Alpers, Hans J Hahn, Ronald M Raumschiff Der Kinder Band 4 Bei Den Nomaden Des Weltraums (1977)

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Hans J. Alpers / Ronald M. Hahn

Bei den Nomaden

des Weltraums

Band 4

aus der Reihe

„Raumschiff der Kinder“

ungekürzte Originaledition

der nicht mehr  aufgelegten

Einzelausgabe von 1977

©   Ensslin   &   Laiblin   Verlag   GmbH   &   Co.   KG   Reutlingen   1977.   Sämtliche
Rechte,   auch   die   der   Verfilmung,   des   Vortrags,   der   Rundfunk­   und
Fernsehübertragung,   der   Verbreitung   durch   Kassetten   und   Schallplatten
sowie der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany.

 ISBN 3­7709­0403­6

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Fremder an Bord

Sie lebten in ihrem Raumschiff weit draußen am Rande der Milchstraße.

Dort, wo die Sterne seltener sind als im Zentrum und die Galaxis wie der
flachgedrückte Körper einer Schildkröte aussieht. Ihr Ziel war das nächstge­
legene Sonnensystem. Die große rote Sonne,  von der man wußte, daß sie
Planeten besaß, hatte das Interesse der Besatzung geweckt.

Sie – das waren:
Harpo Trumpff, sechzehn Jahre alt, ein mittelgroßer Junge mit blondem,

lockigen Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel ...

Anca, seine Schwester, nun bald dreizehn, schwarzhaarig und gelegentlich

völlig zu Unrecht als Pummelchen bezeichnet ...

Micel Fopp, vierzehn, dunkelhaarig und mit verträumten braunen Augen.

Ihn umgab eine geheimnisvolle Aura. Obwohl man auf den ersten Blick nur
erkennen konnte, daß er viel zu kurze Arme besaß, weil seine Mutter wäh­
rend   der  Schwangerschaft  ungenügend   erprobte   Medikamente   eingenom­
men hatte. Was man nicht sehen konnte: Micel konnte die Gedanken anderer
Menschen lesen. Und nicht nur die von Menschen ...

Brim   Boriam,   vierzehn   wie   Micel,   ein   Afrikaner   mit   krausem   Haar   und

dunkler Haut. Sein Wissen um den menschlichen Körper, seine Krankheiten
und deren Heilung brauchte sich nicht hinter dem eines irdischen Arztes zu
verstecken   – im Gegenteil.  Das verdankte   er einer  kurzen  Hypnoschulung
durch außerirdische Lebewesen, die auf vielen Planeten der Milchstraße als
Weltraummediziner oder Galaktische Ärzte bekannt waren.

Dieses   Quartett   hielt   sich   gerade   in   der   riesigen   Zentrale   des   riesigen

Raumschiffes auf, dem sie den Namen EUKALYPTUS gegeben hatten.

Die Besatzung bestand nicht aus ihnen allein. Da war zum Beispiel Karlie

Müllerchen, eine wahrhaft aufsehenerregende Erscheinung. Denn der sech­
zehnjährige Karlie überragte mit seinen zwei Metern zwanzig jedes andere
Lebewesen   im   Umkreis   einiger   Lichtjahre.   Den   Riesenwuchs,   die   Fistel­
stimme und den dünnen Kinnbart „verdankte“ er der bedrohlichen Verseu­
chung der Erde. Eine Ursache, die auch für das abweichende Aussehen und
Verhalten der meisten anderen Besatzungsmitglieder verantwortlich war.

Außenseiter gab es an Bord der EUKALYPTUS nicht. Deshalb hatte auch

Karlie niemals seinen Humor verloren. „Irgendwie“, sagte er manchmal, „hat
eben   jeder   seine   Macke.   Hauptsache,   daß   mir   die   Kartoffelpuffer
schmecken!“ Und sie schmeckten ihm wirklich wie sonst nichts auf der Welt.
Seine zweite Liebe galt der Technik. Niemand an Bord konnte es mit seinen
geschickten Fingern aufnehmen, wenn es galt, die komplizierten Steuerappa­
raturen zu bedienen.

Ausgenommen vielleicht Thunderclap Genius, den eine Krankheit an den

Rollstuhl fesselte. Thunderclap war fünfzehn, und er machte ein großes Ge­
heimnis um seinen wahren Namen, den er für noch komischer hielt als den,
unter dem er lebte. Von frühester Jugend an auf den Rollstuhl angewiesen,

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hatte er viel Zeit damit verbracht, wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften
zu lesen. Da er ein gutes Gedächtnis besaß und logische Folgerungen ziehen
konnte, war er lebendiges Lexikon und gewiefter  Denksportler  zugleich. Er
behielt immer den Überblick und konnte organisieren wie kein zweiter.

Harpo, der schon erwähnt wurde, litt unter Platzangst und fürchtete die

Dunkelheit. Ihm wurde leicht schwindlig. Sonst war er okay.

Der kleinste Mann an Bord war Ollie, von dem überhaupt niemand wußte,

wie sein Familienname lautete. Und Ollie war der sicherlich gerechtfertigten
Meinung, daß er als einziger Ollie an Bord sowieso mit keinem verwechselt
werden könne. Im Erfinden von Gruselgeschichten, bei denen sich jedem Zu­
hörer die Nackenhaare sträubten, galt der Dreikäsehoch als unschlagbar.

Ollie   war   ein   Elfjähriger   mit   Strubbelkopf   und   vielen   Fransen   an   der

Trapperhose. Er war ein ziemlich cleverer Bursche – wenngleich er schon den
kleinsten Pickel  auf seiner Haut  für den Beginn  einer  tödlichen  Krankheit
hielt.

Die   beiden   seltsamsten   Wesen   an   Bord   des   Schiffes   waren   Lonzo   und

Trompo. Lonzo war ein Roboter, der keiner sein wollte. Aber er hatte große
Ähnlichkeit   mit  den  elf   übrigen  Robotern   an Bord.   Allerdings   hatte  er  als
einziger eine Persönlichkeit entwickelt und sich schon auf die Seite seiner
heutigen Freunde geschlagen, als es an Bord des Schiffes noch ganz anders
aussah. Zweifellos war bei Lonzo irgendwo eine Schraube locker, da er stän­
dig   behauptete,   ein   ehemaliger   Seeräuber   zu   sein.   Er   erklärte,   bereits   in
jungen Jahren ein Gefährte des Piraten Captain Kidd gewesen zu sein und mit
ihm im fünfzehnten Jahrhundert die damals noch sauberen sieben Weltmee­
re unsicher gemacht zu haben. Auf jeden Fall war er nun ein unersetzlicher
Gefährte für die Raumfahrer auf der EUKALYPTUS.

Nun   zu   Trompo,   einem   Winzling,   der   äußerlich   in   mancher   Beziehung

einem Elefanten ähnlich sah – einem nur kätzchengroßen Elefanten. Er hatte
ein rosarotes, weiches Fell, Miniaturstoßzähne und lange Schlappohren. Aber
Trompo war keineswegs ein Tier. Seine Heimat lag auf einem fernen, uner­
reichbaren Planeten, und nur ein Zufall hatte ihn zunächst auf die Erde und
dann auf die EUKALYPTUS geführt. Er war sehr verspielt, zärtlichkeitsbedürf­
tig und selten ernsthaft.

Die   Zentrale   der   EUKALYPTUS   war   ein   riesiges   Rund   mit   einer   durch­

sichtigen Kuppel darüber. Abgesehen von einigen Lämpchen an den Steuer­
instrumenten herrschte Dunkelheit. Das Licht der Sterne konnte ungehemmt
einfallen und bestimmte die Atmosphäre dieses Raums.

Hier residierte Schwatzmaul, das Bordgehirn. Das heißt, eigentlich steckte

ein Stück von Schwatzmaul  überall an Bord, in jeder kleinsten Elektronik.
Aber in der Zentrale schlug gewissermaßen das Herz dieses Computers. Ohne
ihn wäre die Steuerung der EUKALYPTUS unmöglich gewesen. Als er einmal
für kurze Zeit ausfiel, bahnte sich eine Katastrophe an, denn Schwatzmaul
kontrollierte auch die Versorgung der Decks mit Licht, Luft und Wärme.

Wie der Name schon vermuten läßt, besaß er nicht nur eine Stimme, son­

dern war auch ziemlich vorlaut und geschwätzig. Und das war gut. Die junge

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Besatzung,  die  nach  einem  Unglück  unvorbereitet  das  Schiff  übernehmen
mußte, wäre niemals in der Lage gewesen, die Symbolsprache eines norma­
len Computers zu verstehen und ihm Anweisungen zu geben.

Alexander trat in die Zentrale. Er fehlt noch auf der Liste. Überall behaart,

auch im Gesicht, sah er auf den ersten Blick wie ein kleingebliebener, rotfel­
liger  Alaskabär  aus. Aber er sah wirklich nur so aus. Die Kinder hatten auf
dem Planeten Nordpol, einer Schnee­ und Eiswelt, mit ihm Freundschaft ge­
schlossen. Er war mit ihnen gekommen. So wenig ein Tier wie Trompo, zeich­
nete   er   sich   durch   eine   unersättliche  Wißbegierde  aus.   Nur   mit   der
menschlichen Sprache haperte es noch ein bißchen bei ihm.

Gerade als Alexander den in einem weichen Schwenksitz liegenden Harpo

mit der Nase anstupsen wollte, schrillte eine Alarmklingel. Alexander verharr­
te verdutzt mitten in der Bewegung, während Harpo seinerseits hochfuhr.
Auch Anca, Micel und Brim waren wie elektrisiert.

„Was ist denn los, Schwatzmaul?“ fragte Anca aufgeregt. „Oder wolltest du

uns nur ein bißchen munter machen?“

„Durchaus nicht“, antwortete die sonore  Tonbandstimme  des Computers

und verzichtete dieses Mal auf umständliche Umschreibungen. Gleichzeitig
ließ er die Alarmklingel wieder verstummen. „Ein unerklärlicher Vorfall auf
Deck 16.“

Die große  Bildschirmwand  leuchtete auf und zeigte auf zwanzig kleinen

Monitoren   jene   Teilansichten   von   Deck   16,   die   von   den   Fernsehkameras
erfaßt  wurden. Aber mehr als eine leblose Sandwüste war dort nicht zu er­
kennen.

„Ich  registriere   die   Körperwärme   eines   Wesens   von   etwa   menschlicher

Größe“, erklärte das Bordgehirn. „Leider hält es sich außerhalb des durch die
Kameras  erfaßbaren  Territoriums   auf,   etwas   links   von   diesem   Bildaus­
schnitt.“

Schwatzmaul ließ jetzt nur den erwähnten Ausschnitt in starker Vergröße­

rung auf der gesamten Bildwand erscheinen. Man sah ausschließlich Sand.

„Was macht dieses Wesen? Wo kommt es her?“ wollte Harpo wissen.
„Es verhält sich ganz ruhig, abwartend – wenn ich das so sagen darf. Wenn

mir diese Bemerkung gestattet ist: Ich glaube fast, daß es die Position der
Kamera kennt und sich ihr nicht zeigen will ...“

Harpo lachte laut auf. „Das ist bestimmt wieder so ein Scherz von Ollie.“
„Nein“, kam die Antwort. „Ich  habe alle Besatzungsmitglieder im Bereich

der Kameras auf den verschiedenen Decks. Ollie zum Beispiel füttert gerade
Moritz mit einem großen Stück Fleisch ...“

„Aha!“ grunzte Alexander. „Deshalb heute beim Essen so verdächtige Bewe­

gungen gemacht. Dabei Dackel Moritz sowieso viel zu dick!“

„Karlie  befindet  sich   ...“  wollte  Schwatzmaul   fortfahren,  aber  Harpo   fiel

ihm ins  Wort.  Er  kannte  den  Genauigkeitsfimmel des Gehirns. Jetzt inter­
essierten nur minutiöse Informationen.

„Wir glauben  dir auch   so,  daß es sich  nicht um  ein  Besatzungsmitglied

handelt!“ rief er. „Aber wer könnte es sonst sein? Vielleicht eines der Tiere, die

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wir   bei   unserer   letzten   Expedition   von   dem   Wrack   übernommen   haben?
Nein, nein, das könnte unmöglich auf dieses Deck gelangt sein ...“

„Das Wesen ist weg!“ unterbrach Schwatzmaul.
„Was heißt ,weg‘?“ fragte Brim. „Es bbbb­bb­bewegt sich also irgendwo auf

Deck 16?“

„Weg heißt weg“, beharrte Schwatzmaul. „Ich  kann es nicht mehr wahr­

nehmen, es ist verschwunden. So plötzlich, wie es aufgetaucht ist.“

„Was denn?“ staunte Harpo. „Es ist aus dem Nichts aufgetaucht und jetzt

wieder im Nichts verschwunden? Meinst du nicht auch, daß es wahrscheinli­
cher ist, daß deine Wärmesensoren defekt sind?“

„Ausgeschlossen! Eine Vielzahl meiner  Instrumente  hat die Anwesenheit

des Wesens angezeigt.“

„Du mußt dich irren. Schließlich gibt es keine Raumgeister oder Raumge­

spenster!“

„Da ist es wieder!“ sprudelte Schwatzmaul los. „Dieses Mal auf Deck 40. Es

bewegt sich in den Bereich einer Kamera! Verdammt – oh, Verzeihung! –, die
Kamera ist ausgefallen. Aber Moment, ich schalte schnell um.“

Sekundenlang herrschte auf dem großen Bildschirm ein Tohuwabohu aus

gezackten Farblinien. Aber dann, für den Bruchteil einer Sekunde, sahen die
Freunde in der Zentrale vor dem Hintergrund einer grauen Metallwand tat­
sächlich eine Gestalt. Sie trug einen Raumanzug mit einem durchsichtigen
Helm. Man sah gleich, daß der Anzug nicht aus den Werkstätten der EUKA­
LYPTUS kam, obwohl es funktional Parallelen geben mußte. Das Wesen hatte
etwa die Größe und Statur eines Menschen, soweit man das aus dieser Per­
spektive beurteilen  konnte.  Und hinter  dem  durchsichtigen  Helm war  ein
menschenähnliches Gesicht zu erkennen ...

Aber alles ging viel zu schnell. Aus unerklärlichen Gründen fiel auch die

zweite Kamera aus, und wenig später meldete Schwatzmaul, daß der Fremde
abermals  verschwunden  war.  Sie warteten  gespannt  auf  sein  nächstes  Er­
scheinen, aber er kehrte nicht zurück. Keine neue Meldung erfolgte.

„Wir   werden   die   beiden   Decks   untersuchen“,   sagte   Harpo   schließlich.

„Und  Schwatzmaul  wird uns  Fotoabzüge  von  dem  Fremden  machen.  Wir
kommen schon noch dahinter, was das zu bedeuten hat!“

Nachdem sich die Aufregung ein bißchen gelegt hatte, kam Alexander end­

lich dazu, seinen Freund Harpo  anzustupsen.  „Wollte nur sagen, daß heute
nix spielen können Schach mit dir“, sagte er. „Hab’ Verabredung mit Lonzo.“

Das klang recht geheimnisvoll, aber Harpo gingen andere Dinge durch den

Kopf. „Gut“, sagte er abwesend. „Wir holen die Partie morgen nach.“

Alexander gab Anca ein Zeichen, und beide verschwanden aus der Zentra­

le.  Der  Antigravlift  brachte  sie schnell an  ihr  Ziel.  Sie wurden  bereits von
Lonzo und Karlie Müllerchen erwartet.

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Lonzo hat Probleme

„Was willste nun eigentlich?“ erkundigte sich Karlie Müllerchen und beugte

sich aus seiner luftigen Höhe zu Lonzo hinab. „Entweder du legst Wert dar­
auf, von Captain Kidd als knallharter und rostfreier Freibeuter anerkannt zu
werden. Gut, aber dann darfste keinen Raumanzug tragen, kannst dich mit
Freund Alexander nur durch die Vermittlung unseres Computers Schwatz­
maul unterhalten ...“

„Brrrr“, machte Lonzo und ließ alle Tentakel gleichzeitig wie Peitschen in

der Luft schnalzen, „der versaut mir wieder alle Poengten!“

„Die was?“ fragte Anca kichernd.
„Großes   Steuermann   Lonzo   meinen   Dinger,   wo   machen   Witze   witzig:

Pöngten!“ platzte Alexander heraus. Man sah ihm an, daß er sich auf seine
Vokabelkenntnisse einiges zugute hielt. Und das durfte er auch, denn für den
bärenhaft aussehenden Jungen vom Planeten Nordpol waren die bisherigen
Lernerfolge  trotz  seiner teilweise drolligen  Aussprache  eine stramme Leis­
tung.

Trotzdem konnte Anca sich nicht zurückhalten, als sie merkte, daß Alex­

ander es ernst meinte, und kicherte hinter vorgehaltener Hand.

Karlie gab ihr einen kleinen Knuff, denn er mochte nicht, daß sich jemand

auf Kosten anderer amüsierte. Außerdem war er sauer, weil es dem cleveren
Lonzo   wieder   einmal   gelungen   war,   seinen   ernsthaften   Vortrag   zu   un­
terlaufen.

„Also“, fuhr er gedehnt fort, damit ihm die gebührende Aufmerksamkeit

zuteil   wurde,   „die   zweite   Möglichkeit   ist,   daß   man   dir   einen   Raumanzug
schneidert, nebst Helm und Funkgerät. Dann kannst du mit Alexander so viel
quatschen wie du lustig bist.“

„Die Schneider an Bord dieses Schiffes sind aber miserabel“, klagte Lonzo

verzweifelt und fuhr hochnäsig fort: „Außerdem bezweifle ich, daß sie dazu in
der   Lage   sind,   ein   ansprechendes   Gewand   für   meinen   Luxuskörper   zu
entwerfen. Mein preisgekrönter Korpus kommt nur nackt richtig zur Geltung.
Ihn durch Kleidung zu verdecken, wäre eine nicht wiedergutzumachende Be­
leidigung für mich!“

Dabei   stolzierte   er   wie   ein   Mannequin   auf   und   ab,   drehte   seinen   me­

tallenen Körper hin und her und versuchte das Schwingen seiner nicht vor­
handenen Hüften durch ein halsbrecherisches Schlingern seiner ganzen, aus
Kugeln gefertigten Gestalt zu ersetzen. Gleichzeitig ließ er die Schutzblenden
seiner Sehschlitze zur Hälfte herab und warf seinen Freunden Kußhändchen
und wilde Blicke zu, die wohl eindrucksvoll wirken sollten.

Anca, Karlie und Alexander fielen einander lachend und prustend in die Ar­

me. „Jetzt verstehe ich auch“, keuchte Karlie nach einer Weile, während er
sich gleichzeitig mit dem Handrücken die Lachtränen aus den Augen wisch­
te, „weshalb du dir damals selbst das Teddybärenfell über die Ohren gezogen
hast: Lonzo ist ein Exhibitionist!“

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Während Anca  erneut  loskicherte, weil  sie  die  Bedeutung   dieses  Wortes

verstand, erstarrte Alexander mitten in der Bewegung und richtete die Ohren
steil auf. „Ein Exhubi... Exhabu...?“ grollte er wißbegierig. Das nachfolgende:
„Wat is’ dat denn?“ hatte er zweifellos von Ollie gelernt.

„Ein Exhibitionist“, half Karlie stolz aus, „ist jemand, der seinen nackigen

Körper anderen Leuten zeigt und Spaß dabei hat.“

„Aha“, brummte Alexander. „Aber weshalb hat kleines Pummelchen jetzt

gekriegt dicke rote Backen?“

„Ja, äh ... das ist nämlich so ...“ stotterte Karlie, aber Anca fuhr ihm sofort in

die Rede: „Ha! Pummelchen!“ rief sie Alexander empört zu. „Du sollst mich
nicht Pummelchen nennen, du ... du ... du dicker Bär! Und außerdem heißt
das   nicht   Backen,  sondern   Wangen!   Wangen!  So,   und   damit   du   es  genau
weißt: Wenn ich dir meine Backen zeigen würde – dann wäre ich ein Exhibi­
tionist!“

Alexander schüttelte verwirrt den Kopf. Jetzt verstand er überhaupt nichts

mehr. Dabei hatte er doch nur darum gebeten, ihm ein Fremdwort und das
für ihn unglaubliche  Phänomen  der  Hautrötung  zu  erklären.  Au weia, die
Menschen mochte verstehen, wer wollte! Für einen wissensdurstigen Rotpelz
waren sie manchmal ein Buch mit sieben Siegeln.

Zu allem Überfluß ließ jetzt auch noch Lonzo ein meckerndes „Hähähähä“

los.

„Was ist denn hier los?“ rief plötzlich eine Stimme von der Tür her, die so­

eben lautlos  auseinandergefahren  war, weil sich das Rad eines Rollstuhls in
die Lichtschranke geschoben hatte. Thunderclap Genius tauchte auf. Hinter
ihm leuchtete von weither Harpo Trumpffs grinsendes Gesicht.

„Wir versuchen gerade Lonzo  klarzumachen, daß er nicht drum herum­

kommt,   einen   Raumanzug  anzuziehen,   wenn   er  Alexander   mit   seinen  Pi­
ratenstorys draußen besoffen reden will“, erklärte Karlie. Und etwas verlegen:
„Um ehrlich zu sein, wir sind dabei ein bißchen vom Thema abgekommen.“

„Ein Raumanzug für Lonzo?“ meinte Harpo skeptisch, während er den Kör­

per des  Eisenmannes  einer eingehenden Musterung unterzog. „Das dürfte
aber schwierig werden. Vor allem, was den Helm angeht. Wenn ich Lonzos
Knubbelkopf so aus der Nähe betrachte ...“

„Ha, Elender!“  dröhnte  Lonzo los. „Das ist  Piratenbeleidigung! Zieht  die

Messer, Jungs! Mein herrliches Lockenköpfchen als Knubbelkopf zu bezeich­
nen! Welch ein Frevel!“ Er ließ empört einen seiner Tentakel wie einen Hub­
schrauberrotor über seinem Kopf wedeln.

„Und was wollt ihr draußen?“ warf Harpo rasch ein. „Etwa ‘ne Prise Vaku­

um schnuppern?“

„Denkste!“ rief Alexander. „Wollen uns nachgucken, ob Haut von famoses

Raumschiff EUKALYPTUS hat nich’ Beulen und Löcher!“

„Hm“, machte Harpo. Das war ein vernünftiger Gedanke. Denn seit ihrem

letzten Abenteuer auf dem im All treibenden Schiffswrack war ihnen klarge­
worden, daß auch die EUKALYPTUS einem ständigen Trommelfeuer von kos­

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mischem Staub und Meteoriten ausgesetzt war. Das Wrack hatte an seiner
Oberfläche wie eine Kraterlandschaft ausgesehen.

Sicher war es richtig, die Außenhaut der EUKALYPTUS vorsorglich zu un­

tersuchen.

„Aber sorgt nicht Schwatzmaul mit seinen Robotern dafür, daß eventuelle

Lecks sofort abgedichtet werden?“ wollte Thunderclap wissen.

„Pah,   Roboter“,   sagte   Lonzo   überheblich.   „Diesem   selbstgefälligen

Quatschautomaten liefern wir uns doch nicht aus! Und den Blechkameraden
erst recht nicht. Trau keinem Roboter mit mehr als dreißig Schrauben! Ein
altes Sprichwort“, fügte er hinzu.

„Du   bist   doch   selber   ...“   setzte   Anca   an,   biß   sich   aber   im   allerletzten

Moment auf die Zunge. Wenn Lonzo etwas ignorierte, dann die Tatsache, daß
er ebenfalls ein Roboter war.

„Bei der nächsten Batterieaufladung gibt es für Lonzo als Strafe einhundert

Volt weniger!“ dröhnte es aus den Lautsprechern. Das war Schwatzmaul, der
sich anscheinend auf die Zehen getreten fühlte. Lonzo schwieg, sichtlich be­
troffen.

„Das verstehe ich nicht“, grübelte Thunderclap vor sich hin. „Erstens sitzt

Lonzos   Lautsprecher   auf   der   Brust.   Da   würde   die  Mikrofonanlage  eines
Astronautenhelms  gar nichts nützen. Und zweitens: Wäre es nicht wirklich
einfacher, wenn Lonzos Funkanlage durch einen Modulator ergänzt würde?
Funken kann er ja sowieso. Und der Modulator XL­430 kann die Funksymbo­
le gleich in Worte umsetzen.“

„Thunderclap!“ jauchzte Karlie Müllerchen begeistert. „Du bist ein As! Daß

mir   das nicht  gleich  eingefallen ist!“  Er  schlug  sich  mit  der flachen   Hand
gegen die Stirn.

„Juchhu!“ quietschte Lonzo lauthals. „Thunderclap – du bist ein richtiger

Genius! Jetzt werde ich dich auch niemals mehr mit deinem richtigen Namen
rufen, Pitter Sause...“

Die letzte Silbe wurde von Thunderclaps lautem „Ruhe“­Gebrüll sofort ver­

schluckt. Natürlich war es sinnlos, den richtigen Namen, den er trug, noch
immer  geheimzuhalten,   denn   mittlerweile   kannte   ihn   selbst   das   kleinste
Mäuschen auf der EUKALYPTUS.

Ohne zu zögern machte sich Lonzo daran, Thunderclaps Vorschlag in die

Tat umzusetzen. Er brummelte zwar so etwas wie: „Wo ist der Narkosearzt?“
und: „Die Monteure haben immer so eklig kalte Finger!“, verschwand aber
schließlich   im  schiffseigenen  Ersatzteillager.   Innerhalb   von   zehn   Minuten
löste   ein  anderer   Roboter   den   auf   Lonzos  Rückseite  angebrachten   Deckel
einer  Montageöffnung, verlötete den nur  daumengroßen  Modulator XL­430
mit dem  Funkaggregat  und schloß den Deckel wieder. Quietschfidel kehrte
Lonzo zurück. Er schien sehr zufrieden zu sein.

„Stell dir vor, Harpo!“ jubelte er und führte einen Freudentanz auf. „Er hat

überhaupt nicht gebohrt!“

Alexander hatte die Zeit genutzt und war in seinen Raumanzug gestiegen.

Der war natürlich maßgeschneidert wie alle anderen, weil man sich sonst in

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ihm nicht bewegen konnte. Die Raumanzüge aus dem Spezialstoff Bodyskin
hatten ihnen bereits bei ihrem letzten Abenteuer mit dem geheimnisvollen
Wrack nützliche Dienste erwiesen.

Die beiden waren zweifellos ein lustiges Paar. Lonzo tänzelte auf seinen

schlanken  Metallbeinen  voran und schlenkerte wild mit seinen drei Tenta­
keln,   während   Alexander   behäbig  hinterhertappte.  Selbst   unter   Bodyskin­
Anzug und Raumhelm ließ sich seine Bärennatur nicht ganz verbergen – ob­
wohl man ja von seinem roten Pelz nur das feinhaarige Gesichtsfell hinter der
Plexiglaskugel  erkennen konnte. Alexander trug selbstverständlich Magnet­
schuhe, während Lonzo keine benötigte: Er konnte nach Belieben Teile sei­
nes Körpers magnetisieren und sich so an jeder Metallfläche halten.

Die   beiden   Inspekteure   winkten   ihren   Freunden   noch   einmal   zu,   dann

verschwanden sie im Gleitboot­Hangar. Die riesige Halle wirkte unter den
blauweiße  Lichtbündel   auswerfenden   Deckenstrahlern   wie   ein   nackter
Schlund, eine Vorstufe zur Leere des Weltalls. Zumindest dann, wenn man sie
mit den warmen und gemütlich eingerichteten Räumen verglich, die sie ge­
rade verlassen hatten.

Im Hintergrund ruhten die Gleitboote auf ihren Magnetankern. Sie waren

nur  schemenhaft  zu erkennen  und hatten  Ähnlichkeit  mit   den gewaltigen
Walfischen,   die   einst   zu  hunderttausenden  die   Meere   der   Erde   bevölkert
hatten. Heute gab es auf der Erde nicht einen einzigen Wal mehr. Jene Tiere,
die   den  Fangunternehmen  ausbeuterischer  Fischereigesellschaften  ent­
gingen – die sich den Teufel darum scherten, daß sie Raubbau an der Natur
betrieben –, waren inzwischen längst eingegangen. An durchaus menschli­
chen Krankheiten wie Krebs oder Asthma. Denn die Meere waren zu riesigen
Chemie­Kloaken geworden, und die verseuchte Luft war wie ein Pesthauch in
die Lungen der Meeressäugetiere gedrungen.

Alexander kam nicht von der Erde. Er hatte nie im Leben einen Wal gese­

hen. Sein Volk, die Rotpelze lebte – wie die Clans der Raufbolde und all die
anderen Lebensformen des Planeten Nordpol – in Einklang mit der Natur.
Aber auch er fühlte beim Anblick der Gleitboote einen leichten Schauer über
seinen Rücken jagen. Die fernen Schemen erschienen ihm wie fremde Götter
einer technischen Kultur, die er noch immer nicht ganz verstehen konnte.
Das Bewundern und Verwundertsein hielten sich bei ihm die Waage. Er hatte
längst begriffen, daß Technik im Grunde eine großartige Sache war – aber nur
dann,   wenn   die   soziale   Entwicklung   garantierte,   daß   sie   nicht   gegen   die
Menschheit, sondern für sie eingesetzt wurde.

„Tür braucht lange“, knurrte Alexander beim Beobachten der langsam zu­

fahrenden Luftschleuse.

„Dafür   ist   dieser   garstige  Chefcomputer  Schwatzmaul   verantwortlich“,

knurrte Lonzo  piratenhaft  zurück. „Der macht sich einen Spaß daraus, uns
hier in der Kälte  stehenzulassen.  Wenn ich nicht diese  Bärenruhe, sondern
das Temperament unseres tapferen Captain Kidd besäße, würde ich ...“

Dann öffnete sich vor ihnen ein Spalt und wurde schnell zu einem klaf­

fenden Maul. Sie stapften hinaus in das nachtschwarze All.

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Ein seltsamer Komet

„Dort eure Heimat?“ flüsterte Alexander ergriffen und deutete auf ein grell­

weißes Band, zu dem sich unendlich ferne Sterne gruppiert hatten.

„Das ist eine andere Galaxis“, erläuterte Lonzo. „Nein, nein, Captain Kidds

Welt, von der auch wir wackeren  Fahrensleute  stammen, liegt nicht so weit
entfernt. Aber immer noch derart weit, daß sie für uns unerreichbar ist.“

Alexander betrachtete nachdenklich einen der helleren Sterne. Er hatte ihn

schon oft von der Zentrale der EUKALYPTUS aus beobachtet; aber von hier
aus war das doch ein ganz anderes Gefühl. Das war die Sonne, um die seine
Heimatwelt Nordpol kreiste. Alexander unterdrückte den Impuls zu winken.
Eine alberne Idee. Es mochte schon sein, daß einer aus seiner Sippe in der
Nacht zum Himmel hinaufsah und sich fragte, wie es dem kleinen Alexander
und seinen Menschenfreunden wohl ergangen war. Aber so scharfe Augen
besaß auch auf Nordpol niemand, um ihn hier, Milliarden und aber Milli­
arden von Kilometern entfernt, entdecken zu können. Nicht einmal mit dem
starken Teleskop in der Station des dortigen Galaktischen Mediziners war das
möglich.

Ohne Eile spazierten Lonzo und Alexander weiter. Der metallene Leib der

EUKALYPTUS wirkte aus dieser Perspektive so gigantisch, daß sich Alexander
immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen mußte, daß dies die Außenhaut
eines Raumschiffes war. Eher konnte man annehmen, sich auf der Oberfläche
eines aus reinem Eisen bestehenden Metallmondes zu befinden: In der einen
Richtung krümmte sich die Oberfläche sanft dem All zu, der Horizont ent­
schwand den Blicken. Sah man dagegen in die andere Richtung, so wirkte die
Raumschiffhülle  wie   eine   riesige  Talebene,   die   sich  weiträumig  zwischen
zwei mächtigen Wällen dahinzog.

Dieser   Eindruck   entsprach   der   äußeren   Form   der   EUKALYPTUS,   die

Ähnlichkeit mit einer Hantel besaß. Jemand hatte das Schiff sogar mit einem
Knochen verglichen und das gar nicht zu Unrecht: Ein mächtiger Zylinder
wurde von je einer riesigen Kugel abgeschlossen.

Dies alles zu wissen und es dann aus eigener Anschauung zu sehen, waren

durchaus verschiedene Dinge. Das stellte Alexander immer wieder fest, wenn
er sich vom Bordgehirn mit dem seltsamen Namen Schwatzmaul unterrich­
ten ließ. Auf den dreidimensionalen Darstellungen erschien das Sternenschiff
wie ein Körper überschaubarer Größe, nicht länger als ein paar Meter. Aber
diese   Aufnahmen   waren   aus   einer   Entfernung   von   vielen   Kilometern   ge­
macht worden. So direkt auf der Außenhaut der EUKALYPTUS haftend, fühlte
sich Alexander eher wie eine Ameise, die an einem Fernsehturm  hochkrab­
belt. Es war sehr beeindruckend.

„Alles klar bei euch draußen?“ fragte Thunderclap über Funk.
„Aye, aye, Käpt’n“, erwiderte Lonzo. „Windstärke null, Wassertiefe unend­

lich.   Schiff   macht   stramme   Fahrt.   Nur   die   vielen   Leuchttürme   stören   die
Sicht etwas. Ahoi!“

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„Habt ihr schon Schäden entdeckt?“ wollte Harpo wissen.
„Nix“, gab Alexander etwas verlegen zu. Natürlich war ihm – wie auch allen

anderen – klar, daß die Suche nach den  Meteoritenlöchern  oder Rissen nur
ein   Vorwand   gewesen   war.   Der   wirkliche   Grund   für   diesen   Spaziergang
waren Neugier und Abenteuerlust, nichts weiter. Schließlich waren die vielen
elektronischen Spürsinne Schwatzmauls viel gründlicher und zuverlässiger,
als   Lonzo   wahrhaben   wollte.   Abgesehen   davon,   hätte   schon   die   gesamte
Mannschaft der EUKALYPTUS ausschwärmen und dann tagelang Meter für
Meter abschreiten müssen, um auch nur einen oberflächlichen Eindruck da­
von zu gewinnen, wie es um den Zustand der Außenhaut wirklich bestellt
war.

Aber da Alexander schon einmal unter diesem Vorwand hinausgegangen

war, schaute er sich die Metallfläche, mit der seine Magnetschuhe ihn ver­
banden, natürlich trotzdem genau an. Zu entdecken gab es nichts.

Anfangs hatte Alexander einen Kampf mit sich selbst ausgefochten. Auf der

einen Seite trieb ihn die Neugier dazu, sich die EUKALYPTUS mal von außen
anzusehen, auf der anderen Seite hatte er eine gewisse Angst davor. Beides
war verständlich.

Er konnte sich nur schwer vorstellen, daß dieses Raumschiff mit einer un­

vorstellbar hohen Geschwindigkeit durch das All raste und trotzdem keine
Gefahr bestand, wie ein lästiges Insekt abgestreift zu werden und in die Tiefe
des Nichts zu fallen.

