gniigen verwehren, młr mit Hilfe von Kohlengas, Rasier-messcr oder Pistole die Wiederholung eines Prozesses zu ersparen, dessen bitterc Schmerzlichkeit ich nun wahrlich oft and tief genug hatte auskosten miissen. Nein, bei allen Teufeln. es gab keine Macht in der Welt, die von mir ver-langen konnte, nochmals eine Selbstbegegnung mit ihren Todesschauern und nochmals eine Neugestaltung, eine neue Inkamation durchzumachen, dereń Ziel und Ende ja nicht Friede und Ruhe war, sondern nur immer neue Selbstvernichtung, immer neue Selbstgestaltung! Mochte der Selbstmord dumm, feig und schabig, mochte er ein un-riihmlicher und schmachvoller Notausgang sein - aus die-ser Miihle der Leiden war jeder, auch der schmahlichste Ausgang innig zu wiinschen, hier gab es kein Theater des Edelmuts und Heroismus mehr, hier war ich vor die einfa-che Wahl gestellt zwischen einem kleinen fluchtigen Schmerz und einem unausdenklich brennenden, endlosen Leid, Oft genug in meinem so schwierigen, so verriickten Leben war ich der edle Don Quichotte gewesen, hatte die Ehre dem Behagen und den Heroismus der Vernunft vorge-zogen. Genug und Schlufi damit!
Der Morgen gahnte schon durch die Scheiben, der bleierne verdammte Morgen eines Winterregentages, ais ich endlich zu Bett kam. Ins Bett nahm ich meinen EntschluB mit. Ganz zu auBerst aber, an der letzten Grenze des Be-wufitseins im Augenblick des Einschlafens, blitzte sekun-denschnell jenc merkwiirdige Stelle des Steppenwolfbiich-leins vor mir auf, wo von den „Unsterblichen" die Rede war, und damit verband sich die aufzuckende Erinnerung daran, daB ich manche Małe und erst noch vor kurzem mich den Unsterblichen nah genug gefiihlt hatte, um in einem Takt alter Musik die ganze kiihle, helle, han lachelnde Weisheit der Unsterblichen mitzukosten. Das tauchte auf, glanzte, erlosch, und schwer wie ein Berg legte sich der Schlaf auf meine Stirn.
Gegen Mittag erwacht, fand ich in mir alsbald die geklane Situation wieder, das kleine Buchlcin lag auf dem Nacht-tisch und mein Gedicht, und freundlich kiihl blickte aus dcm Wirrsal meines jiingsten Lebens mein EntschluB mich an, iiber Nacht im Schlafe rund und fest gcworden. Eile tat nicht not, mein TodesentschluB war nicht die Laune eincr
Stunde, er war eine reife, haltbare Frucht, langsam gewach-sen und schwer geworden, vom Wind des Schicksals leis ge-schaukelt, desscn nachster StoB sie zum Fallen bringen mufite.
Ich besafi in meiner Reiseapotheke ein vorzugliches Mittel, um Schmerzen zu stillen, ein besonders starkes Opiumpra-parac, dessen GenuB ich mir nur schr scltcn gónntc und oft monatelang vorenthielt; ich nahm dies schwer betaubende Mittel nur dann, wenn kórperliche Schmerzen mich bis zur Unertraglichkeit plagten. Zum Selbstmord war es leider nicht geeignet, ich hatte dies vor mehrercn Jahren einmal ausprobiert. Da hatte ich in einer Zeit, ais wieder einmal Verzweiflung mich umgab, eine hiibsche Menge davon ge-schluckt, genug, um sechs Menschen zu tóten, und es hatte mich doch nicht getótet. Ich schlief zwar ein und lag einige Stunden in vollkommener Betaubung, wurde dann aber, zu meiner furchtbaren Enttauschung, durch heftige Zuckun-gen des Magens halb erweckt, erbrach, ohne ganz zu mir zu kommen, das ganze Gift und schlief wieder ein, um in der Mitte des nachsten Tages endgiiltig aufzuwachen, zu einer grauenhaften Niichternheit, mit verbranntem, leerem Ge-hirn und fast ganz ohne Gedachtnis. Aufier einer Periode von Schlaflosigkeit und lastigen Magenschmerzen blieb keine Wirkung des Giftes ubrig.
Dies Mittel also kam nicht in Betracht. Aber ich gab mei-nem Entschlufi nun diese Form: sobald es mit mir wieder dahin kommen wiirde, daB ich zu jenem Opiat greifen mufite, sollte es mir erlaubt sein, statt dieser kurzeń Erló-sung die grofie zu schliirfen, den Tod, und zwar einen si-cheren, zuverlassigen Tod, mit der Kugel oder dem Rasier-messer. Damit war die Lagę geklart - bis zu meinem fiinf-zigsten Geburtstag zu warten, nach dem witzigen Rezept des Steppenwolfbiichleins, das schien mir doch allzu lange, es waren noch zwei Jahre bis dahin. Sei es in einem Jahr oder in einem Monat, sei es morgen schon - die Pforte stand offen.
Ich kann nicht sagen, daB der „EntschluB" mein Leben stark verandert hatte. Er machte mich ein wenig gleiehgiiltiger gegen Beschwerden, ein wenig unbcsorgter im Gebrauch von Opium und Wein, ein wenig neugieriger auf die
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