er gestürzt. Sie sind kräftig und stämmig gebaut,
doch Remus ist zu schnell für sie. Er versetzt
dem Ersten einen Kinnhaken, schleudert den Mann
gegen den Tresen, und tritt dem Zweiten in den
Magen. Während die beiden Trucker keuchend zu
Boden gehen, wehrt Remus die Faustschläge des
Dritten ab und schmettert ihn mit blitzartigen,
heftigen Schlägen gegen die Wand.
Ich fühle wie die Hand des Truckers, der mich
festhält, sich um meine Kehle schließt, und umk-
lammere sein Handgelenk panisch. Er hat so viel
Kraft, dass ich kaum noch atmen kann, und ich
stoße ein gurgelndes Röcheln aus.
Remus
wirbelt
herum,
ich
sehe
etwas
auf-
blitzen, dann höre ich den Schmerzensschrei des
Truckers und er lässt mich los. Ich stolpere von
ihm weg und sehe zwei von Remus‘ Wurfsternen tief
im Arm des Mannes stecken.
Blitzartig zieht Remus mich hinter sich in
Sicherheit, dann tritt er auf den Trucker zu und
bricht ihm mit einem heftigen Schlag die Nase.
Blutend sinkt der Mann zusammen, Remus kniet über
ihm, packt seinen Schopf, reißt seinen Kopf hoch
und schmettert er ihn gegen den Boden, und der
Mann bleibt reglos liegen.
Ich beobachte die Szene wie erstarrt, alles
geschieht so wahnsinnig schnell, plötzlich ist
Remus neben mir, ergreift meine Hand und zieht
mich mit sich aus der Bar.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“
Ich bringe bloß ein verstörtes Nicken zus-
tande, mein Blick hängt an den vier Truckern, die
blutüberströmt k.o. gegangen sind. Remus schiebt
mich durch die Tür und drängt mich, auf die Har-
ley zu steigen.
Ich umklammere seinen breiten Brustkorb und
Sekunden später jagt er die Maschine vom Park-
platz zurück auf den Highway.
Remus rast weiter nach Norden. Erst fast zwei
Stunden später, kurz vor Fresno, hält er bei ein-
er Tankstelle an.
Mein Körper ist steif vom verkrampften Sitzen
auf dem Motorrad. Ich klettere ungelenk von der
Maschine und lockere meine Beine aus.
Remus tankt die Harley auf, er arbeitet sch-
weigend und schnell. Währenddessen scannt er mit
einem düsteren Ausdruck im Gesicht die Umgebung.
Ich räuspere mich. „Danke … dass Sie mir in
der Bar geholfen haben. Schon wieder.“
Breitschultrig und mit glühenden Augen starrt
er auf mich herunter. „Wie ist es dazu gekommen?
Ich war kaum drei Minuten draußen.“
Ich beiße mir auf die Unterlippe und senke den
Kopf. „Diese Typen sind zu mir gekommen und haben
gefragt, ob Sie mich misshandeln … dann schien
ihnen das plötzlich selbst eine gute Idee zu
sein.“
Remus‘ Hand fasst unter mein Kinn. Ich bin so
überrascht von der Sanftheit seiner Berührung,
43/221
dass ich den Kopf hebe. In seinem Blick glitzert
plötzlich noch etwas anderes, das mir für einen
Moment den Atem raubt.
„Sie sind bei mir in Sicherheit, Melanie. Ich
werde nicht zulassen, dass Ihnen jemand wehtut,
so lange Sie unter meinem Schutz stehen.“
Ein Gefühl der Hitze breitet sich in meinem
Bauch
aus
und
kribbelt
durch
meinen
ganzen
Körper.
„Wo
haben
Sie
gelernt,
so
zu
kämpfen?“,
flüstere
ich.
„Warum
können
Sie
vier
Männer
gleichzeitig besiegen?“
Remus schweigt. Sein Daumen streichelt über
meine Wange und hinterlässt eine glühende Spur
auf meiner Haut.
„Ich habe mit dem Büro der Staatsanwaltschaft
telefoniert“, sagt er schließlich. „Die Polizei
hat die Leichen in Ihrem Haus gefunden, und sie
wissen von dem Foto. Sie werden Gonzales wegen
versuchten Mordes an Ihnen anklagen, und auch we-
gen seiner Beteiligung an den illegalen Medika-
mentengeschäften – falls Sie bereit sind, gegen
ihn auszusagen.“
„Wenn dieser Gonzales wirklich so gefährlich
ist, wie Sie behaupten, dann werde ich nicht
lange
genug
leben,
um
gegen
ihn
aussagen
zu
können.“
„Es ist möglich, dass Gonzales seine Spitzel
bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft hat,
aber meine Kontakte sind vertrauenswürdig, das
garantiere ich Ihnen. Sie brauchen keine Angst zu
haben.“
Ich lächele schwach. „Ist das Ihr Ernst? Vor
zwölf
Stunden
war
ich
noch
eine
unbedeutende
Chirurgin in irgendeinem Krankenhaus, und jetzt
44/221
bin ich die Kronzeugin der Staatsanwaltschaft und
soll gegen einen Boss der Drogenmafia aussagen.
Remus, ich habe eine Scheißangst.“
Unvermittelt zieht er mich in seine Arme. Ich
lasse es überrascht geschehen, lasse mich von ihm
an seine breite, harte Brust drücken. Sein Körper
ist wie aus Stahl. Ich spüre die Halfter der
Messer, die unter seinem Shirt verborgen sind und
sich gegen meinen Bauch pressen.
„Ich verspreche, dass ich auf Sie aufpassen
werde. Wir werden untertauchen, bis die Staatsan-
waltschaft die Anklage vorbereitet hat und Sie
Ihre Aussage machen. Ich werde nicht von Ihrer
Seite
weichen.
Ich
werde
Sie
beschützen,
Melanie.“
Ich glaube ihm. Keine Ahnung, woher dieses Ge-
fühl kommt, aber tief in meinem Innern weiß ich,
dass ich ihm vertrauen kann.
„Wer sind Sie?“, wispere ich fast unhörbar.
Sein
Körper
verspannt
sich,
seine
Lippen
streichen über mein Haar. Dann lässt er mich
langsam los.
„Brauchen Sie noch etwas?“ Er deutet mit dem
Kopf auf den Tankstellenshop. „Wir werden eine
Weile nicht mehr anhalten.“
Ich erkenne, dass es zwecklos ist, ihm weitere
Fragen zu stellen, die er doch nicht beantworten
wird. Also beschließe ich, es dabei zu belassen.
Vorerst.
Ich gehe zum Shop hinüber, um die Toilette zu
benutzen, und kaufe zwei Flaschen Wasser. Als ich
zurückkomme, lehnt Remus mit verschränkten Armen
an der Harley, dunkel und gefährlich, sein Blick
unablässig auf mich gerichtet.
45/221
Plötzlich fühle ich mich ebenso nackt, wie ich
bei unserer ersten Begegnung in meinem Schlafzim-
mer gewesen bin, und die paar Meter zwischen dem
Shop und ihm scheinen endlos zu sein.
Endlich erreiche ich ihn, er nimmt mir die
Flaschen
ab
und
verstaut
sie
in
den
Sat-
teltaschen. Ich schiebe schnell meine Hände in
die Taschen meiner Jeans, um zu verstecken, dass
sie beben.
Remus schwingt sich auf die Harley, wartet,
bis ich hinter ihm sitze, und braust los. Während
ich
mich
an
seinen
Rücken
presse
und
der
Fahrtwind durch meine Haare streicht, klopft mein
Herz wie verrückt. Vor Aufregung, und weil ich
mich lebendig fühle wie noch nie zuvor in meinem
Leben.
Bin ich denn verrückt? Ich wurde überfallen,
die Drogenmafia ist hinter mir her, und meine
einzige Hoffnung ist ein tödlicher Fremder, über
den ich nichts weiß, außer, dass er andere Männer
umbringt, um mich zu beschützen - ich sollte auf
der Stelle vom Motorrad springen und die Polizei
rufen. Stattdessen schmiege ich mich an Remus‘
breiten Rücken, spüre, wie sich seine Muskeln an-
spannen, während er die schwere Maschine lenkt.
Melanie, du bist vollkommen übergeschnappt.
Und wenn schon. Es fühlt sich verdammt gut an.
Ich wurde aus meinem alten Leben gerissen, und
plötzlich
taucht
dieser
Fremde
auf,
dieser
Killer, der so brutal zu meinen Angreifern ist
und gleichzeitig so sanft mit mir umgeht.
Ich fühle, wie mein altes Leben hinter mir
zurückfällt, und ich lasse es bereitwillig los.
Ich habe keine Ahnung, was Remus vorhat oder
46/221
wohin wir fahren. Alles, was ich weiß, ist, dass
ich ihm vertraue.
Remus
fährt
weiterhin
nach
Norden.
Hinter
Fresno
nimmt
er
eine
Landstraße
bis
nach
Oakhurst, die Gegend wird immer menschenleerer,
und langsam kommt mir ein Verdacht, wohin Remus
mich bringt.
Bewaldete Hügel und dichte Wälder tauchen vor
uns auf, und als wir uns der Einfahrt nähern,
verlangsamt Remus die Maschine. Ich lehne mich
nach vorn, bis meine Lippen dicht an seinem Ohr
sind.
„Yosemite?
Du
bringst
mich
in
einen
Nationalpark?“
Er wendet mir den Kopf zu, sein Dreitagbart
streicht rau über mein Gesicht. „Niemand wird uns
hier finden. Vertrau mir.“
Er lenkt die Maschine die kurvige Strecke in
den
Nationalpark
hinein.
Remus
scheint
das
Gelände zu kennen, denn er fährt ohne zu zögern
direkt in den nördlichen Teil des riesigen Natur-
parks, immer tiefer in die Wälder hinein. Nach
einer Weile sehen wir kaum noch andere Autos,
auch keine Wanderer, nichts als die unberührte
Natur.
Ich begreife, dass Remus Recht hat. Das Areal
ist so groß, dass wir uns hier problemlos ver-
stecken können.
Die
Forststraße
ist
kurvig
und
schmal,
es
dauert ein paar Stunden, bis wir das Herz im
Norden des Parks erreicht haben. Die Sonne steht
bereits tief, als Remus schließlich das Motorrad
anhält.
47/221
Ich steige ab und sehe mich um. Wir sind
umgeben von uralten Wäldern, das einzige Geräusch
ist das Gezwitscher der Vögel.
„Werden wir uns hier verstecken?“
„Nein. Wir lassen das Motorrad hier und gehen
zu Fuß weiter.“ Remus lässt die Maschine ein
Stück in den Wald hineinrollen, bis sie hinter
Sträuchern verschwindet. Dann steigt er ab, holt
meine Reisetasche und einen großen Rucksack aus
der Satteltasche hervor, und zieht eine Machete
aus dem Rucksack. Die Klinge ist unterarmlang,
ebenso riesig wie die Messer an seinen Hüften,
aber viel massiver. Ich mache große Augen, als er
beginnt, Zweige von nahen Bäumen und Sträuchern
abzuschneiden. Dabei hantiert er so geschickt mit
der großen Waffe, dass ich vor Verblüffung nur
den Kopf schütteln kann.
„Was
ist
das
bloß
mit
Ihnen
und
diesen
Messern?“
Mit wenigen Schlägen trennt er einen Ast nach
dem anderen ab und reicht sie mir, damit ich die
Harley damit bedecke. „Ich ziehe sie Schusswaffen
vor. Sie sind lautloser.“
„Sie meinen, sie töten lautloser.“ Plötzlich
wird meine Kehle eng.
Remus hält inne und wirft mir über die Schul-
ter einen Blick zu. „Mache ich Ihnen immer noch
Angst?“
Ich hätte am liebsten hysterisch losgelacht.
„Fragt ein eins neunzig großer Mann, der mit ein-
er Machete bewaffnet vor mir steht, mutterseelen-
allein mitten im Wald.“
Remus schweigt einen Augenblick, dann kräuseln
sich seine Mundwinkel nach oben. Grübchen er-
scheinen auf seinen Wangen, und schließlich lacht
48/221
er
und
entblößt
dabei
eine
Reihe
perfekter,
weißer Zähne.
Mir schießt der verrückte Gedanke durch den
Kopf, dass er sich bei seiner Berufswahl wahr-
scheinlich zwischen Killer und Model entschieden
hat. Aber dann lache ich auch, zum ersten Mal
seit einer Ewigkeit, und es fühlt sich wunderbar
befreiend an.
Plötzlich wirbelt Remus die Machete in seiner
Hand herum und hält mir den Griff entgegen. „Wol-
len Sie es lieber selbst versuchen?“
Ich schüttele den Kopf und greife stattdessen
nach einem Ast, den ich über die Harley ziehe.
„Die Messer, mit denen ich gewöhnlich umgehe,
sind sehr viel kleiner.“
Remus wendet sich wieder dem Baum zu, ein
schiefes Grinsen im Gesicht, und hackt auf den
nächsten
Ast
ein.
„Warum
sind
Sie
Ärztin
geworden?“
Weil Model oder Killerin nicht zur Auswahl
standen.
„Ähm … ich weiß nicht. Es erschien mir damals
eine gute Idee zu sein.“
„Sind Sie nicht gern Ärztin?“
„Doch.“ Und das ist die Wahrheit. „Aber ich
denke manchmal, dass das nicht alles gewesen sein
kann. Dass es mehr im Leben geben muss.“ Ich er-
röte, als ich meine eigenen Worte höre. „Klingt
das lächerlich für Sie?“
Remus hält mir ruhig einen Ast hin. Jetzt
lacht er nicht mehr. „Nein.“
Ich nehme den Ast schweigend und bedeckt das
Motorrad damit. Jetzt ist fast nichts mehr von
der Maschine zu sehen.
49/221
„Was meinen Sie mit ‚mehr‘?“ Remus‘ dunkle
Stimme erklingt hinter mir. Ich zupfe an den
Ästen herum, nur, um ihn nicht ansehen zu müssen.
„Das weiß ich selbst nicht. Das ist ja das
Verrückte.“ Dann überwinde ich mich und lächele
ihn scheu an. „Sie denken bestimmt, dass ich
spinne, oder?“
Er lässt die Machete sinken und tritt auf mich
zu, bis er direkt vor mir steht. Ich reiche ihm
kaum bis zum Hals und muss den Kopf heben, um ihn
anzusehen.
Die
Kraft
und
Wärme,
die
mir
von
seinem
breiten
Körper
entgegenströmen,
beschleunigen meinen Puls.
„Ich denke nicht, dass Sie spinnen“, sagt er
leise.
Dann legt er seine große Hand an meine Wange,
streicht behutsam über meine Haut. Seine Finger
schlingen sich in mein Haar, die Berührung ist so
sanft, dass ich nicht glauben kann, dass sie von
diesem gefährlichen Mann kommt.
Ich weiche nicht zurück, lasse zu, dass er
mich streichelt. Ein Kribbeln schießt über meinen
Nacken und läuft meine Wirbelsäule hinunter.
„Nein.“ Meine Stimme ist ein leises Flüstern.
„Ich habe keine Angst mehr vor dir.“
Er
senkt
den
Kopf,
langsam,
gibt
mir
die
Chance, ihn zu stoppen – doch ich wünsche mir,
dass er weitermacht. Seine Lippen nähern sich
meinen, dann gibt er mir einen sanften Kuss. Sein
Bart kratzt über meine Haut, aber seine Lippen
fühlen sich weich und warm an, und seine unerwar-
tete Zärtlichkeit lässt meine Knie zittern.
Ich lege meine Hände auf seine Brust, als sich
unsere Lippen voneinander lösen. Mein Kopf dreht
sich, ich fühle mich, als würde ich schweben.
50/221
„Wir müssen so tief wie möglich in den Wald,
so lange es noch hell ist“, murmelt er rau. Er
hält mich noch einen Moment in seinen Armen, dann
löst er sich von mir und schultert den Rucksack.
Ich schnappe mir meine Tasche, wir stellen
sicher, dass die Maschine vollständig unter dem
Blättermantel verborgen ist, dann greift Remus
meine Hand und beginnt, uns einen Weg durch das
Dickicht zu bahnen.
51/221
Kapitel 5
„Du
bist
schon
einmal
hier
gewesen,
nicht
wahr?“ Ich stolpere hinter Remus her, während er
sich zielsicher durch das Unterholz bewegt. Die
Sonne ist bereits untergegangen, im Zwielicht der
Abenddämmerung bleibe ich ständig an Wurzeln hän-
gen. Wir stapfen seit Stunden immer tiefer in den
Wald hinein, ich habe längst die Orientierung
verloren und folge Remus blind. Er hat in all der
Zeit
meine
Hand
nicht
losgelassen
und
mich
mehrmals davor bewahrt, unsanft auf dem Boden zu
landen.
„Das ist viele Jahre her.“ Trotzdem scheint er
genau zu wissen, wohin er mich führt.
„Hatte es … etwas mit deiner Arbeit zu tun?“
Die Worte kommen zögernd aus meinem Mund, weil
ich nicht weiß, wie ich die Frage formulieren
soll.
„Du willst wissen, ob ich hier jemanden umgeb-
racht habe?“
Ich zucke scheu mit den Schultern. Remus‘ Au-
gen glitzern in der Dämmerung. In dem schwarzen
Shirt und der Cargohose sieht er aus wie ein
Raubtier,
das
durch
die
Dunkelheit
schleicht,
lautlos und tödlich.
Er wendet sich wieder nach vorn, ein träges
Lächeln auf den Lippen. „Es war während meiner
Kindheit. Mein Vater hat mich oft hierher zum
Wandern mitgenommen.“
„Oh.“ Die Vorstellung, dass Remus einmal ein
unschuldiger kleiner Junge gewesen ist, ist ir-
gendwie seltsam. Ebenso, dass er Eltern hat, oder
eine Familie. Bis zu diesem Augenblick war er für
mich ein gefährlicher Killer ohne Vergangenheit.
„Erzähl mir davon“, bitte ich.
„Wir waren jeden Sommer hier, bis ich ungefähr
acht war. Mein Vater hat mir das Spurenlesen bei-
gebracht, wie man in der Wildnis überlebt, all
diese Dinge.“
„Was ist dann passiert?“
„Nichts. Er ist gestorben, und damit war es
vorbei.“ Ein harter Ton liegt plötzlich in seiner
Stimme. „Kinder aus staatlichen Pflegeheimen wer-
den
nicht
oft
auf
Ausflüge
in
Nationalparks
geschickt, weißt du.“
Ich schweige betroffen.
„Du bist in einem Heim aufgewachsen?“
„Die ersten paar Jahre. Dann war ich bei eini-
gen Pflegefamilien, aber ich habe es nirgends
lang ausgehalten. Die meisten wollten nur das
Geld für meinen Unterhalt, ich war ihnen egal.
Ich
habe
früh
gelernt,
mich
allein
durchzuschlagen.“
„Das tut mir so leid“, flüstere ich.
„Mir nicht. Es hat mich stärker gemacht. Es
hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin.“
Es wird schnell dunkler und bald kann ich kaum
noch etwas sehen. Remus bleibt bei einem Felsvor-
sprung stehen, dessen Wölbung eine Art Höhle bil-
det, und lässt seinen Rucksack zu Boden gleiten.
„Hier werden wir übernachten.“
Ich lehne mich erschöpft gegen den Felsen. Der
Stein ist kalt und ich frage mich, wie weit die
Temperatur in der Nacht fallen wird. Obwohl es
53/221
Juli
ist,
sind
wir
am
Pass
an
Schneehaufen
vorbeigefahren. Der schattige Waldboden speichert
die feuchte Kühle, und jetzt, da ich nicht mehr
in Bewegung bin, beginne ich, zu frösteln.
Remus baut einen niedrigen Scheiterhaufen aus
trockenen Hölzern.
Ich
lächele
schwach.
„Wirst
du
jetzt
zwei
Steine
gegeneinander
schlagen,
um
Feuer
zu
machen?“
Er schmunzelt. „Ich habe etwas Besseres.“ Dam-
it zieht er ein Gasfeuerzeug hervor und hält die
Flamme an das trockene Gehölz. Es dauert nicht
lang,
bis
es
sich
in
ein
knisterndes
Feuer
verwandelt.
Remus holt einen Schlafsack aus dem Rucksack,
breitet ihn aus und macht es sich darauf gemüt-
lich. Ich lasse mich neben ihm am Feuer nieder.
„Wird man uns nicht entdecken?“
„Hier ist weit und breit niemand. Ich glaube,
wir können es riskieren. Außerdem siehst du aus,
als würdest du frieren.“
Ich reibe mir die Arme. „Ich bin todmüde, das
ist alles.“
„Und hungrig?“
Der Cheeseburger scheint eine Ewigkeit her zu
sein. Mein Magen knurrt wie zur Bestätigung.
Remus kramt in seinem Rucksack, zum Vorschein
kommen
eine
Packung
Trockenfleisch
und
zwei
Wasserflaschen.
Verwundert nehme ich das Wasser entgegen. „Das
sind nicht die Flaschen, die ich gekauft habe.“
„Du glaubst doch nicht, dass ich ohne Proviant
unterwegs bin.“ Er reißt die Packung Trocken-
fleisch auf und bietet es mir an. „Pepper and
Spice. Kein Fünf-Gänge-Menü, aber …“
54/221
„Ich bin nicht wählerisch. Danke.“ Ich ziehe
ein paar Streifen Fleisch aus der Packung und
knabbere daran.
Das Feuer flackert und knistert, und wirft
Schatten auf die Bäume um uns. Der Wald ist so
dicht, dass man den Schein des Feuers bestimmt
keine zwanzig Meter weit sehen kann. Das Licht
lockt Insekten an, und um uns herum rascheln die
Tiere der Nacht im Unterholz. Ich sehe mich jedes
Mal um, wenn hinter uns ein Zweig knackt.
„Hast du Angst?“, fragt Remus.
„Ich weiß nicht …“ Ich fahre zusammen, als et-
was hinter mir raschelt. „Was war das?“
„Irgendein
kleines
Tier.
Hier
ist
niemand
außer uns.“
„Ich habe das noch nie gemacht.“ Ich reibe mir
verunsichert die Hände. „Draußen schlafen, meine
ich, Camping und so. Ich bin etwas …“
„Nervös?“
Ich nicke. Und komme mir blöd vor. Wir haben
weiß Gott schlimmere Probleme, und ich jammere
herum wegen ein bisschen Blätterrascheln …
Remus sitzt entspannt neben mir, im Schein des
flackernden Feuers wirkt er noch größer. Er sieht
aus, als könnte ihn nichts erschüttern. Doch er
lacht mich nicht aus, sondern streckt seine Hand
nach mir aus. „Komm her.“
Unsicher rutsche ich näher, lasse mich von ihm
an sich ziehen, bis ich zwischen seinen Beinen
sitze. Seine Arme sind sanft um mich geschlungen.
In seiner Umarmung fühle ich mich sicher. Als
ich mich an seine breite Brust lehne, kräuselt
sich ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen.
Seine
Fingerspitzen
streicheln
über
meinen
Arm. „Wie geht es deinen Verletzungen?“
55/221
Die Blessuren auf meinen Unterarmen verfärben
sich langsam dunkelblau, und das getrocknete Blut
auf meinem Verband ist fast schwarz.
„Sieht schlimmer aus, als es ist.“ Ich drehe
mich in seinen Armen, um ihn anzusehen. „Wie geht
es deinem Rücken? Soll ich mir die Wunde nochmal
ansehen?“
Er
schüttelt
ruhig
den
Kopf.
Das
Feuer
spiegelt sich in seinen Augen. „Nicht nötig. Ich
wurde von einer sehr guten Ärztin versorgt.“
Seine unmittelbare Nähe und die ruhige Zurück-
haltung, mit der er mich beschützt, lassen mein
Herz schneller schlagen. Ich muss an Juan und
seine Kumpane denken, und an die Trucker in der
Bar, und senke den Blick. Da sitze ich nun, in
tiefster Nacht mitten im Wald in den Armen eines
Killers – und fühle mich vollkommen sicher.
Ich muss wirklich den Verstand verloren haben.
Remus könnte mir hier die schrecklichsten Dinge
antun, niemand würde meine Schreie hören. Niemand
würde mich jemals finden.
Aber seltsamer Weise fürchte ich mich nicht.
Ich spüre, dass ich Remus vertrauen kann.
„Was ist mit dir?“ Sanft berührt er meine
Wange.
Ich presse die Lippen zusammen. „Ich frage
mich nur die ganze Zeit … warum tust du das alles
für mich?“ Mein Blick flackert scheu zu ihm. „Du
hast mich vor Gonzales‘ Männern gerettet, bist
mit mir geflohen und hast mich in der Bar vor
diesen Truckern beschützt. Ich weiß, dass du mir
nichts darüber erzählen wirst, wer du wirklich
bist oder was du tust, aber bitte sag mir wenig-
stens, warum du mich beschützt.“
56/221
Remus sieht mich lange an. Seine Finger ruhen
gedankenverloren an meiner Wange. „Hätte ich Juan
nicht aufgehalten, hätte er dich vergewaltigt und
getötet. Wäre ich nicht mit dir geflohen, hätte
Gonzales dich jetzt mit Sicherheit schon gefunden
und umgebracht. Das konnte ich doch nicht zu-
lassen. Und was diese Trucker in der Bar betrifft
…“ Seine Kiefermuskeln arbeiten. „Ich kann Män-
ner, die sich an einer wehrlosen Frau vergreifen,
einfach nicht ausstehen.“
Das sind keine leeren Worte. Ich habe wirklich
das Gefühl, dass es seine Überzeugung ist. Ein
Killer und Gentleman?
Seine dunkle Stimme rollt wie eine Liebkosung
über meinen Körper. „Darf ich dir jetzt eine
Frage stellen?“
„Was möchtest du denn wissen?“
„Warum vertraust du mir?“
Ich blinzele verwirrt.
Sein Tonfall wird intensiver. „Nach allem, was
du durchgemacht hat, was du mich hast tun sehen …
warum vertraust du mir und lässt mich dich hier-
her bringen?“
Meine Stimme klingt heiser. „Wenn du mich um-
bringen
wolltest,
dann
hättest
du
es
längst
getan.“
„Du weißt, dass ich dir niemals wehtun werde.“
Ich nicke. Ich weiß nicht, woher ich es weiß,
aber ich weiß es. „Du hast mehrmals dein Leben
riskiert, um mich zu beschützen. Ohne dich wäre
ich nicht mehr hier.“
Er zieht mich ganz langsam an sich und küsst
mich. Zärtlich, und er lässt sich dabei alle Zeit
der Welt. Ich spüre seine Bartstoppeln auf meinem
Gesicht und auf meinen Handflächen, als ich meine
57/221
Hände an seine Wangen lege. Seine Lippen sind
warm und fordernd, sein Kuss voller zurückge-
haltener,
männlicher
Stärke.
Ich
spüre
seine
Kraft, fühle, wie er sich beherrscht, um mich
nicht zu bedrängen. Es ist wie eine Warnung, ein
Schimmer
dessen,
was
unter
seiner
Oberfläche
schlummert, und was er nicht entfesseln will.
Langsam teilen sich meine Lippen, ich spüre
seinen Atem, schmecke ihn, als seine Zunge in
meinen Mund eindringt. Er erforscht mich sanft,
intensiv, und seine Zärtlichkeit lässt mich alles
um uns herum vergessen – Juan, Gonzales, die
Trucker … ja, selbst der Wald versinkt neben den
Gefühlen, die seine Berührung in mir weckt.
Als sich unsere Lippen voneinander lösen und
ich mit flatterndem Puls Atem hole, sind seine
Augen tief und dunkel, voll besitzergreifender
Leidenschaft.
„Frag
mich
noch
einmal,
warum
ich
dich
beschütze“ murmelt er rau.
Mein Herz schlägt wie verrückt. Ich bringe die
Worte nicht über die Lippen, da greift er in
meinen Nacken, schlingt seine Hand in mein Haar
und küsst mich erneut.
Diesmal lässt er mich etwas von dem Raubtier
in ihm erahnen. Dieser Kuss ist nicht vorsichtig
und zärtlich, er ist fordernd und leidenschaft-
lich. Ich merke, wie sein Körper sich mir entge-
gendrängt, spüre den Schlafsack unter mir, als
Remus mich auf den Rücken drückt.
Sein mächtiger Körper ist über mir, er stützt
sich mit einem Arm auf, während seine Hand meinen
Nacken umschlungen hält und er mich weiterhin
hungrig
küsst.
Er
schiebt
sein
Knie
zwischen
meine Schenkel, so dass ich sein Becken an meinem
58/221
spüre, seine Waffen, die gegen mich drücken … und
den
unmissverständlichen
Beweis,
dass
er
mich
begehrt. Unser Kuss erregt ihn ebenso sehr wie
mich, ich fühle seine Erektion, der sich gegen
mein
Becken
presst
…
und
noch
etwas
anderes
Hartes, das sich schmerzhaft gegen meinen Körper
bohrt.
Ich beginne, Remus abzuwehren, natürlich ist
es lächerlich, ich habe gegen seine Kraft keine
Chance.
Doch
sobald
er
meine
Abwehrreaktion
spürt, hält er inne. Das Feuer, das in seinen Au-
gen brennt, macht mich atemlos.
„Warte …“, murmele ich. „Nicht, bitte …“
Er glaubt, zu verstehen. Seine Stimme klingt
rau, fast wie das Knurren eines Wolfs. „Ich werde
dich nicht zwingen, Melanie.“
„Ich habe keine Angst“, flüstere ich. „Es ist
dein Messer … der Griff bohrt sich in meine Hüfte
…“
Er
zieht
mit
einer
schnellen
Bewegung
die
Klinge hervor, das Metall blitzt im Licht des
Feuers auf, bevor er es mit einem Stoß neben uns
in der Erde versenkt. Augenblicke später folgt
die zweite Klinge. Selbst in dieser Position und
mit nur einer freien Hand beherrscht er die Waf-
fen mit tödlicher Geschwindigkeit und Präzision.
Dann fährt er fort, mich zu küssen, und die
einzige Härte, die sich jetzt gegen meinen Körper
drängt, ist der Beweis seines Verlangens. Ich
fühle deutlich, wie sehr er mich begehrt, und ob-
wohl seine Küsse mir den Verstand rauben, bin ich
noch nicht bereit, weiter zu gehen. Allerdings
ist mir klar, dass ich ihn nicht aufhalten kann,
falls er es mir nicht gestattet … Wird er sein
Versprechen, mich nicht zu zwingen, halten? Ich
59/221
erwidere
seinen
Kuss,
aber
meine
Schenkel
verkrampfen sich. Remus spürt die Abwehrreaktion
meines Körpers und rückt ein wenig von mir ab,
presst seine Erektion nicht mehr gegen mein Beck-
en. Ich erwarte, gierige Hände auf meinem Körper
zu spüren, aber nichts dergleichen geschieht. Er
küsst mich weiterhin leidenschaftlich, streichelt
mein Gesicht und meinen Hals, aber er bedrängt
mich nicht weiter.
Als er mich schließlich ansieht, sind seine
Augen fast schwarz und so wild wie die eines
Wolfs. Die Hitze der Erregung, die mir von seinem
mächtigen
Körper
entgegen
strahlt,
könnte
mir
Angst machen, würde er mich nicht so zärtlich
halten.
Langsam hebe ich meine Hand und streiche über
sein Gesicht, seine Wangen, seine Nase, fahre die
Konturen
seiner
Lippen
nach.
Er
schließt
bei
meiner Berührung schmerzlich die Augen, scheint
sie aufzusaugen wie ein Ertrinkender.
Schließlich fängt er meine Hand mit einer so
schnellen
Bewegung
ein,
dass
ich
erschrocken
aufkeuche. Er dreht sie um und haucht einen Kuss
auf die Innenfläche.
„Ich will, dass du dich bei mir sicher fühlst,
Melanie.“
Ich
schlucke
schwer,
meine
Lippen
zittern.
„Das tue ich.“
Er streicht über mein Gesicht, schiebt mir
eine Haarsträhne hinters Ohr und lässt seine Hand
an meinem Hals ruhen. „Gut.“
Langsam streckt er sich neben mir aus und
schmiegt sich an meinen Rücken, sein Arm um mich
geschlungen.
Ich
spüre
seinen
harten,
warmen
60/221
Körper
dicht
an
meinem,
und
seinen
Atem
auf
meinem Hals.
Ich starre ins Feuer, während meine Gedanken
und Gefühle chaotisch durcheinanderwirbeln.
Es ist alles so schnell geschehen, dass ich
nicht weiß, was ich empfinde. Begehre ich Remus?
Seine Berührungen und Küsse setzen meinen Körper
in Flammen, soviel ist sicher. Ich vertraue ihm,
obwohl ich keine Ahnung habe, wer er ist. Ich
vertraue ihm sogar mein Leben an, obwohl ich
weiß, dass er mich binnen eines Augenblicks töten
könnte.
Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb, ich
weiß nicht, was ich denken soll. Remus‘ Erektion
drückt von hinten gegen meinen Körper, und ich
bin unendlich dankbar dafür, dass er meinen Wun-
sch
respektiert
und
nicht
versucht,
sich
mir
aufzudrängen.
Ich hätte nicht den Hauch einer Chance, mich
gegen ihn zu wehren. Ich konnte mich weder gegen
Juan und seine Leute, noch gegen die Trucker ver-
teidigen, und Remus spielt in einer ganz anderen
Liga.
„Danke.“ Mein Flüstern verschmilzt mit dem Kn-
istern des Feuers.
Remus scheint mich zu verstehen. Er drückt
einen
Kuss
auf
meinen
Hinterkopf,
sein
Arm
schließt sich enger um mich.
„Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“,
murmele ich nach einer Weile.
„Was möchtest du?“
„Bring mir bei, zu kämpfen.“
Er schweigt überrascht, dann dreht er mich zu
sich um. „Du willst kämpfen lernen?“
61/221
„Warum verwundert dich das? Nach allem, was
ich heute erlebt habe, möchte ich mich nie wieder
so wehrlos fühlen. Wenn du nicht gewesen wärst …“
„Aber ich war da.“
„Du wirst nicht immer da sein.“
Er
scheint
etwas
erwidern
zu
wollen,
entscheidet
sich
aber
im
letzten
Moment,
zu
schweigen.
„Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so
kämpfen kann wie du. Bringst du es mir bei?“
Er lässt seine Finger nachdenklich an meinem
Arm
entlang
gleiten,
über
mein
schmales
Handgelenk und die Blessuren auf meinem Unterarm.
Dann schließt sich seine mächtige Hand um mein
Handgelenk,
das
völlig
in
seiner
Pranke
ver-
schwindet. Ein Druck seiner kraftvollen Muskeln,
und
er
könnte
mir
die
Knochen
brechen.
Ein
schmerzliches
Lächeln
erscheint
auf
seinen
Lippen.
„In Ordnung. Wenn das dein Wunsch ist.“
„Danke“, flüstere ich.
„Schlaf
jetzt.
Du
bist
vollkommen
überanstrengt.“
Ich drehe mich zurück auf die Seite und lege
meinen Kopf auf seinen mächtigen Bizeps. Remus
schlingt seinen Arm um mich und zieht mich an
sich, wärmt und beschützt mich.
Von bleierner Müdigkeit übermannt schlafe ich
ein.
62/221
Kapitel 6
Am
nächsten
Morgen
werde
ich
durch
das
Gezwitscher
der
Vögel
geweckt.
Das
Feuer
ist
niedergebrannt, es sind nur noch verkohlte Reste
übrig.
Die
Sonne
ist
längst
aufgegangen
und
glitzert durch die Bäume.
Ich
liege
in
Remus‘
Armen
an
seine
Brust
geschmiegt. Er hat mich in den Schlafsack gewick-
elt, ich fühle mich warm und sicher an seinem
harten Körper.
„Guten Morgen.“ Seine Stimme so nah an meinem
Ohr zu hören, fühlt sich so intim an, dass mein
Herz schneller schlägt.
„Wie lange bist du schon wach?“, murmele ich
an seiner Brust.
„Eine Weile.“
Ich blinzele ihn an. „Warum hast du mich nicht
geweckt?“
„Vielleicht habe ich es ja genossen, dich in
meinen Armen zu halten.“
Ich spüre, dass ich erröte. Dieser Mann hat
mich nackt gesehen, warum erröte ich jetzt wegen
so einer Kleinigkeit?
Ich setze mich auf, der Schlafsack rutscht von
meinem Körper. Die Luft ist angenehm frisch, die
Kälte der Nacht ist verschwunden. Remus richtet
sich
ebenfalls
auf,
er
bewegt
sich
mit
der
Geschmeidigkeit eines Raubtiers.
„Was werden wir jetzt tun?“
„Wir werden uns hier versteckt halten, bis die
Dämmerung einbricht. Dann fahren wir weiter.“
„Wohin?“
Remus packt den Schlafsack zurück in den Ruck-
sack. „Das hängt davon ab, wie schnell die Staat-
sanwaltschaft arbeitet.“
Ich reiße die Augen auf. „Du meinst, du bring-
st mich zurück nach L.A.?“
„Erst wenn der Staatsanwalt bereit für die
Anklage ist. Sonst werden wir in einem anderen
Bundesstaat untertauchen.“
Remus vergräbt die Reste unseres Feuers und
verwischt unsere Spuren, bis nichts mehr darauf
hindeutet, dass jemand hier übernachtet hat.
Wir wandern den ganzen Vormittag durch den
Wald, weit von der Straße und den Wanderwegen
entfernt. Schließlich erreichen wir eine Lich-
tung, auf der wir Rast machen.
Remus wirft seinen Rucksack in den Schatten
der Bäume und tritt auf die freie Wiese ins
Sonnenlicht. Ein herausforderndes Lächeln spielt
um seine Lippen.
Ich runzele misstrauisch die Stirn. „Was hast
du vor?“
„Du wolltest kämpfen lernen.“ Er streckt seine
Hand aus und winkt mich zu sich.
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, während
ich meine Tasche neben seine lege und dann un-
sicher auf ihn zutrete. Er legt den Kopf schief
und fixiert mich wie ein Wolf seine Beute.