Alexander kannte das anders: Wenn die Rotpelze mit ihren Kufenschlitten

durch Schnee und Eis brausten, mußte man sich gehörig festhalten, um nicht
vom Fahrtwind hinausgeschleudert zu werden. Aber das war der springende
Punkt!   Hier,   im   Weltenraum,   gab   es   nämlich   keinen   Luftwiderstand   und
deshalb natürlich auch keinen Fahrtwind. Weil das All, abgesehen von den
weit verstreut liegenden Himmelskörpern und dem kosmischen Staub, leer
ist.

„Ein   Komet!“   rief   Alexander   begeistert   und   deutete   auf   einen   auffällig

hellen Punkt.  Tatsächlich!  Der Komet  fiel nicht nur durch  seine Helligkeit
und den leuchtenden Schweif auf, sondern bewegte sich auch bemerkens­
wert   schnell.   Man   konnte   seine   Geschwindigkeit   mit   bloßem   Auge   regis­
trieren.

„Ganz   unter   uns  Pastorentöchtern“,   sagte   Lonzo,   „das   ist   fürwahr   ein

seltenes Exemplar von einem Kometen! Enterhaken bereithalten, Matrosen!“

Alexander prustete los. „Du kriegen wirklich fertig, ganze Komet zu kapern!

Oder mit Piratensprüche so verschrecken, daß Komet abhauen.“

„Wir   sehen   ihn   nun   ebenfalls“,   rief   Thunderclap   aufgeregt   über   Funk.

„Lonzo hat recht: Es ist in der Tat ein seltsamer Komet! Oder habt ihr je da­
von gehört, daß Kometen abrupt ihre Geschwindigkeit und ihren  Flugkurs
ändern? Genau das macht aber dieser hier!“

„Donnerwetter,   dann   ist   das   Komet  wohl   gar  nicht   ein   Komet!“   meinte

Alexander überrascht.

„Verrat!“ quäkte Lonzo. „Der Schurke segelt unter falscher Flagge!“

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„Das darfst du aber laut sagen“, bestätigte Harpo. „Schwatzmaul hat gerade

eine Vergrößerung des Objekts auf den Hauptbildschirm projiziert. Also ehr­
lich: So was hat noch niemand von uns gesehen. Es sieht aus wie ...“

„Es hält genauen Kurs auf die EUKALYPTUS“, unterbrach Karlie Müller­

chen von seinem Kontrollpunkt aus. „Jungejunge! Dieser kleine Kasten will
uns doch nicht etwa rammen?“

„Ach was, jetzt wird er schon langsamer!“ Das war wieder Thunderclap.
„Alexander! Lonzo! Das Ding schießt genau auf euch zu. Ihr müßt türmen!

Schnell zur nächsten Schleuse! Beeilt euch!“

Ohne zu zögern setzten sich die Angesprochenen in Bewegung. „Wie sieht

das Ding denn nun aus?“ stieß Lonzo hervor. O ja, das Objekt war jetzt so hell
und nah, daß man versucht war, nach ihm zu greifen. Die wahren Größenver­
hältnisse   blieben   jedoch   noch   unklar.   Sicher   war   allerdings,   daß   sich   der
Lichtball mit atemberaubender Geschwindigkeit näherte, von Sekunde zu Se­
kunde an Größe zunahm und einen konkreten Zielpunkt auf der Hülle der
EUKALYPTUS im Auge hatte: den Standort von Alexander und Lonzo.

„Wir nix schaffen bis Schleuse“, keuchte Alexander. „Bei Captain Kidds ver­

blichenen   Gebeinen!“   rief   Lonzo   theatralisch.   „Defaitismus   wird   nicht   ge­
duldet! Nur Mut, Matrose Alexander, hinter der Schleusentür warten ein Faß
Rum, ein meterlanges Stück Kautabak und eine Lore Bratkartoffeln auf uns!
Mir   nach   –   und   immer   fröhlich   bleiben   und   dem   Teufel   in   die   Suppe
gespuckt!“

Er schlug einen Haken und raste im rechten Winkel zur vorherigen Rich­

tung weiter. Vielleicht lag eine andere Schleuse näher als die, aus der sie ge­
kommen   waren.   Lonzo   mußte   es   wissen;   diese   Informationen   waren   in
seinem elektronischen  Gehirn  gespeichert.  Alexander folgte  ihm  prustend.
Langsam wurde ihm bewußt, daß die ganze Zeit über Stimmen an seine Oh­
ren gedrungen waren, die ihm möglichst plastisch zu beschreiben versuch­
ten, wie das Gebilde, das sie verfolgte, aussah. Aber in der Aufregung hatte er
gar nicht zugehört.

Und dann wurde eine weitere Beschreibung unnötig. Alexander und Lonzo

sahen ihren geheimnisvollen Verfolger direkt über sich. Er hatte ihren Haken­
schlag mit einem blitzschnellen Manöver nachvollzogen.

Das Ding, das ihnen so zu schaffen machte, sah völlig absurd aus, selbst in

Alexanders Augen: Es war ein Raumfahrzeug, das wurde jetzt deutlich, und es
war etwa dreimal so groß wie eines der EUKALYPTUS­Gleitboote. Aber im
Unterschied zu ihnen ließ es jede aerodynamische Form vermissen.

Mehr noch: Es wirkte willkürlich zusammengesetzt aus Einzelteilen, die für

andere Zwecke gedacht schienen und in mühsamer Bastelarbeit notdürftig
aneinandergefügt waren.

„Ha!“ schrie Lonzo. „Da fehlt ja nur noch die Kurbel, dann sieht das Ding

aus wie die olle Kaffeemühle von Captain Kidds Großmutter!“

Alexander konnte damit wenig anfangen, aber die Freunde an Bord muß­

ten zugeben, daß der Vergleich nicht an den Haaren herbeigezogen war. Sol­
che   altmodischen   Formen   hatten   sie   wirklich   bisher   nur   in   historischen

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Filmaufzeichnungen  gesehen. Das Licht, das den vermuteten Kometen be­
reits aus der Ferne verraten hatte, drang aus dem kuppelförmigen Oberteil
der „Kaffeemühle“.

„Hat nix mehr Sinn abhauen“, preßte Alexander hervor und bremste ab, als

sich   ein  Lichtfinger  aus   dem   Unterteil   des   Objekts  vortastete,   die   beiden
blendete   und   sie   schließlich   in   das   Zentrum   einer   weißgelben   Arena
gleißender Energie versetzte.

„Was die bloß wollen von uns?“ fragte Alexander mit trockener Kehle. Er

zweifelte nicht mehr daran, daß fremde Wesen in diesem seltsamen Gefährt
hockten.

„Die sind sicher neugierig und fragen sich, was ihr da auf der Hülle treibt“,

vermutete Harpo. „Aber ihr könnt ganz beruhigt sein: Zehn Roboter sind zu
euch unterwegs.“

„Ach, bis die hier sind ...“
Trotzdem fühlte sich Alexander ruhiger als zuvor. Von einem geheimnis­

vollen Lichtball gejagt zu werden – das hatte ihn beunruhigt, weil er es nicht
verstehen konnte. Jetzt, da er zu wissen glaubte, daß es sich bei diesem Licht­
ball um eine Art Raumschiff handelte, das eine Besatzung haben mußte, fühl­
te   er   sich   gleich   mutiger.   Mit  Lichtbällen  konnte   man   sich   schwerlich
verständigen, mit Astronauten – und mochten sie noch so fremdartig wirken
– aber sehr wohl. Vielleicht waren sie wirklich nur neugierig. Und hinterher
würde es viel zu erzählen geben.

„Unbekanntes Raumobjekt – bitte melden! Was wollen Sie?“ raste Thunder­

claps  Funkruf  inzwischen   alle   Frequenzen   rauf   und   runter.   Aber   vom
fremden Raumfahrzeug kam keine Antwort.

Alexander fühlte sich plötzlich auf geheimnisvolle Weise hochgehoben. Sei­

ne Magnetschuhe wollten nicht mehr an der  Schiffshülle  haften. Lonzo er­
ging   es   ebenso,   auch   wenn   er   dagegen   lauthals   protestierte.   Gemächlich
trudelten   die  beiden  Körper   inmitten   des  Lichtfeldes   auf   die  Öffnung  des
fremden Objekts, die auch der Standort der Lichtquelle war, zu.

„Ich protestiere im Namen von Captain Kidd, Klaus  Störtebeker, dem Ro­

ten Eddy und der gesamten Schwarzen Bruderschaft der Piraten aller Welt­
meere!“ zeterte Lonzo. „Diese Behandlung ist ungehörig Sir oder Madam, je
nachdem.   Ich   verlange   Satisfaktion!   Wählen   Sie   zwischen   Fingerhakeln,
Knallerbsenwerfen und Juckpulverschießen!“

Dann   verschluckte   das   Tor   des   fremden   Raumfahrzeugs   die   beiden

Freunde, und der Lichtstrahl, der offensichtlich weitaus mehr war als es zu­
nächst den Anschein hatte, erlosch.

Traktorstrahlen, kam es Alexander in den Sinn. Irgendwo hatte er darüber

gelesen. Aber das war nur eine Theorie gewesen. Auf der EUKALYPTUS gab es
jedenfalls nichts dergleichen.

Bevor   sich   eine   schwere   Schleusentür   zwischen   sie   und   den   Weltraum

schob, sah Alexander einen Lichtfleck auf der Oberfläche der EUKALYPTUS,
gar nicht weit weg. Mehrere Roboter flitzten aus der dort entstandenen Öff­
nung und suchten die Außenhülle ab. Aber sie waren zu spät gekommen.

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Nachdem der letzte Spalt verschwunden war, fanden sich Lonzo und Alex­

ander   in   einem stockdunklen   Raum  wieder. Der  Schwerelosigkeit   des  Alls
entsprechend, trudelten sie von Wand zu Wand.

Dann preßte sie unerwartet eine sanft anschwellende Gravitation auf den

Boden. Sekunden später griff die Faust der Schwerkraft voll zu und heftete die
beiden Körper mit Gewalt an das Metall. Sie waren bewegungsunfähig.

Schwer atmend berichtete Alexander den Freunden auf der EUKALYPTUS

von seinen Eindrücken.

„Tut uns leid, daß die Roboter es nicht mehr rechtzeitig geschafft haben“,

meinte Thunderclap zerknirscht. „Ihr entfernt euch jetzt mit affenartiger Ge­
schwindigkeit. Zunächst ist nichts zu machen. Die EUKALYPTUS startet viel
zu schwerfällig, um diesen Flitzer sofort zu erwischen.“

„Mein Testament liegt in der Schublade im zweiten Fach von oben“, brab­

belte Lonzo jetzt dazwischen. „Meine Zahnbürste vermache ich ...“

„Aber Lonzo!“ fuhr Harpo hoch. „Du glaubst doch nicht, daß wir euch eu­

rem   Schicksal   überlassen?  Schwatzmauls   Schaltkreise   sind   bereits  heißge­
laufen, so verzweifelt knobeln wir an einer Rettungsaktion herum!“

Lonzo lachte. „Das wärmt mir richtig das Herz! Nur Mut, Matrose Alex­

ander! Ich bin ja bei dir!“

„Hab’  ich denn gesagt etwas?“ fragte Alexander überrascht. Er wunderte

sich, daß sein Begleiter zuerst den Angsthasen spielte und nun so tat, als habe
er nie an einer Rettung gezweifelt.

„Das heißt also, wir sind zunächst mal allein auf uns angewiesen“, fuhr

Lonzo fort.

„Aber n­nur g­ganz k­kurz!“ schaltete sich nun Brim Boriam von der EUKA­

LYPTUS her in das Gespräch ein. „Wir geben nicht auf, k­keine Sorge! Es dau­
ert nur ein bißchen. Wir folgen euch, Schwatzmaul hat schon auf volle Pulle
gesch­schaltet. Auf Dauer sind wir n­natürlich schneller als die Fremden. Nur
müssen wir erst mal beschleunigen – und d­das braucht eben seine Zeit.“

„Wir  ändern   bereits  den  Kurs“,   ergänzte  Thunderclap.  „Und   die  Instru­

mente sagen uns genau, wo ihr seid. Sicher steuert der komische Kasten das
nächstliegende Sonnensystem an.“

„Ihr müßt damit rechnen, daß die Funkverbindung  abreißt“, fügte Anca

hinzu. „Das wird bald geschehen, weil die Entfernungen zu groß werden.“

„Haltet die Ohren steif!“ brüllte Ollie noch schnell dazwischen, dann be­

gannen die Stimmen von der EUKALYPTUS bereits schwächer zu werden.

Als letztes hörten die beiden Entführten die Stimme Harpos, der in das of­

fene Mikrofon hinein grübelte: „Da kann man ja verrückt werden. Erst dieser
mysteriöse Fremde an Bord, jetzt ein handfestes Kidnapping. Ob es da einen
Zusammenhang gibt ...?“

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Gefangene der Truuks

Mehrere Stunden lang geschah nichts weiter, als daß sich durch die unter­

schiedliche   Beschleunigung   Momente,   in   denen   weder   Alexander   noch
Lonzo   zu   größeren   Bewegungen   fähig   waren,   mit   Augenblicken   ab­
wechselten, in denen sie schwerelos herumschwebten.

Beide Gefangenen  nutzten   es  jedesmal sofort  aus,  wenn  die Gravitation

einmal   nicht   wie   Blei   an   ihren   Gliedern   hing.   Sie   konnten   aber   nichts
Wesentliches feststellen. Ihr Verlies war nicht größer als vier mal vier Meter.
An der Decke war eine vergitterte Projektoröffnung zu erkennen, wenn Lonzo
seinen   Brustscheinwerfer   darauf   richtete.   Möglicherweise   hatte   diese   Öff­
nung mit dem Traktorstrahl zu tun. Ansonsten bestand der Raum aus kahlen
Metallwänden.

„Pilot muß sein sternhagelblau“, knurrte Alexander verärgert, als er wieder

einmal   während   einer   solchen   nutzlosen   Expedition   von   plötzlich
einsetzender  Beschleunigung  bei  gleichzeitiger  Richtungsänderung  in  eine
Ecke gedrückt wurde. Nur gut, daß die Raumanzüge einiges aushielten.

„Oder Captain Thunderclap und seine Mannen sind diesem schurkischen

Räuber   bereits   auf   den   Fersen   und   zwingen   ihn   zu   solchen   Manövern“,
frohlockte Lonzo. „Na, ich bin sicher, daß der Käpt’n diesen Seelenverkäufer
in spätestens zwei Stunden gekapert haben wird!“ Er sah sich forschend um
und meinte dann: „Du kannst übrigens den Helm ablegen, Alexander. Die
Luft ist genießbar.“

„Nee, danke“, wehrte der Rotpelz entsetzt ab. „Wie sagen Menschen? Vor­

sicht ist Mutter von Porzellangeschäft? Oder Elefant ist Mutter von Porzellan­
kiste?  Egal,  ich denken,  daß Kiste sowieso  bald  auseinanderfliegen.  Besser
Helm aufbehalten deshalb.“

Überrascht   war   Alexander   trotzdem.   Die   unsichtbaren   Entführer   waren

also Wesen, die ein Gemisch aus Sauerstoff und Stickstoff zum Atmen benö­
tigten. Wie mochten sie aussehen?

Diese Frage wurde beantwortet, als die hektischen Manöver durch eine ru­

higere  Flugweise  mit gleichmäßig sanfter Gravitation ersetzt wurden. Für’s
erste – so schien es – hatten die unbekannten Entführer ihre Verfolger abge­
schüttelt oder wähnten sich aus anderen Gründen in Sicherheit. Vielleicht
näherten sie sich aber auch ihrem Stützpunkt. Da Alexander doch neugierig
war, klappte er schließlich den Helm herunter und schnupperte mißtrauisch.
Aber an der Luft gab es tatsächlich nicht viel auszusetzen.

Wenig später hörten die beiden Gefangenen ein von außerhalb des Raumes

kommendes   Schlurfen,   das   das   leise   Summen   des   Antriebs   überlagerte.
Angespannt warteten sie die weiteren Ereignisse ab.

Ein Zischen ließ sie zusammenfahren. Dann versank die gesamte Wand zu

ihrer Linken im Boden. Nach dem Schattendasein im Licht ihrer leistungs­
schwachen Brustscheinwerfer stach die aus dem Nachbarraum eindringende

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Lichtflut Alexander so sehr in die Augen, daß er gezwungen war, sie für eine
Weile zu schließen. Allein Lonzo starrte ungerührt in die Helligkeit.

„Hummel, Hummel, Seeleute!“ hörte Alexander ihn vergnügt krähen, wäh­

rend seine Augen höllisch brannten. „Ahoi, allzeit gute Fahrt und fette Beute!
Empfehlen Sie mich dem Herrn Kapitän und seiner Gemahlin! Haben Sie die
Speisekarte für das heutige Dinner gleich mitgebracht? Ich hätte gern See­
zunge und ...“

Dann schaffte Alexander es, die Augen zu öffnen. Wie durch einen Schleier

sah er drei Wesen auf sich zukommen, die etwas kleiner waren als er selbst.
Ihre Haut war grauschwarz und glänzend. Sie trugen keine Kleidung.

Als seine Augen sich endlich so weit an die Lichtfülle gewöhnt hatten, daß

er   sie   ohne   zu   blinzeln   aufhalten   konnte,   waren   die   Fremden   bereits   in
nächster Nähe. Jetzt erst fiel Alexander auf, woran sie ihn erinnerten: an die
Robben seines Heimatplaneten. Und die wiederum glichen den ausgestor­
benen Robben der Erde, wie er aus dem  Mikrofilmarchiv  der EUKALYPTUS
erfahren hatte. Aber – was hatten Robben im Weltraum zu suchen? 

„Lubberr sjaii truuk?“ fragte eines der Wesen und blickte Alexander voll ins

Gesicht. Ja, wirklich, es war ein Robbengesicht mit rundem Schädel, seitlich
abstehenden Augen, vorgereckter Mund­Nasen­Partie und herabhängendem
Schnurrbart. Das Wesen blickte intelligent und nicht unfreundlich. Gleichzei­
tig   wirkte   es  jedoch   ungeduldig   und   eine   Spur   hochnäsig.   Die   Flügel   der
winzigen Nase blähten sich auf und schrumpften wieder.

„Oh,   vielen   Dank   der   freundlichen   Nachfrage“,   dröhnte   Lonzos   lautes

Organ  neben   ihm los.  „Nur   das regnerische  Wetter  macht  unsereinem  zu
schaffen.   Rheuma,   wenn   Sie   verstehen.   Alte  Seefahrerkrankheit.  Weil   es
immer so zieht im Krähennest, gelle!“

Natürlich   hatte   Lonzo   den   Fremden   ebensowenig   verstanden   wie   Alex­

ander, aber wann hätte das einem Lonzo je etwas ausgemacht?

„Lubberr sjaii truuk?“ wiederholte das Wesen erneut, vielleicht noch etwas

ungeduldiger   als  zuvor.   „Ach   Gott“,   meinte   Lonzo   verschämt,   „abgesehen
von  ihrem   Zipperlein   geht   es   der  alten   Dame   noch   recht  gut.   Hat  in   der
Jugend zu viel Rock ’n’ Roll getanzt, verstehen Sie? Nein, nein, wir werden be­
stimmt nicht vergessen, sie von Ihnen zu grüßen!“

Fieberhaft überlegte Alexander, wie man die Situation verändern könnte.

Es war unbedingt nötig, sich verständlich zu machen, auch wenn Lonzo im
Moment   nur   an   seinen   Spaß   dachte.   Sicherlich   war   die   ganze  Verschlep­
pungsaktion  nur ein  Irrtum,  denn Alexander hatte erfreut  festgestellt, daß
keiner der vermeintlichen Kidnapper  einen Gegenstand trug,  den man  als
Waffe deuten konnte. Entweder fühlten sie sich an Bord ihrer „Kaffeemühle“
völlig sicher, oder sie hatten wirklich nichts Böses im Sinn. Wenn er doch nur
einen Translator ...

Siedendheiß fiel ihm ein, daß er ja tatsächlich einen bei sich trug! An Bord

der EUKALYPTUS mußte er ihn längst nicht mehr benutzen, da er die Spra­
che der Menschen sprechen und verstehen konnte. Aber er trug das  arm­

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banduhrgroße Gerät noch immer am Handgelenk, weil es das erste Geschenk
seiner neuen Freunde und entsprechend kostbar für ihn war.

Mit   hastigen   Bewegungen   fummelte   er   am  Magnetverschluß  der   Hand­

schuhe herum, um sein linkes  Armgelenk  freizulegen und den Aktivator zu
drücken.

Eine der Robben beobachtete ihn dabei mit Anzeichen der Unruhe, griff

aber nicht ein. Der Sprecher der drei Fremden hatte sich Lonzo zugewandt
und betrachtete ihn mit unverhohlener Neugier.

„Tsaaakki lubberr patzzzej zizi truuk?“ richtete es eine andere Frage dies­

mal   ausschließlich   an   Lonzo.   Hoffentlich   gelang   es   dem   Roboter,   den
Fremden in ein Gespräch zu verwickeln, damit der Translator die Möglichkeit
hatte, dieses Idiom zu analysieren, wünschte sich Alexander.

Lonzo, der mit einem Seitenblick festgestellt hatte, was sein Freund plante,

ging sofort darauf ein und erwiderte artig und verschämt: „Vielen Dank. Man
tut, was man kann. Aber ich muß gestehen, daß diese Begeisterung für meine
Konstruktion mich verlegen macht, wenn Kameraden in der Nähe sind. Be­
such mich doch mal in einer halben Stunde in meinem Appartement oder
so ...“

Alexander konnte trotz der angespannten Situation einen Lachanfall nur

mühsam unterdrücken. Dabei entfuhr ihm ein spitzer Ton, der alle drei Rob­
ben dazu brachte, bisher  verborgengehaltene, winzige Ohren im Nackenbe­
reich aufzustellen.

„Sjaii   truuk   jrr   zizi   truuk   paharazzj“,   meinte   die   Robbe,  die   sich   bisher

vergeblich um eine Verständigung bemüht hatte. Sie gab den anderen einen
Wink, woraufhin sie sich zögernd näherten.

Jetzt   setzte   sich   das   Übersetzungsgerät   schnurrend   in   Bewegung.   Dem

winzigen Wunderwerk der Technik – die Geräte waren auf der Heimatwelt
der Galaktischen Mediziner entwickelt worden – hatten die wenigen Worte
bereits genügt. „Felltruuk und Eisentruuk ... Wilde ... dumm ...“ leierte es her­
unter.

„Bei   allen   Raumgeistern!“   schepperte   Lonzo   los.   „Niemals   in   meinem

Leben sind mir solche Unverschämtheiten an das lockenprächtige Köpfchen
geworfen worden. Saubande!“

Der Translator versuchte diesen Text stockend in die  Robbensprache  zu

übersetzen. Das mußte zumindest teilweise gelungen sein, denn die Fremden
zuckten betroffen zusammen.

„Dein Volk ... mit Handgelenk ... sprechen?“ klang es jetzt deutlich.
Alexander erklärte, so gut es ging, die Funktion des Translators, brachte

dann aber sofort seinen Protest vor: „Warum ihr uns entführt?“ brummte er
aufgebracht. „Haben nichts getan was liefert Grund. Wollen zurück auf Schiff
EUKALYPTUS, aber dalli!“

„Entführt ... Raumschiff“, kam es wie ein Echo zurück. Das  Robbenwesen

schien erstaunt zu sein. „Besser  Metalltruuk  und  Felltruuk  uns danken für
Rettung aus Raumnot. Sonst verhungert auf garstigem Metallplaneten!“

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„Was sein los?“ rief Alexander. „Verstehe ich richtig? Ihr behaupten, daß

uns gerettet aus Raumnot! Nonsens! Wir niemals nicht in Raumnot gewesen.
Machten  Mondscheinspaziergang  auf   Außenhaut   von   Raumschiff,   zum
Donnerwetter!“

Diese Erklärung rief Heiterkeit unter den drei Robben hervor. Der Anführer

schlug   sich   vor   Vergnügen   mit   seinen   Händchen   auf   den   runden   Bauch.
Diese Händchen hatten jeweils vier Finger, zwischen denen sich Schwimm­
häute   befanden,   und   wirkten   weitaus   gelenkiger   als   die   Flossen   irdischer
Robben. „Hahaha!“ prustete er. „Felltruuk will uns erzählen Märchen! Wann
haben je gehört von Raumschiff, das so groß wie Planet, he?“

Verärgert registrierte Alexander, daß der Translator es wieder mal überge­

nau nahm. Inzwischen wäre das Gerät normalerweise längst in der Lage ge­
wesen, stilistisch einwandfreie Sätze zu formulieren. Da Alexander jedoch die
Menschensprache   benutzte,   um   Lonzo   und   eventuellen   Zuhörern   auf   der
EUKALYPTUS das Verstehen zu ermöglichen – und sein Satzbau nicht fehler­
frei war –, versuchte der Minicomputer seine Redeweise nachzuahmen.

„Das sein ja wohl ein Ding“, meinte Alexander achselzuckend zu seinem

Gefährten.  „Die   hier  doch  glatt   leugnen,   daß unsere  EUKALYPTUS  ist  ein
Raumschiff!“

„Seeleute, wir wollen uns doch nicht zanken“, ergriff nun Lonzo die Initia­

tive. „Ob Raumschiff oder Eisenplanet ist doch wurscht. Jedenfalls waren wir
nicht in Not und wollen zurück!“ Der Sprecher der Robben grinste verlegen.
„Wir arm“, schnurrte er. „Nix Treibstoff. Nix können umkehren. Rettung hat
schon zu viel gekostet.“

„Das ist ja wohl die Höhe!“ schimpfte Lonzo. „Erst wird man ungefragt ge­

rettet – und dann ist der  Rettungsetat  erschöpft, so daß man nicht zurück
kann.“

„Das sein keine Problem“, verkündete Alexander und warf sich in die Brust.

„Unsere Freunde auf Raumschiff euch riesig belohnen werden, wenn erfah­
ren von euren guten Absichten. Treibstoff, Geräte – ihr alles haben könnt, was
ihr wollt.“

Das   Robbenwesen   schien   angestrengt   nachzudenken.   „Ah“,   meinte   es

schließlich. „Das nix Grund für Entscheidung von kleine  Mannschaftstruuk.
Captain Prong wird entscheiden.“

„Ah“, machten  seine beiden  Gefährten. Der Sprecher  winkte Lonzo und

Alexander, ihm und seinen Leuten zu folgen. Er watschelte voraus. Alexander
sah Lonzo an und zuckte die Achseln. Was blieb ihnen anderes übrig? Sie
mußten mitgehen und versuchen den Kapitän dieses seltsamen Raumschiffs
von der Notwendigkeit der sofortigen Rückkehr zur EUKALYPTUS zu über­
zeugen.

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Der Pirat

Mit   einer   schwer   definierbaren   Mischung   aus   Unbehagen   und   Neugier

stapften Alexander und Lonzo hinter ihren Führern her.

Nach   kurzer   Zeit   blieben   zwei   der   Wesen   zurück   ließen   die   Freunde

passieren und schlossen wieder auf. Obwohl bisher noch keine konkrete Be­
drohung   stattgefunden   hatte,   war   das   Gefühl   in   Alexanders   Magengrube
nicht   angenehm.  Ihm  schien,   daß   die  beiden   Robbenwesen,   deren  Artbe­
zeichnung  offenbar das Wort  Truuk  war, nur deshalb den  Schluß  der Pro­
zession   übernommen   hatten,   damit   sie   ihn   und   Lonzo   besser   im   Auge
behalten konnten.

Nach dem flüchtigen ersten Eindruck fielen Alexander beim näheren Be­

trachten immer mehr Einzelheiten auf, in denen sich die  Truuks  von den
Robben unterschieden, die er kannte.

Zwar watschelten sie nach Robbenart, aber sie wirkten leichter und zierli­

cher als die Meerestiere. Der untere Teil des Körpers schien jedoch erstaun­
lich kräftig und flexibel zu sein. Die kurzen Beine waren stärker ausgeprägt
als bei irdischen Robben und ermöglichten ein aufrechtes Gehen. Gelegent­
lich  schienen  jedoch abgelegte Gewohnheiten  durchzubrechen,  wenn sich
die Wesen bei heftigen Bewegungen nach vorn beugten und die Hände zum
Abstoßen des Körpers benutzten. Die meisten Bewegungen wirkten mühsam,
hatten im Ansatz aber eine erstaunliche Eleganz. Es schien so, als wären die
Truuks andere Bedingungen gewöhnt – vielleicht eine geringere Schwerkraft.
Deshalb wurden sie an der vollen Entfaltung ihrer Möglichkeiten gehindert.
So erstaunlich war das ja auch nicht. Robben sind nur an Land schwerfällig:
im Wasser dagegen sind sie pfeilschnelle  Fischjäger  mit präziser Körperbe­
herrschung.

Alexander kannte sich mit Meerestieren gut aus. Deshalb fiel ihm auf, daß

der eigentliche Lebensbereich der Truuks nicht das Wasser sein konnte. Sie
besaßen  Schwimmhäute  zwischen   Flossen  und  dem  Brustkorb   sowie  zwi­
schen   den   kurzen   Beinen.   Aber   diese   waren   nicht   nur   übergroß,   sondern
auch  extrem  dünn,   fast  pergamentartig.  Beim  Schwimmen   mußten   derart
große   und   instabile   Häute   eher   hinderlich   als   nützlich   sein.   Fledermäuse
hatten solche Häute ...

Sie   passierten   mehrere   Gänge.   Auch   innen   machte   dieses   eigenartige

Raumschiff einen unfertigen, dilettantischen Eindruck. Die Schweißnähte sa­
hen beängstigend ungenau aus, die Schweißraupen verliefen wacklig in stän­
dig wechselnden Breiten, oft sträflich übereinandergelegt.

Es geschah mehrmals, daß die Kolonne über scharfe Kanten in  tieferge­

legene Korridore hinab – oder in höherliegende hinaufklettern mußte. Man­
chmal   halfen   ihnen   schiefe   Leitern   aus   Metall,   die   jedem
Sicherheitsingenieur  schlaflose   Nächte   bereitet   hätten.   Trotz   allem:   Die
lebensnotwendige Technik an Bord dieses Raumers schien zu funktionieren.
So   wenig   fachmännisch   die   Schweißarbeiten   auch   ausgeführt   waren:   Sie

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reichten offenbar aus, die Atmosphäre im Schiff stabil zu halten. Auch die
anderen wichtigen technischen Anlagen, wie etwa die Beleuchtung oder die
Heizung, funktionierten. Und was die Funktionstüchtigkeit des Triebwerks
anbetraf,   hatten   sich   Alexander   und   Lonzo   überzeugen   können,   daß   hier
Zweifel unangebracht waren.

Endlich erreichten sie jene Kuppel, deren  Lichtdom  ihnen schon bei der

Annäherung   des   Raumers   an   die   EUKALYPTUS   aufgefallen   war.   Auf   den
ersten Blick sah man, daß es sich um die Zentrale handelte, in der Captain
Prong residierte. Auch wenn die beiden Eintretenden zunächst einmal nur
einen   Computer   sahen,  das   Hirn  des   Schiffes,  ohne   dessen  einwandfreies
Funktionieren jedes Raumfahrzeug nur ein wertloser Schrotthaufen ist.

Beim zweiten Blick stockte sowohl Alexander als auch Lonzo der Atem –

daß er gar nicht atmete, war ihm in diesem Moment nun wirklich egal! Denn
was sie im Schatten des Computers sahen, war schier unglaublich, ein Ana­
chronismus, der mit dem technischen Standard von Weltraumfahrern nicht
vereinbar schien.

Der Metallboden der Zentrale war mit schweren Teppichen ausgelegt. Dar­

auf ragte ein prunkvoll geschmücktes Zelt mit vier  stabilen Masten  in die
Höhe, so groß, daß sich in ihm bequem fünfzig erwachsene Männer hätten
aufhalten   können.   Die   Wände   bestanden   aus  prachtvoll   getigerten   Fellen.
Nur wer genau hinsah, entdeckte die feinen Drahtseile, die zur Decke hin­
aufführten und dazu dienten, das Zelt bei Beschleunigungs­ und Bremsma­
növern zusammenzuhalten.

Alexander schluckte und folgte ihrem winkenden Führer. Vorbei an neugie­

rig starrenden Truuks, die in der Zentrale einen wohl eher nüchternen Dienst
versahen, traten Lonzo und Alexander in das Zelt. Das Robbenwesen hatte
zuvor  seinen   Kopf  hineingesteckt,  sich  respektvoll  verbeugt   und dann  auf
eine knurrige Zustimmung hin die Eingangsfelle zurückgeschlagen.

Alexander   schluckte   nochmals,   als   er   die   vier   rauchenden   Fackeln,   das

große Stück Fleisch am Bratspieß über dem offenen Feuer und schließlich
einen ausgesprochen großen und fetten Truuk inmitten eines Berges ausge­
wählt schöner Felle liegen sah.

Der Truuk hatte seinen grauschwarzen Körper von oben bis unten mit bun­

ten  Schärpen  dekoriert  und  trug einen  Stirnreif  aus  blitzendem, silbernen
Metall. Ihm zur Seite hockten zwei zierliche Truuk­Mädchen, die ihm Früch­
te und einen Becher reichten, in dem eine aromatische Flüssigkeit schwapp­
te.

„Captain Prong“, sagte ihr Führer, wobei er auf Lonzo und den sich die tro­

ckenen Lippen leckenden Alexander wies, „dies sind die beiden Gefange... äh,
die beiden Geretteten. Sie sind fähig, mit uns zu reden.“

Befriedigt registrierte Alexander, daß der Translator sich nun der exakteren

Sprechweise Lonzos angepaßt hatte.

„Hm“, knurrte Captain Prong und begutachtete seine unfreiwilligen Gäste.

„Der Felltruuk trägt einen interessanten Pelz, soweit man sehen kann. Muß
ich direkt überlegen, ob er nicht in meine Sammlung paßt.“ Dann stieß er ein

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dröhnendes Gelächter aus, als er Alexanders erschrecktes Gesicht bemerkte.
Mit einer gnädig wirkenden Gebärde erlaubte er den beiden Wartenden, sich
am Fußende seines Lagers niederzulassen. „Berichte mir, Drakh!“

„Die Fremden bestehen darauf, gar nicht in Not gewesen zu sein“, erklärte

der   Angesprochene.   „Sie   behaupten,   der  Metallplanet  sei   in  Wahrheit   ein
Raumschiff.“

Nachdem   sich   Captain   Prong   von   seinem   Lachanfall   erholt   hatte,   fuhr

Drakh fort: „Sie meinen, ihr Captain würde ein fettes Lösegeld, äh, eine gute
Belohnung zahlen, wenn wir sie zurückbringen.“

„Ah!“ Captain Prong nickte. Er kratzte nachdenklich sein Schwabbelbäuch­

lein und kniff dann listig die Augen zusammen. „Aber das ist eine riskante Sa­
che.   Vielleicht   klopft   ihr   Captain   uns   auch   auf   die   Köpfe,   wenn   wir   sie
zurückbringen. Nein, nein, auf dem Sklavenmarkt von  Pecas  bringen sie si­
cher mehr ein. Da lümmeln genügend reiche Krämer herum, die viel ausspu­
cken für einen Truuk aus Metall und einen aus Fell. Hm – schönes Fell. Paßt
wirklich in meine Sammlung.“

„Was?“ fuhr Alexander auf. „Dann ihr sein nix anderes als schäbige Piraten?

