Weston, Sophie Meine süße Sommerfee

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Meine süße Sommerfee

Sophie Weston

Romana 1463 – 5-1/03

Gescannt von suzi_kay

Korrigiert von briseis

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PROLOG

Man hatte den Engländer unterschätzt. Das
wurde

allen

am

Sonderkommando

Beteiligten

bereits

in

den

ersten

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vierundzwanzig Stunden klar. Mochte der
Mann mit dem dichten schwarzen Haar auch
wie ein umschwärmter Hollywoodstar ausse-
hen, so bewegte er sich doch geschmeidig
wie eine Raubkatze und war hart im
Nehmen.

Als bekannt geworden war, dass an der
Dschungelexpedition ein Bürokrat aus New
York teilnehmen würde, der außerdem noch
zur britischen Aristokratie gehörte, wäre es
im Team beinahe zur Meuterei gekommen.

„Sir Philip Hardesty?" hatte Texas Joe fas-
sungslos

gefragt,

und

Spanner

hatte

gemurrt:

„Ich werde keinen hochnäsigen Schreiberling
mit ,Sir' anreden!"

Da Spanner ebenfalls Engländer war, galt er
in dieser Frage als besonders kompetent,
und so beschlossen seine Kameraden, sich

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nach ihm zu richten. Als Philip Hardesty
dann zu ihnen stieß, genügte den Männern
ein Blick auf seine gepflegten Hände, den
funkelnagelneuen Rucksack und die sünd-
haft teuren Stiefel, um sich in ihrem Vorur-
teil gegen ihn vollauf bestätigt zu finden.

Zur Überraschung aller, legte er jedoch kein-
en Wert auf seinen Titel. Er schonte auch
seine Hände nicht, und beim Waten durch
den Fluss hielten seine Stiefel das Wasser
besser ab als die der anderen Männer.

Vor allem aber bewies er während des ta-
gelangen

Gewaltmarsches

durch

den

Dschungel eine bewundernswerte Zähigkeit.
Nichts schien ihm etwas auszumachen.
Weder das abscheulich riechende Insektens-
chutzmittel noch die unerträglich hohe
Luftfeuchtigkeit oder die von den bedroh-
lichen

Schreien

wilder

Tiere

erfüllten

Nächte.

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Obwohl er kein spezielles Ausdauertraining
wie alle anderen absolviert hatte, war er auf
seine ruhige Art ebenso stark wie sie und er-
trug alle Strapazen klaglos. Er besaß eine
beachtliche körperliche Kondition, und wenn
er in den kurzen Ruhepausen den voll be-
packten Rucksack absetzte, konnte man se-
hen, wie breit und muskulös seine Schultern
waren.

Captain Soames, der die Truppe anführte,
war anfänglich wenig begeistert gewesen, bei
dieser riskanten Mission von einem Zivil-
isten begleitet zu werden. Immerhin han-
delte es sich ja nicht nur um einen aben-
teuerlichen Ausflug in den Urwald, sondern
um ein Treffen mit so genannten Freiheit-
skämpfern, deren Absichten keineswegs völ-
lig klar waren.

Mittlerweile hatte der Captain seine Vorbe-
halte gegen Philip Hardesty längst zurück-
genommen. Der Mann verstand ja sogar,

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Feuer zu machen und es ordnungsgemäß
wieder zu löschen.

„Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?"
fragte der Captain den Engländer, als sie an
diesem Abend alle gemeinsam um das Lager-
feuer saßen.

Am nächsten Tag würden sie das Camp der
Rebellen erreichen. Was sie dort erwartete,
wusste keiner der sechs Männer, die sich
freiwillig für diesen Einsatz gemeldet hatten.
Rafek, der Rebellenführer, hatte den Kontakt
aufgenommen

und

Gesfrächsbereitschaft

signalisiert.

Doch vielleicht wollte er sie nur in eine Falle
locken.

„Alte Familientradition", beantwortete Philip
Hardesty die Frage des Captains.

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„Klingt sehr britisch", stellte der australische
Captain trocken fest. „So lange gibt es die
Vereinten Nationen doch noch gar nicht."

Philip Hardesty lächelte. „Die Hardestys
haben sich schon lange vor Gründung der
UN als Vermittler betätigt. Wir tun das seit
Jahrhunderten." Er hatte ein unerwartet an-
ziehendes Lächeln. Auf einmal wirkte er gar
nicht mehr freundlich reserviert und uner-
schütterlich wie bisher, sondern gab einem
das Gefühl, einen Blick in sein Innerstes
werfen zu dürfen.

Obwohl der hart gesottene Captain den Trick
durchschaute, vermochte auch er sich der
Wirkung dieses wunderbaren Lächelns nicht
zu entziehen. „Sie sind sicher verdammt gut
in diesem Job", meinte er.

„Das sollte jeder in seinem Beruf sein."

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„Allerdings", stimmt der Captain ihm zu.
„Und was sagt Ihre Familie dazu?"

Es folgte eine winzige Pause.

„Ich habe keine. Vorfahren ja, aber keine
Familie."

„Oh."

Der

Captain

klang

aufrichtig

überrascht.

„Familie zu haben heißt, sich für jemanden
zu entscheiden." Das Lächeln war aus Philip
Hardestys Gesicht verschwunden. „Das kann
ich nicht."

Dem Captain war die Wendung, die das Ge-
spräch genommen hatte, unangenehm. Bei
solchen gefährlichen Expeditionen kam es
öfter vor, dass Männer sich zu persönlichen
Geständnissen hinreißen ließen, die sie
später bereuten.

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Doch davon konnte bei Philip Hardesty
keine Rede sein.

„Als Vermittler darf ich keine eigenen Ziele
verfolgen", erklärte er sachlich. „Meine
Aufgabe ist es, allen gerecht zu werden und
niemanden zu bevorzugen."

„Aber das gilt doch nicht für Ihr Priva-
tleben", wandte der Captain bestürzt ein.

„In gewisser Weise schon", erwiderte Philip
Hardesty kühl und auch ein wenig müde.
„Ich kann nicht zwei verschiedene Leben
führen."

Nun verstehe ich, weshalb ihn diese Rebel-
len, die wir morgen treffen, als Vermittler bei
den

geheimen

Friedensverhandlungen

gewünscht haben, dachte der Captain. „Und
deshalb verzichten Sie auf eine Familie?
Bringen Sie da Ihrem Beruf nicht ein zu
großes Opfer?"

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Philip Hardesty zuckte die Schultern. „Fami-
lientradition", sagte er lakonisch.

Der Captain zögerte. Da sich die anderen
Männer jedoch bereits schlafen gelegt hatten
oder Wache schoben, konnte er sieh nicht
enthalten, neugierig zu fragen: „Fühlen Sie
sich da nicht manchmal einsam?"

Philip Hardesty hielt die Hände über das
Feuer, obwohl die Nacht keineswegs kalt
war.

„Einsam?" wiederholte er. „Das bin ich
immer."

Fünf Tage später beantwortete Captain
Soames auf dem Luftwaffenstützpunkt in
Pelanang die Fragen der Reporter.

Ja, die Expedition sei nicht ungefährlich
gewesen, aber alle Teilnehmer seien wohl-
behalten zurückgekommen. Ja, es habe sich

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um ein bisher noch unerforschtes Gebiet ge-
handelt, und man habe eine Vielzahl un-
bekannter Pflanzenarten mitgebracht.

„Ich habe gehört, dass der UN-Vermittler Sir
Philip Hardesty mit Ihrer Gruppe unterwegs
gewesen sei", sagte ein für mehrere europäis-
che

Zeitungen

schreibender

lokaler

Reporter.

„Möchten Sie dazu einen Kommentar
abgeben?"

„Aber sicher", antwortete Captain Soames
mit einem breiten Lächeln. „Es war eine
große Ehre für uns."

Als er später mit demselben Reporter noch
ein Glas Bier unter Palmen trank, meinte er:

„Sie wollen mehr über den Engländer wis-
sen? Nun, im Vertrauen gesagt, der Kerl ist
für mich ein Phänomen. Wenn jemand diese

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Verrückten dazu bringen kann, Frieden zu
schließen, dann er."

„Aber was für ein Mensch ist er?" hakte der
Reporter nach.

Der Captain stellte sein Glas ab und sah
plötzlich sehr ernst aus. „Er ist der einsamste
Mensch, den ich jemals getroffen habe."

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1. KAPITEL

„Ein zufriedener Kunde mehr", sagte Mrs.
Ludwig und reichte Kit Romaine den Um-
schlag mit der Gehaltsabrechnung. „Er war
voll des Lobes für Sie und lässt Sie nur un-
gern gehen."

„Das ist sehr freundlich von ihm." Kit schob
das Kuvert ungeöffnet in die Manteltasche.

Nicht zu fassen, wie wenig diesem Mädchen
Geld bedeutet, dachte Mrs. Ludwig missbilli-
gend. „Kommen Sie nie in Versuchung?"

„Mich fest anstellen zu lassen?" Kit schüt-
telte den Kopf. „Ich bin lieber unabhängig."
Sie hatte lange genug gebraucht, um
herauszufinden, dass sie frei und unge-
bunden sein wollte.

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„Mit dieser Einstellung sind Sie natürlich die
ideale Arbeitskraft für eine Zeitarbeitsfirma
wie die unsere. Doch sollten Sie nicht auch
an Ihre Zukunft denken?"

„Für mich ist es die ideale Lebensform",
sagte Kit entschieden. Erst nach einigen
bitteren Erfahrungen war sie zu dieser
Erkenntnis gelangt.

Mrs. Ludwig gab es auf, das junge Mädchen
vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Sie
warf einen Blick auf ihre Terminliste.

„Für nächste Woche hätte ich den kom-
pletten Frühjahrsputz eines Hauses in
Pimlico.

Die Eigentümer sind alte Kunden, die nach
dem Auszug der bisherigen Mieter das Haus
selbst bewohnen wollen. Jedoch erst, wenn
alles sauber ist. Sie hätten also das Haus
ganz für sich. Oder Sie übernehmen eine

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Urlaubsvertretung in der Buchhandlung
Henderson. Man hat ausdrücklich Sie ver-
langt. Und dann könnte ich Ihnen noch ein-
en Job bei den Bryants anbieten."

Mrs. Ludwig zögerte, ehe sie hinzufügte:
„Ach nein, das ist nichts für Sie, da Sie sich
um

deren

kleine

Tochter

kümmern

müssten." Fragend blickte sie das junge
Mädchen an. Die Bryants waren gute Kun-
den, und sie hätte Ihnen gern eine Spitzen-
kraft wie Kit Romaine vermittelt.

Doch diese schüttelte heftig den Kopf. Kit
Romaine wollte mit Kindern nichts zu tun
haben.

Von dieser Einschränkung einmal abgese-
hen, war Kit Romaine jedoch eine geradezu
ideale Mitarbeiterin für Mrs. Ludwig, die für
ihre Agentur mit dem Slogan warb: „Wir
haben für jedes Problem eine Lösung!" Das
junge Mädchen war im Haushalt ebenso

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perfekt wie am Computer und bewahrte auch
in schwierigen Situationen die Ruhe. Außer-
dem war Kit ausgesprochen hübsch und be-
wegte sich mit so viel Grazie, dass sich die
Leute auf der Straße nach ihr umdrehten.
Ein Kunde hatte mit ihr sogar einen Werbes-
pot für das Fernsehen drehen wollen, doch
Kit hatte trotz eines üppigen Honorarange-
bots lachend abgelehnt.

Bei dem Gedanken daran seufzte Mrs. Lud-
wig unwillkürlich auf.

„Nicht die Bryants", sagte Kit nun. „Ich
übernehme lieber den Frühjahrsputz. Da
kann ich mich voll auf mein Bildungspro-
gramm konzentrieren."

Mrs. Ludwig lachte. „Womit befassen Sie
sich zurzeit?"

„Mit Kriegslyrik."

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„Das klingt ja sehr martialisch."

„Ist es aber nicht. Ich finde, es gehört zur
Allgemeinbildung, mehr darüber zu wissen."
Kit war eine begeisterte Autodidaktin. Wann
immer es sich mit ihrer Arbeit vereinbaren
ließ, wie beispielsweise beim Saubermachen,
legte sie eine Kassette in ihren Walkman und
bildete sich weiter.

„Ganz wie Sie meinen", sagte Mrs. Ludwig
leicht gelangweilt. Ihr ging es darum, mög-
lichst viel Geld zu verdienen, alles andere
war zweitrangig. „Wenn Ihnen so viel daran
liegt, übernehmen Sie eben diesen Frühjahr-
sputz in Pimlico. Die Schlüssel gebe ich
Ihnen am Montag."

„Gut." Kit stand auf. „Dann bis Montag."

„Schönes Wochenende", wünschte ihr Mrs.
Ludwig zerstreut, da sie mit ihren Gedanken
bereits bei einem anderen Auftrag war.

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Kit fuhr mit der U-Bahn nach Hause, die an
diesem nassen Wintertag brechend voll war.
Die feuchten Mäntel der Leute verbreiteten
einen muffigen Geruch im Abteil, was jedoch
niemanden zu stören schien. Die Leute war-
en gut gelaunt, weil Freitag war und die
meisten etwas vorhatten.

Außer mir, dachte Kit, als sie an der Station
Notting Hill ausstieg. Sie beneidete die an-
deren nicht, sondern freute sich auf ihr
gemütliches Zuhause.

Auch in ihrem Leben hatte es einmal eine
Zeit gegeben, wo sie jeden Abend unterwegs
gewesen war. Sie hatte alles getan, um in ihr-
er Clique anerkannt zu werden, und ihr Stu-
dium sträflich vernachlässigt. Schließlich
war sie dann durch die Prüfung gefallen,
hatte ihr Selbstvertrauen verloren und war
auch noch krank geworden.

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Zum Glück hatte sie diese schlimmste Phase
ihres Lebens nun überwunden. Statt aus-
zugehen, würde sie sich heute Abend im Ra-
dio eine Oper anhören. Sie hatte es schon
mit Klavierkonzerten versucht, sich aber
dafür nicht so recht begeistern können.

Es gibt noch so viel zu lernen, dachte sie, als
sie nun beschwingt die breite Treppe des
stuckverzierten, weißen Hauses hinauflief
und die Eingangstür aufschloss. Von außen
sah das Gebäude sehr vornehm und elegant
aus, doch drinnen herrschte eine merkwür-
dige Atmosphäre. Heute roch es nach Räuch-
erstäbchen, vermischt mit dem Duft von
Zitrusfrüchten und Zimt. Offenbar braute
ihre Vermieterin einen Punsch.

Durch Vermittlung ihres Schwagers, dessen
exzentrischer Tante das Haus gehörte, hatte
Kit die Wohnung im Souterrain bekommen.
Tatiana war eine ehemalige Balletttänzerin
und etwas chaotisch. Sie hatte eine Vorliebe

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für Räucherstäbchen und feierte jedes
Wochenende rauschende Partys.

Auf Zehenspitzen schlich Kit an der
Wohnungstür ihrer Vermieterin vorbei, um
einer Einladung zu entgehen.

Tatiana missbilligte die zurückgezogene
Lebensweise

ihrer

Mieterin

ganz

entschieden.

„Anscheinend verlässt du das Haus nur, um
schwimmen oder arbeiten zu gehen", hatte
sie heute Morgen ironisch festgestellt, als sie
sich in der Eingangshalle begegnet waren.

„Ich nehme auch Fahrstunden", verteidigte
Kit sich.

Tatiana rümpfte verächtlich die Nase. „Statt
an eine Maschine, solltest du deine Hände
mal an einen Mann legen!"

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„Habe

ich

getan",

entgegnete

Kit

schnippisch.

„So?" Tatiana sah sie wie eine alte, weise
Schildkröte an. „Wann denn?"

Sowohl verärgert als auch amüsiert über die
alte Dame, schüttelte Kit den Kopf. „Wieso
glaubst du, mich ständig kontrollieren zu
müssen? Ich bin dir keine Rechenschaft
schuldig."

Da Tatiana keineswegs gekränkt zu sein schi-
en, sondern sogar sehr zufrieden wirkte,
schöpfte Kit Verdacht. „Hat dich etwa Lisa
auf mich angesetzt?"

„Das musste sie nicht." Wieder rümpfte Ta-
tiana die Nase. „Es ist doch nicht normal,
dass ein Mädchen in deinem Alter abends
nur weggeht, um irgendwelche Kurse zu
besuchen.

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Du solltest mehr Spaß am Leben haben."

„Mich mit Männern verabreden, meinst du
wohl?" Kit seufzte.

„Spaß haben", verbesserte Tatiana sie. „Vor
allem, wenn man aussieht wie du."

Bei

den

letzten

Worten

war

Kit

zusammengezuckt.

Tatiana ließ sich davon nicht erweichen.
„Langes blondes Haar und grüne Augen",
fuhr sie unerbittlich fort, „dazu die Grazie
einer Tänzerin. Du könntest eine atem-
beraubende Schönheit sein, wenn du nicht in
unförmigen Sackkleidern herumlaufen und
wenn du ab und zu mal ausgehen würdest."

„Ich gehe, wohin ich will", erwiderte Kit
bestimmt. „Und ich ziehe an, was ich will.
Wenn dir das nicht passt, kann ich jederzeit
ausziehen."

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Tatiana war auf die Herausforderung nicht
eingegangen, sondern hatte nur beschwichti-
gend die Hände gehoben und sich, etwas auf
Russisch murmelnd, in ihre Wohnung
zurückgezogen.

Unwillkürlich musste Kit lächeln, als sie jetzt
daran dachte. Es gelang ihr nur selten, bei
einem Wortgefecht mit ihrer Vermieterin
nicht den Kürzeren zu ziehen. Um ein
erneutes Zusammentreffen zu vermeiden,
schlich sie lautlos die Treppe hinunter zu
ihrer Wohnung.

Als sie die Tür aufschloss, hörte sie das Tele-
fon klingeln. Sie beeilte sich abzuheben, ehe
Tatiana etwas mitbekam. . „Hallo? Kit?"

„Lisa?" fragte Kit ungläubig. Nichts hatte sie
weniger erwartet, als von ihrer Schwester zu
hören, die sich zurzeit mit ihrem Mann,
einem Zoologen, in einem tropischen Ur-
laubsparadies vom Winter erholte. „Ich

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dachte, du würdest unter Palmen am Meer
faulenzen und hättest Besseres zu tun, als
mich anzurufen", scherzte sie, erkundigte
sich dann aber besorgt: „Ist mit Nikolai alles
in Ordnung?"

„Keine Ahnung. Ich sehe ihn ja kaum." Ob-
wohl Lisas Stimme weit entfernt klang, war
ihr gereizter Unterton nicht zu überhören.

„Oh." Kit fühlte sich etwas hilflos.

„Er hat mir zwar gesagt, dass in unserem
Hotel

eine

Tagung

einheimischer

Naturschützer stattfinden würde, aber ich
dachte, er würde nur das eine oder andere
Gespräch führen.

Stattdessen verbringt er jedoch seine ganze
Zeit mit diesen Leuten und will nun auch
noch einen Vortrag halten."

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An Lisas Ton konnte Kit unschwer erkennen,
dass ihre Schwester vor Wut kochte.

„Und

außer

den

Konferenzteilnehmern

wohnt zurzeit niemand in diesem verdam-
mten Hotel. Überhaupt frage ich mich, wie
man in einer Gegend, die an ein Krisengebiet
grenzt, ein Luxushotel bauen kann?"

„Krisengebiet?" wiederholte Kit entsetzt.

„Na ja, im Moment, ist alles ruhig", erklärte
Lisa ungeduldig, „sonst würde man keine
Konferenzen abhalten. Trotzdem ist es der
letzte Ort, um Urlaub zu machen."

Kit blickte durch das Fenster in den Garten.
Es regnete in Strömen. „Offenbar hast du
vergessen, wie das Wetter zu dieser
Jahreszeit in London ist. Bei dir scheint
wenigstens die Sonne."

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„Dann komm doch auch hierher", meinte
Lisa.

„Soll das ein Scherz sein?"

„Keineswegs.

Komm

und

leiste

mir

Gesellschaft."

„Das ist doch Unsinn, Lisa. Ich spiele nicht
gern das fünfte Rad am Wagen."

„Diese Gefahr besteht nicht." Lisas Lachen
klang bitter. „Ich sehe so gut wie nichts von
Nikolai. Das ist ja das Problem. Es gibt hier
niemanden, mit dem ich reden oder etwas
unternehmen könnte."

„He, so schlimm wird es schon nicht sein."
Kit klemmte sich das Telefon zwischen Ohr
und Schulter, zog die Schuhe aus und stellte
das elektrische Kaminfeuer an. „Kein grauer
Himmel, kein Matsch und statt kahler
Bäume saftiges Grün. Genieß doch einfach,

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dass du faul in der Sonne am Strand liegen
kannst."

Lisa antwortete nicht.

Was, um Himmels willen, ist nur geschehen?
fragte sich Kit bestürzt. Ihre Schwester und
Nikolai hatten es doch kaum mehr erwarten
können, dem nasskalten englischen Winter
zu entfliehen. Lisa hatte vor Weihnachten
einen mysteriösen Virus aufgeschnappt. Sie
war noch immer gesundheitlich angeschla-
gen und sonderbar empfindlich gewesen,
was völlig atypisch für sie war. Deshalb hat-
ten sie und ihr Mann sich auf den gemein-
samen Urlaub besonders gefreut. Nun waren
die beiden gerade einmal vier Tage weg, und
schon hörte Lisa sich an, als würde sie ihren
Mann hassen.

„Wie auch immer", fuhr Kit fort, da ihre Sch-
wester noch immer schwieg, „ein Urlaub in

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den Tropen übersteigt bei weitem mein
Budget."

„Meines nicht. Ich lade dich ein."

Zweifellos verdiente Lisa als Leiterin des
Londoner Büros einer internationalen In-
vestmentgesellschaft in einer Woche mehr
Geld als Kit in einem Jahr. Doch das stand
hier nicht zur Debatte.

„Du hast mich sowieso jahrelang unterstützt,
Lisa. Ich bin froh, endlich allein für mich
aufkommen zu können."

„Aber du kannst es dir nicht leisten, hierher
zu fliegen, und ich ... ich brauche dich." Lisa
sprach so leise, dass Kit sie kaum verstand.
„Ich

benötige

dringend

deine

Unterstützung."

Noch nie in ihrem Leben hatte Lisa sie je um
Hilfe gebeten. Kit war nun ernstlich besorgt.

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„Komm und leiste mir Gesellschaft, Kit." Es
klang geradezu flehentlich. „Ich fühle mich
so schrecklich allein."

Kit war zu geschockt, um etwas sagen zu
können.

„Ich habe für Sonntag einen Flug auf deinen
Namen gebucht und bezahlt. Alles andere
bleibt dir überlassen." Ohne sich zu verab-
schieden, legte Lisa auf.

Innerlich völlig aufgewühlt, ging Kit im Zim-
mer auf und ab. Was war zwischen Lisa und
Nikolai vorgefallen? Bisher hatten beide
noch nie ernsthaft Streit miteinander gehabt,
obwohl ihre Herkunft nicht unterschiedlich-
er hätte sein können. Nikolai entstammte
einer alten Adelsfamilie, die Romaine-Sch-
western hingegen waren am Rande der
Gesellschaft aufgewachsen, wie Lisa sich
auszudrücken pflegte. Sie hatte ihren Studi-
enabschluss

und

die

steile

berufliche

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Karriere aus eigener Kraft geschafft und ihre
Herkunft nie als Makel empfunden. Genauso
wenig wie Graf Nikolai Ivanov, der, soweit
Kit es beurteilen konnte, jetzt noch ebenso
verliebt in seine temperamentvolle Frau war
wie am Tag der Hochzeit.

Vorhin am Telefon hatte Lisa jedoch
keineswegs wie eine sich von ihrem Mann
geliebt wissende Frau geklungen. Das beun-
ruhigte Kit. Sie liebte ihre Schwester, die
zugleich auch ihre beste Freundin war.

Vielleicht sollte ich diesmal meine Prinzipien
über Bord werfen? überlegte Kit gerade, als
es plötzlich an der Glastür zum Garten
klopfte.

Draußen stand Tatiana. Normalerweise war
die Beziehung zwischen den beiden Frauen
etwas angespannt. Tatiana hielt ihre Mieter-
in ganz offensichtlich für ausgesprochen

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langweilig, während sie selbst aus Kits Sicht
eine achtzigjährige Nervensäge war.

Nur in ihrer Zuneigung für Lisa waren sich
die beiden einig, und so öffnete Kit nun so-
fort die Tür.

Tatiana gab sich wegen des ungewohnt eil-
fertigen Benehmens ihrer Mieterin keinen
falschen Hoffnungen hin. „Lisa hat dich an-
gerufen, stimmt's?"

„Ja. Ich mache mir Sorgen um sie."

„Genau wie ich", bekannte Tatiana. Sie setzte
sich auf das Sofa, ohne wie üblich eine spitze
Bemerkung über die ihrer Meinung nach
spießig aussehenden pastellfarbenen Kissen
zu machen.

„Sie klang sehr niedergeschlagen", meinte
Kit.

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„Wann hast du mit ihr gesprochen?"

„Eben gerade. Sie möchte, dass ich zu ihr
komme. Sie scheint völlig durcheinander zu
sein."

Falls Kit erwartet hatte, Tatiana würde ihr
raten, sich nicht in Lisas Angelegenheiten zu
mischen, so wurde sie diesmal enttäuscht.
Die alte Dame schien sehr bekümmert zu
sein.

„Weißt du, wie groß die Zeitverschiebung
zwischen hier und dort ist?"

Kit sah sie verwundert an. „Wieso?"

„Bei uns ist es jetzt fünf Uhr nachmittags,
das bedeutet, dass es in Coral Cove ein Uhr
morgens ist", erklärte die weit gereiste Ta-
tiana. „Sie hat dich mitten in der Nacht an-
gerufen, und ich frage mich, wo, zum Teufel,
ihr Mann um diese Zeit steckt?"

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Unvermittelt blieb Kit stehen. „Kein Wun-
der, dass sie so ... so verletzlich klang", sagte
sie nachdenklich.

„Ich finde, du solltest zu ihr fliegen", meinte
die alte Dame und fügte mit ihrem Sinn fürs
Praktische, den Kit immer so unvereinbar
mit Tatianas Hang zur Esoterik und einer
Vorliebe für Räucherstäbchen fand, hinzu:
„Brauchst du Geld?"