„Bitte … ich habe das noch nie gemacht …“
Noch bevor ich den Satz beenden kann, packt er
meinen Arm und dreht ihn mir auf den Rücken.
Dabei zieht er mich an sich und presst mich an
seinen Körper. Sein Griff ist fest, aber nicht
64/221
schmerzhaft, doch ich kann mich nicht rühren.
„Was jetzt, Doc?“
Ich winde mich unter seinen Muskeln, doch er
ist zu stark.
„Setz deine Beine ein“, flüstert er. Seine
Lippen streichen über mein Ohr, während er mich
mühelos unter Kontrolle hält.
Ich versuche, gegen sein Schienbein zu treten,
hole aus und erwische nach mehreren Versuchen
sein Knie. Ich glaube nicht, dass ich ihm wirk-
lich wehgetan habe, aber er lässt mich mit einem
Schmunzeln los.
„Nicht schlecht. Nochmal.“
Ich erwarte, dass er mir wieder den Arm ver-
dreht, doch seine Hand schießt nach vorn und
packt meine Kehle. Seine Finger graben sich in
meinen
Hals,
wenn
er
nur
ein
wenig
fester
zudrückt, bekomme ich keine Luft mehr. Instinktiv
klammere ich mich an seinen Arm und versuche, ihn
von mir wegzureißen.
„So viel Kraft hast du nicht, meine Kleine.
Versuch etwas anderes.“
Ich hole mit dem Bein Schwung und ramme ihm
mein Knie zwischen die Beine – das heißt, ich
versuche, ihn zu treffen, aber er fängt mein Knie
ab, bevor es auch nur in die Nähe seiner empfind-
lichen Teile kommt.
„Keine schlechte Idee. Und dann?“
Ich ziehe und zerre an seinem Arm, um meine
Kehle zu befreien, doch ich habe keine Chance.
„Du musst es von dieser Seite versuchen. Hi-
er.“ Er zeigt mir, was er meint, und gestattet
mir, seine Hand von meinem Hals wegzuschlagen. Es
fühlt sich an, als wäre sein Arm aus Stahl, und
ich reibe mir das Handgelenk.
65/221
„Das
schaffe
ich
nie,
wenn
du
es
nicht
zulässt.“
„Du musst versuchen, meine Schwachstellen zu
erwischen.“ Er greift nach meiner Hand und legt
sie an seinen Kehlkopf. Ich spüre seinen kräfti-
gen Hals, die Sehnen, die wie Stahlseile unter
seiner Haut liegen. Seine Stärke schüchtert mich
ein, ich muss mich zusammenreißen, um meine Hand
an seiner Kehle zu lassen.
Er legt sie an den weichen Punkt unter seinem
Kehlkopf und lässt seine Finger auf meinen ruhen.
„Jetzt drück zu.“
Meine Hand beginnt zu kribbeln, mir wird heiß,
während er mich mit diesen gefährlichen Wolfsau-
gen anblickt. Irrationale Angst schießt in mir
hoch, davor, dieses Raubtier zu reizen, indem ich
den lächerlichen Versuch wage, mich mit ihm zu
messen.
Wie bin ich nur auf die verrückte Idee gekom-
men, diesen Mann herauszufordern?
Ich zögere, meinen Finger in seinen Hals zu
bohren.
Doch
Remus
gibt
mir
nur
diese
eine
Chance, im nächsten Moment packt er mich plötz-
lich und wirbelt mich herum, ich spüre, wie mir
der Boden unter den Füßen weggerissen wird und
liege einen Augenblick später auf dem Rücken.
Remus ist über mir, seine Hand umfasst meinen
Kopf und schützt mich bei dem Aufprall, aber dann
hält er meine Handgelenke über meinem Kopf fest
und
kontrolliert
mich
mit
dem
Gewicht
seines
Körpers. Ich spüre seine Muskeln, die mich ins
Gras drücken, seinen großen Körper auf mir und
seine
Kraft,
der
ich
nichts
entgegenzusetzen
habe.
66/221
Ich winde und wehre mich, so gut ich kann.
Bald beginne ich, vor Anstrengung zu keuchen,
meine Muskeln brennen, doch alles Kämpfen ist
sinnlos. Remus hält mich erbarmungslos fest. Er
tut mir nicht weh, sondern beobachtet aufmerksam
meine Gegenwehr und verlagert sein Gewicht, um
die Kontrolle über mich zu behalten.
Als
er
merkt,
dass
ich
schwächer
werde,
richtet er sich plötzlich auf und setzt sich rit-
tlings auf mich. Seine Dominanz ist so über-
mächtig, dass mir die Situation auf einmal real
erscheint. Er hält meine Arme mit nur einer Hand
über meinem Kopf fest und holt mit der anderen
Hand aus.
Plötzlich schießen die Erinnerungen an Juan
und seine Freunde in mir hoch, ich zucke zusam-
men,
drehe
mein
Gesicht
von
Remus
fort
und
zittere in Erwartung eines Schlags.
Remus erstarrt. „Melanie.“ Seine Stimme klingt
unendlich sanft. Er blickt mich an, ungläubig und
beinahe
schockiert.
„Ich
tue
dir
nichts.“
Er
nähert seine Hand langsam meinem Gesicht, statt
mich zu schlagen streicht er zart über meine
Wange. „Das ist doch nur Training.“
„Ich weiß. Ich dachte bloß einen Moment lang
…“
„Ich verstehe.“ Er gibt meine Arme frei, dann
beugt er sich ganz langsam zu mir herunter, lässt
mir Zeit, ihn zu stoppen … ich zittere, aber ich
will ihn nicht aufhalten.
Er ist nicht Juan. Er ist Remus, der mich
beschützt und für meine Sicherheit sorgt. Seine
Lippen drücken einen Kuss auf meine, sie fühlen
sich sanft und warm an.
„Du bist unglaublich“, murmele ich.
67/221
„Warum?“ Sein Atem streicht über mein Gesicht.
Seine Augen glitzern, tief und dunkel.
„Ein Teil von dir ist so gefährlich … trotzdem
bist du mir gegenüber so sanft.“
„Ich will dir keine Angst einjagen. Ich will
nicht, dass du mich jemals wieder so ansiehst wie
bei unserer ersten Begegnung.“
Ich erinnere mich, wie ich starr vor Furcht in
der Ecke meines Schlafzimmers gekauert bin, nackt
und ihm völlig ausgeliefert.
Seine Lippen streichen über mein Gesicht, er
atmet meinen Duft ein. „Das nächste Mal, wenn du
nackt in meinen Armen liegst, will ich keine
Angst in deinen Augen sehen.“
Seine Worte schießen wie flammende Hitze durch
meinen Körper. Er streckt sich geschmeidig über
mir aus, stützt seine Arme auf, so dass ich
vollkommen unter seinem Körper verschwinde. Es
ist ein überwältigendes Gefühl, das Gewicht sein-
er Muskeln auf mir zu spüren, sein Becken, das
gegen meins drängt, sein Gesicht, das meinem ganz
nah ist …
„Du bist dir deiner Sache wohl sehr sicher.“
Meine Worte klingen atemlos. Seine dominante Nähe
lässt mein Herz schneller schlagen, ich genieße
seine Stärke und seine körperliche Überlegenheit
viel mehr, als ich mir selbst eingestehe.
Er küsst mich, lässt seine Zunge neckend über
meine
Lippen
gleiten.
„Dann
halte
mich
auf,
Melanie.“
Seine Küsse auf meinem Gesicht rauben mir den
Verstand, ich schließe die Augen und versinke in
seiner zärtlichen Liebkosung. Seine Lippen ziehen
eine Spur von Küssen über meine Wange, mein Ohr
und dann entlang meines Halses. Dabei kratzt sein
68/221
Bart rau über meine Haut, ich fühle das Spiel
seiner Muskeln, als er sein Gewicht verlagert, um
mein Schlüsselbein zu küssen.
Seine
Hand
streichelt
über
meine
Seite,
gleitet meinen Rippenbogen entlang, bis er meine
rechte Brust sanft umfasst. Das Gefühl, von sein-
er großen Hand berührt zu werden, erregt mich so,
dass ich leise aufstöhne. Ich fange einen Blick
von ihm auf, flammend und wild wie der eines
Wolfs. Seine Stimme ist ein dunkles Knurren. „Sag
mir, dass du das nicht willst.“ Er streichelt
meine
Brust
durch
mein
T-Shirt
hindurch.
Die
langsamen, kreisenden Bewegungen seines Daumens
machen mich verrückt. „Sag mir, dass ich aufhören
soll.“
Anstelle einer Antwort kralle ich meine Finger
in seinen Rücken und dränge mich seiner Lieb-
kosung entgegen. Ich erkenne mich selbst nicht
wieder, das Feuer, das er in mir entfacht, ist
unbeherrschbar.
Seine Augen glühen, mit einem sehr männlichen
Lächeln auf den Lippen beginnt er, mir das T-
Shirt über den Kopf zu ziehen. Ich helfe ihm,
damit ich seine Berührung endlich auf meiner Haut
spüren kann …
Er zieht meinen BH zur Seite und küsst die
Knospe meiner rechten Brust. Seine Zunge reizt
und neckt mich, ich winde mich wimmernd unter
ihm, so herrlich sind die Gefühle, die er in mir
auslöst. Er zieht meinen BH weiter hinunter, wid-
met sich der anderen Brust, küsst und leckt meine
Knospen, bis sie sich ihm hart entgegendrängen.
Meine
Stimme
klingt
heiser
vor
Verlangen.
„Zieh dein Shirt aus. Ich will dich spüren.“
69/221
Mit einer schnellen Bewegung erfüllt er meinen
Wunsch. Dann senkt sich sein mächtiger Brustkorb
auf mich, ich spüre die Härte seiner Muskeln und
die Hitze, die von ihm ausstrahlt. Seine Haut ist
straff und glatt, sein Körper so viel stärker als
meiner.
Ich
lasse
meine
Hände
über
seinen
Brustkorb
gleiten,
fahre
bewundernd
über
die
breiten Brustmuskeln und das harte Sixpack. Er
zieht die Luft ein, als ich mit der Hand die
Haarlinie entlang streiche, die sich von seinem
Nabel
abwärts
zieht
und
in
seiner
Hose
verschwindet.
„Sag mir, dass ich aufhören soll“, flüstere
ich neckend.
Er schmunzelt, seine Augen stehen in Flammen.
„Niemals, meine Kleine.“
Dann küsst er mich, presst seinen Brustkorb
gegen meine Brüste, es ist ein herrliches Gefühl,
ihn auf mir zu spüren, seine Haut an meiner zu
fühlen. Mit einer kraftvollen Bewegung spreizt er
meine Schenkel und drängt sich zwischen meine
Beine. Ich fühle seine Erektion, die er gegen
meine Scham drückt, die männliche Stärke, mit der
er sich an mich schmiegt. Er schafft es, dass ich
mich vollkommen sicher und beschützt fühle.
Und dann kracht der Schuss.
70/221
Kapitel 7
Remus
erstarrt
für
den
Bruchteil
einer
Sekunde, dann geschieht alles rasend schnell.
Er reißt mich mit sich hoch und jagt mit mir
auf den Wald zu, während er mich mit seinem Körp-
er
abschirmt.
Binnen
weniger
Augenblicke
er-
reichen wir den Schutz der Bäume, Remus drängt
mich zwischen den Wurzeln eines alten Riesen zu
Boden und kauert sich neben mich.
Mein Herz hämmert, mein Atmen geht schnell und
flach. Gehetzt blicke ich mich um. Remus ist
ebenso in Alarmbereitschaft wie ich, doch er hat
auf einen tödlichen Jägermodus umgeschaltet. Sys-
tematisch scannt er die Umgebung, seine Augen
sind
schmal,
seine
Bewegungen
lautlos
und
beherrscht.
„Was sollen wir -?“
Er hält mir die Hand vor den Mund, bevor ich
die Frage beenden kann. Seine Augen blitzen warn-
end auf, er deutet mir, leise zu sein, dann lässt
er mich los.
„Wir wissen nicht, wie viele es sind.“ Seine
Stimme gleicht einem Atemhauch, ist kaum lauter
als das Rascheln der Blätter. „Der Schuss wurde
aus
dieser
Richtung
abgefeuert,
aber
wenn
es
mehrere sind, könnten sie hier überall sein.“
„Gonzales‘ Männer?“
„Diese Kerle haben ihre Spitzel überall, doch
ich dachte, dass uns mehr Zeit bleiben würde,
bevor
sie
unsere
Spur
aufnehmen.“
Er
flucht
leise. „Manchmal kommen aber auch Jäger hierher,
die gerade diese Abgeschiedenheit suchen. Meist
sind es Einzelgänger, verschrobene Typen, aber
man kann nie wissen. Bleib hier, ich sehe mir die
Sache an.“
Ich
kralle
meine
Finger
in
seinen
nackten
Oberkörper, als er davonschleichen will. Unsere
Shirts liegen irgendwo auf der Wiese. „Du willst
mich hier allein lassen?“
„Ich muss herausfinden, in welche Richtung wir
fliehen können. Ich bin gleich wieder da.“
Keine gute Idee.
„Remus! Remus!“ Meine Stimme wird zu einem
Zischen, doch er ist bereits lautlos zwischen den
Bäumen verschwunden.
Oh mein Gott. Was, wenn das Gonzales‘ Männer
sind? Wie um alles in der Welt haben die uns
gefunden?
Ich schlinge die Arme um meinen Körper und
kauere mich nieder, verstecke mich so gut es geht
zwischen den Wurzeln, wobei ich mich bemühe, die
Käfer und kleinen Insekten zu ignorieren, die
über meine nackte Haut krabbeln.
Ich überlege kurz, ob ich unsere Shirts von
der Wiese holen soll, doch das erscheint mir zu
riskant. Aber was ist mit unseren Rucksäcken?
Vorsichtig spähe ich über das Wurzelwerk hinweg.
Die Rucksäcke liegen nur ein paar Meter weiter im
Schatten eines Baums, leider gibt es dazwischen
nicht viele Sträucher, ich werde keine Deckung
finden.
Was soll ich nur tun? Ob ich es riskieren
soll? Mein Geld und die Medikamente sind da drin
…
72/221
Da kracht plötzlich ein zweiter Schuss.
Jetzt bekomme ich es wirklich mit der Angst zu
tun. Ob sie auf Remus geschossen haben? Was, wenn
er verletzt ist und meine Hilfe braucht? Eiskalte
Furcht schließt sich wie Klammern um mein Herz.
Was, wenn sie ihn erschossen haben?
Nein. Das ist einfach unmöglich. Ich kenne
niemanden, der so gut auf sich aufpassen kann wie
Remus. Aber trotzdem …
Ich harre mit gespitzten Ohren aus und lausche
in den Wald, wage nicht, mich zu bewegen. Jedes
Blätterrascheln, jedes Knacken eines Zweigs lässt
mich zusammenfahren.
Plötzlich glaube ich Schritte zu hören, die
sich nähern. Jemand kommt direkt auf mein Ver-
steck zu. Es muss Remus sein! Im ersten Augen-
blick durchströmt mich Erleichterung, doch dann
wird mir bewusst, das es unmöglich Remus sein
kann … er hätte sich mir genähert, ohne dass ich
auch nur einen Laut wahrgenommen hätte. Wer auch
immer da durch den Wald auf mich zukommt, ist
bestimmt nicht Remus.
Ich springe auf und haste los. Im Schatten der
Bäume kämpfe ich mich durch das Unterholz, es ist
mir egal, dass ich dabei Lärm mache, denn mein
Verfolger scheint ohnehin zu wissen, dass ich
hier bin. Wenn ich nicht schnell genug fliehe,
wird er mich erwischen.
Immer wieder halte ich inne und lausche, ob
die Schritte hinter mir noch zu hören sind. Jedes
Mal scheinen sie näher an mir dran zu sein, doch
mit einem Mal ist es plötzlich still, und ich
höre nichts als meinen eigenen, keuchenden Atem.
Ich wende mich zum Weiterlaufen - und pralle
zurück, als hätte mich ein Blitz getroffen.
73/221
Vor mir steht ein fremder Mann und hält den
Lauf
seines
Gewehrs
direkt
auf
meine
Brust
gerichtet.
Er ist nicht so groß wie Remus, stämmig ge-
baut,
hat
wirres
Haar
und
einen
ungepflegten
Vollbart.
Es
ist
schwierig,
sein
Alter
zu
schätzen, aber ich glaube, dass er nur ein wenig
älter
ist
als
ich
selbst.
Er
trägt
ein
rot
kariertes Holzfällerhemd und eine Baseballkappe,
und seine kleinen Augen erinnern mich an die
eines Schweins.
Ich
pralle
zurück
und
erstarre.
Instinktiv
hebe ich die Arme, während der Lauf der Waffe im-
mer noch auf mich zielt.
„Bitte nicht schießen …!“ Meine Stimme klingt
schrill und überschlägt sich.
Der Typ starrt mich an. Es dauert einen Mo-
ment, bis ich begreife, dass ich in Jeans und BH
vor ihm stehe und es meine Brüste sind, die er
angafft.
Zu
der
Scheißangst,
die
ich
ohnehin
schon
habe, gesellt sich noch eine ganz andere Art von
Panik. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was
im Kopf dieses Kerls vor sich geht.
„Was tust du hier? Das ist … ist mein Wald!“
Seine Stimme klingt trotzig wie die eines Kindes.
Ich schweige vor Verblüffung. Sein Wald? „Das
ist ein Nationalpark …“ Ich verstumme, als er mit
dem Gewehrlauf vor mir herumwedelt.
„Nein! Das ist Kurts Wald! Kurts Wald!“ Dabei
schlägt er sich auf die Brust.
„Schon gut, schon gut!“ Ich zucke zusammen,
traue mich aber nicht, vor ihm zu fliehen. Er ist
vielleicht
nicht
der
Hellste,
aber
er
kann
74/221
garantiert mit dem Gewehr umgehen. „Es ist Ihr
Wald! Ich habe es nicht gewusst, hören Sie, es
tut mir leid. Lassen Sie mich einfach gehen, ich
verspreche, ich betrete Ihren Wald nie wieder …“
„Nein. Ich lasse dich nicht gehen. Du bist in
meinem Wald, ich habe dich gefangen, also gehörst
du mir.“
Mein Magen krampft sich zusammen. „Sie irren
sich. Bitte, lassen Sie mich einfach gehen …“
„Du bist hübsch. Ich werde dich mitnehmen.“
Oh mein Gott. Ein Verrückter. Ein Psychopath!
„Bitte, ich werde auch niemandem davon erzäh-
len, bitte, lassen Sie mich doch …“
„Sei still! Los, beweg dich!“ Er deutet mir
mit dem Gewehr, mich in Bewegung zu setzen.
Was soll ich nur tun? Er wird mich erschießen,
wenn ich ihm nicht gehorche! Mir bleibt nichts
anderes übrig. Ich gehe langsam voran, während er
mir folgt, und bete innerlich, dass Remus mich
findet,
bevor
dieser
Wahnsinnige
über
mich
herfällt.
Wir kommen an unseren Rucksäcken vorbei und
Kurt bleibt plötzlich stehen.
„Sind das deine Sachen?“
Ich sehe keinen Sinn darin, es abzustreiten,
also nicke ich.
„Warum sind da zwei Taschen?“
Oh, Mist.
„Ich wollte campen, da braucht man einiges an
Ausrüstung …“
„Du lügst! Du bist nicht allein! Wer ist noch
hier?“ Er tritt auf mich zu und drückt mir den
Lauf der Waffe zwischen die Rippen. „WER?“
Ich zucke zusammen. „Niemand! Niemand, ich bin
allein.“
75/221
„Lüge! Lüge, Lüge, Lüge!“ Er stampft mit dem
Fuß auf. Dann packt er mich an den Haaren und
zerrt mich zwischen den Bäumen hinaus auf die
Lichtung. Ich schreie vor Schmerz und stolpere
hinter ihm her, falle zu Boden, doch er schleift
mich einfach weiter. Der Kerl hat Bärenkräfte.
Mitten auf der Lichtung bleibt er stehen und
zerrt
mich
auf
die
Füße.
Dann
zieht
er
ein
riesiges Jagdmesser hervor und drückt es unter
meinen Brüsten gegen meine Rippen. Ich halte vor
Panik die Luft an, wage nicht, mich gegen seinen
Griff
zu
wehren,
spüre
das
kalte
Metall
der
Klinge an meiner Haut.
„Komm raus!“, brüllt Kurt. „Oder ich weide sie
aus wie ein Reh!“
Oh Gott, meint er das etwa ernst? Mein Blick
flackert
über
die
Lichtung
zum
Waldrand,
ich
suche verzweifelt ein Anzeichen von Remus, hoffe,
dass er mich sieht und mir zu Hilfe kommt … doch
wir stehen viel zu weit draußen auf der Lichtung,
Remus‘ Wurfmessern könnten uns nicht erreichen.
Verdammt, warum hat Remus keine Schusswaffe?
„Ich zähle bis drei!“, brüllt Kurt. „Eins,
zwei …“ Dann zieht er die Klinge plötzlich über
meine Haut, ich fühle einen brennenden Schmerz
und schreie auf. Hellrotes Blut rinnt warm über
meinen Oberkörper. „Drei -“
„Warten Sie!“ Remus‘ Stimme hallt über die
Lichtung. Kurt hält inne, als Remus unter den
Bäumen hervortritt und mit erhobenen Händen auf
uns zukommt. Er strahlt eine tödliche Ruhe aus,
doch seine Augen stehen in Flammen, als er meine
Verletzung sieht. „Lassen Sie sie gehen!“
„Nein! Sie kommt mit mir!“
„Lassen Sie sie gehen.“
76/221
„Bleib stehen!“
Remus erstarrt auf halben Weg mitten auf der
Lichtung. Ich spüre, wie mir vor Angst Tränen
über die Wangen laufen. Kurt hält sein Jagdmesser
weiterhin an meinen Brustkorb gedrückt.
„Ich habe sie gefangen, sie gehört mir.“
Remus Stimme klingt eindringlich, beschwörend.
Mit erhobenen Händen macht er langsam einen Sch-
ritt auf uns zu. „Ich kann nicht zulassen, dass
Sie sie mitnehmen.“
Kurt windet sich wie in einem Wutanfall. Vor
Zorn
wird
er
rot
im
Gesicht.
„Ich
will
sie
haben!“
„Das kann ich nicht erlauben.“ Remus kommt uns
immer näher. Ich traue mich kaum noch, zu atmen.
Remus bleibt beherrscht und ruhig, während Kurt
immer mehr die Kontrolle verliert. Er strampelt
und windet sich.
Jetzt trennen uns noch nur noch wenige Meter
von Remus. Er macht einen weiteren Schritt auf
uns zu. Sein nackter Oberkörper glänzt in der
Sonne, er hält Kurt seine leeren Hände entgegen,
doch ich weiß, dass er nur auf den richtigen Mo-
ment wartet, um seine Klingen zu ziehen. Nur noch
ein paar Schritte näher …
„Nein!“, brüllt Kurt plötzlich und reißt das
Gewehr hoch. „Ich will sie haben!“
Dann kracht ein Schuss, und Remus stürzt zu
Boden.
Mein gellender Schrei hallt über die Lichtung.
Ich renne auf Remus zu, werfe mich neben ihm auf
die Knie, verschwende keinen Gedanken daran, dass
dieser Wahnsinnige mir in den Rücken schießen
könnte.
77/221
Remus
ist
bewusstlos,
aus
einer
Wunde
auf
seinem
Oberschenkel
schießt
ein
fingerdicker
Blutstrahl.
„Oh mein Gott, Remus! Remus!“ Ich presse so-
fort meine Hand auf die Wunde, um die Blutung zu
stoppen. „Remus, bitte! Oh Gott!“
Ich merke gar nicht, dass Kurt neben mich
getreten
ist,
bis
ich
plötzlich
seine
Stimme
höre.
„Ist er dein Mann?“
„Was? Nein -“
Daraufhin zielt Kurt mit dem Gewehr auf Remus‘
Kopf.
„Ja!“, schreie ich verzweifelt. „Ja, er ist
mein Mann! Bitte nicht schießen!“ Meine Stimme
überschlägt sich vor Angst. Ich weiß nicht, was
dieser Verrückte von uns will, ich bete nur, dass
es die richtige Antwort war und –
Kurt lässt die Waffe sinken. „Er ist … ist
dein Mann?“ Plötzlich klingt er wieder unsicher
wie ein Kind.
„Ja“, flüstere ich hohl. „Bitte erschießen Sie
ihn nicht.“
Kurt
scheint
unschlüssig
zu
sein,
aber
er
lässt die Waffe sinken.
„Dann nehme ich euch beide mit.“
„Ich muss zuerst seine Wunde versorgen.“
Kurt runzelt verständnislos die Stirn. Er gre-
ift nach meinem Arm und will mich auf die Beine
ziehen, doch ich wehre mich gegen seinen Griff.
„Sehen Sie nicht, wie stark er blutet? Ich
muss die Blutung stillen, oder er stirbt, ver-
stehen Sie?“
Kurt zögert. „Er stirbt?“
„Bitte … lassen Sie mich ihn retten.“
78/221
Kurt
lässt
meinen
Arm
los
und
deutet
auf
Remus. „Mach ihn gesund!“
„Ich brauche meine Tasche. Darin sind Medika-
mente und … ohne die Tasche kann ich ihm nicht
helfen. Bitte holen Sie sie!“
Kurt scheint unsicher zu sein, dann wendet er
sich aber dem Waldrand zu und läuft los, um meine
Tasche
zu
holen.
Währenddessen
reiße
ich
den
Stoff
von
Remus‘
Cargohose
auf
und
lege
die
Schusswunde frei. Kaum nehme ich den Druck von
der Wunde, schießt mir ein neuer Blutschwall ent-
gegen. Die Ärztin in mir analysiert die Situation
ruhig und beherrscht, doch die Frau in mir ist in
heller
Panik.
Ich
weiß,
dass
mir
nur
wenige
Minuten bleiben, um Remus‘ Leben zu retten, bevor
er verblutet.
Endlich kehrt Kurt mit meiner Tasche zurück.
„Die blaue Reiseapotheke! Finden Sie sie, na
los!“
Er kramt in der Tasche und zieht einen blauen
Beutel hervor. Ich reiße ihn Kurt aus der Hand,
suche nach dem Desinfektionsmittel und schraube
es
mit
den
Zähnen
auf.
Dann
schütte
ich
es
großflächig über die Schusswunde, greife mir ein
kleines Skalpell und öffne die Wunde weiter. Ich
habe keine Zeit, um vorsichtig zu sein, ich muss
mir schnell Zugang verschaffen, um die Blutung zu
stoppen. Es ist der Albtraum jedes Arztes, unter
solchen Umständen eine Notoperation durchführen
zu müssen – noch dazu an jemandem, der einem
wichtig ist.
Ein weiterer Blutschwall strömt mir aus der
Wunde entgegen, ich erkenne das verletzte Gefäß,
zum Glück ist es nur gerissen und nicht völlig
zerfetzt. Ich kann die Kugel nicht entdecken, es
79/221
war wohl ein glatter Durchschuss, aber mir bleibt
nicht
viel
Zeit,
die
fingerdicke
Arterie
zu
nähen, bevor Remus verblutet. Hastig ziehe ich
Nadel und Faden aus der Tasche und mache mich an
die Arbeit.
Ich bin so konzentriert, dass ich Kurt und
alles um uns herum vergesse. Ich arbeite, so
schnell ich kann, obwohl immer wieder frisches
Blut aus der Wunde strömt und mir die Sicht er-
schwert.
Ich
bete
ununterbrochen
dafür,
dass
Remus es übersteht.
Irgendwann
gelingt
es
mir
schließlich,
das
Loch in der Gefäßwand zu verschließen und die
Blutung zu stoppen. Ich weiß nicht, wie viel Blut
Remus verloren hat, aber ich knie in einer Blut-
lache. Außerdem bin ich selbst von oben bis unten
voll mit Blut, es stammt von Remus und aus meiner
eigenen Wunde, die Kurt mir mit dem Messer zuge-
fügt hat. Geistesgegenwärtig schütte ich etwas
von dem Desinfektionsmittel auf den Schnitt an
meinem Brustkorb, es brennt höllisch und ich un-
terdrücke ein Keuchen.
Kurt
tritt
gegen
Remus‘
Körper.
„Wird
er
wieder gesund?“
Ich hoffe es. Gott, wie ich es hoffe.
„Ich habe mein Bestes getan.“
„Steh auf.“ Er lässt mir keine Zeit, reißt
mich auf die Beine. Ich lasse das Skalpell in
meiner
Hosentasche
verschwinden
und
ziehe
die
Arzneitasche an mich, dann bückt sich Kurt und
schultert Remus‘ bewusstlosen Körper. Er richtet
sich mit erstaunlicher Kraft auf, das Gewehr hält
er jetzt mit nur einer Hand auf mich gerichtet.
„Vorwärts.“
80/221
Als würde Remus nichts wiegen, trägt Kurt ihn
hinter mir her. Wie stapfen durch die Wildnis,
ich halte meine Hand auf den Schnitt auf meinem
Brustkorb gedrückt, um die Blutung zu stoppen.
Dabei kreisen meine Gedanken immer nur um Remus,
ich bete, dass er es übersteht, bete, dass er
überhaupt noch atmet.
Nach einer Ewigkeit erreichen wir eine Hütte
am Rand des Parks. Niemand sonst wohnt hier weit
und breit, ich sehe bloß eine verwilderte Schot-
terstraße, die zu dem Grundstück führt. Das Haus
ist alt und heruntergekommen, es gibt eine Sch-
eune, einen Schweinekoben und einen Hühnerstall.
Hier wohnt Kurt also? Das könnte aus einem
Horrorfilm sein …
„Los, da rein!“ Er stößt mir den Gewehrlauf in
den Rücken und ich stolpere in die Scheune. Was
ich dort sehe, verschlägt mir vor Entsetzen den
Atem.
Es ist ein Käfig aus Metallstreben, vielleicht
drei mal drei Meter groß, der Boden ist mit
schmutzigem Stroh bedeckt. Die Gitterstäbe sind
rostig, der Käfig scheint fast genauso alt zu
sein wie die Scheune, und die ist bloß noch eine
Bruchbude.
Kurt zwingt mich in den Käfig, dann wuchtet er
Remus von seiner Schulter hinunter auf den Boden
und verschließt die Tür unseres Gefängnisses.
Ich sinke neben Remus auf die Knie und unter-
suche ihn auf Lebenszeichen. Gott sei Dank - ich
kann seinen Puls fühlen! Ein schneller Blick auf
sein Bein sagt mir, dass seine Wunde nicht wieder
aufgerissen ist, wie durch ein Wunder hat er den
Transport unbeschadet überstanden.
81/221
„Was wollen Sie von uns?“ Meine Stimme klingt
tränenerstickt. „Was haben Sie mit uns vor?“
Anstelle einer Antwort lächelt Kurt diabol-
isch, entblößt dabei faulende Zähne und winkt uns
mit den Fingern, wie ein Kind es tun würde. Der
Anblick jagt mir einen grausigen Schauer über den
Körper.
Ohne ein Wort verlässt Kurt die Scheune und
knallt die Tür hinter sich zu.
Sonnenstrahlen schimmern durch die lose zusam-
mengenagelten
Bretter
der
Scheune
und
brechen
sich an der staubigen Luft. Ich nehme Remus‘ Kopf
in meinen Schoß und streiche sein Haar aus dem
Gesicht.
„Bitte stirb nicht“, wispere ich verzweifelt.
„Oh Gott, bitte stirb nicht …“
82/221
Kapitel 8
Es
macht
mich
verrückt,
nichts
weiter
für
Remus tun zu können. Vor Wut und Hilflosigkeit
schießen mir Tränen in die Augen.
Wenn er jetzt hier in meinen Armen stirbt,
dann bin ich daran schuld. Er ist angeschossen
worden, weil er mich vor Kurt beschützen wollte.
Verdammt, er ist überhaupt nur meinetwegen in
dieser beschissenen Lage!
Weil er mich vor Juan und Gonzales beschützt
hat, weil er mit mir geflohen ist und sich mit
mir in den Wäldern versteckt hat.
Wenn er jetzt stirbt, ist das alles nur meine
Schuld. Ich würde mir das nie vergeben.
Ich streichle über seine Wange, meine Tränen
fallen auf sein Gesicht.
„Bitte“, flüstere ich immer wieder. „Bitte,
bleib bei mir …“
Es ist mir egal, dass ein Wahnsinniger mich in
seiner Gewalt hat, irgendwo in einer gottver-
lassenen
Hütte
am
Ende
der
Welt.
Alles,
was
zählt, ist, dass ich Remus nicht verlieren darf.
Es darf einfach nicht geschehen. Dafür ist mir
dieser verschlossene, tödliche Krieger viel zu
wichtig. Es erschreckt mich selbst, wie sehr sich
mein Herz bei dem Gedanken zusammenkrampft.
„Bitte … Remus …“ Meine Worte ersticken unter
einem Schluchzen.
„Hey … Doc.“ Remus‘ Stimme klingt schwach.
Ich reiße die Augen auf. „Oh mein Gott!“ Ich
breche auf seiner Brust zusammen und heule los.
Er hält mich fest und streichelt über meinen
Kopf.
„Als ich dich das erste Mal gehalten habe,
hattest du Todesangst vor mir … jetzt heulst du
dir bloß noch die Augen aus dem Kopf … unsere
Dates
werden
besser,
findest
du
nicht?“
Ein
mattes Lächeln klingt in seinen Worten mit.
Ich hebe den Kopf und sehe ihn verweint an.
„Remus, ich dachte … oh Gott, ich dachte, dass du
…“
Er wischt mir die Tränen von den Wangen. „So
schnell wirst du mich nicht los.“
Dann richtet er sich langsam auf, ich rutsche
von seinem Brustkorb und knie mich neben ihn.
„Was zur Hölle ist passiert? Wo sind wir?“
„Woran erinnerst du dich?“
„An diesen Kerl mit dem Gewehr … er hat dich
mit einem Messer bedroht.“ Remus untersucht hast-
ig meinen Körper. Als er die Schnittwunde an
meinem Brustkorb und all das getrocknete Blut
entdeckt, erstarrt er.
„Melanie!“ Ein Ausdruck glühenden Zorns tritt
in sein Gesicht. „Was hat er dir angetan? Hat er
dich angerührt?“
Seine Wut schlägt mir entgegen wie ein Orkan.
„Nein. Er hat … er hat auf dich geschossen.“
Ich deute auf die Wunde an seinem Oberschenkel.
Meine Stimme klingt erstickt. „Ich konnte ihn
dazu überreden, mich dir helfen zu lassen. Aber,
ganz ehrlich, es war verdammt knapp.“
Remus zieht den Stoff seiner Hose zur Seite
und betrachtet die verkrustete, blutige Naht. „Du
hast mich zusammengeflickt?“
84/221
Ich nicke stumm.
„Aber was ist mit deiner Wunde? Der Schnitt
sieht übel aus.“
„Nicht so schlimm.“ Ich bringe es fertig, den
Kopf zu schütteln, obwohl mir schon wieder Tränen
in die Augen steigen.
Remus zieht mich an sich, behutsam, um mir
nicht wehzutun. Er drückt mich an seine nackte
Brust und streichelt mich.
„Ich werde uns hier rausholen“, murmelt er
rau. „Ich verspreche dir, dass der Kerl dafür
bezahlen wird, was er dir angetan hat.“
Es dauert bis zum Sonnenuntergang, ehe Kurt
zurückkommt. Meine Zunge klebt an meinem Gaumen,
weil wir kein Wasser haben und es in der Scheue
brütend
heiß
ist.
Kurt
hat
mir
meine
Tasche
gelassen, also habe ich wenigstens die Möglich-
keit,
meine
und
Remus‘
Wunden
regelmäßig
zu
desinfizieren.
Die
Schusswunde
sieht
erstaunlich
gut
aus,
aber mein Schnitt brennt und pocht.
„Die Wunde hat sich entzündet.“ Remus betastet
vorsichtig das Gewebe um meine Verletzung.
„Weiß Gott, was das für ein schmutziges Messer
war.“ Wenn Kurt damit erlegte Tiere ausgeweidet
hat … dann brauche ich dringend ein verdammt
starkes Antibiotikum, oder ich werde ein Wund-
fieber entwickeln.
„Wir müssen hier raus.“ Remus lässt seinen
Blick zum tausendsten Mal über die Gitterstäbe
und die Käfigtür schweifen. Sie sind so massiv,
dass sie seinen Ausbruchsversuchen standgehalten
haben. „Du brauchst medizinische Versorgung.“
„Noch geht es mir gut.“
85/221
„Das ist nicht wahr. Du glühst.“ Er legt seine
Hand an meine Stirn, sie fühlt sich kühl auf
meiner Haut an. „Du hast Fieber.“
„Ich habe solchen Durst …“
Im nächsten Moment wird die Tür zur Scheune
aufgerissen und Kurt kommt herein. Er baut sich
vor dem Käfig auf, in einer Hand hält er eine
Wasserflasche, in der anderen sein Gewehr. Er be-
trachtet uns, als wären wir Vieh.
„Wir brauchen Wasser“, sagt Remus mit erstaun-
lich ruhiger Stimme. „Sie ist krank.“
Kurts Blick flackert zu mir, dann wieder zu
Remus. „Ich habe Wasser hier“, erwidert er in
kindlichem Singsang.
Remus knirscht hörbar mit den Zähnen, seine
Nasenflügel blähen sich vor Wut. „Was wollen Sie
von uns? Warum haben Sie uns hergebracht?“
Kurt zieht die Wasserflasche an den Gitter-
stäben
entlang,
es
erzeugt
ein
ratterndes
Geräusch.
„Was wollen Sie, Mann?“, stößt Remus zwischen
den Zähnen hervor.
„Ich habe euch gefangen, und ihr gehört mir.“
Kurts widerlicher Singsang jagt mir einen Schauer
über den Körper. „Ihr könnt das Wasser haben …“
Er streckt die Flasche zwischen den Gitter-
stäben hindurch, doch als Remus danach greift,
zieht er sie wieder zurück.