Hab’  ich   mir   doch   gleich   gedacht!“   Obwohl   er   jetzt   deutlich  sah,   daß   sie
Gaunern in die Finger gefallen waren, war Alexanders Empörung über diese
Schurken, die mit intelligenten Lebewesen Handel trieben, größer als seine
Angst.

„Ah – Felltruuk riskiert eine dicke Lippe!“ brummte Captain Prong.
Lonzo hatte der Diskussion mit wachsender Erregung zugehört, aber jetzt

schien er förmlich zu explodieren. „Bei der  Totenkopfflagge!“ schnurrte er
los. „Ihr seid Gangster und keine echten Piraten. Captain Kidd und die Seinen
haben nur reiche Pfeffersäcke beraubt und deren Geld an die Armen verteilt.
Niemals   wäre   er   auf   die  Idee   gekommen,   mit   Menschen   zu   handeln.   Ich
werde dafür sorgen, daß man euch aus der intergalaktischen Piratenbruder­
schaft ausschließt!“

„He, he! Du willst dafür sorgen? Wer bist du denn überhaupt, he?“ grunzte

Captain Prong, sichtlich verärgert.

„Ich bin Lonzo Chevalier de Klamotte, der größte Dimensionspirat der be­

kannten Galaxis, Vertrauter von Captain Kidd und linke Hand des gefürchte­
ten Captain Thunderclap! Ihr hättet besser die Finger von uns gelassen!“

„Du willst ein Pirat sein?“ gluckste Captain Prong ungläubig.
„Ihr habt doch unsere Fregatte gesehen und wißt, daß euer Kahn dagegen

nichts als eine lächerliche  Nußschale  ist. Wartet nur ab, bis euch Captain
Thunderclap findet. Und das wird er, wenn er erst mal auf volle Pulle ge­
schaltet hat!“

„Volle Pulle?“ keuchte Captain Prong entsetzt. „Was ist das? Eine Geheim­

waffe?“ Offenbar war ihm dieser Ausdruck sehr verdächtig.

Lonzo ging jedoch auf den Einwurf nicht ein, sondern schimpfte weiter:

„... dann raucht es aber, und es rappelt im Karton! Habt ihr gewußt, daß Cap­
tain Thunderclap der Urgroßvater vom berüchtigten Captain Bligh war ... äh,

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daß Captain Bligh die Urgroßmutter von ... Wie auch immer: Jedenfalls sind
die beiden eng verwandt. Das gibt euch hoffentlich zu denken!“

Aus der Tatsache,  daß Captain Prong mit  einer Antwort zögerte, konnte

man   schließen,   daß   ihn   diese  Drohungskanonade  doch   irgendwie   nach­
denklich   gemacht   hatte.   Er   wechselte   einen   unentschlossenen   Blick   mit
Drakh, der ebenfalls nicht zu wissen schien, was er von Lonzos Worten halten
sollte. Im Rahmen seines Denkens jedenfalls schien es nicht total abwegig zu
sein,  daß  es  andere Piraten  mit   weitaus  größeren  Schiffen in   dieser  Welt­
raumgegend  gab. Er beugte sich zu Captain Prong hinab und flüsterte mit
ihm.

Schließlich richtete sich Captain Prong auf und sagte: „Ihr seid keine Pi­

raten, sondern Schaumschläger und  Lügenbeutel.  Ihr bringt uns eine fette
Prämie auf dem Sklavenmarkt. Peng! Legt den Metalltruuk und den Felltruuk
in Eisen!“

Den letzten Satz hatte er so laut gebrüllt, daß gleich ein ganzes Dutzend

seiner   verwegen   aussehenden   Gehilfen   in   das   Zelt   stürmte   und   die
Gefangenen in ihre Mitte nahm. Zum ersten Mal entdeckten Lonzo und Alex­
ander Waffen;  lanzenähnliche  Dinger mit Widerhaken an den Spitzen. Aber
auch ohne diese Bedrohung hätten die beiden nicht an eine Flucht gedacht.
Wohin hätten sie sich auch wenden sollen?

„Captain Prong!“ schnaufte Lonzo grimmig. „Das war Ihr  größter  Fehler!

Ich würde ein Auge dafür geben, wenn ich  dabeisein  dürfte, wenn Captain
Thunderclap über Sie Gericht hält!“

„Abführen!“  brummte   Prong  und  streckte  seinen   Gefangenen  die  Zunge

heraus. „Aber hurtig!“

Noch ein Rätsel

„Kann unser lahmer Kasten nicht ein bißchen zügiger den Kurs wechseln?“

schimpfte Harpo, als das Raumfahrzeug mit den Entführern abermals eine
abrupte Kursänderung vornahm.

„Das ist so“, begann Schwatzmaul. „Die verhältnismäßig große Masse der

EUKALYPTUS erfordert eine parabelförmige Flugbahn von ...“

„Ich weiß das ja alles“, stöhnte Harpo. „Man darf sich doch wohl noch mal

lauthals ärgern, oder?“

„Aber warum denn?“ wunderte sich der Computer. „Wenn die Fakten fest­

liegen  und   es   keine   unvorhergesehenen   Ausfälle   gibt,   besteht   doch   über­
haupt kein Grund, nicht der geringste.“

„Ich will mich aber ärgern!“ schrie Harpo aufgebracht. „Jawoll, verdammt

noch mal! Und einen Grund habe ich auch. Siehst du denn nicht, daß wir das
fremde   Raumschiff   schon   in   kurzer   Zeit   aus   dem   Bildschirm   verlieren
werden?“

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Er zeigte auf den Kontrollschirm, wo das Objekt nur noch am oberen Bild­

rand  als   schwaches   Leuchtzeichen   zu   erkennen   war.   Dann   war   auch   das
verschwunden.

„Da haben wir den Salat!“ schimpfte Harpo.
„Wenn   wir   die   Nerven   verlieren,   ist   auch   nichts   gewonnen“,   meinte

Thunderclap beschwichtigend. „Trotz der wilden Manöver ist klar, daß nur
das vor uns liegende Sonnensystem das Ziel der Entführer sein kann. Das
Fahrzeug ist flink und wendig, hat aber keinen so großen Aktionsradius, daß
es den nächsten Stern erreichen könnte. Wir suchen Planet für Planet ab, bis
wir eine heiße Spur finden.“

Harpo beruhigte sich wieder. Na ja, Thunderclap hatte schon recht, und

Thunderclap war kein Schwätzer. Schließlich hatten sie ohnehin vorgehabt,
dieses Sonnensystem zu erforschen. Wenn nur die Ungewißheit nicht wäre ...
Eine Entführung, direkt von der Oberfläche der EUKALYPTUS weg, war nun
wirklich das allerletzte, was er erwartet hätte.

„Verzeiht, wenn ich eure Versunkenheit störe“, fistelte Schwatzmaul mit

gespielter   Bescheidenheit,   „aber   meine   Observatorien   melden  seit   einigen
Sekunden ein seltsames Gebilde ...“

„Hurra!“ schrie der kleine Ollie los. „Die Schurken kommen zurück. Na,

denen werde ich eine Rumba auf die Augen boxen!“

„... bei dem es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht

um das verfolgte Objekt handelt ...“

„Hier herrscht ja ein Verkehr wie zu den Stoßzeiten am Broadway“, stöhnte

Karlie.

„... sondern um einen Apparat ohne jegliche erkennbare  Antriebseinheit.

Was wirklich sehr seltsam ist, wenn ich mich so ausdrücken darf. In meinen
Speichern gibt es keine Informationen über Raumschiffe, die keine Raum­
schiffe sind. Weiß gar nicht, wie ich mich da verhalten soll. Außerdem muß
ich Herrn Müllerchen recht geben, daß es wirklich recht ungewöhnlich ist, in
diesem abgelegenen Sektor der Milchstraße ...“ schnarrte Schwatzmaul.

„Uuuuuaaaah!“ brüllte Harpo und brachte Schwatzmaul zum Schweigen,

während die anderen sich vor Lachen kringelten. „Schwatzmaul, wann wirst
du   es  endlich   lernen,   dich  wie  ein   ordentlicher   Computer  zu   benehmen?
Nachrichten  müssen kurz, präzise und ohne ausschweifende Kommentare
übermittelt werden.“

„Oh, Verzeihung, Herr General!“ bellte die Stimme des Computers. „Melde

gehorsamst: seltsames Objekt! Merkwürdig! Müllerchen hat recht! Viel Ver­
kehr in der Gegend! Rühren!“

Harpo raufte sich die Haare. Mit gefalteten Händen fiel er auf die Knie und

bettelte   mit   weinerlich   verstellter   Stimme   in   das   Aufnahmeobjektiv   der
Computerkamera: „Bitte, bitte, liebes Schwatzmaul, sag uns doch, was deine
sternenguckenden  Außensinne  entdeckt   haben.   Ohne   Randbemerkungen.
Und ohne Kommißton, ja? Sei so lieb, bitte!“

„Ach, lieber Harpo“, seufzte der Computer. „Wenn du mich so nett bittest,

kann ich dir nichts abschlagen. Nun gut. Das raumschiffähnliche Gebilde be­

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wegt sich mit einer Geschwindigkeit von 0,126 Lichtjahren auf das vor uns
liegende Sonnensystem zu und hat eine Masse von 198549,54... Nun, um es
euch   plausibler   zu   machen:   Die   Masse   beträgt   ein  Sechsundvierzig­
tausendstel der Masse unseres Raumschiffes. Aber wie schon gesagt: Ich bin
außerordentlich befremdet darüber, daß dieses Gebilde offenbar keinen An­
trieb besitzt, trotzdem aber ein Fahrzeug zu sein scheint. Sogar Kurskorrek­
turen werden vorgenommen!“

„Schwatzmaul   ist   übergeschnappt!“   rief   Karlie   erschreckt.   „Holt   sofort

einen Reparaturtrupp!“

„Immer mit der Ruhe“, meinte Thunderclap lächelnd. „Auch wenn es im

Moment so aussieht, als hätte diese Ecke des Raums für uns eine Menge ver­
zwickter Rätsel parat – wir werden sie schon lösen, eines nach dem andern.
Zunächst einmal soll Schwatzmaul uns das fremde Objekt auf den Bildschirm
projizieren, sobald dies möglich ist. Dann sehen wir weiter!“

Sie mußten gar nicht lange warten, dann erschien eine hinreichend klare

Abbildung des Fahrzeuges auf dem Schirm. Es sah wirklich absonderlich aus.
Man sah zunächst nichts anderes als eine einzelne, sehr flache, sehr große,
runde Metallscheibe. Dann projizierte Schwatzmaul Ausschnitte des Gesamt­
bildes, in denen deutlich wurde, daß diese Scheibe aus einzelnen Segmenten
bestand, die mit Gelenken miteinander verbunden waren. Sie waren in ver­
schiedenartigen Winkeln zueinander verstellt. Die gesamte Anordnung sah
wie ein bizarr verformtes Stück Wellblech aus. Im Zentrum der Scheibe war
das spitze Ende eines Kegels befestigt, der in einen Zylinder überging. Der Zy­
linder und der Kegel wirkten wie ein winziges Anhängsel gegen die mehrere
Quadratkilometer große Scheibe, besaßen aber immerhin noch eine Länge
von   vierzig   oder   fünfzig   Metern   und   an   der   dicksten   Stelle   einen   Durch­
messer von vielleicht zehn Metern. Und die Teilansichten auf den Monitoren
waren deutlich genug, daß man im zylindrischen Teil Öffnungen erkennen
konnte, aus denen Licht drang.

„Also doch ein Raumschiff!“ flüsterte Anca.
„Wenn das ein Raumschiff ist, dann will ich ...“ setzte Karlie an, sprach aber

nicht   weiter,   weil   er   plötzlich   doch   nicht   mehr   so   sicher   war.   „Erst   eine
fliegende Kaffeemühle – und jetzt ein gigantischer Pfannkuchen“, stöhnte er.
„Mein Gott, in diesem System müssen wahnsinnige Konstrukteure ihr Un­
wesen treiben.“

„Oder auch nicht“, erwiderte Thunderclap grübelnd. ‚‚Mir ist da eine Idee

gekommen   ...“   Seine   Stirn   legte   sich   in   Falten,   während   er   ungelenk   auf
einem Stück Papier malte. „Vielleicht  ist etwas  dran“, sagte er schließlich.
„Aber die Rechnerei überfordert mich. Schwatzmaul, rechne doch mal bitte
aus,   welche   Beschleunigung   eine,   sagen   wir,   1‚5   Quadratkilometer   große
Scheibe unter den Lichtdruckkräften der Sterne dieser Region maximal erfah­
ren  kann.“ Die Freunde glaubten ihren  Ohren nicht zu trauen.  Was sollte
diese absurde Rechnerei? Lichtdruck? Aber Thunderclap schien mit den Zah­
len, die ihm der Computer nannte, recht zufrieden zu sein.

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„Könnte  tatsächlich  funktionieren“,  murmelte  er. „Obwohl  die  natürlich

Wochen brauchen, um richtig in Schwung zu kommen. Sicherlich besitzen
sie irgendwelche Hilfsaggregate ...“

„Will mir nicht mal jemand verraten, was hier gespielt wird?“ wollte Ollie

wissen. „Mir dröhnt schon der Kopf, aber verstanden habe ich nix!“

„Freunde“, sagte Thunderclap feierlich und setzte sich in seinem Rollstuhl

zurecht, „ob ihr es nun glaubt oder nicht: Was ihr dort seht, hat es früher
auch auf der Erde in ähnlicher Form gegeben. Allerdings fuhr es auf dem
Wasser und wurde durch Wind vorangetrieben.“

„Ein Segelschiff!“ platzte Harpo heraus. „Du willst doch wohl nicht sagen,

daß wir es mit einem Raumsegler zu tun haben! Im Weltraum gibt es keinen
Wind, Mann!“

„Ich sagte ja, daß ein Segelschiff so ähnlich funktionierte“, verteidigte sich

Thunderclap   und   bekam   vor   Aufregung   ganz   rote   Ohren.   „Das   weiß   ich
selber, daß zum Wind eine Atmosphäre und zur Atmosphäre ein Planet ge­
hört. Aber das heißt noch lange nicht, daß es im Weltraum nicht etwas gibt,
das entfernt mit Wind vergleichbar ist. Beim Segelschiff wird der Druck des
Windes ausgenutzt. Nun, und mit einem Raumsegler nutzt man den Licht­
druck der Sterne aus. Klar?“

„Überhaupt nix is’  klar“, begehrte der kleine Oliver auf. „Hat man so was

schon gehört: Lichtdruck! Dann müßte ja jede olle Lampe wie ein Ventilator
funktionieren ...“

Alle lachten,  als  sie sich  das   bildhaft  vorstellten,  nur  Thunderclap  blieb

ernst.

„Und wenn euch das noch so absurd erscheint – auch eine ‚olle Lampe‘

erzeugt einen Druck. Nur ist der so gering, daß wir ihn nicht spüren können.
Aber vergleicht doch mal die Energien einer Lampe mit denen eines Sterns,
dann wird euch vielleicht der Unterschied klar. Und im Kosmos gibt es be­
kanntlich eine ganze Menge Sterne. Wenn man mit einem großen Metallsegel
möglichst viele Druckwellen dieser nahen und fernen Sterne einfängt – zum
Beispiel   durch   Verstellen   verschiedener  Segmentflächen  in   Richtung   der
Hauptdruckfläche – dann habt ihr einen funktionstüchtigen Raumsegler. Was
soll  überhaupt  das ungläubige  Gerede?  Seht  doch  auf den  Bildschirm!  Ihr
habt den Beweis vor Augen. Ihr müßt die Augen nur ein bißchen aufsperren!“

„Herr Genius hat durchaus recht“, meldete sich Schwatzmaul geschraubt

zu   Wort.   „Vielleicht   darf   ich   die   lieben   Damen   und   Herren   auf   unseren
astrophysikalischen   Unterricht   aufmerksam   machen.   Ja?   Nun,   ein  Pho­
tonentriebwerk als Raumschiffsantrieb dürfte doch allen bekannt sein, nicht
wahr? Und wie funktioniert das?“

„Durch   den   Lichtdruck   der   ausgeschickten   Photonen   beziehungsweise

Lichtquanten“, antwortete Harpo verdattert. Plötzlich erschien ihm Thunder­
claps Idee gar nicht mehr so absurd wie vorhin.

„Na also!“ rief Schwatzmaul zufrieden.

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„Das ist mir alles zu hoch“, maulte Ollie, der bei den Physik­Lehrgängen

häufig gefehlt hatte und währenddessen mit Moritz über die Decks getobt
war.

„Also klar ist mir das noch lange nicht“, meldete sich Harpo wieder. „Bei

einem   Segelschiff   funktioniert   die   Ausnutzung   des  Winddrucks  doch   nur
deshalb, weil der über die Masten auf den Rumpf des Schiffes abgeleitet wird.
Der Wind drückt mit seiner  Hauptkraft  auf das Wasser, und nur eine ver­
gleichsweise kleine  Restkraft  schiebt das Schiff voran. Gäbe es kein Wasser,
könnte man das Schiff überhaupt nicht steuern.“

„Wieso?“ fragte Anca. „Es gibt doch auch Segelflugzeuge – und die kann

man steuern.“

„Ja, aber nur deshalb, weil es einen Auftrieb und einen Luftwiderstand gibt!

Wo ist der im Weltraum?“

Das gab allen zu denken. Aber Thunderclap meinte schließlich: „Eine kom­

plizierte Technik ist sicher nötig, um solch ein Fahrzeug zu beherrschen. Ich
könnte   mir   jedoch   denken,   daß   man   die  Metallflächen  so   einstellt:   Die
Hauptflächen  werden   auf   die   auszunutzenden   Druckkräfte   der   nächsten
Sterne   ausgerichtet   und   die  Nebenflächen  mit   den  Gegendruckkräften
anderer Sterne zum Stabilisieren benutzt.“

Darauf wußte nun wirklich niemand mehr etwas zu sagen. Wie hatte Lonzo

so schön gesagt: „Thunderclap Genius ist wirklich ein Genius!“

„Na schön“, sagte Ollie, der es satt hatte, den Theorien zuzuhören. „Dann

überlegt   euch   mal,   was   wir   jetzt   unternehmen.   Sonst   geht   uns   dieser   ...,
dieser Raumsegler auch noch durch die Lappen.“

„Der nicht“, meinte Karlie. „Dieses Mal sind wir schneller und wendiger.“ 
„Wir nehmen natürlich Kontakt auf“, schlug Anca vor. „Selbst wenn die Be­

satzung nichts mit den Entführern zu tun hat, kann sie uns sicher ein paar
Tips geben, wo die Entführer stecken könnten.“

Da sich kein Widerspruch erhob, nahm Ollie gleich die Gelegenheit wahr.

Er hatte in den letzten Tagen eifrig mit Karlie an der  Großfunkanlage geübt
und wollte nun sein Können unter Beweis stellen.

Mit zitternden Fingern bediente er die Anlage und schickte einen  Richt­

funkspruch los. „Windjammer ahoi! Hier spricht Ollie von der EUKALYPTUS!
Wie geht es euch?“

Es kam keine Antwort.
„Er hat alles richtig gemacht“, sagte Schwatzmaul und erstickte so irgend­

welche Zweifel an Ollies Fähigkeiten gleich im Keim. Natürlich hätte auch der
Computer den Funkspruch absenden können, aber er überließ dem Kleinen
gern diese Arbeit.

„Entweder sind die unhöflich – oder sie können uns nicht hören“, erklärte

Karlie. „Vielleicht haben die überhaupt keine Funkanlage!“

„Quatsch!“ rief Ollie. „Wie sollen sie sich denn sonst mit ihren Kumpels auf

anderen   Seglern   unterhalten?   Mit   Flaggensignalen   vielleicht?   Oder   mit
Rauchzeichen?“

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Anca lachte hell auf. Aber seltsam war es schon, daß die Fremden nicht rea­

gierten.   Man  sollte   eigentlich  erwarten,   daß   Raumfahrzeuge,   die   einander
selten genug begegneten,  Grußbotschaften ihrer Besatzungen austauschten.
Auf den Weltmeeren der Erde war das früher jedenfalls üblich gewesen, wenn
sich Schiffe unterwegs kreuzten.

„Vielleicht schläft alles an Bord!“
„Oder die können mit akustischen Signalen nichts anfangen!“
Schwatzmaul versuchte es jetzt mit einem lustigen Zeichentrickfilm, den

Harpo und Anca eigens für solche Zwecke angefertigt hatten. Vielleicht rea­
gierten die Fremden auf optische Eindrücke.

Keine Antwort.
„Sind die aber stur!“ schimpfte Anca. „Da fällt mir ein, daß die Leute in der

Kaffeemühle auch nicht reagiert haben.“

„Die   hatten   auch   allen   Grund   dazu!“   rief   Ollie   empört.   „Wo   sie   doch

meinen Kumpel Lonzo und meinen Kumpel Alexander geklaut haben.“ Die
Erinnerung daran übermannte ihn so, daß er mit den Tränen kämpfen muß­
te.

„Ob die sich telepathisch verständigen?“ murmelte Micel und machte dann

eine angestrengte Miene. „So ein Mist. Wir sind noch immer zu weit entfernt.
Ich kann keinen Kontakt aufnehmen.“

„Wir   werden   den   Brüdern   so   dicht   auf   den   Pelz   rücken,   daß  ihnen   gar

nichts anderes übrigbleibt, als uns wahrzunehmen“, regte sich Ollie auf. „Ja­
woll, genau das werden wir machen.“

Was   der   kleine   Mann   so   großspurig   als   seine   Idee   hinstellte,   wurde   in

Wahrheit längst ausgeführt. Sie hielten auf das Sonnensystem zu, das offen­
bar auch der Lichtdrucksegler ansteuerte. Er würde es zwar etwas früher er­
reichen, aber entwischen konnte er ihnen wirklich nicht.

Schwatzmaul   ratterte   inzwischen   Informationen   herunter,   die   er   durch

Spektralanalyse und seine scharfen „Teleskopaugen“ gewonnen hatte. Dem­
nach besaß das System elf Planeten und zahlreiche Monde. Mindestens vier
Planeten  wiesen   Bedingungen   auf,   die   für  menschliche   Lebensformen  ge­
radezu   ideal   geeignet   erschienen.   Zwei   weitere   Planeten   waren   kalte   Ge­
steinsbrocken,   der   nächste   glich   einem   tropischen   Gewächshaus   mit
wolkenverhangenem Himmel – aber auch diese drei Himmelskörper besaßen
eine atembare Atmosphäre. Nur der Rest war für  sauerstoffatmende  Wesen
ungeeignet.

„Wenn überall auf den Sauerstoffplaneten Leute wohnen, dann können wir

uns nach den Piraten totsuchen“, flüsterte Anca traurig.

„Wir schaffen das schon!“ rief Harpo optimistisch. „Erst einmal nehmen

wir uns den Segler vor.“

Der Raumsegler hatte inzwischen die Bahn des elften Planeten erreicht und

seine Geschwindigkeit gedrosselt.

„Aha!“   rief   Thunderclap   triumphierend,   als   er   dicke   Lichtbündel   vom

Rumpf des Seglers abstrahlen sah. Gleichzeitig wurde das Segel durch einen
unbekannten   Mechanismus   mit   rasender   Geschwindigkeit   zu­

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sammengefaltet.   „Die   haben   also   wirklich  Zusatzaggregate.  Das   habe   ich
vermutet.“

Daß der elfte Planet das Ziel des Raumfahrzeuges war, konnte als ziemlich

sicher angesehen werden.

„He!“ hörte man Karlies hohe Stimme. „Der verschwindet auf der Schatten­

seite des Planeten!“

„Näher heranzugehen hat keinen Zweck“, stellte Harpo fest. „Wir nehmen

eines von den Gleitbooten und landen ebenfalls.“

„Klar!“ stimmte Micel zu. „Wenn wir uns beeilen, können wir die Landung

des Seglers noch verfolgen. Aber dieses Mal will ich zur Besatzung des Bootes
gehören!“

„Dann los, beeilt euch!“ rief Thunderclap. „Harpo, Micel und ... Anca ... und

Trompo.“

„Juchhu!“
Niemand maulte, weit er nicht mitdurfte. Jetzt war Schnelligkeit Trumpf.

Trompos Alleingang

Der elfte Planet war nicht größer als der irdische Mond und besaß auch nur

eine unwesentlich größere Schwerkraft. Dennoch war es ihm gelungen, eine
Atmosphäre aufzubauen und sie zu halten. Die riesige rote Sonne des Sys­
tems besaß für diesen äußersten Planeten immer noch die Größe eines Fünf­
markstücks und tauchte seine Umwelt in ein diffuses Licht, das an irdische
Sonnenuntergänge erinnerte. Dem Raumsegler auf den Fersen senkte sich
das   Gleitboot   A­1   mit   summenden   Aggregaten   zur   Oberfläche   hinab.   Der
Raumsegler verschwand hinter Wolkenbänken am Horizont, aber es würde
nicht schwierig sein, ihn wiederzufinden. Er war nur den Augen verlorenge­
gangen, nicht jedoch den Ortungsgeräten.

Nach dem Durchstoßen der abschirmenden Wolkendecke präsentierte sich

der Planet seinen Besuchern als pockennarbiger  Felsklotz.  Nur hier und da
konnte die Besatzung, die sich die Nasen an der Rundum­Sichtscheibe platt­
drückte,   ein   Fleckchen   Grün   erkennen.   Von   der   Existenz   irgendwelcher
Ozeane   konnte   keine   Rede   sein.   Die   grünen   Farbflecke   deuteten   aber
immerhin auf Waldgebiete hin. „Unglaubliches Universum!“ meinte Harpo,
der genau wie die anderen seinen Blick von der trostlos wirkenden Land­
schaft   kaum   abwenden   konnte.   „Das   sieht   ja   nicht   gerade   wie   Abrahams
Schoß aus.“

„Ich   habe   einen   See   entdeckt“,   verkündete   Micel   mit   stolzgeschwellter

Brust. „Natürlich werde ich ihn Fopps Pfütze nennen!“

Anca und Trompo kicherten. Der kleine, rosarote  Miniaturelefant  hockte

auf seinem Lieblingsplatz zwischen den verschränkten Armen des Mädchens
und rieb seine Wange an Ancas Nase. Seine kleinen Stoßzähne blitzten. „Viel

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Felsen,   wenig   Wasser“,   verkündete   er   nach   einem   ausgiebigen   Trompe­
tenstoß. „Ich schlage vor, diesem Planeten den Namen Grauklotz zu geben.“

Harpo und Micel gratulierten ihm zu diesem Namen, während Anca flöte­

te: „Wohlan denn, edle Herren, laßt uns Grauklotz die Ehre erweisen, ihn zu
betreten!“ Ganz bewußt imitierte sie dabei Lonzo, der sicherlich einen sol­
chen Spruch losgelassen hätte, wäre er bei ihnen gewesen. Das machte sie
heiter und traurig zugleich. Denn: Wie mochte es Lonzo ergehen, in der Ge­
walt der Entführer?

In der Tat sah die Landschaft durch den Rundum­Sichtschirm  betrachtet

öde und unbewohnbar aus.

Die  Waldflecken,   die   ihre   Neugier   natürlich   besonders   stark   anzogen,

erwiesen sich aus der Nähe allerdings als Flächen riesigen Ausmaßes.

Als die A­1 sich näherte, erkannte die Besatzung, daß die Blätter der Bäume

seltsamerweise   direkt   aus   den   Stämmen  herauswuchsen.  Sie   waren
riesengroß, und ihre Ränder rollten sich, so daß sie wie mittelgroße Kanus
wirkten, die an Stielen hingen, dicker als der Arm eines Menschen.

Dann flog unter ihnen ein ausgedehntes grünblaues  Pilzfeld  dahin. Auch

diese   Gewächse   besaßen   eine   überdimensionale   Größe.   Wenn   nicht   alles
täuschte,  dann  hatten   gut   hundert   Menschen  unter  den   Vorsprüngen  der
Pilzhüte Platz.

Keines der Gewächse war kleiner als ein Einfamilienhaus.
„He!“   schrie   Harpo   aufgeregt.   „War   dort   nicht   eine   Bewegung?“   Die

anderen fuhren herum und eilten zu Harpos Aussichtsplatz.

„Wo, Harpo, wo?“ quietschte Anca vor Aufregung. Tatsächlich, jetzt sahen

es alle. Zwischen den phantastischen Riesenpilzen erhob sich eine felsgraue
Gestalt, schüttelte sich, riß den Rachen auf und ließ zwei Reihen spitzer, kno­
chiger Zähne sehen. Urwelthaftes Gebrüll ertönte, das in ein drohendes Fau­
chen   überging.  Dann   tauchte   das  schrecklich   anzusehende  Geschöpf,   das
beim Aufrichten bis zu den obersten Pilzhüten reichte, wieder unter.

„Ein Saurier!“ stammelte Anca bleich. Sie klammerte sich an Harpo, der ihr

brüderlich die Wange tätschelte.

„Eine Flugechse war das, Schwesterlein, kein Saurier! Ähnliche Viecher gab

es vor Millionen Jahren auch auf der Erde.“

Anca   schüttelte   sich.   Eine   erneute   Bewegung   im   Pilzfeld   ließ   sie   sofort

wieder   in   Aufregung   verfallen.   Während   sie   wie   gebannt   auf   ein   anderes
spitzköpfiges Geschöpf starrten, das sich langsam erhob, rief Micel: „Es hat
Flügel, aber keine Federn!“

Im gleichen Moment sprang die Echse hoch – und segelte über den Pilzen

dahin.

„Flugechsen bewegen sich durch die Luft, indem sie die Häute zwischen

Armen und Hüften ausbreiten“, meinte Harpo. „Als Flügel würde ich diese
Häute nicht bezeichnen.“

„Uiii‚ die ist aber wirklich groß!“ zirpte Trompo mit seinem zarten Stimm­

chen. Er hatte recht, die Echse wirkte nicht nur aus seiner Perspektive riesig.

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Das Boot bewegte sich auf dem Leitstrahl, der von der EUKALYPTUS aus­

geschickt wurde, und hatte wegen der Bodennähe an Geschwindigkeit verlo­
ren.   Schwatzmaul   sorgte   dafür.   Aber   noch   immer   war   das   Boot   nach
Maßstäben einer Flugechse wahnsinnig schnell. In Sekundenschnelle hatten
sie die Echse überholt und hinter sich gelassen. Das Tier kreischte empört
und flog eine Schleife, wohl unschlüssig, ob es die Verfolgung der vermeintli­
chen anderen Echse aufnehmen sollte. Bis es sich besonnen hatte, war die
A­1 längst außer Sicht. Wieder rasten die Wälder mit den astlosen Bäumen
unter ihnen dahin.

„Dort ist der Sternensegler!“ rief Micel, der wieder hinter den Bildschirmen

Platz genommen hatte. Einige Kilometer vor der A­1 klaffte eine mindestens
zweitausend Meter lange Schneise im Wald. Langgestreckte Gebäude waren
dort   zu   erkennen,   fensterlos,   aber   mit   Eingangstüren   versehen,   die   groß
genug waren, um Lastwagen passieren zu lassen. Der Raumsegler war soeben
vor den Gebäuden niedergegangen. Aber niemand erschien, um die Insassen
zu begrüßen. Ob hier keiner lebte?

„Drei, vier, fünf Gebäude“, zählte Anca laut. „Aber warum haben die keine

Fenster?“

Harpo,   der  Schwatzmaul   die   Anweisungen   zur  Landung   gab,  hatte   nun

keine Zeit mehr für ausführliche Antworten. Gehorsam erledigte das Bordge­
hirn der EUKALYPTUS seine Aufgaben und brachte die A­1 sanft zu Boden.

Zwischen   den   Bäumen,   knapp   am   Rande   der   Lichtung,   war   genügend

Platz.   Dort   setzte   das   Boot   auf.   Nur   ein   paar  badewannengroße  Blätter
wurden ein Opfer der Landung und fielen knarrend zu Boden. Leise erstarb
das Summen  der  Aggregate.  Die ausgefahrenen  Landeteller ließen  die  A­1
einige Male in den hydraulischen Gelenken auf­ und abwippen, dann breitete
sich Ruhe aus.

„Und jetzt?“ fragte Micel. Er hatte seinen Helm aufgesetzt und aktivierte

mit einem Knopfdruck die Funksprechanlage. „Gehen wir hinaus, Harpo?“

Ehe Harpo seinen eigenen Helm aufsetzen konnte, bekam er von seiner

Schwester einen Knuff in die Seite. „Von wegen!“ fauchte sie. „Immer nur die
Männer! Jetzt sind wir Frauen dran mit der Erforschung eines Planeten!“

Harpo und Micel machten verdutzte Gesichter und brachten vor Überra­

schung keine Silbe über die Lippen.

„Na gut“, meinte Harpo schließlich, „lassen wir mal die Frauen allein ge­

hen. Aber – wer ist denn die zweite Frau an Bord außer dir?“

Anca schluckte. „Damit fängt ja die Ungerechtigkeit schon an“, meinte sie

schließlich. Aber dann packte sie ihren Bruder doch bei der Hand und sprang
mit   ihm   gemeinsam   aus   der   geöffneten   Schleuse.   Mit   einem   Riesensatz
schloß sich ihnen Trompo an. Auch er wollte auf jeden Fall dabeisein, wenn
sich ein Abenteuer anbahnte.

„Du hältst die Stellung!“ rief der von den Ereignissen selbst überrollte Har­

po dem zurückbleibenden Micel über die Schulter zu. „Wir bleiben ja in stän­
diger Verbindung.“

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„Das  ist gemein!“ schimpfte  Micel,  der sich  zu  Recht  überfahren  fühlte.

Aber er beruhigte sich schnell wieder. Die anderen hatten es ja nicht böse ge­
meint. Und seine Position war ebenso wichtig.

Der   Boden   des   Planeten   Grauklotz   war   tatsächlich   nicht   so   hart   und

steinig, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Im Gegenteil, er federte
elastisch, gab weich nach und roch ein wenig modrig. Die riesigen Blätter
hatten   wohl   im   Laufe   der   Jahrtausende   für   ausreichenden   Humusboden
gesorgt,  wenn   sie von den  Bäumen  fielen  und  vermoderten.  Die  Luft war
recht kühl, und Harpo kam schon nach wenigen Minuten zu der Ansicht, daß
wärmere Kleidung kein Fehler gewesen wäre. Auf die Raumanzüge hatten sie
bewußt verzichtet, weil die Analyse eine atembare Atmosphäre ohne Risiken
ergeben   hatte.   Die   Funkhelme,   die   das   Gesicht   freiließen,   behinderten
weniger als Raumhelme und reichten für den Zweck aus.

Anca   ließ   sich   nicht   anmerken,   daß   sie   ebenfalls   fror,   und   ersetzte   die

Wärme durch Abenteuerlust und Aktivität. Sie schleifte ihren Bruder regel­
recht   hinter   sich   her,   so   forsch   rannte   sie   los.   Nur   Trompo   war   noch
schneller. Er  genoß  die frische Luft sichtlich und eilte schnuppernd wie ein
Hund voraus.