Kit schüttelte den Kopf. „Ich habe in letzter
Zeit mehr verdient, als ich ausgeben konnte.

Außerdem hat Lisa bereits einen Flug für
mich gebucht und bezahlt."

„Du brauchst entsprechende Kleidung für die
Tropen", sagte Tatiana, für die das Äußere
eines Menschen Spiegel seiner Seele war.

Kit zuckte gleichmütig die Schultern.

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„Also wirklich, Kit." Erstaunlich gelenkig für
ihr Alter, sprang Tatiana vom Sofa auf. „Du
bist hübsch genug, um jedem Model die
Schau zu stehlen. Warum kaufst du dir nicht
mal ein aufregendes Kleid, mit dem du den
Männern den Kopf verdrehst?"

So wie Lisa.

Keiner von beiden sprach es aus, doch jede
wusste, was Tatiana meinte.

„Ich zieh mich an, wie ich will, und damit
basta!"

entgegnete

Kit

schärfer

als

beabsichtigt.

„Jedenfalls brauchst du einen Badeanzug."
So schnell gab Tatiana nicht auf. „Ich habe
sehr hübsche Bikinis bei..."

„Keinen Bikini", unterbrach das junge Mäd-
chen sie verärgert und erntete dafür einen
missbilligenden Blick.

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„Aber auf Shorts und leichte Tops kannst du
nicht verzichten", sagte Tatiana. „Du hast
keine Ahnung, wie heiß es dort ist. Selbstver-
ständlich benötigst du auch wenigstens ein
vernünftiges Kleid für abends. Und vergiss
nicht, einen Strohhut zu kaufen. Bei deiner
hellen Haut bekommst du schnell einen
Sonnenbrand."

„Das alles bekomme ich dort."

Tatiana rümpfte verächtlich die Nase. „Mein
liebes Kind, Coral Cove ist kein billiger Feri-
enclub mit Strandverkäufern und Würst-
chenbuden. Nikolai hat gesagt, dass es sich
um eine exquisite Hotelanlage auf einer Priv-
atinsel handelt."

„Auch das noch", seufzte Kit.

Tatiana ging darauf nicht ein. „Ohne an-
gemessene Garderobe wirst du dir dort de-
plaziert vorkommen."

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„Soviel ich weiß, ist dieses Luxushotel mo-
mentan ziemlich leer", meinte Kit spöttisch.

„Ein Grund mehr für dich, dort nicht unan-
genehm aufzufallen."

„Das werde ich sowieso."

Die alte Dame seufzte. „Du machst es einem
wirklich schwer, Kit."

„Ich mag es nur nicht, wenn Leute mir vors-
chreiben wollen, was ich zu tun und zu
lassen habe."

Tatiana gab auf. Als sie die Glastür zum
Garten öffnete, tauchte eine weiße Pfote, el-
egant wie ein in einem langen Abendhand-
schuh steckender Arm, im Türrahmen auf.
„Schon wieder diese Katze", sagte die alte
Dame ungnädig.

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Kit lächelte. „Miez, Miez", lockte sie, und ein
geschecktes Kätzchen spazierte anmutig ins
Zimmer, ließ sich auf dem Kaminvorleger
nieder und begann sich ausgiebig zu putzen.

„Katzen!" schimpfte Tatiana. „Man könnte
meinen, du wärst hundert Jahre alt, nicht
zweiundzwanzig."

„Sie besucht mich doch nur."

Tatiana verdrehte die sorgfältig geschmink-
ten Augen. „Deine Besucher sollten große,
gut aussehende Männer sein, die dich deine
Einstellung zu Bikinis nochmals überdenken
lassen."

„Nun

fang

nicht

wieder

damit

an!"

Ungeduldig schüttelte Kit den Kopf. „Warum
versuchst du ständig, dich in mein Leben
einzumischen?"

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„Weil ich es nicht ertragen kann, wie du
deine Jugend vergeudest."

Es folgte gespanntes Schweigen. Schließlich
senkte Kit als Erste den Blick. Die Erfahrung
hatte sie gelehrt, von großen, gut ausse-
henden Männern die Finger zu lassen.

Noch heute verfolgten sie nachts quälende
Erinnerungen an eine Zeit, da sie diesen
Grundsatz nicht beherzigt hatte.

„Ich habe meine Gründe, weshalb ich sol-
chen ... Männern aus dem Weg gehe", bekan-
nte Kit stockend und zwang sich, ihre Vermi-
eterin anzusehen. „Zuerst brechen sie dir das
Herz und bringen dich dann auch noch um
den Verstand. Ich bin nicht tapfer genug,
mich nochmals auf so etwas einzulassen."

Einen Moment lang schwieg Tatiana betrof-
fen. Dann nickte sie. „Na schön. Du musst

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selbst wissen, was gut für dich ist. Aber du
wirst nach Coral Cove fliegen, oder?"

„Ja, das werde ich", bestätigte Kit.

Lisa fiel ihrer Schwester auf dem kleinen
Flughafen stürmisch um den Hals. „Du bist
tatsächlich gekommen, Kit! War es schwer,
dir freizunehmen?"

„Ganz im Gegenteil." Kit lachte. „Die Mieter
waren mir richtig dankbar, dass sie noch
eine Woche länger Zeit haben, das Haus zu
räumen, ehe ich mit meinen tollen Reini-
gungsgeräten anrücke."

Lisa griff nach Kits Reisetasche und hängte
sich mit dem anderen Arm bei ihrer Sch-
wester ein. „Ich bin dir wirklich sehr dank-
bar, mein Schatz. Mir ist klar, dass ich viel
von dir verlangt habe."

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„Ja, es ist ein großes Opfer für mich, auf
deine Kosten eine Woche Urlaub in einem
Luxushotel auf einer paradiesischen Tropen-
insel zu machen", sagte Kit trocken.

Lisa seufzte. „So wunderbar, wie es sich an-
hört, ist es hier nicht. Sicher, die Anlage ist
hübsch und das Meer warm, aber mehr gibt
es hier nicht zu sehen. Ich hoffe, du hast dir
ausreichend Lesestoff mitgebracht." Und als
Kit ihr einen ironischen Blick zuwarf, fügte
Lisa lachend hinzu: „Dumme Bemerkung.
Womit befasst du dich in diesem Monat?"

„Mit Kriegslyrik. Aber ich habe auch einige
Romane dabei."

„Dem Himmel sei Dank! Meine habe ich
schon alle gelesen."

Kit folgte ihrer Schwester nach draußen in
die flirrende Hitze.

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Geblendet von der grellen Sonne, hielt sie
sich schützend die Hand vor die Augen.

„Du hast doch hoffentlich eine Sonnenbrille
mit." Lisa sah sie reumütig an. „Ich habe ver-
gessen, dich daran zu erinnern."

„Genau wie Tatiana. Dafür hat sie darauf be-
standen,

dass

ich

ein

Cocktailkleid

mitnehme."

„Ein Cocktailkleid?" fragte Lisa ungläubig.

„Du weißt ja, wie beharrlich sie ist, wenn sie
sich etwas in den Kopf setzt."

„Allerdings", bestätigte Lisa lachend und
drückte den Arm ihrer Schwester. „Ich bin ja
so froh, dass du gekommen bist. Wir werden
noch rasch alles Nötige für dich besorgen,
ehe wir im Hubschrauber zum Hotel fliegen.
Das wird eine ganz neue Erfahrung für dich
sein."

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Beim Anblick von Coral Cove stockte Kit der
Atem. Von Ferne sah es wie eine Spielzeu-
ginsel aus, doch als sie darüber hinwegflo-
gen, bemerkte Kit schmale Flüsse, die sich
durch den Dschungel schlängelten, und sog-
ar ... Entzückt beugte sie sich vor. „Ist das
dort unten ein Wasserfall?"

„Wahrscheinlich", sagte Lisa gleichmütig.
„Nicht weit von unserem Bungalow gibt es
einen und ungefähr eine halbe Stunde vom
Hotel entfernt einen noch viel größeren.
Wenn du willst, können wir heute Abend
einen Spaziergang dorthin machen."

Mit einem zufriedenen Seufzer lehnte sich
Kit in ihrem Sitz zurück. „Sonne, Meer und
Wasserfälle. Dafür verzeihe ich Tatiana sogar
das Cocktailkleid."

Aus

dem

geplanten

Spaziergang

zum

Wasserfall wurde jedoch nichts. Lisa hatte
sich in ihr Zimmer eingeschlossen und wollte

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mit niemandem sprechen. Und Nikolai, der
seine Schwägerin mit sauertöpfischer Miene
begrüßt hatte, hatte sich wieder zu seinen
Naturschützern gesellt.

Nach

einem

Blick

in

den

eleganten

Speisesaal beschloss Kit spontan, das
Abendessen ausfallen zu lassen. Während
die anderen Gäste beim Essen waren, würde
sie die Zeit nutzen, ungestört in der Lagune
zu schwimmen, die Lisa ihr am Nachmittag
gezeigt hatte.

Das türkisfarbene Wasser hatte sehr ein-
ladend ausgesehen. Die hohen Wogen bra-
chen sich an den Sandbänken und umspül-
ten in sanften Wellen den schneeweißen
Strand. Einfach paradiesisch. Nur die verein-
zelt zu sehenden Schwimmer hatten Kit dav-
on abgehalten, schon am Nachmittag in der
Lagune zu baden.

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Aber nun war es schon fast dunkel, und die
anderen

Gäste

saßen

entweder

beim

Abendessen oder nahmen an der Konferenz
teil. Sie, Kit, würde also die Lagune ganz für
sich allein haben. Sie eilte zurück zu ihrem
Bungalow, zog ihren in einem Second-hand-
laden gekauften einteiligen Badeanzug an
und machte sich vergnügt auf den Weg zu
ihrem ersten Bad in tropischen Gewässern.

Von seinem Sitz auf dem Podium ließ Philip
Hardesty

den

Blick

durch

eine

der

geöffneten

Glastüren

nach

draußen

schweifen.

Jemand schwamm in der Lagune. Philip be-
merkte es an den phosphoreszierenden
Punkten, die die einsame Gestalt umgaben.
Von weitem sah es aus, als würde sie - denn
es handelte sich um eine Frau - beim
Kraulen

von

unzähligen

winzigen

Sternschnuppen umkreist.

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Beneidenswert, jetzt im Meer baden zu
können, dachte Philip neidisch. Er war völlig
durchgeschwitzt und fuhr sich - unauffällig,
wie er hoffte - unter den Hemdkragen. Nur
zu gern hätte er wenigstens seine Krawatte
gelockert.

Obwohl alle Türen zur Terrasse geöffnet
waren und die altmodischen Deckenventil-
atoren auf Hochtouren liefen, herrschte im
Konferenzsaal des Hotels eine unerträgliche
Hitze. Das lag vor allem an den auf Philip
gerichteten Scheinwerfern der Fernsehkam-
eras, wie er sich fairerweise eingestand.

Stets fair zu sein gehörte zu seinem Beruf.
Und im Moment erforderte es dieser Beruf,
dass Philip geduldig die Fragen einiger
handverlesener

Journalisten

nach

dem

Stand der Friedensverhandlungen beantwor-
tete. Er riss den Blick von der einsamen Sch-
wimmerin los und nickte dem als nächsten

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an die Reihe kommenden Journalisten fre-
undlich zu. „Ihre Frage, Mr. Dunkel."

Philip kannte den Mann schon aus anderen
Pressekonferenzen. Er war Korrespondent
einer renommierten deutschen Zeitung und
hatte ihm mindestens zwanzig Jahre an Er-
fahrung voraus. Wahrscheinlich sind alle
hier im Raum erfahrener als ich, dachte er
ein wenig mutlos. Er fühlte sich völlig aus-
gelaugt, durfte jetzt aber keine Schwäche zei-
gen, um die Friedensverhandlungen nicht zu
gefährden.

Ruhig hörte er sich Mr. Dunkels Frage an,
überlegte einen Augenblick und gab eine
diplomatische Antwort, ohne sich allerdings
der üblichen Phrasen zu bedienen.

Nur wenige hundert Meter entfernt lockte
die Lagune, und Philip musste sich zwingen,
seine Gedanken davon abzulenken. Er beant-
wortete eine weitere Frage und dann noch

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eine und noch eine. Bis schließlich die Kon-
ferenz zu Ende war und sein einheimischer
Leibwächter an einer der offenen Glastüren
auf ihn wartete, um ihn zu dem nun fol-
genden Bankett zu begleiten.

Auf zur nächsten Vorstellung, dachte Philip
zynisch.

Mehr

Halbwahrheiten,

nichts

sagende Floskeln und hinter einem Lächeln
versteckte Wut und Verzweiflung. Mehr
Hoffnung

wider

alle

Hoffnung

und

Heuchelei um der guten Sache willen. Er
fühlte sich auf einmal sehr müde.

„Geben Sie mir einen Moment Zeit", sagte er
zu seinem Leibwächter in dem sanften, höf-
lichen Ton, mit dem er bei Verhandlungen
aufgebrachte Kontrahenten beruhigte. „Ich
möchte ein wenig Luft schnappen." Und da
der Mann neben ihm stehen blieb, fügte
Philip hinzu: „Allein."

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Der Leibwächter grinste verständnisvoll und
warf einen viel sagenden Blick zu der von
Flutlichtern angestrahlten Strandbar. Philip
nickte dem Mann freundlich zu und ging auf
die Terrasse.

Die laue Tropennacht war erfüllt von süßem
Blumenduft und dem Geruch des Meeres.

Philip atmete tief durch und blickte nach
oben. Der Himmel war von Sternen übersät,
die wie gefrorene Wassertropfen funkelten.
Philip lehnte sich an einen Pfeiler der über-
dachten Terrasse und schloss die Augen.
Statt der erhofften Stille wurde er jedoch von
Stimmengewirr eingehüllt und öffnete die
Augen wieder.

Ich muss diesem Trubel entfliehen, und sei
es auch nur für wenige Minuten, dachte er
genervt und ging rasch den kiesbestreuten
Pfad entlang, der zu einer die Lagune um-
rundenden Sandbank führte. Allmählich

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ebbte der Lärm ab. Am Anfang der Sandbank
blieb Philip stehen. Hier draußen waren nur
noch Zikaden und der sanfte Wellenschlag
des Meeres zu hören. Was für eine Wohltat,
endlich allein zu sein! Keine Stimmen mehr,
niemand, der etwas von ihm wollte.

Noch immer tummelte sich die einsame Sch-
wimmerin im Wasser. Ihr Körper war
gespannt wie ein Bogen, als sie nun unter-
tauchte. Um ihre schlanke Gestalt schienen
Tausende von Lichtern zu explodieren. Dann
kam sie wieder an die Wasseroberfläche und
strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht.

Offenbar wähnte sie sich unbeobachtet, warf
die Arme in die Luft und lachte laut. Dann
rollte sie sich geschmeidig wie eine Otter
zusammen und schlug übermütig mehrere
Purzelbäume. Es sah aus, als würde ein
leuchtendes Rad durch das Wasser wirbeln.

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Philip ertappte sich dabei, dass er dieses
Schauspiel

ungezügelter

Lebensfreude

lächelnd verfolgte. Reumütig blickte er
zurück zum Hotel. Es war seine Aufgabe, das
Bankett zu eröffnen, das mehr oder weniger
eine Fortsetzung der seit drei Tagen
stattfindenden Friedensverhandlungen war,
bei denen er ebenfalls den Vorsitz führte.

Trotzdem konnte er sich nicht überwinden,
sofort zurückzugehen. Beim Anblick des
Mädchens im Wasser war ihm bewusst ge-
worden, wie lange er schon nichts mehr ein-
fach so zum Spaß getan hatte.

Nur noch fünf Minuten, sagte er sich und
ging auf der Sandbank weiter. Das Mädchen
schwamm nun auch zurück und auf die
Sandbank zu. Doch während er jede Bewe-
gung ihres von Lichtpunkten umgebenen
Körpers verfolgen konnte, vermochte sie ihn
nicht zu sehen. Beide würden sie ungefähr

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gleichzeitig

das

Ende

der

Sandbank

erreichen.

Die Frau war als Erste da, blieb jedoch im
Wasser. „Ist da jemand?" fragte sie, als sie
ihn näher kommen hörte. Ihre Stimme klang
leicht heiser und ein wenig ängstlich. „Lisa?"

Gern hätte er sie noch eine Weile beobachtet,
doch das wäre unfair gewesen, und er war ja
geradezu die Verkörperung von Fairness, wie
er sich spöttisch in Erinnerung rief. „Nein",
sagte er und trat aus dem Schatten der
Palmen.

Er hörte sie leise aufschreien, was unter den
gegebenen Umständen durchaus verständ-
lich war. Denn aller Komfort und Luxus kon-
nten nicht darüber hinwegtäuschen, dass
sich die Hotelanlage am Rande eines Krisen-
gebietes befand und es möglicherweise nicht
ungefährlich war, wenn nachts plötzlich ein
Fremder auftauchte.

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„Keine Angst", sagte Philip ruhig, „ich bin
ebenfalls Gast im Hotel und mache nur einen
kleinen Spaziergang vor dem Abendessen."

„Oh."

Offenbar war es ihm gelungen, sie zu beruhi-
gen. Sie legte den Kopf zurück und trat
Wasser. „Sind Sie Naturforscher?"

Philip zögerte. Es war lange her, dass er mit
jemandem gesprochen hatte, der nicht
wusste, wer er war und mit welcher Mission
er beauftragt war. Zu seinem Erstaunen fand
er es recht reizvoll, einmal anonym zu
bleiben, und sei es auch nur für kurze Zeit.
Statt ihre Frage zu beantworten, ging er in
die Hocke und hielt eine Hand ins Wasser.
Sofort umkreisten sie winzige Lichtpunkte.

Die Frau lachte. „Komisch, nicht wahr? Ich
habe keine Ahnung, was das ist."

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„Biolumineszenz", sagte Philip.

„Wie bitte?" Sie richtete sich im Wasser auf,
das nun in sanften Wellen ihre Taille um-
spülte und sie wie eine Nixe aussehen ließ.

„Es

sind

winzige

Krustentiere,

deren

Wirkung mit denen von Glühwürmchen an
Land vergleichbar ist."

„Tatsächlich?" Es klang nicht sehr überzeugt.

Philip verkniff sich ein Lächeln. Wenn es
sein musste, würde er eben alle Register
ziehen, um sie zu beeindrucken. „Es könnte
sich auch um Euphausiacea handeln",
erklärte

er.

„Die

haben

eingebaute

Scheinwerfer."

„Sie machen sich wohl über mich lustig?"

„Keineswegs." Es gefiel ihm, dass man ihr
nicht so leicht imponieren konnte. „Sie

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können

im

Lexikon

unter

,Eucarida'

nachschlagen." So, wie er sie einschätzte,
würde sie das tun.

„Eucarida", wiederholte sie, als wollte sie
sich den Ausdruck einprägen. „Woher wissen
Sie das alles? Gehören Sie zu dieser Gruppe
von Naturschützern?"

Selbstverständlich war Philip über alle
derzeit im Hotel tagenden Gruppen bestens
informiert. Er zögerte und sagte dann be-
dauernd: „Leider nicht. Aber vor einer
Ewigkeit wollte ich einmal Meeresbiologe
werden."

„Vor einer Ewigkeit?" meinte sie belustigt.
„So alt klingen Sie noch gar nicht."

Philip war verwirrt, was ihm höchst selten
passierte.

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Sie lachte fröhlich und begann, im Wasser zu
tanzen. „Ganz bestimmt sind Sie noch kein
Methusalem", scherzte sie.

Ihre leicht heisere Stimme faszinierte ihn.
„Wieso sind Sie sich da so sicher?" konterte
er, um sie am Reden zu halten.

„Weil Sie sich sonst kaum im Dunkeln mit
mir unterhalten würden und sich wünschten,
ebenfalls im Wasser zu sein."

Wie hatte sie erraten, was er dachte, wenn
sie ihn nicht einmal sehen konnte?

„Kommen Sie. Das Wasser ist herrlich
warm", lockte sie.

Die Versuchung war groß. Nur zu gern hätte
er auf seine guten Manieren gepfiffen, Anzug
und Krawatte abgestreift und mit der Un-
bekannten im Wasser herumgetollt. Was für
eine herrliche Vorstellung, einmal aller

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Verantwortung ledig zu sein und mit diesem
zauberhaften,

unkomplizierten

Mädchen

einfach nur den Augenblick zu genießen!

Schon wollte er sein leichtes graues Jackett
ausziehen, da stemmte sie sich mit den Ar-
men auf die Sandbank und zog sich aus der
Lagune.

Die

perlenden

Wassertropfen

überzogen ihren Körper mit einem fast
überirdischen Leuchten. Philip sah zarte
weibliche Rundungen und wohlgeformte
lange Beine. Sie hatte eine starke sinnliche
Ausstrahlung, die ihm zu Kopf stieg. Er kon-
nte nicht verhindern, dass er körperlich auf
sie reagierte.

Zum Glück schien sie es nicht zu bemerken.

„In der kleinen Hütte unter den Bäumen gibt
es Badebekleidung für die Gäste", sagte sie.

„So?" Er erkannte seine Stimme kaum
wieder.

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„Ja. Die Hütte sieht wie ein auf dem Boden
stehendes Baumhaus aus. Heute Nachmittag
habe ich dort blaue Vögel mit frack-
schoßartigen Schwänzen gesehen."

„Das waren asiatische Pfeif drosseln",
erklärte Philip in sachlichem Ton, während
er um Selbstbeherrschung rang. „Sie haben
eine gute Beobachtungsgabe." Wie lange
würde es noch dauern, bis sie merkte, welche
Wirkung sie auf ihn hatte?

Er sah ihre Zähne weiß aufblitzen, als sie
leise lachte. „Danke", sagte sie mit ihrer heis-
eren Stimme. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen
die Hütte."

Einen Moment lang stellte er sich vor, wie es
wäre, mit ihr im Mondschein Seite an Seite
zu schwimmen. Doch dann meldete sich
wieder sein Pflichtgefühl. „Vergiss nicht,
dass du ein Hardesty bist", glaubte er die

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mahnende Stimme seines Großvaters zu
hören.

„Nein", sagte er mit seltsam rauer Stimme.

„Aber sie ist gleich dort drüben."

„Nein." Er hatte sich nun wieder etwas ge-
fangen, trat aber unauffällig ein wenig
zurück, um ihr nicht mehr so nah zu sein.
Auf keinen Fall durfte sie merken, was mit
ihm los war. Es würde diesen wunderbaren
Augenblick verderben. „Ich muss zurück
zum Hotel, sonst wird man mich suchen."

„Oh." Es klang aufrichtig enttäuscht.

Zum Abschied erlaubte er sich, nach ihrer
Hand zu greifen.' Ihre Finger waren lang und
schlank und überraschend warm. „Aber ich
darf mich nicht beschweren. Immerhin hatte
ich das Vergnügen, mit einem Meermädchen
zu plaudern." Du meine Güte, was rede ich

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da für einen Schwachsinn, dachte er. Er
hörte sich ja wie ein alternder Schulmeister
an.

Wie um ihr zu beweisen, dass er keiner war,
zog er sie an sich. Er hörte sie heftig Atem
holen und fühlte unter seinen Händen ihre
feuchtwarme Haut. Sein Herzschlag verdop-
pelte sich, als er ihre Brüste und Hüften an
seinem Körper spürte.

Noch hätte er zurücktreten können, doch da
spürte er, dass sie auf ihn reagierte. Er
küsste sie, und für wenige Augenblicke er-
widerte sie seinen Kuss.

Dann entwand sie sich seinen Armen, glitt
ins Wasser und schwamm auf das offene
Meer hinaus.

Plötzlich vernahm er hinter sich Stimmen.

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„Sir Philip, sind Sie das?" Der Leibwächter
tauchte neben ihm auf.

„Alles in Ordnung, Sir?" Philip erkannte die
Stimme seines Assistenten und dann auch
noch die des Restaurantleiters. „Dürfen wir
die Gäste schon zu ihren Plätzen führen, Sir?

Alles ist bereit für das Bankett."

Wieder einmal rief die Pflicht. Steigen wir
also in den Ring für die nächste Runde,
dachte Philip. Er blickte sich noch einmal
nach der Nixe um, konnte sie aber nur noch
schemenhaft

in

einiger

Entfernung

erkennen.

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2. KAPITEL

Kit schwamm, ohne sich auszuruhen. Sie war
sich bewusst, dass sie die letzte Sandbank
bereits hinter sich gelassen hatte, da das
Wasser merklich kühler wurde und ihr die
Wellen ins Gesicht schlugen. Trotzdem ers-
chrak sie, als sie sich umdrehte und sah, wie
weit sie sich vom Ufer entfernt hatte.

Sie trat Wasser und blickte zurück zum
Hotel. Das Hauptgebäude war hell er-
leuchtet, und bei den kleineren Lichtquellen
entlang der Küste musste es sich um Swim-
mingpool,

Strandbar,

Grillanlage

und

Hochzeitstempel handeln. Weiter oben auf
den Klippen standen die Gästebungalows,
über deren Treppenaufgänge bunte Lichter-
ketten gespannt waren.

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Alles sah sehr hübsch, einladend und sicher
aus.

Sicher? Nun ja, sie machte neue Er-
fahrungen, aber grundsätzlich fühlte sie sich
hier sicher.

Zugegeben, der große Fremde hatte sie ange-
fasst, aber er hatte nicht nach ihr gegrapscht
und sie auch nicht gewaltsam an sich ge-
presst. Und er hatte sie, ohne zu zögern, los-
gelassen, als sie sich ihm entzogen hatte.

Und war sie ihm nicht ein wenig entge-
gengekommen? Das war sie keinem Mann
mehr, seit Johnny sie geschüttelt und ihr ins
Gesicht geschrien hatte, dass er sie nicht
liebe und nie geliebt habe.

Heute Abend jedoch ... Sie schluckte un-
freiwillig Wasser und begann zu husten. Nun
ja, der Fremde hatte sie geküsst und - sie
hatte

den

Kuss

genossen

und

sogar

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sekundenlang erwidert! Wann hatte sie das
letzte Mal so empfunden? Sicher, sie hatte
sich wie eine Besessene an Johnny gehängt,
aber wenn er sie küsste, hatte sie nur verz-
weifelt Leidenschaft geheuchelt, damit er sie
nicht verließ, was er letztendlich dann doch
getan hatte.