Kurt lacht und beginnt, auf den Fußballen auf-
und abzuwippen. „Wenn du das Wasser willst, dann
musst du etwas dafür tun!“
Remus ballt seine Hand zu einer Faust und
starrt Kurt glühend an. Seine Stimme ist ein
heiseres Knurren. „Was soll ich tun?“
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Kurt deutet mit glänzenden Augen auf mich und
kichert. „Fick sie.“
Ich glaube, mein Herz erstarrt. Remus wirkt
wie vom Blitz getroffen. „Was?“
Kurt hüpft vor unserem Käfig auf und ab. „Fick
sie, fick sie, fick sie …“ Er singt es, als wäre
es ein Kinderlied.
Als Remus sich nicht rührt, wirft sich Kurt
gegen das Gitter, krallt sich an den Stäben fest.
„Hühner ficken Hühner … Schweine ficken Schweine
… Menschen ficken Menschen …“ Der Singsang dreht
mir den Magen um. „Ich halte Hühner, ich halte
Schweine, und ich halte Menschen!“
Meine Augen sind vor Entsetzen übergroß. Die
schreckliche Ahnung steigt in mir auf, dass Remus
und ich nicht das erste Paar sind, das in diesem
Käfig gefangen gehalten wird. Dieser Kerl ist ab-
solut wahnsinnig! Ich starre Remus an, er sieht
die Angst in meinen Augen.
„Ich habe es im Fernsehen gesehen! Die Weiber
wollen es hart!“ Kurt steigert sich immer weiter
hinein. „Schweine quieken, wenn sie ficken. Ich
will, dass sie auch vor Schmerzen schreit, also
fick sie hart, hörst du? Dann ist es richtig.“
Remus knurrt voller Verachtung. „Du bist das
Abscheulichste -“
Kurt wird ungeduldig und stößt einen Wutschrei
aus. Plötzlich reißt er die Waffe hoch und zielt
auf Remus. „Tu, was ich sage!“
„Nein.“
„Remus!“, flüstere ich, meine Stimme erstickt
vor
Verzweiflung.
„Remus,
er
wird
dich
erschießen!“
„Ich werde dir nicht wehtun, Melanie, egal,
was dieser Scheißkerl verlangt.“
87/221
„Remus.“ Ich flehe vor Angst. „Er wird dich
erschießen und selbst über mich herfallen … bitte
…“
„Tu es!“ Kurt zielt mit der Waffe auf mich.
„Oder soll ich lieber sie erschießen?“
Remus tritt zwischen Kurt und mich, schildet
mich
mit
seinem
Körper.
Seine
Hände
sind
zu
Fäusten geballt, seine Knöchel treten weiß her-
vor. „Rühr sie nicht an!“
„Dann fick sie endlich, oder ich erschieße
euch beide!“ Kurt lädt die Waffe durch, lässt
keinen Zweifel daran, dass er es ernst meint. Er
wird uns umbringen und hinter dem Haus verschar-
ren und keiner wird jemals erfahren, was mit uns
geschehen ist … „Eins … zwei …“
Ganz langsam, als würde eine Tonne Gewicht auf
seinen Schultern lasten, dreht Remus sich zu mir
um.
Mein ganzer Körper fängt zu zittern an, erneut
schießen mir Tränen in die Augen. „Schon gut“,
wispere ich. „Es ist schon gut …“
Remus kommt auf mich zu, bis er dicht vor mir
steht. In seinen Augen lodert kaltes Feuer, seine
Kiefermuskeln
spannen
sich
an,
er
hasst
sich
selbst.
Dann hebt er seine Hand und streichelt über
meine Wange.
88/221
Kapitel 9
Sein Arm schlingt sich um mich, zieht mich an
seinen Körper.
Ich wehre mich nicht, lasse es
geschehen, aber es fühlt sich falsch an, so an-
ders als noch vor wenigen Stunden auf der Wiese,
als
mein
Körper
sich
nach
Remus‘
Berührung
verzehrt hat.
Ich
höre,
wie
Kurt
um
den
Käfig
herum-
schleicht, sehe, wie er den Kopf reckt, um ja
nichts zu verpassen. In diesem Augenblick hasse
ich nichts und niemanden auf der Welt mehr als
diesen widerlichen Kerl.
„Sie soll schreien! Warum schreit sie nicht?“
Remus Hand verkrampft sich an meinem Rücken,
dann reißt er mir mit einer einzigen Bewegung den
BH runter. Ich schreie tatsächlich, allerdings
vor Schreck, nicht vor Schmerz.
Kurt klatscht begeistert in die Hände, während
er unruhig an den Gitterstäben entlang wieselt.
„Fick sie, fick sie, fick sie …!“
Remus lehnt sich so dicht an mich, dass es
aussieht, als würde er mein Ohr küssen, aber
plötzlich höre ich sein Flüstern. „Vertraust du
mir?“
Ich nicke kaum merklich, so dass Kurt keinen
Verdacht schöpft.
Remus drückt einen sanften Kuss auf mein Ohr.
Dann verspannt sich sein Körper plötzlich, er
dreht mich herum, presst mich mit dem Rücken an
seine Brust, so dass Kurt freie Sicht auf meine
nackten Brüste hat.
Ich schreie auf, will mich losreißen, doch
Remus lässt es nicht zu. Er hält mich fest und
beginnt, grob meine Brüste zu kneten.
Im ersten Moment bin ich schockiert, begreife
nicht, was er damit bezweckt, und wehre mich in-
stinktiv. Ich kämpfe gegen Remus an, doch er hält
mich fest, und Panik steigt in mir auf. Kurt
hängt sabbernd an den Gitterstäben und macht mit
seiner Zunge obszöne Gesten.
„Weißt du, wie sich das anfühlt?“, fragt Remus
Kurt, während er meine Brüste massiert. „Hast du
schon einmal eine Frau so angefasst?“
Kurt klebt förmlich an den Gitterstäben und
bringt vor Erregung kein Wort heraus, nur ein
Kopfschütteln und ein unverständliches Grunzen.
„Willst du sie nicht anfassen?“
Was?
Großer
Gott,
was
bezweckt
Remus
nur
damit?
„Darf das nicht“, grunzt Kurt. „Du bist … ihr
Mann.“
Remus packt mein Becken. „Ich werde sie mit
dir teilen. Kannst du dir vorstellen, wie es sich
anfühlt, ihr deinen Schwanz reinzustecken?“
Ich winde mich unter Remus‘ Griff, bekomme es
jetzt wirklich mit der Angst zu tun. Kurt rüttelt
an den Gitterstäben, seine Augen sind vor Geil-
heit weit aufgerissen.
Remus‘ Stimme klingt, als würde er es ernst
meinen. „Warum soll nur ich sie ficken? Komm
rein, ich halte sie für dich fest, dann kannst du
deinen Schwanz in sie hineinrammen, so hart und
so oft du willst.“
90/221
Oh Gott, wird er mir das wirklich antun? Mein
Körper verkrampft sich, ich beginne zu zittern …
dann wird mir mit einem Schlag klar, was Remus
bezweckt. Wenn wir Kurt dazu bringen können, die
Gittertür aufzuschließen …
Kurt scheint unschlüssig zu sein. Zwar kann er
seine Augen nicht von mir nehmen, aber er zögert,
die Tür zu öffnen. „Warum schreit sie nicht?“
Remus packt meine Brüste und ich stoße ein
verzweifeltes
Wimmern
aus.
Ich
weiß,
dass
er
nicht seine ganze Kraft einsetzt, er könnte sehr
viel brutaler zu mir sein, also bemühe ich mich,
damit es sich echt anhört. Ich muss einfach da-
rauf vertrauen, dass Remus einen Plan hat.
„Was glaubst du, wie laut sie schreien wird,
wenn du es ihr besorgst?“, fragt er Kurt. „Ist
dein Schwanz nicht schon zum Platzen hart?“
Kurt nickt mit offenem Mund. Er gafft mich an,
greift sich in den Schritt und streicht über
seinen Schwanz.
„Komm schon“, lockt Remus, während er meine
Jeans
aufreißt
und
über
meine
Schenkel
hinunterzieht.
Kurts
Blick
schießt
sofort
zwischen
meine
Beine.
„Komm herein, ich spreize ihre Schenkel für
dich …“
Mit
bebenden
Händen
sucht
Kurt
nach
dem
richtigen
Schlüssel
an
seinem
Schlüsselbund,
sperrt die Käfigtür auf und steht mit wenigen
Schritten vor mir. Ich sehe die Beule in seiner
Hose,
den gierigen Glanz in seinem Blick, und
mir wird vor Übelkeit fast schwarz vor Augen.
Remus hält meine Arme auf meinem Rücken fest, und
Kurt streckt die Hände nach meinen Brüsten aus.
91/221
Es ist der Moment, auf den Remus gewartet hat.
Schneller als Kurt reagieren kann, zieht Remus
mich hinter sich, packt Kurt und schleudert ihn
quer durch die Zelle. Kurt ist voll roher, prim-
itiver Kraft, er rappelt sich wieder auf und
stößt einen zornerfüllten Schrei aus, als Remus
sich auf ihn stürzt.
Ein
Zweikampf
beginnt,
die
beiden
Männer
ringen auf Leben und Tod miteinander. Ich presse
mich gegen die Gitterstäbe und wage kaum, zu at-
men. Der Kampf ist so brutal und von solcher
Geschwindigkeit, dass ich nichts tun kann, um
Remus
zu
helfen,
mir
bleibt
nichts
anderes
übrig, als zu beobachten, wie die beiden Männer
aufeinander einschlagen. Ich zweifle nicht daran,
dass Remus Kurt unter normalen Umständen überle-
gen wäre – obwohl Kurt beängstigende Kräfte an
den Tag legt. Aber jetzt ist Remus verletzt und
geschwächt, er hat viel Blut verloren, und die
Wunde an seinem Bein ist frisch … Panisch sehe
ich mich im Käfig nach irgendetwas um, das ich
als Waffe verwenden könnte, mein Blick rast durch
die Scheune, doch ich sehe nur alten Unrat, ver-
rostetes, sperriges Metall, nichts, was ich gegen
Kurt einsetzen könnte.
Ich taste nach dem Skalpell in meiner Jeans,
meiner einzigen Waffe, und vertraue darauf, dass
Remus ihn besiegt, sonst wird Kurt uns beide um-
bringen. Was er mir davor antun wird, daran wage
ich gar nicht zu denken.
Remus versetzt ihm einen heftigen Kinnhaken,
der
Kurt
zu
Boden
schleudert.
Bevor
er
sich
aufrappeln kann ist Remus über ihm, schlägt mit
fliegenden Fäusten auf ihn ein, doch Kurt bäumt
92/221
sich
mit
einem
Wutschrei
auf
und
die
beiden
ringen auf dem Boden weiter.
Und dann passiert es - Kurt versetzt Remus
einen so heftigen Schlag gegen das Bein, dass die
Naht aufreißt und die Wunde aufbricht. Hellrotes
Blut schießt in einem fingerdicken Strahl hervor,
Remus flucht und presst die Hand auf die Wunde,
um die Blutung zu stoppen.
Kurt rappelt sich auf und kommt auf mich zu.
Ich drücke mich gegen die Gitter, doch im näch-
sten Augenblick steht er schon vor mir, keuchend
vor Wut und Erregung wie ein rohes Tier.
„Ihr habt mich reingelegt!“
Hinter ihm sehe ich, wie Remus sich auf die
Beine stemmt, doch das Blut rinnt wie ein Bach
über seinen Schenkel. Uns bleibt weniger als eine
Minute Zeit, dann werde ich ihn nicht mehr retten
können.
„Ich werde dich ficken, bis du tot bist!“ Kurt
reißt seine Hose runter und holt seinen Schwanz
heraus. Dann packt er mich, will mich umdrehen,
aber meine Hand schießt blitzschnell nach vorn
und Kurt schreit vor Schmerz auf.
Er taumelt zurück, hält seine Hände vor seinen
Penis, Blut quillt zwischen seinen Fingern her-
vor. Er flucht und schreit, während ich ihn mit
dem Skalpell auf Abstand halte.
Im nächsten Moment ist Remus über ihm und ver-
setzt ihm einen so heftigen Schlag auf den Kopf,
dass Kurt wie ein gefällter Baum zu Boden stürzt
und reglos liegenbleibt.
Remus drückt immer noch auf seine Wunde und
sinkt neben Kurt zu Boden. Er keucht, der Stoff
seiner Hose ist blutgetränkt, uns läuft die Zeit
93/221
davon. Ich werfe mich neben Remus auf den Boden,
suche
hastig
das
Desinfektionsmittel
und
eine
Nadel aus der Arzneitasche hervor, und beginne zu
arbeiten.
„Versuch, stillzuhalten“, zische ich.
„Mach schon, Doc. Ich habe nicht mehr viel
Blut übrig.“
So schnell ich kann flicke ich die Arterie
wieder
zusammen.
Remus
stöhnt
vor
Schmerz,
während ich an der offenen Wunde arbeite, aber er
zuckt kein einziges Mal. Schließlich versiegt der
Blutschwall.
Ich lehne mich zurück, jetzt beginnen meine
Finger zu zittern.
„Verdammt, ich dachte, ich schaffe es nicht.“
Meine Stimme bebt. „Du brauchst dringend Antibi-
otika, bei all dem Dreck hier hätte ich dich auch
in
Desinfektionsmittel
baden
können,
es
würde
nicht reichen.“
Remus lehnt sich zu mir und legt seine Hand an
meine Wange. Sie fühlt sich warm und stark an,
und bevor ich es verhindern kann, breche ich
wieder in Tränen aus.
Er
zieht
mich
an
sich,
ich
vergrabe
mich
schluchzend an seiner Brust. Er streichelt mich,
während er beruhigende Worte flüstert.
„Es ist vorbei. Alles wird gut.“ Seine raue
Stimme ist wie eine Liebkosung. „Er kann dir
nichts mehr tun, nie wieder.“
Es dauert eine Weile, bis ich mich ein wenig
beruhige. Remus hebt meinen Kopf sanft an, damit
ich ihn ansehe.
„Das, was ich vorhin gesagt und getan habe …
all diese schrecklichen Dinge …“
„Schon gut“, murmele ich schnell.
94/221
„Nein. Ich will, dass du weißt, dass es mir
leid tut. Es war der einzige Weg, ihn dazu zu
bringen, in die Zelle zu kommen. Ich würde dir
nie so etwas antun. Niemals.“
„Das weiß ich.“
Remus nickt. „Danke, dass du mich zusammenge-
flickt hast. Zum zweiten Mal.“
„Eigentlich zum dritten Mal, wenn wir deine
Schulter mitzählen.“
Ein schwaches Lächeln durchbricht seine ern-
sten Züge. „Du hast Recht. Du solltest mir eine
Rechnung stellen.“
„Du hast mich drei Mal gerettet. Wir sind
quitt.“
Ich blicke zögernd zu Kurt, der noch immer re-
glos auf dem Boden liegt. Remus stemmt sich hoch,
kniet neben Kurt nieder und dreht ihn auf den
Rücken. Kurts Kopf rollt willenlos zur Seite, die
offenen Augen sind leer. Kurts Penis hängt aus
seiner Hose, die Wunde, die ich ihm mit dem
Skalpell zugefügt habe, blutet noch immer.
„Womit hast du ihn verletzt?“
„Mit einem Skalpell. Ich habe es in meine
Hosentasche gesteckt, nachdem ich dich auf der
Lichtung zusammengeflickt hatte.“
„Wir lassen die Behörden die Sache regeln.“
Remus erhebt sich und bietet mir seine Hand beim
Aufstehen.
„Ich
werde
den
Staatsanwalt
informieren.“
Verwirrt folge ich Remus aus dem Käfig und
versuche
dabei,
Kurts
Leiche
nicht
anzusehen.
Remus hat getötet, um mich zu beschützen. Schon
wieder.
95/221
Im schwindenden Tageslicht irren wir durch den
Wald. Wir müssen Remus‘ Rucksack finden, und dann
so schnell wie möglich zurück zum Motorrad gelan-
gen. Meine Wunde hat sich entzündet, mein Fieber
steigt stetig an und es ist nur eine Frage der
Zeit, bis es Remus ähnlich ergehen wird.
Wir kommen nur mühsam voran, weil mein Orien-
tierungssinn miserabel ist und ich die Richtung
nur erraten kann, aus der Kurt uns hergebracht
hat.
Fiebernd setze ich einen Fuß vor den anderen,
mein Arm um Remus‘ Hüfte geschlungen, während er
sich auf meine Schultern stützt, um sein verlet-
ztes Bein zu entlasten.
Remus runzelt die Stirn. „Ich weiß, dass wir
nicht aus dieser Richtung gekommen sein können,
und ich war bewusstlos.“
„Der Typ hatte sein Gewehr auf mich gerichtet
und
ich
hatte
eine
Scheißangst,
dass
du
tot
bist“, zische ich zurück. „Tut mir leid, dass ich
nicht besonders auf die Umgebung geachtet habe.“
„Wenn das hier vorbei ist, bringe ich dir bei,
wie man sich im Wald orientiert.“
„Wenn
das
hier
vorbei
ist,
setze
ich
nie
wieder einen Fuß in einen Wald, das schwöre ich.“
Remus schmunzelt.
Irgendwie
schaffen
wir
es
tatsächlich,
die
Lichtung
zu
finden.
Inzwischen
ist
es
völlig
dunkel geworden, wir ziehen uns rasch etwas an,
und Remus holt eine Taschenlampe aus seinem Ruck-
sack hervor.
„Wir müssen weiter. Schaffst du es?“
Ich nicke, obwohl sich alles in meinem Kopf
dreht. Remus befühlt meine Stirn. „Dein Fieber
96/221
steigt. Wir müssen dich dringend zu einem Arzt
bringen.“
„Ich bin selbst Ärztin“, murmele ich benommen.
„Ich habe Paracetamol in meiner Tasche … ich habe
schon welches genommen, um das Fieber zu senken
…“
„Dann nimm noch mehr. Du glühst.“
„Es
ist
die
infizierte
Wunde.
Ich
brauche
Antibiotika.“
„Ich bringe dich zu einem Arzt“, verspricht er
heiser.
„Kein
Arzt“,
flüstere
ich.
„Ich
will
das
Risiko nicht eingehen, dass Gonzales uns auf-
spürt.
Wir
müssen
ein
Breitband-Antibiotikum
auftreiben, für uns beide …“ Dann sinke ich in
seinen Armen zusammen.
Remus stützt mich und bewahrt mich davor, zu
Boden zu sinken.
Im fiebrigen Delirium fühle
ich, wie Remus mich auf seine Arme hebt und durch
den dunklen Wald trägt … ich lehne meinen Kopf an
seine Schulter, hin und wieder streift sein Bart
mein Gesicht, ich fühle seine kräftigen Arme um
mich, die mich an seine Brust drücken.
Irgendwann lässt Remus mich zu Boden gleiten,
ich fühle, wie er meine Lippen benetzt und mir
Wasser einflößt. Ich höre seine Worte, aber ich
kann ihn nicht verstehen, gleite wieder ab in
einen dumpfen Dämmerzustand. Remus hebt mich hoch
und trägt mich weiter, es scheint eine Ewigkeit
zu
dauern,
bis
wir
endlich
die
versteckte
Maschine erreichen.
„Melanie. Melanie.“ Remus rüttelt mich sanft,
bis ich zu Bewusstsein komme. „Du musst jetzt
aufwachen, verstehst du, meine Kleine?“
97/221
Ich zwinge mich, die Augen offenzuhalten. Es
ist stockdunkel, nur Remus‘ Taschenlampe wirft
einen Lichtkegel um uns herum. Remus hat die
Maschine bereits aus dem Versteck gezogen, sie
steht fahrbereit neben uns.
„Du
musst
dich
auf
dem
Motorrad
an
mir
festhalten,
Melanie.“
Seine
Stimme
klingt
eindringlich.
„Verstehst
du,
was
ich
sage?
Schaffst du das?“
Ich nicke benommen. Ich weiß, dass wir den Na-
tionalpark verlassen müssen, und der einzige Weg
führt über die Forststraße. Ich werde durchhalten
müssen, mir bleibt keine Wahl.
Remus hilft mir auf die Harley, er schlingt
meine Arme um sich und hält sie mit einer Hand
fest,
während
er
den
Motor
startet
und
die
Maschine über die verlassene Straße durch die
Nacht jagt.
Es ist die längste Fahrt meines Lebens. Ich
weiß,
dass
ich
wachbleiben
muss,
halte
mein
Gesicht in den Fahrtwind und umklammere Remus‘
Oberkörper.
Er
spürt,
dass
ich
mich
an
ihm
festhalte, aber trotzdem lässt er mich nicht los.
Keine Ahnung, wie er es schafft, die Maschine
einhändig zu lenken, aber irgendwie kriegt er es
hin und schließlich fällt der Nationalpark hinter
uns zurück.
Auf der Bundesstraße wird es leichter, sie ist
breiter und weniger kurvig. Die vorbeifahrenden
Autos helfen mir, wach zu bleiben, weil sie mich
daran erinnern, dass ein Sturz tödlich wäre.
Irgendwann erreichen wir endlich einen kleinen
Ort.
Remus
hält
die
Harley
vor
einem
98/221
zweistöckigen, langgezogenen Gebäude, ich glaube,
es ist ein Motel.
Er steigt ab und sagt etwas zu mir, ich ver-
stehe ihn kaum und sinke auf dem Sitz zusammen.
Dann verlässt er mich, nur um kurz darauf zurück-
zukehren und mich auf seine Arme zu heben. Er
trägt mich in den ersten Stock und legt mich in
einem Zimmer auf ein Bett.
„Ich
bin
gleich
zurück“,
flüstert
er
und
streicht über mein Haar.
Das Bett ist weich und warm, ich dämmere zwis-
chen Bewusstsein und Ohnmacht. Irgendwann geht
die Tür auf, jemand kniet sich auf das Bett, es
ist Remus, er schiebt mir eine Tablette in den
Mund und flößt mir Wasser ein, damit ich sie
schlucke.
Dann streckt er sich neben mir aus, zieht mich
in seine Arme, und alles wird schwarz.
99/221
Kapitel 10
Als ich erwache, fühle ich mich wie erschla-
gen. Ich höre Remus‘ gedämpfte Stimme von irgend-
wo neben mir und sehe mich blinzelnd um.
Wir befinden uns in einem schäbigen Motelzim-
mer,
Remus
steht
am
Fenster
und
telefoniert
leise.
„… geben Sie uns Bescheid, sobald Sie soweit
sind. Und kümmern Sie sich um diese … andere
Sache.“ Er bemerkt, dass ich ihn ansehe und legt
auf.
„Wie fühlst du dich?“ Er setzt sich zu mir ans
Bett und streichelt zärtlich über mein Haar.
„Schon viel besser.“
„Dein Fieber ist gesunken. Hier, meine Kleine,
Frühstück.“ Er hält mir schmunzelnd eine Tablette
und eine Wasserflasche hin.
Ich werfe einen Blick auf die Packung, die auf
dem Nachttisch liegt. Es ist ein Breitband-Anti-
biotikum. „Woher hast du das?“
„Aus der Apotheke an der Ecke. 24 Stunden
geöffnet.“
Ich
schlucke
die
Tablette
und
leere
die
Flasche
in
einem
Zug.
Sie
löscht
meinen
brennenden Durst und ich fühle mich etwas besser.
Dann ziehe ich mein Shirt hoch, um meine Schnit-
twunde zu begutachten.
„Hast
du
Schmerzen?“
Seine
besorgte
Stimme
jagt
mir
ein
Kribbeln
über
den
Körper.
Ich
genieße es, wie er sich um mich kümmert.
Was stimmt nicht mit mir? Muss am Wundfieber
liegen. Wie kann ich in so einer Situation auf
einen Kerl anspringen?
Vielleicht, weil Remus nicht irgendein Kerl
ist.
Er streckt sich neben mir aus und zieht mich
sanft an seine Brust.
„Nicht so schlimm“, lüge ich. „Wie geht es
deinem Bein?“
„Es heilt. Die Antibiotika helfen.“
„Und deiner Schulter?“
Er lacht. „Sieh uns an, reden über unsere Ver-
letzungen! Wie ein altes Ehepaar.“
Warum wird mir bei dieser Bemerkung ganz warm?
Das muss wohl auch am Fieber liegen.
Ich räuspere mich. „Wo sind wir?“
„In einem Motel in Bishop. Wir sind noch in
Kalifornien,
aber
sobald
es
dir
besser
geht,
müssen wir weiter. Ich habe gerade mit dem Staat-
sanwalt telefoniert, er braucht noch etwas Zeit.“
„Der
soll
sich
mal
ein
bisschen
beeilen“,
brumme ich.
„Er will, dass die Anklage Gonzales‘ Anwälten
standhält. Ich habe ihm auch von dem Kerl in der
Hütte erzählt, die Einsatzkräfte sind schon auf
dem Weg dorthin.“
Ich schweige eine Weile.
„Remus?“
„Mh?“
„Ich weiß, dass du mir nicht erzählen willst,
wer du wirklich bist, und ich bin sicher, du hast
deine Gründe dafür. Aber bitte, lüg mich nicht
101/221
an. Das war doch nicht der Staatsanwalt, mit dem
du gerade telefoniert hast.“
Ich weiß nicht, woher ich das weiß. Es ist
einfach so ein Gefühl, und seine Reaktion be-
stätigt mir, dass ich damit richtig liege. Seine
Hand,
die
meinen
Rücken
streichelt,
erstarrt.
Dann schiebt er mich plötzlich von sich weg und
richtet sich auf. Ich erwarte, ihn verärgert zu
haben, denke, dass er sich von mir abwenden wird
– doch er blickt mich an, seine Augen ruhig und
tief.
„Du hast Recht. Es wird Zeit, dass du die
Wahrheit erfährst.“
Ich schweige verblüfft. Bin ich etwa drauf und
dran,
zu
erfahren,
was
hinter
diesem
geheim-
nisvollen Krieger steckt?
Remus atmet tief durch. „Du weißt, dass ich
in jener Nacht nicht zufällig den Deal zwischen
Gonzales und Ramón beobachtet habe. Ich war seit
Monaten auf den Fall angesetzt.“
„Bist du Polizist?“
Er schüttelt den Kopf. „Ich gehöre zu einer
Spezialeinheit,
dem
Urban
Warrior
Corps.
Wir
arbeiten mit allen Behörden zusammen, der Pol-
izei, dem FBI … und der Staatsanwaltschaft.“
„Deshalb genügte ein Anruf von dir, um die
Sache mit drei Leichen in meinem Haus zu regeln?“
Er lächelt freudlos. „Mein Chef ist ein sehr
einflussreicher Mann. Unsere Einheit verfügt über
Sonderrechte und Möglichkeiten, die mit keinem
anderen
Spezialeinsatzkommando
vergleichbar
sind.“
Ich
versuche,
meinen
Verstand
zusammen-
zureißen. „Willst du damit sagen … du bist so et-
was wie ein Superagent?“
102/221
„Nein.
Wir
sind
wie
Geister,
Melanie.
Wir
erledigen den Job, egal wie unmöglich er scheint,
und dann verschwinden wir.“
„Kannst du deshalb so gut kämpfen und mit Waf-
fen umgehen?“
„Die
Ausbildung
hat
dazu
beigetragen,
aber
meine Vorliebe für Messer hatte ich schon früher.
Das war nützlich, als ich nach all den Pflegefam-
ilien irgendwann auf der Straße gelandet bin und
mich allein durchschlagen musste.“
Ich schweige und beiße mir auf die Lippe. Ich
sitze
hier
also
mit
einem
tödlichen
Spezialagenten.
Remus hat mir bewiesen, wozu er fähig ist, und
die innere Ruhe, mit der er meine Reaktion abwar-
tet, zeigt mir, dass er es ernst meint.
„Das ist kein Scherz, oder? Du bist wirklich …
so eine Art Geheimagent?“
Er zuckt mit den Schultern. „Wenn du es so
nennen willst.“
„Und
du
kannst
vier
Gegner
gleichzeitig
erledigen.“
Ein Schmunzeln erscheint auf seinen Lippen.
„Sieben sind mein Rekord, aber wer zählt schon …“
Ich schnappe nach Luft und suche nach den
richtigen Worten. „Du … bringst Menschen um. So
wie Juan und seine Leute.“
„Wenn es sein muss, ja.“
Ich nicke und starre auf die Bettdecke, die
sich um meine Hüften schlingt.
„Siehst du, deshalb habe ich es dir nicht
erzählt.“ Seine Stimme klingt resigniert. „Weil
ich wusste, dass es alles zwischen uns ändern
würde.“
103/221
„Gilt
für
euch
nicht
so
etwas
wie
eine
Schweigepflicht?“
Remus nickt langsam. „Es gibt Ausnahmen.“
„Und ich bin so eine Ausnahme?“
„Dafür gibt es drei Gründe. Erstens, du hast
mir auf der Lichtung das Leben gerettet, sonst
wäre ich verblutet. Zweitens, du hast mir in
Kurts Scheune das Leben gerettet, sonst wäre ich
verblutet.“
„Und drittens?“
Er greift nach meiner Hand und führt sie sch-
weigend an sein Herz.
Ich erstarre, für einen Moment scheint die
Welt stehenzubleiben. Sein Herzschlag ist stark
und kräftig.
„Warum?“, flüstere ich heiser. „Warum ich?“
Das Feuer in seinen raubtierhaften Augen flam-
mt
auf.
„Als
ich
gesehen
habe,
wie
dieser
Scheißkerl
dich
in
deinem
Schlafzimmer
verge-
waltigen wollte, bin ich durchgedreht - viel mehr
noch, als ich es erwartet hätte. Ich wusste, ich
würde ihn dafür umbringen, dass er dich angerührt
hat.
Und
als
du
dann
voller
Angst
vor
mir
gekauert bist … du hast etwas in mir berührt,
Melanie. Ich kann es mir nicht erklären, aber ich
habe diesen unbändigen Wunsch, dich bei mir zu
haben und dich zu beschützen.“ Seine Stimme wird
leiser. „Es war schrecklich für mich, als du mich
gefürchtet hast.“
„Ich wusste damals nicht, wer du bist.“
„Jetzt weißt du es. Du weißt viel mehr von
mir, als sonst ein Mensch auf der Welt.“
Ich streiche über seine Hand. „Du vertraust
niemandem?“
104/221
„Das ist Teil des Jobs. Freunde und Familie
machen
uns
verwundbar,
angreifbar
für
unsere
Feinde.“
„Ein sehr einsames Leben.“
„Meine Kameraden von der Einheit sind meine
Familie. Sie würden jederzeit ihr Leben für mich
einsetzen, und ich würde dasselbe für sie tun.“
„Ich würde sie gern kennenlernen.“
„Vielleicht wirst du das eines Tages.“ Er nim-
mt meine Hand und drückt einen Kuss auf meine
Handfläche. Mein Herz beginnt zu flattern. „Ich
glaube, dein Fieber ist gesunken.“
Tatsächlich fühle ich mich besser. Vielleicht
liegt es auch an der Nähe, die Remus zwischen uns
hergestellt hat, indem er mir sein Vertrauen ges-
chenkt hat.
„Meinst du, du schaffst es unter die Dusche?“
Mein Körper ist immer noch voller getrocknetem
Blut und Schmutz. „Eine Dusche klingt großartig“,
stöhne ich. „Aber ich weiß nicht, ob ich …“
„Ich
helfe
dir.“
Remus
zieht
mir
behutsam
Shirt und Jeans aus. Als ich nur noch mit meiner
Unterwäsche bekleidet bin, hebt er mich auf seine
Arme und trägt mich ins Bad.
Er stellt mich vor der Badewanne auf die Füße
und stützt mich. Ich bin ein wenig befangen, als
seine Hände um meinen Brustkorb gleiten und den
BH öffnen. Langsam streift er ihn von meinen
Schultern, entblößt meine Brüste.
Seine
Augen
brennen
wie
die
eines
Wolfs,
während er seine Hände an meine Hüften legt und
meinen Slip über meine Schenkel nach unten zieht.
Seine Berührung kribbelt auf meiner Haut. Die
Art, wie er sich dabei Zeit lässt, erregt mich.
105/221
Jetzt stehe ich nackt vor ihm, in dem engen
Badezimmer, verletzt, geschwächt und wehrlos.
Mit einer raschen Bewegung zieht er sein Shirt
über
den
Kopf
und
entblößt
seinen
muskulösen
Oberkörper. Dann reicht er mir die Hand, damit
ich in die Wanne steige.
Schweigend greift er nach dem Brausekopf und
dreht das Wasser auf. Dabei nimmt er keinen Mo-
ment lang seinen Blick von mir, doch es ist nicht
mein
nackter
Körper,
den
er
anstarrt.
Sein
glühender Blick ist auf mein Gesicht gerichtet,
er sieht mir in die Augen.
„Halt dich an mir fest“, murmelt er rau.
Ich
fasse
ihn
mit
bebenden
Händen
an
den
Schultern, während er beginnt, das warme Wasser
über meinen Körper laufen zu lassen. Seine Schul-
tern sind trainiert und hart, ich spüre das Spiel
seiner Muskeln, wenn er sich bewegt.
Behutsam
wäscht
er
die
Spuren
des
letzten
Tages von meiner Haut, streicht sanft über meinen
Bauch, mein Becken und meine Beine. Dabei achtet
er darauf, meine Wunde nicht zu benetzen.
Das warme Wasser und seine zärtlichen Ber-
ührungen fühlen sich gut an. Ich schließe die Au-
gen und stöhne leise, während ich seine Lieb-
kosungen genieße.
Seine Hände gleiten sanft an der Innenseite
meiner Oberschenkel hinauf. Ich wünsche mir, dass
er mich zwischen den Beinen berührt, doch ich
wage es nicht, ihn darum zu bitten. Es überrascht
mich
selbst,
wie
sehr
er
mich
erregt,
trotz
meines geschwächten Zustands entzündet Remus ein
Feuer in mir.
Seine
Fingerspitzen
streicheln
über
meine
Innenschenkel, meine Leisten und meinen Bauch.
106/221
Die
sanften
Berührungen
machen
mich
verrückt,
doch er berührt nicht meine Scham. Ich spüre, wie
ich vor Verlangen feucht werde, wünsche mir, dass
er
seine
Finger
auch
über
meine
Weiblichkeit
gleiten lässt … ob ich ihn doch darum bitten
soll? Bei dem Gedanken steigt mir die Röte in die
Wangen, aber seine Liebkosungen machen mich so
an, dass ich nicht weiß, wie lange ich noch
widerstehen kann. Ich wünsch mir mehr, ich …
Plötzlich spüre ich etwas, das mich so über-
rascht, dass ich vor Lust aufkeuche.
Seine Lippen an meiner Klitoris.
Er drückt sanft seinen Mund an meine Scham,
ich
möchte
im
ersten
Augenblick
vor
Schreck
zurückweichen, doch er umgreift meinen Po und
lässt es nicht zu.
Ich stöhne vor Überraschung und Erregung, und
kralle mich an seinen Schultern fest, als er mich
mit seiner Zunge streichelt. Seine Liebkosung ist
langsam, mit genau dem richtigen Druck. Meine
Beine zittern, während ich meine Schenkel un-
willkürlich spreize.
Ein raues Knurren entringt sich seiner Kehle.
Er lässt seine Hand an der Innenseite meines
Schenkels hinauf gleiten, doch diesmal hält er
sich nicht zurück. Seine Finger berühren mein
Zentrum, und ich keuche auf. Er streichelt meine
Schamlippen, spielt mit seinen Fingerspitzen an
meinem Eingang, während seine Zunge mich weiter-
hin neckt.
„Remus
…“,
keuche
ich
und
vergrabe
meine
Finger in seinem dichten Haar, sinke über ihm
zusammen,
während
er
mir
immer
mehr
Lust
bereitet.
107/221
Langsam führt er einen Finger in mich ein,
seine Zunge spielt immer noch an meiner Klitoris,
ich werfe den Kopf zurück und stöhne. Er bewegt
sich in mir, dehnt und reizt mich. Ich kann nicht
mehr, ich beginne, mein Becken zu kreisen, sein
Finger in mir macht mich verrückt.
Er wirft mir einen glühenden Blick zu, seine
Augen sind fast schwarz vor Verlangen. „Ich will
dich richtig lecken, Melanie.“
Ohne seinen Finger aus mir zu ziehen, hebt er
mich mit einem Arm hoch, drückt mich an sich und
trägt mich hinüber zum Bett. Er lässt mich auf
den Rücken gleiten, ist wie ein Raubtier über mir
und spreizt meine Schenkel.
„Du machst mich so scharf“, flüstert er rau,
hält meine Schenkel weit auseinandergedrückt, und
dann
spüre
ich
seine
Zunge
zwischen
meinen
Beinen.
Ich bäume mich vor Lust auf, doch er lässt
mich nicht los, leckt mit seiner Zunge über meine
Schamlippen, stößt leicht und schnell in mich
hinein, massiert mich, treibt mich immer näher an
den Höhepunkt.
Ich schreie leise auf, kralle meine Finger in
sein Haar und halte seinen Kopf zwischen meinen
Beinen fest, während er mich fest und ausgiebig
leckt. Als er seine Zunge schließlich hart in
mich schiebt, explodiere ich, komme so heftig,
dass ich einen Schrei nicht unterdrücken kann.
Mein ganzer Körper erzittert, die Welle scheint
gar nicht mehr abzuebben, und Remus leckt mich
gnadenlos weiter.
Ein zweiter Orgasmus bricht über mich herein,
ich habe so etwas noch nie erlebt, es ist wie ein
108/221
Feuerwerk, das durch meinen gesamten Körper jagt
…
Mein
Verstand
ist
ausgeschaltet,
ich
sacke
willenlos zurück in die Kissen, während die an-
genehme Wärme sich in meinem Körper ausbreitet.
Das Echo der beiden Höhepunkte hallt in jeder
Körperzelle nach, ich schwebe irgendwo in der
Höhe und komme erst langsam wieder zu mir.