Sie vermieden es, den Schutz des Waldes jetzt schon zu verlassen und be­

wegten sich auf die schmalste Stelle der Lichtung zu. Dort grenzten die Ge­
bäude an den Wald. Beim Näherkommen bemerkten sie, daß die Langhäuser
aus Holz gezimmert waren. Die Schleusentore des Raumseglers standen of­
fen und spuckten eine Gruppe von Wesen aus, deren Gesichter wegen der
Entfernung   nicht   zu   erkennen   waren.   Jedenfalls   wirkten   die   Umrisse
menschlich, und sie besaßen zwei Arme und zwei Beine – soviel stand fest.
Sie beschäftigten sich mit einem Gefährt, das wie eine schwebende Muschel
aussah, einen   Durchmesser  von  vielleicht   drei  Metern   hatte  und  nun   mit
Ballen, Kisten und anderen sperrigen Gütern beladen wurde.

„Könnt ihr was erkennen?“ drang Micels Stimme aus Harpos  Funkhelm.

Offenbar konnte er wegen der Entfernung ihre Gedanken nicht mehr emp­
fangen.   „Thunderclap   und   die   anderen   sitzen   schon   wie   auf   Kohlen.   Sie
haben angefragt, was sich hier unten tut.“

„Pssst“, machten Harpo und Anca gleichzeitig, weil ihnen die Stimme von

Micel zu laut vorkam. „Fünf, sechs, nein, warte ..., acht Wesen verladen et­
was“, antwortete  Harpo leise. „Tolle  Transportfahrzeuge haben die, Micel.
Platten,   die   auf  Lichtsäulen  über  dem   Boden   schweben.   Eines  der  Wesen
hockt sich gerade auf den Rand einer Platte und fummelt an einem Kästchen
auf der Brust herum. Jetzt bewegt sich das Fahrzeug auf eines der Langhäuser
zu. Klasse!“

„Wir gehen jetzt etwas näher heran“, flüsterte Anca in ihr Mikrophon.
„Seid bloß vorsichtig!“ wisperte Micel zurück.
Anca, Harpo und Trompo schlichen sich noch näher an das erste der Lang­

häuser   heran. Es  kam ihnen gelegen,  daß die  Leute vom  Raumsegler  ihre
Fracht in ein weiter entferntes Gebäude transportierten. Außerdem gab ih­
nen das Langhaus eine gute Deckung. Da der Segler nicht genau im Zentrum

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der Schneise zu Boden gegangen war, sondern schräg gegenüber von den Be­
obachtern,   blieben   bis   zum   zylindrischen   Teil   des   Raumfahrzeugs   kaum
mehr als fünfzig Meter. Man sah hinter dem Zylinder einen haushohen Block
aus dünnen Metallfolien – ohne Zweifel das zusammengefaltete Segel.

Die unvermutet geringe Entfernung zum Segler machte ihnen Mut. Keiner

der Fremden war weit und breit zu sehen.

Trompo flüsterte: „Ich schau mir mal das Schiff an.“ Ohne eine Antwort

abzuwarten und bevor die Geschwister reagieren konnten, flitzte das kleine
Wesen auf die offene Fläche hinaus und verschwand nach etwa fünfzehn Se­
kunden in einer Ladeluke.

„Das hätten wir nicht zulassen dürfen“, flüsterte Anca, obwohl sie ja wußte,

daß Trompo ihnen gar keine Chance gelassen hatte. „Was ist, wenn sie jetzt
zurückkommen und starten?“

„Ach, so schnell wird das nicht gehen“, antwortete Harpo, kaute jedoch

nervös auf seinen Fingernägeln herum – bis ihm seine Schwester einen Klaps
versetzte.   Aber   nervös   waren   beide.   Sie   erinnerten   sich   daran,   daß   die
Fremden nicht auf ihre Kontaktversuche reagiert hatten. Und die Entführung
von Lonzo und Alexander ging möglicherweise ebenfalls auf das Konto von
Wesen dieser Rasse. Vielleicht waren diese Fremden nicht so nett wie die bis­
her kennengelernten Bewohner anderer Planeten. Oder sie scheuten sich da­
vor, mit anderen Raumfahrern Kontakt aufzunehmen. Vielleicht führten sie
Böses im Schilde und wollten anonym bleiben.

Harpo   wagte   nicht,   sich   auszumalen,   was   derartige   Finsterlinge   mit

Trompo   anstellen   würden,   wenn   sie   ihn   erwischten.   Der   geheimnisvolle
Abtransport der Waren fiel ihm ein. Schafften so nicht Schmuggler und Dun­
kelmänner ihre Fracht an abgelegenen Plätzen in Sicherheit?

Zögernd fragte er: „Sollen wir ihm nicht lieber nachgehen, bevor ein wei­

teres Unglück geschieht?“ Er spielte damit auf Lonzos und Alexanders Ent­
führung an.

Am Aufblitzen ihrer Augen erkannte er, daß Anca nur auf diesen Satz ge­

wartet hatte. Aber gerade, als sie ihre Deckung verlassen wollten, löste sich
eine Gruppe von Fremden aus dem Schatten eines Langhauses und bewegte
sich auf den Raumsegler zu. Die schwebende Plattform überholte die Gruppe
und   verharrte   vor   der   Schleuse.   Die   Wesen   halfen   beim   Beladen   und
schlenderten dann zum Langhaus zurück. Das Fahrzeug folgte. Alles wirkte
ruhig und verlassen.

„Los“,   zischte   Harpo.   Die   Geschwister   faßten   sich   an   den   Händen   und

rannten los. Die Zeit erschien ihnen endlos, aber schließlich tauchte vor ih­
nen die geöffnete Schleuse auf. Sie stolperten hinein, wobei Anca infolge der
geringen Schwerkraft wie ein Segelflugzeug an Harpo vorbeischoß.

„Au!“ klagte sie schon vor dem Aufprall und fiel dann zu Boden. Harpo half

ihr   auf,   während   sie   tapfer   und   mit   Tränen   in   den   Augen   weitere
Schmerzensrufe  unterdrückte. Sie rieb sich die Hüfte, aber dann tappte sie
hinter Harpo in das Dunkel hinein und rief leise Trompos Namen.

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Das kleine Wesen meldete sich nicht. Plötzlich verloren Harpo und Anca

zugleich den Boden unter den Füßen, schossen eine Schräge hinab, welche
die Qualität einer glatten Rutschbahn hatte, und landeten unvermutet weich
in einem riesigen Berg von Stoffballen. Trotz des unzureichenden Lichts vom
Eingang her sahen sie die dichte Staubwolke, die nach dieser Landung auf­
stieg.

Anca und Harpo mußten husten und niesen.
„Ist etwas passiert?“ wollte Micel über Funk wissen, mußte aber vorerst auf

eine Antwort verzichten.

„Hier   bin   ich!“   fiepte   es   plötzlich.   Mit   einem   Satz   landete   ein   kleines

Bündel auf Ancas Schulter.

„Alter Ausreißer!“ sagte Anca lachend und doch erleichtert. „Trompo, wenn

dich die Fremden erwischt hätten ...“

„Leise“, mahnte Harpo.
Dann hörten sie ein Geräusch am Eingang und klammerten sich instinktiv

aneinander.

Eine Gestalt hob sich deutlich vor dem Hintergrund ab. Sie hatte Ähnlich­

keit mit einem kapuzenvermummten Henkersknecht. Und bewegte sich ziel­
strebig auf die Gruppe der Eindringlinge zu ...

Nomaden des Weltraums

Ein unterdrücktes Kichern drang von draußen herein. Es kam von mehre­

ren Wesen, nicht nur von einem. Tatsächlich drängten sich hinter der ersten
Gestalt   weitere   Fremde   in   den   Laderaum.   Harpo   und   Anca   schlossen   ge­
blendet die Augen, als unerwartet hellgrünes Licht aufflammte. Trompo legte
verwirrt die Ohren an.

Eine warme Stimme sprach einen Satz und schwieg dann wieder. Später er­

fuhren sie, daß der Sprecher Rajah hieß und gesagt hatte: „Na, wen haben wir
denn da?“

Aber der Tonfall der Stimme allein genügte. Harpo blinzelte erstaunt und

stützte sich mit den Händen ab. Ehrlich verblüfft musterte er die seltsame
Gesellschaft,   die   sich   über   ihn,   seine   Schwester   und   Trompo   beugte   und
dabei nicht mit melodisch klingenden Kommentaren sparte.

Wie dumm sie doch gewesen waren! Daß diese zarten, beinahe elfenhaften

Geschöpfe keine bösen Absichten hegten, konnte man schon an ihren schalk­
haft lachenden Augen erkennen. Vom Sternenlicht gebräunte Gesichter sa­
hen   zu   ihnen   herab.   Feingliedrige   Hände   ohne   jede   Waffe   waren   zu
erkennen.   Es   waren   zierliche   Gestalten   mit   menschlichen   Gesichtszügen,
kleinen Nasen, Mündern und Ohren. Sie waren harmonisch, fast engelhaft
schön.   Unter   den   Kapuzen   lugten   silberne,  silberblonde  oder  silberrote,
weißblonde oder kupferrote Locken hervor.

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Erst   beim   näheren   Hinsehen   erkannte   Harpo,   daß   die   Ohren   ein   klein

wenig   spitz  ausliefen   und   die   Augen   ungewöhnlich   groß   waren.   Aber  das
schienen die einzigen anatomischen Unterschiede zum Menschen zu sein.
Als die Kapuzen zurückgeschlagen wurden, konnte man die ganze Pracht der
vorher nur mühsam gebändigten Locken bewundern. Alle sahen jung und
gleichaltrig aus. Erst später sollte Harpo erfahren, daß mehrere Generationen
einer Familie anwesend waren. Aber selbst ein schärferer Beobachter hätte
nur an winzigen Kleinigkeiten Altersunterschiede feststellen können.

„Wir ... wir wollten gar nicht ... äh ... ich meine, wir meinen ... wir haben nur

...“ Harpo suchte stotternd nach Worten. Er warf seiner Schwester einen hilfe­
suchenden Blick zu. Anca verstand, daß sie ihn unterstützen sollte, aber der
Kloß, der seit dem Auftauchen der Fremden in ihrem Hals steckte, war noch
nicht hinuntergeschluckt.

„Stimmt“, flüsterte sie schließlich. „Wir ... äh ... wollten nur ...“
Das erste der fremden Wesen kniete neben ihnen nieder und berührte die

beiden Kinder mit den Händen an den Schultern. Ein freundlicher Blick traf
Harpo und Anca. Die Augen erinnerten an funkelnde Rubine, wirkten aber
trotz ihrer Fremdartigkeit vertrauenerweckend. Es war ein Mann.

„Ihr braucht keine Angst vor uns zu haben“, sagte er. Der Translator an

Harpos Handgelenk, den er nach der ersten Verwirrung eingeschaltet hatte,
übersetzte ohne Schwierigkeiten. Offenbar hatten ihm die vielen Äußerungen
der Umstehenden bereits zur Analyse der Sprache gereicht.

„Wir tun keinem etwas“, fügte das Wesen hinzu.
„Wir   heißen   Harpo   und   Anca   Trumpff“,   sprudelte   Harpo   hervor.   „Und

dieser kleine Wicht“ – er deutete  auf den immer noch in Ancas Arme ge­
kuschelten Trompo – „heißt Trompo und ist der eigentlich Schuldige. Er lief
hierher, und da dachten wir ...“

„Ihr müßt euch nicht entschuldigen“, sagte das Elfenwesen lächelnd. „Ich

heiße Rajah. Wir haben euch übrigens erwartet.“

Anca und Harpo wechselten erstaunte Blicke.
„Was? Aber woher wußtet ...“
Rajah lachte herzlich, und die anderen fielen fröhlich mit ein. „Glaubt ihr

wirklich, wir hätten euch nicht bemerkt? Euer Schiff ist ja nicht gerade klein;
man kann es schwer übersehen. Und euer Beiboot hatten wir auch die ganze
Zeit über auf unseren Schirmen.“

„Aber warum habt ihr nicht ...?“ fragte Anca.
„Du willst sicherlich wissen, warum wir auf eure Botschaften nicht reagiert

haben?“ Rajah sah in ihren Augen die Bestätigung und wandte sich seinen
Gefährten zu. Dann meinte er: „Nicht alle Wesen, die im Weltall unterwegs
sind,   kann   man   als   seine   Freunde   bezeichnen.   Leider.   Wir   haben   einige
schlechte Erfahrungen gerade in der Nähe dieses Sonnensystems gemacht.
Ein   Schiff   eurer   Größe   und   Bauart  haben   wir   noch   niemals   gesehen.  Wir
waren vorsichtig und wollten erst einmal abwarten. Und es gefiel uns besser,
euch hier zu empfangen, zu unseren Bedingungen, wenn ihr so wollt.“ Er lä­
chelte wieder. „Ernsthaft: Wir hielten euch anfangs sogar für Riesen, als wir

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euer Schiff sahen. Und die nehmen kleine Leute wie uns manchmal nicht
ernst ...“

Harpo ließ ihn trotz seiner Erregung erst einmal aussprechen, aber dann

redete er so schnell, daß der Translator  kaum nachkam. „Und wir hielten
euch für Räuber und Entführer. Fremde haben nämlich vor einigen Stunden
zwei unserer Freunde direkt vor unserer Nase entführt.“

Rajah und die anderen Elfenwesen machten betroffene Gesichter und woll­

ten Einzelheiten wissen. Nachdem Harpo den Hergang und das Aussehen des
Raumfahrzeugs ausführlich beschrieben hatte, sagte eines der Wesen, dessen
zarte Rundungen andeuteten, daß es ein Mädchen war: „Das können nur die
Pecas­Piraten gewesen sein.

Rajah nickte. „Das ist Yilmaz“, stellte er vor. Yilmaz lächelte und reichte ih­

nen beide Hände. Harpo fand ihr Lächeln bezaubernd und war begeistert von
ihrem kupferroten Haar und der knabenhaften Figur. Wie alle anderen trug
sie einen enganliegenden Overall aus einem gelbseidenen Stoff.

Bei   dieser   Gelegenheit   kamen   auch   die   anderen   näher,   nannten   ihre

Namen und berührten die Kinder mit den Händen. Thoris hieß ein Mann, der
wie Rajah silberne Locken hatte. Und Ursa war eine Frau mit weißblondem
Haar und reizenden Grübchen  im Gesicht.  Ein weiteres weibliches Wesen
hieß  Allina,  ein Mann hieß Kalo  ... Die  anderen  Namen  konnte  Harpo  so
schnell nicht behalten, vor allem deshalb, weil seine Augen und Gedanken
meistens bei Yilmaz waren. Zu gut gefielen ihm die langen, seidigen Wimpern
und die kirschroten Lippen.

„Wir sind der Maloi­Clan aus dem Volk der Akkais“, erläuterte Rajah. „Eine

große Familie, wenn ihr so wollt.“

„Ohne Kinder?“ wollte Anca wissen, die sich wunderte, daß alle gleich groß

waren – nicht ganz so groß wie sie – und gleichaltrig aussahen.

„Oh, nein“, antwortete Rajah. „Kalo hier ist unser Jüngster. Er ist fünf Jahre

alt. Bei uns wachsen die Kinder schnell heran. Er ist mein Enkel. Unsere sons­
tigen verwandtschaftlichen Bindungen will ich euch lieber nicht aufzählen,
das würde euch nur verwirren. Wenden wir uns lieber euren Problemen zu.“ 

„Dann gehen wir aber an einen gemütlicheren Platz“, warf Ursa ein und

führte   die   ganze   Gesellschaft   in   einen   behaglich   eingerichteten   Raum   im
Oberdeck.  Reichverzierte  Sitzkissen   luden   dort   zum   Ausruhen   ein.   Die
Wände   der  Kabine   waren  mit   duftenden  Seidenstoffen   überzogen,  und   in
Nischen wuchsen großblättrige Pflanzen mit rotgelben Knospen, die ein biß­
chen an Rosen erinnerten. Kalo erhitzte in einer Kanne ein dickflüssiges Ge­
tränk, das  rasch  belebte und ein köstliches,  mildsüßes  Aroma  hatte.   Anca
nannte es „Teehonig  mit Rum“, weil es von all diesen Sachen ein wenig an
sich hatte.

Harpo hatte dem drängenden Micel inzwischen einen Kurzbericht gegeben

und vertröstete ihn ansonsten auf später.

„Ich weiß gar nicht recht, wo ich anfangen soll“, sagte Rajah grübelnd. „Ob

jetzt bei den Pecas­Piraten oder bei den Akkais ...“

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„Oder bei dem  Raumsegler ...  ich meine, eurem ungewöhnlichen Raum­

schiff!“ rief Harpo.

„Oder ihr erzählt uns zuerst etwas über euch“, meinte Yilmaz. „Ich bin sehr

neugierig.“

Rajah lächelte. „Bevor wir uns streiten oder alle durcheinanderreden, be­

ginne ich am besten damit, daß ich über mein eigenes Volk berichte.“

Da niemand widersprach, machte er es sich gemütlich, indem er die Beine

zum Schneidersitz  übereinanderschlug und begann: „Man nennt die Akkais
die  Nomaden   des  Weltraums,   denn  wir   kennen  kein   festes  Zuhause,   sind
nicht auf einem bestimmten Planeten  seßhaft.  Unsere Heimat ist vielmehr
unser Schiff. Das heißt, für den Maloi­Clan ist es dieses Schiff, für die anderen
Clans sind es andere Schiffe.

Die meisten von uns treiben Handel in diesem Sonnensystem und sechs

weiteren in der Nähe. Ihr habt euch vielleicht schon zusammengereimt, daß
wir die Energie der Sterne als Druckkraft ausnutzen und dabei nur langsam
vorankommen.“

Anca, Harpo und Trompo nickten eifrig, als sei dies ein ganz alter Hut für

sie. Schuldbewußt mußten sie sich eingestehen, daß sie vor ein paar Stunden
Thunderclaps diesbezügliche Feststellung entschieden angezweifelt hatten.

„Das setzt uns Grenzen“, fuhr  Rajah fort. „Die ältesten von uns werden

hundert Jahre alt – da geht es nicht an, daß man für eine einzige Handelsfahrt
zwischen zwei Sternen zwanzig Jahre oder mehr braucht. Und das würde uns
nämlich passieren, wenn wir versuchten, außerhalb der umliegenden, eng
beieinanderstehenden Sterne weiter in den Kosmos vorzudringen. Wir errei­
chen nur maximal 70 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Und außerdem gibt
es   in   diesem   Bereich   achtzehn   Zivilisationen,   die   für   den   interstellaren
Handel in Frage kommen. Das genügt uns. Ein bißchen Handel treiben üb­
rigens alle Akkais. Aber während wir uns nur davon ernähren, gibt es andere
Clans, die immer ein paar Jahre lang auf einem Planeten bleiben und sich
dort   mit   den   verschiedenartigsten   Tätigkeiten   durchschlagen.   Natürlich,
sofern   es   Welten   mit   geringer   Gravitation   sind.   Denn   wir   halten   es  nicht
lange aus, wenn uns die Schwerkraft zu Boden drückt. Wir lieben die Schwe­
relosigkeit des Raumes, die unermeßliche Weite, die Sterne ... Aber wir sind
auch rein körperlich gar nicht dafür geschaffen, lange auf einem Planeten zu
leben.“

„Aber ihr müßt doch von einem Planeten stammen“, wunderte sich Harpo.

„Ihr habt euch doch nicht im Weltraum entwickelt. Wo kommen eure Schiffe
her? Was macht ihr auf diesem Planeten? Ist das nicht eure Heimat?“

„Langsam, langsam“, wehrte Rajah die hitzigen Fragen ab, während Yilmaz

und einige andere fröhlich auflachten. „Also: Dieser Planet, den wir Alphacca
nennen, ist eine Art Anlaufstelle für uns und andere Clans. Er ist unbewohnt,
wenn man von Echsen und anderem Getier, vor allem in den  Pilzwäldern,
einmal   absieht.   Hier   haben  wir   unsere  Magazine  aufgebaut,   in   denen   wir
Waren einlagern, die an der Atmosphäre ausdünsten müssen oder in irgend­
einer Art von uns bearbeitet werden. Wir kommen zum Beispiel gerade vom

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Planeten Cariba im Nachbarsystem und haben dort Kunstgegenstände gegen
Samen eingetauscht, den wir mit einem Spezialverfahren für den Planeten
Extor  brauchbar machen ... Aber ich schweife ab und wäre jetzt schon fast
zum Thema Pecas­Piraten gekommen, denn die machen uns hier gelegent­
lich auch Ärger ...“

Bevor   Anca   die   Chance   hatte,   eine   Frage   einzuschieben,   hob   Rajah

beschwichtigend die Hände. „Kommt ja alles noch“, sagte er. „Aber du hast
recht, Harpo. Obwohl wir manchmal drauf und dran sind, es zu vergessen:
Unser Volk hat sich auf einem Planeten entwickelt. Aber der ist unendlich
weit weg. Eine Schiffskatastrophe hat unsere Vorfahren vor vielen hundert
Jahren hier stranden lassen; sie konnten nicht mehr zurück. Aber sie besaßen
ein großes Raumschiff, vielleicht so groß wie eures, mit einem ausgebrannten
Antrieb – und ihr Wissen. Unsere Heimatwelt Akkai war ein Riesenplanet mit
äußerst geringer Schwerkraft, eine  Zauberwelt, die vor allem aus einer  gas­
ähnlichen  Materie   bestand.   Unsere   Ahnen   wußten,   daß   sie   auf   den   um­
liegenden Planeten keine Überlebenschance hatten. Wißt ihr, was sie taten?“

Rajah schwieg und sah die Gäste fragend an, antwortete dann aber selbst.

„Sie demontierten ihr riesiges Raumschiff und bauten Raumsegler  daraus,
viele hundert Stück. Nichts blieb übrig. Sie verwendeten jede Schraube. Je­
weils   ein  Pärchen,   ein  Mann  und  eine   Frau,   bekam  einen   Segler.  So  ent­
standen die Clans. Und es funktionierte. Bis heute. Wir haben unser Wissen
gehütet und erweitert. Wir können uns im lebensfeindlichen Weltraum be­
haupten. Wir können die wichtigsten technischen Geräte reparieren und neu
bauen. Und einmal in fünf Jahren treffen alle Clans zu einem großen Fest
mitten im Weltraum zusammen, feiern miteinander und tauschen ihr Wissen
aus – und Mitglieder ihrer Familien. In wenigen Wochen ist es wieder soweit.
Ihr seid schon jetzt herzlich dazu eingeladen!“

Harpo und Anca hatten ergriffen diesem Bericht gelauscht, zumal Rajah

mit großer innerer Anteilnahme gesprochen hatte. Selbst Trompo sah man
an, daß er beeindruckt war. Harpo bedankte sich höflich für die Einladung.
Nach Möglichkeit würden sie gern kommen, sagte er. Klar doch, das durften
sie sich nicht entgehen lassen.

„Was nun die Piraten angeht“,  meldete sich  Thoris nach  einer Weile zu

Wort, „so kommen die von einem Mond des siebten Planeten. Es gibt dort
mehrere   Banden   mit  selbstgebastelten  Raumschiffen.   Die   haben   uns   und
anderen Rassen schon mehrmals Ärger gemacht. Aber von einem derart fre­
chen Überfall habe ich noch niemals gehört. Meistens versuchen sie sogar,
friedlich mit uns zu handeln.“

„Ist es der einzige Mond des Planeten?“ wollte Anca gleich wissen. „Wir

müßten nämlich so schnell wie möglich aufbrechen und versuchen unsere
Freunde zu finden. Was machen die überhaupt mit Lonzo und Alexander?“

„Oh,   die   Pecas­Piraten   handeln   mit   allem,   was   ihnen   unter   die   Finger

kommt“,  sagte  Rajah. „Aber vielleicht  kann  ich euch einen  Vorschlag  ma­
chen.“

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Er beriet flüsternd mit den anderen Akkais. Offenbar waren alle einer Mei­

nung, denn es wurde nicht lange diskutiert.

„Bevor  wir   zu  unserem  Fest  aufbrechen“,  wandte   sich  Rajah  schließlich

wieder an die Gäste von der EUKALYPTUS, „steht sowieso noch eine Fahrt
zum Pecas auf unserem Programm. Wenn ihr wollt, könnt ihr uns begleiten.
Wir würden euch bei der Suche helfen.“

„Mensch, klasse!“ rief Harpo erfreut.
„Da wir mehrere Tage für die Fahrt benötigen, werden wir am besten noch

heute aufbrechen“, schlug Ursa vor.

„Prima!“ jubelte Anca. „Darf Micel auch mit?“
„Wer ist Micel?“
„Er sitzt am Funkgerät unseres Gleitbootes und wartet sehnsüchtig darauf,

daß wir ihm etwas über euch erzählen. Angst hat er sicher auch.“

„Ja,   dann   laßt   ihn   schnell   herkommen“,   sagte   Ursa   und   lächelte.   „Wir

starten, sobald er an Bord ist.“

„Was wird aus eurem Boot?“ fragte Yilmaz. „Wollt ihr es hier zurücklassen?“
„Schwatzmaul – das ist nämlich unser Bordgehirn – wird es ferngesteuert

zur EUKALYPTUS zurückholen“, erwiderte Harpo.

Die   Akkais   lachten   über   den   lustigen   Namen   Schwatzmaul,   und   Harpo

mußte nun erst einmal erzählen, was es damit auf sich hatte.

„Aber wolltet ihr nicht zunächst wichtige Arbeiten auf Alphacca erledigen?“

fragte Anca  schuldbewußt.  „Dieser  Samen,  der  aufbereitet  werden  muß  ...
Vermutlich bringen wir eure Pläne durcheinander.“

„Nein, nein“, wehrte Rajah ab. „Macht euch darüber keine Gedanken. Ein

paar von uns bleiben hier. Sie werden es schon allein schaffen.“

„Harpo, Harpo!“ meldete sich Micel aufgeregt. „Ich habe das meiste mitge­

hört und bin direkt mit Thunderclap verbunden. Die Jungs auf der EUKALYP­
TUS brennen darauf, auf Alphacca zu kommen und bei der Arbeit zu helfen.
Die Roboter können auch mit anfassen.“

„Prima!“
Harpo gab diesen Vorschlag gleich weiter. Die Akkais waren begeistert. Sie

hatten nämlich ein bißchen  geschummelt, um den jungen Leuten von der
EUKALYPTUS zu helfen. Eigentlich hatten sie vorgehabt, erst die Arbeit zu
erledigen und nach dem Fest zum Pecas zu fahren.

„Micel, sag Thunderclap und den anderen Bescheid, daß sie willkommen

sind“, rief Harpo in sein Mikrophon. „Und dann nimm deine Beine in die
Hand. Wir starten zum Pecas!“

„Juchhu!“ rief Micel und gab die Neuigkeiten gleich an die EUKALYPTUS

weiter.

Wenig später haspelte er schon wieder in das Mikrophon, das ihn mit Anca

und Harpo verband: „Thunderclap läßt sagen, daß der Tisch schon gedeckt
werden kann. In spätestens einer Stunde landet das zweite Gleitboot auf Al­
phacca. Nur Schwatzmaul hält die Stellung auf der EUKALYPTUS. Und stellt
euch vor: Ollie hat nicht einmal gefragt, ob es auf Alphacca heimtückische
Krankheitserreger gibt!“

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Harpo   und   Anca   lachten   hellauf.   Sie   stellten   sich   bildhaft   vor,   wie   der

Kleine mit glühenden Wangen dem Abenteuer entgegenfieberte und keine
Zeit mehr hatte, über seine eingebildeten Krankheiten nachzudenken.

„Wir haben keinen Raumanzug für Trompo!“ fiel es Harpo siedendheiß ein.

„Vielleicht sollte er besser auf Alphacca bleiben. Wer weiß, was uns auf Pecas
erwartet? Da braucht man sicher druckfeste Kleidung ...“

„Kommt überhaupt nicht in Frage“, protestierte das kleine Wesen empört.

„Als alter  Raumhase  bleibe ich doch nicht auf einem Planeten zurück! Ich
komme auf jeden Fall mit! Notfalls warte ich auf euch im Raumsegler.“

„Klar!“ rief Anca. „Trompo muß mit. Ohne ihn würden wir vielleicht jetzt

noch im Wald hocken und die Akkais aus der Ferne beobachten.“

„Na gut!“ Harpo gab sich geschlagen und war gar nicht böse darüber.
„Auf zum Pecas!“ jubelte Anca, und Trompo ließ einen schrillen Trompe­

tenstoß los.

„Unterwegs müßt ihr uns eine Menge über euch erzählen“, forderte Yilmaz

und machte einen Schmollmund, weil die drei neuen Freunde noch immer
so gut wie nichts über sich und ihr Raumschiff berichtet hatten.

„Klar, machen wir!“ riefen Anca und Harpo wie aus einem Mund.

Landung auf Pecas

„Das ist also Pecas“, sagte Harpo leise, während er interessiert durch das

Glas der engen Zentrale des Raumseglers starrte. Der Raum war schmucklos,
nüchtern und zweckbezogen, wie alle Abteilungen des Seglers, die nicht zum
direkten Wohnen gedacht waren. „Werden wir dort landen?“

„Wie man es nimmt“, antwortete Rajah. „Nicht mit dem Segler, obwohl die

Schwerkraft auf Pecas so gering ist, daß es mit den Projektoren möglich wäre.
Aber leider würde ein solches Manöver ein  Riesenloch  in unseren Energie­
Etat reißen. Deshalb lösen wir den für Pecas bestimmten Teil der Handels­
waren ab und landen zusammen mit dem Lagersegment.“ Anca betrachtete,
die Stirn in Falten gelegt, grübelnd den Mond. „Man kann sich gar nicht vor­
stellen“,   flüsterte   sie,   „daß   dort   überhaupt   jemand   lebt.   Es   sieht   alles   so
lebensfeindlich, so kalt und grau aus.“ Sie schüttelte sich.

„Lebensfeindlich?“ Micel Fopp lachte. „Was meinst du wohl, wie mir der

Schädel brummt! Ich habe noch nie zuvor auf so engem Raum konzentriert
derart viele Bewußtseinsströme zu spüren bekommen.“

„Ja, aber wo stecken die denn alle?“ fragte Harpo verdutzt. „Man sieht doch

nichts als leergefegte Krater und Höhleneingänge!“

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„Eben“, meinte Rajah lächelnd. „Höhleneingänge. Der ganze Mond ist ein

einziges Labyrinth  weitverzweigter  Höhlen. Obwohl hier mehrere Millionen
Truuks,  Panquas  und  Truujiss  leben   –   von   den   unzähligen   Tier­   und
Pflanzenarten einmal ganz abgesehen –, hat man diese Höhlen erst zu einem
Bruchteil erforscht.“

„Kein Wunder,  daß sich  Piraten dort unten  gut  verstecken  können“,  er­

widerte Harpo nickend. Zu Micel gewandt, sagte er: „Sag mal, auch wenn das
für dich wie eine Zumutung klingt: Hast du trotz dieses geistigen Wirrwarrs
Hoffnung, Lonzo und Alexander aufzuspüren?“

„Nein.“ Micel schüttelte den Kopf. „Auf mich dürft ihr dieses Mal wirklich

nicht zählen. Anders sähe das aus, wenn ich durch Zufall in ihre Nähe käme.
Es   ist   für   einen   Nicht­Telepathen   wohl   auch   nicht   vorstellbar,   wie   mich
dieses Tohuwabohu von  Gehirnströmungen  schafft. Da läßt sich überhaupt
nichts mehr voneinander trennen, wenn es etwas weiter entfernt ist. Es geht
alles in einem dichten  Hintergrundsummen  unter, versteht ihr? Stellt euch
vor, ihr versuchtet zu verstehen, was in der Ecke einer Bahnhofshalle geredet
wird. Das ist unmöglich, wenn dort einige Tausend Menschen gleichzeitig
durcheinanderreden und ihr zudem in einer anderen Ecke steht. So ungefähr
geht es mir jetzt.“

„Wie sieht es mit Funkkontakten aus?“ wollte Anca wissen.
„Pustekuchen“,   entgegnete   Harpo.   „Die   Höhlen   stellen   ideale   Abschir­

mungen   dar.   Selbst   wenn   wir   davon   ausgehen,   daß   man   Alexander   und
Lonzo die Funkgeräte  nicht abgenommen  hat: Die  Geräte sind einfach zu
schwach, um uns zu erreichen.“

„Aber vielleicht können wir sie mit unserem Sender anpeilen.“
„Aussichtslos“,   sagte   Harpo   mit   einer   wegwerfenden   Handbewegung.

„Auch der Empfangsteil der beiden ist zu leistungsschwach. Das einzige, was
wir mit einem solchen Versuch erreichten, wäre, daß wir ihre Entführer auf
uns aufmerksam machen.“

„Aber warum landen wir dann überhaupt erst auf Pecas, wenn alles so aus­

sichtslos ist?“ fragte Anca niedergeschlagen. „Wenn die Höhlensysteme nicht
einmal   von   denen   erforscht   sind,   die   dort   leben   –   wie   sollen   wir   dann
Freunde finden können?“

„Nicht gleich aufgeben, kleines  Menschenmädchen.“ Rajah zwinkerte ihr

zu. „Wir Akkais haben eine Menge Freunde auf Pecas, viele Augen, viele Oh­
ren, viele Nasen. Unsere Freunde werden überall Ausschau halten. Wenn die
Piraten   ihre   Beute   schnell   verkaufen   wollen,   müssen   sie   damit   auf   den
schwarzen Markt gehen. – Glaubt mir, es wird sich schnell herumsprechen,
wenn   zwei   so   fremdartige   Wesen   wie   Alexander   und   Lonzo   zum   Verkauf
angeboten   werden.   Man   muß   ein   bißchen   Geduld   haben.   Wenn   sich   die
beiden Entführten wirklich auf Pecas befinden, werden wir sie mit Gewißheit
früher oder später auch finden.“

„Pecas hat keine Atmosphäre, nicht wahr?“ fragte Harpo.
„Gut beobachtet“, lobte Rajah. „Aber die meisten Höhlen haben eine. In

früheren Zeiten gab es viele  Sauerstoffverluste  durch  Höhlenrisse, poröses

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Gestein und Verbindungen zu Hohlräumen ohne Atemluft. Aber inzwischen
sind die  Leckstellen  im bewohnten Teil des Labyrinths perfekt abgedichtet.
Das haben die Truuks allein geschafft, mit ausschließlich natürlichen Hilfs­
stoffen.“

„Ein Piratenvolk mit Phantasie?“
„Oh“   erwiderte   Rajah,   „ihr   dürft   die   Truuks   nicht   mit   ihren   schwarzen

Schafen   gleichsetzen.  Die  meisten   von ihnen  sind ausgesprochen   liebens­
werte   Lebewesen.   Lustig,   verspielt   und   randvoll   mit   Ideen,   dabei   hand­
werklich sehr geschickt. Ihr müßt euch vorstellen: Diese Leute waren bis vor
einigen Jahrzehnten reine Bauern, Jäger und Handwerker, wurden dann von
uns entdeckt und in den interplanetaren Handel einbezogen. Seither eilen sie
mit Riesenschritten der technischen Entwicklung nach, haben die Sache aber
natürlich noch nicht richtig im Griff. Nur so ist zu erklären, daß unsere Ma­
schinen, Antriebsaggregate und Präzisionsgeräte auf den  schwarzen Markt
gelangten oder einfach gestohlen wurden.“

„Dann  lebten   die  Truuks  bis  vor  kurzem   am Ende   noch  unter   feudalis­

tischen Verhältnissen?“ wollte Micel wissen.