Ein leichter Wind kam auf. Kit begann zu
frösteln. Sie sollte besser zurückschwimmen,
statt

sich

mit

der

Vergangenheit

zu

beschäftigen.

Schon bald merkte sie, wie erschöpft sie war.
Einige Runden im städtischen Hallenbad
waren eben nicht vergleichbar mit dem Sch-
wimmen im Meer. Als sie schließlich das
Ufer erreichte, zitterten ihr vor Schwäche
Arme und Beine, und sie hatte Mühe zu ge-
hen. Das hinderte sie nicht daran, sich
suchend nach dem Fremden umzusehen.
Aber er war verschwunden.

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„Auch gut", murmelte sie. „Du hast heute
schon

genügend

neue

Erfahrungen

gemacht."

Trotzdem konnte sie ein Gefühl der Ent-
täuschung nicht unterdrücken. Und obwohl
sie sonst Lisa alles erzählte, hatte sie diesmal
nicht das Bedürfnis, ihrer Schwester von der
Begegnung mit dem Fremden zu berichten.

Nachdem Kit in ihrem mit allem erdenk-
lichen

Luxus

ausgestatteten

Bungalow

geduscht und sich angezogen hatte, machte
sie sich auf den Weg zu Lisa, um ihr und
Nikolai eine gute Nacht zu wünschen.

Im Bungalow der beiden brannte jedoch kein
Licht. Kit dachte schon, die beiden seien
noch beim Essen, als sie die Rattanschaukel
auf der Terrasse knarren hörte.

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„Lisa?" rief sie leise. Da niemand antwortete,
wollte sie wieder umkehren, doch dann mel-
dete sich ihre Schwester.

„Schon gut, ich bin hier, Kit." Ihre Stimme
klang müde „Komm herauf."

Vorsichtig ging Kit die enge Wendeltreppe
zur Terrasse hinauf. Oben flammte ein
Streichholz auf, und dann erschien Lisa mit
einer Petroleumlampe in der Hand.

Ein Blick in ihr Gesicht verriet Kit, dass et-
was nicht in Ordnung war. Trotz des schum-
mrigen Lampenlichts entging ihr nicht, dass
die Augen ihrer Schwester vom Weinen
geschwollen waren.

„Was ist passiert?" fragte Kit bestürzt.

„Ich fühle mich nicht ganz wohl, das ist
alles."

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Kit musterte sie besorgt. Normalerweise
strotzte Lisa nur so vor Gesundheit, doch
diese Virusgrippe vor Weihnachten hatte sie
offenbar stark geschwächt.

Lisa wich dem Blick ihrer Schwester aus und
wechselte das Thema. „Wie ist dein
Bungalow?"

„Sehr luxuriös." Kit setzte sich. „Nun sag
schon, was los ist, Lisa."

„Nichts."

„Wo ist Nikolai?"

Lisa zuckte betont gleichmütig die Schultern.
„Vermutlich sitzt er mit den anderen Ei-
erköpfen an der Bar."

„Und wieso hast du ihn nicht begleitet?" All-
mählich begann Kit, sich ernsthaft Sorgen zu
machen. „Bestimmt hat er das gewollt."

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„Wer weiß schon, was Nikolai will?" ent-
gegnete Lisa ungewohnt bitter. „Ach, vergiss
es!

Erzähl mir lieber, wie dir dein Bungalow ge-
fällt. Weißt du schon, wie der Ventilator
funktioniert?"

Kit gab es auf, weiter in ihre Schwester zu
dringen. „Klar. Und ich habe auch den Mech-
anismus der Rollos bereits durchschaut, den
Fernseher mit Tüchern verhüllt und sämt-
liche Spiegel abgehängt."

„Du und dein Spiegeltick!" Lisa Lachen klang
nicht echt.

„Nur bei dem im Bad musste ich passen",
gestand Kit mit selbstironischem Lächeln.

„Er ist festgeschraubt." Und da diesmal Lisas
Lachen schon etwas besser klang, fügte sie
trocken hinzu: „Wäre das Schrankpapier

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nicht mit Hochzeitsglocken bedruckt, könnte
ich mich hier richtig zu Hause fühlen."

Lisa brach in schallendes Gelächter aus. „Ja,
mit den Hochzeitsglocken haben sie es hier.
Auch die Prospekte sind voll davon. Und
selbst ein kleiner Bootsausflug wird als

,Flitterwochenkreuzfahrt' angepriesen."

„Ganz zu schweigen von dem Duschgel und
dem Shampoo mit der Aufschrift ,Für die
Braut'", ergänzte Kit. „Ich komme mir vor,
als wäre ich unter Vorspiegelung falscher
Tatsachen hier."

Jäh verschwand Lisas Lächeln. „Das sind wir
beide."

Ein unangenehmes Schweigen trat zwischen
den Schwestern ein. Schließlich stand Lisa
auf, ging zum Geländer und sah auf das Meer
hinaus. „Dabei wäre das hier wirklich der

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ideale Ort für Flitterwochen", sagte sie mehr
zu sich als zu Kit.

„Oder für eine Liebesaffäre", meinte diese
spontan. „Von meinem Bungalow bis zum
Hauptgebäude muss ich eine Viertelstunde
gehen. Er wäre ein ideales Liebesnest." Was
rede ich da? fragte sich Kit erschrocken.

Zum Glück schien Lisa nichts bemerkt zu
haben. Sie wandte sich um und sah Kit bet-
roffen an. „Ist es dir unangenehm, so weit ab
vom Schuss zu wohnen?"

„Aber nein, ganz im Gegenteil!" widersprach
Kit.

„Falls du dich allein gelassen fühlst, kannst
du auch hier schlafen", bot Lisa an, die an-
scheinend nicht richtig zugehört hatte.

Nun reichte es Kit endgültig. Sie hatte keine
Lust, zwischen die Fronten eines Ehekriegs

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zu geraten. „Hör zu, Lisa, ich habe gesagt,
dass ich nicht das fünfte Rad am Wagen sein
möchte. Aber genauso wenig lasse ich mich
als Puffer benutzen. Falls du und Nikolai
Probleme habt, müsst ihr selber damit fertig
werden."

„Du hast Recht", gab Lisa schuldbewusst zu.
„Tut mir Leid, dass ich versucht habe, dich
da hineinzuziehen."

„Was ist denn eigentlich mit euch beiden
los?" fragte Kit, hin- und hergerissen zwis-
chen

schwesterlicher

Zuneigung

und

Verärgerung.

Doch Lisa winkte ab und gab vor, müde zu
sein und sich schlafen legen zu wollen.

So machte sich Kit auf den Weg zurück zu
ihrem Bungalow, dem „idealen Liebesnest",
wie sie sich ausgedrückt hatte. Wie war sie
überhaupt darauf gekommen? Lag es an der

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lauen Nachtluft und den exotischen Düften,
dass sie sich ungewohnten Fantasien hingab
und sich vorstellte, wie es wäre, von dem
Fremden, mit dem sie an der Lagune ge-
sprochen hatte, begleitet zu werden?

Du meine Güte, sie hatte ja in der Dunkelheit
nicht einmal sein Gesicht richtig sehen
können. Aber sie wusste, dass er groß war,
und seine tiefe Stimme würde sie sofort
wieder erkennen. Er hatte so ruhig und kon-
trolliert geklungen. Doch was verbarg sich
wirklich dahinter? Der Gedanke ließ ihr Herz
schneller schlagen. Immerhin hatte der
Mann sie leidenschaftlich geküsst.

Das ist kein Grund, irgendwelchen Hirnges-
pinsten nachzuhängen, ermahnte sie sich.

Natürlich konnte man auf dieser paradiesis-
chen Insel leicht ins Träumen geraten, doch
sie sollte besser kühlen Kopf bewahren. Das
war nicht leicht, wenn überall Grillen zirpten

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und die Blätter der Palmen leise im Wind
rauschten.

Kit hatte keine Angst, allein hier draußen zu
sein. Sie fürchtete sich nur vor den
Menschen mit ihren Ansprüchen und
gedankenlosen Grausamkeiten. Und doch
hatte sie den Kuss des Fremden furchtlos
erwidert.

„Ich muss verrückt gewesen sein", murmelte
sie, während sie die Treppe zu ihrem Bunga-
low hinaufging.

Das Bankett zog sich endlos hin. Philip saß
neben dem Entwicklungsminister des klein-
en Inselstaates. Der Mann hatte in Michigan
studiert und gab eine lustige Geschichte
nach der anderen zum Besten.

Obwohl Philip sich bemühte, ihm zuzuhören,
musste er immer wieder an die junge Frau
denken. An ihren übermütigen Tanz im

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Wasser und ihre leicht heisere Stimme - und
wie ihre Lippen sich angefühlt hatten.

Er bemerkte, dass der Minister ihn erwar-
tungsvoll lächelnd ansah und von ihm offen-
bar Zustimmung erhoffte. Aus Erfahrung
wusste Philip, dass es gefährlich war, einfach
nur zu nicken. „Bitte entschuldigen Sie, aber
ich habe nicht ganz verstanden, was Sie
gesagt haben", sagte er mit höflichem
Bedauern.

Der Minister fühlte sich von dem freundlich
gelassenen Ton sowohl eingeschüchtert als
auch ernüchtert. Er wiederholte seinen
kleinen Scherz nicht mehr, sondern sagte
ruppig: „Ist Ihnen eigentlich klar, wie sinnlos
diese Verhandlungen sind? Ohne Rafek ist
jedes Abkommen nicht das Papier wert, auf
dem es steht."

Zur Verärgerung des Ministers nickte Philip
anerkennend, als hätte sein Tischnachbar

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einen mutigen Schachzug gewagt. „Ein
berechtigter Einwand."

„Wieso sind wir dann überhaupt noch hier?"
fragte der Minister angriffslustig. Er wurde
von

Philip

mit

einem

diplomatischen

Lächeln bedacht und gab entnervt auf.

Während des restlichen Abends erlaubte sich
Philip

keine

Gedankenabschweifungen

mehr.

Erst nachdem die einzelnen Delegationen
sich zurückgezogen hatten und er mit seinem
persönlichen Assistenten Fernando und dem
Leibwächter allein am Tisch saß, kam ihm
wieder das Mädchen in den Sinn.

„Wissen wir eigentlich, wer sich außer den
Teilnehmern unserer Friedenskonferenz mo-
mentan noch alles im Hotel aufhält?" fragte
er seinen persönlichen Assistenten.

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Fernando war stolz, für einen Mann zu
arbeiten, der nicht nur der jüngste, sondern
außerdem einer der erfolgreichsten UN-Ver-
mittler war. Deshalb beschwerte er sich auch
nicht über die unfaire Frage, öffnete den Ak-
tenkoffer und wühlte in dem Stoß von
Papieren.

„Bei unserer Ankunft habe ich dir ja eine
entsprechende Gästeliste gegeben. Es han-
delt sich um Mitglieder internationaler Hilf-
sorganisationen sowie eine Gruppe von
Naturschützern und um Journalisten. Let-
ztere fliegen jedoch morgen schon wieder ab
und kommen zurück, wenn wir einen
Friedensschluss erreicht haben."

Philip nickte. „Weißt du, zu welcher Gruppe
ein blondes Mädchen gehört? Wohl kaum zu
den Naturschützern. Schwimmt zwar wie ein
Fisch,

weiß

aber

nichts

über

Mikrokrustentiere."

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Fernando und der einheimische Leibwächter
tauschten einen Blick.

„Mädchen?" wiederholte dann der Leib-
wächter das einzige Wort, mit dem er etwas
anfangen konnte.

„Oh, ich bin ihm nur zufällig begegnet", sagte
Philip betont gleichgültig.

Er vermochte weder Fernando noch den
Leibwächter zu täuschen, wenngleich beide
verschieden reagierten. Während Fernando
eher besorgt wirkte, zeigte der Leibwächter
einen Sinn fürs Praktische. „Sie wollen eine
Frau?"

Fernando zuckte zusammen.

„Das lässt sich arrangieren", meinte der
Leibwächter, sichtlich froh, Philip einen Ge-
fallen erweisen zu können.

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Fernando hielt den Atem an.

Verdammt, wie konnte mir nur ein solcher
Schnitzer unterlaufen? dachte Philip. Leute
in seiner Position durften sich keine Gefühle
erlauben. Sexuellen Appetit ja, das war
menschlich, aber doch keine Gefühle!

Er hätte das Mädchen erst gar nicht er-
wähnen dürfen. Und auf keinen Fall durfte
er seinen Leibwächter verärgern, den ihm
das einheimische Militär zur Verfügung ges-
tellt hatte.

„Danke, aber das ist nicht nötig", lehnte
Philip liebenswürdig lächelnd ab.

Erleichtert atmete Fernando auf. „Cool",
murmelte er, nur für seinen Boss hörbar.

Dieser zwinkerte seinem Assistenten kaum
merklich zu. „Wir haben heute Abend noch
viel Arbeit zu erledigen", sagte er dann.

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„Aber zuerst möchte ich mir noch ein wenig
am Strand die Beine vertreten." Er stand auf,
der Leibwächter ebenfalls. Philip schüttelte
den Kopf.

„Allein."

Der Leibwächter hatte jedoch seine Befehle.
„Sie sollten nicht ohne Begleitung gehen.

Rafek hat überall seine Anhänger. Für ihn
wäre es ein großer Coup, Sie zu entführen."

„Aber wie sollte er das schaffen?" meinte
Philip. „Coral Cove ist eine Privatinsel."

„Jedenfalls ist so etwas hier schon passiert",
gab der sichtlich in seiner Berufsehre
gekränkte Leibwächter widerstrebend zu.

„Trotz der versteckten Überwachungskamer-
as am Strand?"

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Der Leibwächter zuckte die Schultern. „Je-
mand macht sich nachts an einer der
elektrischen Leitungen zu schaffen. In einem
Teilbereich fällt der Strom aus, und man
glaubt, eine Leitung sei defekt. Rafeks Män-
ner kommen ungesehen an Land, schnappen
sich, wen sie wollen, und verschwinden
wieder. Sie sind exzellente Ruderer und
schalten die Bordmotoren erst ein, wenn sie
draußen auf dem offenen Meer sind. Im
Hotel

bemerkt

man

die

Entführung

frühestens am nächsten Morgen, wenn der
Entführte nicht zum Frühstück erscheint."

Er sah, wie Philip die Stirn runzelte, und
fühlte sich bemüßigt hinzuzufügen: „Solange
Sie sich in der Nähe des Hauptgebäudes auf-
halten, sind Sie sicher. Außerdem bleibe ich
immer in Rufweite."

Na

wunderbar,

dachte

Philip

zäh-

neknirschend. Er durfte sich nicht nach dem
Mädchen erkundigen. Und falls ' er ihr

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glücklicherweise rein zufällig begegnete,
konnte er sie nicht einmal zu einem Spazier-
gang einladen - es sei denn unter Be-
wachung. Unter diesen Umständen war es
wohl besser, sie zu vergessen.

In ihrer ersten Nacht auf der Insel schreckte
Kit immer wieder aus dem Schlaf hoch und
wälzte sich unruhig im Bett hin und her.

Als sie im Morgengrauen nochmals einsch-
lief, träumte sie, dass ein Meeresgott zu ihr
an den Strand kam und sie davontrug. Sie
leistete keinen Widerstand, genoss es sogar,
in seinen starken Armen zu liegen. Er ließ sie
ins Wasser gleiten, und lachend tanzte sie
mit ihm in den Wellen.

Doch dann verfingen sich ihre Füße in etwas.
Sie konnte sich davon nicht befreien. Der
Meeresgott schwamm vor ihr und bemerkte
nicht, dass sie ihm nicht mehr zu folgen

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vermochte. Immer weiter entfernte er sich
von ihr.

„Bleib bei mir", rief sie ihm nach, und da er
sie nicht zu hören schien, rief sie noch lauter:

„Verlass mich nicht!"

Jäh erwachte Kit und setzte sich schwer at-
mend auf. Hatte sie tatsächlich jene Worte
ausgesprochen, die sie nach dem Fiasko mit
Johnny nie mehr, ja nicht einmal im Traum,
hatte in den Mund nehmen wollen?

Als sie aufstehen wollte, bemerkte sie, dass
sich ihre Beine im Laken verfangen hatten.

„Das ist wieder mal typisch für mich", mur-
melte sie. „Es beginnt als Tragödie und endet
im Lächerlichen."

Immerhin fand sie den Traum nun schon
weniger beunruhigend. Sie befreite ihre

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Beine aus dem Laken und stand auf. Nach-
dem sie geduscht und sich angezogen hatte,
rief sie Lisa an.

Ihr Schwager nahm ab. „Guten Morgen, Kit.
Tut mir Leid, dass ich gestern keine Zeit für
dich hatte."

„Schon gut. Lisa hat mir erzählt, wie
beschäftigt du bist."

„Hat sie das?" Seine Stimme klang ironisch.
„Hast du Lust, jetzt mit uns zu frühstücken?

Oder möchtest du lieber erst schwimmen?"

Kit blickte zum Meer, das keine fünfzig
Meter von ihr entfernt silbern in der Mor-
gensonne glänzte. Es sah sehr einladend aus,
wären da nicht gleichzeitig schon einige
Leute am Strand unterwegs gewesen. Kit
konnte sich nicht überwinden, im Badeanzug
an ihnen vorbei zum Meer zu gehen. Sie

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wagte ja nicht einmal, sich selbst im Spiegel
zu betrachten.

Zugegeben, der Fremde hatte sie gestern
Abend auch im Badeanzug gesehen, aber da
war es dunkel gewesen.

„Nein, ich werde später schwimmen. Erst
komme ich zu euch."

„Prima. Dann bestelle ich für uns drei schon
mal das Frühstück."

Als Kit jedoch wenig später bei dem jungen
Paar ankam, schien ihr gastfreundlicher Sch-
wager es sich anders überlegt zu haben. An
seiner finsteren Miene und Lisas verbis-
senem Gesichtsausdruck konnte sie un-
schwer erkennen, dass sie mitten in einen
Ehekrach geraten war.

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„Hi, Kit", begrüßte Nikolai sie kurz ange-
bunden. „Bis später, Lisa. Heute ist der letzte
Konferenztag, das verspreche ich dir."

Lisa, die einen Sarong trug, zuckte betont
gleichgültig die nackten Schultern. „Mach,
was du willst. Mir ist es egal." Sie wandte
sich ostentativ ihrer Schwester zu und bat sie
mit einer einladenden Handbewegung, ihr
gegenüber an dem auf der Terrasse gedeck-
ten Frühstückstisch Platz zu nehmen. „Ein
Glas Mangosaft?"

Am liebsten wäre Kit wieder gegangen. Sie
nickte hilflos.

Nikolai zögerte und beugte sich dann über
seine Frau, um sie zu küssen. Sie drehte je-
doch den Kopf weg, so dass seine Lippen nur
ihre Wange streiften. Es war nicht zu überse-
hen, dass Nikolai sich nur mühsam be-
herrschte. „Bis heute Abend", sagte er ruhig.

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Lisa antwortete nicht, sondern blickte starr
auf das Meer, als ihr Mann die Terrasse ver-
ließ. Sobald er jedoch weg war, lehnte sie
sich in ihrem Stuhl zurück und schloss die
Augen.

„Damit vertröstet er mich jeden Morgen",
sagte sie müde. „Und wenn er abends
zurückkommt, sagt er: ,Nur noch ein Tag,
Lisa'."

Kit

fühlte

sich

unbehaglich.

Zwar

schüchterte ihr beeindruckender Schwager
sie stets ein, aber trotzdem mochte sie ihn.
„Nun ja, Schutz der Natur ist ja auch sehr
wichtig."

Lisa lachte bitter auf. „Wichtiger als seine
Frau?" Als sie nun wieder die Augen öffnete,
glänzten in ihnen Tränen. „Ich weiß, dieses
Land befindet sich in einer ökologischen
Krise", fuhr sie fort, da Kit sich wohlweislich
einer Antwort enthielt. „Und wenn er glaubt,

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etwas dagegen tun zu können, soll er es
natürlich versuchen, aber ..."

„Du musst mit ihm reden, Lisa", meinte Kit.
„Es hilft nichts, wenn du schmollst."

„Ich und schmollen?" Lisa war so empört,
dass ihre Tränen unwillkürlich versiegten.

„Das sagst ausgerechnet du mir, die bei
meiner Geburtstagsfeier nicht den Mund
aufgemacht hat?"

„Du bist unfair!" protestierte Kit.

„Mag sein, aber das warst du auch, als wir
Nikolais Familie in Frankreich besucht
haben.

Alle bemühten sich, dir den Aufenthalt so
angenehm wie möglich zu gestalten, doch du
wolltest weder reiten noch schwimmen noch

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am Erntedankfest teilnehmen. Wie würdest
du das nennen?"

Irritiert zuckte Kit die Schultern. „Sie führen
ein so ... so ein herrschaftliches Leben und
haben alle einen Adelstitel."

Lisa seufzte. „Ich bin ebenfalls eine Gräfin,
trotzdem redest du mit mir. Warum dann
nicht auch mit Nikolais Mutter und
Großmutter? Wenn hier jemand ein Snob ist,
dann du, Kit."

„Nein, das stimmt nicht. Ich habe mich in
dem Chateau der Ivanovs einfach deplaziert
gefühlt."

„Oh, dann gibst du es also zu?"

„Ich gebe gar nichts zu!" widersprach Kit
hitzig.

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Die beiden Schwester blickten sich kamp-
flustig an, bis Kit schließlich widerwillig ein-
räumte: „Na schön, vielleicht war ich ein
wenig bockig. Aber wir reden hier von dir. Es
war kindisch, den Kopf wegzudrehen, als
Nikolai dir einen Abschiedskuss geben
wollte."

„Wieso glaubst ausgerechnet du zu wissen,
was ich tun soll?" fragte Lisa gereizt.

Weil ich Johnny ebenfalls immer aus-
gewichen bin, wenn er mit mir reden wollte,
dachte Kit, doch da ihre Schwester von der
Episode mit Johnny keine Ahnung hatte,
sagte sie nur: „Was ist nun mit dem
Mangosaft?"

„Oh, entschuldige." Lisa schenkte zwei
Gläser voll und lehnte sich dann wieder in
ihrem Stuhl zurück. „An allem ist nur dieses
blöde Hotel schuld!"

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„Aber es ist doch wunderschön hier!"
protestierte Kit.

„Zu schön!" Lisa verzog den Mund. „Die gan-
ze Aufmachung ist für glückliche Flitter-
wöchner bestimmt. Umso schlimmer, wenn
man es nicht ist!"

„O Lisa, was ist passiert?" fragte Kit bestürzt,
und in ihren grünen Augen war tiefes Mitge-
fühl zu lesen.

„Fang bloß nicht an, mich zu bemitleiden!
Sag mir lieber, dass ich mich glücklich
schätzen darf, hier zu sein. Verdammt noch
mal, ich möchte nicht heulen!"

„Gut", sagte Kit gehorsam. „Die Sonne
scheint, und vor uns liegt ein herrlicher Tag.
Sieh dir doch nur diese herrlichen Bougain-
villeenbüsche an. Man ist ja richtig geblendet
von ihrer Farbenpracht." Sie wandte das
Gesicht der Lagune zu. Eine leichte Brise

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strich ihr übers blonde Haar, und sie rekelte
sich genießerisch. „Und diese Nächte. Noch
nie habe ich so viele Sterne gesehen wie
gestern Abend."

Lisa zeigte grimmig die weißen Zähne und
sah einem Terrier nicht unähnlich. „Erzähl
mir nichts über Sterne!"

„Wieso, was hast du auf einmal gegen die?"

„Nichts. Es macht mir nur keinen Spaß, sie
allein zu betrachten."

„Aber Nikolai hat doch gesagt, dass heute der
letzte Konferenztag ist", versuchte Kit ihre
Schwester zu trösten.

„Das verspricht er seit Tagen. Das Personal
nennt

mich

bereits

,die

Braut

im

Orchideenbungalow'."

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Kit lachte. „Ich weiß, weshalb. Einer der
Gärtner hat mir gestern erzählt, dass es vor
Ausbruch der Krise kein luxuriöseres Hotel
für eine Hochzeit und Flitterwochen in den
Tropen gab. Jetzt aber laufen hier nur noch
Männer in grauen Anzügen herum, und
jedes Mal, wenn eine Frau auftaucht, hofft
das Personal, dass nun die alten Zeiten
wiederkommen."

„Daran habe ich gar nicht gedacht. Das Per-
sonal kann einem ja wirklich Leid tun."

„Allerdings. Neuerdings darf während des
Dinners keine Musik mehr gespielt werden,
weil die Männer offenbar auch noch beim
Essen miteinander verhandeln. Und zurzeit
soll sich hier ein berühmter Friedensvermit-
tler aufhalten, der selbst die Bauchtänzerin
keines Blickes gewürdigt hat."

Lisa brach in schallendes Gelächter aus,
doch jäh verfinsterte sich ihre Miene wieder.

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„Wahrscheinlich auch keiner von den
Naturschützern. Was glaubst du, wie lange
es her ist, dass Nikolai mit mir geschlafen
hat?"

Verlegen griff Kit nach ihrem Glas und trank
einige Schlucke Mangosaft. Sie war wirklich
die Letzte, die Lisa in einer so intimen
Angelegenheit einen Kat geben konnte.

Doch Lisa schien das vergessen zu haben. Sie
stand auf und sah mit starrem Blick auf die
Lagune hinunter. "Er will mich nicht mehr,
Kit", sagte sie leise.

Kits bisherige sexuelle Erfahrungen waren
alles andere als berauschend gewesen. Und
doch konnte sie nachempfinden, wie Ihrer
Schwester zu Mute war. Sie stand auf und
legte ihr liebevoll einen Arm um die
Schultern.

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Lisa versteifte sich, ließ dann aber den Kopf
an Kits Schulter sinken. „Ich hätte nie ge-
glaubt, dass mir so etwas jemals passieren
könnte. Ich dachte immer, ich würde mit al-
lem fertig, verstehst du?"

„Das wirst du auch", sagte Kit überzeugt.