Remus kniet neben dem Bett und streichelt mir
über den Kopf, ein sehr wölfisches Grinsen im
Gesicht.
„Das nächste Mal musst du mich vorwarnen“,
flüsterte ich matt.
„Und die Überraschung verderben?“
Mit einem Ausdruck von zufriedenem, männlichem
Stolz erhebt er sich und verschwindet im Bad. Ich
höre die Dusche, während ich befriedigt und träge
auf dem Bett liege und das satte Pochen zwischen
meinen Beinen genieße.
Remus streckt sich nach der Dusche nackt neben
mir aus. Wassertropfen glitzern auf seiner Haut,
er stützt sich auf einen Ellbogen und blickt mich
an.
Ich streiche ihm eine widerspenstige braune
Haarsträhne hinters Ohr, kann nicht widerstehen
und lasse meine Fingerspitzen über seine Lippen
gleiten. Er beugt sich zu mir und küsst mich auf
den Mund, langsam, sanft und intensiv.
Ich bin dabei, diesem Mann mit Haut und Haaren
zu verfallen, das spüre ich deutlich. Ich sollte
mich vorsehen, auf der Hut sein, auf meine innere
Stimme hören, die mir sagt, dass er mir das Herz
brechen
wird
…
aber
ich
ignoriere
die
Warnsignale.
109/221
Denn es ist längst zu spät.
Ich bin drauf und dran, mich in diesen zärt-
lichen, gefährlichen Killer zu verlieben.
110/221
Kapitel 11
Er drückt sein Becken gegen meinen Körper, ich
spüre, wie sein Schwanz hart wird, während er
mich
küsst.
Ich
streichle
über
seine
Seite,
schiebe meine Hand zwischen uns und taste mich
mutig vor.
Meine Finger berühren seine samtige Härte, und
Remus stöhnt an meinen Lippen. Als ich beginne,
ihn zu streicheln, greift er meine Hand und zieht
sie von sich weg.
„Was hast du?“, flüstere ich überrascht. Ich
sehe die Leidenschaft in seinen Augen, und sein
Körper reagiert offensichtlich auf mich. Warum
lässt er mich ihn nicht berühren?
„Nicht jetzt, mein Liebling.“
„Du willst nicht …?“
Er lächelt gequält, während sein wilder Blick
mich verbrennt. „Oh Baby, ich würde nichts lieber
tun. Aber ich weiß, dass du erschöpft bist, dein
Körper braucht Ruhe. Ich hätte dich im Bad nicht
berühren dürfen, aber du warst unwiderstehlich.“
Hitze steigt mir in die Wangen. „Du darfst
mich jederzeit auf diese Art berühren.“ Oh Gott,
habe ich das wirklich gerade gesagt?
Er lacht, männlich und rau. Dann zieht er mich
in seine Arme und bettet meinen Kopf an seiner
Brust. „Ruh dich jetzt aus, damit du wieder zu
Kräften
kommst.
Und
stell
meine
Willensstärke
nicht auf die Probe, ich bin nämlich ganz knapp
davor, dich hier und jetzt zu nehmen.“
Ich
spiele
mit
dem
Gedanken,
ihn
herauszufordern.
Mein
Becken
gegen
seins
zu
drücken, ihn zu reizen, bis er mich auf den Rück-
en wirft, sich zwischen meine Schenkel drängt und
in mich eindringt.
Wie es sich wohl anfühlen wird, Remus in mir
zu spüren? Seinen muskulösen Körper über mir zu
fühlen, während er in mich stößt? Wird er mich
dabei küssen, mich halten, sodass ich mich von
seiner Stärke beschützt fühle?
Mein Körper verselbständigt sich, während mir
diese Gedanken durch den Kopf gehen. Mein Bein
gleitet
an
Remus‘
Oberschenkel
entlang,
un-
willkürlich beginne ich, meine Scham an ihm zu
reiben.
Remus knurrt. Bevor ich weiß, was geschieht,
hat er mich auf dem Rücken, liegt auf mir und
stützt sein Gewicht rechts und links von mir ab.
Er liegt zwischen meinen Beinen, ich fühle seinen
erregten Schwanz an meiner Scham.
„Letzte Warnung, Doc“, knurrt er rau.
Ich zittere vor Erregung, es macht mich an,
seinen schweren Körper auf mir und seinen harten
Schwanz
an
der
Innenseite
meiner
Schenkel
zu
fühlen.
Meine Lippen sind leicht geöffnet, anstelle
einer Antwort hebe ich ihm mein Becken entgegen.
Es ist eine Einladung.
Remus flucht, seine Hand drängt sich zwischen
uns, schon glaube ich, dass er seinen Schwanz um-
fasst, um ihn mir einzuführen … doch dann spüre
ich, wie er langsam einen Finger in mich schiebt.
112/221
Überrascht keuche ich auf. Ein zweiter Finger
folgt, während er meine Klitoris massiert.
Dieser
Mann
weiß
genau,
was
er
tut.
Ich
wimmere vor Lust, stoße Laute aus, wie ich es
mich früher niemals getraut hätte, während er mit
quälender
Langsamkeit
seine
Überlegenheit
ausspielt.
Er kontrolliert meine Erregung, indem er seine
Finger immer wieder rein- und rausgleiten lässt,
der Druck ist genau richtig … dann schiebt er
seine Finger ganz tief in mich hinein und bewegt
seine Hand mit rhythmischem Druck auf und ab.
Ich glaube, ich verliere den Verstand. Ich be-
ginne ihn anzuflehen, mich kommen zu lassen, sein
Gesicht ist ganz nah an meinem, er beobachtet
meine Reaktion genau.
„Du hast mich herausgefordert, Baby. Das hät-
test du nicht tun sollen.“
Ich biege meinen Rücken durch, kralle meine
Finger ins Laken, bewege meine Hüften, um Remus
dazu zu bringen, das Tempo zu erhöhen … doch er
drückt mein Becken nieder, zwingt mich, die lang-
same Penetration seiner Finger zu ertragen. Meine
Erregung schießt in ungeahnte Höhen, ich werde
noch verrückt, wenn er mich nicht endlich erlöst
…
Seine Lippen kräuseln sich zu einem wissenden
Lächeln. Dann beginnt er plötzlich, seine Hand
schneller zu bewegen, den Druck an den richtigen
Stellen zu verstärken, und ich komme so hart an
seiner Hand, dass ich mich aufbäume und vor Lust
schreie.
Keuchend
sinke
ich
zurück
auf
die
Kissen,
während
mein
Orgasmus
abebbt,
ich
spüre
das
113/221
Pulsieren zwischen meinen Beinen und das erlöste
Ziehen in meinem Unterkörper.
Remus blitzt mich aus gefährlichen, dunklen
Augen an. „Du wolltest mit mir spielen, meine
Kleine.“
„Ich dachte, du würdest …“, keuche ich atem-
los. Ich kann es noch immer nicht fassen, wie
geschickt seine Hände sind. Und erst seine Lippen
… allein der Gedanke daran, wie er mich vor weni-
gen
Minuten
zum
Orgasmus
geleckt
hat,
treibt
meinen flatternden Puls wieder in die Höhe.
Remus lässt seine Hand auf meiner Brust ruhen
und streichelt besitzergreifend über meine Kno-
spe. „Wenn ich dich zum ersten Mal ficke, dann
wirst du nicht verletzt und geschwächt sein. Du
wirst gesund und stark sein, und jeden einzelnen
Augenblick genießen.“
Ich bin drauf und dran, ihm zu sagen, dass ich
bereits
jetzt
jeden
Augenblick
voll
und
ganz
genieße
-
scheiß
auf
die
Schwäche
und
meine
Wunde! Doch die Vorstellung, was dieser Mann mit
seinem Schwanz tun könnte, wenn er schon mit
seiner Zunge und seinen Fingern so geschickt ist,
lässt mich mit einer Mischung aus Furcht und er-
regter Vorfreude verstummen.
Vielleicht sollte ich wirklich warten, bis ich
wieder
gesund
bin,
um
seine
geballte
Kraft
aufnehmen zu können. Denn etwas in mir ahnt, dass
Remus im Bett nicht immer so sanft und zärtlich
ist. In ihm steckt eine düstere, gefährliche Ver-
lockung, und es löst Furcht und Erregung gleich-
ermaßen in mir aus, wenn ich mir vorstelle, diese
andere Seite von ihm kennenzulernen.
114/221
Nachdem ich, erschöpft von Remus‘ Zärtlich-
keiten, rasch eingeschlafen bin, wache ich am
frühen Abend wieder auf. Ich fühle mich viel
besser, die Antibiotika scheinen ihre Wirkung zu
tun.
Remus sitzt nur mit Shorts bekleidet neben der
Tür, sein verletztes Bein auf einen Stuhl gela-
gert, und reinigt seine Wunde.
„Soll ich es mir mal ansehen?“
Er
blickt
auf
und
lächelt.
„Na,
endlich
ausgeschlafen?“
Ich nicke ein wenig beschämt und krabble über
das Bett zu ihm. Er lässt mich seine Wunde unter-
suchen, streichelt mir übers Haar, während ich
vor ihm knie und die Naht begutachte.
Seltsamer Weise stört es mich überhaupt nicht
mehr, vor ihm nackt zu sein. Vielleicht liegt es
daran, dass Remus nicht auf meine Brüste oder
zwischen meine Beine gafft. Er sieht mir in die
Augen.
„Die Wunde ist okay. Kein Anzeichen für eine
Infektion.“ Was an ein Wunder grenzt, wenn ich an
die schaurigen Bedingungen denke, unter denen ich
ihn operiert habe. Ich desinfiziere die Wunde
noch einmal und klebe dann ein sauberes Wundp-
flaster darauf.
„Was ist mit deiner Schulter?“
„Sag du es mir, Doc.“ Remus wendet mir den
Rücken zu. Auch die Naht auf seiner Schulter
sieht gut aus, ich wechsle bloß das Pflaster.
Dabei lasse ich meine Finger einen Moment auf
seinen Muskeln verweilen.
Remus greift nach meiner Hand und zieht sie an
seine
Lippen.
Ich
spüre
seinen
Kuss
auf
der
Innenfläche
meiner
Hand.
Unvermittelt
zieht
115/221
Remus mich auf seinen Schoß und schlingt seinen
Arm um mich.
„Wir müssen so schnell wie möglich weiter.
Fühlst du dich stark genug?“
Ich nicke, verwirrt über die Gefühle, die in
mir aufwirbeln, während ich nackt auf ihm sitze.
Meine
Brust
streift
seine,
und
meine
Knospe
richtet sich auf.
Er unterdrückt ein Stöhnen. „Du fühlst dich so
weich an … das macht mich verrückt, Mel.“
Ich schmunzele. Es gefällt mir, Macht über
diesen gefährlichen Krieger zu haben, sein Ver-
trauen
zu
genießen,
zu
wissen,
dass
ich
ihn
errege.
In
einem
plötzlichen
Anflug
von
Wagemut
spreize ich die Beine und setze mich rittlings
auf ihn. „Ich bin dir noch etwas schuldig.“
Remus‘ Augen werden dunkel, seine Hände umgre-
ifen mein Becken.
„Nein“, flüstere ich, ziehe seine Hände von
meinem Körper und lege sie auf die Armlehnen.
„Diesmal nach meinen Regeln.“
Was ist nur los mit mir? Bin ich dabei, diesen
tödlichen Mann in einem schäbigen Motelzimmer zu
verführen? Ich erkenne mich selbst nicht wieder.
Aber es fühlt sich großartig an!
Etwas
blitzt
in
seinen
Augen
auf,
er
ist
bereit, mein Spiel mitzuspielen. Seine Hände um-
fassen die Armlehnen, während er sich zurücklehnt
und mich mit seinen Blicken verschlingt.
Ich lächle, verrucht und überlegen. Dann be-
ginne ich, seine Brust zu streicheln, lasse meine
Hände über seine Muskeln gleiten. Als ich meine
Lippen auf seine Haut drücke und eine sanfte Spur
von Küssen darüber ziehe, stöhnt Remus leise auf.
116/221
Seine Hände krallen sich so fest um die Arm-
lehnen, dass seine Fingerknöchel weiß hervortre-
ten. Ich nähere meine Lippen den seinen, verharre
jedoch knapp bevor ich ihn küsse. Stattdessen
lehne ich mich vor und lasse meine steifen Brust-
warzen über seine Brust streichen.
Remus keucht, ich fühle, wie er unter mir hart
wird. Jetzt begreife ich erstmals, wie sich Über-
legenheit anfühlt, und es macht mich ungeheuer
an. Ganz langsam streiche ich mit meinen Brüsten
über
seine
Haut,
lasse
ihn
meine
Weichheit
spüren, necke und reize ihn. Er beginnt, sich im
Stuhl unter mir zu winden, drängt sich mir entge-
gen, doch ich drücke ihn zurück in die Lehne.
„Nicht so hastig.“ Ich presse mich an ihn,
knabbere und lecke an seinem Ohr. Seine Erektion
drückt sich hart gegen meinen Schritt, er nimmt
die Hände von den Armlehnen und umfasst meinen
Po, drückt mich gegen seinen Schwanz.
„Nein.“ Ich löse seine Hände mit sanfter Ge-
walt von meinem Körper, halb bin ich überrascht,
dass Remus es zulässt, doch er stößt nur ein
frustriertes Knurren aus, während ich seine Hände
zurück auf die Armlehnen drücke.
Das
Feuer
in
seinem
Blick
flackert
jetzt
unbeherrschbar.
Ich weiß, was er sich wünscht, und beginne,
mich an seinem Schwanz zu reiben, drücke meine
Scham gegen ihn und schiebe meinen Körper an ihm
auf und ab. Remus stöhnt und wirft den Kopf in
den Nacken, ich sehe ihm an, dass es all seiner
Selbstbeherrschung bedarf, um sich nicht auf mich
zu stürzen.
„Nach meinen Regeln“, flüstere ich in sein
Ohr, während ich ihn mit quälender Langsamkeit
117/221
reize, ebenso wie er mich zuvor mit seinen Zärt-
lichkeiten unterworfen hat.
Ich lasse mein Becken kreisen, reibe mich an
ihm, necke ihn und treibe seine Erregung immer
höher. Ich lasse zu, dass meine Brüste nah an
seinen Lippen wippen, während ich meine Hüften
bewege – doch als er meine Knospe in den Mund
nehmen will, verweigere ich mich ihm und drücke
ihn zurück in die Lehne.
„Du
bringst
mich
um
den
Verstand,
Frau“,
keucht er. Ich lächele, genieße das unbekannte
Machtgefühl in vollen Zügen.
„Wenn du so weitermachst, dann spritze ich
ab.“
Anstelle einer Antwort drücke ich mein Becken
fester
gegen
ihn
und
bewege
meine
Hüften
schneller. Ich weiß, dass er sich vorstellt, dass
sein Schwanz in mir steckt und ich ihn reite –
ich stelle es mir jedenfalls vor, und es ist so
erregend, dass ich selbst dem Orgasmus nahe bin.
„Mel“, stößt er keuchend hervor. Als ich nicht
aufhöre,
sondern
stattdessen
meine
Bewegungen
beschleunige, bäumt er sich unter mir auf, stößt
einen Schrei aus und ich spüre, wie sein harter
Schwanz an meiner Scham zuckt, als er kommt.
Gleichzeitig
kontrahieren
sich
meine
Muskeln,
mein Orgasmus bricht über mir zusammen und erlöst
mich.
Remus schließt mich in seine Arme, drückt mich
an sich und vergräbt sein Gesicht an meinem Hals.
Ich spüre seinen heftigen Herzschlag und seinen
schnellen Atem an meiner Haut.
„Das
war
meine
Revanche“,
flüstere
ich,
während ich meine Hände in seinen Haaren vergrabe
und diese intime Nähe genieße.
118/221
„Auf diese Art kannst du deine Schuld bei mir
jederzeit begleichen.“ Seine Stimme klingt rau,
sehr männlich.
Mein Gott, habe ich das wirklich gerade getan?
Wer ist diese schamlose, hemmungslose Frau?
Remus streichelt über meinen Rücken, dann hebt
der den Kopf und blickt mich an.
„So sehr ich es liebe, wenn du nackt auf mir
sitzt, aber wir müssen weiter, meine Kleine.“
„Ich weiß.“
Ich klettere von seinem Schoß, er steht auf
und verschwindet im Bad, um nochmal zu duschen.
Während ich mich anziehe, kreisen meine Gedanken
unaufhörlich
um
die
Vorstellung,
wie
es
sein
wird, wenn Remus und ich endlich wirklich mitein-
ander schlafen … mein Unterleib zieht sich vor
Vorfreude zusammen. Dieser neuen, hemmungslosen
Frau scheint der Gedanke zu gefallen.
Dann wird plötzlich die Tür unseres Motelzim-
mers mit lautem Krachen aus den Angeln getreten.
119/221
Kapitel 12
Die Tür schlägt gegen die Wand, ich schreie
laut
auf
als
zwei
fremde
Männer
ins
Zimmer
stürmen.
„Da ist die Schlampe!“ Einer der Kerle richtet
eine Waffe auf mich. Ohne nachzudenken reiße ich
eine Vase vom Tisch und schleudere sie ihm entge-
gen, wie durch ein Wunder treffe ich ihn und die
Waffe wird aus seiner Hand geschlagen.
„Verdammt!“ Er faucht seinen Freund an und
hält sich die schmerzende Hand. „Los, hol dir den
Kerl, ich kümmere mich um die Hexe!“
Ich kreische Remus‘ Namen, doch dann ist der
Fremde schon über mir und zwingt mich aufs Bett,
legt seine Hände um meinen Hals und drückt zu.
Ich umklammere seine Handgelenke und wehre mich
mit aller Kraft gegen ihn, ich spüre, wie das
Blut in meinen Schläfen pocht, während er mich
würgt.
Ich
werde
ersticken!
Todesangst
packt
mich, mir bleiben nur noch Sekunden … ich röchle
und schlage wie von Sinnen um mich, doch mein An-
greifer ist viel stärker als ich. Aus dem Augen-
winkel nehme ich wahr, wie Remus die Tür zum Bad
aufreißt, und dann kracht plötzlich ein Schuss.
Der andere Mistkerl hat seine Waffe abgefeuert,
er hat auf Remus geschossen! Der Spiegel im Bad
zersplittert,
oh
mein
Gott,
ist
Remus
etwa
getroffen?
Unbändiger Zorn explodiert in mir. Mit letzter
Kraft packe ich den Kerl über mir an der Kehle
und ramme meinen Finger in seinen Hals, so wie
Remus es mir gezeigt hat.
Doch diesmal bin ich nicht zimperlich.
Meine Fingernägel reißen seine Haut auf, ich
fühle sein warmes Blut herausquellen, während er
erstickt
röchelt.
Ich
weiß
nicht,
ob
es
vor
Verblüffung oder vor Schmerz ist, aber er lässt
mich los, zieht sich von mir zurück und umklam-
mert stattdessen seine Kehle.
Ich hole Atem, krieche über das Bett, so weit
von dem Kerl fort wie möglich, auf das Badezimmer
zu, in dem Remus liegt … Remus, angeschossen,
verletzt, womöglich tot … nein, das darf einfach
nicht wahr sein!
Noch bevor ich den Bettrand erreiche, taucht
eine muskulöse Gestalt hinter der Badezimmertür
auf, ich pralle zurück, sehe etwas aufblitzen,
dann jagt etwas Funkelndes quer durchs Zimmer –
und trifft den Kerl, der auf Remus geschossen
hat, mitten in die Brust.
Ich
wirble
herum,
ein
zweites
glänzendes
Geschoss wird durch den Raum geschleudert, es
trifft den Mann, der mich erwürgen wollte, mitten
ins Gesicht.
Er schreit vor Schmerz auf und sinkt auf die
Knie,
schlägt
die
Hände
vors
Gesicht,
Blut
schießt
zwischen
seinen
Fingern
hervor.
Sein
Kumpan liegt keuchend auf dem Rücken, er tastet
den Boden vergeblich nach seiner Pistole ab, die
unter den Tisch gerutscht ist. Gleichzeitig umk-
lammert er mit der anderen Hand das glänzende,
dreißig Zentimeter lange Ding, das aus seiner
Brust ragt.
121/221
Jetzt erkenne ich, dass es sich um Teile des
zerbrochenen
Badezimmerspiegels
handelt.
Spitz
und messerscharf, tödliche Waffen in der Hand
eines geübten Schützen.
Ich drehe mich um und sehe Remus in der Tür
stehen.
Er ist nackt, jeder Muskel seines Körpers ist
angespannt und die Wut strahlt in bedrohlichen
Wellen von ihm aus. Er sieht aus wie ein Dämon,
der der Unterwelt entstiegen ist.
Ich
zwinge
mich,
meinen
Blick
von
ihm
loszureißen, klettere vom Bett und schnappe mir
die Waffen der Kerle. Um denjenigen, den Remus in
die
Brust
getroffen
hat,
bildet
sich
mit
beängstigender Schnelligkeit eine Blutlache. Er
zuckt
und
röchelt,
wahrscheinlich
füllen
sich
seine Lungen in diesen Sekunden mit seinem eigen-
en Blut.
Sein Kumpan windet sich neben ihm auf dem
Boden, Remus scheint ihn am Auge getroffen zu
haben. Die Scherbe steckt in seinem Gesicht, Blut
rinnt über seine Hände auf den Teppich.
Mit raubtierhafter Geschwindigkeit ist Remus
bei mir, zieht mich an sich. „Geht es dir gut?“
Ich nicke, unfähig, ein Wort hervorzubringen.
Zitternd biete ich ihm die Waffen der Männer an,
er nimmt sie an sich und drückt einen Kuss auf
mein Haar.
„Geh ins Bad.“
„Wa-was?“, flüstere ich.
Sein Befehl ist ruhig und hart. „Na los.“
Mit bebenden Schritten gehorche ich. Das Bad
ist voller Scherben, sie knirschen unter meinen
Schuhen. Ich schließe die Tür, doch sie klemmt
und die Scherben verursachen ein scheußliches,
122/221
quietschendes
Geräusch
auf
den
Fliesen.
Dann
krachen plötzlich zwei Schüsse, ich zucke zusam-
men, verliere fast den Boden unter den Füßen.
Mein Herz hämmert wie verrückt, ich habe das
Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen, und muss mich
am Waschtisch aufstützen. Es dauert einige Augen-
blicke, bis ich den Mut finde, die Tür zu öffnen
und hinauszuspähen.
Remus
ist
bereits
angekleidet,
er
packt
schnell und sicher unsere Sachen ein, mit ein
paar Handgriffen ist alles erledigt. Als er mich
bemerkt,
streckt
er
mir
auffordernd
die
Hand
entgegen.
Ich schlucke und muss mich zusammenreißen, um
das Zimmer zu durchqueren. Ich versuche, nicht
auf die Leichen zu sehen, aber ich bleibe an
einem der Körper hängen und stürze fast. Remus‘
Arme
umschlingen
mich
im
letzten
Moment,
er
drückt mich an sich. Sein Ausdruck ist gnadenlos
und entschlossen … und zu meiner Verwunderung
entdecke ich darin auch ein wenig Traurigkeit.
Wortlos schultert er unsere Taschen, dann zieht
er mich aus dem Zimmer.
Remus jagt die Harley so schnell wie möglich
aus der Stadt hinaus. Ich klammere mich an ihn,
drücke mein Gesicht an seinen breiten, starken
Rücken, während ich verzweifelt versuche, meinen
rasenden Puls zu beruhigen.
Waren das Gonzales‘ Männer? Wie haben sie uns
nur gefunden? Während wir über die Landstraße
dahinbrettern, wirbeln die Erinnerungen an die
vergangenen Minuten wild durch meinen Kopf. Die
Tür wird aufgesprengt … die Kerle stürzen herein
123/221
… einer versucht, mich zu erwürgen … der andere
schießt auf Remus …
Ich bekomme es mit der Angst zu tun, als ich
begreife, dass es die Furcht um Remus‘ Leben war,
die mich den Kerl hat besiegen lassen - nicht die
Furcht um mein eigenes Leben.
Kälte und Hitze schießen gleichzeitig durch
meinen
Körper,
als
mir
klar
wird,
was
das
bedeutet.
Was ich für Remus empfinde.
Ich hätte getötet für ihn. Für einen Mann, den
ich kaum kenne, und der selbst ein Killer ist.
Ich
erkenne
mich
nicht
wieder.
Ich
meine,
gerade habe ich gegen Drogendealer gekämpft! Das
bin doch nicht ich!
Aber ich habe es geschafft, den Kerl zu über-
wältigen, ich habe um mein Leben gekämpft und ge-
wonnen. Plötzlich erfüllt mich wilder Stolz und
ich
spüre,
wie
ein
primitiver,
ursprünglicher
Teil von mir entfesselt wird. Ich fühle mich
lebendig, so lebendig wie noch nie. Sofort meldet
sich die Ärztin in mir, meine rationale Seite. Es
muss das Adrenalin sein, das durch meine Adern
jagt …
Doch es ist mehr als nur das. Als ich Remus
gesehen habe, wie er unbewaffnet und doch so töd-
lich im Türrahmen gestanden ist, da habe ich et-
was empfunden, das ich noch nie zuvor empfunden
habe.
Besitzanspruch.
Dieser wilde, wunderschöne, gefährliche Mann
gehört mir. Mir allein.
Ich klammere mich an ihn, während wir durch
die Nacht jagen, und spüre, wie ein Teil von mir
zurückfällt. Die schwache, unsichere Melanie gibt
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es nicht mehr. An ihre Stelle ist jemand anders
getreten, eine wilde, stolze, gefährliche Frau.
Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass so
jemand in mir steckt.
Dass das mein wahres Ich sein könnte.
Ohne
anzuhalten
rasen
wir
durch
ein
paar
kleine Städte, die an der Landstraße liegen. Es
ist mitten in der Nacht, es sind kaum Autos un-
terwegs,
die
Gegend
wird
immer
einsamer.
Ich
weiß, wohin Remus die Maschine lenkt.
Wir fahren in Richtung Wüste. Wir müssen Death
Valley durchqueren, um nach Nevada zu gelangen.
Lone Pine, die letzte Stadt vor der Wüste, liegt
bereits hinter uns, und vor uns erstreckt sich
nichts als Einöde, das Tal von Death Valley.
Nachts ist die Temperatur erträglich, aber unter-
tags kann es hier leicht bis zu fünfzig Grad heiß
werden. Ohne Klimaanlage und genügend Wasser ist
diese Wüste lebensgefährlich …
Plötzlich
erstrahlen
Flutlichtscheinwerfer
hinter uns, und der Motor eines Geländewagens
heult auf. Ich werfe hastig einen Blick über die
Schulter. Ein Wagen verfolgt uns und schließt im-
mer dichter zu uns auf, mein Herz beginnt zu
rasen.
Remus
reagiert
sofort,
er
jagt
die
Maschine
auf
Hochtouren
über
die
Landstraße,
während der Geländewagen uns auf den Fersen ist.
Gonzales‘ Männer! Sie müssen die Leichen ihrer
Freunde in unserem Motelzimmer gefunden und sich
zusammengereimt haben, dass wir auf dem Weg nach
Nevada sind – viele andere Fluchtmöglichkeiten
bleiben
uns
in
dieser
gottverlassenen
Gegend
nicht.
125/221
Die Straße führt geradewegs in die Wüste, und
Remus
hält
entschlossen
darauf
zu.
Wir
haben
keine
Wahl,
ich
weiß,
dass
wir
es
versuchen
müssen … oder bei dem Versuch sterben werden.
Remus jagt die Harley in einem Höllentempo in
das Wüstental hinein. Er hält die Maschine auf
der Straße, ich weiß, dass wir auf freiem Gelände
keine
Chance
gegen
den
Allradantrieb
des
Geländewagens haben. Es muss uns irgendwie gelin-
gen, unsere Verfolger abzuhängen – oder wenig-
stens so lange am Leben zu bleiben, bis uns ir-
gendjemand zu Hilfe kommt.
Plötzlich kracht hinter uns ein Schuss. In-
stinktiv klammere ich mich fester an Remus, er
legt noch einen Zahn zu und lässt die Maschine im
Zickzack hin- und herschlenkern. Unsere Verfolger
schießen weiter auf uns, doch uns rettet die
Dunkelheit und Remus‘ höllischer Fahrstil. Keine
der Kugeln trifft ihr Ziel.
Es ist eine sternklare Nacht und die Wüste
liegt weit und einsam vor uns. Es gibt keine Mög-
lichkeit,
uns
zu
verstecken,
keine
Zuflucht,
keine
Deckung.
Nur
die
Straße,
die
vor
uns
geradewegs ins dunkle Nichts führt.
Unsere Verfolger versuchen, uns von der Fahr-
bahn zu drängen. Der Geländewagen versucht, uns
zu überholen, doch Remus lässt es nicht zu. Ich
klammere mich in Todesangst an ihm fest, bete,
dass er die Maschine beherrscht, denn ein einzi-
ger
Fehler
bei
diesem
Höllentempo
könnte
uns
töten.
Wir brettern dahin, schaffen es irgendwie, den
Kugeln
und
den
Abdrängversuchen
auszuweichen,
dann reißt Remus plötzlich die Maschine herum und
126/221
nimmt eine Abzweigung, die nach rechts von der
Hauptstraße fortführt.
Was hat er vor?
Der
Geländewagen
rast
hinter
uns
her.
Sie
haben aufgehört, auf uns zu schießen, wahrschein-
lich sparen sie sich ihre Munition für später
auf. Mir graut bei dem Gedanken, wie sicher sie
sich ihrer Sache sind.
Plötzlich taucht ein riesiger, weißer See vor
uns auf, dessen Oberfläche im Licht der Sterne
schimmert. Remus hält direkt auf den See zu, ich
halte den Atem an, meine Arme versteinern um
seinen Brustkorb, kalte Angst packt mich. Will er
uns ertränken?
Erst als die Maschine mit einem irren Tempo
über die weiße Fläche jagt, erkenne ich, dass es
sich
gar
nicht
um
Wasser
handelt.
Glitzernde
Funken sprühen um uns herum hoch, die Reifen der
Maschine wirbeln ein wildes, weißes Durcheinander
auf, und plötzlich begreife ich: Das ist Salz.
Es ist ein Salzsee.
Der sandähnliche Untergrund verlangsamt zwar
unser
Tempo,
aber
gleichzeitig
verlangsamt
er
auch unsere Verfolger. Die weiße Wolke, die wir
aufwirbeln,
erschwert
ihnen
die
Sicht,
ihr
grelles Scheinwerferlicht bricht sich tausendfach
in den Salzkristallen und blendet sie, während
wir freie Sicht nach vorn haben.
Remus jagt die Maschine quer über den Salzsee,
dahinter ragen Hügel in der Dunkelheit auf. Da-
rauf hält er zu, diese Hügel bieten uns Deckung,
sie sind unsere einzige Zuflucht.
Wir schaffen es über den See, und sobald die
Reifen wieder trockenen Wüstenboden unter sich
haben,
beschleunigt
Remus
und
jagt
mitten
127/221
zwischen die Hügel hinein. Es sind zerklüftete
Felsformationen, nicht besonders hoch, aber ziem-
lich verwinkelt, so dass wir mit dem Motorrad
durchkommen,
aber
der
Geländewagen
Schwi-
erigkeiten hat.
Wir schlängeln uns zwischen den Felsen durch,
ich werfe einen Blick über die Schulter zurück,
der Geländewagen ist verschwunden und ich sehe
auch das grelle Scheinwerferlicht nicht mehr.
Remus hält die Maschine an und blickt zurück.
Die plötzliche, absolute Stille der Wüste, die
sich über uns senkt, ist beängstigend.
Im nächsten Augenblick röhrt der Motor unserer
Verfolger auf, und der Geländewagen schießt um
die Ecke. Remus lässt die Reifen durchdrehen und
jagt die Maschine wie eine Gewehrkugel los, ich
kralle mich im letzten Moment an ihm fest, um
nicht vom Sitz geschleudert zu werden. Der Pfad
wird immer schmaler, unsere Flucht gleicht immer
mehr einem Moto-Cross-Rennen. Hügel rauf, Hügel
runter, ich klammere mich an Remus wie an mein
Leben. Der Geländewagen rast hinter uns her, der
Pfad wird unwegsamer, und schließlich jagt Remus
die Harley einen schrägen Hügelkamm hinauf, der
plötzlich steil nach unten abfällt. Ich schließe
die Augen, während die Maschine über den Rand des
Kamms schießt, sekundenlang befinden wir uns in
der Luft, dann prallt die Maschine mit einem ge-
waltigen Ruck auf dem Boden auf, schlenkert, doch
Remus kann sie unter Kontrolle halten. Ich drehe
mich um, hinter uns schießt der Geländewagen über
die Kante. Doch der Wagen ist zu schwer, der Sch-
wung ist zu groß, das Heck dreht zur Seite ab und
der Wagen kippt. Donnernd fällt er auf die Seite
und schlittert den Abhang hinunter, überschlägt
128/221
sich dabei und bleibt schließlich auf dem Dach
liegen.
Darauf scheint Remus gewartet zu haben. Er
rammt seinen Fuß in die Erde, reißt die Maschine
in einer 180° Drehung herum und jagt auf den
Geländewagen zu. Ist er verrückt geworden? Warum
nützt er die Gelegenheit nicht zur Flucht?
Ehe wir den Geländewagen erreichen, klettern
bereits drei der Insassen heraus. Ich glaube,
einen Vierten im Wagen zu sehen, aber er rührt
sich nicht, ist er tot? Remus hält die Maschine
an, springt ab und zieht mich mit sich.
„Warum hast du - ?“
„Wir
müssen
die
Kerle
erledigen,
oder
sie
rufen Verstärkung und ihre Freunde fangen uns ab,
sobald wir die Wüste verlassen!“
Gemeinsam verschwinden wir in den Hügeln, ver-
stecken uns hinter einem erhöhten Felsen, von wo
aus wir unsere Verfolger beobachten können.
Mein Herz rast, als würde es zerspringen. Ich
keuche, gebe mir Mühe, leise zu sein, aber das
Blut rauscht in meinem Kopf. Remus kauert neben
mir, den Rücken an die Felswand gelehnt, und
entsichert die Pistolen, die wir den Männern im
Motel abgenommen haben. Schweigend reicht er mir
eine.
„Ich kann doch damit gar nicht umgehen“, raune
ich.
„Das
ist
nicht
schwer“,
zischt
er
zurück.
„Zielen und abdrücken.“ Dann zieht er eins seiner
langen Messer aus seinem Halfter, wie um mir zu
sagen, dass keine Schusswaffe der Welt so gefähr-
lich ist wie diese Klinge – vorausgesetzt, sie
liegt in seiner Hand. „Bleib in Deckung.“
129/221
Bevor ich protestieren kann, verschwindet er
in der Dunkelheit, lautlos wie ein Raubtier.
Verdammt! Warum lässt er mich hier allein? Mit
schweißnassen Händen umklammere ich die Waffe,
schiebe mich an den Rand des Felsens vor und
spähe vorsichtig darüber hinweg.
Ich kann die drei Dealer sehen, wie sie mit
gezogenen Waffen auf die Felsen am Fuß meines Hü-
gels
zulaufen.
Sie
verständigen
sich
mit
Handzeichen, um möglichst wenig Lärm zu machen,
und teilen sich auf.
Oh mein Gott, sie werden mich hier aufspüren!
Ich atme hastig, muss mich zwingen, leise zu
sein, damit ich mich nicht verrate. Wo zum Teufel
ist Remus?
Zwei der Männer verschwinden in den Hügeln ge-
genüber, aber einer von ihnen kommt in meine
Richtung. Ich halte die Waffe fest umklammert,
richte den Lauf auf ihn, mein Finger zittert am
Abzug.
Ich habe noch nie eine Waffe abgefeuert. Ob
der Rückstoß wohl schmerzhaft ist? Wie nah muss
der Kerl an mir dran sein, damit ich eine Chance
habe, ihn zu treffen? Wenn ich zu früh schieße,
dann weiß er, wo ich stecke - aber wenn ich
warte, bis er nah genug ist, dann riskiere ich,
dass er mich zuerst entdeckt …
Mein Herz hämmert wie verrückt, ich habe Tode-
sangst. Die Stille um mich herum ist erdrückend,
ich höre gar nichts, kein Geräusch von den ander-
en beiden Dealern oder von Remus.
Der Kerl auf meiner Seite des Hügels ist ir-
gendwo zwischen den Felsen verschwunden. Oh, ver-
dammt! Ich habe keine Ahnung, wo er ist! Was soll
130/221
ich
jetzt
tun?
Soll
ich
versuchen,
mich
davonzuschleichen?
Was, wenn ich den anderen beiden über den Weg
laufe? Oder der Kerl auf meiner Seite mich ent-
deckt? Ich habe solche Angst, dass ich nicht klar
denken kann. Die Waffe zittert in meinen Händen …
Plötzlich höre ich ein dumpfes Röcheln, es
kommt von der anderen Seite des Hügels. Dann et-
was, das wie ein Handgemenge klingt, und das Ger-
äusch von Geröll, das von einer Felswand bröckelt
… und auf einmal ist es wieder still.
Oh Gott, ob das Remus war? Hat er einen der
beiden Kerle erledigt?
Wenn
ich
die
Geräusche
gehört
habe,
dann
bestimmt auch der Dealer auf meiner Seite des Hü-
gels. Vielleicht wird er nachsehen, was mit sein-
en Freunden geschehen ist? Ich hebe vorsichtig
den Kopf und blicke mich um.
Ich kann niemanden entdecken. Um mich herum
sehe ich nichts als Felsen, die sich im Sternen-
licht von dem dunklen Hügel abheben. Ganz langsam
richte
ich
mich
auf,
um
mir
einen
besseren
Überblick zu verschaffen.
Einen Augenblick später kracht ein Schuss, und
eine Kugel schlägt direkt neben mir in den Felsen
ein. Ich schreie auf und ducke mich hinter den
Stein. Der Dealer hat mich entdeckt! Ich höre
Schritte,
die
rasch
näherkommen,
er
läuft
in
meine Richtung!