„Was   heißt   bis   vor   kurzem?“   meinte   Rajah   belustigt.   „Dem   Truuk­Adel

schwimmen erst jetzt allmählich die Felle weg. Unter den Truuks gibt es viele
Diebe, Piraten und andere Dunkelmänner. Zum Teil verstehen sie sich als
Rebellen und sind es wohl auch. Andere wollen sich einfach nur bereichern
und ein Leben führen, das dem des tonangebenden Adels entspricht. Man
kann schließlich nicht erwarten, daß sich durch ein paar Maschinen schlag­
artig die sozialen  Verhältnisse  ändern. Langfristig geschieht das wohl, aber
vorher   kommt   es   eben   zu   Auseinandersetzungen   zwischen   den   verschie­
denen Interessengruppen. Das ist überall im Universum so. Erst wenn sich
eine fortschrittliche Strömung durchsetzt, kommt es zu einer Weiterentwick­
lung – in der Wirtschaft, in der Technik und natürlich auch in der Form des
Zusammenlebens.“

„Warum   habt   ihr   denn   überhaupt   Kontakt   mit   ihnen   aufgenommen?“

wollte Harpo wissen. „Hättet ihr sie nicht besser einen eigenen Weg finden
lassen sollen? Vielleicht sind sie sehr unglücklich darüber, weil die Technik
ihre ganzen Lebensbedingungen umgekrempelt hat.“

„Wir sind Händler“, gab Rajah schulterzuckend zurück. „Die Truuks hatten

uns   Güter   anzubieten,   die   wir   brauchen   konnten.   Und   wir   haben   sie   zu
keinem Zeitpunkt übervorteilt. Das ist auch der Grund, warum wir so viele
Freunde dort haben. Als dann Händler von den anderen  Planeten kamen,
haben sie schnell  den Unterschied zwischen denen und uns gemerkt. Die
wollten betrügen, ungerecht tauschen.“

„Ich weiß nicht“, sagte Harpo unschlüssig. „Ganz richtig finde ich es trotz­

dem nicht.“

„Dann mußt du aber kritisieren, daß wir überhaupt in diesen Raumsektor

eingedrungen   sind.   Und   das   war   eine   Existenzfrage   für   uns.   Wir   mußten
überleben, Kontakte aufnehmen. Pecas blieb viele Jahrhunderte lang unent­
deckt, aber letztlich konnte sich der Mond dem Zugriff eben doch nicht ent­

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ziehen. Und die jetzt dort ablaufende Entwicklung hätte auch ohne unser Zu­
tun stattgefunden. Nur langsamer. Und, wer weiß ...“

„Ach, das wird mir zu langweilig“, unterbrach Anca Rajahs Ausführungen.

„Laßt   uns   lieber   die  Lagersegmente  abtrennen   und   landen,   damit   unsere
Freunde aus den Händen der Piraten befreit werden.“

Das   mußten   sie   nicht   zweimal   sagen,   denn   alle   waren   ungeduldig   und

voller Tatendrang.

Anca war als erste in einen Raumanzug gestiegen.  Rajah half ihr bereits

beim Anlegen des Schwerkraft­Neutralisators  und zeigte ihr, wie sie damit
umgehen mußte. Harpo, Micel und die anderen Akkais schlüpften ebenfalls
in ihre Raumkleidung und wurden mit Neutralisatoren ausgestattet.

Harpo ertappte sich dabei, daß er zu Yilmaz  hinüberschielte, während sie

sich umzog.

Das elfenhafte Mädchen bemerkte seine Blicke und lächelte ihm zu. Unge­

niert und beinahe zärtlich. Als Harpo merkte, daß ihm die Röte ins Gesicht
schoß, klappte er schnell seinen Raumhelm zu. Er fühlte sich etwas verwirrt
und mußte mehrmals dazu aufgefordert werden, mit zur Schleuse zu gehen.

Was waren das für eigenartige Gefühle? Sicher, er mochte Yilmaz sehr gern.

Aber auch Anca. Und die war schließlich auch ein Mädchen. Weshalb wurde
er darin verlegen, wenn er Yilmaz sah? Wenn sie ihn anlachte? Und weshalb
mußte er dauernd an sie denken?

In den nächsten Sekunden wurden diese Gedanken verdrängt. Es gab eine

Menge zu tun. Von Yilmaz sah er nicht mehr als eine Gestalt in einem unför­
migen Raumanzug und schattenhafte Konturen ihres zarten Gesichts hinter
der Scheibe ihres Helms.

Während der Segler auf einer Parkbahn um Pecas lag, kletterten die zehn

Akkais und ihre Freunde von der EUKALYPTUS zwischen den Lagerräumen
hin und her. Projektoren wurden an dem  abzukoppelnden  Segment ange­
bracht und zusätzliche Vorräte eingeladen. Dann ging es an die Montage­
arbeit.   Mit   großen   Schraubenschlüsseln   bewaffnet,   lösten   sie   die
Verbindungen   zwischen   dem   Lagersegment   und   den   anderen   Teilen   des
Seglers. Das war eine Arbeit, die einfacher aussah, als sie war. Schließlich gibt
es im All weder Decke noch Boden, auf die man sich Stützen kann. Sie muß­
ten sich in die Ecken und Winkel des Seglers stemmen, um genügend Kraft
zum   Lockern  der  Schrauben   aufbringen   zu   können.   Nach  mehr  als   sechs
Stunden war mit vereinten Kräften die Arbeit getan. Das Segment schwebte
frei neben dem Segler im All. Nun konnte es losgehen. Jeder suchte sich eine
Nische   in   dem   bizarr   geformten   Lagersegment,   das   etwa   so   groß   wie   ein
kleines Einfamilienhaus war, und verankerte den Raumanzug mit Stahlseilen
und Magnethaken. Harpo gelang es, die Nische mit Yilmaz zu teilen. Eng an­
einandergepreßt warteten sie auf den Start, aber fühlen konnten sie einander
nicht, dafür waren die Anzüge zu starr. Sie lächelten sich an.

Nur   Trompo   mußte   zurückbleiben.   Er   winkte   mit   dem   Rüssel   aus   der

Zentrale des Seglers herüber. Alle winkten zurück.

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Rajah schoß eine Signalrakete ab. Die drei Akkais an den Steuerprojektoren

schalteten die Geräte ein und justierten die Intensität der Traktorstrahlen.
Zunächst trudelte das Segment beträchtlich, aber Rajahs Kommandos brach­
ten bald Ruhe in das Gefährt.

Schließlich lag es ganz ruhig und sank sanft der Oberfläche des Mondes

entgegen.

Die Höhlen von Pecas

Das  Lastsegment  des   Raumseglers   berührte   die   Oberfläche   von   Pecas.

Allem Anschein nach existierten weit und breit nur Höhlen und Krater. In der
Ferne, in der Nähe des Horizonts, sah man die undeutlichen Konturen eines
anderen Nomadenschiffes, das ebenfalls eine Parkbahn um den Satelliten be­
schrieb. Die Szenerie wurde in ein grüngelbes Licht getaucht, das von dem
aus  dieser  Perspektive  nur  wagenradgroßen  Mutterplaneten  Caas  ausging.
Oder, um ganz genau zu sein, aus dessen Reflexion der Sonneneinstrahlung
bestand. Pecas selbst lag im Schatten des Planeten und wurde niemals vom
direkten Sonnenlicht erreicht.

Es   gab   aber   einen   Beobachter.   Unbemerkt   von   den   Akkais   und   ihren

Freunden hockte eine Gestalt zwischen den Felsblöcken und starrte auf das,
was sich einige hundert Meter von ihm entfernt abspielte. Sein Raumanzug,
der an einigen Stellen golden schimmerte, war ansonsten rußgeschwärzt. Of­
fenbar legte der Besitzer wenig Wert darauf, den Anzug zu putzen. Der Helm
war allerdings tadellos blank.

Niemand   auf  Pecas   ahnte   etwas   von   diesem   Beobachter.  Und   niemand

hätte sich erklären können, wie er ausgerechnet hierhergelangt war. Die Tat­
sache, daß dieser Mann ein winziges Raumschiff hatte, das viele tausend Ki­
lometer   entfernt   im   All   auf   einem   Asteroiden   verankert   war,   machte   die
Anwesenheit dieses Wesens eher noch rätselhafter. Geduldig beobachtete es,
wie die Akkais ihre Antischwerkraft­Projektoren in einer neuen Anordnung so
am Segment befestigten, daß eine Art Fahrzeug entstand.

Während das Segment einen halben Meter über dem Felsboden schwebte,

wurde es von gezielten Stößen anderer Projektoren horizontal in Bewegung
gesetzt. Das Ziel war offensichtlich ein nahegelegener, mächtiger Höhlenein­
gang.

Die Akkais und die Menschen saßen zum Teil rittlings auf dem Segment,

zum Teil liefen sie neben ihm her.

Der geheimnisvolle Beobachter machte zum ersten Mal eine Bewegung. Er

erhob sich aus seiner knienden Position, richtete sich halb auf – und sackte
dann  wieder  langsam  zurück.  Er  schien  zu  zögern,  einen  bereits  gefaßten
Entschluß wieder  umzustoßen.  Das Manöver wiederholte sich noch einmal

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mit gleichem Ergebnis. Dann verschluckte die schwarze Höhle Kinder, Akkais
und ihre Waren.

Wieder erhob sich der Beobachter, dieses Mal entschlossener. Er richtete

sich auf und straffte seine Gestalt. Man sah jetzt, daß er nicht größer als ein
Akkai   war.   Nachdem   er   sich   vorher,   auf   Tarnung   bedacht,   zwischen   die
Felsen geduckt hatte, überraschte die Sorglosigkeit, mit der er nun seine De­
ckung verließ und den Verschwundenen folgte. Er beeilte sich nicht, sondern
schlenderte wie ein Spaziergänger über das Geröll. Er kannte den Weg, den
die   Akkais   und   die   Menschen   gegangen   waren.   Er   würde   ihnen   in   ange­
messenem Abstand folgen.

Als er den Eingang der Höhle erreichte, war von den Eindringlingen nichts

mehr zu sehen. Der Höhleneingang lag schwarz und leer vor ihm.

Aber der Fremde schien weder überrascht noch zögerte er bei diesem An­

blick. Dem dunklen Gang der Höhle, der sich allem Anschein nach tief in den
Mond hinein erstreckte, schenkte er nicht eine Sekunde lang Beachtung. Viel­
mehr stolzierte er zum toten Teil der Höhle. Der Boden schimmerte eigen­
artig   im   diffusen   Zwielicht   und   wirkte   erstaunlich   glatt.   Der   Beobachter
dachte nicht darüber nach, daß dies ein Quecksilbersee war und schritt bein­
ahe achtlos weiter. Im Nu stand er bis zu den Hüften im flüssigen Metall,
dann tauchte er ganz unter.

Sehen konnte er nichts mehr, und die Bewegungen waren mühsam wie

etwa das Schwimmen in dickflüssigem Honig. Ohne das kleine Brustaggregat
mit den Traktorstrahlen hätte er seinen Körper nur mit großem Kraftaufwand
unter dem Metall halten können. Dann spürte er über sich die Innenwölbung
der Felsschwelle und verminderte die Intensität der Traktorstrahlen. Der Auf­
trieb sorgte dafür, daß er auf der anderen Seite der Sperre an der Oberfläche
des Quecksilbersees auftauchte. Er hatte eine weitere Höhle erreicht, von de­
ren Existenz niemand etwas ahnen konnte, der den Quecksilbersee betrach­
tete.   Geheimnisse   wie   dieses   hatten   das   Innere   von   Pecas   lange   Zeit
abgeschirmt. Es waren Launen der Natur, mit der die Sauerstoffatmosphäre
konstant gehalten wurde. Die Luft in diesem Teil des  Höhlenlabyrinths  war
atembar. Allerdings war es wegen der Quecksilberdämpfe gefährlich, bereits
hier die Schutzkleidung abzulegen.

In   dieser   Höhle   war   es   keineswegs   dunkel.   Einige   Teile   des   Bodens

schienen zu glühen und strahlten dabei rotgelbes Licht aus. Wenn man ge­
nauer   hinsah,   bemerkte   man,   daß   es   sich   nicht   um   den   Boden   selbst
handelte, sondern um gleißende Partikel, die in den Fels eingebettet waren.
Sie stammten aus dem Innern des Planeten und waren die Geburtshelfer des
Lebens im Mond gewesen. Denn sie gaben Licht und Wärme. Die Truuks
bargen das Material an nur ihnen bekannten Fundstellen und benutzten es
wie hier, um das Leben im Innern des Mondes erträglich zu machen. Nie­
mand   hatte   bisher   ergründen   können,   welcher   Art   diese   ausgestrahlte
Energie war. Die Akkais nannten die Energiekörner Sternengold. Seinetwegen
besuchten sie diesen Mond. Obwohl es hier scheinbar so achtlos verwendet
worden war, galt es als kostbar.

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Man konnte es auch nicht so ohne weiteres aufsammeln, denn es ging mit

der Zeit eine glasurähnliche Verbindung mit dem Gestein ein – und strahlte
dann,   ohne   erkennbare   Abnutzung,   für   Tausende   von   Jahren   Licht   und
Wärme aus. Immer gleichmäßig, niemals heller als dieses matte Rotgelb, nie­
mals wärmer als 40 Grad Celsius.

Der Fremde schwamm bewegungslos im Quecksilbersee und beobachtete

die Ereignisse am Rande des Sees. Dort hielten sich unsere Freunde auf: Har­
po, Anca, Micel und die Akkais vom Raumsegler. Sie hatten vor dem Fremden
den aufregenden Weg durch das flüssige Metall genommen. Die Kinder hät­
ten zuerst nicht glauben wollen, daß so etwas möglich war – und jetzt waren
sie doch auf der anderen Seite der Höhle. Die Freunde auf der EUKALYPTUS
würden   Augen   machen,   wenn   sie   ihnen   erzählten,   daß   sie   durch   viele
tausend Tonnen Schwermetall geschwommen waren! Ohne die druckfesten
Anzüge und Helme wäre das unmöglich gewesen, denn Quecksilber war von
zäher Konsistenz und außerdem giftig. Aber die Antischwerkraft­Projektoren
hatten geschafft, was der Atmosphäre im Innern der Höhle nicht möglich war
–   das   Metall   zu   verdrängen   und   einen   Durchstieg   zur   anderen   Seite   zu
bahnen. Jetzt benutzten die Akkais die Projektoren wie Düsen und bliesen
damit die Quecksilberreste von den Anzügen und dem Schiffssegment.

Der Fremde wartete geduldig in der Ferne. Er dachte nach. Es gab viele

Millionen   Tonnen   massives   Sternengold   im   Innern   des   Mondes.   Bislang
wurde der Stoff von anderen Rassen nur als kostbare Spielerei angesehen. Die
Truuks   ihrerseits   empfanden  so   simple  Dinge  wie   offenes  Feuer   als   Kost­
barkeit. Es konnte aber geschehen, daß man eines Tages den ökonomischen
Wert   dieses   Energiespenders,   der   weder   Schmutz  machte   noch   radioaktiv
strahlte, entdeckte. Dann würden die Truuks um ihren Reichtum kämpfen
müssen: gegen fremde Ausbeuter und gegen die eigenen Feudalherren, die
allein   darauf   bedacht   waren,   sich   gegen   Sternengold   Luxusgüter   einzu­
handeln.

Niemand achtete auf den Fremden, von dem nur der Helm aus dem See

schaute. Aber der See lag ohnehin zu weit vom leuchtenden Boden der Höhle
entfernt. Auch ein scharfes Auge hätte kaum etwas erkennen können.

Endlich brach die Gruppe auf, bewegte sich auf eine Engstelle der Höhle zu

und verschwand in der Nachbarhöhle. Ohne Eile stieg der Fremde an Land,
säuberte seinen Anzug und folgte.

Es dauerte mehrere Stunden, bis die Kolonne und ihr Schatten bewohntes

Gebiet erreichten. Endlich tauchten die ersten Anzeichen einer lebensfreund­
lichen Umwelt auf. Hin und wieder huschten kleine Tiere ins Dunkel ihrer
Wohnspalten  und   Grotten.   Eine   tiefe   Humusschicht   mit   einem   dicken
Pflanzenteppich ersetzte den Felsboden. Jetzt waren es meistens die Wände,
die Licht und Wärme abgaben. Das war teilweise auf die natürlichen Vorkom­
men von Sternengold zurückzuführen, teilweise war es eine künstliche Be­
schichtung. Die Akkais und die Kinder klappten ihre Helme zurück.

Der geheimnisvolle Beobachter tat das gleiche.
„Jetzt haben wir es bald geschafft!“ rief Yilmaz fröhlich.

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„Ich bin ganz überwältigt von all diesen Wundern“, gestand Harpo.
Die Akkais hatten ihren Freunden auf dem Weg alles erklärt, was es zu er­

klären gab.

„Seht!“ rief Rajah, als sie durch eine Art Tunnel eine weitere Höhle erreich­

ten. „Das ist unser Ziel!“ Sie befanden sich jetzt in einer der Haupthöhlen des
Mondes. Die dehnte sich weiträumig vor ihnen aus. Man war versucht, daran
zu zweifeln, daß es überhaupt eine Höhle war. Die Decke verlor sich weit
außerhalb des beleuchteten Blickfeldes im Dunkel, und die Wände wichen so
weit zurück, daß man sie nur noch als ferne Steilwände erkennen konnte. Ge­
nausogut  hätte   dies  ein  gewaltiger,   blühender  Talkessel  auf  der   Erde  sein
können. Man sah die Eingänge mehrerer Nachbarhöhlen.

„Mann!“  stöhnte Anca. „Hier  würde  ich  mich  sofort  verlaufen.  Ich  weiß

jetzt schon nicht mehr, aus welchem Tunnel wir gekommen sind. Sie sehen
alle gleich aus.“

Rajah lächelte nur. Sie passierten mehrere angebaute Felder mit drallen

blauen Früchten darauf. Zum ersten Mal sahen sie Truuks. Mehrere der rob­
benähnlichen,   unbekleideten   Pecas­Bewohner   arbeiteten   auf   den   Feldern,
andere schoben einen roh gezimmerten Karren mit Früchten, der, deutliches
Zeichen für den  Handelskontakt  zu fremden Kulturen, mit dicken Gummi­
reifen ausgerüstet war. Die Truuks betrachteten die Ankömmlinge neugierig,
aber ohne übergroße Erregung. Fremde waren nichts Ungewöhnliches mehr
für sie. Einige winkten. Die Kinder und die Akkais winkten zurück.

Dann erreichten sie die Stadt und fühlten sich sofort von dem bunten Ge­

wimmel überwältigt. Im Grunde bestand der Ort aus einem einzelnen Felsen
am Rande der Höhle. Man hatte ihn, der wohl von Anfang an aus porösem
Gestein bestanden hatte, völlig ausgehöhlt und aus ihm phantastische Bau­
werke   geformt.   Weitere   Bauten   aus  lehmähnlichem  Material   waren   dem
Stadtfelsen mit der Zeit zugewachsen. Das Ergebnis sah wie ein Ameisenbau
aus oder auch wie eine enge, mittelalterliche Stadt – mit dem Unterschied,
daß   alle   Häuser,   Gänge,   Brücken   und   Gassen   Teile   eines   zusammen­
hängenden Ganzen waren. Ober steil ansteigende Gassen und Treppen zog
sich die Stadt wie ein babylonischer Turm in mindestens zehn Etagen über­
einander hin.

Zum Glück lag der Marktplatz, wo die Akkais einen Teil ihrer Waren an­

bieten wollten – ein ausgewähltes Sortiment wurde direkt an den Stadtherr­
scher verkauft –‚ am Fuße der Stadt. Es war also nicht nötig, die Last durch
die winkligen Gassen zu transportieren.

„Sobald wir etwas Luft haben, werde ich Erkundungen über eure Freunde

einziehen“, versprach Rajah. „Am besten beim Obertruuk und seinen hohen
Beamten selbst. Und bei Geschäftspartnern.“

„Könnt ihr euch denn verständlich machen?“ wollte Harpo wissen.
„Wir wären schlechte Kaufleute, wenn wir nicht inzwischen die Sprache

unserer Kunden erlernt hätten“, gab Rajah lächelnd zurück. „Thoris und Yil­
maz beherrschen diese Sprache fast perfekt, aber ich kann mich ebenfalls
ganz gut ausdrücken.“

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„Wenn ich nicht gebraucht werde, zeige ich den dreien die Stadt“, schlug

Yilmaz   vor.   „Und   sicherlich   sind   auch  akkaiische  Gaukler   anwesend.
Vielleicht haben die etwas von Lonzo und Alexander gehört.“

„Geht nur“, antwortete Rajah. „Die Gaukler wären sicher eine große Hilfe,

weil sie viel herumkommen. Aber ich fürchte, daß die meisten Akkais schon
zu unserem Fest unterwegs sind. Ein Versuch kann jedenfalls nicht schaden.“

Harpo, Micel und Anca folgten dem Akkai­Mädchen, während die anderen

Akkais   ihre   Lagerräume  öffneten.   Die   Truuks   strömten   bereits   in  Scharen
dem Markt zu, wo sonst nur einige einheimische Händler ihre Sachen anbo­
ten.   Yilmaz   wurde   immer   wieder   angehalten   und   freudig   begrüßt.   Sehr
schnell kam die Gruppe daher nicht voran. Das Mädchen vergaß niemals,
sich bei jedem Bekannten nach Lonzo und Alexander zu erkundigen. Aber
niemand wußte etwas.

Den Kindern wurde beim Anblick der Truuks erst so richtig bewußt, daß

Pecas eine sehr geringe Schwerkraft hatte. Die Robbenwesen bewegten sich
gleitend durch die Luft, wobei sie mit den Häuten zwischen den Beinen und
unter   den   Armen   steuerten.   Den   Boden   berührten   sie   nur   selten.   Yilmaz
gestand, daß sie nur ihnen zuliebe noch ihren Raumanzug anbehalten hatte.
Das   Akkai­Mädchen   war   die   Schwerelosigkeit   gewohnt   und   empfand   die
schwere Kleidung als Belastung. Grazil, wie Wesen ihrer Rasse gebaut waren,
stand sie den Robbenwesen wohl kaum an Geschicklichkeit nach.

Aber auch Harpo, Anca und Micel fragten sich neugierig, wie es wohl war,

wenn   man   sich   hier   bei   geringer   Schwerkraft   ohne   Raumanzug   bewegte.
Deshalb kehrten sie nach kurzer Zeit zum Markt zurück, um die Anzüge mit
den leichten, seidenweichen Overalls der Akkais zu vertauschen. Der voraus­
schauende Rajah hatte auch für die Terraner passende Overalls aus den Vor­
räten des Raumseglers mitgenommen.

„Wißt ihr, was ich jetzt habe?“ rief Anca, als sie sich umgezogen hatte, und

machte einen riesigen Luftsprung.

„Hunger!“ riefen Harpo und Yilmaz zugleich und lachten.
„Wir haben gerade einen herrlichen Braten eingetauscht“, erklärte Rajah.

„Er steckt bereits auf dem Spieß!“

Jubelnd stürzten Harpo, Anca und Yilmaz halb fliegend, halb purzelnd, zur

Feuerstelle, wo es schon verführerisch duftete. Endlich mal keine Ersatznah­
rung aus Synthofood.

„Gleich gar!“ verkündete Thoris und drehte den Spieß.
„He, Micel“, sagte Harpo und drehte sich nach ihm um. „Was ist mit dir?

Hast du keinen Hunger?“

Micel war langsam hinter  den anderen her gesegelt. „Doch, doch“, ant­

wortete er geistesabwesend.

„Ist was?“ wollte Anca nach einem langen Blick in sein Gesicht wissen.
Micel schien aufzuschrecken. Mit großen Augen sah er sie an. „Da war et­

was“, sagte er dann. „Etwas sehr Eigenartiges. Ein fremdes Wesen hat ver­
sucht, in meinem Gehirn zu lesen. Ganz kurz nur. Dann war es wieder weg.“

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Alle schwiegen, denn wenn Micel von seiner telepathischen Gabe erzählte,

konnten sie nicht viel mehr tun als zuhören.

„Seltsam“, sagte Micel so leise, als würde er zu sich allein sprechen. „Es war

ein Wesen wie wir, ein Mann, glaube ich. Aber er war so alt, so unendlich alt!“

Captain Prongs großer Coup

Der   Fremde   war  den   Kindern   und  Akkais   bis  in   die   Stadt   gefolgt,  wohl

wissend, daß er sich hier nicht allzu lange aufhalten durfte. Denn irgendwann
würden die Truuks erkennen, daß er nicht zu der Gruppe gehörte, der er in
einem Sicherheitsabstand folgte. Hatte er erst einmal die Neugier der Höh­
lenbewohner geweckt, würden sie auch bald Fragen stellen – und schließlich
die Akkais informieren.

Aber war es nicht gerade das, was er wollte: Kontakt aufnehmen? – Irgend­

wie scheute er davor zurück. Nach all diesen Jahren! Der Gedanke, daß es
vielleicht möglich war, zurückzukehren, mußte erst noch tiefer in sein Be­
wußtsein vordringen.

Er hatte das riesige Raumschiff bemerkt, als es in der Nähe dieses Sonnen­

systems seine Bahn durch das All zog, war heimlich an Bord gegangen und
hatte sich überzeugt. Tatsächlich, er hatte sich in seinen Vermutungen nicht
getäuscht! Dieses Raumschiff und seine Besatzung waren mit Sicherheit in
der Lage, den Abgrund zwischen den Sternen zu überwinden – nicht nur den
zwischen   den   zwanzig   Sonnen   dieses  Raumsektors,   sondern   den   großen,
viele tausend Lichtjahre tiefen Abgrund. Diese Erkenntnis hatte den Fremden
aufgewühlt. Aber entschieden hatte er sich immer noch nicht.

Und nun las er in den Gehirnen der auf Pecas gelandeten Kinder und fand

heraus, daß sie sich auf der Suche nach zwei Gefährten befanden. Die Tatsa­
che, daß sich unter ihnen jemand befand, der übersinnliche Fähigkeiten be­
saß, überraschte ihn. Es war der Junge mit den kurzen Armen, ein Telepath,
obwohl   seine   Gaben  weitgehend  verschüttet   schienen.   Und   eben   dieser
Junge hatte bemerkt, daß sich jemand auf geistigem Wege seinem Bewußt­
sein näherte.

Der Fremde zuckte zurück und wünschte sich, eine Entscheidung treffen

zu können. Oder daß sie ihm von jemandem abgenommen wurde. Er verlor,
verwirrt wie er im Moment war, die Gruppe aus den Augen und stieß auf
einen Truuk, der sichtlich gelangweilt am Fuße einer Treppe herumlungerte.
Routinemäßig schickte der Fremde seine geistigen Fühler aus und las im Ge­
hirn seines Gegenübers. Sofort stockte sein Schritt, denn das, was er erfuhr,
war höchst interessant. Der Truuk sah ihn mißtrauisch an, als er sich ihm nä­
herte.

„Ich will etwas kaufen“, sagte der Fremde leise in dem Idiom, das der Truuk

verstand.

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Das Geschöpf setzte eine gleichgültige Miene auf. „Ich habe nichts zu ver­

kaufen, Akkai­Truuk.“

„Mein   Name   ist  Bharos“,   sagte   der   Fremde.   „Das   mag   wohl   sein.“   Der

Truuk  gähnte  herzhaft.  Er  schien an  einem Gespräch nicht  interessiert  zu
sein. „Ponchi sagte mir, daß du sehr wohl etwas zu verkaufen hast“, fuhr Bha­
ros  fort.  „Du  weißt   genau,  was  ich  meine.  Oder  muß   ich   noch   deutlicher
werden?“ Den Namen Ponchi hatte Bharos soeben erst dem Gedächtnis des
Truuks entnommen, was dieser jedoch nicht wissen konnte.

Plötzlich   kam   Leben   in   das   Robbenwesen.   Es   sah   überrascht   auf   und

flüsterte dann: „Nicht hier, Akkai­Truuk.“ Es sah sich nervös um, als fürchtete
es,   belauscht   zu   werden.   Dann   raunte   es:   „Folgt   mir,   ihr   könnt   mir   ver­
trauen.“

Bharos   hatte   erwartet,   daß   der   Truuk   ihn   aus   der   Stadt   hinausführen

würde,   aber   er   täuschte   sich.   Nach   einem   Weg   von   wenigen   hundert
Schritten durch die winkligen Gassen hielt sein Führer vor einer  Haushöhle
an und wartete ungeduldig, daß sein vermeintlicher Kunde näher kam.

„Hier?“ fragte Bharos ungläubig.
Der Truuk gab keine Antwort. Er betrat die Höhle, wobei er sich erst verge­

wisserte, daß niemand in der Nähe war, schob ein paar Felle beiseite und öff­
nete   eine   mit   einem  Metalldeckel  verschlossene  Bodentür.  Der
darunterliegende Gang führte in die Tiefe. Nervös bedeutete er Bharos, die
roh   aus   dem   Stein   gehauenen   Stufen   zuerst  hinabzusteigen,   während   er
selbst die Tür lautlos wieder schloß.

Sternengold an den Wänden verhinderte, daß es hier unten dunkel wurde.

Es roch auch keinesfalls muffig; von irgendwoher wehte frischer Wind.

Bharos begriff. Dieser Gang führte unter dem Außenbezirk der Stadt in den

Felsen hinein und von dort in eine Nachbarhöhle. Tatsächlich verbreiterte
sich   der   enge  Felsenkorridor  rasch   zu   einem   von   der   Natur   geformten
Tunnel, der nach einigen hundert Schritten in einer kleinen Höhle endete.

Von Vegetation war hier weit und breit nichts zu sehen; Bharos registrierte

nur Felsen und Geröll.

„Könnt Ihr nicht schneller gehen?“ fragte der Truuk ungeduldig, während

er   am   gegenüberliegenden   Ende   der   Höhle   auf   den   staunenden   Bharos
wartete. „Wir haben noch einen weiten Weg.“

Offenbar war das Robbenwesen ein wenig ungehalten, weil es Bharos zu­

liebe auf seine flugähnliche Fortbewegungsart verzichten mußte.

„Ich kann meinen Projektor benutzen“, erwiderte Bharos nickend und be­

diente das auf seiner Brust befestigte Steuergerät. Mit wenigen zielsicheren
Handgriffen erreichte er, daß sich eine Lichtsäule formte, auf der er sich vom
Boden   abhob.   Mit   Hilfe   der   Traktorstrahlen   konnte   er   sich   nun   ebenso
schnell fortbewegen wie sein Führer. Als Bharos ihm eine kleine Demonstra­
tion  seiner  Fähigkeiten  lieferte,  schien  der  Truuk   erfreut,  aber   keineswegs
überrascht zu sein.

„Los“, brummte er und stieß sich von der Wand ab. Bharos folgte ihm mü­

helos.   Es   ging   durch   einen   weiteren   Tunnel   in   eine   noch   größere   Höhle.

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Dann durch einen Quergang in eine Grotte. Und schließlich gab Bharos es
auf, all die Hohlräume zu zählen, die sie passierten. Einige waren nackt und
ohne Leben, andere wildwuchernde Oasen inmitten kalten Steins, randvoll
mit exotischen Pflanzen, die in den unterschiedlichsten Farben blühten und
herrlich dufteten. Wieder andere lagen abseits des natürlichen Sterngoldvor­
kommens  in Finsternis. Nur der Lichtbogen seines Projektors erhellte dann
eine Szene aus grauem Fels und unterirdischen Wasserströmen.

Schließlich verlangsamte Bharos’  Führer sein Tempo. Der Ausgang eines

schier endlosen Tunnels rückte näher.

Ungewollt schoß Bharos darüber hinaus und landete als erster in der Höh­

le,   von   der   er   annahm,   daß   sie   ihr   gemeinsames   Ziel   war:   Nicht   groß,
vielleicht fünfzig mal dreißig Meter, besaß sie aber mehrere Zugänge, und das
war für Piraten geradezu ideal. Ursprünglich einmal steinig und ohne Leben
glich sie nun einem riesigen Ersatzteillager.

Bharos  begriff  sofort,   daß dies ein   Schlupfwinkel  der Pecas­Piraten  war.

Hier trugen sie ihre geraubten Schätze zusammen. Neben unzähligen mehr
oder weniger funktionstüchtig aussehenden technischen Geräten, erkannte
er Kistenstapel, Unmengen kostbarer Tierfelle und einige tausend Dosen mit
fast unbegrenzt haltbaren Nahrungsmitteln.

Mehrere mit Speeren bewaffnete Truuks eilten aus einem  zeltähnlichen,

quadratischen, aus Fellen  aufgestellten Unterschlupf,  beruhigten sich aber
sofort, als sie Bharos’ Begleiter erkannten.

„Ein Kunde“, knurrte Bharos’ Führer. „Der bekannte Hehler Ponchi hat ihn

empfohlen.“

„Wenn Ponchi, dieser alte Schurke ihn aufgetrieben hat, muß dieser Akkai­

Truuk   ein   reicher   Krämer   sein“,   meinte   der   Anführer   der   Wache   erfreut
grinsend. Seine Augen blitzten gierig. „Er soll mitkommen zu Captain Prong.“

Prong war allein und lag auf seinen Fellen, als Bharos seine Unterkunft be­

trat und sich neugierig umsah. Telepathisch erkundete er das Gehirn des Pi­
ratenhäuptlings  und   erfuhr,   daß   er   es   mit   einem   zwar   einfältigen,
nichtsdestotrotz aber ziemlich hinterhältigen Burschen zu tun hatte.

„Willkommen, Akkai­Truuk!“ rief Captain Prong zur Begrüßung. „Ihr habt

also Interesse an meinen ... äh, Objekten?“

„Ich hörte, daß es sich um zwei seltsame Wesen handelt“, erwiderte Bha­

ros. „Eines davon soll aus blitzendem Metall, das andere zum größten Teil
aus Haaren bestehen. Ich glaube, daß mir solche Wesen in meiner Sammlung
noch fehlen.“

„Oh“, sagte Captain  Prong überrascht. „Ihr  seid ein Sammler? Das  freut

mich doppelt für Euch, denn auch ich bin einer!“ Er leckte sich die Lippen
und rieb sich eilfertig die Hände.

„Tatsächlich?“  fragte   Bharos  mit   geheucheltem  Interesse.   „Was sammelt

Ihr denn, Captain?“

Captain Prong stieß ein brüllendes Gelächter aus. „Gold und Geschmeide.“

Er kicherte los und wollte sich schier ausschütten vor Lachen. Bharos machte
gute Miene  zum  bösen Spiel  und lachte gezwungen  mit. Aber  Prong  kam

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ohne Umschweife zum Geschäft. „Es sind sehr gute Exemplare“, fistelte er ge­
schäftstüchtig, „und dementsprechend teuer. Ich habe sie persönlich unter
Einsatz meines Lebens gefangen!“ Er brüllte einen Befehl nach draußen, wor­
auf Alexander und Lonzo gefesselt hereingeführt wurden.