Lisa hob den Kopf. „Diesmal nicht."

Ihre Stimme klang so verzweifelt, dass Kit
einfach drauflosredete. „Es heißt, sexuelle
Anziehung hat etwas mit Chemie und nichts
mit Liebe zu tun. Ich kann das bestätigen.

Gestern Abend habe ich beim Schwimmen
einen Mann kennen gelernt, mit dem ich nur
einige Worte gewechselt habe. Aber die
Chemie zwischen uns hat gestimmt."

Lisa schwieg, was höchst ungewöhnlich war.
Normalerweise wäre sie hoch entzückt

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gewesen, dass ihre Schwester endlich einmal
an einem Mann Interesse zeigte.

„Es war ein wenig beängstigend", fuhr Kit
fort, um ihre Schwester zu einer Reaktion zu
zwingen. „Ich hatte ganz vergessen, wie stark
eine solche sexuelle Anziehungskraft sein
kann."

„So?" meinte Lisa nur.

„Es beweist, dass eine Beziehung viel mehr
ist als nur Sex. Du weißt ja, ich bin Miss Eis-
berg persönlich, und doch fühlte ich mich
von diesem Kerl angezogen. Dabei kenne ich
nicht einmal seinen Namen. Verstehst du,
was ich sagen will?"

Schweigend zuckte Lisa die Schultern.

„Es funktioniert auch umgekehrt", versuchte
Kit verzweifelt zu erklären. „Ich meine, ihr

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liebt euch doch. Da kann es doch nicht so
schwer sein, euch wieder zu versöhnen."

„Netter Versuch, Kit. Leider vergeblich."

„Aber warum denn?"

„Weil Nikolai und ich schon lange kein
richtiges Gespräch mehr geführt haben. Wie
soll man sich da versöhnen?"

Kit gab auf. Was hätte sie auch noch sagen
sollen?

An diesem Morgen jagte Philip seinen Leib-
wächter um die halbe Insel.

„Ich habe gestern zu viel Zeit im Konferenz-
saal verbracht", erklärte er. „Meine Lungen
benötigen dringend frische Luft."

Das stimmte zwar, aber vor allem hoffte er
trotz aller guten Vorsätze, dass ihm das Mäd-
chen über den Weg laufen würde. Leider

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hatte er kein Glück. Wahrscheinlich war es ja
so auch besser. Was hätte er mit ihr schon
sprechen können, wenn ihm sein Leib-
wächter nicht von der Seite wich?

Wenig später saß er wieder im Konferenzsaal
und verbannte jeden weiteren Gedanken an
die Unbekannte. Er ertappte sich jedoch
dabei, dass er bei jeder Kaffeepause zu einer
der offenen Türen schlenderte und den Blick
wie zufällig über den Strand schweifen ließ.

Und dann sah er sie! Sie lief eine in das Kliff
gehauene steile Treppe hinunter, die zum
Strand führte. An diesem Morgen trug sie
abgeschnittene Jeans und ein T-Shirt, und
das lange Haar klebte ihr nicht mehr nass
am Kopf, sondern glänzte golden in der
Sonne.

Während er beobachtete, wie sie leichtfüßig
von Stufe zu Stufe hüpfte, fragte er sich, we-
shalb er nicht im Geringsten daran zweifelte,

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dass es sich bei ihr um die Unbekannte von
gestern handelte? Normalerweise versuchte
er immer, alles genau zu ergründen, doch in
diesem Fall war es reine Intuition. Er spürte
einfach, dass sie es war, seine Nixe vom ver-
gangenen Abend.

Wer aber war die schöne Unbekannte?

Sicher gehörte sie nicht zu einem der Delega-
tionsteilnehmer, alles Männer mittleren Al-
ters. So wie ich, dachte er und fühlte sich mit
seinen fünfunddreißig Jahren auf einmal ur-
alt, während dieses blonde Mädchen die
pure

Verkörperung

von

Jugend

und

Lebenslust war. Es erinnerte ihn an ein
Gemälde in Ashbarrow, auf dem ein über
eine Frühlingswiese galoppierendes Einhorn
abgebildet war. Seine seidige Mähne wehte
im Wind wie das schimmernde blonde Haar
des Mädchens.

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Wie lange war er schon nicht mehr in Ash-
barrow gewesen? Vier Monate? Fünf? Das
Mädchen würde perfekt ins Königinnenzim-
mer passen, dachte er und stellte es sich auf
der golddurchwirkten Decke des von grünen
Samtvorhängen umgebenen Himmelbettes
vor.

Er

spürte,

wie

sein

Puls

sich

beschleunigte, und rief sich zur Ordnung.
Einen Moment lang sah er nur noch das in
der Sonne glitzernde blonde Haar des Mäd-
chens und die blaugrün schimmernde
Lagune.

Als er sich umwandte, um sich bei dem Kaf-
fee nachschenkenden Kellner zu erkundigen,
wer diese Frau sei, schien sich plötzlich ein
schwarzer Vorhang über sein linkes Auge zu
senken. Philip hielt mitten in der Bewegung
inne und stellte dann vorsichtig seine Tasse
ab.

Zum Glück schien niemand etwas bemerkt
zu haben. Genauso wenig wie beim letzten

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und vorletzten Mal, als ihm dasselbe passiert
war. Zwar dauerte die Sehstörung immer nur
wenige Minuten, aber wenn bekannt würde,
dass er ein Problem mit seinem linken Auge
hatte, könnte das womöglich Zweifel wecken,
ob er noch in der Lage sei, die Friedenskon-
ferenz zu leiten.

Statt dich von jungen Blondinen ablenken zu
lassen, solltest du dich besser auf deinen Job
konzentrieren, ermahnte er sich. Schließlich
hofften Tausende hilfloser Menschen, dass
es ihm gelingen würde, ein für alle Parteien
annehmbares Ergebnis und damit einen
dauerhaften Frieden zu erzielen. Also keine
Fantasien mehr über Blondinen im Himmel-
bett und Einhörner auf einer Frühlingswiese.

Die Sehstörung auf dem linken Auge war
mittlerweile wieder verschwunden, und so
beendete Philip die Pause und kehrte pflicht-
bewusst zum Verhandlungstisch zurück.

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Kit lief den Strand entlang, ohne auch nur
einem Menschen zu begegnen. Eine leichte
Meeresbrise strich ihr prickelnd über die
Haut, und sie fühlte sich so gut wie noch nie
in ihrem Leben.

Nur schade, dass Lisa nicht mit ihr an diesen
einsamen Strand hatte mitkommen wollen.

Ihre Schwester hatte erklärt, sie fühle sich
nicht wohl, und Kit hatte sich damit zu-
frieden gegeben. Sie genoss diesen wun-
derbaren Vormittag in vollen Zügen, fühlte
sich frei und ungebunden und mutig.

Sie blieb stehen und blickte sich um. Außer
einigen träge über ihr kreisenden Möwen
war niemand zu sehen. Was würde sie tun,
wenn der Fremde vom vergangenen Abend
ihr hierher an diesen einsamen Strand gefol-
gt wäre? Bei dem Gedanken überlief sie ein
Schauer, der nichts mit Angst zu tun hatte.

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Vorsicht! ermahnte sie sich und vergrub die
Zehen im warmen Sand. Schon einmal hatte
sie geglaubt, alles überwunden zu haben. Sie
war aufs College gegangen, hatte Freunde
gehabt und Pläne für ihr weiteres Leben.
Doch dann hatte sie Johnny kennen gelernt.
Aus heutiger Sicht wusste sie, dass sie ihn
nicht geliebt hatte. Sie war nur plötzlich
wieder von dieser Angst besessen gewesen,
nicht gut genug für ihn zu sein und auch für
keinen anderen Mann.

Sie war in schwere Depressionen verfallen
und hatte ihr Studium aufgeben müssen.
Nur Lisas energischem Eingreifen verdankte
sie es, dass sie sich wieder erholt hatte. Lisa
hatte den richtige Therapeuten für sie gefun-
den. Er hatte Kit geholfen, die schwere Krise
zu überwinden.

Mittlerweile wusste sie, wo für sie Gefahren
lauerten und wie sie sich davor schützte.

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Spiegel mied sie, weil sie sich ihrem Körper
nicht gewachsen fühlte. Und genauso erging
es ihr mit Männern.

So gesehen, war es besser, dass ihr der Frem-
de gestern Abend nicht gefolgt war. Sie hatte
auf seinen Kuss so leidenschaftlich wie noch
bei keinem anderen Mann reagiert. Ja, für
einen Augenblick hatte sie sich sogar als nor-
male Frau gefühlt, fähig, zu lieben und
geliebt zu werden. Doch dann hatte sie sich
plötzlich vor ihrer eigenen Courage ge-
fürchtet und war zurück ins Wasser
geflüchtet.

Aber dieses wundervolle Gefühl ist noch im-
mer da, dachte Kit. Trotz aller Zweifel und
Ängste spürte sie es auch jetzt noch.
Zugegeben, es war unfair Lisa gegenüber, die
sich so niedergeschlagen fühlte, aber Kit
konnte nicht anders, als im Sand her-
umzuhüpfen und zu tanzen.

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„Er hat mich gewollt", sang sie übermütig.
„Er hat mich wirklich gewollt."

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3. KAPITEL

Den ganzen Tag schwebte Kit wie auf
Wolken. Natürlich war es verrückt, sich wie
eine Königin zu fühlen, nur weil ein Fremder
sie im Mondschein geküsst hatte. Schließlich
hatte er sie in der Dunkelheit ja nicht einmal
richtig sehen können. Aber er hat mich ge-
wollt, sagte sie sich immer wieder und
machte vor Freude einen Purzelbaum nach
dem anderen im Meer.

Am späten Vormittag, als die Sonne zu stark
wurde und Kit deshalb nicht mehr schwim-
men oder auch nur im Schatten am Strand
liegen konnte, holte Kit den in ihrem Bunga-
low liegenden Inselplan, auf dem ver-
schiedene Wanderpfade durch den Regen-
wald eingezeichnet waren. Sie versuchte Lisa
zu überreden, mit ihr mitzukommen, doch
ihre Schwester zog es vor, auf der Terrasse

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unter dem Sonnensegel zu faulenzen. Kit
machte sich also allein an die Erkundung der
Insel.

Die folgenden Tage verliefen ähnlich. Mor-
gens frühstückte sie mit ihrer Schwester,
wobei Nikolai ihr gewöhnlich auf der Treppe
zum Bungalow begegnete. Nach dem Früh-
stück schwamm sie, manchmal auch gemein-
sam mit Lisa. Sobald die Sonne dann zu
stark wurde, setzte Kit die Erforschung des
Regenwaldes fort, und Lisa verzog sich auf
ihren

„Adlerhorst", wie sie die in luftiger Höhe lie-
gende Terrasse nannte.

Auf ihren einsamen Wanderungen begegnete
Kit gelegentlich jemandem vom Hotelper-
sonal, jedoch nie einem Gast. Sie versuchte
sich einzureden, dass sie nicht enttäuscht
sei, aber insgeheim hatte sie doch gehofft,

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den großen Fremden noch einmal zu treffen.
Würde sie ihn überhaupt wieder erkennen?

„Es sieht nicht schlecht aus", sagte Philip, als
sich der Konferenzsaal an diesem Abend
leerte. „Wir sind uns über den Inhalt des
Friedensvertrages im Wesentlichen einig.
Nun müssen wir nur noch die Rebellenführ-
er dazu bringen, miteinander zu reden, statt
sich gegenseitig umzubringen."

„Vielleicht gelingt es Ihnen ja", meinte sein
Gesprächspartner, ein französischer Diplo-
mat, der mit den politischen Verhältnissen
des Inselstaates bestens vertraut und ents-
prechend skeptisch war. „Jedenfalls habe ich
Gantalan noch nie so kooperationsbereit
erlebt."

Philip lächelte. „Das liegt weniger an mir als
daran, dass sein Erzrivale noch am Verhand-
lungstisch fehlt. Sobald Rafek hier auftaucht,

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wird

es

zwischen

beiden

zu

einem

Kräftemessen kommen."

„Bisher hat Rafek noch nie persönlich an ein-
er Konferenz teilgenommen. Glauben Sie
wirklich, dass er kommt?"

„Lassen wir uns überraschen", meinte Philip.
Niemand hier wusste etwas von seinem ge-
heimen Treffen mit dem Rebellenführer.
Philips

anstrengender

Ausflug

in

den

Dschungel war von den Medien als erhol-
same

Fotosafari

bezeichnet

worden,

während der er frische Kräfte für die bevor-
stehenden Friedensverhandlungen geschöpft
habe.

Er griff nach einem Stapel Papier und reichte
ihn seinem Assistenten. „Steck das alles bitte
in den Reißwolf, Fernando. Und sammle
auch sämtliche Notizen der Dolmetscher ein
und vernichte sie."

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Der Franzose zog die Brauen hoch. „Sie sind
sehr gründlich."

„So kann man es auch ausdrücken." Philip
lächelte ironisch. „Manche haben mich auch
schon

einen

verdammten

Bürokraten

genannt."

„Sind wir das nicht alle?" meinte der Fran-
zose trocken. „Jedenfalls haben Sie die Dinge
heute flott vorangetrieben."

„Man muss den Leuten von vornherein klar-
machen, dass man bereit ist, bis in den Mor-
gen hinein zu verhandeln, wenn sie sich über
einen Punkt nicht einigen können." Philip
steckte seinen Füller in die Innentasche des
Jacketts. „Sobald sie anfangen, hungrig zu
werden,

werden

sie

auch

kompromissbereiter."

„Und was tun Sie, wenn die Verhandlungen
ins Stocken geraten?"

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„Dann führe ich die Konferenz trotzdem
weiter", erwiderte Philip kühl.

„Auch über Monate?"

„So lange wird es nicht dauern. Die Führer
müssen ihre Anhänger unter Kontrolle
halten.

Außerdem wollen sie zurück zu ihren
Frauen."

„Sie etwa nicht?" fragte der Franzose neu-
gierig. Er hatte allerhand Gerüchte über
Philip Hardesty gehört. Es hieß, er habe
keine menschlichen Gefühle, sei von seiner
Arbeit besessen und ein Verhandlungsgenie.
Besaß der Mann überhaupt so etwas wie ein
Privatleben?

„Keine Frau, keine Anhänger", antwortete
Philip betont locker. Wieso erkundigte man
sich hier ständig nach seinem Privatleben?

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„Ich bin dafür bekannt, dass ich bei Konfer-
enzen nicht unter Zeitdruck stehe."

Der Franzose fragte sich, wie man so leben
konnte. „Das ist sicher ein nicht zu unter-
schätzender Vorteil."

„Stimmt", versicherte Philip lächelnd.

Zu seiner Verwunderung ertappte sich der
Franzose dabei, dass er das Lächeln
erwiderte.

„Kommen Sie, lassen Sie uns noch etwas
zusammen trinken", schlug Philip vor. „Und
dann sagen Sie mir ganz ehrlich, was Sie
wirklich von der heutigen Verhandlung hal-
ten und auf welche Fallen wir uns morgen
gefasst machen müssen."

„Danke, ich komme gern mit", antwortete
der französische Diplomat. Irgendwie fand

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der diesen Mann trotz allem äußerst
sympathisch.

„Du kommst doch auch mit, Fernando,
oder?" wandte Philip sich an seinen
Assistenten.

„Ich schlage vor, wir setzen uns an die
Strandbar. Dort sind wir vor der Bauchtän-
zerin sicher."

Fernando und der Franzose sahen sich an
und seufzten. Sie hatten absolut nichts gegen
die überaus hübsche und aus Ägypten stam-
mende Bauchtänzerin, die ihre Kunst perfekt
beherrschte. Aber Philip war der Boss, und
so folgten sie ihm.

Die von altmodischen Lampions beleuchtete
Strandbar bot abends ein sehr malerisches
Bild. Die einzelnen Tische standen in vonein-
ander

durch

Hecken

und

hohe

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Kübelpflanzen abgegrenzten Lauben, was
den Gästen ein Höchstmaß an Privatsphäre
bot.

Lisa ging an der steinernen Figur des Affen-
gottes vorbei, der den Eingang bewachte.

„Überall wird man daran erinnert, dass das
Hotel für Liebespaare gebaut wurde", stellte
sie nicht ohne Bitterkeit fest und sank auf
das üppig mit weichen Kissen ausgestattete
Rattansofa. Es stand unter einem ein-
getopften Orangenbaum, der einen zarten
Duft verbreitete.

Wirklich ein idealer Platz für Verliebte,
dachte auch Kit, die sich ebenfalls reichlich
fehl am Platz fühlte. Vor einer halben Stunde
hatte Nikolai seine Frau angerufen und ihr
vorgeschlagen, sich hier mit ihm zu treffen.

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„Ich glaube, ich sollte lieber gehen", sagte Kit
unsicher. „Bestimmt möchte er mit dir allein
sein."

„Wer weiß, wie lange er mich warten lässt
oder ob er überhaupt kommt", tat Lisa ihren
Einwand ab. „Falls er gerade in eine
spannende Diskussion über gefährdete Af-
fenarten verwickelt ist, vergisst er mich mit
Sicherheit."

Was sollte Kit darauf antworten? So hübsch
und sexy, wie Lisa in ihrem schulterfreien
Kleid aussah, konnte man sich schwer vor-
stellen, dass ihr Mann die Verabredung ver-
gessen könnte. „Sobald er da ist, ver-
schwinde ich."

„Na gut", seufzte Lisa. „Ich möchte auf kein-
en Fall, dass du meinetwegen auf dein täg-
liches Bad im Mondschein verzichtest."

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„Woher weißt du, dass ich jeden Abend
schwimme?" fragte Kit misstrauisch.

Lisa lachte. „Die Kellner sind darüber
entzückt. Es entspricht ihrem Sinn für Ro-
mantik,

dass

Bräute

im

Mondschein

schwimmen."

„Bräute!"

„Vermutlich ist das Personal speziell dafür
ausgebildet, Verliebte zu verwöhnen. Gut
möglich, dass dienstbare Geister heimlich
Rosenblüten auf das Bett streuen, während
Er und Sie nachts im Meer schwimmen."

Kit fand diese Vorstellung unerwartet erot-
isch, wollte sich jedoch nichts anmerken
lassen.

„Bisher hat man mich damit glücklicher-
weise verschont."

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„Ich weiß nicht", sagte Lisa verträumt und
sah plötzlich viel jünger aus, als es für die
Leiterin einer erfolgreichen Investmentfirma
zulässig war. „Rosenblüten auf dem Bett
können doch ganz hübsch sein."

„Nur zu, sprich es aus", sagte Kit und fügte,
ihre Schwester imitierend, hinzu: „Mit dem
richtigen Mann!"

Lisa schüttelte den Kopf. „Das wollte ich
nicht sagen."

„Sondern?"

„Falls der richtige Mann es auch will", sagte
Lisa schlicht und wirkte auf einmal sehr
traurig.

„O Lisa..."

Ihre Schwester winkte ab. „Fang jetzt nicht
an, mich zu bemitleiden! Versuch lieber,

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einen Kellner an unseren Tisch zu bekom-
men. Mir ist jetzt nach einem Cocktail."

Kit stand auf und blickte zur Bar. „Ich gehe
..."

Ehe sie den Satz zu Ende sprechen konnte,
erschien wie aus dem Nichts ein Kellner am
Eingang ihrer lauschigen Laube.

„Bringen Sie uns bitte zwei Ihrer farben-
prächtigsten Cocktails", bestellte Lisa in
schnoddrig-fröhlichem Ton. Sie hatte sich
wieder gefangen und bedachte den Mann mit
einem strahlenden Lächeln.

Ich wünschte, ich wäre wie sie und könnte
meine Gefühle ebenso gut verbergen, dachte
Kit. Dann würde sie sich anderen gegenüber
nicht immer so nackt und verletzlich fühlen.

Sichtlich beflügelt von Lisas Lächeln, eilte
der Kellner davon und kehrte nach wenigen

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Minuten mit zwei Cocktails in den Händen
zurück. In dem hohen Glas befand sich eine
Flüssigkeit, deren Farbskala von unten Rot
bis zu Orange am oberen Glasrand reichte,
während das kleinere Glas eine sprudelnde
türkisfarbene Flüssigkeit enthielt.

„Sieht aus wie Tequila Sunrise", sagte Lisa
und griff nach dem Drink in dem hohen
Glas.

„Kein Tequila Sunrise", erklärte der Kellner.
„Es ist Zuckerrohrschnaps, gemischt mit
lokalen Fruchtsäften, hauptsächlich Guave."

Misstrauisch beäugte Kit den anderen Drink.
„Und woraus besteht dieses giftig grüne
Zeug?"

„Das ist Champagner mit pulverisierten
Orchideenblüten", erklärte der Kellner ernst,
doch seine Augen funkelten amüsiert. „Gut
für die Liebe."

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Lisa lachte schallend, und der Kellner zog
sich lächelnd zurück.

„Das hat er doch wohl nicht ernst gemeint?"
fragte Kit ungnädig.

„Ich denke schon." Lisa lachte noch immer.
„Vergiss nicht, dieses Hotel war bis vor kur-
zem ein Paradies für Flitterwöchner."

Kit sah ihre Schwester ungläubig an. „Heißt
das, du hast mir gerade ein Aphrodisiakum
gekauft?"

„Genau genommen spendiert Nikolai dir den
Drink. Heute Abend geht alles auf seine
Rechnung."

„Auch das noch."

Lisa gab keine Antwort. Sie studierte den
vom Kellner mit den Drinks gebrachten
Prospekt.

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„Sie haben hier sogar eine Karte mit
Vorschlägen für Spaziergänge im Mond-
schein. Genau das, was nervöse Hochzeits-
reisende sich wünschen."

„Heutzutage sind Flitterwöchner nicht mehr
nervös", widersprach Kit.

„O doch." Ihre Schwester lächelte weise. „Du
glaubst nicht, wie aufgeregt ich damals war."

„Wirklich?" fragte Kit ungläubig. Es fiel ihr
schwer, sich Lisa, die schon als Kind großes
Durchsetzungsvermögen

bewiesen

hatte,

nervös vorzustellen.

„Aber ja. Jedes Mal, wenn Nikolai mich al-
lein gelassen hat, bin ich in Panik verfallen."

Kit verzog das Gesicht. „Ein Grund mehr,
nicht zu heiraten."

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„Mit der Zeit wird man ruhiger", sagte Lisa
trocken. „Und es gibt ja auch gewisse ...

Entschädigungen."

„Ich werde dich beim Wort nehmen."

Lisa seufzte nur, und Kit machte sich darauf
gefasst, dass sie sich wieder Klagen über ihr,
Kits, nicht vorhandenes Liebesleben würde
anhören müssen, doch Lisa war mit ihren
Gedanken ganz woanders.

„Ich brauchte Nikolai nur anzusehen ..."
Lisas Stimme klang wehmütig.

Kit konnte es nicht ertragen, ihre Schwester
so traurig zu sehen. Sie trank einen großen
Schluck ihres türkisfarbenen Cocktails. „Du
trägst die Verantwortung, wenn ich mich auf
einen der männlichen Gäste stürze", scherzte
sie.

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Das schien Lisa wieder aufzuheitern. Sie
lachte. „Sehr groß ist die Auswahl nicht.
Alles dickliche Männer mittleren Alters in
grauen Anzügen."

„Nicht alle!" widersprach Kit, ohne zu
überlegen.

„Abgesehen von Nikolai..." Lisa verstummte
mitten im Satz.

Jäh entsann sich Kit, dass sie ihrer Schwest-
er von dem Mann an der Lagune erzählt
hatte.

Vor Schreck trank sie gleich noch einmal et-
was Cocktail. „Das Zeug schmeckt wie
Shampoo."

Doch Lisa hatte ihr gar nicht zugehört, son-
dern blickte wie gebannt über die Hecke.

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„Nikolai", sagte sie leise. „Er ist tatsächlich
gekommen."

Der große dunkelhaarige Mann stand an der
Bar und ließ den Blick umherschweifen.
Dann machte er sich auf die Suche nach
seiner Frau und ging von Laube zu Laube.

Höchste Zeit, zu verschwinden, sagte sich
Kit, die ihn bei seiner methodischen Suche
beobachtete. Sie stand auf und griff nach ihr-
em Glas. „Der Barkeeper muss einen Fehler
gemacht haben. Niemand trinkt gern Sham-
poo. Ich werde den Drink zurückbringen."

Lisa, deren Aufmerksamkeit ausschließlich
ihrem Mann galt, antwortete zerstreut:
„Gut."

Vermutlich hätte sie das auch gesagt, wenn
Kit ihr mitgeteilt hätte, dass sie schnell mal
zum Mond fliegen wolle.

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Unbemerkt von ihrer Schwester, verließ Kit
die Laube.

Seit vier Tagen hatte Philip sich bemüht, das
Mädchen

aus

seinen

Gedanken

zu

verbannen.

Doch als er sie nun sah, wurde ihm klar, dass
er die ganze Zeit unbewusst nach ihr
Ausschau gehalten hatte.

Sie kam mit einem Glas in der Hand aus ein-
er der Lauben und bewegte sich an Land
ebenso anmutig und kraftvoll wie im Wasser.
Sie machte einen völlig unbefangenen
Eindruck. Offenbar hatte sie nicht bemerkt,
dass sie beobachtet wurde - nicht nur von
ihm.

Auch die anderen beiden Männer an seinem
Tisch

blickten

der

großen,

schlanken

Blondine bewundernd nach.

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Philip ertappte sich dabei, dass er einen An-
flug von Eifersucht verspürte. Schließlich
war er es gewesen, der mit ihr gesprochen
und sie zum Lachen gebracht hatte.

Und er hatte sie geküsst.

Unvermittelt stand er auf. „Entschuldigen
Sie mich bitte. Ich sehe gerade eine Freundin
kommen." Er ging, ohne die Antwort der
beiden abzuwarten.

„Er scheint also doch noch so etwas wie Blut
in den Adern zu haben", stellte der Franzose
belustigt fest, beeindruckt von dem guten
Geschmack des Engländers.

Fernando hingegen blickte seinem Boss be-
sorgt hinterher. „Das ist so gar nicht seine
Art."

„Ach

was,

auch

er

muss

sich

mal

entspannen. Eine laue Tropennacht, ein

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hübsches Mädchen. Es wäre unmenschlich,
ihm dieses kleine Vergnügen nicht zu
gönnen."