Mir bleibt keine Zeit mehr, zu fliehen.
Melanie, entweder du kämpfst, oder du stirbst.
Früher wäre ich wahrscheinlich vor Angst wie
gelähmt
gewesen,
hätte
mich
gegen
den
Felsen
gedrückt und gebetet, dass der Kerl mich nicht
findet. Aber diese Frau bin ich nicht mehr.
131/221
Ich weiß nicht, woher ich den Mut und die
Entschlossenheit nehme, ich weiß nur, dass ich
nicht hier kauern und darauf warten werde, dass
dieser Mistkerl mich abknallt.
Meine Hände krallen sich um die Waffe und ich
richte
mich
auf.
Ohne
nachzudenken,
ohne
zu
zögern ziele ich in die Richtung, aus der ich
seine Schritte höre, und drücke ab.
Mein Schuss hallt von den Felsen, der Rückstoß
reißt meinen Arm hoch. Der Kerl wirft sich in
Deckung, ich ziele erneut und feuere noch zwei
Kugeln auf ihn ab.
Jetzt schießt er zurück. Ich gehe hinter dem
Felsen in Deckung, dann höre ich, wie der Typ
weiter auf mich zuläuft.
Wahrscheinlich hat er die Waffe im Anschlag
und wartet nur darauf, dass ich mich zeige, aber
ich habe keine andere Wahl. Ich muss versuchen,
ihn aufzuhalten!
Ich hole tief Luft und rolle mich hinter dem
Felsen hervor, ziele auf den Kerl und drücke ab.
Er ist jetzt nur noch wenige Meter von mir ent-
fernt, aber meine Kugel verfehlt ihn, er duckt
sich und feuert zurück.
Seine Kugel schlägt direkt neben meinem Kopf
in den Stein ein, ich keuche auf und krabble
zurück in Deckung. Der Scheißkerl springt auf und
rennt weiter auf mich zu, während er eine Kugel
nach der anderen auf mich abfeuert.
Dann, plötzlich, springt eine dunkle Gestalt
wie ein Raubtier von einem erhöhten Felsen auf
meinen Angreifer und reißt ihn zu Boden. Es ist
Remus! Die beiden Männer rollen über den felsigen
Untergrund, es beginnt ein wilder Zweikampf. Mein
Angreifer hat seine Waffe verloren, die beiden
132/221
kämpfen
mit
bloßen
Fäusten
gegeneinander.
Ich
beobachte starr vor Schreck, wie Remus auf den
Kerl einprügelt, aber der Mann scheint selbst
kein schlechter Kämpfer zu sein. Er windet sich
aus Remus‘ Griff, versetzt ihm einen heftigen
Kinnhaken
und
schlingt
seine
Beine
um
Remus‘
Körper.
Wenn ich doch nur irgendetwas tun könnte, um
Remus zu helfen! Unschlüssig ziele ich mit der
Waffe auf die Kämpfenden, doch ich traue mich
nicht, abzudrücken, aus Angst, Remus zu treffen.
Alles geht sehr schnell, jetzt gewinnt Remus
wieder die Oberhand und drückt seinen Gegner mit
brutaler Gewalt zu Boden. Der Mann wehrt sich, es
gelingt ihm, sich zu befreien, und er kommt bei-
nahe wieder auf die Beine, stolpert in meine
Richtung – ich schreie und weiche zurück, da ist
Remus über ihm, packt seinen Kopf, und bricht ihm
mit einem scheußlichen Ruck das Genick.
Der Körper des Mannes erschlafft und fällt re-
glos zu Boden.
Remus steht heftig keuchend über ihm, wildes
Feuer flackert in seinen Augen, als er mich an-
sieht. Ohne zu zögern laufe ich zu ihm und werfe
mich in seine Arme.
„Bist du in Ordnung?“ Seine Stimme klingt rau
und drängend, während er mich von sich wegdrückt
und hastig untersucht.
Ich nicke atemlos. „Und du?“
„Lauf zur Maschine! Ich komme gleich nach.“
„Was hast du vor?“
„Ich muss mein Messer holen. Los, ich bin
gleich hinter dir.“
„Was ist mit den anderen beiden Kerlen?“
„Sie sind tot.“
133/221
Er drückt mir einen harten Kuss auf die Lip-
pen, dann verschwindet er in der Dunkelheit. Ich
stolpere den Hang hinunter und laufe zum Motor-
rad, die Waffe immer noch schussbereit in meinen
Händen.
Es
dauert
nur
wenige
Minuten,
dann
taucht
Remus aus der Finsternis auf und läuft mir entge-
gen. Er will sich sofort auf das Motorrad schwin-
gen, doch ich halte ihn zurück.
„Ich muss deine Wunde untersuchen, sicherstel-
len, dass die Naht nicht wieder aufgeplatzt ist.“
Remus hält sich nicht mit langen Diskussionen
auf. Er stellt sich in den Kegel des Scheinwer-
ferlichts, öffnet seine Hose und zieht sie über
seine Oberschenkel hinunter. Ich knie mich vor
ihn und löse das Pflaster von der Wunde.
„Alles in Ordnung“, flüstere ich.
Trotz der wahnsinnigen Situation, in der wir
uns befinden, erregt es mich, in dieser Position
vor ihm zu knien. Er legt seine Hand sanft an
meinen Kopf, diese große, kräftige Hand, mit der
er gerade meinem Angreifer das Genick gebrochen
hat.
„Steh auf“, murmelte er rau. „Wir müssen hier
weg.“
Er hilft mir auf die Beine, und dann küsst er
mich. Ich spüre, wie er seinen Arm um mich sch-
lingt und mich an seinen Körper drückt, wie seine
Zunge
in
meinen
Mund
eindringt,
wild
und
fordernd. Es ist kein zärtlicher Kuss, es hat et-
was Animalisches, Besitzergreifendes. Meine Beine
zittern, als er mich hinter sich auf das Motorrad
zieht, die Harley wendet und mit mir in die
dunkle Wüste davonbraust.
134/221
Kapitel 13
Wir erreichen Las Vegas mitten in der Nacht.
Die
Straßen
sind
hell
erleuchtet,
überall
blinkende Lichter und riesige Reklametafeln von
Hotels,
Shows
und
Casinos.
Tausende
Menschen
drängen sich auf der Straße.
„Ich war noch nie in Vegas“, murmele ich Remus
ins Ohr, als wir an einer Kreuzung anhalten.
Er wirft mir einen Blick über die Schulter zu,
ein verruchtes Lächeln auf den Lippen. „Baby,
jeder sollte zumindest einmal im Leben in Vegas
kommen.“
Mir bleibt die Luft weg, Remus lacht leise und
lässt den Motor aufheulen, als wir weiterfahren.
Zu meiner Überraschung lenkt er die Maschine
auf den Parkplatz eines riesigen Hotels mitten
auf dem Las Vegas Boulevard.
„Sollten wir nicht … ich weiß nicht, irgendwo
untertauchen?“ Ich lasse meinen Blick unsicher
über den bombastischen Hotelkomplex schweifen.
„Genau das wird Gonzales denken. Er wird uns
nicht im größten Hotel der Stadt suchen.“ Remus
nimmt meine Hand und führt mich direkt in die
Eingangshalle.
Das Innere des Hotels ist eine Stadt für sich.
Remus bucht ein Zimmer für uns, zahlt bar und
führt mich zu den Aufzügen. Wir passieren Res-
taurants, Bars, Cafés, unzählige Luxusboutiquen
und – natürlich – das hoteleigene Casino. Die
Kabine des Fahrstuhls ist geräumig, verspiegelt
und vergoldet.
„Ich fühle mich, als wäre ich stinkreich“,
murmele ich.
Remus drückt auf einen der obersten Knöpfe.
„Wer sich reich fühlt, dem macht es auch nichts
aus, sein Geld zu verspielen.“
Die Fahrstuhltüren öffnen sich und Remus führt
mich zu unserem Zimmer … nein, zu unserer Suite.
Mir klappt die Kinnlade hinunter, als ich durch
die luxuriösen Räume schlendere und die verglaste
Fensterfront entdecke, die einen Ausblick über
die ganze Stadt bietet.
„Das ist einfach …“ Mir fehlen die Worte.
Remus lehnt mit verschränkten Armen an der Tür
zum
Salon,
seine
Augen
unablässig
auf
mich
gerichtet. Er fixiert mich wie ein Wolf, und ob-
wohl er sich nicht bewegt, bekomme ich eine Gän-
sehaut. Es fühlt sich an, als wären seine töd-
lichen Fähigkeiten greifbar.
Ich bleibe am Fenster stehen und rühre mich
nicht, als er sich vom Türrahmen abstößt und zu
mir schlendert. Langsam, er lässt sich Zeit, weil
er weiß, dass ich ihm sicher bin.
Mein Herz klopft. Er bleibt dicht vor mir
stehen, seine Ausstrahlung schüchtert mich ein.
Er ist so groß, dass ich den Kopf heben muss, um
ihn anzusehen.
Langsam hebt er die Hand und streicht mir eine
Haarsträhne hinters Ohr.
„Du warst sehr mutig heute.“ Er lässt seinen
Blick nachdenklich auf seinen Fingern ruhen, die
meine Haarsträhne zwirbeln. „Du hast gegen den
Dreckskerl im Motel gekämpft, und auf den anderen
in Death Valley hast du sogar geschossen.“
136/221
„Ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren
ist“, flüstere ich.
Remus‘ Augen glühen gefährlich, seine Stimme
klingt rau. „Gefällt es dir?“
Ich starre ihn ein paar Sekunden lang an. Wir
sind auf der Flucht vor Drogendealern, die mich
umbringen
wollen,
wir
wurden
mehrmals
fast
getötet und ich habe aufgehört, zu zählen, wie
vielen Menschen Remus das Leben genommen hat, um
mich zu beschützen … ich habe gegen meine Angre-
ifer
gekämpft,
auf
sie
geschossen,
mich
verteidigt …
Ich habe mich verteidigt. Bei dem Gedanken
schießt Aufregung durch meine Adern, gemischt mit
Stolz und einem Gefühl von Wildheit. Obwohl wir
in dieser unvorstellbaren Lage sind, fühle ich
mich großartig.
Ob es mir gefällt? Vielleicht bin ich ja ver-
rückt … aber zur Hölle, und wie es mir gefällt!
Ein Ausdruck des Verlangens tritt in Remus‘
Gesicht, als er etwas von dem wilden Flackern
seiner Augen auch in meinem Blick entdeckt. „Ja“,
flüstere ich heiser.
Seine Hand umschlingt meinen Nacken, er zieht
mich an sich und küsst mich hart auf den Mund.
Diesmal weiche ich nicht zurück, ich dränge mich
ihm entgegen, öffne meine Lippen für ihn und
begegne seiner ungestümen Zunge. Er drückt mich
mit
dem
Rücken
gegen
die
Fensterfront,
sein
mächtiger
Körper
hält
mich
unter
Kontrolle,
während er mich verlangend küsst, voll wilder
Leidenschaft.
Als sich unsere Lippen voneinander lösen, ist
das Feuer in seinen Augen so dunkel und ungezäh-
mt, dass es mir Angst machen müsste.
137/221
Aber das tut es nicht. Es erregt mich, ich
fühle
einen
unbändigen
Besitzanspruch
in
mir
aufwallen. Ich weiß, dass dieser Mann mir gehören
soll, mir allein!
„Das ist gut, Mel“, knurrt er. Dann gleitet
seine Hand an meinem Körper entlang, er lässt sie
an meiner Seite ruhen. „Wie geht es deiner Ver-
letzung?“ Seine Stimme klingt heiser.
Ich ziehe mein Shirt hoch. Das Pflaster weist
keine frischen Blutflecke auf, die Wunde scheint
in Ordnung zu sein.
Ich bin halb in der Erwartung, dass er mir das
Shirt vom Leib reißt, mich auf den Boden wirft,
sich auf mich stürzt und in mich eindringt – bei
dieser Vorstellung zieht sich mein Unterleib vor
Begehren zusammen – doch stattdessen wendet sich
Remus mit einem anzüglichen Lächeln von mir ab.
Um meine Enttäuschung zu überspielen, senke
ich den Blick und kämpfe das Feuer in mir nieder.
Zu meiner Verwunderung schlendert Remus zum Tele-
fon und ruft bei der Rezeption an.
„Schicken Sie uns ein Cocktailkleid in Größe
36, dazu passende High Heels in 38.“
Ich blicke überrascht auf. Nicht nur, weil er
unerwartet ein Kleid für mich bestellt, sondern,
weil er meine genaue Größe kennt. Für sich selbst
bestellt
Remus
Designerjeans
und
ein
dunkles
Hemd, dann legt er auf.
Ich blinzle ihn an. „Gehen wir aus?“
„Unsere
Sachen
sehen
erbärmlich
aus.
Du
verdienst etwas Besseres.“
Er hat Recht. Unsere Sachen sind verdreckt und
auf Remus‘ Shirt prangen frische Blutflecke.
Blut, das nicht seins ist.
138/221
Ich beiße mir auf die Lippen, unterdrücke die
Frage, die mir auf der Zunge brennt.
„Du willst wissen, was ich mit den Männern in
der Wüste gemacht habe?“
Kann er meine Gedanken lesen?
„Woher …?“, murmele ich ein wenig überrumpelt.
„Ich … bin mir nicht sicher, ob ich es wirklich
wissen will“, füge ich dann hinzu.
„Genügt es dir, zu wissen, dass sie nie wieder
versuchen werden, dich umzubringen?“
Ich frage mich die ganze Zeit, ob das Messer,
das Remus in der Wüste geholt hat, in einem der
Männer gesteckt hat. Hatte er keine Zeit, die
Klinge wieder an sich zu nehmen, weil er die
Schüsse gehört hat und mir zu Hilfe gekommen ist?
Er nähert sich mir nicht, sondern beobachtet
mich
abwartend.
Sein
Blick
ist
forschend
und
intensiv.
„Hast du Angst, Mel?“
Ich
schüttele
den
Kopf.
„Ich
werde
nicht
schreiend davonlaufen, falls du darauf wartest.“
„Du hast gesehen, wie ich diesem Dealer das
Genick gebrochen habe.“ Jetzt kommt er langsam
auf mich zu. „Ich wollte nicht, dass du mich
töten siehst. Nicht schon wieder.“
Ich straffe die Schultern. „Du hast es getan,
um mich zu retten.“
Er bleibt vor mir stehen und streicht sanft
über meinen Hals. Seine Berührung ist zärtlich,
obwohl er auch mein Genick brechen könnte wie
einen Zweig. „Du weißt, dass ich dir niemals weh-
tun werde, nicht wahr?“
„Ich habe keine Angst vor dir.“
Etwas glitzert in seinen Augen, doch bevor er
mir antworten kann, läutet es an der Tür. Remus
139/221
reißt sich von mir los und lässt den Zimmerser-
vice herein, der die bestellte Kleidung liefert.
Ich schnappe mir das Kleid und die Schuhe, und
ziehe mich ins Schlafzimmer zurück. In der Mitte
des Raums steht ein großes Doppelbett, ich breite
das Kleid darauf aus und betrachte es, während
ich mich aus meiner Jeans und dem Shirt schäle.
Es ist ein schwarzes Cocktailkleid aus feinem
Chiffon. Ich bin gespannt, wie es mir steht. Die
dazu passenden Schuhe sind Killer High Heels,
schwarz, mit Zwölf-Zentimeter-Absatz.
„Las Vegas, Baby“, murmele ich zu mir selbst
und gehe ins Bad, um eine heiße Dusche zu nehmen.
Noch vor ein paar Tagen hätte ich mich niemals
getraut, so ein Kleid mit solchen Schuhen zu tra-
gen. Und jetzt? Jetzt liegt es in dem Schlafzim-
mer, auf dem Bett, das ich mit dem gefährlich-
sten,
tödlichsten
Mann
teilen
werde,
der
mir
jemals begegnet ist.
Was für ein aufregender Gedanke.
Ich erstarre, als ich Remus plötzlich hinter
mir höre. Ohne ein Wort zu sagen, tritt er zu mir
in
die
geräumige
Dusche
und
schiebt
die
Tür
hinter sich zu.
Sein nackter Körper verschlägt mir den Atem.
Während das Wasser über meine Haut läuft, kann
ich meinen Blick nicht von ihm abwenden, von dem
faszinierenden Muskelspiel unter seiner gebräun-
ten Haut, von all der Kraft, die unter der Ober-
fläche schlummert.
Schweigend verreibt er ein wenig Duschgel auf
seinen Handflächen und legt seine Hände auf mein-
en Körper. Seine Berührung schießt direkt zwis-
chen meine Beine. Er lässt seinen Blick auf mir
ruhen, während seine Hände langsam über meinen
140/221
Körper
gleiten,
über
meine
Schultern,
meiner
Arme,
dann
über
meinen
Bauch
bis
zu
meinen
Brüsten. Meine Knospen stellen sich unter seinen
Zärtlichkeiten auf, mein Atem geht schneller, ich
beobachte ihn, während er mich sanft streichelt,
langsam und gnadenlos. Mein Blick flackert immer
wieder zu seiner Erektion, es ist nicht zu über-
sehen, wie sehr er mich begehrt. Dann packt er
mich plötzlich und dreht mich um, so dass ich mit
dem Rücken zu ihm stehe. Er umfasst von hinten
meine Brüste, ich spüre, wie er sich an meinen
Rücken drückt, fühle seine Härte an meinem Körp-
er. Er massiert sanft meine Brüste, dann gleitet
er
tiefer,
seiner
Hände
streicheln
über
die
Innenseite meiner Oberschenkel und berühren mich
zwischen meinen Beinen. Ich stöhne auf, als er
über meine Klitoris fährt, mich sanft neckt, und
beginne, meinen Po an seiner Erektion zu reiben.
Er lacht, männlich und rau, lässt eine Hand an
meinen
Hintern
gleiten
und
fängt
an,
ihn
zu
kneten.
Mein Verlangen pocht zwischen meinen Beinen,
ich bin verrückt nach diesem Mann! Er stützt sich
mit
einem
Arm
an
der
Wand
ab,
seine
harten
Muskeln streifen dabei wie zufällig meinen Körp-
er. Er ist so groß, so übermächtig, ich fühle
mich
ihm
in
der
Duschkabine
vollkommen
aus-
geliefert, und seltsamer Weise macht es mich un-
glaublich an. Er kann mit mir tun, was immer er
will,
und
anstatt
dagegen
zu
protestieren,
genieße ich dieses Gefühl und gebe mich ihm hin.
Ich hätte mich niemals getraut, ihn darum zu bit-
ten, mich zu unterwerfen, aber das ist bei Remus
auch nicht nötig. Seine männliche Dominanz ist so
141/221
stark,
dass
er
nicht
auf
meine
Aufforderung
wartet.
Ich bebe erwartungsvoll, wünsche mir, dass er
mein
Becken
packt
und
von
hinten
in
mich
eindringt. Wie seine Kraft sich wohl anfühlen
wird, wenn ich ihn endlich in mir spüre?
Als könnte er meine Gedanken lesen, packen
seine Hände plötzlich meine Hüften und halten
mich fest. Ich könnte ihm nicht auskommen, selbst
wenn ich es wollte. Zitternd halte ich die Luft
an, mein Herz schlägt schneller, ich spüre, wie
er sich zu mir herunterbeugt – und einen Kuss auf
meinen Nacken drückt. Dann dreht er mich herum,
packt meine Handgelenke und hält meine Hände über
meinem Kopf fest, drückt mich mit seinem Körper
gegen die Wand und küsst mich, so hungrig und
voller Verlangen, dass mir der Atem stockt. Ich
fühle seinen harten Schwanz, der gegen meinen
Bauch drückt, spüre, wie sehr er mich besitzen
will. Oh Gott, ich könnte allein von der Intens-
ität seines Kusses kommen!
Wild
und
schamlos
erwiderte
ich
seine
Leidenschaft, ohne Einspruch dagegen zu erheben,
dass er mich festhält, dass er mich gewaltsam ge-
gen die Wand drückt … es macht mich so an, wie
ich es nie für möglich gehalten hätte! Scheiß auf
die Moralvorstellungen, dieser Mann erregt mich
unermesslich!
Als
sich
unsere
Lippen
voneinander
lösen,
starre ich ihn keuchend an, ich weiß, dass meine
Pupillen vor Verlangen geweitet sind. Ich ver-
suche, mich an ihn zu drängen, will mehr, und
kämpfe gleichzeitig gegen seinen Griff an, mit
dem
er
meine
Handgelenke
über
meinem
Kopf
142/221
festhält … und Remus lacht, rau, überlegen und
männlich.
„Das war erst der Anfang, meine Schöne.“
Er beugt sich zu mir herunter, nimmt einen
Nippel zwischen seine Lippen und saugt daran,
bringt mich dazu, vor Lust aufzustöhnen. Dann
löst er sich von mir und lässt mich abrupt los.
Während er aus der Dusche steigt, wirft er mir
einen dunklen Blick zu - heiß genug, um mich noch
feuchter werden zu lassen, als ich ohnehin schon
bin. Wie …? Lässt er mich jetzt allein? Was war
das, etwa das Vorspiel vor dem Vorspiel?
Himmel, dieser Mann hat wirklich nicht zu viel
versprochen. Wenn wir endlich wirklich mitein-
ander schlafen, werde ich es tatsächlich niemals
vergessen …
Allein in der Dusche bin ich versucht, selbst
zu Ende zu bringen, was Remus begonnen hat. Aber
ich entscheide mich dagegen, will lieber warten,
was dieser unglaubliche Mann noch mit mir vorhat.
Als ich kurze Zeit später ebenfalls aus dem
Bad trete, ist das Schlafzimmer leer, ich höre
Remus im Salon telefonieren. Ich schlüpfe rasch
in das schwarze Cocktailkleid und die High Heels,
und betrachte mich im Spiegel. Das Kleid hat ein-
en gewagten Wasserfall-Ausschnitt, der es unmög-
lich macht, darunter einen BH zu tragen. Außerdem
betont es meine schlanke Taille, der kurze Rock
umspielt
locker
meine
Oberschenkel,
und
die
Schuhe sind … einfach nur heiß.
Noch vor ein paar Tagen hätte ich so ein Out-
fit niemals angezogen. Jetzt, während ich mich im
Spiegel ansehe, wird mir klar, dass das ich bin.
Mein neues Ich.
143/221
Die Frau, die gegen Drogendealer kämpft und
mit einem Killer auf der Flucht ist. Ein unbekan-
ntes Gefühl von Selbstvertrauen und Wagemut kommt
in mir auf, je länger ich die sexy Frau im
Spiegel
betrachte.
Und
dann
fasse
ich
einen
Entschluss.
Wenn Remus glaubt, mit mir spielen zu können,
dann
wird
er
die
Überraschung
seines
Lebens
erleben.
„Du bist nicht der Einzige, der dieses Spiel
beherrscht“,
flüstere
ich,
und
meine
Augen
blitzen dabei fast so raubtierhaft wie die Augen
des
unwiderstehlichen
Mannes
vor
meiner
Schlafzimmertür.
Remus steht mit dem Rücken zu mir im Salon und
telefoniert. Er trägt Jeans und ein schwarzes
Hemd, das sich an seinen muskulösen Oberkörper
schmiegt und seine breiten Schultern betont.
Er legt auf und dreht sich zu mir um, seine
Augen werden dunkler, während sein Blick langsam
über meinen Körper wandert.
Früher wäre ich errötet, doch jetzt hebe ich
stolz das Kinn, während er mich mit den Augen
auszieht. Dann begegne ich seinem Blick und halte
ihm stand.
Ganz
langsam
breitet
sich
ein
Lächeln
auf
Remus‘ Lippen aus. Er nimmt die Herausforderung
an, und es gefällt ihm.
„Unwiderstehlich heiß.“
„Du hast das Kleid bestellt.“
Er schmunzelt verwegen. „Ich habe nicht von
dem Kleid gesprochen.“
Er
hält
mir
die
Tür
auf,
wir
gehen
zum
Fahrstuhl.
144/221
„Ich habe Verstärkung angefordert. Sie werden
noch heute Nacht hier eintreffen.“
„Was für Verstärkung?“
„Meine Kameraden. Sie werden uns zurück nach
L.A. eskortieren.“
„Du hast gerade mit ihnen telefoniert?“
Er
nickt,
während
sich
die
Fahrstuhltüren
schließen. „Keine Geheimnisse mehr, schon ver-
gessen?“ Der warme Ton in seiner Stimme läuft wie
flüssiger Honig über meine Haut.
„Denkst du, dass Gonzales uns wieder angreifen
wird?“
„Er wird versuchen, uns davon abzuhalten, dich
dem Staatsanwalt zu übergeben. Du bist die ein-
zige Verbindung zwischen ihm und dem illegalen
Medikamentenhandel,
du
bist
das
fehlende
Puzzleteil, auf das die Staatsanwaltschaft gewar-
tet hat. Wenn du nicht aussagst, gibt es auch
keine Anklage.“
„Was ist mit dir? Du warst doch ebenfalls
Zeuge des Deals.“
„Uns gibt es offiziell nicht, Mel - weder
mich, noch meine Kameraden, noch unsere Einheit.
Mein Chef wird nicht zulassen, dass ich die Ein-
heit verlasse, nur um gegen Gonzales auszusagen.
Du
bist
die
einzige
Zeugin
der
Staatsanwaltschaft.“
Ein Gefühl der Beklemmung ergreift mich. Als
könnte er es spüren, zieht er mich in seine Arme
und hält mich fest. Seine Berührung ist nicht
fordernd, sondern beschützend. „Keine Sorge. Ich
werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.
Du bist bei mir sicher, das verspreche ich dir.“
145/221
Ich lehne mich an seine harte Brust. „Wenn du
nicht gewesen wärst, dann wäre ich schon längst
tot.“
„Ich werde dich immer beschützen, Mel.“
Plötzlich habe ich einen Kloß im Hals. Sein
geflüstertes Versprechen, mir seinen Schutz zu
gewähren, seine tödlichen Waffen, die gegen mein-
en Körper drücken, während er mich an sich presst
… sein Angebot ist so männlich, dass meine Knie
plötzlich weich werden.
Wie könnte ich es ausschlagen? Jetzt, da ich
weiß, dass Remus stark genug ist, um sein Ver-
sprechen tatsächlich zu halten? Das sind keine
leeren Worte. Die Frau in mir spürt, dass ich bei
ihm sicher bin. Weil er jeden umbringen wird, der
mir zu nahe kommt.
Moment mal … ich bin eine moderne, unabhängige
Frau, warum fühle ich mich auf so archaische Art
zu diesem Mann hingezogen? Warum macht es mich so
an,
dass
dieser
tödliche
Krieger
mir
seinen
Schutz gewährt?
„Immer?“, flüstere ich. „Heißt das, bis nach
der Verhandlung?“ Insgeheim fürchte ich nämlich,
Remus nicht wiederzusehen, wenn wir L.A. erreicht
haben und ich bei der Staatsanwaltschaft in Sich-
erheit bin.
Remus runzelt die Stirn. „Die Sache wird damit
nicht
erledigt
sein.
Gonzales
wird
versuchen,
sich zu rächen. Er wird erst ruhen, wenn es
Melanie Bright nicht mehr gibt.“
Ich erstarre in seinen Armen. „Ich will nicht
für immer um mein Leben fürchten. Und du kannst
doch nicht ewig auf mich aufpassen.“
Seine Hände streicheln beruhigend über meinen
nackten Rücken. „Wir werden eine Lösung finden.
146/221
Ich
verspreche
dir,
dass
ich
alles
versuchen
werde, damit du dein Leben zurückbekommst.“
„Vielleicht
will
ich
mein
altes
Leben
gar
nicht wieder zurück.“
Remus‘
Augenbrauen
wandern
überrascht
nach
oben.
Ich
schiebe
die
düsteren
Gedanken
an
Gonzales und meine ungewisse Zukunft zur Seite,
ich
will
nicht
darüber
nachdenken,
dass
ich
jederzeit von Gonzales‘ Männern erschossen werden
könnte … ich will leben, hier und jetzt. Mein
Herz schlägt kräftig gegen meinen Brustkorb, ich
stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse Remus
auf den Mund.
Er erwidert meinen Kuss, seine Hand schlingt
sich in meine Haare, er hält meinen Kopf fest und
presst
meinen
Körper
an
sich.
Ich
schmecke
denselben Überlebenswillen auf Remus‘ Lippen, die
Leidenschaft, jeden Moment voll auszukosten, eine
wilde, unbezähmbare Lebendigkeit.
Ich bemerke erst, dass sich die Fahrstuhltüren
geöffnet haben, als sich jemand dezent räuspert.
Remus und ich lösen uns voneinander, er schlingt
seinen Arm um mich und führt mich hinaus, vorbei
an den schockiert dreinblickenden Gästen vor dem
Fahrstuhl.
Wir gehen in die Bar des Casinos. So wie alles
in diesem Hotel ist auch die Bar luxuriös ein-
gerichtet, doch weil es schon so spät ist, ist
sie fast leer. Der Barkeeper steht hinter dem
Tresen und sortiert Gläser, nur wenige Tische
sind besetzt.
Remus führt mich an die Bar, wir setzen uns
und er stützt seinen Fuß an meinem Barhocker auf.
Dabei
streift
sein
Bein
meinen
Schenkel,
die
scheinbar
harmlose
Geste
ist
besitzergreifend,
147/221
stellt klar, dass ich zu ihm gehöre. Er bestellt
Whiskey, ich Long Island Icetea.
Bereits
der
erste
Schluck
schießt
mir
ins
Blut, es dauert nicht lang und mein Kopf beginnt,
sich zu drehen. Remus Finger streichen spiel-
erisch über mein nacktes Knie.
„Wie ist es so, Berufskiller zu sein?“ Ich
spreche mit gesenkter Stimme, obwohl uns niemand
beachtet
und
die
Loungemusik
unser
Gespräch
übertönt.
Remus‘ Augen blitzen auf. „Was?“
„Erzähl mir davon.“
„Es ist …“ Er lächelt, rau und freudlos. „Es
kommt auf den Einsatz an.“
„Was ist das Schlimmste daran?“
„Das Schlimmste?“ Remus braucht nicht lange zu
überlegen. „Das Schlimmste ist die Einsamkeit. Es
ist schwer, jemandem zu vertrauen. Nicht viele
Frauen sind bereit zu akzeptieren, was wir tun.“
Ich nicke. „Und was ist das Beste?“
Remus wiegt nachdenklich den Kopf. Bevor er
antworten kann, neige ich mich zu ihm, umfasse
seinen Nacken und bringe meine Lippen so nah an
sein Ohr, dass sie seine Haut streifen.
„Es ist das Gefühl, sich lebendig zu fühlen,
nicht wahr? Jedes Mal, wenn du dem Tod entkommst,
dann weißt du, dass du lebst, ist es nicht so?
Das ist unbezahlbar, und deshalb würdest du auch
niemals einen anderen Job machen, habe ich nicht
Recht?“
Remus blickt mich an, in seinen Augen mischt
sich Überraschung mit ungläubiger Verwunderung.
Ich habe das Gefühl, dass er niemals einer Frau
begegnet ist, die ihn so verstanden hat wie ich.
148/221
Noch vor wenigen Tagen hätte auch ich ihn
nicht verstanden. Aber die Dr. Melanie Bright von
damals gibt es nicht mehr.
Ich schlinge meine Hand in seine braunen Lock-
en und küsse ihn, schamlos, mitten in der Bar.
Remus erwidert meinen Kuss voller Leidenschaft.
Die Hitze, die von seinem Körper ausgeht, hüllt
mich ein, er umfasst mein Knie und lässt seine
Hand
meinen
Oberschenkel
entlang
gleiten,
bis
seine Finger meinen Rocksaum berühren.
Wenn er erwartet, dass ich ihn aufhalte, dass
ich seine Hand festhalte und beschämt von meinem
Bein ziehe, dass ich mich errötend umsehe … dann
hat er sich geirrt.
Ich erwidere seinen Zungenkuss und schmiege
meinen Schenkel herausfordernd in seine Hand.
Er knurrt rau, der Blick seiner Augen ist
dunkel und heiß. „Bist du sicher, dass du mit mir
spielen willst?“
Ich höre seiner Stimme an, wie sehr ihn der
Gedanke anmacht. Ich erkenne mich schon längst
nicht mehr wieder, und der Long Island Icetea
trägt sicherlich seinen Teil dazu bei, aber ich
schenke Remus einen verruchten Augenaufschlag und
lasse meine Zunge wie zufällig über meine Lippen
gleiten. Sein Blick wird sofort davon angezogen,
ich juble innerlich auf.
Er gehört mir.
„Ich spiele nur mit großen Jungs.“
Keine Ahnung, woher ich den Mut nehme, aber
mein Ton ist selbstbewusst und sexy.
Doch mein Selbstvertrauen gerät schon im näch-
sten Moment ins Wanken, als ich seine Reaktion
sehe, das gefährliche Aufblitzen des Wolfs in
seinen Augen.
149/221
„Du hättest mich nicht herausfordern sollen.“
Es
ist
ein
Knurren,
rau,
männlich
und
unwiderstehlich.
Im nächsten Moment räumt er mit seinem Arm den
Tresen ab, hebt mich hoch und ehe ich es mich
versehe,
liege
ich
mit
dem
Rücken
auf
dem
Bartresen, Remus steht zwischen meinen Beinen,
über mich gebeugt wie ein Raubtier. Mein Rock ist
bis zum Slip hochgerutscht, Remus Hand gleitet an
meinem Oberschenkel entlang bis zu meinem Po,
während er mich hart auf den Mund küsst.
Erregung schießt durch meinen Körper wie ein
Blitz. Remus ist nicht zärtlich, er ist fordernd,
nimmt sich, was er will, sein mächtiger Körper
drängt sich gegen meinen …
Würde er es mit mir tun, hier, mitten auf dem
Tresen? Gott, mir schwirrt der Kopf, ich keuche
an seinen Lippen auf, mein Verlangen nach diesem
Mann ist überwältigend, berauschend.
„Sir! Ich muss den Sicherheitsdienst rufen,
wenn Sie nicht auf der Stelle …!“ Die alarmierte
Stimme des Barkeepers dringt an mein Ohr.
Es dauert gefühlte dreißig Sekunden, bis Remus
von
mir
ablässt,
sich
zurückzieht
und
mir
–
plötzlich ganz Gentleman - vom Tresen hilft.
„Das wird nicht notwendig sein. Ich wollte nur
etwas
klarstellen.“
Mit
einem
anzüglichen
Lächeln, das vor Selbstvertrauen nur so strotzt,
legt er seinen Arm um mich und führt mich aus der
Bar.
Ich bin immer noch außer Atem, und das Krib-
beln zwischen meinen Schenkeln lässt meine Knie
zittern. Ich erwarte, dass Remus mich zum Fahr-
stuhl
führt,
damit
wir
in
der
Suite
endlich
150/221
ungestört sind … doch stattdessen finde ich mich
kurze Zeit später im Casino wieder.
„Du wolltest doch spielen.“ Er schmunzelt wis-
send, als er meinen verwirrten Blick bemerkt.
Doch nicht Roulette …
Er führt mich an einen Spieltisch, sein harter
Körper drängt sich von hinten gegen mich, er hält
mich
fest,
sein
Arm
besitzergreifend
um
mein
Becken geschlungen.
„Wenn du mit Jungs spielen willst, dann darfst
du keinen Mann herausfordern, Baby“, raunt er mir
zu, sein Bart kratzt an meiner Haut, seine harten
Muskeln umgeben mich wie ein stählerner Käfig.
Und dann beginnt Remus, zu spielen - und ich
begreife, dass niemand dieses Spiel so beherrscht
wie er.
Ich bekomme nicht einmal mit, welche Zahlen er
setzt oder ob wir gewinnen oder verlieren. Er
presst mich so dicht an seinen Körper, dass ich
jede seiner Bewegungen spüre, die Stärke seiner
Muskeln, die Kraft, die in seinem mächtigen Körp-
er steckt … jedes Mal, wenn er sich nach vorn
beugt, um zu setzen, streift sein Bart rau mein
Gesicht,
drängt
sich
der
Beweis
gegen
meinen
Rücken, wie sehr er mich begehrt …
Es ist wie ein öffentliches Vorspiel, unsicht-
bar für die anderen, aber umso erregender für
mich. Ich fühle, wie ich feucht werde, je fester
er mich gegen sich presst, je besitzergreifender
sein Arm sich um mich schlingt. Als sein Bizeps
meine Brust streift, richtet sich meine Brustwar-
ze auf, wird deutlich unter dem zarten Chiffon
sichtbar.
Mein Puls geht schneller, ich bemerke erst
nach
einer
Weile,
dass
meine
Lippen
geöffnet
151/221
sind. Mein Kopf dreht sich, Remus‘ Art der Ver-
führung berauscht mich. Ich weiß, dass ich nichts
gegen seine Kraft ausrichten kann, und ich spüre,
wie sehr es ihn erregt, mich festzuhalten.
Die süße Folter scheint ewig zu dauern. Ir-
gendwann beugt sich Remus schließlich zu mir,
seine Lippen streifen mein Ohr und jagen einen
Schauer über meinen Körper.
Erst jetzt bemerke ich, dass der Croupier et-
was zu Remus sagt.
„Ihren Einsatz bitte, Sir?“
„Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist“,
flüstert Remus in mein Ohr. Ich blinzele, vor uns
auf dem Tisch türmen sich Spieljetons. Haben wir
etwa gewonnen?
Remus nimmt die Jetons an sich, wir verlassen
das Casino, er führt mich zu den Fahrstühlen.
Meine Knie zittern, ich kann es nicht er-
warten, mit ihm allein zu sein. Während wir auf
den Fahrstuhl warten, legt Remus seine Hand in
meinen Nacken und lässt seinen Daumen über meine
Haut kreisen. Die Geste ist besitzergreifend und
zärtlich.
„Meine Kameraden werden in Kürze hier sein.