„Diese Behandlung spottet jeder Beschreibung“, zeterte Lonzo, als er Cap­

tain Prong erblickte. „Es ist ein Skandal, daß man so tut, als gehörten wir zum
übelsten Gelichter! Ich werde eine Eingabe beim Piratengerichtshof von Ca­
strop­Rauxel  machen,   wenn   sich   die   Verhältnisse,   unter   denen   wir   leben
müssen, nicht bald ändern. Richter Blind Murphy ist ein persönlicher Freund
von mir  und Captain  Kidd.  Und  auch  Sie werden ihn  bald  kennenlernen,
Captain Prong. Es ist der Einbeinige, der anstelle seiner Hände  schmiede­
eiserne Enterhaken trägt!“

Bharos wußte nicht, wovon der Roboter redete und vermutete einen Defekt

des Translators  am Arm  des  Bärenwesens, der  die  Worte  übersetzte.  Aber
ganz ohne Zweifel standen hier die langgesuchten Freunde jener Leute vor
ihm, die vor kurzer Zeit auf Pecas gelandet waren.

„Stellt  Euch  nur  vor,  edler Fremder“,  fuhr Lonzo fort,  als  er  Bharos  be­

merkte,   „man   hat   uns   entführt   und   in   diese   finstere   Räuberhöhle
verschleppt. Und was das schlimmste ist: Seit Tagen habe ich nichts zu essen
bekommen!“

„Mußt bei Wahrheit bleiben, Lonzo“, ermahnte ihn Alexander. „Nein, nein,

Essen war reichlich und gut. Behandlung auch sonst nix übel. Aber das alles
nicht entschuldigen schäbige Entführung!“

„Diese billigen  Operettenräuber haben nicht mal soviel Kunstverständnis,

daß   sie sich   an meinen  musikalischen  Darbietungen   erfreuen“,   schimpfte
Lonzo weiter. „Sie grunzen nur mißmutig!“

„Und wollen nix sagen, wo wir überhaupt sein“, ergänzte Alexander. „Man

uns hat gestülpt schwarze Kapuzen über Kopf, dann aus Raumschiff geführt,
über Felsen und durch dicke Brühe gezerrt und erst wieder Augen freigege­
ben, als hier in Höhle!“

„Aber ich lasse mich nicht täuschen!“ triumphierte der Roboter. „Meine

unvergleichlichen  Extrasinne  haben mir längst verraten, daß wir uns im In­
nern eines Mondes des siebten Planeten befinden!“

Bharos   schmunzelte.   Aber   dann   tat   er   so,   als   würde   er   die   beiden

Gefangenen geringschätzig mustern. „Was wollt Ihr für die beiden Elendsge­
stalten haben?“ fragte er den Piratenkapitän.

„Einen Lonzo kann man nicht kaufen!“ rief der Roboter dazwischen. „Aber

da ich gerade meinen sozialen Tag habe: Für drei Sesterzen und ein Faß Rum
bin ich Euer!“

„Ruhe!“  donnerte   Captain   Prong  und   zwirbelte   seinen  Seehundschnurr­

bart. „Die Geschäftsverhandlungen führe ich immer noch allein, verstanden?
Das fehlte mir gerade noch, daß mir die Ware dazwischenquatscht!“

„Hören Sie nicht auf ihn, edler Recke“, fiel Lonzo Captain Prong ins Wort.

„Im Vertrauen: Er hat nicht alle auf der Pfanne. Außerdem hat er den festen
Plan, Sie zu beschummeln.“

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„Ahhhh!“ stöhnte Prong. Er rollte die Augen. „Ich werde Euch die beiden

billig geben, Akkai­Truuk, wenn ich sie nur bald loswerde! Die Gesellschaft
dieses  Metalltruuks  hat   mir   mehr   Gallensteine   eingebracht   als   alle   meine
Konkurrenten zusammen!“

„Wieviel?“ wiederholte Bharos gelassen.
„Was hat Euer Raumsegler für eine Ladung an Bord?“ fragte Captain Prong

listig.

„Ich besitze keinen Raumsegler.“
„Nicht? Gehört Ihr dann etwa gar nicht zu den Akkai­Händlern, die sich zur

Zeit hier aufhalten?“ wollte Prong wissen.

„Nein.“  Als Bharos diese Antwort gegeben hatte, las er sofort im Gehirn

Captain Prongs, daß er einen groben Fehler begangen hatte. Aber jetzt war es
zu spät.

„Hmmmm“, machte Prong langgedehnt. „Ein Gaukler seid Ihr auch nicht.

Also   seid   Ihr  allein  auf Pecas.  Ihr  müßt  ein  besonderer  Akkai­Truuk  sein.
Hmmm!   –   Wißt   Ihr   was?   Ihr   gebt   mir   Euer   Raumschiff   für   die   beiden
Gefangenen.“

„Komisch“, versetzte Bharos, der Captain Prong nun mit einem seltsamen

Blick musterte. „Man sieht es Euch gar nicht an.“

„Tatsächlich nicht?“ fragte Prong irritiert und betastete sein Kinn. „Äh ...

wenn ich fragen darf: Was sieht man mir nicht an?“

„Daß man Euch  als Baby mit schlechtem Fisch gefüttert hat“, erwiderte

Bharos, ohne eine Spur unfreundlich zu werden.

Captain Prong war nun nahe daran, durchzudrehen. Allerdings wäre es un­

klug von ihm gewesen, das zu zeigen. Es war eine althergebrachte Sitte seines
Volkes, bei geschäftlichen Verhandlungen freundliche Beleidigungen auszu­
stoßen, aber ihm persönlich stand jetzt nicht der Sinn danach. „Raumschiff
oder nicht?“ knirschte er.

„Ich besitze kein Raumschiff“, wiederholte Bharos gelassen.
Das entsprach nicht der Wahrheit. Sein kleines Raumboot lag gut versteckt

im All, fern von Pecas. Er hatte seine besondere Methode, die Strecke zwi­
schen dem Boot und dem Mond zurückzulegen.

Captain Prong lachte glucksend in sich hinein. Er glaubte dem Fremden

kein Wort. „Vermutlich seid Ihr dann auf einem Kometen hierhergeritten, ja?
Ihr müßt wahrlich ein besonderer Akkai­Truuk sein. Ich will aber Euer Raum­
schiffff!“

„Tun Sie das nicht“, meldete sich Alexander zu Wort. „Captain Prong wird

Sie legen herein. Aber wenn Sie verständigen unsere Freunde, sie werden ge­
ben eine gute Belohnung!“

Bharos lächelte. „Na gut“, sagte er dann zu Captain Prong. „Ich werde den

verlangten Preis zahlen. Wie soll die Übergabe erfolgen?“

„Aber das sein Wahnsinn!“ regte sich Alexander auf. „Sie sich geben diesem

Schurken in die Hand, wenn Sie ihm geben Raumschiff!“

„Ihr geht mit  einigen meiner Leute zu Eurem  Schiff“, schlug Prong vor,

„und anschließend geben wir dann die Gefangenen frei.“

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„Dieser Halunke lügt schneller, als die Piratengilde es erlaubt, Herr Inspek­

tor“, quakte Lonzo.

Aber Bharos winkte ab. „Das ist mir zu unsicher. Ich gebe Euch den ID­

Schlüssel für Einstieg und Antriebsaggregat, außerdem die Positionsangaben,
wie Ihr mein Schiff findet.  Das muß Euch genügen, Captain  Prong. Dafür
erhalte ich die beiden Gefangenen.“

Captain Prong überlegte einige Minuten, wobei er aufgeregt und sichtlich

mit sich selbst ringend unartikulierte Selbstgespräche führte. „Gut“, brumm­
te er schließlich, „einer meiner Leute wird Euch aus unserem Versteck hin­
ausführen. Aber denkt daran: Der Weg ist lang. Wir hingegen sind schneller
bei Eurem Schiff. Und wenn irgend etwas nicht in Ordnung ist, werdet Ihr
mir mitsamt Euren Sklaven bald erneut Gesellschaft leisten!“

„Er wird uns so oder so wieder fangen ein“, klagte Alexander, der zwar froh

war,   daß   dieser   geheimnisvolle   Fremde   sie   freikaufen   wollte,   andererseits
aber nicht glaubte, daß man einem Burschen wie Prong vertrauen konnte.
„Wir bald wieder hier!“

„Nein“, gab Bharos in der Sprache der Truuks zurück. „Er wird es nicht

wagen,   einen   Akkai   zu   betrügen.   Er   würde   niemals   wieder   Geschäfte   mit
meinem Volk machen können. Gehen wir.“

Er gab Captain Prong ein kleines Magnetkärtchen, das als Schlüssel für sein

Raumschiff dienen sollte, und beschrieb dem Piraten, wo es zu finden wäre.
Prong befahl daraufhin dem Truuk, der Bharos in sein Versteck geführt hatte,
ihn mit seinen neuerworbenen Sklaven ziehen zu lassen.

Beim Hinausgehen drehte Lonzo sich noch einmal zu Captain Prong um

und   giftete:   „Denk   dran,   Dicker!   Der   Gerichtshof   wartet   auch   auf   deine
rabenschwarze Seele!“

Captain Prong schnaufte empört und warf ihm ein erbeutetes Spülbecken

nach.

Flucht

Mit   Rücksicht   auf   Alexander   und   Lonzo   kam   die   Gruppe   nur   langsam

voran. Bharos hatte den beiden zwar erklärt, daß er sie zu ihren Kameraden
in die Stadt bringen wolle, wich ansonsten allerdings konkreten Fragen nach
seinen Motiven aus.

Alexander konnte deshalb nur vage vermuten, daß er in irgendeiner Weise

im Auftrag  der  EUKALYPTUS­Besatzung  handelte. Auf  jeden  Fall  freute  er
sich,  daß  es  nun   bald  ein   Wiedersehen  geben  würde,   denn   es  hatte  Tage
gegeben, in denen er befürchtet hatte, niemals wieder das Licht der Freiheit
zu sehen. Wäre Lonzo mit seinen kauzigen Geschichten nicht bei ihm ge­
wesen, hätte er gänzlich den Mut verloren.

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Als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, gab es hinter ihnen

eine Bewegung. Ein Trupp  bewaffneter Truuks schoß heran, überholte  sie
und verstellte ihnen waffenklirrend den Weg. Eines der Robbenwesen tausch­
te geflüsterte Worte mit ihrem Führer aus, worauf dieser grinsend die Fron­
ten wechselte und sich zu den Bewaffneten stellte.

„Was   hat   das   zu   bedeuten?“   wollte   Bharos   wissen.   „Wir   haben   einen

Handel   mit   Captain   Prong   abgeschlossen.   Wenn  ihr  einer   anderen  Bande
angehört,  dann  laßt  euch  warnen.   Ich  glaube  nicht,   daß  es  Prong   dulden
wird, wenn auf diese Weise seine Geschäfte gestört werden.“

„Ihr zieht falsche Schlüsse“, antwortete einer der Truuks triumphierend.

„Captain   Prong   selbst   hat   uns   geschickt.   Neuesten   Informationen   zufolge
kennt Euch niemand auf Pecas. Euch hat auch niemand beauftragt. Captain
Prong hat daraus den logischen Schluß gezogen, daß seine Beziehungen zu
anderen Akkai­Truuks also keinesfalls gefährdet werden, wenn er sich nicht
an die zwischen ihm und Euch gemachte Abmachung hält. Warum sollte er
nicht   die  Fremden   ein  zweites   Mal   verkaufen,   Euch   dazu,   und   außerdem
diese interessanten Anzüge und Geräte als Bezahlung für Quartier und Essen
einbehalten?“

„Diese Schufte!“ stieß Alexander zornig hervor.
„Hab’ doch gewußt, daß die nicht halten ihr Wort!“
„Verrat!“ trompetete Lonzo. „Wir lassen uns das nicht bieten! Wir setzen sie

mit gezielten Kopfstößen außer Gefecht. Attackeeeeee!“

Er   wollte   seinen   Vorschlag   gleich   in   die   Tat   umsetzen   und   losrennen,

wurde   aber   von   Bharos   mit   einem   kraftvollen   Griff   festgehalten.   Mit   der
anderen Hand zog er Alexander zu sich heran. „Preßt euch an mich!“ rief er.
„Gut festhalten!“ Gleichzeitig betätigte er das Steuergerät des Projektors. Wie
ein Gummiball hüpfte das Trio durch die Höhle.

Alexander war überrascht, bezweifelte aber, daß sie ihren Verfolgern ent­

fliehen   konnten.   Schreie   erklangen.   Dann   machten   sich   nach   einigen   Se­
kunden   der   Verwirrung   die   Piraten   schon   daran,   den   Flüchtenden
nachzueilen, wobei sie mit eleganten Bewegungen durch die Luft glitten. Sie
waren zwar langsamer als die Flüchtlinge, aber geschickter im Manövrieren.
Sobald die Höhle wieder von engeren Tunnels abgelöst wurde, würden sie im
Vorteil sein. Und abgesehen davon drohte Alexander trotz der Unterstützung
durch Lonzos Tentakel abzurutschen.

„Aushalten!  Wir  haben   es bald  geschafft!“   rief  Bharos.   Er  steuerte  einen

dunklen Tunnel an. Nach seinem Gedächtnis erstreckte sich dahinter eine
der dunklen Höhlen, die von einem reißenden Strom durchquert wurde. Als
das   Risiko   eines   Zusammenpralls   mit   den   Felswänden   zu   groß   wurde,
verminderte Bharos die Leistung des Projektors und setzte seine Last auf dem
Boden ab. Zu Fuß taumelten sie weiter. Noch hatten die Verfolger den Tunnel
nicht erreicht.

„Wir stoßen gleich auf einen unterirdischen Strom“, erklärte Bharos. „Fragt

mich nicht, woher ich das weiß. Aber dieser Strom führt genau in eine Grotte
ohne  Sauerstoff­Atmosphäre. Dort  sind wir  sicher.  Schließt  eure Rauman­

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züge. Wenn wir in den Fluß springen, haltet euch an mir fest. Wenn wir uns
verlieren, kann das üble Folgen haben.“

Alexander nickte, schloß den Anzug und folgte dem Schatten ihres Befrei­

ers, der ebenfalls den Helm zugeklappt hatte. Lonzo hatte keine Mühe mit
derlei   Vorbereitungen,   beschwerte   sich   aber   über   Funk,   daß   Wasser   das
reinste Gift für seinen gepflegten Edelstahlkörper sei.

Mit geschlossenem Raumhelm konnte Bharos Lonzos Protest nicht hören.

Da Alexander und Lonzo weder seine Funkfrequenz kannten, noch sich ohne
Translator – der jetzt wieder unter dem Magnetverschluß von Alexanders lin­
kem Ärmel lag – mit ihm verständigen konnten, wußte er nichts von dieser
Beschwerde.

Sie erreichten den Fluß, als vor der hellen  Höhlenöffnung  die Silhouetten

ihrer   Verfolger   auftauchten.   Bharos   winkte.   Sie   umklammerten   sich   wie
verabredet und sprangen in das Wasser. Schnell wurden sie unter die Ober­
fläche gedrückt und von der reißenden Strömung fortgerissen.

Mehrmals   kollidierte   die   Gruppe   mit   harten   Gegenständen,   was   Lonzo

lautstark in Gejammer über häßliche Beulen ausbrechen ließ, die sein Ausse­
hen angeblich ruinierten. In Wahrheit war gerade sein stählerner Körper am
wenigsten   gefährdet   und   ging   ohne   die   geringste   Schramme   aus   dem
Abenteuer hervor. Es war vor allem ihm zu verdanken, daß die drei bei diesen
Stößen nicht auseinandergetrieben wurden. Er umfing die Körper von Bharos
und   Alexander   mit   den  schraubstockartigen  Griffen   seiner   Tentakel.   Eher
hätte   er   sich   die   Tentakel   abreißen   lassen,   als   auch   nur   einen   einzigen
Millimeter nachzugeben.

Endlich beruhigte sich das Wasser, das nur durch den steilen Abfall des

Flußbettes eine derartige Turbulenz entfalten konnte. Was sich unter plane­
taren Bedingungen als reißender Strom gebärdete, wäre unter den  Schwer­
kraftverhältnissen  der Erde ein tobender Wasserfall gewesen, dessen Wucht
selbst stabile Schutzanzüge bei einem Zusammenprall mit Felswänden hätte
platzen lassen.

Als eine Strömung nicht mehr wahrnehmbar war, die Körper durch das Ge­

wicht   der   Anzüge   und   des   Roboters   jedoch   noch   immer   unter   der
Wasseroberfläche  gehalten wurden,  sorgte Bharos mit  seinem Antischwer­
kraft­Projektor   für   den   nötigen   Auftrieb.   Lonzo   durchbrach   als   erster   die
Wasseroberfläche und imitierte ein heftiges Prusten.

„Doppelter   Mastbruch!   Wo   bleibt   die   verdammte   Küstenwache?“

beschwerte er sich.

Alexander mußte ungewollt kichern. Sie schwammen auf einem See, der

sich dort leicht kräuselte, wo der Strom einmündete. Irgendwo sickerte das
Wasser wohl auch wieder ab. Aber vorerst war nur zu erkennen, daß diese
Höhle außer dem See bloß noch aus einer Decke bestand, aber kein Ufer be­
saß, auf das man hätte hinaufklettern können.

„Ich möchte gern wissen, wie wir kommen hier wieder raus“, seufzte Alex­

ander. Er sah Bharos genauer an, eigentlich zum ersten Mal seit ihrer ersten
Begegnung. Da die Höhle durch Sternengold hell genug erleuchtet wurde,

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konnte er sein Gesicht deutlich erkennen. Bharos sah alt und jung zugleich
aus. Das war seltsam, obwohl das Gesicht faltenlos war. Aber jetzt schaute er
recht   zufrieden   drein   und   blinzelte   Alexander   aufmunternd   zu.   Offenbar
kannte   er   diesen   Ort   und   sah   keine   unüberwindlichen   Schwierigkeiten
voraus.

In Wahrheit hatte Bharos zwar mit seinen Extrasinnen diesen See gespürt

und befürchtete auch keine ernsthaften Zwischenfälle, war sich aber immer
noch nicht schlüssig, was er nun unternehmen sollte. Ursprünglich hatte er
Lonzo und Alexander zu ihren Freunden in die Stadt bringen und dabei so
wenig wie möglich seiner Fähigkeiten und seiner wahren Identität preisge­
ben wollen. Aber die neue Situation erforderte einen neuen Plan.

Alexander   faszinierte   diese   Umwelt   trotz   der   unangenehmen   Lage.   Das

Sternengold schimmerte sogar vom Boden des Sees herauf und brach sich
mit unzähligen Reflexen im Wasser. Die Höhle sah wie eine von allen Seiten
angestrahlte wassergefüllte Kristallkugel aus.

In diesem Moment brachen fast gleichzeitig mehrere Robbenwesen durch

die Wasseroberfläche. Alexanders erster Impuls war Bedauern, denn in der
Höhle gab es keine atembare Atmosphäre. Ob das die Truuks nicht gewußt
hatten?   Dann   jedoch   bemerkte   er,   daß   die   Augen   der   Wesen   mit   einer
Hornhautschicht überzogen und ihre Atemöffnungen verschlossen waren.

Jetzt erst verstand er: Die Truuks waren Amphibien, allerdings von anderer

Art als die, die er aus den Erzählungen seiner Freunde von der Erde kannte.
Die Lebensweise im Innern des Mondes hatte dazu geführt, daß die Körper
der Truuks dazu geeignet waren, in Räumen ohne Atmosphäre zu überleben.
Wenn auch vielleicht nur für kurze Zeit – etwa so, wie Wale und Robben im
Meer leben, gelegentlich jedoch auftauchen müssen, um Luft zu holen. Wie
es aussah, waren ihre Körper gegen das von außen einwirkende Vakuum auf
natürliche Weise geschützt.

Aus, dachte Alexander.
Selbst Lonzo verzichtete in diesem Moment auf einen Spruch aus seiner Pi­

ratenkiste.

Aber Bharos lächelte. Das Erscheinen der Verfolger hatte ihm die Entschei­

dung abgenommen. Er schloß die Augen. Konzentration beherrschte seine
Gesichtszüge.

Die Truuks schossen zielstrebig auf ihre Opfer zu. Als sie ihre flossenähnli­

chen Hände ausstreckten, um die Flüchtlinge in die Tiefe zu zerren und dann
durch ein nur ihnen bekanntes  Unterwasserlabyrinth  zu Captain Prong zu­
rückzubringen, griffen sie ins Leere.

Dort, wo sich eben noch Bharos, Alexander und Lonzo befunden hatten,

schlug das Wasser schäumend zusammen. Die Verfolgten waren auf rätsel­
hafte Weise verschwunden.

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Unverhoffte Rückkehr

Zwei lange  Wochen hatten Anca, Harpo  und Micel  auf Pecas verbracht.

Aber trotz aller Mühen war es ihnen nicht gelungen, die verschwundenen
Freunde aufzufinden. Rajah, der auf dem ausgehöhlten Mond zahlreiche Be­
kannte traf, verbrachte die Tage damit, sich bei ihnen nach allem Ungewöhn­
lichen zu erkundigen, was sich während der letzten Wochen ereignet hatte.
Aber immer, wenn er zu den Kindern von der EUKALYPTUS zurückkehrte,
drückte seine Miene „Fehlanzeige“ aus.

Allerdings war unter der Hand durchgesickert, daß ein Raumpirat namens

Captain Prong zwei Sklaven angeboten und verkauft hatte, die aller Wahr­
scheinlichkeit nach mit Lonzo und Alexander identisch waren. Mit Hilfe von
Bestechungsgeldern brachten sie schließlich in Erfahrung, daß niemand Ge­
naues   wußte,   viele   Truuks   aber   Gerüchte   kannten,   die   besagten,   daß   der
mächtige und gefürchtete Prong zu gierig gewesen sei und versucht hätte sei­
nen Kunden hereinzulegen. Es hieß, dieser habe Prong ein wertvolles Objekt
im Tausch gegen dessen Gefangene geboten, das allerdings auf ebenso rätsel­
hafte Weise verschwunden sei wie er selbst.

Da die Geschichte bereits einige Tage alt war, war sie natürlich auch ganz

nach Truuk­Art abgeändert, ausgeschmückt und ergänzt worden. In den ver­
schiedenen Versionen, die Rajahs Bekannte auftischten, tauchten mal hilfrei­
che Zauberer, dann  Unterwasserdrachen  und Erdbeben auf. Mal hatte ein
Flußgott  die Flüchtlinge verschluckt, mal hieß es wieder, ein wahnsinniger
Magier habe sie in Sternengold eingeschlossen.

Mehrmals war aber auch von einem uralten Akkai die Rede, der angeblich

eine nicht unwichtige Rolle bei der Befreiung der beiden Fremden gespielt
habe. Wäre Rajah nicht felsenfest davon überzeugt gewesen, daß seine Fa­
milie die einzige war, die derzeit auf Pecas weilte, hätte er unweigerlich zu
dem Schluß kommen müssen, andere Akkais hätten Lonzo und Alexander
befreit. Aber er hatte selbst mit dem Clan­Ältesten des Akkai­Schiffes gespro­
chen, das sie im Orbit Pecas’ getroffen hatten: Dieser wußte nichts, und er
befand sich auch mit seiner Familie bereits wieder auf dem Rückweg.

Als sie Pecas wieder verließen, schaute Harpo aus den Bullaugen des Auf­

enthaltsraumes auf den langsam kleiner werdenden Mond. Er hatte bis zu­
letzt auf ein Wunder gehofft. Sogar beim Abheben des Lastenseglers hatte er
noch damit gerechnet, die beiden Vermißten würden jede Minute quietsch­
fidel und mit  einem  Piratenliedchen  auf den Lippen um die nächste Ecke
biegen. Auch beim  Festschrauben  des Segments an den Sternensegler hatte
er die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Die beiden Freunde fehlten ihm, Mi­
cel und Anca sehr.

„Nun laßt mal nicht gleich die Köpfe hängen“, tröstete Yilmaz und strei­

chelte dem völlig niedergeschlagenen Harpo übers Haar. „Wir kommen nach
dem Fest ganz bestimmt wieder, das verspreche ich euch. Wenn die beiden

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bis dahin nicht längst wieder aufgetaucht sind. Denn frei scheinen sie ja zu
sein, wenn man den Gerüchten glauben darf.“

„Sicher!“ Harpo nickte. „Aber in wessen Händen?
Es dauerte noch eine Weile, bis ihn Yilmaz’ Streicheln wieder etwas froher

stimmte. Schließlich nahm er allen Mut zusammen und berührte sanft die
Wange des Mädchens, das dies lächelnd geschehen ließ und erst lachend zu
protestieren begann, als Harpo sie plötzlich in seine Arme nahm und drückte.
Verwirrt ließ er sie wieder los, aber Yilmaz tat, als sei nichts geschehen.

„Tsss, tsss“, machte Anca, die alles beobachtet hatte. „So was machste mit

mir nie.“

„Ach, das verstehst du doch gar nicht.“
„Und ob ich das verstehe!“ erwiderte seine Schwester keck. „Das sieht doch

ein Blinder mit einem Krückstock, daß du verliebt bist. – Juchhu, Micel! Mi­
cel!   Stell   dir   vor,   Harpo   ist   in   Yilmaz   verliebt   und   benimmt   sich   ganz
komisch!“

Zu allem Überfluß fühlte Harpo jetzt, wie ihm das Blut in den Kopf schoß.

Seine Schlagfertigkeit war wie fortgeblasen, und ihm fiel nichts ein, womit er
diese Kratzbürste von Schwester zum Schweigen bringen konnte. Ach, diese
Mädchen!

Yilmaz ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Lächelnd meinte sie:

„Nun laßt mir aber den Harpo mal in Ruhe.“ Sie zog Anca mit sich fort und
zwinkerte Harpo herzlich zu.

„Anca weiß ja wirklich nichts über solche Sachen“, verteidigte sich Harpo

lahm, weil er das Gefühl hatte, einfach etwas sagen zu müssen, damit ihn nie­
mand für einen Deppen hielt.

„Ist ja überhaupt nicht wahr“, bekam er sofort von Anca Kontra. „Wo mir

der kleine Ollie andauernd Heiratsanträge macht! Ich bin Fachfrau!“

„Nun erzähl doch endlich was von diesem Fest, Yilmaz“, mischte sich Micel

in das Gespräch ein.

Harpo war ihm sehr dankbar für diesen  Themenwechsel, und möglicher­

weise hatte Micel dies nicht ohne Absicht getan. Denn sicher hatte er mit sei­
ner telepathischen Gabe längst gespürt, daß Harpo nichts lieber war als seine
Hilfe.

„Ich  verrate  nichts“,  sagte Yilmaz  mit  geheimnisvoller  Miene.  „Es  ist  zu

großartig. Man kann es einfach nicht schildern. Man muß es eben selbst mit­
erleben!“

„Übrigens habe ich eben mit Thunderclap gesprochen“, meldete sich die

Stimme Rajahs, der gemeinsam mit Thoris den Aufenthaltsraum betrat. „Die
ganze Mannschaft der EUKALYPTUS hilft bereits eifrig beim Zusammenbau
der ... äh, ach ja.“ Rajah zwinkerte den Kindern zu, als er Yilmaz’ abwinkende
Handbewegung sah. „Auf jeden Fall nehmen alle an unserem Fest teil. Ich
soll euch grüßen, und ihr sollt euch nicht so viele Sorgen machen. Thunder­
clap sagte, es sei doch eine Selbstverständlichkeit, nicht eher weiterzufliegen,
bis Lonzo und Alexander gefunden sind.“

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„Wir dürfen alle daran teilnehmen?“ jauchzte Anca. „Klasse! Damit hatte

ich gar nicht gerechnet.“

„Eigentlich  ist  es ja  ein  privates  Akkai­Fest“,  erläuterte  Rajah.  „Aber ein

paar nette Gäste sind uns in der Regel immer willkommen. Eine so patente
Bande wie eure ist bei uns gern gesehen.“

Auf den Bildschirmen der Zentrale war Pecas jetzt nur noch ein dunkler

Punkt, der über seinem Mutterplaneten schwebte. Rajah schaltete die Projek­
toren aus, weil der Segler inzwischen eine ausreichend hohe Geschwindigkeit
erreicht hatte. Ab sofort mußte Energie gespart werden. Die Servomotoren
fuhren die Raumsegel in Position. Die nächsten Tage und Wochen – drei Wo­
chen benötigten sie bis zu dem geheimen Treffpunkt im All, wo das Fest statt­
finden   sollte,   –   würde   allein   der   Lichtdruck   der   Sterne   den   Segler   weiter
beschleunigen, langsam, aber stetig.

Micel, der eine Weile ziemlich schweigsam gewesen war, zappelte plötzlich

wie ein Aal auf seinem Sitz hin und her. „Ich schnappe über!“ schrie er plötz­
lich mit einer solch lauten Stimme, wie sie ihm niemand zugetraut hätte. Die
helle Überraschung stand in seinen Augen. „Plötzlich habe ich Visionen. Ihr
werdet es nicht glauben, aber ich spüre ganz deutlich ...“

Anca, die eben zur Tür schaute, sperrte gleichzeitig Mund, Augen und Nase

auf und rief: „Spinne ich oder ... He!“ Einen ellenlangen Jodler ausstoßend
rannte sie los, wobei sie sich mehrmals überschlug, weil sie die Rechnung
ohne die geringe Schwerkraft gemacht hatte.

In der Tür standen ...
„Matrosen   Alexander   und   Lonzo   melden   sich   vom   Landgang   zurück“,

meldete eine kratzige Stimme, die unverkennbar einem alten Bekannten ge­
hörte. „Irgendwelche Befehle, Captain? Liegt die Fregatte gut vor dem Wind,
Steuermann?“

Ein   mehrstimmiger   Aufschrei   ließ   Harpos   Trommelfelle   erzittern.   Dann

wurde er zunächst einmal umgeworfen, als Lonzo, der sich vergebens vor An­
cas feuchten Schmatzern zu retten versuchte, die Balance verlor. Sekunden­
lang bildeten alle ein wirres Knäuel auf dem Boden des Raumes.

„Bitte“, quakte Lonzo, „ich gebe Autogramme nur freitags von vierzehn bis

neunzehn Uhr früh! Huch, Pummelchen, wie das kitzelt!“

„Das   darf   doch   nicht   wahr   sein!“   stieß   Harpo   hervor,   als   sich   die   Lage

wieder etwas normalisiert hatte. „Seid ihr es wirklich, oder sind wir allesamt
verrückt geworden?“

Alexander legte ihm seine schwere Pranke auf die Schulter, deren Gewicht

ihn schnell davon überzeugte, daß er keinesfalls unter die Schlafwandler ge­
raten war. Die beiden Entführten waren wieder da!

Auf Alexanders Gesichtszügen lag ein breites Grinsen. „Das sein mächtig

lange Geschichte“, meinte er verlegen, aber dann wurde auch er erst einmal
von den anderen fast erdrückt.

Rajah, Yilmaz und Thoris hatten sich von der Begeisterung natürlich eben­

falls anstecken lassen.

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Als wieder Ruhe einkehrte, setzte sich Rajah mit seiner Stimme durch. Er

stellte sich, Thoris und Yilmaz vor und hieß die beiden  Neuankömmlinge
willkommen. „Daß ihr zwei Lonzo und Alexander seid, ist mir inzwischen
klargeworden. Aber jetzt erzählt mal in Ruhe, was euch widerfahren ist.“

„Hoho!“ Lonzo schmetterte sofort los. „Es war ein Kampf auf Leben und

Tod mit dem blutrünstigen Captain Prong und seinen schrecklichen Halun­
ken. Sie trugen Messer zwischen den Zähnen und ...“

„Der Reihe nach“, unterbrach Thoris ihn und lächelte schalkhaft. „Und ein

wenig wahrheitsgetreuer – bitte!“

„Na ja.“ Lonzo machte den Eindruck eines Anglers, den man gerade dabei

ertappt hat, daß er den angeblich soeben erbeuteten  Achtzigpfünder  beim
örtlichen Zoo ausgeliehen hat.

Alexander   versuchte   schließlich   etwas   Glaubwürdigkeit   in   Lonzos   über­

triebenes Seemannsgarn zu bringen, was ihm trotz seiner Sprachschwierig­
keiten   ganz   gut   gelang.   Endlich   ergab   sich   aus   all   den   Einzelheiten   ein
einigermaßen zutreffendes Bild der Vorfälle bis zu jenem Zeitpunkt, an dem
Bharos mit seinen freigekauften Schützlingen den Verfolgern entwischte.

„Ja, und dann ...?“ wollte Yilmaz wissen, deren Wangen vor Aufregung glüh­

ten.

„Wir verschwanden“, näselte Lonzo, als sei das die einfachste Sache von

der Welt. „Die Piraten werden ziemlich doof geguckt haben, nehme ich an.“

„Ihr verschwandet?“ echote Micel, der diesmal nicht Alexanders Gedanken

las, weil er ihm keine Pointe vermasseln wollte.

„Tscha“, setzte Lonzo hinzu. „Wir verschwanden. Einfach so! Hihi!“
„Wir doch alle wissen, daß unser Freund  Lucky, der jetzt lebt auf Planet

Nordpol,   besitzt   vortreffliche   Gabe:  Teleportation.  Bharos   ebenfalls   in   der
Lage, sich durch Kraft von seine Geist an andere Orte zu versetzen. – Er uns
also schnappen – flupp! –, und wir sind plötzlich auf klitzekleines Raumschiff.
Bharos sagt, er niemals hat vorgehabt, sein Schiff an  Piratenschufte  zu ver­
schenken. Hat ihnen alte, vergammelte, wertlose Magnetkarte gegeben. Aber
er hätte ihnen sicher geschenkt andere wertvolle Sachen für Lonzo und mir,
hätte Captain Prong nicht versucht diesen ekligen Betrug. So Piraten eben nix
kriegen.“

Lonzo imitierte  ein  Nicken.  „Bharos,  der  Gute,  hat auf jeden  Fall  sofort

Segel gesetzt, noch bevor Captain Prongs Mannen mit ihrem Kahn auf der
Bildfläche erschienen. Die restlichen Tage haben wir mit ihm zusammen ver­
bracht, auf seinem seltsamen Schiff. Und jetzt sind wir eben hier. Wieder mit
Teleportation.“

„Dann   möchte   ich   jetzt   aber   endlich   wissen,   wer   dieser   geheimnisvolle

Bharos ist“, rief Harpo und sprach damit allen Anwesenden aus der Seele.
„Von ihm habt ihr bis jetzt kaum etwas erzählt, obwohl er die Hauptrolle in
diesem Abenteuer gespielt hat!“

„Da müßt ihr ihn schon fragen selbst“, meinte Alexander. „Er hat uns nicht

mehr verraten über sich, als wir schon haben erzählt. Warum ihr ihn nicht
selbst fragen, he?

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„Ja, aber ...“
„Sicher Bharos warten schon ungeduldig. Hat sich ganze Zeit über draußen

gewartet.“

Alle starrten wie gebannt auf die Tür, durch die die beiden Vermißten so

plötzlich erschienen waren. Aber sie bewegte sich nicht. Schließlich rannte
Alexander hinaus. Und kehrte zurück. Aber allein.