„Sie haben mich missverstanden", sagte
Fernando.

„Philip

Hardesty

ist

unmenschlich."

Doch der Franzose schwieg. Interessiert ver-
folgte er, wie Philip der Blondine nacheilte
und etwas zu ihr sagte. Sie drehte sich um,
und ihre Miene hellte sich auf, als sie ihn
erkannte. .

Fernando folgte dem Blick des Franzosen,
und so sah er, wie Philip dem Mädchen
lächelnd das Glas aus der Hand nahm. Noch
nie hatte er seinen Boss so lächeln sehen. Er
strahlte ja über das ganze Gesicht.

„O nein, das ist er nicht", widersprach der
Franzose, der den Genüssen des Lebens
durchaus zugetan und fast ein wenig

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neidisch auf Philip war. „Heute Abend ist er
so menschlich, wie ein Mann nur sein kann."

„Hallo!" sagte Philip. „Schön, Sie wieder zu
sehen." Das Mädchen drehte sich zu ihm um.

„Oh, hallo!" Der Klang ihrer leicht heiseren
Stimme hatte Philip bis in seine Träume ver-
folgt. Er spürte, wie sein Puls sich
beschleunigte. „Wo wollen Sie hin mit Ihrem
Drink?"

„Ich bringe ihn dem Barkeeper zurück.
Angeblich

enthält

er

pulverisierte

Orchideenblüten, aber er schmeckt ganz
abscheulich."

Lächelnd nahm Philip ihr das Glas aus der
Hand. „Lassen Sie mich Ihnen etwas Trink-
bareres besorgen. Oder warten Sie auf
jemanden?"

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Sie schüttelte den Kopf, und ihre Augen
blitzten schalkhaft. „Das habe ich getan. Jet-
zt ist er gekommen, und ich bin überflüssig."

Philip war erstaunt, wie erleichtert er sich
fühlte. „Sind Sie mit einer Freundin hier?"

„Mit meiner Schwester."

Auf dem Weg zur Bar hätte Philip gern den
Arm um sie gelegt, aber er wusste nicht, wie
sie reagieren würde. Beim letzten Mal hatte
sie ja nach einem kurzen Kuss jäh die Flucht
ergriffen.

Immerhin schien sie sich über das Wiederse-
hen zu freuen. Und offensichtlich war sie mit
niemandem zum Dinner verabredet.

Er schaffte es, die Aufmerksamkeit des Bar-
keepers zu erregen, ohne die Hand zu heben.

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„Der Lady schmeckt Ihre Spezialmischung
nicht, Sariel. Geben Sie ihr ..." Philip drehte
sich zu ihr um und sah sie fragend an. „Was
möchten Sie? Etwas, das Sie kennen? Oder
wollen Sie etwas Neues ausprobieren?"

„Etwas Neues", sagte sie nach einem kaum
merklichen Zögern und lachte vergnügt.
„Dies scheint für mich eine Woche mit lauter
neuen Erfahrungen zu sein."

Philip überflog mit einem Blick die Cock-
tailkarte, doch keiner der Drinks entsprach
seinem Geschmack. „Geben Sie mir bitte
Rum, Mangosaft, Angostura, die Reibe mit
der Muskatnuss da drüben und eine frische
Limette", wandte er sich an Sariel. „Und
Mineralwasser und einen Mixbecher."

Mit einem breiten Grinsen kam der Barkeep-
er seinen Wünschen nach.

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„Mangosaft schmeckt zwar wunderbar, aber
man versüßt damit sehr leicht einen Drink."

Ich höre mich ja wie ein verdammter Ange-
ber an, dachte Philip entsetzt und lächelte
entschuldigend.

„Das hat mir der Kerl erzählt, von dem
dieses Rezept stammt. Die Limette nimmt
dem Drink die Süße, und das Mineralwasser
verstärkt

den

fruchtigen

Geschmack",

erklärte er, während er mit geübten Griffen
alle Zutaten in den Mixbecher gab.

Wieso halte ich ihr einen Vortrag über die
richtige Zubereitung von Cocktails? fragte er
sich. Hatte er verlernt, wie man mit einer
Frau flirtete?

„Es gibt sogar eine Legende, wonach Evas
Apfel in Wirklichkeit eine Mango war", fuhr
er fort, außer Stande, seinen Redefluss zu
stoppen.

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Das Mädchen schien sich daran nicht zu
stören. „Eine Paradiesfrucht? Der Gedanke
gefällt mir."

Philip schüttete den fertigen Drink in ein
Glas und schob es ihr hin. „Ich hoffe, er
schmeckt."

Sie trank und sah dabei aus, als würde sie
jede neue Erfahrung überaus ernst nehmen.

„Sehr ... exotisch", sagte sie vorsichtig.

Er legte den Kopf zurück und lachte. „Sie
müssen ihn nicht trinken. Wollen Sie lieber
ein kühles Bier? Das ist sicherer."

„Nein." Sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich
möchte nichts, was sicher ist. Dazu bin ich
nicht auf eine tropische Insel gekommen."

Wozu dann? Sekundenlang drohte Philips
Pulsschlag erneut aus dem Takt zu geraten,

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doch nicht umsonst war er von Kind an zu
Disziplin erzogen worden. „Das hört sich ja
recht verwegen an."

Sie warf ihm einen scheuen Blick zu. Waren
ihre Augen grau oder grün? Im schummri-
gen Licht der Lampions konnte er die Farbe
nicht genau erkennen.

„Nein, nicht verwegen", widersprach sie.
„Nur mutiger als gewöhnlich."

„Mutig genug, um mit mir zu Abend zu es-
sen?" fragte er und merkte, dass er mit ange-
haltenem Atem auf ihre Antwort wartete.

Sie sah ihn über den Rand ihres Glases hin-
weg an. „Und wo?"

„Das können Sie bestimmen, solange es in-
nerhalb der Hotelanlage ist." Er bemühte
sich, lässig zu klingen. „Die nächste Pizzeria
befindet sich zwanzig Inseln weiter."

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Darüber musste sie lächeln. „Dann also keine
Pizza."

„Wie wäre es mit einem einheimischen
Currygericht?"

„Einem Paradiescurry?" scherzte sie.

Er erwiderte ihr Lächeln und sah ihr direkt
in die Augen. „Genau."

Sein Blick blieb nicht ohne Wirkung auf sie.
Ihre Pupillen schienen sich zu weiten, dann
senkte sie verlegen die dicht bewimperten
Lider.

Wie jung sie war! Viel zu jung für ihn.

„Die Einladung gilt selbstverständlich auch
für Ihre Schwester und deren Freund", bee-
ilte er sich zu versichern.

„Er ist ihr Mann, und ich glaube, die beiden
benötigen etwas Zeit für sich allein."

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Philip war sich nicht sicher, ob er darüber
froh sein oder es bedauern sollte. Er, der
schon als kleiner Junge stets gewusst hatte,
was er wollte, fühlte sich plötzlich in der
Zwickmühle.

Erfahrungsgemäß hätte er Situationen wie
diese während einer Friedensmission un-
bedingt vermeiden müssen. Aber gleichzeitig
fand er das Leben auf einmal wieder aufre-
gend und herrlich und verspürte ein Gefühl
der Freiheit.

Als das Mädchen nun sagte: „Danke, ich
würde gern mit Ihnen zu Abend essen", ver-
drängte er sein schlechtes Gewissen und ant-
wortete: „Wunderbar. Im Restaurant, oder
bevorzugen Sie den Strandgrill?"

Sie schnitt ein Gesicht. Ganz offensichtlich
gefiel ihr weder das eine noch das andere.

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„Das Restaurant ist mir zu vornehm. Allein
diese vielen Ober."

„Da haben Sie Recht. Im Vergleich zum
Bedienungspersonal zählt man als Gast zur
Minderheit

und

fühlt

sich

etwas

unbehaglich."

Sie schüttelte sich in der Erinnerung daran.
„Als ich dort war, haben sich die Ober nur im
Flüsterton unterhalten. Ich kam mir völlig
fehl am Platz vor und fühlte mich
eingeschüchtert."

„Dann also lieber den Strandgrill", meinte
Philip, und da sie damit auch nicht einver-
standen zu sein schien, fragte er: „Nein?"

„Ehrlich gesagt, gefällt es mir dort auch
nicht", gestand sie. „Man sieht nur männ-
liche Gäste mittleren Alters, die ihr Essen in
Windeseile hinunterschlingen, um möglichst

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schnell wieder an ihre Laptops zurückkehren
zu können."

Genau das hätte auch Philip heute Abend
getan, wenn er sie nicht zufällig gesehen
hätte.

„Verstehe." Er überlegte. Sollte er beim Zim-
merservice ein Essen bestellen und sie auf
seine Terrasse einladen? Sie würden den
Mond am Nachthimmel betrachten und ...

Er rief sich zur Räson. Er hatte noch nie eine
fremde Frau auf sein Zimmer mitgenommen
und würde es auch jetzt nicht tun. Es wäre
auch ihr gegenüber nicht fair, da sie noch so
jung war.

„Na gut", sagte er. „Wie wäre es damit: Wir
lassen uns ein Picknick einpacken und gehen
hinunter zum Strand?"

Sie nickte begeistert. „Oder zum Wasserfall."

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„Wohin?"

Sie griff nach einem der an der Bar auslie-
genden Prospekte und schlug ihn auf.

„Mondscheinspaziergänge", sagte sie und
tippte mit dem Finger auf eine kleine
Kartenskizze. „Nicht weit von hier gibt es
oberhalb des Kliffs einen Wasserfall. Man
kann dort sitzen und die herabstürzenden
Wassermassen beobachten. Ich gehe täglich
dorthin, aber nachts muss der Anblick ein-
fach atemberaubend sein."

Vor Philip schien sich eine Falle zu öffnen.
„Halten Sie das für eine gute Idee?"

Einen Moment lang sah sie ihn ausdruckslos
an, dann nickte sie. „Ach, Sie meinen, man
hat die Mondscheinspaziergänge gestrichen,
weil im Moment die entsprechenden Gäste
fehlen? Aber deshalb gibt es die Wege ja
trotzdem."

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„Aber vielleicht werden sie nicht mehr
beleuchtet und sind deshalb nachts zu ge-
fährlich", gab er zu bedenken. Er wusste ver-
dammt gut, wie gefährlich ein solcher Spazi-
ergang für sie beide werden konnte.

Weshalb wusste sie es nicht? Oder war es ihr
egal? Wollte sie ihm auf diese Weise zu ver-
stehen geben, dass sie sich zu ihm genauso
stark hingezogen fühlte wie er sich zu ihr?

Oder deutete er ihr Verhalten völlig falsch?

Fühlte etwa nur er sich von ihr wie elektris-
iert? Immerhin stand sie völlig ruhig neben
ihm. Vielleicht war sie ja tatsächlich nur das,
wonach sie aussah: nach einem freundlichen,
unschuldigen Mädchen von zauberhafter
Schönheit.

„Am besten fragen Sie", meinte sie.

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Fragen? Einen Augenblick wirbelten seine
Gedanken wild durcheinander. Was fragen?

Etwa: Ist Ihnen klar, was wir beide riskier-
en? Wir kennen uns nicht, und so können Sie
nicht wissen, dass ich zurzeit Friedensver-
handlungen leite und mich mit niemandem
privat einlassen darf. Sie haben keine Ah-
nung, wer ich bin. Warum haben Sie mich
nicht nach meinem Namen gefragt?

Erst als sie sich nun über die Theke lehnte
und den Barkeeper fragte, ob der Weg zum
Wasserfall auch nachts sicher sei, merkte
Philip, dass er sie völlig missverstanden
hatte.

Der Barkeeper blickte von ihr zu Philip und
dann wieder zurück zu ihr. „Er ist sehr schön
und sehr romantisch", versicherte er mit
einem breiten Grinsen.

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Danke, Kumpel, dachte Philip ironisch. Er
wollte ja mit ihr zum Wasserfall. Nichts wün-
schte er sich mehr. Andererseits durfte er je-
doch die Warnungen seines Leibwächters
nicht außer Acht lassen, dass Rafek sich
nachts ungesehen an Land schleichen kon-
nte. Zwar hätte er, Philip, eine Begegnung
mit dem Rebellenführer als willkommene
Gelegenheit genutzt, ihn dazu zu überreden,
endlich an den Verhandlungstisch zu kom-
men. Aber er musste auch die Sicherheit des
Mädchens im Auge behalten.

Um Zeit zu gewinnen, die Risiken abzuwä-
gen, stellte er Sariel mehrere Fragen. „Ist der
Weg gut beleuchtet? Gibt es dort keine
dunklen Ecken, wo man ins Meer stürzen
kann?" Oder wo Rebellen lauern? dachte er,
was er natürlich nicht laut sagen konnte.

Der Barkeeper bemühte sich, ihn in jeder
Hinsicht zu beruhigen, während das Mäd-
chen Philip mit großen Augen ansah. Sie hält

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mich für einen kompletten Feigling, dachte
er, und es war ihm äußerst unangenehm, von
ihr so eingeschätzt zu werden.

Überhaupt hatte er es satt, immer nur den
besonnenen, allen gerecht werdenden Ver-
mittler zu spielen. Wenigstens heute Abend
wollte er sich wieder einmal wie ein nor-
maler Mann fühlen und sich auch so
benehmen.

„Okay, okay, Sie haben mich überzeugt, Sari-
el", sagte er. „Der Weg ist mindestens so gut
beleuchtet wie der Times Square bei Nacht
und bestens in Schuss. Könnten Sie für die
Lady und mich etwas zu essen besorgen? Wir
wollen dort oben picknicken."

Der Barkeeper hatte einen besseren Vorsch-
lag. Er würde das Essen direkt zur Grotte
liefern lassen.

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„Zur Grotte?" wiederholte Philip und run-
zelte die Stirn.

Das Mädchen lachte. „Das sind nur einige
Felsbrocken, auf die man sich beim Essen
setzen kann", erklärte sie. „Kein ro-
mantisches Versteck."

Zweifellos machte sie sich über ihn lustig.
Natürlich weiß sie, was sie tut, dachte Philip.

Offenbar war er es, der die Spielregeln
verlernt hatte. Er lächelte. „Gut, gehen wir."

Der Weg war tatsächlich so gut beleuchtet,
wie Sariel versprochen hatte. In regelmäßi-
gen Abständen säumten Lampen den mit
Holzplanken bedeckten Pfad, an dessen
steileren Abschnitten Stufen weiter nach
oben führten. Sogar ausschließlich mit sich
selbst beschäftigte Flitterwöchner konnten
hier schwerlich vom Weg abkommen.

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„Sariel hatte Recht", sagte Philip, „der Weg
ist sehr gut ausgebaut."

Seine Begleiterin lief leichtfüßig einige
Stufen weiter zu einer kleinen Aussichts-
plattform, von der aus man einen Blick auf
das Meer hatte. „Waren Sie wirklich noch nie
hier oben?"

fragte sie verwundert.

„Ich hatte bisher dazu keine Zeit." Er schnitt
ein Gesicht. „Ich fürchte, ich bin einer dieser
männlichen Gäste mittleren Alters, die am
Strandgrill

in

Windeseile

ihr

Steak

hinunterschlingen."

„Sie sind kein Mann mittleren Alters", wider-
sprach sie mit ihrer leicht heiseren und ihn
so faszinierenden Stimme.

„O doch. Manchmal fühle ich mich uralt", er-
widerte

Philip.

„Hass

lässt

Menschen

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schneller altern." Er erschrak über sich, weil
er sich so bitter anhörte.

„Hass?"

wiederholte

seine

Begleiterin

keineswegs schockiert. „Wen hassen Sie
denn?"

„Ich?" Er bereute seine Bemerkung bereits.
„Niemanden."

„Dann werden Sie also gehasst?"

Er zuckte die Schultern. Er hatte keine Lust,
ihre Frage zu beantworten, wollte nicht aus-
gerechnet

jetzt

über

seinen

Beruf

nachdenken.

Zum Glück tauchte in diesem Moment eine
große orangefarben leuchtende Kugel am
Himmel auf. „Sehen Sie nur, der Mond kom-
mt durch", sagte Philip. Er beobachtete, wie
der leichte Wind durchsichtige Wolkenfetzen

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über den Himmel trieb. „Heute Nacht sind
die Hexen unterwegs."

„Wie bitte?" Das Mädchen sah ihn verständ-
nislos an.

„So hat es mein Kindermädchen immer
genannt, wenn nachts der Wind wehte und
kleine weiße Wolken am Himmel schwebten.
Wahrscheinlich

deshalb,

weil

Wolken

manchmal ein wenig so aussehen wie eine
auf einem Besenstiel sitzende Gestalt."

Schweigend setzten sie ihren Weg fort, und
erst nach einer Weile fragte seine Begleiterin
unvermittelt:

„Sie

hatten

ein

Kindermädchen?"

„Sogar mehrere." Er dachte an die sich oft in
rascher Folge abwechselnden Kindermäd-
chen und Erzieherinnen, von denen er in
Ashbarrow betreut worden war.

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„Oh."

„Haben Sie moralische Bedenken, was Kin-
dermädchen angeht?" fragte Philip, der bei
seiner Begleiterin eine plötzliche Zurückhal-
tung zu spüren glaubte.

„Nein."

„Mein Vater war Diplomat und oft in Ge-
genden stationiert, wo Gesundheitsrisiken
lauerten. Meine Mutter hat ihn überallhin
begleitet, wollte aber, dass ich zu Hause
aufwuchs."

„Ein Diplomat", sagte das Mädchen mit selt-
sam klingender Stimme. „Waren Sie da nicht
schrecklich einsam?"

Philip lachte. „Offenbar haben Sie mit Ihrem
Kindermädchen

schlechte

Erfahrungen

gemacht, oder?

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„Nicht in diesem Leben!"

Er blieb stehen und sah sie betroffen an.
„Nun, dann ..."

„Bei uns gab es kein Kindermädchen", fiel sie
ihm heftig ins Wort, „keine Diplomaten in
der Familie, ja nicht einmal einen Vater.
Meine Mutter hat ihr Leben lang hart
gearbeitet, und wir haben ehrlich gesagt im-
mer in recht ärmlichen Verhältnissen gelebt,
bis meine Schwester Lisa sich als Finanz-
genie entpuppt hat. Oh, sie hat einen Mann
mit berühmten Vorfahren, alten Schlössern
und all diesem Kram geheiratet, aber im
Grunde genommen ist sie, genau wie ich,
gesellschaftlich gesehen Abschaum." Philips
Begleiterin hob trotzig das Kinn. „Ich möchte
nicht, dass Sie einen falschen Eindruck von
mir erhalten."

Er war zutiefst erschüttert. Nicht so sehr von
dem, was sie, sondern wie sie es gesagt hatte.

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„Niemand ist Abschaum", widersprach er
ruhig.

Sie blickte ihn mit zornig funkelnden Augen
an. „Würden Sie das auch sagen, wenn mich
jemand aus Ihrer Familie heiraten würde?"

„Wahrscheinlich wurde ich denjenigen ver-
giften", entgegnete er kühl - und mit voller
Absicht.

Auf eine solche Antwort war sie offensicht-
lich nicht gefasst. „Oh!"

Philip fand sie bezaubernd in ihrer Verwir-
rung. Diesmal konnte er der Versuchung
nicht widerstehen und griff nach ihrer Hand,
die sie ihm nicht entzog.

„Kommen Sie", sagte er sanft, „lassen Sie uns
erst zur Grotte gehen. Dort erzählen Sie mir
dann mehr über sich."

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4. KAPITEL

„Der Weg kommt einem im Dunkeln steiler
vor als bei Tag", sagte Kit. „Aber es ist nicht
mehr weit."

„Wenn man tagsüber hierher kommt, bleibt
man wahrscheinlich immer wieder stehen,
um die Aussicht zu bewundern", meinte ihr
Begleiter.

Obwohl er behauptet hatte, sich uralt zu füh-
len, atmete er trotz des anstrengenden Auf-
stiegs ruhig und gleichmäßig. Kit gelang
dieses Kunststück nicht. Vielleicht lag es
daran, dass er noch immer ihre Hand hielt.

Bestimmt tat er es nicht aus einem ro-
mantischen Gefühl heraus. Er half ihr ein-
fach nur beim Aufstieg, und je heftiger sie

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atmete, desto mehr musste er annehmen,
dass sie seine Hilfe nötig hatte.

Trick siebzehn, dachte Kit grimmig. Seit
Jahren war er der erste Mann, der ihr Herz
schneller schlagen ließ, doch bestimmt
würde er wie Johnny schnell das Weite
suchen, wenn er merkte, welche Wirkung er
auf sie hatte.

Kit war nicht entgangen, dass seine Augen
plötzlich einen wachsamen Ausdruck angen-
ommen hatten, als sie ein Picknick am
Wasserfall vorgeschlagen hatte. Ganz of-
fensichtlich hatte er befürchtet, sie würde
sich ihm an den Hals werfen. Sie hatte seine
Bedenken zu zerstreuen vermocht und war
entschlossen, ihre Gefühle auch weiterhin
unter Kontrolle zu halten. Schlimm genug,
dass

sie

in

frühere

Verhaltensmuster

zurückgefallen war, als er sein Kindermäd-
chen erwähnt hatte.

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„Ist Ihnen eigentlich klar, dass ich noch nicht
einmal Ihren Namen kenne?" fragte sie in
nüchternem Ton.

„Ja", bestätigte ihr Begleiter wenig hilfreich.

Jäh blieb Kit stehen und entzog ihm ihre
Hand. Das half ihr zwar, wieder ruhiger zu
atmen, doch gleichzeitig vermisste sie den
Druck seiner Finger. Sie bemühte sich, ihn
ihre Unsicherheit nicht merken zu lassen.
„Wollen Sie mir Ihren Namen nicht
verraten?"

Er schien zu zögern. Dann sagte er vor-
sichtig: „Ich bin Philip Hardesty."

„Sollte mir das etwas sagen?" fragte sie
argwöhnisch.

„Nein."

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Kits Misstrauen war geweckt. „Sie sind ber-
ühmt, stimmt's? Erforschen Sie das Leben
von Primaten?"

Er sah sie erstaunt an. „Nein, wie kommen
Sie darauf?"

„Mein Schwager befasst sich damit. Er nim-
mt hier an einer Konferenz zur Rettung des
Regenwaldes teil und hat mir erzählt, dass
die übrigen Hotelgäste ebenfalls deshalb hier
sind."

„Damit hat er nicht Unrecht. Wir verfolgen
alle ein gemeinsames Ziel, tagen aber in
getrennten Gruppen, je nachdem, was der
Einzelne beruflich macht."

„Und welchen Beruf haben Sie?" Unwillkür-
lich musste Kit daran denken, wie er sie an
jenem ersten Abend an der Lagune in die
Arme gezogen und geküsst hatte und sie sich
gewünscht...

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Schnell sagte sie: „Sie sind Naturforscher,
nicht wahr?"

„In gewisser Weise schon", antwortete er
ausweichend. „Sie kennen jetzt meinen Na-
men, aber ich Ihren noch nicht."

Seltsamerweise widerstrebte es Kit, ihm zu
sagen, wie sie hieß. Irgendwie hatte sie das
Gefühl, sich ihm zu sehr auszuliefern. Ander-
erseits konnte er natürlich nicht ahnen, dass
er seit zwei Jahren der erste Mann war, von
dem sie sich hatte anfassen lassen und nach
dessen Berührung sie sich sogar sehnte. Das
alles jagte ihr große Angst ein. „Catherine
Romaine", sagte sie kurz angebunden.

„Catherine? Nennt man Sie so?"

„Meine Familie nennt mich Kit."

„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Kit."

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Schweigend nickte sie.

Sie waren nun vor der letzten Kurve an-
gelangt, hinter der sich die grasbedeckte
Plattform mit Blick auf den Wasserfall be-
fand. Kit mochte diese Stelle besonders gern.
Man hörte bereits das Wasser rauschen,
doch die Sicht darauf wurde durch einen
Felsvorsprung versperrt. Dicht daneben
wuchs ein wilder Mangobaum, um dessen
Äste sich blattlose Blumen mit üppigen
Blüten rankten, die einen schweren süßen
Duft verströmten.

Auch Philip Hardesty schien ihn zu riechen,
denn er blieb stehen und sah sich unvermit-
telt um.

„Wundervoll, nicht wahr?" meinte Kit und
vergaß, dass sie sich ihm gegenüber ja
zurückhaltend geben wollte. „Jedes Mal,
wenn ich hierher komme, atme ich tief

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durch. Es gibt mir das Gefühl, meine Lungen
zu reinigen."

Er atmete hörbar aus. „Ich dachte, jemand
sei hier", sagte er und klang zu ihrer Ver-
wunderung leicht angespannt. Er atmete tief
ein. „Was ist das für ein Duft? Wie das Par-
füm einer Frau."

Kit zeigte ihm die Blumen. Als er mit den
Fingern sanft eine Blüte anhob, stellte Kit
sich vor, wie es wäre, wenn er sie so ber-
ühren würde, und erbebte unwillkürlich. Er-
schrocken trat sie zurück. Es wäre ihr
schrecklich peinlich gewesen, wenn er etwas
bemerkt hätte.

Philip Hardesty beugte sich über die Blüte.
„Sie muss purpurrot sein. Vielleicht auch
dunkelviolett. Habe ich Recht?"

„Ja", sagte Kit überrascht.

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„Sangumay." Er schien sich zu freuen, dass
er die Blume im Mondschein richtig klassi-
fiziert hatte. „Es ist eine der am stärksten
riechenden Orchideenarten. Kommt häufig
vor, doch der Duft ist außergewöhnlich."

Kit seufzte. „Warum müssen Sie immer alles
mit einem bestimmten Stempel versehen?"

„Was meinen Sie damit?"

„Beim letzten Mal haben Sie mich bereits
über Biolumineszenz aufgeklärt und mir
erzählt, wie die blauen Vögel heißen. Wieso
können Sie sich an etwas Schönem nicht ein-
fach nur freuen?"

„Das tue ich doch", protestierte er.

„Nein, Sie wollen immer alles sortieren. Bes-
timmt sind Sie sehr ordentlich."

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„Allerdings", entgegnete er verärgert. „Was
ist daran falsch?"