Dann brechen wir auf.“
„Jetzt gleich?“ Es gelingt mir kaum, die Frus-
tration in meiner Stimme zu verbergen.
Dieser Mann hat mich so scharf gemacht, dass
ich endlich mit ihm vögeln will! Oh Gott … habe
ich das wirklich gerade gedacht?
„Je schneller wir dich zum Staatsanwalt bring-
en, desto besser.“
Remus‘ Gesichtsausdruck ist schwer zu deuten.
Einerseits wirkt er ruhig und beherrscht, ander-
erseits glüht ein Feuer in seinen Augen, als ob
152/221
er mir am liebsten auf der Stelle die Kleider vom
Leib reißen würde.
„Ich verstehe.“ Nicht mit mir. Du wirst dich
noch
wundern,
mein
gefährlicher
Krieger.
Wir
steigen in den leeren Aufzug, die Türen schließen
sich. „Dann haben wir gar keine Zeit, um die
Suite zu genießen.“
Ehe Remus mir antworten kann, drücke ich die
Notstopp-Taste und der Fahrstuhl bleibt mit einem
Ruck zwischen zwei Stockwerken stehen. Ich drehe
mich zu Remus um und gehe langsam auf ihn zu.
153/221
Kapitel 14
Ich küsse ihn und dränge ihn mit dem Rücken
gegen die Fahrstuhlwand. Er gestattet mir, seine
Handgelenke zu packen und an der Wand festzuhal-
ten, es gibt mir ein berauschendes Gefühl von
Macht,
ihn
zu
kontrollieren,
während
ich
ihn
leidenschaftlich küsse.
Remus lässt mich gewähren … doch dann bricht
das Raubtier in ihm hervor. Mit einem Knurren be-
freit er sich von meinem Griff, drängt mich durch
die Kabine und drückt mich an die gegenüberlie-
gende Wand. Seine Zunge dringt in meinen Mund
ein, wild und fordernd, während seine Hand den
Träger
meines
Kleids
zur
Seite
streift.
Ich
spüre, wie der weiche Chiffon über meine Haut
gleitet und meine Brust entblößt, wie Remus sie
mit seiner Hand umfasst und liebkost. Er keucht,
ich fühle seine Erregung, die sich gegen meinen
Körper drängt, trotzdem ist seine Berührung nicht
grob. Er knetet meine Brust zärtlich, streichelt
über meinen harten Nippel, während seine Küsse
immer heißer, immer drängender werden.
Seine andere Hand gleitet unter meinen Rock,
er hebt meinen Schenkel hoch, schlingt mein Bein
um seine Hüfte und umfasst meinen Po. Sein Körper
presst sich gegen meinen, er drückt mich gegen
die Wand, ich fühle, wie hart er kämpft, um seine
Stärke zu kontrollieren …
Seine
Hand
gleitet
zwischen
meine
Beine,
streichelt mich durch den Slip. Er stöhnt an
meinen Lippen zufrieden auf, als er fühlt, wie
feucht ich bin.
Seine Berührung treibt mich in den Wahnsinn.
Ich küsse ihn atemlos, während er mich langsam
streichelt, mich zärtlich neckt, ich dränge mich
ihm
entgegen
und
bewundere
seine
Selbstbe-
herrschung … ich bin kurz davor zu kommen, ich
weiß nicht, wie lange ich diese Tortur noch er-
tragen kann! Meine Hände finden seinen Gürtel,
nesteln
ungeschickt
daran
herum,
ihm
entringt
sich ein kehliges Lachen.
Dann schiebt er meinen Slip zur Seite und
dringt mit einem Finger in mich ein.
Ich keuche auf, meine Knie geben nach und ich
sinke an seinem Körper zusammen. Remus schiebt
sein Bein zwischen meine Schenkel, sodass sein
Oberschenkel mich stützt, während ich auf seiner
Hand sitze.
Sein Finger neckt und reizt mich, gleichzeitig
lässt
er
seinen
Daumen
über
meiner
Klitoris
kreisen.
Ich vergesse alles um mich herum, so über-
wältigend ist die Erregung, die von mir Besitz
ergreift. Ich umklammere seine Schultern, werfe
den Kopf zurück und stöhne heiser auf, als er be-
ginnt, seinen Finger in mir zu bewegen.
Ich empfinde kein Schamgefühl, keine Zurück-
haltung mehr, als die Lust sich wie Feuer in mir
ausbreitet. Ich kreise mein Becken, um die Erre-
gung seiner Berührung zu intensivieren, klammere
mich an ihm fest, drücke mich gegen seinen Ober-
schenkel und reite auf seiner Hand.
155/221
„Ja, Baby, komm“, knurrt er heiser, sein Blick
glühend auf mich gerichtet. Es scheint ihn anzu-
machen, mir zuzusehen, doch das bekomme ich kaum
mit, mein Verstand ist abgeschaltet, ich bestehe
nur noch aus purer, reiner Lust.
Remus knetet meine nackte Brust, während ich
mein Becken immer schneller bewege, immer härter
auf seiner Hand reite, bis die Wellen der Erre-
gung sich überschlagen und ein intensiver Orgas-
mus mich überkommt. Ich stöhne zitternd, während
das
Feuerwerk
durch
meinen
Körper
jagt,
umk-
lammere Remus, während sich meine inneren Muskeln
um seinen Finger schließen.
Als ich wieder zu Sinnen komme, lächelt er
mich an, verwegen und männlich. Seine Hand hält
immer noch meine nackte Brust umfasst und sein
Finger ist immer noch in mir, während ich mit ge-
spreizten Beinen auf seinem Schenkel sitze.
„Willst du mich um den Verstand bringen?“,
keuche ich heiser. Ich sollte jetzt wohl so etwas
wie Scham empfinden, doch das tue ich nicht. Ich
habe
auch
nicht
das
Bedürfnis,
mich
von
ihm
zurückzuziehen, seine Berührung und seine Nähe
fühlen sich intim und vertraut an, und es ist ein
großartiges Gefühl.
„Ja,
das
habe
ich
vor.“
Er
grinst.
„Sei
gewarnt.“
„Ich werde dich nie wieder gehen lassen.“ Es
ist als Scherz gemeint, doch als ich die Worte
höre, wird mir klar, dass ich sie ernst meine.
Ein merkwürdiger Ausdruck flackert über Remus‘
Gesicht, fast glaube ich, ihm gefällt, was er
hört. Doch er erwidert nichts, sondern küsst mich
zärtlich, bevor er sich von mir zurückzieht.
156/221
„Wir
sollten
uns
beeilen.“
Er
löst
die
Notstopp-Taste,
der
Fahrstuhl
setzt
sich
in
Bewegung.
„Nicht so schnell.“ Ich strecke meine Hand aus
und stoppe den Fahrstuhl. Mit einem Ruck halten
wir an, ich blitze Remus frech und anzüglich an.
„Ich bin dran.“
Überrascht lässt er sich von mir in die Ecke
gegen die Wand drücken. Mit einem vielsagenden
Lächeln öffne ich seinen Gürtel.
„Du gibst mehr, als du nimmst.“ Ich öffne
seine Jeans. „Es wird Zeit …“, ich ziehe die
Jeans über seine Oberschenkel hinunter, „dass ich
das ändere.“ Ich umfasse seine harte Erektion. Er
zieht
scharf
die
Luft
ein,
während
ich
ihn
streichle.
Spielerisch lasse ich meine Finger unter seine
Boxershorts gleiten und ziehe sie herunter. Sein
Schaft ragt zwischen uns auf, glatt und samten,
von Adern überzogen. Er ist so erregt, dass ich
mich frage, wie er sich beherrschen konnte.
Ich sehe ihm in die Augen, während ich langsam
vor ihm auf die Knie sinke.
Ich habe das noch nie für einen Mann getan.
Die Vorstellung hatte immer etwas Erniedrigendes
für mich, aber hier, jetzt, will ich es tun – es
macht mich ungemein an, mir vorzustellen, ihn in
den Mund zu nehmen, zu sehen, wie sehr ich Remus
erregen kann.
Ich bin mit einem Killer auf der Flucht vor
Drogendealern, ich bin gerade in einem Hotelfahr-
stuhl in Las Vegas an der Hand dieses tödlichen
Mannes gekommen, da erscheint es mir gar nicht
abwegig, dass ich ihm einen blasen will … Ich
157/221
muss schmunzeln, als mir dieser Gedanke durch den
Kopf schießt.
Die alte Dr. Melanie Bright wäre schockiert …
Remus streckt die Arme zur Seite aus, stützt
sich an der Wand ab und keilt sich ein. Sein Atem
geht schneller, es ist offensichtlich, wie sehr
er sich zurückhält.
Ich beschließe, meine neugewonnene Macht aus-
zukosten und es ihm mit gleicher Münze heimzuzah-
len. Quälend langsam streiche ich mit den Finger-
spitzen über seine Erektion, schenke ihm ein ver-
schmitztes Lächeln, als sein Becken zu zucken
beginnt.
„Gefährliches Mädchen“, knurrt er heiser.
„Das ist erst der Anfang.“ Gott, wie ich es
liebe, mit ihm zu spielen!
Remus‘ Armmuskeln verkrampfen sich, als wollte
er die Fahrstuhlwände sprengen. Doch er hält sich
ruhig, lässt meine Folter über sich ergehen. Ich
genieße das Wissen, dass er sich mir ausliefert.
Ich nähere meine Lippen seinem Schwanz, lasse
meine Zunge neckend und spielerisch über seine
Eichel gleiten. Remus stöhnt auf, als ich über
sein empfindliches Fleisch lecke, sein gesamter
Körper spannt sich an, er wirkt wie ein Raubtier
kurz vor dem Angriff. Mit brennenden Augen ver-
folgt er alles, was ich tue, das Ausmaß seiner
Erregung würde mir Angst machen, wenn ich ihm
nicht vertrauen würde. Ich weiß, dass er niemals
etwas gegen meinen Willen tun würde, und es macht
mich an, wie sehr ich ihn erregen kann.
Vorsichtig schließe ich meine Lippen um seine
Eichel und lasse ihn ganz langsam in meinen Mund
gleiten. Remus schließt die Augen, ein tiefes
Knurren entringt sich seiner Kehle, während ich
158/221
beginne, meine Lippen an seinem Schaft entlang zu
schieben. Meine Zunge spielt dabei immer wieder
an seiner Eichel, ich beginne zu saugen, und
Remus‘ Arme verkeilen sich noch stärker gegen die
Wand.
Ich
spüre,
wie
sein
Becken
gegen
mich
drängt, wie sehr er sich zurückhält, aber sein
Schwanz beginnt, unkontrolliert zu zucken.
Ich umfasse seine Erektion mit meinen Händen,
sodass er gegen mich stoßen kann, ohne zu fürcht-
en, mir wehzutun. Seine Augen blitzen auf, er
stöhnt und drängt sein Becken gegen mich, ich
kann seiner Kraft kaum standhalten, während er in
meine Hand stößt. Sein Schwanz wird noch härter,
und
plötzlich
schießt
sein
Samen
heraus
und
spritzt auf meine Brüste.
Remus sinkt zusammen, er stützt sich noch im-
mer mit den Händen an der Wand ab, sein Atem geht
heftig.
Ich
erhebe
mich
schmunzelnd.
„Wir
sollten
öfter in Vegas kommen, findest du nicht?“
Er knurrt und zieht mich mit rauem Griff an
sich. An die Wand gelehnt hält er mich in seinen
Armen, seine Hand spielt in meinem Haar, während
er mit geschlossenen Augen das entspannte Gefühl
nach dem Orgasmus genießt.
„Gefährliches Mädchen“, wiederholt er schließ-
lich, ohne die Augen zu öffnen. „Verdammt gefähr-
liches Mädchen …“
Was für ein Kompliment von einem Mann wie ihm
–
vor
allem,
wenn
man
die
tödlichen
Klingen
bedenkt, die unter seiner Kleidung verborgen sind
und in diesem Moment gegen meinen Körper drücken.
Er könnte mich auf hundert verschiedene Arten um-
bringen
…
stattdessen
hält
er
mich
an
sich
gedrückt und streichelt mich. Liebevoll.
159/221
Diese neue Frau, die ich geworden bin, ist
nicht nur stolz und wild, sondern auch anschein-
end auch verrückt. Statt mich vor ihm zu fürcht-
en, genieße ich seine Zärtlichkeiten. Anscheinend
geht dieses neue Freiheitsgefühl mit geistiger
Umnachtung einher …
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als
Remus‘ Handy vibriert. Sobald er einen Blick auf
das Display wirft, ist er plötzlich ganz im Krie-
germodus. „Unsere Eskorte ist da.“
Kurze Zeit später treffen wir auf dem Park-
platz des Hotels auf Remus‘ ‚Eskorte‘. Mir klappt
die Kinnlade runter, als ich sie sehe.
Vier Hünen in schwarzer Lederkleidung lehnen
an ihren schweren Maschinen und erwarten uns sch-
weigend. Jeder von ihnen sieht tödlich aus und
mir ist sofort klar, dass sich niemand mit diesen
Männern anlegen wird. Ich gehe jede Wette ein,
dass sie unter all dem schwarzen Leder bis an die
Zähne bewaffnet sind.
Da unsere Kleidung verdreckt und blutig ist,
tragen wir unsere neuen Sachen. Ich werde in
Cocktailkleid
und
High
Heels
auf
der
Harley
fahren,
ein
würdiger
Abschluss
für
diesen
vollkommen irren Tag, wie ich finde. Als wir
Remus‘ Kameraden erreichen, wandern ihre Blicke
zurückhaltend über mich.
„Mel, das ist der Rest meiner Einheit. Das
sind Leon und Draco …“, Remus deutet auf einen
dunkelhaarigen und einen blonden Mann, die mir
zunicken, „das ist Shark …“, ein schwarzhaariger
Mann mit blauen Augen, der an einem Hummer lehnt,
zwinkert mir zu, „und das ist Hawke.“ Der letzte
der vier Männer, ein Kerl mit Dreitagebart und
160/221
vernarbtem
Gesicht,
nickt
mir
schweigend
zu.
„Männer, das ist Dr. Melanie Bright.“
„Nennen Sie mich Mel.“ Ich lächle die Krieger
ein wenig unsicher an. Wären sie nicht Remus‘
Freunde, hätte ich mich nie in ihre Nähe getraut.
„Wir
bringen
euch
sicher
nach
L.A.“,
sagt
Hawke. „Der Staatsanwalt kann es kaum erwarten,
Ihre
Zeugenaussage
aufzunehmen
und
diesen
Gonzales endlich hinter Gitter zu bringen.“
Ohne ein weiteres Wort schwingen sich die Män-
ner auf ihre Maschinen, ich folge Remus automat-
isch zu seiner Harley, doch er hält mich zurück.
„Du fährst mit Shark.“
Verwirrt blinzele ich ihn an. „Aber ich …“
Remus
fasst
mich
an
den
Schultern
und
streichelt über meine Haut. „Falls wir in einen
Hinterhalt geraten, will ich, dass du von ku-
gelsicherem
Stahl
umgeben
bist.“
Seine
Stimme
klingt besorgt, mein Herz beginnt zu flattern,
weil er vor seinen Kameraden so zärtlich mit mir
spricht. „Bitte, Mel, steig in den Hummer.“
„Was ist mit dir?“
„Wir
passen
schon
auf,
dass
ihm
nichts
geschieht.“
Draco,
der
blonde
Hüne
auf
der
Maschine neben uns, zieht seine Jacke zur Seite
und entblößt zwei Maschinenpistolen.
Leon wirft Remus etwas zu, es ist eine Kugels-
chutzweste,
mein
Magen
krampft
sich
zusammen.
Remus streift sie über, dann nimmt er Halfter,
Schusswaffen und eine Lederjacke von seinen Kam-
eraden entgegen. Schnell und routiniert legt er
alles an, dann schlingt er seine Hand um meinen
Nacken und zieht mich an sich.
Sein Körper fühlt sich noch größer und härter
an, die Schutzweste und die Waffen pressen sich
161/221
gegen mich, während Remus mich sanft auf den Mund
küsst. Dann schwingt er sich ebenfalls auf seine
Maschine.
„Kommen Sie, Doc.“ Shark, der schwarzhaarige
Krieger mit den blitzblauen Augen, hält mir die
Beifahrertür
auf.
Während
die
anderen
die
Maschinen starten, steige ich ein und Shark nimmt
auf dem Fahrersitz Platz. In dem massiven Wagen
mit den verdunkelten Scheiben fühle ich mich wie
in einem Panzer. Wir rollen im Konvoi vom Park-
platz, Remus und Draco sind vor uns, die anderen
beiden folgen uns.
Weil es so früh am Morgen ist, herrscht nur
wenig Verkehr. Wir fahren auf direktem Weg aus
der Stadt hinaus, ich blinzele scheu zu Shark
hinüber, der über der Brust ein Halfter mit zwei
Maschinenpistolen trägt. Unter seinem engen Shirt
wölben sich beachtliche Arm- und Schultermuskeln.
Seine
Hände
auf
dem
Lenkrad
sind
breit
und
kräftig, er hat massive Knöchel und die Adern
treten auf dem Handrücken deutlich hervor. An-
scheinend
sind
alle
Männer
in
Remus‘
Einheit
geübte Kämpfer.
Shark bemerkt meinen forschenden Blick. „Haben
Sie keine Angst, Doc. Wir passen gut auf Sie
auf.“
„Ich habe keine Angst.“ Es ist die Wahrheit.
„Jedenfalls nicht um mich.“ Ich blicke nach vorn
auf die beiden Motorradfahrer.
Sharks Augen blitzen auf. Er hat etwas Sym-
pathisches, Jungenhaftes an sich, kleine Grübchen
bilden sich auf seinen Wangen, wenn er lächelt.
Wie eine unwiderstehliche Mischung aus Killer
und Hundewelpe.
162/221
„Sie mögen ihn, nicht wahr?“ Sein Ausdruck ist
so
entwaffnend
aufrichtig,
dass
mir
die
aus-
weichende Antwort nicht über die Lippen kommt.
„Ja“, antworte ich stattdessen. „Ich mag ihn
sehr.“
Shark nickt. „Er mag Sie auch.“
Mein
Herz
pocht.
Gott,
ich
bin
doch
kein
Teenager!
„Ich habe gesehen, wie er Sie ansieht.“ Shark
schmunzelt,
während
er
sich
auf
den
Verkehr
konzentriert. „Remus ist ein Spaßvogel … und ein
Charmeur“, fügt er entschuldigend hinzu. „Aber
ich habe nie erlebt, dass er eine Frau so ansieht
wie Sie.“
Mein Herz klopft jetzt so laut, dass ich mir
sicher bin, dass Shark es hören kann. Ich muss
mich zusammenreißen, um ein breites Grinsen zu
unterdrücken.
„Verraten Sie ihm bloß nicht, dass ich das
gesagt habe.“
„Versprochen.“
„Er hat die ganze Einheit zusammengetrommelt,
um Sie sicher hier rauszuholen.“ Shark grinst vor
sich hin. „Nicht, dass ich nicht immer für einen
Trip nach Vegas zu haben wäre, aber …“
„Wie lange kennen Sie Remus?“
„Ein paar Jahre. Er war schon bei der Einheit,
als ich dazugekommen bin. Chief Panther, unser
Kommandant, hat die Einheit gemeinsam mit Hawke
gegründet. Dann sind Leon und Draco dazugestoßen,
dann Remus, und schließlich ich.“
„Gefällt
Ihnen
der
Job?“
Mögen
Sie
es,
Menschen umzubringen? Oh Mann, Mel, was für eine
blöde Frage!
163/221
„Es ist abwechslungsreich, man kommt viel her-
um …“ Shark schmunzelt. „Nein, im Ernst, es ist
hart, aber ich würde mit niemandem tauschen. Der
Job lässt sich schwer mit einem Privatleben ver-
einbaren, meine Kameraden sind meine Familie ge-
worden. Wir würden füreinander sterben, wenn es
sein muss.“ Als er meinen erschrockenen Blick
sieht, wechselt er rasch das Thema. „Wie sieht es
mit Ihnen aus? Haben Sie sich schon überlegt, wie
es weitergehen soll?“
Ich runzele die Stirn. „Wie es …? Was meinen
Sie?“
„Nachdem
Sie
eine
Kronzeugin
der
Staatsan-
waltschaft sind, können Sie nicht wieder in ihr
altes Leben zurück. Gonzales‘ Männer würden Sie
aufspüren und sich an Ihnen rächen. Man wird Sie
in das Zeugenschutzprogramm aufnehmen, Ihnen eine
neue Identität geben, einen neuen Namen, einen
neuen Job und all das. Hat Remus nicht mit Ihnen
darüber gesprochen?“
„Nein.“ Plötzlich ist mein Hals trocken, ich
räuspere mich. „Jedenfalls nicht so ausführlich.
Wir waren damit beschäftigt, nicht umgebracht zu
werden.“
Wow. Dr. Melanie Bright existiert also bald
wirklich nicht mehr. Ich starre wie paralysiert
aus dem Fenster, während die Bedeutung von Sharks
Worten langsam einsickert.
Ich kann nie wieder in mein Haus zurück. Mein
Job im Memorial ist ebenfalls Geschichte. Werde
ich je wieder als Ärztin arbeiten? Ich kann doch
nichts anderes!
Oh mein Gott, werde ich meine Mutter jemals
wiedersehen? Meine Freunde? Plötzlich rast mein
Leben an mir vorbei, dieses Leben, aus dem ich
164/221
unbedingt ausbrechen wollte – jetzt erscheint es
mir auf einmal viel wertvoller, jetzt bin ich mir
plötzlich nicht mehr sicher, ob ich es wirklich
hergeben möchte … aber jetzt ist es zu spät.
Ich
starre
auf
meine
Reflexion
im
Seiten-
spiegel und frage mich, wer ich eigentlich bin.
Wenn
ich
Dr.
Melanie
Bright
ablege
wie
alte
Kleidung, wer bleibt dann übrig?
„Wir haben Gesellschaft.“ Sharks scharfer Ton
holt mich in die Gegenwart zurück. Plötzlich hat
er alles Jungenhafte abgelegt, ist ganz Krieger,
und starrt konzentriert in den Rückspiegel.
Ich drehe mich hastig um, hinter uns sind zwei
Geländewagen aufgetaucht, die viel zu dicht an
Hawkes
und
Leons
Motorräder
aufschließen.
Wir
befinden uns ein paar Meilen außerhalb von Las
Vegas, um uns herum ist nichts als Wüste.
Shark beschleunigt, vor uns geben Remus und
Draco ebenfalls Gas und wir jagen über die Land-
straße, verfolgt von den beiden Geländewagen.
„Sind das Gonzales‘ Männer?“, keuche ich. „Wo-
her wussten sie, wie sie uns finden?“
„Wahrscheinlich haben sie Posten an den Aus-
fahrten
der
Stadt
aufgestellt.“
Sharks
Blick
flackert immer wieder zum Rückspiegel. „Typen wie
Gonzales haben ihre Informanten überall, viel-
leicht
hat
ihm
einer
der
Hotelangestellten
gesteckt,
dass
ihr
mit
uns
unterwegs
seid
–
verdammt!“
Hinter uns krachen Schüsse. Ich schreie ers-
chrocken auf und blicke zurück, Leon und Hawke
sitzen noch auf ihren Maschinen, aber sie schlen-
kern wild nach rechts und links, während die Män-
ner aus den Geländewagen auf sie schießen.
165/221
„Dieser Gonzales scheint echt wütend zu sein!
Wie viele seiner Männer hat Remus getötet?“
„Ich weiß nicht mehr … vielleicht sieben?“
„Sieben?“
„Oder acht …“
„Ach, Scheiße. Festhalten, Doc!“ Shark reißt
den Wagen herum, ich werde trotz Sicherheitsgurt
gegen die Tür geschleudert und schaffe es gerade
noch, mich am Armaturenbrett abzustützen. Der Wa-
gen schleudert über die Straße und bleibt mit
quietschenden Reifen quer zur Fahrbahn stehen.
Shark reißt seine Waffe aus dem Halfter, lässt
das
Fenster
herunter
und
ballert
eine
ganze
Ladung in Richtung der beiden Geländewagen. Ihre
Windschutzscheiben zerbersten, hat er die Fahrer
getroffen? Die Wagen scheren aus und verkeilen
sich ineinander, bleiben nur ein paar Meter vor
uns stehen.
Hawke und Leon, die uns auf ihren Maschinen
gefolgt sind, jagen die Harleys um den Hummer
herum in Deckung, während Draco und Remus längst
von ihren Maschinen gesprungen sind. Sie rennen
auf den Hummer zu, ich reiße die Beifahrertür
auf, doch Remus schlägt sie mit einem wütenden
Knurren wieder zu.
„Bleib in Deckung!“
Er und Draco haben ihre Waffen gezogen und
feuern über den Hummer hinweg auf die Geländewa-
gen. Sie nutzen unseren Wagen als Deckung, denn
Gonzales‘ Männer erwidern das Feuer. Ich kauere
mich zusammen, als die Kugeln in unseren Wagen
einschlagen, spüre Sharks starken Arm, der mich
nach unten in Deckung drückt, während er selbst
weiterhin auf unsere Angreifer feuert.
166/221
Mein Herz hämmert so hart gegen meine Brust,
dass es schmerzt. Ich atme hastig und wage einen
raschen Blick aus dem Seitenfenster, ich muss
einfach wissen ob Remus in Ordnung ist … er
feuert gerade über die Motorhaube des Hummers
hinweg,
während
Draco
an
den
Reifen
gelehnt
kauert und ein neues Magazin in seine MP schiebt.
Oh Gott, ich würde am liebsten die Wagentür
aufreißen und Remus hereinzerren! Ich halte es
nicht aus, hier in dem kugelsicheren Auto zu
sitzen, während er einen halben Meter von mir
entfernt in Todesgefahr schwebt – nur, um mich zu
beschützen!
All seine Kameraden setzen sich dieser Gefahr
aus, um mich zu beschützen; als mir das klar
wird, bildet sich ein gewaltiger Kloß in meinem
Hals. Shark, der unaufhörlich aus dem Seitenfen-
ster feuert, Draco und Remus, die unseren Angre-
ifern abwechselnd ihre Magazine um die Ohren ja-
gen,
ungeachtet
des
gegnerischen
Feuers.
Alle
Scheiben des Hummers sind durch die gegnerischen
Salven in hunderte Scherben gesprengt, aber nicht
zerborsten … ist das normal für kugelsicheres
Glas? Was weiß ich denn schon? Mein Blut rauscht
in meinen Ohren, das Pistolenfeuer ist verdammt
laut, der Hummer bebt unter den Treffern von
Gonzales‘ Männern … wie lange können wir diesem
Angriff standhalten?
Draco zieht routiniert ein weiteres Magazin
hervor und schiebt es in die Pistole. Himmel, wie
viel
Munition
haben
diese
Krieger
eigentlich
dabei?
Ich blinzele aus dem hinteren Seitenfenster
und suche Leon und Hawke … wo sind sie nur
geblieben? Ich habe sie aus den Augen verloren,
167/221
seit sie um den Hummer herum gerast sind. Warum
feuern sie nicht ebenfalls auf unsere Gegner? Was
ist …?
Oh mein Gott! Jetzt sehe ich Leon, er kauert
neben Hawke auf dem Boden, irgendetwas stimmt
nicht! Sie haben es hinter den Hummer in Deckung
geschafft,
aber
jetzt
scheinen
sie
in
Schwi-
erigkeiten zu stecken.
„Shark!“ Ich muss brüllen, um den Kugelhagel
zu übertönen. „Leon und Hawke haben Probleme!“
„Was?“ Shark reißt den Kopf herum, doch im
nächsten Moment schlägt eine weitere gegnerische
Salve in den Hummer ein und Sharks Aufmerksamkeit
ist sofort wieder bei unseren Gegnern.
„Ich sehe mir die Sache an!“ Ohne auf Sharks
Antwort zu warten, stoße ich die Beifahrertür auf
und schlüpfe hinaus. Mein Puls rast, ich halte
den Kopf gesenkt und laufe los, doch ich komme
keine zwei Schritte weit – starke Hände umklam-
mern meinen Arm und halten mich zurück.
„Was glaubst du, was du da machst?“ Remus‘
wütende Stimme zischt in mein Ohr.
„Ich helfe deinen Kameraden!“ Ich deute auf
Leon und Hawke, Remus‘ Blick schießt in ihre
Richtung.
„Was ist passiert?“
„Ich weiß es nicht, aber es sieht aus, als
wäre
Hawke
verletzt.
Lass
mich
ihm
helfen,
Remus!“
Remus
flucht,
dann
greift
er
nach
seiner
zweiten Maschinenpistole. „Draco! Hawke ist ver-
letzt! Ich gebe Mel Deckung!“
Der blonde Krieger nickt und jagt eine Salve
über das Dach des Hummers, erkauft uns damit ein
168/221
paar Sekunden, genug Zeit, um in gebückter Hal-
tung zu Leon und Hawke hinüberzurennen.
Ich werfe mich neben Hawke auf die Knie, es
dauert bloß einen Augenblick, um zu erkennen, was
geschehen
ist:
Hawkes
Shirt
ist
blutgetränkt,
Leon hat ihm die Kugelschutzweste ausgezogen und
presst beide Hände auf Hawkes Brust, sie sind rot
von Hawkes Blut.
„Er wurde getroffen, als er sich umgedreht und
zurückgefeuert hat“, erklärt Leon hastig. „Ich
kann die verdammte Blutung nicht stoppen!“
„Lassen Sie mich sehen!“ Ich schiebe Leons
Hände zur Seite, ein Blutschwall strömt mir ent-
gegen. „Ich brauche ein Messer!“
In einem Wimpernschlag hält mir Remus eine
seiner Klingen hin. Ich schneide Hawkes Kleidung
auf, damit ich sehen kann, wo die Kugel ihn get-
roffen hat.
„Die
Kugel
ist
oberhalb
der
Schutzweste
eingedrungen
und
hat
die
Arterie
unter
dem
Schlüsselbein verletzt, die Blutung kann nicht
von außen gestillt werden -“
„Tun Sie irgendwas, Doc!“ Das Flehen in Leons
Stimme sticht direkt in mein Herz.
Mir
bleibt
nichts
anderes
übrig,
als
mit
Remus‘ Klinge Hawkes Schusswunde aufzuschneiden.
Während die anderen mit allen Mitteln versuchen,
uns Gonzales‘ Männer vom Leib zu halten, kämpfe
ich mitten im Kugelhagel um das Leben dieses
Kriegers. Ich setze den Schnitt direkt unter dem
Schlüsselbein an, ich weiß nicht, ob die Kugel
noch im Gewebe steckt, aber ich muss das verlet-
zte
Blutgefäß
finden,
sonst
verblutet
Hawke
direkt unter meinen Händen.
169/221
„Verdammt, ich kann nichts sehen bei all dem
Blut!“
„Was kann ich tun?“ Remus‘ Stimme klingt ruhig
und beherrscht.
„Reiß
ein
Stück
von
meinem
Kleid
ab!
Wir
müssen das Blut aufsaugen, damit ich sehen kann,
wo das verletzte Gefäß ist!“
Remus tut es sofort. Ein Ruck seiner Hände,
der zarte Chiffon zerreißt und er hält mir einen
Streifen des schwarzen Stoffs hin.
Das Gewebe saugt das Blut auf, endlich kann
ich
die
verletzte
Stelle
sehen,
es
ist
die
Schlüsselbeinarterie, wie ich befürchtet hatte.
Wenn Hawke weiterhin so viel Blut verliert, dann
bleiben
ihm
nur
noch
Minuten,
und
ich
habe
nichts, um die Blutung zu stillen, keine Klemmen,
keine Nadel, gar nichts!
Remus und Leon knien neben mir, beide feuern ihre
Magazine auf unsere Gegner ab, ich bin fast taub
von dem ohrenbetäubenden Lärm des Kugelhagels.
Die beiden vertrauen darauf, dass ich ihren Kam-
eraden rette, ich darf sie nicht enttäuschen -
Also
tue
ich
das
Einzige,
was
mir
übrig
bleibt: ich packe das Gewebe mit bloßen Fingern,
drücke zu und bete.
Es dauert einen Augenblick … die Blutung lässt
nach! Ich habe die richtige Stelle erwischt! Jet-
zt darf ich meine Finger nicht mehr bewegen,
sonst riskiere ich eine erneute, schwere Blutung.
Gerade als ich aufatme, fällt mir auf, das
Hawke nicht mehr atmet.
„Remus!“
Er ist sofort an meiner Seite.
„Hawke
atmet
nicht!
Du
musst
ihn
wieder-
beleben, Herzmassage, los, los, los! Ich kann ihn
170/221
nicht loslassen, sonst fängt die Blutung wieder
an!“
Remus zögert keine Sekunde, er wirft die Waf-
fen zur Seite und legt seine Hände auf Hawkes
Brust. „Sag mir, ob ich es richtig mache.“
„Etwas tiefer. Streck deine Arme. Schnelleres
Tempo. Gut so!“
Ich drücke die Arterie fester zusammen, um dem
höheren Druck standzuhalten.
„Leon!“, brüllt Remus, seine Stimme klingt un-
gewohnt
hart.
„Wir
haben
hier
ein
verdammtes
Problem, Schluss mit der Party!“
Leon rennt hinüber zum Hummer, ich recke den
Kopf, um zu sehen, was geschieht. Er ruft Draco
und Shark etwas zu, ich kann seine Worte nicht
verstehen, aber die drei scheinen einen Plan zu
haben …
Mir bliebt fast das Herz stehen, als Shark aus
dem Wagen springt und etwas aus der Rückbank her-
vorzieht, das aussieht wie - eine Panzerfaust.
„Runter!“ Remus packt mich und drückt mich
über Hawkes Körper zu Boden, während er sich über
uns beide wirft. Es gelingt mir gerade noch,
meine Finger auf Hawkes Arterie gedrückt zu hal-
ten, dann ertönt ein lauter Knall und eine Explo-
sion, als die Geländewagen in die Luft fliegen -
Plötzlich ist alles still.
Das Klingeln in meinen Ohren macht mich ver-
rückt, ich weiß nicht, ob mein Trommelfell ge-
platzt ist oder ob es wirklich so still um uns
ist. Remus richtet sich auf, ich werfe einen ras-
chen
Blick
auf
unsere
Gegner
und
sehe
zwei
brennende
Autowracks.
Leon
und
Draco
stehen
hinter
dem
Hummer,
Shark
zwischen
ihnen,
die
171/221
Panzerfaust auf seiner Schulter, sie scheinen un-
verletzt zu sein.
Die
Ärztin
in
mir
übernimmt
wieder
die
Kontrolle.
„Weiter!“, treibe ich Remus an. „Und jemand
soll einen Notarzt rufen, sofort!“
Während Draco und Shark zu den Wracks laufen,
wahrscheinlich, um sich davon zu überzeugen, dass
Gonzales‘ Männer alle tot sind, rennt Leon zu uns
herüber,
das
Telefon
bereits
an
sein
Ohr
gedrückt.
„Der
Notarztwagen
kommt
gleich!“
Er
fällt
neben uns auf die Knie. „Wie geht es ihm?“
Remus, der Hawke weiterhin reanimiert, wirft
mir einen düsteren Blick zu.
„Er schafft es. Er stirbt nicht.“ Ich bin
selbst überrascht über die Überzeugung in meiner
Stimme.
Es dauert tatsächlich nur wenige Minuten, bis
der Notarztwagen eintrifft. Zwei Sanitäter und
eine Notärztin laufen auf uns zu, völlig entsetzt
über das Ausmaß an Zerstörung, das Sharks Panzer-
faust hinterlassen hat.
„Ein Mann mit Schussverletzung und Kreislauf-
stillstand, die Arteria subclavia ist verletzt,
Reanimation seit ungefähr sieben Minuten. Geben
Sie mir eine Klemme, ich halte meinen Daumen auf
seiner zerfetzten Arterie!“ Meine Stimme klingt
genauso ruhig und autoritär wie früher im OP.
Die verblüffte Notärztin hält mir eine Klemme
hin, während die Sanitäter hastig ihre Ausrüstung
auspacken.
„Sind Sie Ärztin?“
„Ich bin Dr. Melanie …“ Ich verstumme. „Ich
bin
Chirurgin.“
Ich
lege
die
Klemme
an,
die
172/221
Blutung ist gestillt. „Bitte tun Sie, was Sie
können. Dieser Mann hat mir das Leben gerettet.“
Ich trete zurück, Remus nimmt mich in den Arm,
während
die
Notärztin
und
die
Sanitäter
ihre
Arbeit machen. Meine Hände sind voll von Hawkes
Blut, und erst jetzt, in Remus‘ Armen, merke ich,
wie sehr ich zittere.
173/221
Kapitel 15
Es ist Nachmittag, ich stehe todmüde in meinem
zerrissenen,
blutbefleckten
Kleid
im
Büro
des
Staatsanwalts.
„Vielen Dank für Ihre Aussage, Dr. Bright.
Oder sollte ich besser sagen: Ms Roberts?“
Ich ringe mir ein wenig überzeugendes Lächeln
ab.
Melinda Roberts – das ist der Name, der unter
meinem Foto auf meinem nagelneuen Führerschein
steht. Von meinem alten Leben ist nichts mehr
übrig.
Meine
Sozialversicherungsnummer
wurde
gelöscht, meine Telefonnummer deaktiviert, meine
Konten geschlossen, meine Kreditkarten gesperrt.
Agents haben meine Chefin im Memorial und – viel
schlimmer – meine Mutter darüber informiert, dass
ich unter behördlichem Schutz stehe und auf un-
bestimmte Zeit nicht mit ihnen in Kontakt treten
werde. Das alles wurde mir nüchtern von dem Agent
mitgeteilt, der mir meine neuen Dokumente ausge-
händigt hat.
Ich starre auf das Plastikkärtchen in meinen
Händen, mit dem vertrauten Foto und dem fremden
Namen, dem fremden Geburtsdatum … Dr. Melanie
Bright existiert offiziell nicht mehr. Wow. Ein
Gefühl scheußlicher Taubheit breitet sich in mir
aus, zusätzlich zu der Müdigkeit und all der aus-
gestandenen Angst. Wie ferngesteuert setze ich
einen Fuß vor den anderen, folge dem Agent ohne
den blassesten Schimmer, wohin wir gehen oder wie
mein Leben weitergehen wird.
