Wald Stephan Hungergala Kohl Rede zum Welthunger


Stephan Wald

Hungergala - Kohl-Rede zum Welthunger (1986)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß ich heute abend zu Ihnen gekommen bin, das ist für mich als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland mehr als eine der täglichen Pflichten, sondern das geschieht aus persönlicher Neigung.

Was in dieser Stunde geschieht, führt uns allen in eindrucksvoller Weise vor Augen, daß der Kapitalismus mit menschlichem Gesicht oder - wie die Weltökonomen sagen - „the capitalism with a human face“ keine Phrase ist. Ich finde es eine blanke Selbstver­ständlichkeit, in Anbetracht des Welthungers nicht lange um den heißen Brei zu reden. In dieser ganz konkreten Notlage geht es einzig und allein darum, daß wir ein Land wie Ogadesch, das heimgesucht worden ist von einer Dürrekatastrophe, nicht im Regen stehen lassen. Und deshalb habe ich ohne Zögern die Schirmherrschaft über­nommen.

In diesen Tagen ging ein preisgekröntes Foto durch die Zeitungen, das uns alle tief bewegt hat. Das Kind verhungert der Mutter im Arm. Hunger ist ein schreckliches Gefühl. Darauf habe ich bereits während des vorletzten Weltwirtschaftsgipfels in Bonn als Gastgeber im Speisesaal von Schloß Falkenlust in meiner Tischrede hingewiesen, und auf dem vergangenen Weltwirtschaftsgipfel in Tokio haben Präsident Reagan und ich - und ich sag' das in aller Bescheidenheit - in einem Gespräch unter vier Augen - oder, wie die Amerikaner sagen: „under four eyes“ - sehr intensiv auch über die Über­windung des Wirtschaftsgefälles der armen und reichen Nationen gesprochen.

Präsident Reagan erläuterte mir dabei die sogenannte Pferde-Spatz-Theorie des großen amerikanischen Volkswirtschaftlers John Kenneth Galbraith. Der Kernsatz dieser Pferde-Spatz-Theorie lautet: Man muß die Pferde - sprich Industrienationen - kräftig füttern, dann fällt für die Spatzen - sprich Entwicklungsländer - auch etwas ab. Das heißt also: Für die Entwicklungsländer ist entscheidend, was hinten rauskommt.

Präsident Reagan und ich sind zwei Männer mit einem ganz klaren Koordinatensy­stem. Das erleichtert selbstverständlich unseren ständigen Meinungsaustausch. Es vergeht kaum ein Monat, in dem ich nicht telefonisch oder brieflich meine Meinung gegen die seine austausche.

Auf der ministeriellen Ebene etwa zwischen Manfred Wörner und dem amerikanischen Verteidigungsminister Caspar Weinberger ist es nicht viel anders. Nicht zuletzt deshalb erfreut sich ja der Manfred Wörner der besonderen Wertschätzung des ameri­kanischen Präsidenten.

Ronald Reagan hat dem gerade neulich in einem sehr persönlich geführten Telefonge­spräch mit mir auf geradezu bewegende Weise noch einmal Ausdruck verliehen mit einem Satz, den ich, obwohl er ihn auf Englisch gesagt hat, ohne jede Erinnerungs­lücke auswendig behalten habe: Er sagte wörtlich: „Wörner is not Weinberger, but he is my Kasper.“

Die US-Airforce und die Bundesluftwaffe mit Hilfsgütern auf dem Weg nach Ogadesh - einen positiveren Zusammenhang zwischen Hunger und Rüstung kann es nicht geben. So gewinnen wir Freunde in der Dritten Welt und stellen sicher, daß diese Länder weiterhin ihre Funktion als Rohstofflieferanten und Absatzmärkte erfüllen können. „Hilfe als Selbsthilfe“, das ist der Grundsatz, von dem wir uns leiten lassen.

Auch die Zusammenarbeit der Banken mit den Entwicklungsländern beruht auf Part­nerschaft und Vertrauen. Kredit - die Lateiner unter Ihnen wissen das - heißt ja über­setzt `Vertrauen'. Die Banken begleiten ihre Dritte-Welt-Kunden, die immer wieder zusätzliche Kreditmittel beziehungsweise - wie es in der Bankierssprache heißt - „fresh money“ anfordern ... die Banken begleiten ihre Dritte-Welt-Kunden sozusagen von der Wiege bis zur Bahre.

Unsere Entwicklungspolitik ist besser als ihr Ruf. Unser Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit - na, wie heißt er noch gleich - Jürgen Warnke orientiert sich strikt an seinem Amtseid, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren. In unserem Land, wo wir begünstigt sind durch - wenn ich das einmal so formulieren darf - die Gnade der Geburt am rechten Ort, muß gottlob keiner hungern, auch wenn unverbesserliche Nörgler und Krakeeler nicht müde werden, das Schlagwort von einer angeblichen Neuen Armut im Munde zu führen. Ich finde es unerträglich. Nie zuvor sind so viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland in den Genuß von Sozialhilfe gekom­men wie heute. Angesichts der Nahrungsmittelknappheit in vielen Ländern wird auch jegliche Umweltgift-Hysterie hierzulande ad absurdum geführt. Ja, wo leben wir denn eigentlich, wo sind wir denn hingeraten, wenn ein bestimmter Kloaken-Journalismus gezielte Verunsicherung betreibt mit der Behauptung, afrikanische Asylbewerber bzw. Hungerflüchtlinge seien in einem oberpfälzischen Sammellager in den Hungerstreik getreten, weil sie gesehen hätten, daß in der dortigen Großküche Schweinelebern und Kalbsnierchen mit Magneten aus dem Topf gezogen wurden. Dabei weiß doch jedes Schulkind aus dem Chemieunterricht, daß Schwermetalle Kadmium, Blei usw. über­haupt nicht magnetisch sind.

Das ist, ebenso wie die Tschernobyl-Ist-Überall-Kampagne - obwohl Tschernobyl in Rußland liegt und wir hier wirklich kein einziges Atomkraftwerk haben, das 2.000 km entfernt liegt - das alles ist Teil einer großen Kampagne, die darauf abzielt, diese Regierung zu stürzen und die optimistische Aufbruchsstimmung, in der die wohlha­bende Mehrheit der Deutschen sich befindet, zu schwächen! Nichtsdestotrotz, auf der Achterbahn der Konjunktur geht es auch weiterhin nach oben.

Auch die Arbeitslosen werden, davon bin ich zutiefst überzeugt, allmählich zurückge­hen - nach Jugoslawien, nach Griechenland, in die Türkei usw. Und wer Arbeit hat, braucht inzwischen keine Angst mehr zu haben, sie zu behalten. Leider, und ich muß das noch einmal so lapidar in diese Stunde hineinsprechen, leider gibt es jedoch immer noch eine ganz beachtliche Zahl von Leuten, die es schaffen, jeglicher Arbeit auszu­weichen und zu Lasten der Allgemeinheit zu leben, und da spreche ich nun wirklich aus eigener Erfahrung.



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