„Statt zu kategorisieren und zu ordnen, soll-
ten Sie besser den Augenblick genießen",
sagte Kit heftig. „Sehen Sie sich um, und
lassen Sie diese wunderbare Stimmung hier
oben auf sich wirken."

Über ihnen am nachtschwarzen Himmel
leuchtete der Mond nun nicht mehr orange-
farben, sondern zitronengelb, und die
glitzernden Sterne der Milchstraße sahen aus
wie der zu Kristall gewordene Atem eines
riesigen Tieres. Meer und Himmel schienen
am fernen Horizont als dunkle Masse
miteinander zu verschmelzen.

„Man hat das Gefühl, ganz klein zu sein",
sagte Kit leise. „Und sicher."

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„Sicher?" Er sah sie erstaunt an. „Sie fühlen
sich

sicher,

wenn

Sie

sich

klein

vorkommen?"

„Fast unsichtbar zu sein ist doch nicht
schlecht."

„Ein interessanter Standpunkt."

Kit winkte ab. „Nicht schon wieder!"

„Was?"

„ Kategorisieren."

Er lachte leise. „Gut. Ich gelobe Besserung."

Kit verspürte ein Gefühl des Triumphes,
doch gleichzeitig hatte sie Angst vor der ei-
genen Courage. „Kommen Sie. Gleich hinter
dem Felsvorsprung ist der Wasserfall zu
sehen."

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Nachdem sie diese letzte Hürde passiert hat-
ten, blieb Philip Hardesty unvermittelt
stehen.

Das Wasser stürzte über hohe Felsen auf die
andere Seite eines tiefen Tals hinunter. Es
schimmerte silbrig im Mondlicht, und die
sprühende Gischt sah aus, als würden
Tausende von Sternschnuppen durch die
Luft fliegen.

„Was für ein fantastischer Anblick!"

Kit freute sich über die Reaktion ihres Beg-
leiters, konnte aber der Versuchung nicht
widerstehen, ihn ein wenig aufzuziehen.
„Werden Sie mir jetzt vorrechnen, wie viele
Tonnen Wasser pro Minute ins Tal fließen?"

„Nein", sagte Philip, und er schien es ernst
zu meinen.

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„Kommen Sie, setzen wir uns auf die Aus-
sichtsplattform. Die Luft ist dort feucht und
prickelnd wie Champagner." Sicheren Sch-
rittes ging Kit ihrem Begleiter voran und
blieb dann wie vom Donner gerührt stehen.

„O nein!" rief sie entsetzt. Bestimmt würde
Philip Hardesty glauben ... Sie wagte nicht zu
Ende zu denken.

Ihr Begleiter trat neben sie. „Aha. Das ist
also die Grotte." Seine Stimme klang
aufreizend nichtssagend.

Kit drehte sich zu ihm um und hob
entschuldigend die Hände. „Mir war bisher
nie aufgefallen... ich habe nicht gesehen... Es
tut mir Leid."

„Leid?"

Zweifellos

genoss

er

ihre

Verlegenheit.

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Kit fand es keineswegs komisch. Ihr war das
alles schrecklich peinlich. „Der war doch
nicht da." Mit zittrigen Fingern deutete sie
auf den kleinen Tempel, der nun auf einmal
in dem dichten Gebüsch hinter der Aussicht-
splattform aufgetaucht war. „Ich habe ihn
noch nie zuvor gesehen ... ich meine, er muss
da gewesen sein, aber ich habe ihn nicht
bemerkt."

Der Tempel war rund, hatte tragende Säulen
und ein gewölbtes Dach. Dutzende kleiner
Kerzen,

deren

Flammen

im

sanften

Nachtwind flackerten, erhellten ihn. Ihr
warmes Licht überzog alles mit einem
goldenen Schimmer.

Was Kit bisher für Baumstämme und Sch-
lingpflanzen gehalten hatte, entpuppte sich
nun im Schein der Kerzen als Säulen.
Umgeben von üppiger Vegetation, war der
Tempel bei Tag nur schwer auszumachen.
Doch nun, da er hell erleuchtet war, konnte

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man nur allzu deutlich sehen, wofür er
gedacht war.

Diese verdammte Hochzeitsinsel mit ihren
lauschigen Liebesnestern! fluchte Kit insge-
heim und machte ihrem Herzen mit einem
lauten „Mist!" Luft.

Philip Hardesty schien das zu amüsieren.
„Genießen Sie den Augenblick", zitierte er sie
boshaft.

Kit konnte seine Belustigung nicht teilen.
„Mir ist das alles schrecklich unangenehm."

„Es ist doch nichts passiert", versuchte er sie
zu beruhigen. „Bisher sind Sie immer nur
tagsüber hierher gekommen, haben sich auf
einen der Steine gesetzt und den Wasserfall
angesehen. Woher sollten Sie ahnen, dass im
Gebüsch verborgen dieser kleine Tempel
irdischer Freuden steht?"

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Kit spürte, wie sie rot wurde. Ein Glück, dass
es dunkel war. Sie schwieg, und so fügte er
hinzu: „Ich habe nie angenommen, dass Sie
mich hierher geführt haben, um mich zu ver-
führen." Dass er es an der Strandbar tatsäch-
lich einen Moment lang für möglich gehalten
hatte, behielt Philip für sich. „Da dies nun
geklärt ist, schlage ich vor, wir werfen einen
Blick in den Tempel."

Man musste ihn nicht betreten, um zu sehen,
dass dort ein kleines Bankett aufgebaut
worden war. Vor einer mit goldfarbenen Kis-
sen bedeckten Rattancouch befanden sich
auf

einem

niedrigen

Tisch

mehrere

zugedeckte silberne Schüsseln, eine große
Schale mit exotischen Früchten, Teller und
Besteck,

funkelnde

Kristallgläser

sowie

mehrere Flaschen mit Wein, Mineralwasser
und Fruchtsäften.

Kit schluckte.

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„Oh, unser Picknick", sagte Philip, der sein
Erstaunen besser zu verbergen vermochte.

„Picknick!"

„Sie waren es doch, die lieber hier oben es-
sen wollte", erinnerte er sie mit unver-
hohlener Belustigung.

„Doch nicht so ... so ..." Ihr fiel kein
passender Ausdruck ein.

„Übertrieben extravagant?" ergänzte Philip
hilfsbereit.

„In so kitschiger Umgebung", sagte Kit kühl.

„Sie finden es kitschig?"

„Und unecht. Alles nur, um ... um ..."

„Die Leute in Stimmung zu bringen?"

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„Würden Sie gefälligst aufhören, meine Sätze
für mich zu beenden", sagte sie genervt.

„Das ist absolut lächerlich."

„Mir gefällt es hier." Philip betrat den klein-
en Tempel und hob von einer der silbernen
Schüsseln den Deckel hoch. „Mm, riecht
lecker."

„Für Sie scheint das alles recht komisch zu
sein." Am liebsten hätte Kit etwas nach ihm
geworfen.

„Entspannen Sie sich. Sie wollen mich nicht
verführen und ich Sie auch nicht." Philip war
bewusst, dass Letzteres nicht stimmte.
„Niemand kann uns dazu bringen, etwas zu
tun, was wir beide nicht wollen."

Sie sah ihn mit blitzenden Augen an. Im
flackernden Kerzenschein konnte er Ihre Au-
genfarbe nicht erkennen, doch er bemerkte,

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dass sie sich quälte. Wie sensibel sie war! Zu
sensibel.

Er bezwang seine Heiterkeit. „Setzen wir
uns, und lassen wir es uns schmecken", sagte
er sanft. „Betrachten Sie es einfach nur als
exotisches Dinner. Es ist jedenfalls interess-
anter als am Strandgrill. Danach machen wir
uns wieder auf den Heimweg, und ich werde
noch einige Stunden arbeiten." Aufmunternd
lächelte er sie an. „Nun kommen Sie schon."

Zögernd betrat sie den Tempel und setzte
sich steif auf die äußerste Kante der Couch,
als hätte sie Angst vor ihm. Sie saß da wie ein
scheues, wildes Tier, bereit, sofort aufzus-
pringen, sobald er ihr zu nahe kam.

„Entspannen Sie sich." Seine Stimme klang
leicht gereizt.

„Wie denn?" fragte Kit ärgerlich und blickte
sich misstrauisch um. „Jeden Moment kann

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einer

dieser

ewig

lächelnden

Kellner

auftauchen. Irgendjemand muss das alles ja
hierher geschafft haben. Und da uns
niemand begegnet ist, nehme ich an, dass
hier oben Personal stationiert ist."

Philip hob den Kopf. „Sie haben Recht. Wie
konnte mir das nur entgehen?"

„Sie meinen, es ist tatsächlich jemand in der
Nähe?" fragte Kit, der sein jäher Stimmung-
sumschwung nicht entgangen war. Sie ver-
suchte, ihr Unbehagen mit Humor zu über-
spielen. „Wer immer Sie sind", rief sie mit
erhobener Stimme, „kommen Sie aus Ihrem
Versteck!"

Doch statt zu lächeln, schüttelte Philip den
Kopf. „Still." Es klang, als wäre er gewohnt,
Befehle zu erteilen, und plötzlich kam er ihr
sehr fremd vor.

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Wieso wunderte sie das? Sie kannte den
Mann ja kaum. Trotzdem war er ihr bisher
seltsam vertraut gewesen. Nicht, dass sie
sich in seiner Gegenwart völlig entspannt ge-
fühlt hätte. Dazu war seine sexuelle An-
ziehungskraft auf sie zu stark. Aber es hatte
eine natürliche Harmonie zwischen ihnen
geherrscht, als würde ihr Körper seinen
erkennen.

Als sie nun zu Philip blickte, wurde ihr
schnell klar, dass sie sich einer Illusion
hingegeben hatte. „Was ist?" fragte sie leise.

„Niemand ist uns unterwegs begegnet. Es
muss noch einen anderen Weg nach hier
oben geben." Er eilte hinaus, verließ den
beleuchteten Weg, holte eine kleine Taschen-
lampe aus der Hosentasche und begann, das
dichte Gebüsch rund um die Aussichtsplatt-
form zu durchsuchen. Notgedrungen folgte
Kit ihm. Es dauerte nicht lange, bis sie eine
Art Flaschenzug mit einer aus Holz roh

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zusammengezimmerten, käfigartigen Gondel
entdeckten. Der Aufzug war an einer Steil-
wand des Kliffs angebracht.

„Ich denke, dass der Ausgangspunkt nur
wenige Meter von der Hotelküche entfernt
ist", meinte Kit.

„Das glaube ich auch", sagte Philip und
nahm die primitive Anlage genauer in
Augenschein.

Mit gerunzelter Stirn sah Kit ihm zu. „Was
ist denn los?"

„Bei dem Lärm, den der Wasserfall ver-
ursacht, wäre es für jemanden leicht, im
Aufzug nach oben zu kommen, ohne dass wir
es bemerken."

„Sie meinen, um uns heimlich zu beobacht-
en?" Kit hatte beim Anblick des Aufzugs so-
fort an die von Lisa erwähnten dienstbaren

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Geister gedacht, die heimlich Rosenblüten
streuten.

„Warum sollte jemand das tun?"

„Jedenfalls werde ich dafür sorgen, dass es
nicht passiert."

Wie es schien, hatte Philip Hardesty nichts
übrig

für

Rosenblüten

streuendes

Hotelpersonal.

Und ihm war auch nicht nach einer kleinen
Romanze zu Mute. Umso besser, dachte Kit.

Oder etwa nicht?

Er begann, die Gondel nach oben zu kurbeln.
Trotz seines betagten Aussehens, lief der
Aufzug

erstaunlich

geräuschlos.

Philip

beugte sich vor und untersuchte die
Zahnräder.

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„Dachte ich es mir doch. Sie sind frisch geölt
worden."

Kit lächelte leicht gequält. „Wow. Man sch-
eut hier wirklich keine Anstrengung, um
Fantasien wahr werden zu lassen."

„Fantasien?" Er runzelte die Stirn. „Ach so,
Fantasien, ja sicher."

Offenbar war ihm nicht einmal der Gedanke
an Rosenblüten gekommen! Trotz der war-
men Nacht begann Kit zu frösteln.

Er ließ den Aufzug wieder abwärts fahren,
stoppte ihn und sah hinunter. Die Gondel,
befand sich ungefähr auf Viertelhöhe der
Steilwand. „So, das musste reichen."

Kit achtete darauf, ihm nicht zu nahe zu
kommen. „Wofür?"

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„Um uns rechtzeitig zu warnen." Er holte ein
Schweizer Messer hervor und zog eine
scharfe Klinge heraus. Dann sah er sich nach
dürren Ästen um. Als er ein ansehnliches
Bündel beisammen hatte, stopfte er es in die
Winde.

„Das wird nicht lange halten", meinte Kit mit
ihrem Sinn fürs Praktische.

„Muss es auch nicht. Es soll uns nur warnen,
wenn die Gondel nach unten gezogen wird."

„Uns warnen?" fragte Kit beunruhigt.

Erst jetzt schien er sich seines reichlich son-
derbaren Verhaltens bewusst zu werden. Er
zuckte die Schultern. „Ich mag es nicht,
überrascht zu werden", sagte er betont
locker.

Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, hatte sie
das Gefühl, dass er nicht ganz ehrlich war.

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Sie musste ihn skeptisch angesehen haben,
denn er runzelte die Stirn. „Ich halte mir im-
mer gern den Rücken frei", erklärte er
schroff, klappte sein Schweizer Messer zu
und steckte es ein.

Kit schluckte. „Das klingt ja, als wären wir
umstellt."

Er gab keine Antwort, sondern überprüfte,
ob sein Trick funktionierte. Als die Gondel
sich in Bewegung setzte, brachen einige
Zweige mit lautem Krachen. Kit zuckte vor
Schreck zusammen.

„Jetzt kann sich keiner mehr ungehört an-
schleichen", stellte Philip zufrieden fest. „Se-
hen Sie mich nicht so besorgt an. Wahr-
scheinlich ist es eine völlig unnötige
Vorsichtsmaßnahme.

Vergessen Sie das Ganze."

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„Ach ja? So wie Sie es vergessen?" fragte Kit
spöttisch. „Sollen wir ruhig hier sitzen und
warten, bis es kracht?"

„Nein." Er lächelte, und plötzlich war er
wieder der Mann, den sie kannte. Oder viel-
mehr der Mann, zu dem sie sich körperlich
so sehr hingezogen fühlte. „Sie werden mir
Ihre Lebensgeschichte erzählen, und ich
werde darüber alles andere vergessen." Mit
einer galanten Handbewegung wies er auf
den

wie

eine

Flugzeuglandebahn

beleuchteten Weg zum Tempel.

„Bitte sehr, Madam."

Nun musste auch Kit lächeln. Doch dann be-
merkte sie aus den Augenwinkeln, wie
Philip, der ihr folgte, ein kleines Handy aus
der Tasche zog und es einschaltete. Wie
überaus romantisch, dachte sie und ärgerte
sich, weil sie enttäuscht war. Offenbar hatte
sie in diesem tropischen Paradies für

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Liebespaare den Sinn für die Realität
verloren.

Ich habe alles verdorben, dachte Philip und
war wütend über sich und die ganze
Situation.

Da hatte er sich einmal von seinen Gefühlen
leiten lassen, hatte wenigstens für einige
Stunden ein ganz normaler Mann sein
wollen und dadurch Kit Romaine in potenzi-
elle Gefahr gebracht. Er konnte nur hoffen,
dass sie sich dessen nicht bewusst wurde und
er sie sicher zurückbringen konnte.

Einen Moment lang spielte er mit dem
Gedanken, sofort den Rückweg anzutreten,
überlegte es sich dann aber anders. Der Pfad
war zu schmal. Falls Rafeks Männer tatsäch-
lich beabsichtigten, ihn zu kidnappen,
würden er und Kit ihnen direkt in die Arme
laufen. Und wenn er mit Kit im Aufzug nach

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unten fuhr, wusste er nicht, was sie unten
erwartete.

Nein, es war besser, hier oben auf den Feind
zu warten - falls es überhaupt einen gab. Ein-
en direkten Beweis dafür hatte er ja nicht.

Wie auch immer, er durfte Kit nicht noch
mehr beunruhigen, als er es durch seine Vor-
sichtsmaßnahmen bereits getan hatte. Ihm
war nicht entgangen, wie sie vorhin ers-
chrocken

zusammengezuckt

war.

Eine

durchaus verständliche Reaktion.

Falls sich seine Befürchtungen als grundlos
herausstellten, wollte er dafür sorgen, dass
es für Kit ein unvergesslicher Abend wurde.
Sollten sich seine Befürchtungen jedoch
bestätigen

- nun, dann war es besonders wichtig, dass
sie nicht schon jetzt die Nerven verlor. Er

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würde all seinen Charme einsetzen, um sie
abzulenken.

Als Kit nun sagte: „Ihr kleiner Trick zeugt
von Professionalität" , schenkte er ihr sein
strahlendstes Lächeln und schüttelte den
Kopf.

„Nicht

professionell,

sondern

erfinderisch."

Sie setzte sich auf die Rattancouch. „Wo liegt
da der Unterschied?"

„Profis sind auf alles vorbereitet. Wer erfind-
erisch ist, behilft sich mit dem, was er zur
Hand hat."

Sie entspannte sich etwas und lächelte. „Sehr
schlau."

„Ich hatte einen Experten als Lehrmeister",
erklärte er, und da sie das erneut zu beun-
ruhigen schien, fügte er schnell hinzu: „Be-
vor mein Vater in den diplomatischen Dienst

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eintrat, war er bei der Armee. Er kom-
mandierte eine Einheit, die auf so genannte
schmutzige Tricks spezialisiert war. Dadurch
bekam ich das eine oder andere mit."

„Es scheint Ihnen Spaß gemacht zu haben."

„So etwas begeistert jeden kleinen Jungen.
Außerdem finde ich gern für jedes Problem
eine Lösung." Und sein größtes Problem mo-
mentan war, Kit heil zum Hotel zurück-
zubringen, ohne sie zu Tode zu erschrecken.

Er ließ den Blick über den üppig gedeckten
Tisch schweifen. Die ganze Szenerie war wie
geschaffen für eine romantische Verführung
bei Kerzenlicht. Keine Chance, dachte Philip
selbstironisch.

Er griff nach einer dunkelgrünen, bauchigen
Flasche. „Etwas Wein?"

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Kit schüttelte den Kopf. „Für mich bitte Min-
eralwasser. Ich bin durstig. Und wer weiß, ob
man nicht auch in den Wein pulverisierte
Orchideenblüten getan hat."

„Wieso

pulverisierte

Orchideenblüten?"

fragte Philip, während er ihr Wasser
einschenkte.

„Es soll ein Aphrodisiakum sein", erklärte
sie, ohne zu überlegen, und errötete tief, als
Philip die Brauen hochzog. „Das ... hat ...
Lisa mir erzählt."

„Nun, ein Aphrodisiakum brauchen wir ganz
sicher nicht", meinte er trocken, las das
Etikett auf der Flasche und stellte sie dann
wieder zurück auf den Tisch. „Ich glaube, ich
lass es lieber auch bleiben."

Er schenkte sich etwas Guavesaft ein und
verdünnte ihn mit Mineralwasser. Dann warf
er einige Kissen auf den Boden und ließ sich

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darauf nieder. Einen Arm um die an-
gewinkelten Knie gelegt, blickte er zu Kit auf.
„So, und nun erzählen Sie mir von sich. Was
hat Sie in diesen Teil der Welt verschlagen?"

Sie tat, als müsste sie ernsthaft überlegen.
„Ich nehme an, ich mache hier Urlaub."

„Sie nehmen es an?"

„Es war nicht geplant. Meine Schwester ist
mit ihrem Mann hierher gereist. Als sich
herausstellte, dass seine Arbeit ihn sehr in
Anspruch nahm, hat sie mich angerufen und
gebeten, hierher zu kommen."

„Dann sind Sie also als ihre Gesellschafterin
hier?" meinte Philip.

Kit lachte laut auf. „Das würden Sie nicht
sagen, wenn Sie meine Schwester Lisa
kennen würden. Sie ist die selbstständigste
Frau, die ich kenne."

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„Trotzdem wollte sie offenbar Gesellschaft
haben?"

Unvermittelt wurde Kit wieder ernst. „Ihr
ging es nicht gut." Sie sah plötzlich besorgt
aus, und er hätte sie gern in die Arme gen-
ommen und getröstet.

„Dann sind Sie also mehr als Florence
Nightingale hier?" fragte er scherzhaft. „Oder
etwa gar als Johanna von Orleans?"

Kit blickte ihn erschrocken an. „Du lieber
Himmel, nein! Ich bin keine Kämpferin. Das
ist in unserer Familie Lisa." Ein liebevolles
Lächeln umspielte ihre Lippen. „Sie kann
Ungerechtigkeit nicht ertragen."

Und nun begann Kit, von ihrer Schwester zu
erzählen, dann von ihrer allein stehenden
Mutter, die wenig Geld, aber hohe Ideale
hatte, und schließlich, noch etwas zögernd,
redete Kit auch über sich.

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Philip spürte, dass dies ein großer Ver-
trauensbeweis war, und hörte ruhig zu.

Es war neu für Kit, dass jemand ihr so
aufmerksam, und ohne ihr ins Wort zu
fallen, zuhörte. Ganz allmählich kam sie
auch auf ihre Probleme zu sprechen und war
angenehm überrascht. Er unterbrach sie
nicht, schien keineswegs schockiert zu sein
und bemitleidete sie nicht, wofür sie ihm be-
sonders dankbar war.

„Wissen Sie, Lisa ist ja nicht nur in jeder
Hinsicht brillant, sondern auch ungemein
mutig, während ich ein absoluter Feigling
bin. Vor jeder Prüfung habe ich eine Heide-
nangst. Es war für mich fast wie ein Wunder,
dass ich den Sprung aufs College geschafft
hatte. Das hat mir damals großen Auftrieb
gegeben, und zum ersten Mal fühlte ich mich
nicht als blasse Kopie meiner Schwester. Ich
war ich, und es störte mich nicht, dass ich
niemals so genial wie Lisa sein würde. Ich

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machte Zukunftspläne, wollte Bibliothekarin
in einer Kinderbücherei werden, weil ich
Bücher

liebe

und

mit

Kindern

gut

zurechtkam. Doch dann ..."

Kit verstummte. Wenn er sie gedrängt hätte
weiterzusprechen, hätte sie keinen Ton mehr
gesagt. Diese Erfahrung hatte sie im Ge-
spräch mit Freunden gemacht, mit wohl-
meinenden Therapeuten, mit ihrer ängst-
lichen Mutter und selbst mit Lisa, die immer
so sicher war, dass sie alles in Ordnung brin-
gen konnte.

Aber Philip schwieg. Er stellte keine Fragen,
saß nur ruhig da und wartete, dass sie
fortfuhr.

Kit schluckte. „Es gab da einen Studienkolle-
gen, für den alle Mädchen schwärmten. Er
ging einige Male mit mir aus, doch dann ...
nun, er hatte bereits eine Freundin. Sie

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studierte an einem anderen College. Als ich
es erfuhr, war ich ihm schon längst
verfallen."

Auch jetzt schwieg Philip, obwohl es einige
Zeit dauerte, bis Kit den Mut aufbrachte, ihm
auch noch den Rest zu erzählen.

„Es war schrecklich!" gestand sie. „Ich be-
nahm mich wie ein junger Hund, der seinem
Herrchen auf Schritt und Tritt folgte. Irgend-
wie konnte ich mich nicht bremsen. Oh, er
war sehr nett zu mir, bis ..." Sie schluckte.
Nein, alles konnte sie Philip nicht erzählen.
„Nun ja, irgendwann hatte er genug von mir
und sagte, ich würde ihm auf die Nerven
fallen. Es war ...

sehr ... demütigend." Kit hatte das noch
niemandem erzählt.

Philip schien weder abgestoßen zu sein, noch
bemitleidete er sie. Er nickte. „Sich in

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jemanden zu verlieben, der diese Gefühle
nicht erwidert, das muss wohl jeder mal
durchmachen."

Ungläubig sah Kit ihn an. „Heißt das, es ist
Ihnen auch schon passiert?"

Er zuckte gleichmütig die Schultern. „Wem
nicht?"

„Keinem von den Leuten, die ich kenne",
widersprach sie.

„Dann waren sie Ihnen gegenüber nicht ehr-
lich", sagte er trocken.

„Aber..."

Anscheinend war er der Meinung, dass sie
genug geredet hatte, denn er stand auf.
„Hungrig?"

fragte er. „Der Curry sieht sehr verlockend
aus."

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Kit wusste nicht, ob sie gekränkt sein oder
lachen sollte. „Sie behaupten also, die große
Tragödie meines Lebens sei etwas ganz
Alltägliches?"

Er nahm einen Teller und tat Reis darauf.
„Mögen Sie scharf gewürztes Essen?"

„Sicher", sagte Kit, obwohl sie es hasste.
„Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?"

Er sah sie an und lächelte. Es war ein
Lächeln, dem man nur schwer widerstehen
konnte.

„Ja, ich behaupte, die große Tragödie Ihres
Lebens ist etwas ganz Alltägliches", be-
stätigte er gehorsam. „Tut mir Leid."

Kit entschied, dass es besser war, darüber zu
lachen. Es war ein herrliches Gefühl! „Wie
sind Sie zu dieser Erkenntnis gelangt?"

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„Dass es normal ist, sich unglücklich zu ver-
lieben, wusste ich schon sehr früh." Er
lächelte jungenhaft. „Als mein Vater mich
bezüglich

des

weiblichen

Geschlechts

aufzuklären versuchte, hat er melancholisch
aus dem Fenster gesehen und gesagt, ich
müsse mich nun daran gewöhnen, oft
abgewiesen zu werden."

Kit brach in schallendes Gelächter aus.
„Und? Wurden Sie abgewiesen?"

„Oft genug." Er reichte ihr den vollen Teller,
machte einen für sich zurecht und setzte sich
dann wieder auf den Boden.

Geistesabwesend aß Kit eine Gabel voll Reis
und Curry, ohne den Geschmack wahrzuneh-
men. „Haben Sie sich verletzt gefühlt?"

„Natürlich, aber das gehört zum Erwachsen-
werden." Er sah sie an. „Darf ich fragen, wie
alt Sie sind?"

