»gemeinsamen«, »fóderativen« oder »Bundes«-kasse am nachsten safi, in die sich der Mehrwert der Arbeiterklasse des gesamten Landes er-gofi. Wenn sich nun aber jemand diesen Mehrwert angeeignet hat, geraubt hat, so war dies nichł das eine oder das andere Volk (die Nation), noch weniger die Arbeiterklasse selbst (dieser oder jener Na-tion, was iibrigens zu hervorheben absurd ist), sondern ihre »Vertre-ter«. Trotzdem ist es mit Rucksicht auf die euphorische Atmosphare heute wichtig, darauf zu verweisen, da in diesem oft kiinstlichen Ent-flammen der Leidenschaften das ausgeworfen wird und an die Ober-flache gelangt, was Marx »den alten Mist« nennt, in der Form des Nationalismus, Chauvinismus, Klerikalismus und des Machtkampfes, des Karrierismus und aller móglichen Formen unterdriickter Ansprii-che und unausgesprochener Ambitionen einzelner Gruppen und Ein-zclner, die iiberzeugt sind, dafi »ihre funf Minuten« gekommen sind, in denen sie im Truben auch fur sich noch etwas einfangen konnen. Aus dieser Grundlage entstehen erst die nationalen Reibungen, denn hier sind auch entflammte Leidenschaften am Werk, es handelt sich aber um das Wesentlichste, um das materielle Interesse, und dabei hórt sich alle »Liebe« auf, sogar dann, wenn (unmittelbar und histo-risch, also klassenhaft) die grundlegenden gemeinsamen Interessen der nationalen Mittelklassen gleich oder sogar gleichbedeutend sind, nam-lich in Beziehung zu anderen Klassen und Gesellschaftsschichten, vor allem der Arbeiterklasse.
Dabei mufi man zwei Dinge vor Augen haben: das eine ist namlich die alltagliche Politik (oder die Quasi-Politik, einerlei), das andere die gleichzeitige ideologische Ebene dieser Politik, was in einer auf-gebrachten, in manchen Augenblicken psychotischen Atmosphare der erhitzten Leidenschaften aller Art, oder in einem Akt, der in einer solchen Atmosphare untemommen wird, nicht mehr klaren lafit, denn eines bedingt, tragt und nahrt das andere und umgekehrt, und so kann man in diesem verwirrten Knauel nicht mehr sehen, erkennen und wissen, wer wen zu was veranlafit, wessen Interessen im Spiel liegen, was wer will, und in welcher Richtung sich die Sache allgemein be-wegt. Am undeutlichsten in diesem Geschehen ist die Tatsache, dafi sich dabei alle auf den Sozialismus und die Arbeiterklasse berufen, und es ist ganz klar, dafi alle diese Positionen und gegensatzlichen Tendenzen (wie auch ganz entgegengestellte Interessen) nicht den An-spruch erheben konnen, Trager und Reprasentanten der sozialisti-schen Bewegung zu sein. Der Teufel ist, wie man so sagt. aus der Fla-sche geschliipft, wer aber soli ihn zuruckjagen?!
Uns interessiert hier vor allem aber »das Verhalten« der Mittel-klasse, denn das ist unser Thema. Ob sie will oder nicht, mufi sich diese Klasse ais das erweisen, was sie wesentlich ist, ihre »wahre hi-storische Physiognomie« zeigen. Deshalb erscheint »ihre Sache« auch in der ihr angepafiten »ideologischen Dimension« und wickelt sich innerhalb von ihr auch ab:
Sobald sich unsere Mittelklasse fester und sicherer auf die eigenen Fiifie stellte, zeigte sie ihre echte Natur: sic wendet sich der ZJergan-Kenheit zu. Damit druckt sie klar ihren historischen Status aus, ihre Rolle, ihre Position, die Wiinsche und »Perspektiven« (ais Retrospek-
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