Werde ich jemals wieder als Ärztin arbeiten?
Auch wenn ich nicht den Rest meines Lebens im Me-
morial verbringen wollte, liebe ich die Medizin.
Außerdem kann ich doch nichts anderes. Wovon soll
ich leben?
Bevor wir die Aufzüge erreichen hält uns je-
mand auf, ein großgewachsener Mann mit grauen
Schläfen und stechenden Augen.
„Ich übernehme sie.“ Sein Tonfall zeigt deut-
lich, dass dieser Mann es gewohnt ist, Befehle zu
geben.
Der Agent, der mich begleitet, zögert nicht,
mich der Obhut des anderen Mannes zu übergeben.
Sobald er außer Hörweite ist, wendet der graume-
lierte Mann sich mir zu.
„Ich bin Chief Panther, Dr. Bright. Ich leite
die West Coast Division des Urban Warrior Corps.
Meine
Männer
haben
mir
berichtet,
was
Sie
geleistet haben und dass wir es nur Ihnen zu
verdanken haben, dass Hawke noch am Leben ist.“
„Wie geht es ihm?“
„Er wird es schaffen. Die Ärzte auf der In-
tensivstation sagen, dass Sie ein Wunder voll-
bracht haben.“ Panther umfasst meine Hand mit
seinen beiden Händen. „Ich danke Ihnen, dass Sie
einem meiner Männer das Leben gerettet haben, Dr.
Bright.“
Die
Aufrichtigkeit
in
seinen
Augen
entzündet ein Gefühl der Wärme in meinem tauben
Innern. Ich lächle traurig. „‚Dr. Bright‘? Sie
sind wahrscheinlich der einzige Mensch, der mich
noch so nennt.“
Chief
Panther
bringt
mich
zum
Aufzug,
wir
fahren ins Erdgeschoss. „Es tut mir leid, dass
175/221
Sie ihr altes Leben verloren haben.“ Er sagt es
in einem merkwürdigen Ton, aber ich bin zu fer-
tig, um mir darüber Gedanken zu machen.
„Wohin bringen Sie mich?“
„Ein Agent wird Sie zu einem Apartment fahren,
in dem Sie wohnen werden, bis die Verhandlung
vorüber ist. Dort werden Sie in Sicherheit sein.“
Als sich die Fahrstuhltüren öffnen, erwarten
uns Shark, Leon und Draco in der Halle. Ich halte
vergeblich
nach
Remus
Ausschau
und
stelle
enttäuscht fest, dass ich ihn nirgends entdecken
kann.
„Auch wir möchten uns bei Ihnen bedanken.“
Dracos tiefe Stimme mit dem russischen Akzent
rollt wie ein Schauer über meinen Körper.
Leon
tritt
vor.
„Sie
haben
Hawkes
Leben
gerettet.“
„Wir
stehen
alle
in
Ihrer
Schuld“,
nickt
Shark.
Einer nach dem anderen schüttelt mir die Hand,
mit einer Feierlichkeit, die mich verlegen macht.
Dann verabschieden sich die Männer und Chief
Panther führt mich nach draußen, wo eine schwarze
Limousine auf mich wartet. Ich sehe mich ver-
stohlen nach Remus um.
Warum ist er nicht gekommen? Werde ich ihn
überhaupt
jemals
wiedersehen?
Mein
Stolz
und
meine verletzten Gefühle ringen miteinander. Soll
ich Chief Panther fragen, wo Remus steckt?
Nur noch wenige Schritte bis zu dem Wagen, der
mich von dem Regierungsgebäude und Remus‘ Kam-
eraden
fortbringen
wird,
meiner
einzigen
Ver-
bindung zu den Mann, der mein Leben verändert
hat.
176/221
Chief Panther öffnet die Wagentür für mich.
„Nochmals vielen Dank, Dr. Bright. Alles Gute für
Sie.“
Ich nicke, bringe kein Wort über die Lippen.
Stumm lasse ich mich auf den Rücksitz des Wagens
sinken, Panther schließt die Tür, der Wagen fährt
los.
Das war’s also. Ich werde nie wieder …
„Guten Tag, Ma’am.“
Die Stimme des Fahrers lässt mich kerzengerade
hochfahren. Mein Blick schießt nach vorn, ich
sehe braune Locken und glühende Augen, die mich
verschmitzt im Rückspiegel beobachten.
„Remus!“ Ich schlinge meine Arme von hinten um
ihn, er behält lachend die Kontrolle über den Wa-
gen, zieht meine Hand an seine Lippen und drückt
einen Kuss darauf.
„Du glaubst doch nicht, dass ich deine Sicher-
heit einem fremden Agent überlasse?“
„Ich dachte schon, du würdest …“ Ich verstumme
beschämt.
„Was? Einfach abhauen? Ich bin entsetzt, dass
du so von mir denkst, Doc.“
Ich erröte, grinse aber von einem Ohr zum an-
deren. Remus ist hier, alles ist gut. Ich habe
gerade mein altes Leben verloren, alles egal,
Hauptsache, der Mann den ich liebe ist bei mir.
Oh
Gott
…
habe
ich
das
wirklich
gerade
gedacht?
Liebe ich Remus?
„Mel?“ Remus‘ besorgte Stimme reißt mich aus
meinen Gedanken.
„Ich habe dich gerade gefragt, ob bei der Befra-
gung alles okay war. Haben sie dich gut behan-
delt? Ich wollte bei dir bleiben, aber ich musste
177/221
Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit sie
mich
zu
deinem
zuständigen
Kontaktagenten
machen.“
„Zu meinem zuständigen was?“
„Ich bin ab sofort für deine Sicherheit ver-
antwortlich. Ich werde deine einzige Verbindung
zur Staatsanwaltschaft sein. Niemand kennt deinen
Aufenthaltsort,
und
bis
die
Verhandlung
über-
standen ist, muss jeder, der zu dir will, an mir
vorbei.“ Er schenkt mir ein gefährliches Lächeln.
Plötzlich fühlt sich mein Inneres weniger taub
an,
stattdessen
breitet
sich
ein
aufgeregtes
Kribbeln im mir aus. „Soll das heißen, du bleibst
ab jetzt bei mir?“
Remus nickt. „Auf Schritt und Tritt.“
Mein
Grinsen
wird
breiter.
Vielleicht
wird
mein neues Leben doch nicht so übel.
„Wohin bringst du mich?“
„In ein Apartment in Santa Barbara.“
Ich lehne mich zurück und starre eine Weile
aus dem Fenster. L.A. fällt hinter uns zurück.
„Remus?“
„Mh?“
„Was wird jetzt aus mir?“
Sein Blick hält meinen im Rückspiegel fest.
„Hab keine Angst, Mel. Ich sorge dafür, dass dir
nichts geschieht. Und wenn alles vorbei ist, dann
kannst du tun, was immer du willst.“
Was immer ich will?
Die Straße schlängelt sich die Pazifikküste
entlang,
ich
betrachte
die
Buchten
und
das
kristallblaue Wasser tief unter uns.
„Ich glaube, ich würde gern wieder als Ärztin
arbeiten“, sage ich schließlich.
178/221
Remus nickt. „Dann werden wir einen Weg find-
en, Baby.“
Wir erreichen Santa Barbara, Remus hält vor
einem Apartmentkomplex mitten in einer Parkan-
lage. Er führt mich zu einem Apartment in einem
der
hinteren
Bungalows,
es
liegt
im
zweiten
Stock, er sperrt die Sicherheitstür auf und lässt
mich eintreten.
Neugierig sehe ich mir meine neue Wohnung an.
Sie ist schlicht möbliert, ein Wohnzimmer mit
Küchenzeile, ein Schlafzimmer, ein kleines Bad.
Das Highlight ist ein Balkon mit Ausblick auf den
Park.
Remus
lehnt
an
der
Schlafzimmertür
und
verzieht die Lippen zu einem schiefen Grinsen.
„Kannst du es hier eine Weile mit mir aushalten,
Ms Roberts?“
Mein neuer Name. „Nenn mich bloß nicht so“,
stöhne ich.
„Wie soll ich dich denn nennen?“ Er schlendert
langsam zu mir und schließt mich in die Arme.
„Baby?“ Er küsst meinen Hals. „Liebling?“ Seine
Küsse wandern über meinen Hals hinauf zu meinen
Lippen.
„Kein schlechter Anfang“, murmele ich, während
ich
meine
Hände
um
seine
Schultern
schlinge.
Seine Küsse bringen meine Knie zum Zittern. „Lass
mich … duschen -“
Schneller als ich es wahrnehme, hat er eine
seiner Klingen gezogen. Seinen Arm fest und un-
nachgiebig
um
mich
geschlungen,
lässt
er
die
Klinge langsam über mein Dekolleté gleiten. „Dann
lass mich dir aus dem Kleid helfen.“
Mit einem raschen, harten Stoß zieht er die
Klinge
nach
unten
durch.
Mein
Kleid
fällt
179/221
raschelnd zu Boden, aber sein Messer hat mich
nicht verletzt. Ich fühle, wie heftig mein Herz
schlägt, die Zärtlichkeit, mit der er die Klinge
über meine Haut gleiten lässt, macht mich an.
Geschickt
führt
er
das
Messer
über
meine
bloßen Brüste, ich spüre das kalte Metall an
meinen
Nippeln.
Ich
keuche,
während
sie
sich
aufrichten. Remus‘ Augen werden dunkler, als er
das Messer langsam über meinen Bauch zieht und
unter meinen Slip schiebt. Ein rascher Ruck, die
zarte Spitze zerreißt, der Slip fällt zu Boden.
„Jetzt kannst du duschen“, flüstert er rau.
Seine Hand gleitet über meinen Rücken und umfasst
meinen Po, knetet ihn besitzergreifend.
An seinem Ton und an der Hitze, die mir von
seinem Körper entgegenströmt, erkenne ich, dass
er ebenso erregt ist wie ich. Doch ich habe nicht
vor, ihm so einfach die Führung zu überlassen.
Sanft winde ich ihm das Messer aus der Hand.
Er lässt es geschehen, seine Lippen kräuseln sich
überrascht, während ich die Klinge langsam unter
sein Hemd gleiten lasse.
„Ich habe nicht vor, allein zu duschen.“ Mit
einem sanften Ruck ziehe ich das Messer durch,
der oberste Knopf seines Hemds springt ab. Dann
der nächste. Und der übernächste.
Remus rührt sich nicht, als das Hemd seinen
beeindruckenden Brustkorb entblößt. Ganz langsam
fahre ich mit der Klinge seine definierten Bauch-
muskeln entlang.
„Zieh das Hemd aus.“
Seinen
glühenden
Blick
unverwandt
auf
mich
gerichtet, schält er sich aus dem Hemd. Seine
Waffen kommen zum Vorschein, er legt eine nach
der anderen ab.
180/221
„Jetzt die Jeans.“
„Jawohl, Ma’am.“ Er lächelt, verrucht und ge-
fährlich. Obwohl ich diejenige mit dem Messer
bin, vergesse ich keinen Augenblick lang, dass er
mich
binnen
eines
Wimpernschlags
überwältigen
könnte.
Als er schließlich nackt vor mir steht, lasse
ich
die
Klinge
spielerisch
über
sein
Herz
gleiten. Seine Muskeln spannen sich an.
„Ins Bad.“ Meine Stimme klingt heiser, eine
Mischung aus Verlockung und Befehl.
Remus
legt
den
Kopf
schief.
Dann,
blitz-
schnell, windet er mir die Klinge aus der Hand,
wirbelt mich herum, bis ich mit dem Rücken gegen
den Türstock des Badezimmers gedrückt stehe. Er
presst sich an mich, das Messer liegt an meinem
Hals.
„Genug gespielt, Kleines. Küss mich“, verlangt
er rau.
Ich
tue
es.
Er
erwidert
meinen
Kuss
leidenschaftlich,
stößt
seine
Zunge
in
meinen
Mund, ich fühle, wie seine Erregung härter wird,
während er sich an mich presst. Ich schlinge
meine Hände in sein Haar, er hat die Klinge
längst von meinem Hals genommen, sie bohrt sich
mit einem dumpfen Geräusch neben unseren Füßen in
den Teppichboden.
Plötzlich hebt er mich auf seine Arme und
trägt mich ins Bad, stellt mich in die Dusche.
Sein massiver Körper lässt mir keine Möglichkeit,
ihm auszuweichen, aber das will ich auch gar
nicht. Ich zittere voller Erwartung, während er
schweigend die Dusche aufdreht und das Wasser
über meinen Körper läuft.
„Dreh dich um.“
181/221
Er wartet nicht, bis ich seinem Befehl ge-
horche, sondern packt mich an den Schultern und
dreht mich, so dass ich mit dem Rücken zu ihm
stehe. Er spreizt meine Arme und drückt meine
Hände gegen die Fliesen.
„Beweg dich nicht.“
Dann lässt er seine Finger langsam meine Arme
entlang gleiten. Als ich meine Hände senke, er
packt meine Handgelenke und presst sie wieder ge-
gen
die
Fliesen,
diesmal
grob.
Seine
Stimme
klingt rau, ich spüre seinen Atem in meinem Nack-
en. „Ich sagte: beweg dich nicht.“
Ich
nicke
bebend.
Er
streicht
meine
Arme
entlang bis zu meinen Schultern, langsam, so als
würde er mich herausfordern, seinen Befehl zu
missachten. Mein Herz hämmert, ich möchte mich zu
ihm umdrehen, doch er packt meinen Nacken und ich
erstarre.
„Nicht, bevor ich es dir erlaube“, knurrt er.
Dann wird sein Griff zärtlicher, er streicht mit
dem Daumen über meinen Haaransatz im Nacken und
ein Schauer jagt über meinen Rücken.
Ich keuche auf, als seine Hand meine Brust um-
fasst und er beginnt, mich zu streicheln. Ich
will mehr, so viel mehr, dränge mich seiner Hand
entgegen, er lässt seine Fingerspitzen über die
Rundung meiner Brust gleiten und umfasst meine
Brustwarze.
Ich spüre seinen harten, großen Körper hinter
mir, als er sich zu mir beugt und meine Schulter
küsst. Seine Zunge leckt neckend über meine nasse
Haut, die Mischung aus männlicher Dominanz und
Zärtlichkeit raubt mir den Verstand! Seine Hände
gleiten über meinen Bauch, meine Hüften, er um-
fasst meinen Po und knetet ihn. Ich reibe mich an
182/221
ihm, alle Zurückhaltung und Scham ist vergessen,
ich will nur noch, dass Remus endlich in mich
eindringt! Ich spüre seinen harten Schwanz an
meinen Pobacken, Remus lacht rau, als ich mich
ihm entgegendränge.
„Was willst du?“, knurrt er heiser.
„Bitte“, keuche ich und werfe ihm einen Blick
über die Schulter zu. Ich wage es noch immer
nicht, mich zu ihm umzudrehen, aber ich sehe die
gleiche Leidenschaft in seinen Augen, die auch in
mir lodert. „Ich will dich endlich in mir spüren
…“
Sein
Blick
knistert
verwegen,
seine
Hand
gleitet über mein Becken, streichelt über die
Innenseite
meiner
Oberschenkel
und
plötzlich
packt er mich zwischen den Beinen. Mit forderndem
Druck lässt er seine Finger auf meinen Schamlip-
pen kreisen, während er mich fest an seinen Körp-
er presst, so dass ich mich nicht rühren kann.
Meine Knie zittern, so sehr will ich ihn! Ich
versuche,
mich
seiner
Hand
entgegenzudrängen,
Remus lacht, überlegen und heiser vor Erregung.
Dann dringt er plötzlich mit zwei Fingern in mich
ein,
grob,
so
dass
ich
vor
Überraschung
aufkeuche. Er hält mich fest und stößt seine
Finger in mich, ich beginne zu stöhnen, verliere
jeden Rest von Zurückhaltung. Er hält mich fest
an sich gepresst, seine Muskeln sind angespannt,
ich spüre seinen harten Körper wie eine Mauer
hinter
mir
und
seine
Hand
gnadenlos
zwischen
meinen Beinen.
„So feucht“, keucht er, ich fühle seinen Sch-
wanz, der sich an meinen Rücken drückt, während
er seine Finger weiter in mich treibt.
183/221
Ich bin kurz davor, zu kommen, Remus fühlt es
und dreht mich plötzlich herum, drückt mich mit
dem Rücken gegen die Wand und hebt mich hoch. Er
hat so viel Kraft, dass er mich mühelos hält, ich
schlinge meine Beine um sein Becken und versinke
in
seinen
glühenden
Augen,
als
er
mit
einem
tiefen, harten Stoß in mich eindringt.
Mein Schrei hallt von den Wänden, als er mich
endlich ausfüllt, als ich seine Härte endlich in
mir spüre. Er hält mich fest umklammert, seine
Arme schützen mich vor der harten Fliesenwand,
während er in mich stößt. Ich bin so erregt, dass
er sich bis zum Anschlag in mich versenkt, ohne
dass ich Schmerzen verspüre. Ich kralle meine
Finger in sein Haar, in seinen Rücken, umklammere
ihn mit meinen Beinen, will, dass er mich noch
härter fickt, und er tut es, hält meinen Körper
fest, während er immer heftiger in mich stößt. Es
gibt nichts mehr außer ihn und mich, sein harter
Schwanz bringt mich um den Verstand, Remus stößt
wieder und immer wieder genau an die richtige
Stelle, bis mein Orgasmus mit einer noch nie
dagewesenen Heftigkeit explodiert. Im selben Mo-
ment knurrt Remus stöhnend, seine Muskeln spannen
sich bis zum Zerreißen an, und er kommt ebenso
heftig wie ich.
Es dauert eine Weile, bis ich wieder zu mir
finde. Ich umklammere keuchend und bebend Remus‘
Schultern, meine Beine um Remus‘ Becken geschlun-
gen, er hält mich noch immer an sich gedrückt,
während
das
warme
Wasser
über
unsere
Körper
läuft. Er ist immer noch in mir, mein Herz ber-
uhigt sich nur langsam, und ich fühle seinen
heftigen Herzschlag an meiner Brust. Dann küsst
mich Remus, langsam, zärtlich und sehr intensiv.
184/221
Der Kuss erscheint mir noch viel intimer als das,
was wir gerade miteinander geteilt haben.
„Du hattest Recht“, flüstere ich, als sich un-
sere Lippen voneinander lösen.
„Womit?“
Sein
Gesicht
ist
ganz
dicht
an
meinem, er hat die Augen geschlossen.
„Ich
werde
unser
erstes
Mal
bestimmt
nie
vergessen.“
Er lächelt, ohne die Augen zu öffnen. „Das war
so nicht geplant, weißt du.“
„Du wolltest gar nicht mit mir schlafen?“ Ich
kontrahiere in neckendem Protest meine inneren
Muskeln um ihn.
Er schmunzelt und sieht mich an. „Doch. Schon
als ich dich das erste Mal gesehen habe, nackt
auf deinem Bett.“
„Oh …“
„Hier unter Dusche, das war nicht geplant.
Aber
ich
konnte
dir
einfach
nicht
mehr
widerstehen.“
„Tatsächlich?“ Ich beiße mir auf die Unter-
lippe, meine Mundwinkel kräuseln sich. „Und was
war geplant?“
Ohne sich aus mir zurückzuziehen, steigt Remus
aus der Dusche, trägt mich ins Schlafzimmer und
legt sich mit mir aufs Bett. Es fühlt sich fant-
astisch an, seinen großen, schweren Körper auf
mir zu spüren. Er stützt sich auf, nimmt mein
Gesicht in seine Hände und küsst mich.
„Das werde ich dir zeigen, Baby“, verspricht
er. „Wieder. Und wieder. Und immer wieder …“
Ich lache leise, als er mich erneut küsst. Ich
möchte für immer mit diesem Mann zusammen sein!
Plötzlich läutet Remus‘ Telefon, er unterbricht
seufzend unseren Kuss.
185/221
„Die Arbeit. Tut mir leid.“
Die
plötzliche
Kälte
auf
meiner
Haut,
als
Remus
sich
von
mir
zurückzieht,
lässt
mich
frösteln. Mein Verlangen nach ihm erschreckt mich
selbst.
Kurz
darauf
kehrt
er
aus
dem
Wohnzimmer
zurück, das Telefon in der Hand.
„Es
ist
Chief
Panther.
Er
will
mit
dir
sprechen.“
Mit
mir?
Verwundert
nehme
ich
das
Handy
entgegen.
„Dr.
Bright?
Ich
möchte
Ihnen
ein
Angebot
machen.
Ich
wollte
schon
im
Büro
mit
Ihnen
darüber sprechen, aber ich habe eben erst das
Einverständnis meines Vorgesetzten erhalten. Wie
denken Sie darüber, für das Urban Warrior Corps
zu arbeiten?“
Ich glaube, mich verhört zu haben. Das kann
doch nicht sein Ernst sein! Sprachlos halte ich
inne.
„Dr. Bright? Sind Sie noch dran?“
„Äh …“, stottere ich. „Ich verstehe nicht …
wie stellen Sie sich das vor?“ Ich sehe mich
geistig mit Kugelschutzweste und Maschinenpistole
im Kugelhagel neben Remus und seinen Kameraden
herrennen,
eine
Vorstellung,
die
mich
wenig
begeistert.
„Das Corps braucht einen neuen Arzt. Sie wären
für die medizinischen Routineuntersuchungen ver-
antwortlich, sowie für gelegentliche Standby-Ein-
sätze im Ausland, je nach Art der Aufträge. Nicht
viele Ärzte sind dafür geeignet, unter der Art
von Druck zu arbeiten, die bei uns herrscht, aber
Sie haben bewiesen, dass Sie selbst unter gefähr-
lichen Bedingungen einen kühlen Kopf behalten.
186/221
Sie haben bei Hawke mit geringen Mitteln und
unter extremem Stress großartige Arbeit geleistet
und wir wären glücklich, Sie in unserem Team zu
haben.“
Ich blinzele Remus an, der verschmitzt grinst.
Hat er etwa davon gewusst?
„Überlegen Sie sich mein Angebot in Ruhe“,
sagt Chief Panther. „Ich erwarte Ihren Anruf.“
Nachdem ich aufgelegt habe, knuffe ich Remus
in die Schulter. „Hast du das gewusst?“
„Ich?“ Er setzt eine Unschuldsmiene auf, doch
seine Augen funkeln verräterisch.
In gespielter Empörung knuffe ich ihn wieder,
doch er fängt meine Hand ab und hat mich binnen
eines Augenblicks unter sich. Er hält meine Hände
mühelos über meinem Kopf fest und stupst mich auf
die Nase. „Ich bin es gewesen, der Panther diesen
Vorschlag gemacht hat.“
Das verschlägt mir die Sprache.
„Du denkst … dass ich mit euch arbeiten kön-
nte?“, flüstere ich schließlich.
„Du
hast
mich
bereits
mehrfach
zusammenge-
flickt, und du hast Hawke das Leben gerettet.
Wüsste nicht, wer besser ins Team passen würde
als du.“
Mir schießt das Blut in die Wangen. Remus
grinst. „Du liegst nackt unter mir, und jetzt
wirst du rot?“
„Frecher Kerl.“ Ich versuche vergeblich, mich
freizustrampeln, Remus lacht. Dann wird er plötz-
lich ernst.
„Wie wirst du dich entscheiden?“
„Keine Ahnung“, flüstere ich. „Es ist … kein
leichter Job, oder?“
187/221
Remus gibt meine Handgelenke frei, rollt sich
auf den Rücken und zieht mich in seine Arme.
„Nein“, sagt er leise, während er mich nachdenk-
lich streichelt.
„Willst
du
wirklich,
dass
ich
mit
dir
arbeite?“
„Ja. Aber du wärst nicht nur für meine Ab-
teilung zuständig. Es gibt auch noch die East
Coast
Division
der
Urban
Warriors,
mit
Hauptquartier in New York.“
„Klingt nicht schlecht“, murmele ich an seiner
Brust. „Ich glaube, du könntest mich überzeugen,
zuzusagen.“
„Wie denn?“
Ich
grinse.
„Was
denkst
du?
Mit
hartem,
körperlichem Einsatz, Krieger.“
Ehe ich es mich versehe, liege ich wieder auf
dem
Rücken
unter
ihm,
während
er
gefährlich
schmunzelnd auf mich herunterschaut. „Forderst du
mich heraus, Doc? Du weißt, dass ich alles für
das Team tun würde.“
Ich
spüre,
wie
er
zwischen
meinen
Beinen
wieder
hart
wird.
„Beweise
es“,
flüstere
ich
grinsend, während ich meine Hände in sein Haar
schlinge und ihn leidenschaftlich küsse.
ENDE.
188/221
Bonuskapitel
Die Szene, in der Remus Melanie in ihrem Haus
vor Gonzales‘ Männern rettet, diesmal aus Remus‘
Sicht.
Im Haus von Dr. Melanie Bright.
Verdammt,
genau,
wie
ich
es
vorausgesehen
habe: Gonzales‘ Männer sind der Frau bis zu ihrem
Haus gefolgt. Ich stelle meine Maschine hinter
ihrem Wagen ab und schleiche zur Haustür, sie ist
aufgebrochen, ich drücke mich an die Wand und
lausche.
Stille.
Komme ich etwa zu spät? Meine Hand krallt sich
um den Griff meiner Klinge. Verdammt, alles ist
anders gelaufen als geplant! Was hatte Gonzales
nur bei diesem Deal hinter dem Krankenhaus zu
suchen? Und warum musste diese junge Frau aus-
gerechnet zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort
sein?
Panther wird mich umbringen, wenn er erfährt,
dass ich Gonzales‘ Beschattungsaktion abgebrochen
habe. Aber Gonzales‘ Männer werden die Frau um-
bringen, wenn ich es nicht verhindere. Bei allen
Heiligen, ich hoffe, ich komme nicht zu spät …
Ein Schrei! Eine weibliche Stimme in Todes-
angst. Mit den Klingen in der Hand schlüpfe ich
lautlos ins Haus.
Der
Vorraum
ist
leer
und
dunkel,
aus
dem
hinteren Bereich des Hauses dringen Stimmen und
Geräusche eines Kampfes. Wehrt sie sich etwa ge-
gen diese Kerle? Mutige Frau … Aber ich weiß,
dass sie keine Chance hat. Wenn ich nicht sofort
einschreite, ist sie tot.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie? Lassen Sie mich
sofort los!“ Ihre Stimme überschlägt sich vor
Angst.
„Halt
die
Schnauze,
Schlampe.“
Einer
von
Gonzales‘ Männern. Ich habe drei gezählt, die ihr
in das Haus gefolgt sind. Ich schleiche lautlos
auf den Raum zu, aus dem die Stimmen kommen, ich
glaube, es ist das Schlafzimmer.
„Du hättest kein Foto von uns machen sollen,
Süße.“
Sie war Zeugin des Deals, Gonzales hätte sie
auf jeden Fall auf seiner Abschussliste, Foto hin
oder her. Trotzdem muss ich gestehen, dass mich
ihre Furchtlosigkeit beeindruckt hat. Wer platzt
schon in einen Drogendeal mit einem der ranghöch-
sten Drogenbosse der Stadt und hat die Nerven,
davon
ein
Foto
zu
schießen?
Meine
einzige
Erklärung ist, dass der Frau nicht klar war, in
was sie da geraten war.
„Mach
schon,
Juan.
Schneide
ihr
die
Kehle
durch.“
Oh, verdammt. Ich muss die Kerle aufhalten,
jetzt sofort.
Ich höre ein Handgemenge, die Frau scheint
sich zu wehren. Jetzt stehe ich direkt neben der
Tür, kaum zwei Meter von ihr entfernt, bereit,
die Kerle meine Klingen spüren zu lassen, als
plötzlich …
190/221
„Wisst ihr was, wir werden uns vorher mit der
Kleinen amüsieren. Seht sie euch an, wäre doch
schade, so etwas verkommen zu lassen.“
„Wir werden sie alle durchficken, und dann
kannst du sie umbringen, Juan.“
Kalter Zorn packt mich, ich fühle, wie meine
Verachtung für diese Kerle in meinem Blut au-
flodert. Ich werde nicht zulassen, dass diese
Schweine sie anrühren! Bis jetzt ging es um die
Beseitigung einer Zeugin, ich war kontrolliert
und berechnend, aber die Worte dieser Hurensöhne
entfesseln eine Bestie in meinem Innern.
Vergewaltigung
–
es
gibt
nichts,
was
mich
wütender macht. Jeder Mann, der eine Frau gegen
ihren Willen berührt, hat in meinen Augen seine
Ehre verloren.
Ich
höre
ihre
verzweifelten
Schreie.
Meine
Fäuste schließen sich um meine Messer, ich höre
Glas splittern, dann trete ich lautlos wie ein
Schatten in den Raum.
Einer der Kerle hat die Frau bereits im Bett
unter sich, während die beiden anderen grölend
ihre
Hosen
öffnen.
Bevor
sie
wissen,
was
geschieht, bin ich über dem ersten und schneide
ihm die Kehle durch.
Röchelnd sinkt er zu Boden, da fällt mein
Blick auf die wehrlose junge Frau in der Gewalt
dieses
Schweins,
ich
bin
für
einen
Sekunden-
bruchteil abgelenkt – und nehme aus dem Augen-
winkel den Angriff des zweiten Kerls wahr. Im
letzten Moment weiche ich seinem Messer aus, er
erwischt mich am Rücken, ich spüre den Stich
seiner Klinge. Aber ich koche vor Wut, dieser
Kerl wird mich nicht aufhalten. Ich packe ihn und
191/221
schneide ihm die Kehle durch, genauso wie ich es
bei seinem Kumpan getan habe.
Jetzt
lässt
der
Dritte
von
der
Frau
ab,
springt vom Bett auf mich zu, sein Messer in der
Hand.
Die Bestie in mir röhrt vor Verlangen nach
seinem Blut. Du wolltest sie anrühren? Komm her,
ich gebe dir, was du verdienst!
Der Kampf dauert nur wenige Augenblicke, dann
steche ich ihm in den Messerarm und ramme ihm
gleichzeitig meine andere Klinge ins Herz. Sein
lebloser Körper sackt zu Boden, dieses Schwein
wird nie wieder eine wehrlose Frau bedrohen.
Mein Blick schießt zu ihr, ich will mich davon
überzeugen, dass sie unverletzt ist.
Sie kauert nackt vor mir auf dem Bett, ihre
Augen übergroß vor Angst. Sie schlingt ihre Arme
um ihren Körper, zittert und bebt, und ihre Ver-
letzlichkeit
berührt
die
tiefste,
archaische
Männlichkeit in mir, ich will sie beschützen, sie
in meine Arme schließen … doch sie weicht vor mir
zurück.
Da sehe ich rotes Blut auf ihrem Unterarm.
Haben diese Schweine sie etwa geschnitten?
Ich bezwinge meinen Zorn, um sie nicht noch
mehr zu ängstigen. „Sie sind verletzt.“ Um sie zu
untersuchen, schiebe ich die Klingen in meinen
Gürtel und knie mich auf das Bett.
Sie schreit heiser auf und flieht vor mir,
kriecht vom Bett und presst sich gegen die Wand,
kauert sich in einer Ecke des Zimmers zusammen.
Kein Wunder, dass sie mich fürchtet. Doch sie
kann mir nicht entkommen, das Zimmer hat keinen
anderen Ausgang. Ich gehe langsam um das Bett
herum und knie vor ihr nieder.
192/221
Sie hat solche Angst vor mir, dass sie den
Kopf gesenkt hält und sich nicht traut, mich an-
zusehen.
Ihr
schlanker,
zierlicher
Körper
zittert.
Der Mann in mir möchte sie umarmen, ihr Schutz
gewähren, doch ich weiß, dass sie meine Berührung
als Bedrohung empfinden würde. Ich muss erst ihr
Vertrauen gewinnen.
Verdammt, Remus, du hast gerade vor ihren Au-
gen drei Männer erstochen, und jetzt kauert sie
nackt vor dir … großartige Voraussetzungen für
eine Vertrauensbasis, wirklich.
„Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben,
Melanie.“ Während ich Gonzales‘ Männern zu ihrem
Haus gefolgt bin, habe ich ihr Foto durch die
Datenbank gejagt. Ich musste herausfinden, wer
diese Frau ist, die in meine Beschattungsaktion
hineingeplatzt war: Dr. Melanie Bright, Chirurgin
im L.A. Memorial. Eine Unschuldige.
Und eine verdammt schöne Frau … die in diesem
Moment vor nichts und niemandem auf der Welt mehr
Angst hat, als vor mir. Ach, Scheiße, Remus.
„Sind
Sie
einer
von
denen?“
Ihre
Stimme
zittert.
„Nein.“
„Was wollen Sie dann von mir? Bitte … tun Sie
mir nicht weh.“
„Das habe ich nicht vor.“
Ihr Blick flackert zweifelnd zu den tödlichen
Klingen an meinen Hüften.
„Ist es das? Meine Waffen machen Ihnen Angst?“
Ich ziehe die Klingen aus dem Gürtel und lege
sie auf den Nachttisch neben uns. Was könnte ich
sonst noch tun, um ihr Vertrauen zu gewinnen? Ich
lasse
meinen
Blick
durch
das
Schlafzimmer
193/221
schweifen, dann greife ich nach einem Badetuch,
das auf dem Boden liegt, und wickle es um ihren
Körper.
Sie erzittert heftig unter meiner Berührung.
Glaubt sie etwa, dass ich ebenso über sie herfal-
len werde wie Gonzales‘ Männer?
„Sie brauchen mich nicht zu fürchten.“
„Sie
haben
gerade
drei
Männer
umgebracht“,
flüstert sie und zieht das Badetuch zusammen, um
ihren Körper zu bedecken.
„Diese Männer wollten Sie töten. Ganz zu sch-
weigen davon, was sie Ihnen noch antun wollten.“
Tränen schießen aus ihren Augen, ihre Hände
umklammern das Badetuch wie einen Schild. „Wer
sind Sie?“
Ich
darf
meine
Identität
nicht
preisgeben.
Außerdem läuft uns die Zeit davon, ich muss sie
so schnell wie möglich in Sicherheit bringen.
Ich greife unter ihren Ellbogen und ziehe sie
sanft auf die Beine. „Kommen Sie. Wir müssen Ihre
Wunde versorgen, und dann müssen wir hier weg.“
Ihr Körper zittert, sie sinkt zusammen. Mit
einer raschen Bewegung hebe ich sie hoch und
trage sie durch das Schlafzimmer.
Die
Intensität
des
Gefühls,
ihre
schlanke
Gestalt in meinen Armen zu halten, trifft mich
völlig unvorbereitet.
„Was tun Sie?“, haucht sie erschrocken und
umklammert meinen Nacken.
Ich reiße mich zusammen, gebe meiner Stimme
einen ruhigen Klang. „Der Boden ist voller Scher-
ben. Sie würden sich verletzen.“
Ich trage sie ins Badezimmer, setze mich auf
den Rand der Wanne, die junge Frau auf meinem
Schoß.
194/221
„Wo ist Ihr Arzneischrank?“
„Dritte Lade“, erwidert sie verwirrt.
Während ich die Lade durchsuche, wird sie auf
meinem Schoß unruhig.
„Sie haben ja eine halbe Apotheke hier drin.“
Ich versuche, ihr die Furcht vor mir zu nehmen,
während ich Jod und Verbandsmaterial aus der Lade
ziehe und neben uns auf den Waschtisch lege.
„Ich bin Ärztin“, murmelt sie kaum hörbar.
Jetzt begreife ich, was sie ängstigen muss.
Ich schiebe meine Hand in meine Tasche und lege
meine Waffen auf den Waschtisch.
„Und Sie haben ein ganzes Waffenlager in Ihrer
Hose“, flüstert sie, und wird einen Augenblick
später knallrot. „Ich, äh, meine …“
Ich schmunzele. Wenigstens ist sie nicht mehr
starr vor Angst vor mir.
Ich greife nach ihrem Unterarm und untersuche
die Schnittwunde. „Die Wunde ist nicht tief. Ein
wenig Jod und ein Verband müssten genügen.“ Ich
wasche die Wunde aus und lege einen Verband an.
„Sie
machen
das
öfter,
nicht
wahr?“
Ihre
Stimme zittert noch immer.
„Was? Einen Verband anlegen oder eine Frau vor
Vergewaltigern retten?“
Ihr Blick flackert zu meinen Waffen auf dem
Waschtisch. „Wie Sie mit den Messer umgegangen
sind …“
„Fertig.“ Ich verknote den Verband und lasse
meine Hand an ihrer Hüfte ruhen. Wird sie mir
vertrauen?
Sie räuspert sich verwirrt. „Ich nehme an,
wenn Sie mich hätten umbringen wollen, dann hät-
ten Sie es längst getan.“
195/221
„Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass ich Sie
umbringen will?“
„Was soll ich denn sonst denken? Sie dringen
mitten
in
der
Nacht
in
mein
Haus
ein
und
produzieren
innerhalb
von
Sekunden
einen
Berg
Leichen … Sie scheinen kein Polizist zu sein, und
Sie sind auch keiner von denen …“ Sie nickt in
Richtung Schlafzimmer.
„Ich
habe
keine
Zeit,
Ihnen
das
jetzt
zu
erklären.
Wir
müssen
hier
weg,
und
zwar
so
schnell wie möglich. Wenn Sie überleben wollen,
dann müssen Sie mit mir kommen, Melanie.“
Ich hoffe inständig, dass sie mir vertraut und
freiwillig mit mir kommt. Ich würde es hassen,
sie gegen ihren Willen mitnehmen zu müssen – aber
ich würde es tun, um sie zu beschützen. Ich
möchte mir nicht einmal vorstellen, was Gonzales
mit ihr tun würde, wenn sie in seine Gewalt
gelangt.