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„Zweiundzwanzig", antwortete sie zögernd,
da sie sich im Vergleich mit ihm plötzlich
sehr naiv vorkam. „Merkt man das?"

„Ich hätte auf ein Alter zwischen siebzehn
und dreißig getippt, aber ich kann nicht gut
schätzen."

Kit hatte nur ein Wort gehört. „Siebzehn!"
wiederholte sie empört. Er hatte sie für einen
unreifen Teenager gehalten.

„Wassernymphen sind immer siebzehn."

Verblüfft sah sie ihn an. „Ich verstehe nicht
ganz."

Ihre Blicke begegneten sich. „Und wunder-
voll", ergänzte Philip. „Erinnern Sie sich an
unsere erste Begegnung an der Lagune?
Nun, ich muss gestehen, dass ich extra
Ihretwegen dorthin gegangen war."

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Kit konnte nicht glauben, was er da sagte.
Machte er sich über sie lustig?

„An jenem Abend habe ich in einer Konfer-
enz gesessen, die sich ewig hinzog", erklärte
er mit einem entschuldigenden Lächeln.
„Während immer wieder dieselben Dinge er-
örtert wurden, habe ich durch eine der offen-
en Türen beobachtet, wie Sie in der Lagune
schwammen und herumtollten. Sie bewegten
sich natürlich wie ein Fisch im Wasser und
wirkten wie ein Fabelwesen, wie eine
Nymphe. Sobald die Konferenz beendet war,
ging ich zur Lagune hinunter." Er lachte ein
wenig verlegen. „Es klingt idiotisch, aber ir-
gendwie wollte ich mich überzeugen, dass
ich keiner Sinnestäuschung erlegen war."

Kit hatte ihm gebannt zugehört. „Haben Sie
mich deshalb geküsst?"

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„Mag sein." Er veränderte seine Sitzhaltung
und wirkte auf einmal gar nicht mehr
entspannt.

Kit stellte ihren Teller ab. „Philip ..." Sie
hatte ihn zum ersten Mal bei seinem Namen
genannt.

„Ja?"

„Küss mich noch einmal", sagte Kit, die sonst
vor

jeder

Berührung

eines

Mannes

zurückschreckte-Ohne den Blick von ihr zu
lösen, stand er vom Boden auf und stieß die
Kissen ungeduldig mit dem Fuß beiseite.

Auch Kit stand auf. Für den Bruchteil einer
Sekunde überfielen sie wieder die alten Äng-
ste, doch da hatte er sie schon an sich gezo-
gen. Seine Arme fühlten sich nicht an wie
Klammern aus Stahl. Sie waren stark, aber
aus Fleisch und Blut und - sie zitterten ein
wenig. Und das gab Kit Mut. Sie murmelte

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Philips Namen und zog seinen Kopf zu sich
herunter.

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5. KAPITEL

Es wurde ein langer, forschender Kuss.

Philips Lippen waren warm und fest und so
verwirrend zärtlich, dass es Kit ganz
schwindlig wurde. Er hielt sie fest in seinen
Armen, doch fühlte sie sich in ihnen nicht
gefangen, sondern geborgen.

Trotzdem wartete sie auf den Erstickungsan-
fall, der unausweichlich folgte, sobald ein
Mann ihr zu nahe kam. Erst allmählich
begann sie zu realisieren, dass es nicht mehr
dazu kommen würde. Eine riesige Last schi-
en ihr von den Schultern zu fallen, und sie
spürte, wie ihr Körper weich und nachgiebig
wurde.

Auch Philip hatte die Veränderung bemerkt.
Es war, als wäre sie unter seinen Händen

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zum Leben erwacht. Sofort reagierte sein
Körper darauf. Doch dann gewann sein Ver-
stand wieder die Oberhand. Philip hob den
Kopf. „Wir sollten das nicht tun."

Sie blickte ihn leicht benommen an. „Nicht?"
fragte sie unsicher, zog sich jedoch nicht von
ihm zurück. Ihre Augen glänzten, ihre Lip-
pen waren halb geöffnet.

Philip konnte den Blick nicht von ihr
wenden. Sie sah so unglaublich süß und
begehrenswert aus, dass er all seine Wil-
lenskraft aufbieten musste, um vernünftig zu
bleiben.

„Nicht hier", sagte er rau.

Zart berührte sie mit dem Finger seine an-
gespannten Wangenmuskeln. Sie tat es mit
einer scheuen Geste, als hätte sie so etwas
vorher noch nie getan und wäre sich nicht
sicher, ob er es zulassen würde. Doch es

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schien auch so etwas wie ein Vertrauensbe-
weis zu sein, und beinahe wäre Philip
schwach geworden.

Er legte seine Hand über ihre. Sein Griff war
stärker als von ihm beabsichtigt, und er
hörte sie vor Schmerz leise aufschreien. „Tut
mir Leid", entschuldigte er sich reumütig.
„Ich wollte dir nicht wehtun, aber..."

„Ich weiß. Nicht hier." Zu seiner Verwunder-
ung schwang in ihrer Stimme ein zärtliches
Lachen mit. „Mein Bungalow liegt sehr
abgeschieden, wie geschaffen für Liebende
..."

Philip verstärkte den Druck seiner Finger.
Diesmal blieb Kit still.

Sie konnte nicht glauben, was sie da soeben
gesagt hatte. Seltsamerweise war es ihr je-
doch nicht peinlich. Solange Philip sie so

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verlangend ansah, war sie bereit, jedes
Risiko einzugehen.

„Es wäre nicht fair." Er klang, als würde er
mit sich kämpfen, und noch immer verrieten
seine dunklen Augen heftiges Verlangen.

Ohne den Blick von ihm zu wenden, führte
Kit seine Hand zu ihrer Brust. Durch das
dünne T-Shirt konnte er ihre kleine, feste
Brust mit der sich abzeichnenden Knospe
fühlen.

Welche Wirkung das auf ihn hatte, verriet
sein Blick.

Ein wunderbares Gefühl des Triumphes er-
füllte sie. Sie legte den Kopf in den Nacken
und warf ihr langes blondes Haar zurück,
das im Schein der vielen Kerzen golden
schimmerte. Sein begehrlicher Blick verriet,
dass

er

versucht

war,

ihr

Angebot

anzunehmen.

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„Genieße den Augenblick", flüsterte sie.

Er lächelte sie an, und ein erregender
Schauer überlief sie.

„Ist das eine Herausforderung?" fragte er
leise.

„Das musst du wissen. Ich habe noch nie ein-
en Mann im Mondschein verführt."

„Du machst es sehr gut." Sein Atem hatte
sich beschleunigt.

„Findest du?" Sie wusste selbst nicht, woher
sie den Mut nahm, so mit ihm zu flirten.

„Niemand würde dich für eine Anfängerin
halten."

„Trotzdem scheinst du von mir nicht gerade
überwältigt zu sein."

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Er küsste sie zärtlich auf die Lider. „Es fällt
mir nicht leicht, dir zu widerstehen", sagte er
und seufzte. „Aber ..."

In diesem Augenblick war das Splittern von
Holz zu hören. Kit erschrak und drängte sich
näher an ihn. „Offenbar war deine Vorsichts-
maßnahme berechtigt", versuchte sie zu
scherzen.

Doch Philip war nicht entgangen, dass ihre
Stimme leicht zitterte. „Kein Grund zur
Panik", versicherte er. „Entweder bringt man
uns das Dessert, oder mein netter Freiheit-
skämpfer von der Nachbarinsel besucht
mich. Wer es auch ist, ich werde mit ihm
fertig."

„Dein was?"

„Freiheitskämpfer", sagte Philip zerstreut. Er
löste sich von ihr und verließ lautlos den
Tempel.

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Kit schlich ihm auf Zehenspitzen hinterher.
„Was soll das heißen?" fragte sie hitzig.
Wütend zu sein war immer noch besser, als
vor Angst zu schlottern.

Philip bedeutete ihr mit der Hand, still zu
sein. Er ging geräuschlos zur Steilwand und
spähte vorsichtig hinunter. Kit folgte ihm.

Die Gondel war noch auf dem Weg nach un-
ten. Dort warteten zwei Männer. Einer von
ihnen trug ein Messingtablett mit einer ar-
abischen Kaffeekanne. Nur jemand vom
Hotelpersonal, dachte Kit erleichtert.

Doch Philip schien anderer Meinung zu sein.
Er nickte, als hätte er nichts anderes
erwartet.

„Kannst du auf Bäume klettern?" fragte er
leise über die Schulter.

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Sie fragte nicht, weshalb er das wissen wolle.
„Ja."

„Gut." Er drehte sich zu ihr um. „Ich möchte,
dass du dich auf einen Baum setzt und erst
wieder herunterkommst, wenn ich es dir
sage."

„Aber..."

„Nur eine Vorsichtsmaßnahme", sagte er mit
geradezu aufreizender Gelassenheit.

„Wahrscheinlich ist es völlig unnötig, aber tu
mir bitte den Gefallen. Es würde mich
beruhigen."

Kit schluckte. „Und was ist mit dir?"

Ihre Frage schien ihn zu überraschen. „Ich
werde damit fertig. Mit so etwas kann ich
umgehen."

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Verständnislos sah Kit ihn an. Offenbar
meinte er, was er sagte. Jedenfalls wirkte er
kein bisschen aufgeregt. Ja, er schien die
Situation sogar zu genießen.

„Komm jetzt. Dieser große Banyanbaum da
drüben ist genau richtig. Hinauf mit dir." Er
fasste sie fest um die Taille. War das der
Mann, dessen Blick sie noch Minuten zuvor
hatte dahinschmelzen lassen, den ihre Ber-
ührungen hatten erschauern lassen?

Benommen schüttelte Kit den Kopf. Sie
spürte die Kraft, die von Philips Armen aus-
ging, als er sie nun so lange hochhob, bis sie
einen Ast zu fassen bekam. Gewandt klet-
terte sie nach oben und setzte sich auf einen
dicken Ast.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der
Aufzug nach oben kam. Zwei Männer
entstiegen der Gondel, von denen einer wie
ein Kellner aussah. Der andere trug eine

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weite Hose und ein T-Shirt, beides in einer
dunklen Tarnfarbe. Er sah ziemlich gefähr-
lich aus.

„Guten Abend, Rafek", begrüßte Philip den
Mann ruhig.

Dieser

sah

ihn

mit

leicht

zusam-

mengekniffenen Augen an. „Guten Abend,
Engländer."

Die beiden kennen sich offensichtlich, dachte
Kit.

„Was wollen Sie, Rafek?"

Der andere lachte. „Ich habe versprochen,
dass ich an Ihren Verhandlungen teilnehmen
werde." Er breitete theatralisch die Arme
aus. „Hier bin ich."

„Und immer willkommen", sagte Philip höf-
lich. „Aber die Verhandlungen finden im

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Konferenzsaal statt. Ab morgen früh acht
Uhr."

Welche Verhandlungen? fragte sich Kit auf
ihrem Baum.

Rafek stemmte die Hände in die Hüften. „Vi-
elleicht würde ich lieber jetzt mit Ihnen al-
lein reden."

Philip musterte ihn gelassen. „Und wieso?
Ich finde den Zeitpunkt nicht gerade günstig.

„Sind Sie etwa nicht allein?" fragte Rafek
höhnisch.

Der Kellner mit dem Tablett, dessen Miene
immer besorgter wurde, sagte in der
Landessprache etwas zu Rafek.

„Als ich bemerkt habe, dass Sie auf dem Weg
nach oben waren, habe ich mich der Frau
entledigt", erklärte Philip kühl.

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Entledigt! Kit zuckte zusammen. Sie war also
nur eine x-beliebige Frau für ihn.

Unbedeutend und entbehrlich. Und diesem
Mann hatte sie ihr Herz ausgeschüttet!

Rafek grinste süffisant. „Was haben Sie mit
ihr gemacht?"

Philip überging die Frage mit einem Schul-
terzucken. „Sind Sie allein hier, Rafek?"

„Meinen Sie, meine Männer kommen den
Weg herauf und entführen Sie?" spottete
Rafek.

Philip blieb ungerührt. „Tun sie das?" fragte
er gelangweilt.

Rafek brach in brüllendes Gelächter aus.
„Ich mag Sie, Engländer. Nein, diesmal bin
ich allein. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass

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ich an den Verhandlungen teilnehmen
werde. Mehr nicht."

„Warum habe ich dann drei Ihrer Männer im
Rücken?" erkundigte sich Philip sachlich.

„Sie verstecken sich hinter der großen
Liane."

Diesmal fiel Rafeks Lachen nicht ganz so laut
aus. „Sehen Ihre Augen auch, was hinter Ihr-
em Rücken geschieht, Engländer?"

„Nein, aber ich habe gute Ohren."

Der Kellner fühlte sich nun sichtlich unwohl.
Rafek beruhigte ihn mit einem Wort und be-
fahl dann seinen Männer, aus dem Schatten
zu treten.

Kit spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach.

Doch Philip zeigte auch jetzt nicht das ger-
ingste

Anzeichen

von

Furcht.

„Guten

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Abend", sagte er in höflichem Plauderton
und wandte sich wieder an Rafek. „Werden
diese Gentlemen ebenfalls an den Verhand-
lungen teilnehmen?"

Der Anführer schnaufte verächtlich. „Nein,
nur ich. Sie tun lediglich, was ich sage."

Ein kalter Schauder lief Kit über den Rücken.
Sie wäre gern in Philips Nähe gewesen. Nicht
nur, weil sie sich bei ihm sicherer fühlte,
sondern auch, weil er so einsam aussah, wie
er da unten stand, umgeben von finsteren
Gestalten. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass
ihn eigentlich immer eine Aura von Ein-
samkeit umgab.

Aber einsam oder nicht, er beherrschte die
Situation meisterlich. „Vielleicht könnten Sie
Ihre Männer bitten, uns wieder zu verlassen
und unten auf Sie zu warten", schlug er fre-
undlich vor.

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Es folgte eine spannungsgeladene Pause,
und Kit hielt den Atem an.

Zweifellos war Philip es gewöhnt, zu be-
fehlen. Er klang ruhig und höflich, strahlte
jedoch eine natürliche Autorität aus, der sich
offenbar auch Rafek nicht zu widersetzen
vermochte.

Er tat entrüstet, gab aber letztendlich doch
nach. Er wandte sich zu den drei Männern
um und deutete mit einer Handbewegung
auf den Weg.

„Nein", sagte Philip. „Mir wäre es lieber,
wenn sie sich auf die gleiche Weise zurück-
ziehen würden, wie sie gekommen sind."

„Sie trauen mir wohl nicht?" fragte Rafek mit
grimmiger Miene.

Die beiden Männer blickten sich an. Der eine
war

sichtlich

zornig

und

vermutlich

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bewaffnet, der andere ruhig und beherrscht.
Trotzdem war Kit nicht überrascht, dass
auch diesmal wieder Rafek einlenkte.

„Na gut." Verärgert wies er mit dem Kopf
zum Aufzug.

Die drei Männer bestiegen die Gondel, und
der Kellner ließ den Aufzug nach unten
fahren.

Philip drehte leicht den Kopf, ohne allerd-
ings Rafek aus den Augen zu lassen. „Du
kannst jetzt herunterkommen", sagte er.

Er meint mich, dachte Kit schockiert. Wie
gleichgültig er geklungen hatte! Wenigstens
beim Namen hätte er sie nennen können.

Sie rutschte den Baumstamm hinunter und
schürfte sich dabei die Handflächen auf. Es
war ihr egal. Als sie ins Licht trat, schloss sie
geblendet die Augen und stand dann

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blinzelnd da. Sie wünschte sich, Philip würde
schützend den Arm um sie legen. Aber er
drehte ihr den Rücken zu.

Sie konnte sein Verhalten nicht begreifen.
Nachdem ihre Augen sich wieder an das
Licht gewöhnt hatten, bemerkte sie, dass er
sein kleines Mobiltelefon in der Hand hielt
und eine Nummer wählte. „Hardesty hier",
meldete er sich.

Abgesehen von seinem Namen, den sie mit
Sicherheit nie mehr vergessen würde, war er
nicht mehr der Philip, den sie kannte. Seine
warme Baritonstimme klang nun kühl und
nüchtern, und er selbst schien für sie so un-
erreichbar geworden zu sein wie die Sterne
über ihr.

„Nein", sagte er ins Telefon, „kein Problem.
General Rafek und ich sind nun endlich
zusammengekommen. Können Sie sich mit
uns treffen? Es gibt einen Aufzug zur

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Aussichtsplattform am großen Wasserfall. In
ihm fahren bereits drei seiner Männer nach
unten. Wir anderen kommen in wenigen
Minuten nach."

Man

konnte

nicht

hören,

was

der

Angerufene sagte, aber Philip lächelte.
„Nein, das war ebenfalls kein Problem."

Er spricht von mir, dachte Kit entsetzt. Sie
bedeutete für ihn nichts weiter, als „kein
Problem" zu sein. Dabei war es noch keine
Viertelstunde her, dass sie ihn in ihren Bun-
galow eingeladen hatte. Wie hatte sie sich
nur eine solche Blöße geben können?

Er sah auf, und ihre Blicke begegneten sich.
Seine Miene war völlig ausdruckslos. Man
hätte glauben können, er habe sie, Kit, noch
nie gesehen. Sie empfand sein Verhalten als
totalen Verrat, viel schlimmer als alles, was
Johnny ihr angetan hatte.

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Wie naiv sie gewesen war, ihm so viel über
sich zu erzählen! Gab es überhaupt noch et-
was, was er nicht von ihr wusste? Sie hatte
gewollt, dass er sie besser kennen lernen
sollte, und nun ... nun sah er sie an, als wäre
ihm niemand gleichgültiger als sie. Und sie
naive Närrin hatte ihn für einsam gehalten!

Er beendete sein Telefonat und schob das
Handy in die Hosentasche. „Die Gondel ist
zurück. Gehen wir."

Während der Fahrt nach unten unterhielt er
sich leise mit Rafek. Kit stand dicht neben
dem Kellner und so weit wie nur möglich von
Philip entfernt. Sie blickte starr auf einen
Punkt, um nur ja nicht zu weinen. Als sie un-
ten angekommen waren, stieg sie als Erste
aus. Sie wollte nur noch fort von hier.

Doch Philip unterbrach seine Unterhaltung
mit Rafek und vertrat Kit den Weg. „Ich

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werde jemanden beauftragen, dich zu deiner
Schwester zu bringen."

„Vielen Dank, Mr. Hardesty", entgegnete sie
kühl, „ich gehe lieber allein."

Sie bemerkte in seinem Blick eine Spur von
Unsicherheit. „Aber..."

„Es reicht, dass ich mich zu Tode erschrock-
en habe", unterbrach sie ihn schroff, und es
kam ihr. ganz gelegen, dass ihre Verletztheit
sich allmählich in Zorn verwandelte. „Ich
möchte Lisa nicht auch noch ängstigen."

„Ich fürchte, ich muss darauf bestehen", ant-
wortete er und blickte sich suchend um. Er
winkte den jungen Mann zu sich heran, der
sie gemeinsam mit einem in Armeeuniform
gekleideten Einheimischen unten am Aufzug
erwartet hatte. „Mein Assistent Fernando
wird dich begleiten."

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Kit

bedachte

Philip

mit

strahlendem

Lächeln. „Ich habe einige Abschürfungen ab-
bekommen und muss mich erst einmal in
meinem Bungalow verarzten. Den Weg dor-
thin finde ich allein."

„Ich möchte aber, dass jemand mit dir geht."
Philip packte sie am Ellbogen und entfernte
sich mit ihr einige Meter von Rafek. „Bitte,
geh mit Fernando."

„Du bist kein Naturforscher, stimmt's?"

Er zögerte. „Nein", sagte er dann kurz
angebunden.

„Ist überhaupt etwas wahr von dem, was du
mir erzählt hast?"

Einen Moment lang wirkte er bestürzt, doch
schon im nächsten Augenblick war seine
Miene wieder ausdruckslos. „Das zu beur-
teilen, überlasse ich dir."

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Kit geriet immer mehr in Rage. „Es wird
nicht einfach sein", erwiderte sie zynisch und
glaubte, in seinen Augen einen Ausdruck von
Verletztheit wahrzunehmen. Aber wahr-
scheinlich hatte sie sich getäuscht.

Inzwischen war der Assistent zu ihnen getre-
ten. „Philip?"

„Bitte bring Miss Romaine zu ihrem Bunga-
low zurück, Fernando. Sie ist schuldlos in
diese ganze Sache geraten, und ich möchte,
dass sie wohlbehalten nach Hause kommt."

Als wäre ich ein Paket, dachte Kit empört.
„Heißt das, ich bin in Gefahr?"

Er blickte kurz zu Rafeks Männern und sah
sie dann wieder an. „Nein", sagte er leise.
„Dir geschieht nichts, solange du dich von
mir fern hältst."

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Kit erschrak zutiefst, ließ sich ihre Angst je-
doch nicht anmerken. „Das wird mir nicht
schwer fallen", antwortete sie mit zucker-
süßem Lächeln. „Und auf die Eskorte ver-
zichte ich lieber. Gute Nacht."

Erst als sie außer Sicht war, begann sie zu
rennen.

Verdammt. Philip war wütend auf sich. Er
hatte Kit verletzt. Doch was hätte er anderes
tun sollen, solange er nicht mit Sicherheit
wusste, dass Rafek keine weiteren Männer
mehr auf der Insel postiert hatte? Hätten die
Freiheitskämpfer den Eindruck gewonnen,
Kit wäre ihm wichtig, dann würden sie sie
womöglich entführen und versuchen, ihn mit
ihr bei den Verhandlungen zu erpressen. Er
war also gezwungen gewesen, so zu tun, als
wäre sie ihm gleichgültig.

Natürlich konnte er von ihr nicht erwarten,
dass sie sein Verhalten verstand. Sie wusste

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ja nicht einmal, was er beruflich machte.
Und er durfte sie darüber nicht aufklären,
solange kein Friedensvertrag ausgehandelt
und von allen Delegierten unterzeichnet
worden war.

Aber vielleicht würde es dann zu spät sein.

„Kommen Sie mit, Rafek", stieß er zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor, „Sie
und ich haben viel zu besprechen. Und ich
hoffe für Sie, dass wir zu einem Ergebnis
kommen!"

Kit ging unter die Dusche. Die Abschürfun-
gen an ihren Händen begannen höllisch zu
brennen, als sie nass wurden, aber das war
ihr egal. Sie musste die erlittene Schmach
wegspülen, und sei es nur symbolisch.

Sie schämte sich ihrer kindischen Geständn-
isse. Philip Hardesty musste sie ja für einen
absoluten Schwachkopf halten. Und so hatte

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er sie ja auch behandelt. Hoffentlich laufen
wir uns hier nicht mehr über den Weg,
dachte sie verzweifelt. Sie würde es nicht
überstehen.

Für Philip wurde es eine lange Nacht. Sein
bisher eher beschränkt wirkender Leib-
wächter hatte sich urplötzlich in einen
schnell

und

kompetent

handelnden

Armeeangehörigen verwandelt. Er forderte
über Funk Verstärkung an, und wenig später
wimmelte es überall von schweigsamen
Männern in Kampfanzügen.

Das

veranlasste

auch

Rafek,

sein

wichtigtuerisches Gehabe aufzugeben und
seine Forderungen klar zu benennen. Philip
informierte ihn über das bisherige Verhand-
lungsergebnis und entließ ihn dann in die ei-
lig für ihn hergerichtete Suite.

Danach kehrte Philip in den Konferenzsaal
zurück. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte,

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ins Bett zu gehen. Er würde ja doch nicht
schlafen können, sondern ständig darüber
nachdenken, wie er Kit wieder versöhnen
konnte.

Als die Delegierten am nächsten Morgen in
den Konferenzsaal kamen, sah ihr Verhand-
lungschef zwar ein wenig übernächtigt aus,
aber er hatte sich völlig unter Kontrolle.

Er hatte geduscht, sich rasiert und die
Kleidung gewechselt, und niemand achtete
darauf, dass er sich mehrmals über das linke
Auge strich.

„Gentleman, ich glaube, Sie alle kennen
diesen Herrn", eröffnete er ruhig die Sitzung.
„Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können,
dass er beschlossen hat, an den Verhandlun-
gen teilzunehmen, die damit einen neues
Stadium erreicht haben."

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Diesmal verliefen die Diskussionen bedeu-
tend lebhafter als zuvor. Es wurde geschrien
und gedroht, doch Philip gelang es immer
wieder, die Parteien zu beruhigen.

Es gab keine Unterbrechungen, und das
Essen wurde im Konferenzsaal serviert. Die
einzelnen Delegierten zogen sich zwischen-
durch zu geheimen Beratungen zurück,
gaben bisher erzielte Ergebnisse weiter und
holten sich neue Anweisungen.

Bereits am Nachmittag reisten einige Journ-
alisten per Hubschrauber an. Es kursierten
Gerüchte, dass man kurz vor einer Einigung
stehe und es nur noch um technische Details
gehe.

Natürlich hatte Lisa am nächsten Tag Kit so
lange bearbeitet, bis diese ihr erzählte, wo sie
sich die Abschürfungen an den Händen
zugezogen hatte.

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„Sprichst du von dem Mann, den du am er-
sten Abend kennen gelernt hast?" fragte Lisa
neugierig. „Der so sexy aussah?"

Die beiden Schwestern saßen unter einer
Palme am Strand unterhalb von Kits
Bungalow.

Es war später Nachmittag, und sie hatten
den Tag mit Schwimmen und Faulenzen
verbracht.

Da Lisa sich noch kein einziges Mal über
ihren Mann beschwert hatte, nahm Kit an,
dass die beiden sich endlich wieder versöhnt
hatten.

Es war ihr unangenehm, ihre Schwester
danach zu fragen, aber noch peinlicher war
ihr die Beantwortung von Lisas Frage. „Ja",
sagte Kit und spürte verärgert, dass sie rot
wurde.

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Lisa schnitt ein Gesicht. „Auf jeden Fall
scheint er alles bestens im Griff gehabt zu
haben."

„O ja, bestens", bestätigte Kit grimmig. „Erst
hat er mich den größten Unsinn reden lassen
und mich dann auch noch zu bevormunden
versucht."

„Das kommt dir nur so vor, weil er dich nicht
angefasst hat."

„Natürlich hat er es getan", sagte Kit
ungnädig.