„Bharos   schon   wieder   weg“,   sagte   er   kopfschüttelnd   und   traurig.   „Hat

vielleicht zu lange gewartet und Lust verloren. Wir haben zu viel von uns er­
zählt. Aber daß er nicht hat Abschied genommen von alte Kumpels Lonzo
und Alexander ...“

„Er kommt sicher zurück“, tröstete ihn Anca.
„Glaub’   ich   nicht.“   Alexander   schüttelte   den   Kopf.   „Bharos   sein

verschlossenes Wesen. Viel grübeln, viel allein, viel einsam. Kann sich nur
schwer entschließen zu besuchen andere Wesen.“

Rajahs Augen starrten für einen kleinen Moment ins Leere. Er wirkte nach­

denklich. „Ich kann mir einfach keinen rechten Reim darauf machen“, sagte
er   schließlich   zu   Thoris.   „Nach   allem,   was   Alexander   und   Lonzo   erzählt
haben – und nach dem, was wir von den Leuten auf Pecas wissen –‚ scheint
dieser Bharos ein Akkai zu sein wie wir. Aber er benimmt sich nicht wie ein
Akkai. Angehörige unseres Volkes treten stets in Gruppen auf und verstecken
sich nicht, gleichgültig, ob sie als Händler, Gaukler, Musiker oder Akrobaten
durch das All reisen. Gut, ich bin mir nicht sicher, ob es unter den einigen
tausend Akkais nicht vielleicht einen Bharos gibt – aber getroffen habe ich
noch nie einen Mann dieses Namens. Und ich kenne viele Akkais!“

Thoris lachte. „Aber Rajah“, meinte er mit einem leichten Vorwurf in der

Stimme, „du bist doch schließlich nicht allwissend. Warum sollte es nicht
einen Bharos geben, der ein Einzelgänger ist? Denke nur an den Clan der
Pollis. Der besteht aus drei Raumseglern und mehr als neunzig Akkais – und
selbst  mit größter Anstrengung  bekäme ich  von denen  höchstens zwanzig
Namen zusammen. Und die Pollis haben ungewöhnliches Verhalten richtig­
gehend zu ihrem Motto gemacht.“

„Das gehört aber auch zu ihrem Auftreten als Gaukler“, entgegnete Rajah.

„Und gerade die Pollis halten unheimlich fest zusammen. Keiner von ihnen
würde eine solche Einzelaktion durchführen.“

„Ich weiß, daß dieser Gedanke absurd ist“, fuhr Rajah nach  einer Weile

nachdenklichen Schweigens fort. „Aber eines geht mir einfach nicht aus dem
Kopf. Wißt ihr – es gab nämlich mal einen Akkai namens Bharos. Das war vor
langer, langer Zeit. Er hatte auch besondere Talente. Und ihr wißt, daß es
Sagen gibt, nach denen  dieser Bharos gelegentlich  wie ein Geist erscheint
und ... Es würde doch alles zusammenpassen, nicht wahr?“

„Huuuu!“ heulte Lonzo. „Ein Geist! – Der Bharos, den wir  kennenlernten,

war aber sehr kompakt, wenn ich das mal so sagen darf.“

„Ach, komm, Rajah“, protestierte Thoris. „Wenn du den Bharos meinst, den

Telepathen unserer Tuna – das ist doch Unsinn! Er ist schon lange tot. Nein,
nein, das ist viel zu phantastisch!“

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„Ja, du hast recht“, meinte Rajah nachgebend und stand auf. „Lassen wir

das Ereignis auf sich beruhen und behalten wir den mysteriösen Fremden in
guter Erinnerung. Er hat uns durch sein freundliches Eingreifen sehr gehol­
fen. Uns allen.“

„Richtig! Schluß mit der Grübelei!“ rief Lonzo aus und wirbelte mit  den

Tentakeln um sich. „Jetzt wird gefeiert! Früher wurden heimkehrende Seeleu­
te mit Wein, Weib und Gesang begrüßt. Ist das heute etwa nicht mehr üblich?
Zapft die Weinfässer an, Kameraden, und zeigt mir meine Lonzorine! Für den
Gesang will ich schon selber sorgen!“

„Bitte nicht“, piepste Trompo. „Mir klingeln noch jetzt die Schlappohren

vom letzten Mal!“

„Was?“ brauste Lonzo auf. „Ich habe schon in der Oper gesungen!“
„Das   stimmt“,   pflichtete   Harpo   bei,   der   sich   sorgfältig   einen   Fluchtweg

durch die nächste Tür offenhielt. „Nach zwei Stunden kam dann der Pförtner
auf die Bühne, gab Lonzo die Opernhausschlüssel und sagte: „Wenn Sie fertig
sind, vergessen Sie nicht, abzuschließen.“

Der Planetenballon

Drei   Wochen   waren   seit   dem   Verlassen   von   Pecas   und   dem   über­

raschenden Auftauchen Alexanders und Lonzos vergangen. Aber schon jetzt
stand für Harpo und die anderen von der EUKALYPTUS fest, daß sich die
lange Reise gelohnt hatte. Der Anblick, der sich ihnen vom Aufenthaltsraum
des Lichtdruckseglers aus bot, war geradezu phantastisch.

Vor ihnen schwebte ein gigantischer, kupferfarbener Ballon zwischen den

Sternen. Er war so groß, daß er fast die Größe der den zylindrischen Rumpf
der EUKALYPTUS abschließenden Kugeln erreichte. Und die waren nicht ge­
rade klein zu nennen. Aber die kupferne Farbe seiner Außenhülle, auf der
sich das Licht unzähliger Sterne brach, erweckte den Eindruck, daß man es
mit einem auf Hochglanz gewienerten Metallball zu tun hatte.

Anca entdeckte in einiger Entfernung die vertrauten Formen der EUKALYP­

TUS. Die Freunde waren also nicht weit. Daß sie mit vereinten Kräften die
Arbeit   auf   Alphacca   erledigt   hatten   und   gemeinsam   mit   den   zurückge­
bliebenen Akkais an Bord vorzeitig zum vereinbarten Treffpunkt aufgebro­
chen waren, wußte man inzwischen aus einer Funkbotschaft. Sie hatten beim
Aufbau des Ballons geholfen.

„Aus Metall ist diese Station natürlich nicht“, beantwortete Rajah lächelnd

die Frage Harpos. „In gewissem Sinn ist unser  Versammlungsplatz  wirklich
ein Luftballon. Mit dem Unterschied, daß man in ihn hineingehen kann. Er
wurde aus einem Stoff hergestellt, den wir  Darnox  nennen. Das Wort ent­
stammt einem alten Dialekt unserer Sprache und bedeutet soviel wie ‚dehn­
bare Welt‘.“

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„Aber er ist sooo grooooß!“ stieß Trompo hervor. Große Dinge faszinierten

ihn immer.

„Ich könnte mir vorstellen“, meinte Micel, „daß allein die Hülle, ganz ohne

Luft, zusammengefaltet viel größer ist als der gesamte Laderaum des Raum­
seglers.“

„Stimmt“, erwiderte Rajah. „Aber nicht alle Segler sind so klein wie unserer.

Und außerdem läßt sich die Ballonhülle in viele Bahnen zerlegen. Beinahe je­
der Clan hat einen Teil der Hülle an Bord und hütet ihn wie einen Augapfel.
So, ihr Quälgeister, nun laßt mich in die Zentrale zurück. Wir bereiten näm­
lich das Ankopplungsmanöver vor!“

Harpo und die anderen verteilten sich an den Fenstern, und Rajah eilte da­

von.   Der   Segler   näherte   sich   der   glänzenden   Kugel,   bis   sie   den   über­
wiegenden   Teil   der  Sichtfläche  einnahm,   und   zog   dann   in   einer   weiten
Schleife daran vorbei, jetzt kamen die ersten Segler anderer Nomadenfamili­
en in Sicht. Sieben, zehn, fünfzehn ... insgesamt fünfundzwanzig Segler zählte
Harpo allein im ersten zusammengekoppelten Pulk. Nicht einer glich dem
anderen, was Größe und Form der Segel – die teilweise noch ausgefahren
waren – oder den Wohn­ und Ladetrakt betraf. Unbeschreiblich abenteuerli­
che Formen gab es zu sehen: viereckige Klötze mit  Dreieckssegeln,  anein­
andergeballte  Kugeln   mit   vier   verschiedenen,   fast   quadratischen   Segeln
darüber und anderes mehr. Die Kinder konnten sich nun bildhaft vorstellen,
daß die Segler tatsächlich einmal Teile eines riesigen Raumschiffes gewesen
waren, das man in der Not auseinandergenommen hatte.

Es gab zwei weitere Pulks mit jeweils mehr als zwanzig Seglern, aber Rajah

steuerte die letzte Ansammlung mit erst acht Fahrzeugen an. Gestalten in
Raumanzügen   schwebten   zwischen   den   Seglern   und   verknüpften   sie   mit
silbernen Tauen, die wie Nabelschnüre wirkten. Offenbar waren diese Fahr­
zeuge erst vor kurzem eingetroffen. Ein kleines Raumboot mit dem charakte­
ristischen Licht der Traktorstrahlen bewegte sich im Pendelverkehr zwischen
dem Ballon und den einzelnen Seglern hin und her.

Aus den mit der Zentrale verbundenen Lautsprechern drang plötzlich fröh­

liches   Stimmengewirr.   Mehrere  Nomadenclans  hatten   den   Maloi­Segler
gleichzeitig entdeckt und stimmten lautstarke Begrüßungen an.

Man hörte Rajahs aufgekratzte Stimme, die das Durcheinander lautstark

übertönte. „Auch das noch!“ rief er mit komischem Entsetzen in der Stimme.
„Die schrecklichen Melbars mit ihrer ganzen Bande sind wieder dabei!“ Ge­
lächter aus vielen Kehlen kam als Antwort aus den Lautsprechern, dann rief
eine fremde Stimme: „Die furchtbaren Malois kommen, auweia!“

Der Raumsegler hatte mittlerweile die Darnox­Kugel fast völlig umrundet,

und nun sahen die Passagiere, daß der Ballon auf dieser Seite unvollkommen
war.   Ein  gutes   Viertel   der   Hülle   fehlte.  Ein   riesiges   Loch  klaffte   an  dieser
Stelle. Zwanzig oder dreißig Akkais turnten wie Ameisen in der Nähe der Öff­
nung   herum,   brachten  Stützstreben  an   und   zogen   ein   noch   zu­
sammengefaltetes   Stück   Wandung   auseinander.   Da   sich   die   arbeitenden
Männer und Frauen dabei keinerlei Funkdisziplin unterwarfen, konnte man

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ihren rhythmischen Gesang bis in die Korridore des Maloi­Seglers deutlich
empfangen.

Die Bildschirme in der Zentrale und im Aufenthaltsraum wurden hell. Das

Gesicht eines Akkais erschien. „Hallo, Freunde!“ rief er überschwenglich und
warf die Locken in den Nacken. „Nett, daß ihr pünktlich seid! Alles in Ord­
nung mit eurem Ballon­Segment?“

„Alles klar“, antwortete Thoris. „Wir haben übrigens noch weitere Gäste an

Bord, die Freunde der ...“

„Wissen wir schon alles“, rief der andere lachend. „Fein, daß ihr Captain

Prong ein Schnippchen geschlagen habt.“

„Daran haben wir gar keinen großen Anteil“, stellte Ursa richtig. „Aber das

ist wieder eine Geschichte für sich ...“

„Wie steht’s mit eurem Ersatzstück?“
„Gut in Schuß“, sagte Rajah. „Benötigen wir es?“
Der andere nickte. „Voraussichtlich ja. Die Pasiks und die Zilas sind aufge­

halten   worden   und   können   am   Fest   nicht   teilnehmen.   Es   könnte   knapp
werden. Am besten, ihr bringt die Ersatzbahn gleich mit.“

„Das geht klar. Bis gleich!“
Das Kopplungsmanöver hatte reibungslos geklappt, und draußen schweb­

ten bereits mehrere Akkais mit  Silberleinen  heran, um den Maloi­Segler zu
verankern. Rajah und die anderen kamen aus der Zentrale.

„Gut, daß wir das Ersatzstück mitgenommen haben“, sagte Ursa. „Um ein

Haar hätten wir es auf Alphacca zurückgelassen.“ Sie erklärte den Freunden,
daß gelegentlich Unfälle vorkamen, Familien sich verspäteten oder – wie in
diesem Fall – vom Kommen abgehalten wurden. Aus diesem Grund wurden
von einigen Seglern zusätzliche Teilstücke mitgeführt.

Und   Rajah   erinnerte   an   das   traurige   Fest   vor   dreißig   Jahren,   als   ein

elektronischer   Sturm   durch   das   All   fegte.   Zwei   Clans   mit   ihren   Seglern
wurden damals vernichtet und zwanzig weitere Segler so weit abgetrieben,
daß  sie nicht   erscheinen konnten.  Das Fest  hatte  trotzdem  stattgefunden,
weil   sich   die   Akkais   durch   Schicksalsschläge   nicht   aus   der   Bahn   werfen
lassen.   Aber   richtige   Stimmung   war   natürlich   nicht   aufgekommen.   Zum
Glück waren solche Katastrophen selten.

„Natürlich helfen wir bei der Arbeit!“ schlug Harpo enthusiastisch vor, als

die Akkais ihre Raumanzüge anlegten. „Sicher könnt ihr draußen jede zusätz­
liche Hand gebrauchen.“

„Ja, wenn ihr wirklich wollt ...“ meinte Ursa. „Alle werden sich riesig freu­

en.“

Im Nu hatten die Kinder ihre Raumanzüge angelegt und liefen jubelnd zur

Luftschleuse, allen voran Lonzo. Nur Trompo mußte traurig zurückbleiben.
Er besaß noch immer keinen Raumanzug und hätte sich sowieso auf gute
Ratschläge beschränken müssen, da er für diese Arbeit viel zu klein war. „Mir
nachgekugelt, Seeleute!“ schrie Lonzo und stürzte sich kopfüber in das All
hinein.   Mit   seinen   wirbelnden   Tentakeln  sah  er  wie   ein  Speichenrad  aus.

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Selbst die Akkais, die Lonzo noch niemals in Aktion erlebt hatten, konnten
vor Lachen nicht an sich halten.

„Lonzo!   Mein  oller  Kumpel   Lonzo   ist   wieder   da!“   ertönte   in   diesem

Moment von irgendwoher eine begeisterte Stimme.

„Matrose Ollie, ahoi!“ rief Lonzo zurück, denn niemand anderer als der EU­

KALYPTUS­Dreikäsehoch hatte den Ruf ausgestoßen. „Wo hast du so lange
gesteckt, du alter Blechpirat?“

„Wir waren auf Kaperfahrt mit Captain Prong, dem intergalaktischen Erz­

halunken. Warte nur ab, was ich dir für tolle Geschichten zu erzählen habe.“

„Juchhu! Und ich muß dir von meinen neuen Krankheiten erzählen! Ich

war so traurig über eure Entführung, daß ich eine gefährliche  Pschüschose
hatte ...“

Aber jetzt wurde der Dialog von einer vielstimmigen Begrüßung überlagert,

weil die anderen Besatzungsmitglieder der EUKALYPTUS die Ankömmlinge
entdeckt hatten. Alle arbeiteten am Ballon. „Hallo, Karlie! Was machen die
Kartoffelpuffer?“

„Pummelchen, wie schön, daß du wieder da bist.“
„Alexander, du bist ja schon wieder dicker geworden. Wollten die Piraten

dich mästen, um das Lösegeld hochzujubeln?“

So ging es eine Weile hin und her, bis endlich wieder Ruhe ein kehrte. Har­

po staunte nicht schlecht, als er sogar Thunderclap auf der Ballonhülle ent­
deckte. Die Freunde hatten ihm in den Raumanzug geholfen. „Ich habe mich
selten so prächtig gefühlt!“ rief er und steuerte seinen Anzug geschickt wie
ein uralter Raumhase. Jetzt kam heraus, daß er schon seit einiger Zeit heim­
lich, das heißt mit Unterstützung von Brim, geübt hatte.

Auch Harpo bewegte sich sicher und ohne Angst durch das All. Eigentlich

komisch, daß er jetzt gar keine Angst mehr hatte. Gerade ihm hatte der Auf­
enthalt im All anfangs sehr zugesetzt, wo er sich doch so sehr vor der Dunkel­
heit und dem Gefühl, in ein bodenloses Loch zu fallen, fürchtete. Er stellte an
sich  selbst fest,  daß er viele Ängste früherer Tage  abgelegt  hatte. Ein ent­
scheidendes Erlebnis war sicherlich auch das Abenteuer auf dem Wrack ge­
wesen.   Dort   hatte   er   seine   Angst   noch   einmal   bis   zur   Erschöpfung
hinausgebrüllt – und sie damit vielleicht wie einen bösen Geist verscheucht.

Von überall her schwebten Akkais heran, packten die Ballonhüllen des Ma­

loi­Seglers und zogen sie auseinander. Lonzo und die Kinder ließen sich nicht
lange bitten und halfen tüchtig mit. Harpo sah viele lachende Gesichter und
winkende Hände. Dann tauchte Yilmaz neben ihm auf, und sein Herz begann
zu pochen. Sie hatte sich rar gemacht in den letzten Tagen. Aber jetzt deutete
sie mit ihren Lippen einen Kuß an und ließ ihre schelmischen Augen blitzen.
Dann war sie wieder verschwunden.

Aus den wie Zigarren zusammengerollten Planen waren jetzt große Flächen

geworden. Damit würde sich das Loch im Ballon fast schließen lassen.

„Dieser   Seemann   hat   eine   sehr   eigenartige   Arbeitsauffassung“,   zeterte

Lonzo. Er meinte damit Ollie, der kein freies Ende zum Anpacken mehr erwi­
scht und es sich mitten auf der Plane bequem gemacht hatte.

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An der  Ballonkugel  angekommen, glaubte Harpo für einen Moment, von

dem  Stimmenlärm  irre zu werden. Von allen Seiten schossen Akkais heran,
lachten, begrüßten die Neuen, nannten ihre Namen, wollten deren Namen
wissen und gaben gute Ratschläge, wie die Plane zu befestigen war.

Ein  Technikerteam  näherte   sich   mit   Schweißgeräten   und  verschloß  die

Nähte   mit   flüssigem   Kunststoff.   Man   mußte   sich   wundern,   mit   welcher
Schnelligkeit das geschah.

Aber die Stunden reihten sich doch aneinander. Weitere  Ballonsegmente

wurden von anderen Seglern herangezogen und ebenfalls verschweißt.

Und   dann   war   der   Ballon   so   rund   und   tadellos,   wie   es   sich   gehörte.

Höchstens noch ein bißchen schrumplig, aber im Innern liefen bereits die
riesigen Aggregate an, die über ein Gewirr von Schlauchleitungen aus den
Lagersegmenten  der   Raumsegler   flüssigen   Sauerstoff   und   andere   kom­
primierte Gase pumpten.

Als die Kinder ermattet auf den Maloi­Segler zurückkehrten, drückte der

Innendruck   bereits   die   ersten   Runzeln   aus   der   Ballonhülle.   Einige   Akkais
arbeiteten noch an einer flaschenhalsähnlichen Luftschleuse, die als Einstieg
gedacht war.

Rajah hatte darauf bestanden, daß auch die anderen Mitglieder der EUKA­

LYPTUS­Mannschaft  zu einem  Imbiß  auf den Maloi­Segler  kamen. Als sie
sich aus ihren Anzügen schälten und in die bequemen Seidenkombinationen
der Akkais schlüpften, wartete bereits eine dampfende Zehnliterkanne „Tee­
honig mit  Rum“ auf  sie. Dazu  gab es  eine Speise,  die an  Dattelfleisch  er­
innerte und auch so süß schmeckte. Thoris und Ursa schleppten außerdem
noch etliche Stapel würziger  Brotfladen  und Schälchen  mit verschiedenen
Nußsorten herein. Für Lonzo hatte man ein Kännchen Öl bereitgestellt. Ursa
servierte es ihm und bemühte sich um ein todernstes Gesicht, prustete aber
schließlich vor Lachen los.

„Heidewitzka!“ knurrte Lonzo, als alle anderen in das Gelächter einstimm­

ten, und tat sehr grimmig. „Immer muß ich in diesem Verein den Deppen
spielen! Sucht euch gefälligst mal einen Dümmeren aus.“ Dann schnupperte
er an dem Öl – was ohne Nase schwierig war, aber er tat sein Bestes. „Ich weiß
allerdings“, fügte er dann mit einem schweren Seufzer hinzu, „daß ihr den so
schnell nicht finden werdet.“ Von Lonzo abgesehen fielen jetzt alle hungrig
über die Speisen und Getränke her und redeten dabei wild durcheinander.
Ollie  war am lautesten. Ungeniert versuchte er dem in einer anderen Ecke
des Raumes sitzenden Trompo über alle Köpfe hinweg einzureden, er sei vor­
hin auf einem galaktischen Drachen geritten.

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Das Fest beginnt

Am Morgen des Festes sah der Weltraum vor den Sichtscheiben des Raum­

seglers nicht anders aus als jeden Tag. Schwarz, tief, unendlich weit und leer.
Nur die funkelnden Sterne beleuchteten die phantastische Szenerie.

Über   Nacht   waren   die  letzten   erwarteten   Segler   eingetroffen   und   ange­

koppelt worden. Insgesamt waren es neunzig Raumfahrzeuge.

Die anderen waren bereits in der Schleuse versammelt, als Harpo und Anca

eintrafen.   Rajah   hatte   jedem   einen   der   seidenen   Overalls   geschenkt.   Die
lagen jetzt zu einem Bündel verschnürt zum Mitnehmen bereit.

„Allgemeiner   Aufbruch!“   brüllte   Ollie   aus   Leibeskräften   und   schwenkte

einen würfelförmigen Kasten. Gemeinsam mit Lonzo und Thoris hatte er für
Trompo eine Box gebastelt. Der winkte hinter der Glasscheibe vergnügt mit
seinem Rüssel und schien sich pudelwohl zu fühlen. Es würde ja auch nicht
lange dauern, dann konnte er wieder aus seinem Gefängnis befreit werden,
ansonsten sorgte ein Sauerstoffbehälter für frische Luft.

Sie klappten ihre Helme herunter und warteten ungeduldig auf das Öffnen

der Schleusentür. Dann faßten sie sich an den Händen und sprangen hinaus.
Ein paar Stöße aus den Steuerdüsen korrigierten die Richtung, dann trieben
sie langsam auf die  Flaschenhalsschleuse  des Ballons zu. Auch an Bord der
anderen   Segler   rührte   sich   Leben.   Überall   purzelten   Gestalten   aus   den
Schleusen und ordneten sich zu Gruppen, die aus der Ferne wie Schwärme
silberner Fische aussahen. Beim Näherkommen quirlte alles durcheinander.
Die   Gruppe   der   Freunde   von   der   EUKALYPTUS   wurde   rasch  ausein­
andergesprengt.

Jemand faßte Harpo an der Hand. Als er den Kopf zur Seite wandte, er­

kannte er Yilmaz. Sie zwinkerte ihm zu und zog ihn hinter sich her.

Harpos   Körper   geriet   dabei   ein   bißchen   ins   Trudeln.   Er   betätigte   sein

Steuergerät, gab einen viel zu starken Schub ab – und schoß der mittlerweile
wohl tausendköpfigen Menge sofort davon.

Zuerst bekam Harpo einen ziemlichen Schreck, aber kurz vor der  Ballon­

schleuse bekam er das Gerät wieder unter Kontrolle. Pfeifend stieß er die Luft
aus und spürte, daß seine Stirn feucht vom Schweiß war.

„Vorsicht, junger Mann!“ rief jemand. „Oder willst du ein Loch in unseren

schönen Ballon schießen?“

Anca rief: „Harpo, ist alles in Ordnung?“
Und Ollie, dessen lautes Organ mal wieder alles andere überlagerte, krähte:

„Unkraut  vergeht  nicht,  mein  Schätzchen!  Harpo  wollte   doch  nur vor  der
kleinen Elfe angeben!“

Harpos schüchterne Entschuldigung ging im Gelächter völlig unter. Mit ro­

ten Ohren schloß er sich den ersten an, die in die Schleuse drängten. Die
Massen   konnten   nur   schubweise   ins   Innere   gelangen.   Zu   seiner   Überra­
schung sah er sich von bekannten Gesichtern umgeben: Thoris, Lonzo, Micel

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und Yilmaz. „Hoffentlich habe ich dich nicht allzusehr aus dem Konzept ge­
bracht“, sagte sie sanft lächelnd.

„Nnnnein“, stammelte Harpo. Seine Ohren wurden noch ein bißchen roter

als sie schon waren. Ein Glück, daß sie hinter dem Plexiglas des Helms nicht
so deutlich  zu erkennen  waren. „Ich  erwischte  bloß einen falschen  Knopf
und ...“

„Wenn dir schon niemand glaubt, Harpo“, sagte Micel über seine  Helm­

funkanlage, „dann bleibt dir wenigstens eine Genugtuung: Ich weiß, daß du
nicht angeben wolltest!“ Das war kein leerer Spruch, denn Micel hatte sich ja
telepathisch von der Wahrheit überzeugt.

„Danke  schön,   Micel,  alter  Junge“,   flüsterte  Harpo.  „Du  bist  ein   wahrer

Freund.“

In diesem Moment öffnete sich die Innentür der Schleuse.
„Ohhhhh!“   staunten   Harpo   und   Micel   wie   aus   einem   Mund.   „Ist   das

schöööööön!“

„Wenn das Captain Kidd noch hätte erleben dürfen!“ stieß Lonzo begeistert

hervor. „Ich bin überzeugt davon, dafür hätte er mit Freuden glatt den Schatz
von Whisky­Jones, dem Schrecken des Chinesischen Meeres, hergegeben!“

Was die Eintretenden so faszinierte, war wirklich eine phantastische Über­

raschung. Vor ihnen dehnte sich das weite Rund der riesigen Kunststoffkugel.
In der Mitte, in geisterhafter Ferne, schwerelos auf der Stelle schwebend, gab
es   eine   Plattform,   einen   runden   Teller   von   zweihundert   Metern   Durch­
messer, nur wenige Zentimeter dick. Projektoren hingen darunter und sorg­
ten   für   künstliche   Schwerkraft.   Auf   der   Plattform   standen   in   zwangloser
Anordnung  Tische und Bänke. Auf den Tischen standen Speisen und Blu­
menbuketts,   die  Bänke   waren  eingebettet  in  eine  bunte  Pracht  exotischer
Pflanzen,   die   sich   aus   unzähligen   Behältern  heraufringelten.  Auf   einem
besonderen   Podium   hantierten   Akkais   in   weißen   Gewändern   an   fremd­
artigen   Musikinstrumenten   herum.   Und   unter   dem   Podium   standen
Schwertschlucker, Akrobaten,  Magiere, Jongleure, Zauberer und Clowns be­
reit. All diese Einzelheiten konnte man aber erst erkennen und richtig be­
wundern, wenn man näher heranschwebte.

Was die jungen Gäste im ersten Moment so fassungslos verharren ließ, war

etwas anderes. Der ganze Ballon glühte in einem wunderschönen  Farben­
meer, als sei er selbst eine einzige riesige Lampe, die sanftes Licht ausstrahlte.
Die   Beleuchtungskörper   konnte   man   nur   entdecken,   wenn   man   scharfe
Augen besaß. So gut waren sie getarnt. Aber sie waren auch nicht das Wesent­
liche. Die Luft selbst war es, die flimmerte, glühte, flackerte. Sie wirbelte in
verschiedenfarbigen Schwaden durcheinander, die wie bunter Nebel aussa­
hen und sich zu verwirrenden Mustern gruppierten. Daran war nichts Grelles
oder   die   Nerven   Aufpeitschendes.   Vielmehr   vereinigten   sich   die   verschie­
denen Luftschwaden immer wieder zu harmonischen Farbkombinationen in
sanften Pastellfarben.

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Sie fanden später heraus, daß diese Effekte durch eine für Lebewesen un­

schädliche Beimengung zur Atmosphäre erzielt wurden, die der Luft zugleich
ein herrliches Aroma nach Zimt und Nelken verlieh.

Ein   Tusch   der   fernen   Kapelle,   mit   dem   jede   Gruppe   von   Neuankömm­

lingen begrüßt wurde, löste die Erstarrung.

Schub auf Schub drängte sich jetzt in den Ballon und die Musiker kamen

gar nicht mehr dazu, ihre Instrumente abzusetzen. Zu Harpos Freude hielt
sich   Yilmaz   eng   an   seiner   Seite.   Sie   zeigte   ihm   unter   der   Plattform   viele
tausend Magnetknöpfe, die für das Ablegen der Raumanzüge gedacht waren.

„Ist das nicht gefährlich?“ wollte Harpo wissen. „Angenommen, die Kugel

bekommt einen Riß und verliert ihre Atmosphäre ...“

„Ach wo!“ Yilmaz lachte, ergriff seinen Arm und segelte mit ihm zu dieser

Magnet­Garderobe.

Dort   herrschte   bereits   Gedränge,   und   Lonzo   mußte   sich   ganz   schön

winden, um sich zu ihnen  durchzuschlängeln.  Er trug das Bündel mit den
Seidenanzügen und verteilte sie an seine Freunde. Er murmelte dabei etwas
von seiner schönen  Admiralsuniform, die jetzt leider bei Captain Kidd auf
dem Meeresboden lag, tröstete sich aber schließlich selbst damit, daß sein
Luxuskörper   an   Schönheit   sowieso   von   keinem   anderen   erreicht   werden
konnte.

Kichernd schlüpften  Harpo  und Yilmaz aus ihren  Raumanzügen.  Dieses

Mal musterte Harpo das zierliche Mädchen, ohne zu erröten. Sie hängte ihm
ein silbernes Kettchen um den Hals, an dem ein Metallschild mit einem un­
bekannten Symbol baumelte.

„Das kann ich nicht lesen“, protestierte er.
„Macht nichts“, gab Yilmaz zur Antwort.  „Ein Grund mehr für dich, die

ganze Zeit über hübsch in meiner Nähe zu bleiben. Sonst findest du deinen
Raumanzug nicht wieder.“

Sie   hatte   ein   winziges   Etwas   an,   das   sich   als   ein   Kleidchen   erwies.   Es

bestand wie die gelben Kombinationen aus einem dünnen Seidenstoff und
glitzerte silbern.

Harpo   beeilte   sich   damit,   den   einteiligen   Overall   anzulegen.   Er   war   so

leicht, daß man ihn kaum spürte, und schmiegte sich angenehm an den Kör­
per. „Wieso ist es eigentlich so warm hier?“ wollte er wissen. „Der Weltraum
ist doch so eisig kalt.“

Yilmaz zeigte auf die gut getarnten Scheinwerfer. „Wir nennen es ,warmes

Licht‘“,   sagte   sie.   „Eine   Strahlung   mit   extrem   langsamen   Wellen.   Nur   so
gelingt   es   uns,   mit   wenigen   Projektoren  auszukommen.  Aber   die   Präpa­
rierung der Atmosphäre trägt auch dazu bei, die Wärme zu speichern.“

Sie faßte wieder nach seiner Hand, und dieses Mal konnte sich die Wärme

ihres Körpers auf ihn übertragen, weil keine klobigen  Raumhandschuhe  im
Weg waren. Gemeinsam schwebten sie zur Oberseite der Plattform.

Dort   herrschte   inzwischen   ein   unübersehbares   Gewimmel.   Die   Schwer­

kraft lag bei etwa zwanzig Prozent des Wertes, den Harpo von der EUKALYP­
TUS her gewohnt war.  Aber  er wußte ja inzwischen, daß die Akkais keine

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Freunde   großer   Gravitation   waren.   Aus   der   Menge   tauchte   plötzlich
Thunderclap vor ihnen auf. Er stützte sich auf zwei lange Krücken, da ihn bei
dieser  geringen  Schwerkraft seine schwachen  Beine nicht  tragen  konnten.
Aber er schien sich sehr wohl zu fühlen, brüllte nur kurz: „Wir sehen uns spä­
ter!“ und tauchte dann wieder im Gedränge der Festgäste unter.

Ollie  entdeckten   sie  direkt   am  Podium  der  Kosmos­Band,  wo   er  gerade

dem Akkai mit der  lautenähnlichen  Elektrogitarre klarzumachen versuchte,
daß er seiner Meinung nach der beste Leadgitarrist seit Frank Zappa und Al­
vin Lee sei.

Harpo hatte sich unter diesem Fest etwas vorgestellt, wie er es aus den Bü­

chern und Filmen im  Mikroarchiv  der EUKALYPTUS kannte: Leute kamen
zusammen, aßen und tranken und ließen sich unterhalten. Er mußte umden­
ken. Jeder der etwa  dreitausendköpfigen  Schar sah es als seine Aufgabe an,
sich aktiv an dem Fest zu beteiligen. Es gab unter den Akkais keine Trennung
zwischen Produzenten und Konsumenten. Die Plattform platzte nur so vor
bunter Aktivität. Man zog umher, suchte sich sein Publikum und blieb dann,
um Darbietungen der Leute zu sehen, die eben noch zugehört und zugesehen
hatten.

Und dabei ging alles ganz zwanglos vor sich, entwickelte sich aus der Situa­

tion heraus. Die Gäste von der EUKALYPTUS wurden schnell in diese Gesel­
ligkeit  mit  einbezogen.  Es  erwies   sich,  daß  sie  ihren  Gastgebern  vor allen
Dingen mit Berichten ihrer Abenteuer etwas zu bieten hatten.

Lonzo   ließ   es   sich   natürlich   nicht   nehmen,  tentakelschwingend  radzu­

schlagen und mit knarrender Stimme Seemannslieder vorzutragen. Und von
Captain Kidd zu erzählen.

Harpo und Yilmaz sahen sich bald inmitten eines Knäuels von Zuhörern.

Nach einigem Zögern – es ist schließlich nicht jedermanns Sache, vor einer
großen Zahl von Leuten zu reden – erzählte Harpo munter alles, was sie auf
der EUKALYPTUS bisher erlebt hatten: daß das riesige Raumschiff für einen
unbekannten   Zweck  gebaut   wurde, dann  aber  auf  Druck  der Bevölkerung
kranken   Kindern   einen   Erholungsurlaub   von  der  umweltverseuchten  Erde
ermöglichte. Daß dieses Schiff durch eine Katastrophe aus der Umlaufbahn
der Erde gerissen und in die Tiefen des Weltalls geschleudert wurde. Daß die
ursprüngliche Besatzung geflüchtet war und die Kinder erst lernen mußten,
das Schiff zu führen und die beschädigten Teile zu reparieren.

Yilmaz kannte diese Geschichten schon und ergänzte sie durch Einzelhei­

ten, die Harpo ihr früher bereits erzählt hatte. Es gab viele „Ahhhs“ und „Oh­
hhs“ und tausend Fragen, so daß Harpo bald ganz heiser vom vielen Reden
war. Yilmaz erlöste ihn schließlich. Sie zog ihn lachend aus dem Knäuel her­
aus zur Tanzfläche, wo der kleine Ollie eifrig mit einer kleinen Blondine aus
dem  Melbar­Clan rockte und die Haare wild schüttelte, als sei er schon als
Rocker zur Welt gekommen. Um das Pärchen hatte sich  eine Gruppe von
staunenden Akkais gebildet, die eifrig den Rhythmus klatschten, die Tänzer
anfeuerten und sich schließlich selbst an Ollies Rock­Figuren versuchten.