Ein Teil von mir genießt ihre Nähe viel zu
sehr, ihren Duft, ihren weichen Körper … reiß
dich zusammen, Remus, es geht darum, ihr Leben zu
retten! Nach dem, was sie dich hat tun sehen …
wie kannst du da darauf hoffen, dass sie jemals
etwas anderes in dir sehen wird als einen kalt-
blütigen Killer?
ENDE.
196/221
Leseprobe
aus
Urban
Warriors,
Band 4: Hawke
Prolog
Was tust du, wenn du von einem kolumbianischen
Drogenkartell entführt wirst, um als Sexsklavin
missbraucht zu werden? Du betest, dass der Mann,
dem du ausgeliefert wirst, ein Mann wie Hawke
ist.
Kapitel 1
„Beweg
deinen
Hintern,
Harry,
die
anderen
warten schon im Wagen!“ Hätte ich gewusst, dass
Harry wenige Stunden später tot sein würde, hätte
ich ihn bestimmt nicht angeschrien.
Doch jetzt stemme ich ungeduldig die Hände in
die Hüften, während mein Kollege hastig seine Un-
terlagen
in
eine
Tasche
stopft
und
auf
mich
zustolpert.
„Ich komme ja, Helena – aua!“ Harry bleibt an
einem Tischbein hängen, strauchelt und stürzt zu
Boden, seine Unterlagen flattern durch das ganze
Labor. „Oh Mist … tut mir leid …“
„Verdammt, Harry.“ Ich verdrehe die Augen und
knie nieder, um ihm beim Einsammeln zu helfen.
Wir
arbeiten
schon
seit
einem
halben
Jahr
zusammen in dieser Forschungsstation im Dschungel
Kolumbiens. Wenn man so lange auf engem Raum
zusammenlebt, dann geht man sich zwangsläufig ir-
gendwann gegenseitig auf die Nerven, und Harrys
chaotische Art ist dabei nicht gerade hilfreich.
Ich reiche ihm die eingesammelten Papiere, er
stopft sie in die Tasche und trottet hinter mir
her nach draußen, wo Charly und Phil, der Rest
des Teams, bereits mit laufendem Motor im Wagen
warten.
„Da seid ihr ja endlich.“ Phil, der hinter dem
Steuer sitzt, schickt Harry mit einer knappen
Kopfbewegung auf den Rücksitz und stößt die Bei-
fahrertür für mich auf.
Während Harry zu Charly auf die Rückbank klet-
tert, steige ich zögernd neben Phil ein. Als er
sich
quer
über
mich
lehnt,
um
die
Wagentür
zuzuziehen, schiebe ich ihn von meinem Körper
weg.
„Das kann ich selbst tun, vielen Dank“, zische
ich und schließe die Beifahrertür.
Phil lehnt sich zurück und gibt Gas, ein selb-
stgefälliges Lächeln auf den Lippen. Fast zwei
Stunden Fahrt liegen vor uns und ich weiß, dass
das bloß der erste von Phils Annäherungsversuchen
gewesen sein wird. Seit wir gemeinsam auf dieser
Forschungsstation arbeiten, hat er nichts unver-
sucht gelassen, um mich für sich zu gewinnen.
Leider kann ich ihn nicht ausstehen, er ist selb-
stverliebt und egoistisch, und er trampelt gern
auf Schwächeren herum. Obwohl auch mir manchmal
bei Harry der Geduldsfaden reißt, habe ich den
Tollpatsch schon oft gegen Phil verteidigt, was
die ganze Sache bloß noch verschlimmert hat –
denn Phil glaubt, dass ich eine Schwäche für
Harry hätte, was absoluter Unsinn ist.
199/221
Keiner der drei Männer, mit denen ich arbeite,
wirkt auf mich anziehend. Charly steht kurz vor
der Pensionierung, Harry ist ein hoffnungsloser
Chaot, und Phil ist … naja, Phil ist einfach nur
ein Arsch.
Also weiche ich Phils Avancen seit Monaten aus
und versuche, trotzdem so gut wie möglich meine
Arbeit zu machen. An diesem Forschungsprojekt in
Kolumbien teilzunehmen ist wichtig für meine Kar-
riere, es ist eine Riesenchance für mich, um die
mich viele Biologen an meiner Universität be-
neiden. Ich werde den Job nicht hinschmeißen, nur
weil einer meiner Kollegen mit seinem Schwanz
denkt.
„Wir nähern uns dem Martinez-Einflussbereich,
Schätzchen.“ Phil grinst mich an, während er den
Wagen auf der unbefestigten Straße nach Süden
lenkt.
„Aber
keine
Angst,
ich
werde
dich
beschützen, falls die Drogenmafia uns angreift.“
„Ach, halt die Klappe, Phil.“ Ich weiß, dass
das Martinez-Kartell seine Koka-Plantagen südlich
von unserer Forschungsstation betreibt, und das
Letzte, was ich will, ist, der Drogenmafia in die
Quere zu kommen.
„Wir sind weit genug vom Martinez-Land ent-
fernt.“ Charlys tiefe Stimme erklingt beruhigend
hinter mir. „Sie lassen sich nicht in dieser Ge-
gend blicken.“
„Woher willst du das wissen? Das Südcamp ist
seit Jahren unbenutzt, vielleicht haben sich die
Dealer dort einquartiert? Keine Angst, Baby, ich
passe auf dich auf.“ Phil legt seine Hand auf
meinen Oberschenkel, ich schiebe sie sofort weg.
Das ‚Südcamp‘ ist eine Hütte, die hin und
wieder von Forschungsteams verwendet wird. In ein
200/221
paar Wochen werden wir eine Expedition in den
südlichen Teil des Regenwalds unternehmen, dazu
wird uns die Hütte als Basis dienen. Heute wollen
wir uns ihren Zustand ansehen und vielleicht ein
paar Pflanzenproben mitnehmen.
Ich gebe meiner Stimme einen kühlen Klang.
„Warum sollte sich Kolumbiens mächtigstes Drogen-
kartell für eine leerstehende Blockhütte mitten
im Dschungel interessieren, Phil?“
„Ich bin sicher, sie würden sich viel mehr für
dich interessieren, Baby.“
Dieser Kerl widert mit mich an. Ich drehe den
Kopf zur Seite und starre aus dem Fenster, um
Phils anzüglichen Blicken auszuweichen.
Nach
zwei
Stunden
Autofahrt
und
einem
an-
strengenden Fußmarsch durch den Dschungel haben
wir das Südcamp fast erreicht. Ich gehe hinter
Phil, damit er nicht die ganze Zeit auf meinen
Hintern starrt.
„Da vorne ist es!“ Charlys Stimme ertönt vor
uns im dichten Wald. Wir folgen ihm und treten
auf die Lichtung, auf der die Hütte steht.
Und dann kracht ein Schuss.
Charly stürzt getroffen zu Boden, fremde Män-
ner mit Maschinengewehren rennen auf uns zu.
„Auf die Knie!“, brüllen die Männer auf Span-
isch. „Los, runter, los!“
Alles passiert so schnell, dass ich nicht re-
agieren kann. Gemeinsam mit Phil und Harry werfe
ich mich auf die Knie, reiße die Hände abwehrend
hoch, während die Männer uns einkreisen.
„Nicht schießen!“, schreie ich auf Spanisch.
„Wir
sind
Biologen!“
Phils
Stimme
zittert.
„Bitte, nicht schießen!“
201/221
Aus
der
Hütte
stürmt
Verstärkung,
offenbar
haben sie den Lärm gehört. Sie sind ebenfalls
schwer
bewaffnet,
es
scheinen
Leibwächter
zu
sein, denn in ihrer Mitte sehe ich zwei Männer,
die ich aus den Medien kenne – und mein Herz
bleibt fast stehen.
Der eine heißt Alvarez, er ist der Kopf des
Martinez-Kartells, einer der wichtigsten Männer
der kolumbianischen Drogenmafia. Der andere Kerl
trägt einen dunklen Anzug und elegante Schuhe –
ich
kenne
ihn
aus
den
Nachrichten,
er
ist
Politiker,
Chef
der
Partido
Nacional,
der
führenden Partei in Bogotá.
Was zur Hölle tun diese beiden Männer mitten
im Urwald in einer verlassenen Hütte?
Ihre Wachen reißen uns die Rucksäcke runter
und durchsuchen sie, leeren den Inhalt auf den
Boden. Unsere Laptops, Unterlagen, Behälter für
Pflanzenproben, alles fällt wild durcheinander,
die Männer treten mit den Schuhen dagegen, ich
weiß nicht, was sie zu finden glauben …
„Wer seid ihr?“, schreit uns einer von ihnen
auf Spanisch an.
„Wissen
…
Wissenschaftler“,
stottert
Phil,
seine erhobenen Hände zittern. „Wir sind Biologen
… Bitte, erschießen Sie uns nicht!“
Ich antworte dem Mann ebenfalls auf Spanisch
und bemühe mich, meiner Stimme einen festen Klang
zu geben. „Wir sind hier, weil wir die Hütte
nutzen wollten. Wir wissen nicht, wer Sie sind.
Bitte, lassen Sie mich meinem Kollegen helfen …“
Ich deute auf Charly, der sich stöhnend auf dem
Boden krümmt.
202/221
Jetzt haben uns Alvarez und seine Leibwächter
erreicht, der Politiker hält sich im Hintergrund,
starrt aber verärgert zu uns herüber.
Alvarez baut sich vor uns auf, sein Blick
gleitet über unsere verstreuten Sachen und dann
über Harry, Phil und mich.
„Sie sind Forscher?“
Phil nickt.
„Bitte“, flüstere ich und zeige auf Charly.
„Bitte lassen Sie mich ihm helfen.“
„Das wird nicht nötig sein.“ Alvarez nickt
einem seiner Männer zu, und im nächsten Augen-
blick jagt der Mann Charly eine Kugel in den
Kopf. Ich schreie laut auf, Harry übergibt sich
neben mir.
Oh Gott, diese Männer meinen es ernst! Es ist
ihnen scheißegal, wer wir sind oder was wir hier
wollen – sie werden uns umbringen!
„Bitte!“ Phil heult neben mir los. Ich traue
meinen Augen nicht, als dieses Großmaul neben mir
in Tränen ausbricht und hin- und herschaukelt wie
ein kleines Kind. „Bitte! Töten Sie uns nicht!
Bitte!“
Trotz der verdammt beschissenen Situation, in
der wir uns befinden, widert Phils Verhalten mich
an. Was wurde aus ‚Ich beschütze dich vor der
Drogenmafia,
Baby‘?
Ein
erbärmliches
Häufchen
Elend, das neben mir um sein Leben fleht! In
diesem Augenblick bin ich unendlich froh, mich
niemals mit diesem Schlappschwanz eingelassen zu
haben – obwohl das jetzt auch schon egal ist,
weil
wir
in
wenigen
Momenten
alle
tot
sein
werden.
Der Politiker tritt vor und spricht so leise
mit Alvarez, dass ich ihn kaum verstehe.
203/221
„Sie haben mich gesehen, ese. Das ist nicht
gut. Sie müssen dafür sorgen, dass sie nicht re-
den. Beseitigen Sie sie, sofort!“
Na großartig, der Politiker und der Drogenboss
machen gemeinsame Sache, und wir platzen mitten
hinein! Von allen verlassenen Hütten in diesem
riesigen
Dschungel,
mussten
sie
sich
da
aus-
gerechnet in dieser hier treffen?
Ich zittere ebenfalls, meine Hände sind sch-
weißnass. Harry stützt sich neben mir auf Händen
und Knien auf, er scheint kurz davor zu sein, in
Ohnmacht zu fallen, während Phil kreidebleich un-
aufhörlich um sein Leben stottert.
„Bei dem Gewimmer kann ich nicht nachdenken“,
murmelt
Alvarez
verärgert,
einer
seiner
Leib-
wächter hebt die Waffe und im nächsten Moment
kracht ein Schuss.
Ich schreie auf und weiche zur Seite, als
Phils lebloser Körper neben mir zu Boden sackt.
Der Anblick seiner toten Augen schnürt mir die
Kehle
zu.
Blut
tritt
aus
der
Schusswunde
an
seinem Kopf aus und sickert in den Boden.
Mein Körper wird zuerst eiskalt und dann ge-
fühllos, als mir klar wird, dass Harry und ich
die nächsten sind. Wir werden gleich hier ster-
ben, genauso wie Phil und Charly.
Harry beginnt neben mir zu heulen. Er sieht
mich an, mit derselben Verzweiflung in den Augen,
die auch ich empfinde, derselben Todesangst –
dann kracht ein Schuss, warmes Blut spritzt auf
mein Gesicht, und Harry stürzt tot neben mir zu
Boden.
Mein Herz schlägt so heftig, dass es schmerzt.
Ich höre jemanden keuchen, es dauert eine Weile,
bis ich begreife, dass ich selbst es bin, ich
204/221
starre Harrys Leiche an, erwarte, jeden Augen-
blick den tödlichen Schuss zu hören, der für mich
bestimmt ist …
Ich schreie, als jemand meinen Arm packt und
mich
auf
die
Beine
zerrt,
es
ist
einer
von
Alvarez‘
Leibwächtern.
Alvarez
tritt
dicht
an
mich
heran,
fasst
eine
meiner
blonden
Haarsträhnen
und
zwirbelt
sie
zwischen
seinen
Fingern.
„Worauf
wartest
du,
ese?“,
zischt
der
Politiker hinter ihm.
Alvarez
schnuppert
nachdenklich
an
meinem
Haar, und der Ausdruck auf seinem Gesicht ver-
ändert sich.
Meine Beine zittern, mir dreht sich der Magen
um. Oh Gott, was haben diese Männer mit mir vor?
„Vielleicht
haben
wir
noch
Verwendung
für
sie.“ Alvarez greift unter mein Kinn und sieht
mich an. „Eine blonde, weiße Frau … sie könnte
unserem amerikanischen socio gefallen.“
„Finde eine andere, um deinen Geschäftspartner
zufriedenzustellen.“
Der
Politiker
stößt
die
Worte zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
„Wie ich höre, verfügt ihr über ausreichend weib-
liche Gesellschaft.“
Ich ahne, dass er auf die entführten Frauen
anspielt, die aus den nahegelegenen Dörfern der
Koka-Plantagen verschwunden sind. Ihr Schicksal
kümmert niemanden, die Polizei wird vom Kartell
entweder
bezahlt
oder
erpresst,
um
den
Ent-
führungen nicht nachzugehen.
„Kolumbianische chicas, amigo, sind nicht der
Geschmack unsers socio“, erwidert Alvarez. „Viel-
leicht
wird
eine
Amerikanerin
ihn
bei
Laune
halten.“
205/221
„Ihr dürft sie nicht am Leben lassen“, zischt
der Politiker.
Alvarez grinst bösartig. „Keine Sorge. El Di-
ablo hat noch keine am Leben gelassen.“ Er wendet
sich seinen Männern zu. „Nehmt sie mit!“
Oh Gott. Mir ist so schlecht, dass ich kaum
Luft kriege. Ich sitze mit gefesselten Händen in
einem
Jeep,
eingeklemmt
zwischen
Alvarez‘
be-
waffnete Männer, auf dem Weg in das Camp der
Kokainhändler.
Ich weiß nicht, was sie mit Phil und den an-
deren gemacht haben, wahrscheinlich haben sie die
Leichen irgendwo im Dschungel verscharrt, so dass
niemand
sie
jemals
finden
wird.
Niemand
wird
jemals erfahren, was mit uns geschehen ist. Nach
Alvarez‘ Worten ist mir klar, dass ich das Dro-
gencamp nicht
lebend verlassen werde, und wenn
es wahr ist, was er über diesen Mann gesagt hat,
dem ich ausgeliefert werden soll – dann wünsche
ich
mir,
dass
sie
mich
ebenfalls
erschossen
hätten.
Alvarez
scheint
sich
sicher
zu
sein,
dass
dieser Geschäftspartner mich töten wird … doch
was wird er mir noch antun? Sie nennen ihn El Di-
ablo. Oh Gott, bestimmt trägt er diesen Spitzna-
men nicht umsonst.
Nach stundenlanger Autofahrt erreichen wir das
Camp. Es ist riesig, viel größer, als ich es mir
vorgestellt
habe.
In
Wellblechhütten
sehe
ich
Dutzende von Arbeitern, die die Koka-Ernte ver-
arbeiten und zum Abtransport fertig machen, es
scheint eine straff organisierte Maschinerie zu
sein.
LKWs
werden
beladen,
überall
bewaffnete
206/221
Wachen,
Alvarez
hat
genug
Männer,
um
einen
Kleinkrieg anzufangen.
Der Jeep hält an, ich werde herausgezerrt und
durch das Camp geschleift. Wir sind umgeben von
Koka-Plantagen, so weit das Auge reicht, und ich
weiß, dass dahinter nichts als Dschungel ist,
tausende Quadratkilometer Urwald. An eine Flucht
ist nicht zu denken.
Die Wachen stoßen mich in einen Verschlag und
sperren mich ein. Es ist eine kleine Wellblech-
hütte mit vernagelten Fenstern, ich rappele mich
sofort auf die Beine und blinzele, ich kann kaum
etwas
sehen,
meine
Augen
sind
nicht
an
die
Dunkelheit gewöhnt.
Was werden sie mit mir machen? Werden sie mich
diesem
socio,
diesem
Geschäftspartner,
sofort
ausliefern?
Plötzlich ertönt hinter mir ein Schluchzen,
ich fahre zusammen und wirbele herum. Verdammt,
wenn ich doch nur besser sehen könnte! Schemen-
haft
nehme
ich
die
Umrisse
einiger
Gestalten
wahr, die in den dunklen Ecken kauern.
Andere Gefangene?
„Hallo?“ Vorsichtig taste ich mich voran, ver-
suche, endlich etwas zu erkennen. „Wer seid ihr?“
Ein Schluchzen, dann eine weibliche Stimme:
„Halt den Mund!“ Die Frau spricht Spanisch, ich
höre, wie sie aufsteht und auf mich zukommt. Als
sie aus den Schatten tritt, kann ich sie endlich
erkennen.
Sie ist Kolumbianerin, jünger als ich … und
sie ist fast nackt. Sie steht in BH und Slip vor
mir, mustert mich misstrauisch, die Arme vor der
Brust verschränkt. „Wer bist du?“
207/221
„Mein … mein Name ist Helena.“ Meine Stimme
klingt belegt.
„Rita“, antwortet sie kalt. „Wo haben sie dich
entführt?“
Ich schlucke und erzähle ihr, was mir und
meinem
Team
geschehen
ist.
„Sie
kommen
damit
nicht davon. Ich bin Amerikanerin, sie können
nicht …“
„Doch, sie können. Und sie werden. Komm hier
rüber.“ Rita zieht mich zu dem vernagelten Fen-
ster und deutet durch einen Spalt nach draußen.
Ich sehe Arbeiter, die LKWs beladen, und be-
waffnete Wachen, die die Arbeiter zur Eile an-
treiben. Alvarez kann ich nirgends entdecken.
„Wo sind wir hier?“, frage ich leise.
„Im größten Umschlagplatz der Martinez.“
„In der Hölle“, flüstert ein Mädchen aus den
Schatten, ihre Stimme klingt erstickt.
„Ihr seid die Frauen, die aus den Dörfern ent-
führt worden sind, nicht wahr?“, frage ich. Rita
nickt.
Im
schmalen
Lichtkegel,
der
durch
den
Spalt hereindringt, sehe ich, dass ihr Gesicht
blau geschlagen ist.
Außerdem hat sie Verletzungen am ganzen Körp-
er, Schnitte und Brandwunden, als hätte jemand
Zigarren auf ihrer Haut ausgedämpft.
„Wie viele Frauen werden hier gefangen gehal-
ten?“ Meine Augen gewöhnen sich langsam an die
Dunkelheit, ich blicke in den hinteren Bereich
des Verschlags, wo die anderen Frauen im Schatten
kauern.
„Acht. Als ich hergebracht wurde, waren es
noch elf.“
Oh Gott.
208/221
Ich will die nächste Frage nicht aussprechen,
doch sie brennt wie Säure auf meiner Zunge. „Was
… was tun sie euch an?“
Ein
mitleidiger,
harter
Ausdruck
tritt
in
Ritas Gesicht. „Willst du das wirklich wissen?“
Ich schlucke, mein Mund ist trocken.
„Dasselbe, was sie dir antun werden.“ Ritas
Stimme klingt merkwürdig tot. Hinter mir beginnen
die Mädchen wieder zu weinen.
Ich starre auf den Boden. „Sie haben dich
misshandelt.“
„Ich habe Glück, noch am Leben zu sein“, zis-
cht Rita. Dann streckt sie die Hand nach einem
der Mädchen aus. „Juanita! Komm her.“
Während das Mädchen sich auf die Beine stemmt
und langsam zu uns schlurft, fixiert mich Rita.
„Weißt du, was sie uns antun, wenn sie nicht mit
uns zufrieden sind?“
Nicht
zufrieden?
Ich
muss
mich
gleich
übergeben. „Was meinst du damit?“, wispere ich
entsetzt. „Erwarten sie, dass wir so tun, als ob
es uns gefällt, wenn sie uns … uns …“ Ich bringe
das Wort nicht über die Lippen.
„Vergewaltigen? Missbrauchen? Über uns herfal-
len,
uns
besteigen
wie
Tiere?“
Ritas
direkte
Worte treiben mir die Tränen in die Augen. „Ja,
cara, genau das erwarten sie. Denn wenn wir es
nicht tun, dann …“
„Was dann? Schlagen sie uns? Quälen sie uns?
Hast
du
daher
die
Prellungen
und
die
Brandwunden?“
„Nein“, zischt Rita. „Die habe ich, weil ich
gut bin. Ich bin noch am Leben, weil ich gut
bin.“
209/221
Erschüttert und angewidert weiche ich einen
Schritt zurück. Diese Frau macht sich zur Hure
dieser Schweine, um am Leben zu bleiben?
„Ich
ziehe
es
vor,
umgebracht
zu
werden“,
flüstere ich tonlos. Ich weiß nicht, ob das die
Wahrheit ist, aber in diesem Augenblick empfinde
ich es so. Ich könnte mich niemals von diesen
Kerlen vergewaltigen lassen und dabei so tun, als
würde es mir gefallen …
Meine Hände sind kalt und schweißnass, mein
Körper zittert.
Rita fasst Juanitas Arm, das Mädchen steht
schwankend neben uns, kann sich kaum auf den
Beinen halten. Auch sie trägt bloß Unterwäsche,
sieht abgemagert und gehetzt aus, verängstigt und
gebrochen.
„Glaubst du, ich nicht?“ Ritas Worte sind ein
Flüstern, aber sie schneiden wie Klingen durch
den Raum. „Umgebracht zu werden ist eine Gnade,
die uns nicht gewährt wird, cara. Wenn du sie
nicht
zufriedenstellst,
dann
passiert
das
mit
dir.“ Sie streckt mir Juanitas Arm hin.
Ich erstarre, als ich die Nadeleinstiche an
den Venen des armen Mädchens sehe.
„Genau“, zischt Rita. „Sie machen dich ab-
hängig, und dann verkaufen sie dich an Bordelle
im Süden. Eine drogenabhängige Hure.“ Sie lässt
Juanitas Arm los, das Mädchen taumelt und sinkt
gegen die Wand.
Der Boden unter mir gibt nach, der Verschlag
dreht sich. Blut rauscht in meinen Ohren, ich
muss
meine
ganze
Willenskraft
aufbringen,
um
aufrecht stehenzubleiben.
„Wie lange … bist du schon hier?“ Meine Stimme
ist kaum noch ein Keuchen.
210/221
„Seit drei Monaten.“
Meine Kehle schnürt sich zusammen, ich kriege
keine Luft mehr. Ich kralle meine Finger in das
vernagelte Fenster, suche Halt, suche irgendet-
was, das mich aus diesem Albtraum aufweckt …
Rita
lehnt
sich
an
die
Wand.
Ihre
Stimme
klingt hart. „Je weiter oben in der Rangordnung
sie stehen, desto brutaler sind sie. Und Alvarez
ist der Schlimmste.“
Ich
schlucke,
um
überhaupt
ein
Wort
her-
vorzubringen. „Sie … sie haben mich für einen
Kerl namens El Diablo geholt.“
Rita,
die
gefühlskalte,
abgebrühte
Rita,
erbleicht. Doch sie fasst sich schnell wieder und
setzt
ihre
undurchdringliche
Maske
auf.
„Dann
hast du Glück, cara. El Diablo ist der einzige
Weg hier raus.“
Mein Herz schlägt schneller. „Was meinst du
damit?“
„Ich habe mich geirrt, Alvarez ist nicht der
Schlimmste.“ Rita schlendert zurück in die Schat-
ten und lässt sich an der Wand entlang zu Boden
sinken. „Die Mädchen, die zu El Diablo geschickt
worden sind … “ Sie starrt mich an, mit einer
seltsamen Mischung aus Mitleid und Neid in den
Augen. „Keines von ihnen ist je zurückgekehrt.“
Kapitel 2
Ich kauere an der Wand, die Arme um meine Knie
geschlungen und bete, dass das alles bloß ein
211/221
schrecklicher Albtraum ist. Dass es nicht wirk-
lich geschehen ist. Dass ich aufwache, in meinem
Feldbett in der Forschungsstation, dass Harry ir-
gendetwas fallen lässt und Phil eine seiner an-
züglichen Bemerkungen mir gegenüber macht … doch
ein Teil von mir weiß, dass das nicht geschehen
wird.
Harry, Phil und Charly sind tot. Ihre Leichen
verrotten
irgendwo
im
Dschungel,
und
niemand
weiß, dass ich hier bin, niemand wird mich suchen
oder mir zu Hilfe kommen.
Mein Blick flackert wieder zu den Mädchen, die
apathisch im Verschlag kauern. Jetzt, da sich
meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben, sehe
ich, wie schlimm sie zugerichtet sind. Geschla-
gen, gequält … und Juanita scheint nicht die Ein-
zige zu sein, deren Arme zerstochen sind.
Ich kann die Tränen nicht zurückhalten, die
mir über die Wangen laufen. Ich streiche über
meine eigenen Unterarme, frage mich, ob man mir
das Gleiche antun wird. Ich habe nie in meinem
Leben Drogen genommen, kann mir nicht einmal vor-
stellen, was es bedeutet, abhängig zu sein. Alles
zu tun, die Beine für jeden Freier breitzumachen,
nur um den nächsten Schuss zu kriegen …
Angst schüttelt meinen Körper. Ich umklammere
meine Knie, um das Beben zu unterdrücken. Was
wird dieser Dreckskerl mir antun? Ist es wahr,
was Rita gesagt hat?
Der einzige Weg hier raus … ist der, von El
Diablo umgebracht zu werden?
Es muss irgendeine andere Möglichkeit geben.
Ich muss doch irgendetwas tun können, um zu ver-
hindern, dass ich in die Gewalt dieses Psychopa-
then
gelange!
Wenn
Schläge
und
ausgedämpfte
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Zigarren
hier
als
Vorspiel
betrachtet
werden,
dann will ich mir nicht ausmalen, was diese Män-
ner unter quälen verstehen.
Langsam formt sich eine Idee in meinem Kopf,
und sie macht mir eine Scheißangst. Doch egal,
wie ich es drehe und wende, es scheint der ein-
zige Ausweg zu sein.
Ich weiß bloß nicht, ob ich mutig genug sein
werde, um es durchzuziehen.
Plötzlich wird der Verschlag aufgeschlossen.
Ich komme hastig auf die Beine, drücke mich an
die Wand, als zwei bewaffnete Männer hereinkom-
men. Ist es jetzt soweit, werden sie mich zu El
Diablo bringen? Doch ich bin es nicht, die sie
holen, sie zerren zwei weinende Mädchen auf die
Beine und schleifen sie aus dem Verschlag, ohne
uns andere zu beachten.
Mein
Herz
schlägt
wie
verrückt,
ich
fühle
meine Halsschlagadern pochen, während die Männer
den Verschlag wieder zusperren. Ich will nicht
darüber nachdenken, was mit diesen armen Mädchen
geschehen wird, ich verachte mich selbst dafür,
einfach nur erleichtert zu sein, dass ich ver-
schont wurde …
Aber mir ist klar, dass mir nicht mehr viel
Zeit bleibt. Jeden Augenblick könnten die Wachen
wiederkommen, und das nächste Mal könnte ich es
sein, die sie mitnehmen.
Ich zwinge mich, langsamer zu atmen, um mich
zu
konzentrieren.
Ich
muss
diese
Entscheidung
treffen, obwohl mir bei dem Gedanken schon wieder
die Tränen in die Augen schießen.
Wenn sie kommen, um mich zu holen, dann werde
ich versuchen, zu fliehen.
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Ich
werde
die
Wachen
treten,
beißen,
ganz
egal,
aber
ich
werde
mich
losreißen
und
davonlaufen.
Ich presse meine Lippen fest zusammen und un-
terdrücke ein Schluchzen. Ich weiß, dass sie mich
dann erschießen werden.
Genau das ist es, was ich erreichen will.
Lieber schnell sterben, als von einem Sadisten zu
Tode gequält zu werden.
Ich
weiß,
dass
mir
nur
diese
eine
Chance
bleibt: Ich muss den Fluchtversuch wagen, bevor
ich El Diablo ausgeliefert werde, und ich bete
stumm, dass ich die Kraft haben werde, die Sache
durchzuziehen.
Der Abend bricht herein, ohne dass die Wachen
wiederkommen.
Im
Verschlag
ist
es
dunkel
und
stickig, es gibt kein elektrisches Licht, kein
Wasser, keine Toiletten.
Die
Mädchen
schweigen,
manche
weinen,
aber
meistens ist es still.
Diese Stille bringt mich um den Verstand. Ich
kann nichts tun als zu warten, in dem Wissen,
dass es meinen Tod bedeuten wird, wenn die Wachen
kommen.
Hätte ich mich doch bloß nie für dieses ver-
dammte Forschungsprojekt beworben. Kolumbien. Was
habe ich mir nur dabei gedacht?
Ich denke an meine Freunde, meine Eltern, mein
Leben daheim. Es wird sie umbringen, nicht zu
wissen, was mit mir geschehen ist. Ich denke auch
an das Leben, das ich nie haben werde: Einen
Ehemann, Kinder, eine eigene Familie. Das alles
wird nie wahr werden, nur weil ich diesen verdam-
mten Projektvertrag unterschrieben habe.
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Ob es sehr weh tut, erschossen zu werden? Ich
hoffe, dass sie auf meinen Kopf zielen und es
schnell vorbei sein wird. Was für eine gestörte
Hoffnung!
Trotz
der
beschissenen
Situation
verziehen sich meine Lippen in der Dunkelheit zu
einem zynischen Lächeln.
Haben Sie noch einen letzten Wunsch?
Ja. Zielen Sie auf meinen Kopf, bitte.
Himmel, in was für eine Scheiß-Situation hast
du dich da gebracht, Helena?
Ich erstarre, als der Verschlag aufgeschlossen
wird und die Wachen eintreten. Einen Augenblick
lang hoffe ich, dass sie nicht mich mitnehmen,
doch diesmal kommt einer von ihnen auf mich zu,
zerrt mich auf die Beine und schleift mich mit
sich.
Mein Körper ist völlig gefühllos, während ich
hinter dem Mann herstolpere. Jetzt ist es also
soweit. Gleich werde ich sterben.
Falls
ich
es
schaffe,
meinen
Plan
durchzuziehen.
Draußen ist es bereits Nacht. Flutlichtschein-
werfer beleuchten das Camp, die Arbeit scheint im
Schichtdienst weiterzugehen. Die Wachen schleppen
mich zwischen den Wellblechhütten durch, ich sehe
Arbeiter,
LKWs
und
bewaffnete
Männer.
Ein
Fluchtversuch wäre reiner Selbstmord.
Du schaffst das, Helena. Irgendwie wirst du
das schaffen. Du musst einfach.
Die Wachen schleifen mich quer durch das Camp
auf eine Wellblechhütte zu, vor der ein teurer
Geländewagen steht und Leibwächter patrollieren.
Das muss das Quartier der Bosse sein. Wenn ich
erst dort bin, ist es zu spät.
Jetzt oder nie, Helena.
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Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und trete
dem Mann, der mich festhält, mit aller Kraft ge-
gen das Knie. Ein scheußliches Knacken, der Mann
stößt einen Fluch aus und lässt mich los, und ich
renne um mein Leben.
Hinter mir höre ich, wie die Leibwächter sich
gegenseitig etwas zurufen, aber ich renne weiter,
so schnell ich kann. Plötzlich kracht ein Schuss,
ich spüre keinen Schmerz, ich renne noch immer,
haben sie mich etwa verfehlt?
Habe
ich
tatsächlich
eine
Chance,
zu
entkommen?
Ich renne schneller, sie sind hinter mir her,
verfolgen mich, ich höre ihre Schritte, schlage
einen Haken um einen LKW – und pralle gegen einen
großen, harten Körper, eine Wand aus Muskeln.
Ich
werde
zurückgeworfen,
der
Aufprall
schleudert mich zu Boden, ich lande keuchend im
Dreck und blicke erschrocken auf.
Vor mir steht ein breitschultriger, fast zwei
Meter großer Mann, flankiert von zwei bewaffneten
Wachen. Er selbst trägt ein Halfter mit Messern
und einer Pistole am Gürtel, und blickt auf mich
herunter. Eine gefährliche, tödliche Stille geht
von ihm aus, wie von einem Raubvogel, bevor er
unerwartet zuschlägt. Ich weiß nicht, ob er mich
erschießen wird, kauere vor ihm, als die anderen
Wachen uns erreichen.
„Vergebung!“,
keucht
einer
von
ihnen.
„Wir
wollen sie gerade zu Ihnen bringen …“
Oh Gott … ist das etwa der Mann, dem ich aus-
geliefert werden sollte? Ist das El Diablo?
„Das war nicht die Art und Weise, wie ich dir
mein Geschenk übergeben wollte.“ Alvarez‘ Stimme
ertönt plötzlich hinter uns.
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Ich kauere noch immer auf dem Boden, wage es
nicht, aufzustehen, als der kolumbianische Boss
an uns herantritt.
„Ich hatte gehofft, sie würde deinen Geschmack
treffen und dir ein wenig Zerstreuung bieten.“
Ich blicke den großen Mann scheu an, der bei
Alvarez‘ Worten keine Miene verzieht. Er sieht
nicht
kolumbianisch
aus,
er
könnte
Amerikaner
sein … sein Dreitagebart verdeckt die Narben auf
seinem Gesicht, und er hat stechende, grüne Au-
gen, mit einem eiskalten Ausdruck.
Das ist er, daran besteht kein Zweifel. El Di-
ablo.
Ich
habe
es
fertiggebracht,
bei
meinem
Fluchtversuch direkt in seine Arme zu laufen.
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Urban Warriors, Band 1: Leon
Dass
Katies
Chefredakteur
ihr
aus
heiterem
Himmel einen neuen Fotografen zur Seite stellt,
passt Katie gar nicht. Noch dazu ist sie gerade
an einer heißen Spur in der Story dran, an der
sie seit Wochen arbeitet. Katie wird nicht zu-
lassen, dass der Neue ihr die Sache vermasselt,
auch wenn der mürrische Hüne verdammt gut aus-
sieht. Die Recherchen entpuppen sich jedoch als
brandgefährlich und Katie kommt bald der Ver-
dacht, dass ihr neuer Kollege gar kein Fotograf
ist. Als sie beide in die Fänge mexikanischer
Waffenhändler
geraten,
zeigt
Leon
sein
wahres
Gesicht: Er ist eine Kampfmaschine, gnadenlos und
tödlich. Als einzige Frau in einem Verlies voller
Männer, in dem nur das Recht des Stärkeren gilt,
ist Katie plötzlich von Leons Schutz abhängig.
Der Elitekämpfer Leon wird vom Urban Warrior
Corps
entsendet,
um
eine
junge
Reporterin
zu
beschützen. In Gefangenschaft in einem mexikanis-
chen Arbeitslager muss Leon sich die Alpha-Posi-
tion unter den Männern erkämpfen, um seinen Ans-
pruch auf Katie geltend zu machen. Die vorher so
kratzbürstige junge Frau zittert jetzt vor ihm,
weil sie weiß, dass sie ihm ausgeliefert ist …
Thriller Romance – ein erotischer Liebesroman
Urban Warriors, Band 2: Draco
Lilly reist mit ihrem Chef nach Moskau, um an
einer
Konferenz
für
Softwareprogrammierer
teilzunehmen, nicht ahnend, dass sie in einem
russischen Militärgefängnis landen wird. Man ver-
wehrt ihr jeden Kontakt zur Außenwelt und wirft
ihr vor, antirussische Rebellen zu unterstützen.
Lilly
beteuert
verzweifelt,
nichts
mit
den
Machenschaften ihrer Firma zu tun zu haben, aber
das Militär ist bereit, die Informationen mit Ge-
walt aus ihr herauszuholen. Sie ist dem Offizier,
der die Wahrheit aus ihr herausfoltern soll, hil-
flos ausgeliefert – doch der Soldat entwickelt
eine Schwäche für die wehrlose Frau. Wird es
Lilly
gelingen,
ihn
von
ihrer
Unschuld
zu
überzeugen?
Draco, der gefühlskalte, tödliche Einzelgänger
unter den Urban Warriors, wird ins russische Mil-
itär eingeschleust, um zu verhindern, dass der
entführte Boss einer amerikanischen Softwarefirma
die falschen Geheimnisse ausplaudert. Doch als
eine
unschuldige
PR-Assistentin
zwischen
die
Fronten gerät, gefährdet Draco seine Mission und
sogar sein eigenes Leben, um die junge Frau zu
beschützen …
Thriller Romance – ein erotischer Liebesroman
ÜBER DIE AUTORIN
Lea T. Earl schreibt erotische Liebesromane
mit
starken
männlichen
Hauptfiguren
und
Heldinnen, die über sich hinauswachsen.
Bereits erschienen:
Urban Warriors, Band 1: Leon
Urban Warriors, Band 2: Draco
Urban Warriors, Band 3: Remus
Weitere Romane sind in Vorbereitung.
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