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„Ich ... ich kann eigentlich gar nicht tanzen“, konnte Harpo gerade noch

hervorstoßen, aber es nützte ihm nichts mehr. Das rothaarige Elfenmädchen
wirbelte ihn schon herum. Und ehe er sich versah, hatte ihn der Rhythmus
der elektronischen Musik in den Bann gezogen. Harpo warf die Beine wie ein
Profi.

Die Zeit verging wie im Fluge, und als die Musik leiser wurde und schließ­

lich ganz verstummte, war er in Schweiß gebadet. Sanft legte er einen Arm
um die Schultern des Mädchens. Yilmaz lächelte und umfaßte ihn ihrerseits
an der Hüfte.

Ein Akkai in einem fließenden Purpurgewand stieg auf das Podium der Mu­

siker und hob die Hände. Alle Anwesenden  blickten  zu ihm  auf. Plötzlich
breitete sich Stille aus.

Er benutzte eines der Mikrophone, um sich bei jedermann verständlich zu

machen. „Wir wollen uns nun an unsere Vorfahren erinnern, die mit dem
Raumschiff Tuna in diesen Teil der Galaxis gelangten und nicht mehr zurück­
kehren konnten. Und wir wollen das Bild jener Welt beschwören, aus der die
Vorfahren einst kamen. Zuvor jedoch laßt uns jener gedenken, die dieses Fest
nicht   mehr   erleben   dürfen.“   Der   Akkai   verlas   eine   Liste   von   Namen   und
schwieg danach eine Weile. Dann fuhr er fort: „Für andere ist dieses Treffen
das erste Fest, das sie miterleben. Wir möchten sie in unserer Mitte ebenfalls
willkommen heißen wie unsere Gäste vom fernen Planeten Terra.“

Unter   dem   Jubel   der   Anwesenden   verlas   er   die   Namen   der   Akkais,   die

jünger als fünf Jahre alt waren. Die wurden von ihren Angehörigen hochge­
hoben, wenn ihr Name genannt wurde, und winkten der lärmenden Menge
zu. Auf die gleiche Weise wurden die Freunde von der EUKALYPTUS geehrt.
Die umstehenden Akkais griffen plötzlich nach ihnen und hoben sie auf ihre
Schultern.

„Nicht doch, nicht doch!“ kreischte Lonzo. „Ich bin kitzlig.“ Aber das half

ihm gar nichts.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, fuhr der Sprecher fort. „Unser Simultange­

dächtnis soll jetzt die Heimat wiederauferstehen lassen. Wir ...“

Aber in diesem  Augenblick  geschah  etwas, mit  dem niemand gerechnet

hatte.   Neben   dem   purpurrot   gekleideten   Akkai   auf   dem   Podium   mate­
rialisierte   aus   dem   Nichts   heraus   eine   Gestalt.   Sie   trug   einen  verrußten
Raumanzug, der an einigen Stellen golden schimmerte.

Es war ein Akkai. Aus seinen Augen sprach Verwirrung, als habe er nicht

beabsichtigt, vor der Versammlung auf dem Podium zu erscheinen.

Im ersten  Moment  hielten  die Freunde  von der EUKALYPTUS  diese  Er­

scheinung   für   einen   beabsichtigten   Programmpunkt.   Aber   die   Verwirrung
unter den Akkais machte deutlich, daß diese genauso verdutzt waren wie sie.

Lonzo brach das Eis. „Das ist Lonzos Retter aus Todesnot“, verkündete er

mit donnernder Stimme. „Bharos, der tollkühne Bezwinger des feisten Pi­
raten Captain Prong!“

„Es   ist   der   Fremde   von   Deck   16“,   kam   von   irgendwoher   die   Stimme

Thunderclaps. „Ich erkenne ihn wieder!“

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„Es ist  ...,  nein,  ich  kann es nicht  glauben“,  flüsterte  Micel,  der  die Ge­

danken des Mannes empfangen hatte.

„Bharos!“ rief Rajah aus der Menge heraus. Er hatte die Panik in den Augen

des Akkais erkannt. „Du darfst nicht gehen! Du mußt diesen Moment durch­
stehen. Es ist die Chance für dich, zurückzukehren!“ Er trat aus der Menge
hervor und reichte seine Hände zum Podium hinauf. Bharos hatte kein Wort
verstehen können, weil er seinen Raumhelm trug. Aber er verstand die Geste
und las Rajahs Gedanken. Das flackernde Licht in seinen Augen kam zur Ru­
he. Er blinzelte und öffnete seinen Helm. Dann ergriff er Rajahs Hände und
kletterte vom Podium.

Bharos, der Wanderer

Es dauerte Stunden, bis sich die Aufregung gelegt hatte. Harpo und seine

Freunde saßen gemeinsam mit dem Maloi­Clan an einem großen Tisch und
ließen es sich schmecken. Bharos saß bei ihnen. Obwohl inzwischen alle in
großen   Zügen   über   den  geheimnisvollen   Akkai  unterrichtet   waren, gab  es
noch unzählige Fragen.

„Unglaublich!“ flüsterte Karlie immer wieder. „Der Mann ist tatsächlich ein

Überlebender   jener  Raumschiffbesatzung,   von   der   die   Nomaden
abstammen ...“

„Ja“, sagte Rajah lächelnd. „Harpo und die anderen, die auf unserem Segler

reisten, werden sich daran erinnern, daß mir zu dem Namen Bharos eine
phantastische Geschichte einfiel ...“

„... die du uns nicht erzählen wolltest“, warf Anca ein.
„Ja, hättet ihr sie denn geglaubt?“ verteidigte sich Rajah. „Aber inzwischen

kennen wir  die  Wahrheit: Bharos  war tatsächlich  der Telepath  des Raum­
schiffes Tuna, mit dem unsere Vorfahren strandeten. Seine Aufgabe war es
damals, mit der Heimatwelt Verbindung zu halten. Funkwellen sind bekannt­
lich für diesen Zweck viel zu langsam.“

„Und warum hat er dann nicht Hilfe herbeigerufen?“ wollte Karlie wissen.
„Auch Telepathen haben ihre Grenzen“, antwortete Bharos selbst. „Micel

wird es euch bestätigen können. Wir waren zu weit entfernt von der Heimat­
welt, zu weit entfernt auch von jedem Schiff, das uns hätte zu Hilfe kommen
können. Ihr dürft nicht vergessen, daß die Tuna ein Forschungsschiff war, das
neue   Regionen   der   Galaxis   erschließen   sollte.   Die   Verbindung   riß   nach
einiger Zeit ab, und ich war als Telepath nutzlos.“

„Und in all den vielen Jahren kam niemals ein Raumschiff in erreichbare

Nähe ... ich meine, abgesehen von den Raumseglern und anderen Schiffen
ohne großen Aktionsradius?“

„Die   EUKALYPTUS   war  das   erste“,   sagte   Bharos   und   lächelte.   „Deshalb

konnte ich mir den Besuch bei euch auch nicht verkneifen.“

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„Aber du sein  Teleporter“, schaltete sich Alexander in das Gespräch ein.

„Du können bewegen Körper durch Kraft von Geist. Warum nicht hüpfen von
Planet zu Planet, immer näher heran an Heimatwelt?“

„Ich bin kein Übermensch ... oder Überakkai, wenn ihr so wollt“, erwiderte

Bharos. „Sonst hätte ich mich auch gleich zum Akkai  teleportieren  können.
Ich bin an räumliche Grenzen gebunden. Die EUKALYPTUS, außerhalb un­
seres Sonnensystems, war das am weitesten entfernte Ziel, das ich jemals er­
reichen   konnte.   Und   ohne   festen   Bezugspunkt   kann   ich   meinen   Körper
überhaupt nicht versetzen. Ich habe es immer wieder versucht. Aber an einer
beliebigen Stelle des Weltraums kann ich nicht materialisieren. Sonst wäre
alles sehr einfach.“

„Trotzdem“,   warf   Anca   ein.   „Für   mich   bist   du   so   etwas   wie   ein   Über­

mensch. Telepath, Teleporter, unsterblich ... Warum bist du unsterblich?“

„Aber ich bin doch gar nicht unsterblich“,  protestierte  Bharos. „Gut, ich

habe besondere Talente und lebe erheblich länger als andere Akkais. Ich bin
ein Mutant, so wie Micel einer ist ... oder Lucky, von dem ihr mir erzählt habt.
So etwas hat es auf unserem Planeten ebenfalls gegeben. Aber irgendwann
muß auch ich sterben. Und ich fürchte, das wird bald sein, denn ich fühle
mich alt. Die Einsamkeit der vielen hundert Jahre ...“

„Warum hast du dich zurückgezogen?“ fragte Yilmaz. „Du hättest es so gut

bei uns haben können. Wir hätten dich verehrt und geachtet.“

„Eben“, gab Bharos dem Mädchen zur Antwort. „Und gerade das wollte ich

nicht. Es hätte eurer Entwicklung geschadet und mich nicht glücklicher ge­
macht. Obwohl ich mich einsam fühlte und oft an euren  Türen gelauscht
habe.“

„Aber jetzt wird alles gut!“ jubelte Yilmaz. „Du wirst bei uns bleiben!“
„Nein“, sagte Bharos entschieden. „So sehr ich mich danach sehne. Wenn

mein geheimer Wunsch nicht in Erfüllung gehen kann, werde ich zu meinem
kleinen Raumschiff zurückkehren und so leben wie bisher. Ihr wißt, daß ihr
mich nicht daran hindern könnt.“ Yilmaz schwieg betroffen.

„Und dieser Wunsch ...“ begann Harpo mit heiserer Stimme.
„Ich bin sicher, daß dein Wunsch erfüllt wird“, rief Micel. „Er will mit uns

kommen!“

Bharos senkte die Augen. „Ja“, sagte er. „Ich möchte Akkai noch einmal se­

hen!“

„Aber wir wissen nicht, wo Akkai liegt“, flüsterte Thunderclap. „Vielleicht

ist deine Heimat weiter entfernt als unsere Erde. Und selbst die können wir
nicht erreichen.“

„Es genügt, wenn ihr mich bis zu eurem nächsten Ziel mitnehmt. Ich werde

mich von dort aus allein durchschlagen. Versteht ihr: Ich muß nur heraus aus
diesem toten Winkel der Galaxis!“

„Aber klar doch!“ rief Ollie. „Du kannst so lange an Bord bleiben, wie du

willst!“

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Alle   redeten   durcheinander.   Ollie   hatte   gesagt,   was   alle   dachten.   Je­

dermann von der EUKALYPTUS war begeistert, daß Bharos mit ihnen reisen
wollte.

„Wir haben Platz genug für alle Akkais!“ rief Brim Boriam. „Ihr könnt alle

mit uns kommen!“

Rajah  überlegte  keine  Sekunde  lang,  und   es  war  an  den  Gesichtern  der

anderen Malois abzulesen, daß er für alle sprach. „Wir haben uns diese Frage
schon oft gestellt“, sagte er leise. „Ob wir zurückkehren würden, wenn sich
uns die Möglichkeit bieten würde. Die Antwort ist nein. So sehr wir unsere
Heimat und unsere Vorfahren verehren: Wir haben hier eine neue Heimat ge­
funden. Das Leben im Weltraum gefällt uns. Niemand von uns würde zurück­
kehren wollen! Aber trotzdem vielen Dank für dieses Angebot.“

„Schade“, sagte Harpo traurig. Er dachte an Yilmaz. „Ja, es tut mir auch

leid“,  flüsterte  Yilmaz  ihm  ins Ohr.  Sie  hatte   ihn sofort verstanden.  „Aber
mein Platz ist hier, bei meinem Volk.“

Ein Tusch der Musiker unterbrach das Gespräch. Der Akkai mit dem Pur­

purgewand stand plötzlich wieder auf dem Podium.

„Dieses   Fest  wird   in   die  Annalen   unserer  Geschichte   eingehen!“   rief  er.

„Aber   jetzt,   da   wir   sogar   einen   authentischen   Zeugen   unter   uns   haben,
wollen wir unserer Heimat gedenken.“

Die Weltraumkugel verdunkelte sich, die farbigen Lichtschwaden verglüh­

ten. Aus vielen tausend Kehlen erhob sich ein tiefer, trauriger Gesang, der
den Kindern in den Ohren dröhnte wie ein feierlicher Chor in einer Kirche.
Langsam, ganz langsam, wurde die Dunkelheit wieder zu Licht. Aber es war
ein anderes Licht als vorher – und eine andere Umgebung.

Die   Plattform   mit   den   Tischen,   Bänken   und   den   vielen   Akkais   war

verschwunden. Harpo spürte, daß er schwebte. Schwerelos glitt er über der
Oberfläche   einer   paradiesischen   Welt   dahin,   getragen   von   einer   sanften
Brise, warm ummantelt von den funkelnden Strahlen einer hellgelben Sonne.

Jemand berührte Harpos Hand.

Yilmaz

Weit dehnten sich die Flächen seichter Gewässer im Sonnenlicht. Sie waren

zersplittert   in   unzählige   Wasserspiegel,   Sümpfe   und   Moraste   mit   hohen,
leuchtend   grünen   Schilfrohren   und   Schachtelhalmen.   Wo   das   Wasser   am
tiefsten   war,  breiteten   herrliche   Seerosen  ihre grünen,  kreisrunden  Blätter
aus und ließen in goldenen Farben ihre Blütenblätter leuchten, die sich über
Nacht schlossen, um sich am Morgen, besprengt von strahlender Morgenrö­
te, im Schein der aufgehenden Sonne erneut zu öffnen. An den Ufern der
kleinen Seen und auf den feuchten  Sandebenen  kämpften die  Stengel  der
Farne um einen sonnigen Platz gegen die dichten Pflanzenstöcke der Schach­

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telhalme, auf deren borstigen Halmen sich samenschwere Ähren wiegten. Ein
Stück vom Ufer entfernt, auf trockenen Sanden, wuchsen Büschel von Ried­
gräsern. Andere Gräser bildeten ausgedehnte Teppiche, die sich tief in die
graue Ebene dahinter hineinfraßen.

Am Horizont hob sich ein steil aufragender Felskegel phantastisch hoch in

den Himmel. An  seinen  Hängen  war  eine Stadt  zu erkennen,  mit  kühnen
Bauwerken und verschlungenen Hochstraßen, die sich zwischen den weißen
Bauten dahinzogen.

Harpo atmete die herrlich frische Luft tief ein. Für einen Moment hatte er

vergessen, daß Yilmaz neben ihm war. Jetzt drang ihre Gegenwart wieder voll
in   sein  Bewußtsein.   Sie   schwebte   neben  ihm,   mit   wehenden   Haaren   und
windzerzaustem Kleidchen.

„Es ist nur eine Illusion“, sagte sie lachend, als sie seine Verwirrung be­

merkte. „Nicht Wirklichkeit. In Wahrheit befinden wir uns noch immer im
Sternenballon, genau wie alle anderen.“

Harpo schüttelte den Kopf, zwickte sich in den Arm, wachte aber trotzdem

nicht auf. „Wenn ich wirklich träume“, gab er seufzend zurück, „dann ist das
ein besonders hartnäckiger Traum. Ich überlege gerade, ob ich überhaupt je
wieder daraus erwachen möchte.“

Ernüchtert fügte er hinzu, während das grüne Land unter ihm dahinzog:

„Aber wieso sehe ich die anderen nicht, Yilmaz? Wo sind sie geblieben?“

Das Mädchen drückte ihm auflachend die Hand, schwebte mit ihm auf die

Stadt am flachen Bergrücken zu und sagte: „Die Heimat sieht jeder für sich
allein. Wir erzeugen sie mit der Kraft unseres Bewußtseins, verstehst du? Und
du siehst die Bilder meines Bewußtseins. Wir Akkais sind zwar nicht mit son­
derlich   vielen   Talenten   ausgestattet“   –   was   sicherlich   eine   Untertreibung
war –,   „aber   unser   vererbtes   Gedächtnis   funktioniert   ausgezeichnet.
Allerdings   sehen  wir   die   Dinge  so,   wie  unsere  persönlichen  Vorfahren   sie
gesehen haben.“

„Logisch“,   murmelte   Harpo,   der   jetzt   fasziniert   auf  die   Stadt   unter   ihm

blickte. „Jeder Mensch sieht ja die Welt, in der er lebt, mit seinen eigenen
Augen.“ Die turmartigen Gebäude, die mindestens hundert Meter unter ihm
lagen, wirkten ausgestorben und unbewohnt. Tiefe  Straßenschluchten  zeig­
ten   aber   das   genaue   Gegenteil.   Es   wimmelte   von   Akkais,  deren   Gesichter
nicht zu erkennen waren. Was am Bild irdischer Städte fehlte, waren die end­
losen Fahrzeugkolonnen, wie sie Harpo aus den Archivfilmen der EUKALYP­
TUS kannte. Die Realität in seiner persönlichen Umwelt war bereits anders
gewesen. Für Luxusgegenstände wie Autos gab es längst keinen Platz mehr.

„Wir haben den Fahrzeugverkehr unter die Erde verlegt“, beantwortete Yil­

maz seine unausgesprochene Frage und verhielt sich dabei unbewußt wie ein
Mädchen, das tatsächlich auf diesem Planeten zu Hause war. „Es sind Röh­
renbahnen mit kleinen Kabinen für nicht mehr als zwei Personen. Man kann
damit jedes Haus und jede Stadt erreichen, so untertunnelt ist alles.“

Als   Harpo   tiefer  hinabschwebte,   stellte   er   fest,   daß   die   Umgebung,   die

ganze   Stadt,   die   Akkais   zu   verschwimmen   begannen.   Die   Spaziergänger

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hatten   keine   Gesichter,   die   Häuser   waren   nichts   als   Schemen.   Die   ganze
Stadt verwandelte sich in einen grauen Nebelblock.

„Yilmaz!“ rief Harpo. „Was bedeutet das?“
Das Mädchen lachte und nahm ihn in den Arm. „Du vergißt, daß du nur

eine Vision vor dir hast. Du kannst nicht nach ihr greifen. Komm, wir steigen
wieder höher. Es gibt noch so vieles zu sehen!“

Auf den Grasflächen der Niederungen und flachen Hügel abseits der Stadt

ragte hohes Gebüsch empor, stellenweise durchbohrt von baumhohen Far­
nen   mit   herrlichen,   porös   durchbrochenen   und   zerfransten   Blättern.
Sonnenstrahlen   brachen   sich   darauf   und   blinkten   wie   tausend   glitzernde
Scherben, spiegelten ihr Licht auf das Grün der Hecken und den Teppich der
Gräser.   Sie   jagten   einander   in   einem   flimmernden   Spiel   aus   Licht   und
Schatten.

In den höhergelegenen Gebieten breiteten sich dichte Urwälder aus. Man

sah   Nadelbäume,   Pappeln,   Eichen,   Zimtbäume   oder   doch   Gewächse,   die
diesen irdischen Bäumen ähnlich sahen. Keine ordnende Hand eines Akkais
hatte hier etwas an dem natürlichen Reiz der Umgebung verändert. In der
Ferne   schlängelten   sich   die   Windungen   eines   Flusses   dahin.   Sein   Wasser
wirkte klar wie Kristall. Zwei stolze, gläserne Schiffe mit grünen Segeln und
unter Planen  verdeckter Fracht  bewegten  sich auf seiner Oberfläche. Kein
Laut war zu hören.

„Komm!“ jauchzte Yilmaz und flog Harpo voraus. Es war ein herrliches Ge­

fühl, so unbeschwert über dem Land zu schweben. Harpo verlor jedes Zeitge­
fühl.

Der Abend brach herein. Die Sonne tauchte wie ein riesiger feuerroter Gas­

ball in die Fluten des fernen Meeres. Aber es wirkte nur so fern. Schon hatten
sie den Strand erreicht. Muscheln blinkten im Sand, und eine sanfte Brise
blies ihnen ins Gesicht. Harpo sah einige Fischer, die im Wasser standen und
ein  schwerbeladenes Boot auf den Strand zogen. Sie hatten offene, sonnen­
verbrannte Gesichter und sangen bei ihrer Arbeit.

Einmal glaubte Harpo, daß einer der Männer ihn und das Mädchen erspäht

hatte, denn er reckte sich, legte eine Hand an die Stirn und schaute genau in
ihre Richtung. Aber Yilmaz lachte nur, als sie Harpos Verwirrung fühlte. Sie
wies zum   Himmel.  Harpo  folgte  dem Blick  und   stieß   einen  lauten   Schre­
ckensschrei aus. Ein riesiger Vogel, groß und stark wie ein irdischer Kondor,
segelte über ihnen dahin. Ihm hatte der Blick des Fischers gegolten. Er flog so
dicht über ihnen  hinweg, daß Harpo  schon den Luftzug der klatschenden
Schwingen zu spüren glaubte. Aber das Tier reagierte nicht auf ihre Gegen­
wart.

„Natürlich“, murmelte Harpo. „Es sieht uns ja nicht, sondern ist eine Vision

wie alles andere.“

„Das ist auch besser so“, kicherte Yilmaz. „Der Dagan ist eines der wenigen

gefährlichen Raubtiere auf Akkai.“

Die Nacht senkte sich auf die bunte Welt der Illusionen hinab. Am Himmel

blinkten die ersten Sterne auf: rote, blaue, grüne, gelbe und weiße. Ihr Licht

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warf   einen   geheimnisvollen   Zauber   über   das   Meer.   Dann   sah   Harpo   die
Monde: Zwei winzige, pfenniggroße Himmelskörper, die ein leuchtendes Rot
verstrahlten, ganz anders als der tote, kraterübersäte Mond der Erde.

„Sie heißen  Kirlan  und  Arlan“, erklärte Yilmaz. „Beide sollen bewohnbar

sein, aber meine Vorfahren haben sich um die Einzelheiten niemals geküm­
mert. Sie waren hier am Meer zu Hause, bevor sie sich für die Expedition
meldeten.“ Sie lachte leise. „Vielleicht sollte ich diese Einzelheiten durch die
Erinnerungen anderer Clans ein wenig vervollkommnen.“

Im Licht von Millionen Sternen, die in diesem Sektor der Milchstraße ganz

dicht beieinander standen und viel heller strahlten, als Harpo dies von der
Erde her gewohnt war, flogen sie zurück zur Stadt. Harpo löste seine Hand
einmal aus der von Yilmaz und versuchte auf eigene Faust einen  abseitsge­
legenen  Bezirk zu erforschen. Aber er starrte in ein bodenloses Nichts. Die
Konturen der inzwischen vertrauten Umwelt zerflossen zu einem wallenden
Nebel. Schnell griff er wieder nach der Hand des Mädchens. „Ich sagte ja be­
reits, daß meine Vorfahren am Meer wohnten“, sagte das Mädchen und preß­
te seine Hand. „Sie kannten nur einen Teil des Planeten.“

Harpo kam ein Gedanke. „Aber wenn es bei euch so etwas wie ein vererb­

bares Gedächtnis gibt – warum kannst  du dann nicht auch auf die Erfah­
rungen einer ganzen Kette von Vorfahren zurückgreifen? Insgesamt müssen
sie doch viel von ihrem Planeten gesehen haben.“

„Nicht,   wenn   sie   immer   an   der   Küste   lebten“,   sagte   Yilmaz.   „Aber   im

Grunde hast du recht. Tatsächlich greife ich auch auf eine Fülle früherer Er­
innerungen zurück. Aber viele undeutliche Eindrücke gingen mit den Jahren
wieder verloren. Nur die stärksten blieben erhalten. Es sind tatsächlich die
von vielen Vorfahren, die Erinnerungen eines einzigen wären viel zu flüchtig,
um eine derart plastische Vision zu ermöglichen. Überlege doch mal: Hast du
eine   einzige  kahle  Stelle   in   jenem  Stückchen   Welt  gesehen,  das  wir  über­
flogen haben? – Na siehst du! Ein Mensch allein könnte sich all diese Einzel­
heiten gar nicht merken – und wenn er hundert Jahre alt würde. Oder weißt
du zum Beispiel, ob das Zifferblatt deiner Armbanduhr nur in Fünfminuten­
striche  oder  auch  in  Minutenstriche  unterteilt  ist?  Und  könntest   du  es  in
allen Einzelheiten aufmalen? He, nicht hinsehen!“

Erschreckt ließ Harpo seine instinktiv erhobene Linke wieder sinken. Yil­

maz hatte recht. Er hatte keine Ahnung, wie das Zifferblatt seiner Uhr aussah!
Obwohl er doch täglich mindestens zehnmal auf diese Uhr blickte.

„Da hast du es“, scherzte das Mädchen. „Wir gehen alle mit geschlossenen

Augen durch unsere Welt!“

Harpo nickte.  Jetzt konnte er das Wunder dieser täuschend echten  Illu­

sionswelt erst entsprechend würdigen. Regungslos lag er neben Yilmaz in der
Luft. Ein plötzliches wehmütiges Gefühl überkam ihn. Irgend etwas in ihm
sagte, daß sich diese Welt schon in wenigen Augenblicken in Nebel auflösen
würde. Der Höhepunkt des Festes würde überschritten sein. Und auch das
Fest selbst würde nicht mehr ewig dauern. Dann mußte Abschied genommen
werden.

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Er legte beide Arme um den Hals des Mädchens und sah ihr tief in die

Augen. Stumm erwiderte sie seinen Blick.

„Yilmaz ... ich glaube, ich habe dich sehr gern.“
„Ich mag dich auch sehr.“
„Dann bleib bei uns! Reise mit uns zu den Sternen. Willst du?“
Yilmaz sah ihn lange an. Ihre Augen waren unergründlich tief. Harpo wußte

nicht, ob aus ihnen Trauer oder Schalk sprach, vielleicht beides. Ein bißchen
Wehmut und ein bißchen Lachen.

Sie streichelte sein Haar und gab ihm einen langen Kuß. „Ich bin nicht

mehr so jung und ungebunden, wie du glaubst, Harpo“, sagte sie dann leise.
„Mein Gefährte heißt Thoris – und Kalo ist mein Sohn.“

Harpo fühlte, daß nicht nur um ihn herum eine Welt zerbrach. „Ich wollte

Thoris nicht kränken“, war alles, was er sagen konnte. „Sicherlich ...“

„Thoris hat sich über deine Zuneigung zu mir genauso gefreut wie ich“,

sagte Yilmaz lächelnd. „Aber jetzt wirst du verstehen, daß ich nicht mit dir ge­
hen kann. Leb wohl, Harpo!“

„Leb wohl ...“
Dann   war   Yilmaz   plötzlich   verschwunden.   Das   erste,   was   Harpo   wahr­

nahm,   als   er   wieder   den   Boden   der   Plattform   unter   sich   spürte,   war   ein
langanhaltender   Jubel.   Er   öffnete   benommen   die   Augen   und   sah   seine
Freunde. Sie lachten und tanzten begeistert herum. Er war nicht der einzige
gewesen, der an den Visionen der Akkais teilgenommen hatte.

Harpo saß ein Kloß im Hals. Dankbar spürte er, wie ihm jemand auf die

Schulter klopfte. Es war Micel. Und eine Hand schob sich in die seine. Das
war Anca.

„Eine   phantastische   Welt!“   rief   Thunderclap.   „Jetzt   verstehe   ich   erst,

weshalb Bharos um jeden Preis zurück möchte. Dort könnte ich es auch eine
längere Zeit aushalten.“

„Fliegen wir doch hin!“ krähte Lonzo, der als einziger nichts von den Illu­

sionen bemerkt hatte, weil sich sein  Robotergehirn  nichts vormachen ließ.
Aber er war für jeden abenteuerlichen Plan zu haben. „Wir Seeleute sind so­
wieso schon wieder viel zu lange an Land!“

„Au ja!“ schrien Ollie und Karlie in seltener Einmütigkeit.
Harpo, Anca, Brim und Alexander wechselten einen Blick mit Thunderclap.

Der  sah  Micel  in  die  Augen.  Und   Micel  sah  zu   Trompo.  Seine Augen  be­
gannen zu glänzen. Einstimmigkeit. Seine Gedankenbotschaft erreichte Bha­
ros.   Der   mußte   sich   nicht   erst   lange   vorbereiten.   Er   wartete   seit   vielen
hundert Jahren mit gepackten Koffern.

Es blieb Lonzo vorbehalten, auszusprechen, was alle dachten: „Packt die

Zahnbürsten ein, Matrosen! Wir rauschen mal wieder ab!“

Ende

78

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Die Besatzung der EUKALYPTUS

Harpo Trumpff:
Sechzehn. Blondes, schulterlanges Haar. Hat gelegentlich Angst vor dem

Alleinsein in der Dunkelheit. Grund seines Aufenthalts auf dem Sanatoriums­
schiff:   Schwindelanfälle,  Gedächtnisstörungen   nach  Stürzen.  Chronist  und
Logbuchführer der EUKALYPTUS.

Anca Trumpff:
Harpos Schwester. Zwölf. Langes schwarzes Haar. Klein. Etwas pummelig.

Regt sich auf, wenn man sie „Pummelchen“ nennt. Liebt Tiere. Mit Ollie sehr
eng befreundet. Übertreibt gern. Wurde auf das Schiff geschickt, damit Harpo
sich nicht allein fühlt.

Brim Boriam:
Vierzehnjähriger Negerjunge. Krauses Haar. War anfangs sehr schüchtern.

Litt unter starken Sprachstörungen. Stottert jetzt nur noch, wenn er sehr auf­
geregt   ist.   Hat   medizinisches   Talent.   Wurde   von   den   Galaktischen   Medi­
zinern in einem Schnellhypnose Verfahren zum Arzt ausgebildet.

Thunderclap Genius:
Deckname eines gelähmten fünfzehnjährigen Jungen. Hütet seinen echten

Namen sorgsam. Hochintelligenter Tüftler. Technisch begabt. Alleswissende
Leseratte mit eidetischem Gedächtnis (vergißt kaum etwas, was er einmal ge­
hört oder gelesen hat). Hobby: Entschlüsseln von Geheimschriften.

Lonzo:
Roboter. Im Gegensatz zu seinen maschinellen Kollegen, die wegen ihrer

teddybärartigen Aufmachung die „Grünen“ genannt werden, ohne Verklei­
dung. Behauptet von sich, überhaupt keine Maschine, sondern ein ehema­
liger   Seeräuber   zu   sein.   Ist   zweifellos   defekt.   Steht   voll   auf   der   Seite   der
Kinder. Akzeptieren ihn, so wie er ist. Klopft gern Sprüche. Hat so ziemlich je­
des Buch über Piraten gelesen. Ist in  der  Lage, kleinere  Verletzungen und
Krankheiten   mit   einem  eingebauten   medizinischen  System  zu   behandeln.
Besitzt   aus   Metallringen   zusammengesetzte  Beine   und  einen   kugelrunden
Kopf.

Micel Fopp:
Vierzehn.   Schwarzhaarig.   Dunkle   Augen.   Wurde   durch   falsche   Medi­

kamente, die seine Mutter während ihrer Schwangerschaft einnahm, mit ver­
kürzten Armen geboren. Hände klein wie die eines Fünfjährigen und direkt
an seinen Schultern angewachsen. Ansonsten körperlich unversehrt. „Tele­
path“ (ist in der Lage Gedanken zu lesen).

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Karlie Müllerchen:
Fünfzehn.   2,20   Meter   groß.   Niemand   weiß,   wann   er   aufhören   wird   zu

wachsen. Bürstenhaarschnitt. Liebt nichts mehr als Kartoffelpuffer. Tischt sie
jedesmal, wenn er mit Küchendienst an der Reihe ist, den anderen in hundert
Variationen auf. Hat Humor und starkes Interesse an Funktechnik und Astro­
navigation.

Ollie:
Elf. Strubbelkopf. Fransenbesetzte Lederhose. Ziemlich frech. Sogenannter

„Hypochonder“ (eingebildeter Kranker). Kerngesund, redet sich aber ständig
ein, gegen alles und jeden allergisch zu sein. Schreit nach Medizin, sobald er
einen einsamen Pickel auf seiner Haut entdeckt. Sein Ziel: rasch erwachsen
zu werden, weil er Anca Trumpff heiraten will.

Moritz:
Dackel. Ollies Liebling. Darf eigentlich nicht in die Zentrale. Wird von Ollie

immer wieder eingeschmuggelt. Hat es auf Lonzos Metallbeine abgesehen.
Und auf Trompo, den er für eine Art Hund hält.

Trompo:
Außerirdisches Wesen von Katzengröße. Sieht wie ein rosafarbener Elefant

aus. Schlappohren. Haut ist von einem Fell bedeckt. Ist kein Tier, sondern ein
intelligentes Lebewesen von einem Planeten mit unaussprechlichem Namen.
Lebte als eine Art „Krankheitsaufspürer“ bei den Galaktischen Medizinern,
bevor er auf das „Raumschiff der Kinder“ kam.

Alexander:
Sieht wie ein Bär aus. Trägt einen roten Pelz. Kein Wunder, denn er ent­

stammt einer intelligenten Lebensform des Planeten Nordpol, die als Rasse
der Rotpelze bekannt ist. Vielleicht zehn Jahre alt, aber sehr stark. Und lern­
eifrig.   Nur   mit   der   menschlichen   Sprache   will   es   noch   nicht   so   richtig
klappen.

Schwatzmaul:
Elektronengehirn   der   EUKALYPTUS.   Umfaßt   alle   elektronischen   Teile,

Steuer­ und Kontrollelemente des Schiffes. Und die Speicherbänke. Die Bord­
bibliothek. Ist nicht perfekt. Muß manchmal zugeben, daß er Wissenslücken
hat. Redet mit menschlicher Stimme viel, gern und geschwollen. Auch über
Sachen, die keinen interessieren. Das hat ihm seinen Namen eingetragen.

EUKALYPTUS:
Den Namen erhielt das Schiff erst durch die Kinder. Obwohl es ja eigentlich

eher  wie  eine  riesige   Hantel   aussieht.  Zwei   Kugeln,   ein  zylindrisches   Ver­
bindungsstück. Besteht aus  einer Vielzahl von Decks, jedes kilometergroß,
viele davon als künstliche Wüsten und Dschungel ausgestattet.

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Ob das Raumfahrzeug ursprünglich als eine Art Auswanderungsschiff für

interstellare Reisen vorgesehen war, weiß man nicht so genau. Sicher ist nur,
daß es einen neuartigen, vorher nicht getesteten Antrieb besitzt, der mehrfa­
che Lichtgeschwindigkeit zuläßt. Es umkreiste als Hospitalschiff für kranke
und umweltgestörte Kinder die Erde – bis es sich aus noch ungeklärter Ursa­
che aus seiner Umlaufbahn riß. Die ursprüngliche Besatzung ließ das Schiff
und die Kinder im Stich. Diese mußten selbst lernen, das Schiff zu steuern.
Oder steuern zu lassen, denn die meiste Arbeit nimmt ihnen der allgegen­
wärtige Computer Schwatzmaul ab. Daß sich die EUKALYPTUS überhaupt
wieder   manövrieren   läßt,   verdanken   die   Kinder  vor   allem  den   hilfreichen
„Weltraumärzten“,   einer   extraterrestrischen   Rasse.   Die   EUKALYPTUS   hat
mehrere Beiboote, Fabrikationsstätten für alles, was an Bord benötigt wird,
Wartungsroboter – und natürlich eine sehr tüchtige, aber auch fröhliche Be­
satzung.

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