Lisa zog die Brauen hoch. „Er hat dich
angefasst?"

„Nicht so, wie du meinst."

„Wie dann?"

„Hör auf, mich ins Kreuzverhör zu nehmen!"
rief Kit.

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Lisa lächelte zufrieden. „Willkommen in der
Realität, Schwesterherz. Es wurde ja auch
Zeit."

Während Kit noch nach einer passenden
Antwort suchte, kam Nikolai angejoggt. Sein
Haar war völlig zerzaust, und er strahlte über
das ganze Gesicht.

„Hardesty hat in zwanzig Minuten eine
Pressekonferenz anberaumt", verkündete er
fröhlich. „Offenbar wurde eine Einigung
erzielt." Er setzte sich neben Lisa und schen-
kte ihr ein inniges Lächeln. „Von jetzt an
hast du mich ganz für dich allein, mon
amour."

Die sexuelle Spannung zwischen den beiden
war selbst für Kit spürbar. Unwillkürlich
rückte sie ein wenig von ihrer Schwester ab.
Erst dann wurde ihr bewusst, welchen Na-
men er genannt hatte. „Hardesty?" fragte sie.

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„Ja,

der

Verhandlungschef",

bestätigte

Nikolai, nahm Lisas Hand und führte sie an
seine Lippen.

O nein! dachte Kit entsetzt. Sie hatte sich
nicht einfach nur zum Narren gemacht, son-
dern sich dazu den obersten Boss ausge-
sucht. Vor Schreck biss sie sich so fest auf die
Lippe, dass sie unfreiwillig leise aufschrie.

Lisa blickte sie verwundert an.

„Ihr werdet ihn noch nicht gesehen haben,
weil er die ganze Woche kaum aus dem Kon-
ferenzsaal gekommen ist", erklärte Nikolai.
„Der Kerl verdient großen Respekt. Es ist
hauptsächlich ihm zu verdanken, dass dieser
Friedensvertrag zu Stande gekommen ist.

Und er hat uns die offizielle Genehmigung
verschafft, im ganzen Inselstaat die ver-
schiedenen Affenarten zu filmen und zu er-
forschen. Vielleicht können wir mithelfen,

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den rapiden Rückgang der einheimischen
Primatenpopulation zu stoppen."

„Wundervoll", sagte Lisa, die wohl vergessen
hatte, dass sie noch tags zuvor am liebsten
jeden seiner geliebten Affen persönlich aus-
gerottet hätte.

Er verschränkte seine Finger mit ihren. „Wir
Naturschützer haben ihn gebeten, heute
Abend ein Glas Champagner mit uns zu
trinken. Zu mehr wird er keine Zeit haben,
aber wir wollen uns wenigstens formell bei
ihm bedanken. Kommst du mit, Lisa?"

Seine Frau lächelte ihn auf eine Weise an,
die

keiner

Bestätigung

durch

Worte

bedurfte.

„Du auch, Kit?" fragte er seine Schwägerin.

„Nein", sagte sie mit seltsam klingender
Stimme. Keine zehn Pferde würden sie dahin

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bringen. Sie räusperte sich. „Nein, ich
komme nicht mit."

„Aber warum denn nicht?" Lisa sah sie
stirnrunzelnd an.

Kit kannte und fürchtete diesen Blick ihrer
Schwester und suchte krampfhaft nach einer
Ausrede, aber ihr fiel nichts Besseres ein als:
„Ich habe nichts Passendes anzuziehen."

„O doch", widersprach Lisa triumphierend.
„Ich weiß, dass du Tatianas schwarzes Cock-
tailkleid dabeihast. Dazu kannst du meine
langen Ohrringe tragen, und ich werde dir
das Haar hochstecken. Du wirst wunder-
schön aussehen."

Kit machte alle möglichen Ausflüchte, kon-
nte sich jedoch gegen ihre Schwester nicht
durchsetzen.

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„Ich bin sicher, dieser Mann, von dem du
mir erzählt hast, ist auch da", sagte Lisa
abends zu ihrer Schwester, während sie Kit
die Haare machte.

Kit schnitt ihrem Spiegelbild ein Gesicht.
„Wieso sollte ich mir das wünschen?"

„Weil du bemerkt hast, dass er sexy aus-
sieht", sagte Lisa ohne Umschweife. „Bei
keinem

anderen

ist

dir

das

bisher

aufgefallen."

Kit biss die Zähne zusammen und schwieg,
was nicht weiter auffiel, da Nikolai ins Zim-
mer kam. Er schwang einen Computeraus-
druck in der Hand. „Frisch von der Presse.
Einer der Journalisten hat ein Blatt mit
seinem Lebenslauf verteilt."

„Dem Lebenslauf von wem?" fragte Lisa.

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„Von unserem Ehrengast Philip Hardesty,
dem Retter des Regenwaldes", antwortete
Nikolai. Er reichte das Blatt seiner Frau und
verschwand pfeifend im Bad.

Kit war von ihrem Stuhl aufgestanden und
studierte gemeinsam mit Lisa den Bericht.

Sir Philip Hardesty entstammt einer alten
britischen Aristokratenfamilie. Einer seiner
Vorfahren kämpfte in Agincourt, ein ander-
er war dabei, als Drake die spanische Ar-
mada versenkte. „Halb Europa hat Grund,
meine Familie zu hassen", erklärte er kürz-
lich in einem Interview.

„Sir!" sagte Kit und hörte zu lesen auf. Nun
verstand sie, weshalb er sie so sonderbar an-
gesehen hatte, als sie ihn mit Mr. Hardesty
anredete. Er war keineswegs verunsichert
gewesen, wie sie geglaubt hatte, sondern nur
verärgert, weil sie ihn nicht mit seinem Titel
angesprochen hatte.

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„Ein diplomatisches Genie", las Lisa laut vor,
„gewiefter Taktiker ..."

„Wie wahr", murmelte Kit.

„Wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch
die Konferenz von Tetlakhan bekannt, bei
der sein Boss einen Herzinfarkt erlitt", las
Lisa unbeirrt laut weiter. „Besitzer von Ash-
barrow, dem Familienbesitz der Hardestys,
einem Juwel mittelalterlicher Architektur.

Hat sich dort in letzter Zeit selten sehen
lassen. Nach Auskunft seiner in New York
lebenden Freundin Soralaya Khan könnte
sich das jedoch künftig ändern."

Unwillkürlich stöhnte Kit leise auf.

„Nun stell dich nicht so an", meinte Lisa, die
Kits Stöhnen falsch interpretierte. „Er kann
doch nichts dafür, dass er mit einem Titel ge-
boren wurde. Jedenfalls scheint er ein

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anständiger Kerl zu sein, der gute Arbeit
geleistet hat."

Kit sah ihre Schwester trotzig an.

„Abgesehen davon ist er der Ehrengast", fuhr
Lisa munter fort. „Die Tierfreunde werden
sich um ihn scharen, so dass wir sowie nicht
in seine Nähe kommen."

„Hoffentlich hast du Recht." Kit hoffte es von
ganzem Herzen.

Kit schlüpfte hinter ihrer Schwester in den
Saal und versuchte, hinter Säulen und
großen Männern in Deckung zu gehen. Sie
redete sich damit heraus, dass sie sich in
dem geborgten Kleid unwohl fühle, und Lisa
akzeptierte es. Noch letzte Woche hätte dies
der Wahrheit entsprochen, doch heute
Abend war Kit kaum bewusst, wie umwer-
fend sie aussah. Das Oberteil spannte sich
eng um ihre Brüste, die tropfenförmigen

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Ohrgehänge betonten ihren schlanken Hals,
und da sie größer war als Tatiana, endete der
Rock über dem Knie und gab den Blick auf
ihre schlanken und leicht gebräunten Beine
frei.

Sie nahm auch die bewundernden Blicke der
Männer nicht wahr, sondern richtete ihre
Aufmerksamkeit ausschließlich darauf, von
Philip - Sir Philip! - nicht gesehen zu werden.

Zum Glück hatte sich eine dichte Gruppe um
ihn gebildet, und jeder schien auf ihn ein-
zureden. Er stand ruhig da, mimte den
aufmerksamen Zuhörer und hatte offenbar
keine Mühe, die richtigen Antworten zu
geben. Beherrscht und gelassen, wie immer,
dachte Kit verdrießlich.

Doch dann beobachtete sie, wie er beim Ab-
setzen seines Glases beinahe die Tischkante
verfehlt hätte. Er sah sich unauffällig um,

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wie um zu prüfen, ob jemand etwas bemerkt
hatte.

Unvermutet begegneten sich ihre Blicke.

Blitzschnell duckte Kit sich und wollte die
Flucht antreten, lief aber dummerweise ihr-
em Schwager in die Arme.

„Da bist du ja", sagte Nikolai erfreut und zog
sie mit sich. „Ich möchte, dass du unseren
Ehrengast kennen lernst. Darf ich vorstellen:
Philip Hardesty, meine Schwägerin Kit
Romaine."

Kit blieb wie versteinert stehen. Würde er die
Frechheit haben zuzugeben, dass er sie auf
einen Ausflug mitgenommen hatte, der sich
zu einem einzigen Fiasko entwickelt hatte?

„Kit und ich kennen uns bereits", sagte er
ruhig und lächelte sie an.

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„Kennen

würde

ich

als

übertrieben

bezeichnen", widersprach sie zuckersüß. „Sie
hatten zu erwähnen vergessen, welch berüh-
mter Mann Sie sind."

Nikolais

Gesicht

war

ein

einziges

Fragezeichen. „Ich wollte meiner Frau etwas
zu trinken besorgen", entschuldigte er sich
schnell und verschwand in der Menge.

„Es tut mir Leid", sagte Philip schlicht.

„Warum haben Sie es mir verschwiegen?
Dachten Sie, ich sei zu dumm, zu verstehen,
was Sie beruflich tun?"

Bestürzt sah er sie an. „Natürlich nicht!"

„Wieso haben Sie es dann getan?"

Er zuckte die Schultern. „Ich spreche den
ganzen Tag über nichts anderes als Taktiken
und Strategien und all die entsetzlichen

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Dinge, die Menschen einander antun, wenn
sie sich bedroht fühlen. Da wollte ich eben
einmal..."

„Abschalten?"

„Ja, wahrscheinlich."

„Und Sie dachten, mit mir wäre eine ans-
pruchslose Unterhaltung möglich?"

Es schockierte ihn offensichtlich, dass sie ihn
so einschätzte. „Ich wusste nicht, wie em-
pfindlich Sie sind, sonst..."

„Ich bin nicht empfindlich", stieß Kit zwis-
chen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Warum sind Sie dann so verärgert?" fragte
er.

Seine Ruhe und Beherrschtheit reizten Kit
bis aufs Blut, und sie musste sich zusam-
menreißen, ihm nicht ins Gesicht zu

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schlagen. „Weil ich keine Lügner mag. Ich
habe Sie nicht gebeten, mir etwas zu erzäh-
len. Sie hätten mich nicht anzuschwindeln
brauchen."

„Das habe ich nicht getan", versicherte er mit
einem zärtlichen Lächeln, das bei Kit
Mordgedanken weckte. „Ich haben nur das
eine oder andere ausgelassen. Falls Sie noch
etwas wissen wollen, fragen Sie nur."

Kits grüne Augen funkelten zornig. „Na gut.
Welche Pläne hatten Sie, als wir zum
Wasserfall gingen?"

„Welche Pläne?"

„Sie haben später gesagt, dass Sie nicht
vorgehabt hätten, mich zu verführen. Stimmt
das?"

Als erfahrener Verhandlungsführer erkannte
Philip die Falle, die sie ihm stellte. „Kit..."

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Sie war viel zu wütend, um ihn ausreden zu
lassen. „Es heißt, Sie seien ein gewiefter Tak-
tiker. Ich mag es jedoch nicht, wenn man
mich für dumm verkauft."

„Das habe ich nicht getan", verteidigte sich
Philip, der sich nicht erinnern konnte, dass
er sich jemals derart hilflos gefühlt hatte.

„O doch!" beharrte. Kit. „Ich habe mich völ-
lig zum Narren gemacht, und Sie haben sich
darüber köstlich amüsiert."

Er war blass geworden. „Das meinen Sie
doch nicht im Ernst."

Kit war nicht mehr zu bremsen. „Nun, Sie
hatten Ihren Spaß, aber ein zweites Mal wer-
den Sie sich nicht mehr auf meine Kosten
amüsieren. Gute Nacht."

Sie ließ den Ehrengast inmitten seiner
Bewunderer stehen und stürmte davon. Lisa

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wollte ihr nachlaufen, doch ihr Mann hielt
sie zurück.

Rasend vor Zorn und Empörung, eilte Kit
mit Riesenschritten am Strand entlang zu
ihrem Bungalow, und der Zauber tropischer
Nächte war an diesem Abend an sie
verschwendet.

Wie hatte Philip Hardesty es wagen können,
in diesem gönnerhaften Ton mit ihr zu
sprechen? Hatte er etwa geglaubt, er könnte
sie ebenso manipulieren wie die Menschen,
mit denen er normalerweise zu tun hatte?

Sie riss die Tür ihres Bungalows auf und ver-
setzte

dem

Papierkorb

wütend

einen

Fußstoß.

Das ernüchterte sie etwas, und sie spürte,
wie ihr Zorn langsam abflaute. Sie goss sich
in ein Glas Mineralwasser ein und ging
hinaus auf die Terrasse.

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Der Himmel war mit Sternen übersät, die
wie Diamanten auf schwarzem Samt funkel-
ten und zum Greifen nahe zu sein schienen.
Unwillkürlich hielt Kit sich die Augen zu.
Lisa hatte Recht. Wenn es einem schlecht
ging, machte die Schönheit dieser Insel alles
nur noch schlimmer. Und im Moment fühlte
Kit sich so elend wie schon lange nicht mehr.

Plötzlich glaubte sie, Schritte im Sand zu
hören. Sie ließ die Hand sinken und sah eine
große Gestalt näher kommen. Nein, so weit
würde er nicht gehen. Sie ging zum Geländer
und blickte hinunter.

Es war tatsächlich Philip, der auf ihren Bun-
galow zuschlenderte. Sie sah seine weißen
Zähne aufblitzen. Er besaß also die Unver-
schämtheit, auch noch zu lächeln. „Kit, wir
können es nicht dabei belassen", sagte er
ruhig.

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„Ich schon", entgegnete sie schroff. „Und was
Sie tun, ist mir egal."

„O Liebes", sagte er zärtlich, „ich wollte dich
doch nicht kränken."

Kit blinzelte die Tränen weg. Ich werde nicht
weinen, ich bin nicht traurig, und schon gar
nicht werde ich in Selbstmitleid zerfließen,
ermahnte sie sich. „Sie haben mich nicht
gekränkt. Und benutzen Sie mir gegenüber
nie mehr das Wort ,Liebe'."

Es folgte eine kleine Pause. „Ich scheine stets
das Falsche zu sagen", meinte er schließlich,
und seine Stimme klang leicht verzweifelt.

„Versuchen Sie es mit einem Gute Nacht",
schlug Kit vor.

Er ging die Treppe zu ihrem Bungalow hin-
auf. Kit vertrat ihm den Weg zur Terrasse.

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Natürlich war das kindisch, aber sie wusste
sich nicht anders zu helfen.

Philip nickte und wandte sich ab.

Er geht! dachte sie entsetzt, aber da machte
er einen Schritt seitwärts und sprang mit
einem Satz über das Geländer.

„Wie sportlich!" spottete Kit, obwohl sie
insgeheim durchaus beeindruckt war. „Ich
habe gelesen, dass Sie sich in Form halten."

„Egal, was du über mich gelesen hast, du
musst mich anhören."

„Haben Sie sich inzwischen eine neue
Geschichte für mich ausgedacht?" fragte sie
ironisch.

Philip gab den Versuch auf, sie zu besänfti-
gen. „Red keinen Unsinn. Alles, was ich dir
erzählt habe, war wahr. Schön, ich habe

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einiges ausgelassen, aber du wirst ja wohl
nicht schon bei der ersten Verabredung ein-
en detaillierten Lebenslauf von mir erwartet
haben, oder?"

„Es war keine Verabredung", widersprach sie
nervös, als er langsam auf sie zuging.

„O doch", sagte Philip und zog sie in seine
Arme.

Plötzlich schien es nach Rosen zu duften und
das Meeresrauschen anzuschwellen. Oder
schlug nur ihr, Kits, Herz so laut?

Als er sie an der Lagune geküsst hatte, war
sie scheu ins Wasser geflüchtet, und im Tem-
pel hatte er sie kaum berührt. Jetzt aber war
sie nicht mehr schüchtern, und Tatianas
Kleid war ebenfalls kein Hindernis.

Er ließ die Hände unter ihren Rock gleiten,
schob ihn hoch und hatte ihr das Kleid im

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nächsten Augenblick auch schon ausgezo-
gen. Achtlos warf er das edle Stück zu Boden
und presste erneut den Mund auf Kits Lip-
pen, während seine Hände besitzergreifend
ihre Rücken streichelten.

Mit zittrigen Finger begann Kit, an seiner
Krawatte zu zerren. Sie hatte noch nie ver-
sucht, einem Mann die Krawatte abzuneh-
men, und fühlte sich schrecklich unsicher,
schaffte es aber schließlich, sie ihm über den
Kopf zu ziehen. Mit Knöpfen und Reißver-
schlüssen wurde sie leichter fertig, von Philip
tatkräftig unterstützt.

Er zog sie auf den Holzboden der Terrasse.
Dann bedeckte er ihr Gesicht und ihren Hals
mit Küssen und flüsterte immer wieder ihren
Namen, als könnte er nicht glauben, dass sie
in seinen Armen lag. „Kit. Meine Kit."

Ihre Haut schien überall zu glühen, wo er sie
berührte, und Kit stöhnte vor Lust. Erneut

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suchte sein Mund ihre Lippen, und während
sie sich immer leidenschaftlicher küssten,
drückte er sie an sich und ließ sie spüren, wie
erregt er war.

Noch nie hatte Kit einen so überwältigenden
Ansturm von Gefühlen erlebt. Sie spürte
nicht nur körperliches Verlangen, sondern
war eins mit dem Universum und befreit von
allen Ängsten. Sie überließ sich ganz ihren
Gefühlen und Philip, der sie zu einem
rauschenden Höhepunkt führte.

Erst als sie wieder klar denken konnte,
merkte sie, dass sie allein den Gipfel der Lust
erklommen hatte.

Sofort quälte sie wieder die alte Furcht. „Was
ist passiert? Willst du mich nicht?"

Warum hörte sich bei ihr nur immer alles
gleich so pathetisch an? „Ich meine ..."

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Er verschloss ihr mit dem Finger den Mund.
„Ich weiß, was du meinst. O ja, ich will dich."

Seine Stimme klang gequält. „Vielleicht sog-
ar zu sehr. Aber ich habe nichts dabei, um
dich zu schützen."

Vor Erleichterung seufzte sie laut auf. „Das
ist mir egal." Sie begann ihn aufreizend zu
streicheln, doch er hielt ihre Hände fest.

„Mir nicht."

„Aber..."

„Wir müssen vernünftig sein. Morgen wirst
du mir dafür dankbar sein." Er schien selbst
nicht zu glauben, was er sagte, und das gab
Kit Mut.

Sie lachte leise. „Aber ich lebe nach der
Devise: Genieße den Augenblick. Hast du das
vergessen?"

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Er zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt.
„Genug jetzt."

Fassungslos blickte Kit ihn an. Von ihrem
neu erwachten Selbstvertrauen war nichts
mehr zu spüren.

Er war aufgestanden und suchte mit verbis-
sener Miene seine Kleidung zusammen. „Ich
wollte das nicht", murmelte er. „Ich hatte
mir geschworen, dass ich nicht..."

Ihr war, als hätte er sie mit eiskaltem Wasser
Übergossen. Sie rappelte sich auf und em-
pfand es als besonders demütigend, dass sie
völlig nackt war. „Bitte, geh jetzt", sagte sie,
mühsam beherrscht.

Jäh hielt er in der Bewegung inne und sah
Kit entsetzt an. Er hat doch wohl nicht er-
wartet, dass ich mir eine solche Behandlung
gefallen lasse, dachte sie.

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Philip war zu spät klar geworden, was er
gesagt hatte. „So habe ich es nicht gemeint,
Kit.

Du hast mich missverstanden."

„O nein", sagte sie leise. „Leb wohl."

Sie ging hinein und schloss zitternd die Tür
hinter sich. Sie fühlte sich ganz erbärmlich.

Er hatte sie geküsst und in den Armen gehal-
ten und zur Ekstase gebracht. Aber er hatte
nie vorgehabt, mit ihr diese Ekstase zu
teilen. Erneut hatte sie ihm vertraut, und
wieder hatte er sie zum Narren gehalten. Das
würde sie ihm nicht verzeihen.

Sie rief Lisa an. „Ich habe beschlossen, nach
Hause zu fliegen", sagte sie und war er-
staunt, wie ruhig ihre Stimme klang. „Da die
Konferenz nun beendet ist und Nikolai

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wieder Zeit für dich hat, wirst du mich nicht
allzu sehr vermissen."

Lisa protestierte nur halbherzig, und selbst
wenn es anders gewesen wäre, hätte Kit
nichts davon abhalten können, auch nur eine
Minute länger als nötig auf der Insel zu
bleiben. Auf keinen Fall wollte sie riskieren,
Philip Hardesty noch einmal über den Weg
zu laufen.

Glücklicherweise konnte ihr Nikolai einen
Platz in einem Hubschrauber besorgen, der
am nächsten Morgen Journalisten zum in-
ternationalen Flughafen der Hauptstadt
bringen würde.

Dort konnte sie dann das nächste Flugzeug
nach Europa nehmen.

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6. KAPITEL

Kit war froh, dass sie sofort nach ihrer Rück-
kehr den Frühjahrsputz in Pimlico in Angriff
nehmen konnte. Sie benötigte einige Zeit für
sich allein, um ihr inneres Gleichgewicht
wieder zu finden, und hörte sich diesmal bei
der Arbeit einen Sprachlehrgang in Spanisch
an.

Nach einer Woche strahlte das Haus vor
Sauberkeit, und Kit konnte genügend Span-
isch, um an einem Konversationskurs teil-
nehmen zu können.

„Immerhin ein kleiner Fortschritt", lautete
Tatianas ungebetener Kommentar.

Lisa kam allein von Coral Cove zurück. Trotz
ihrer Sonnenbräune sah sie verhärmt aus.

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„Nikolai und ich hatten eine weitere Ausein-
andersetzung", erzählte sie, als Kit sich nach
ihm erkundigte. „Er ist vorzeitig abgereist,
um irgendwo Affen zu beobachten. Wo, weiß
ich nicht, und es interessiert mich auch
nicht."

„O Lisa, was ist denn nur los mit euch? Ihr
seid doch miteinander so glücklich gewesen."

Lisa zuckte die Schultern. „So geht es eben."

Allmählich begann Kit, sich wegen der
beiden

ernsthaft

Sorgen

zu

machen.

„Worüber habt ihr diesmal gestritten?"

„Nun ja, es ging um dich."

„Um mich?" fragte Kit ungläubig.

Lisa sah sie forschend an. „Ich nehme an, der
sexy Mann vom ersten Abend war Philip
Hardesty?" Sie sah, wie Kit rot wurde.

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„Dachte ich es doch. Er hat uns nach deiner
Adresse gefragt, und da Nikolai ihn für einen
anständigen Kerl hält, wollte er sie ihm
geben. Ich habe es ihm jedoch verboten, und
das hat ihm nicht gepasst."

„O nein!" Kit tat das alles schrecklich Leid.
„Du hättest nicht meinetwegen mit ihm
streiten sollen."

Lisa seufzte tief auf. „Ach Kleines, wenn wir
uns nicht über dich gestritten hätten, dann
eben über etwas anderes. Im Moment kom-
men wir einfach nicht miteinander aus. Zum
Glück hat Nikolai seine Affen, und ich bin in
den nächsten Wochen beruflich ebenfalls viel
auf Reisen, so dass wir uns wohl eine Weile
nicht sehen werden. Es wird uns helfen, die
Krise zu überstehen."

„Und wenn nicht?" fragte Kit schuldbewusst.

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Lisa hob trotzig das Kinn. „Dann erhöhen
wir die Scheidungsstatistik." Ihre Stimme
klang hart.

Kit biss sich auf die Lippe.

„Nun sieh mich nicht gleich so an", sagte
Lisa, und ihr Gesichtsausdruck wurde
weicher.

„Ich bin nicht wie Mom. So schnell lasse ich
mich nicht unterkriegen."

In stillschweigender Übereinstimmung ka-
men sie danach nicht mehr auf Coral Cove zu
sprechen. Selbst während des einmal monat-
lich stattfindenden Essens bei ihrer auf dem
Land lebenden Mutter hielten sich die Sch-
western mit Äußerungen über den gemein-
samen Urlaub sehr zurück, und kein einziges
Mal fiel der Name eines Mannes.

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„So, und nun erzähl mir, was da unten
passiert ist", forderte Flora Stevens, Kits an
diesem

Sonntag

ebenfalls

eingeladene

Taufpatin, ihre Nichte auf, als sie beide in
der Küche das Geschirr in die Spülmaschine
räumten.

Kit beschäftigte sich angelegentlich mit dem
Besteck. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst."

„Du und Lisa seid in Bezug auf euren Urlaub
verdächtig diskret", sagte Flora ohne Umsch-
weife. „Es ist sogar eurer Mutter aufgefallen,
und das will etwas heißen. Ist dir vielleicht
Nikolai zu nahe gekommen?"

„Flora!" Kit war aufrichtig schockiert.

„Er ist ein gut aussehender Mann, und da
Lisa im Moment ungenießbar ist, würde ich
es ihm nicht einmal verdenken."

„Aber ich!" widersprach Kit energisch.

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Flora sah keineswegs schuldbewusst aus.
„Wenn es nicht Nikolai war, welcher Mann
hat dich dann so durcheinander gebracht?"

„Muss es sich denn immer gleich um einen
Mann handeln?" fragte Kit gereizt.

„Wenn eine Frau urplötzlich ihr Verhalten
ändert, steckt meistens ein Mann dahinter.

Du hast aufgehört, jedes Mal zusammen-
zuzucken, wenn du an einem Spiegel
vorbeigehst."

Kit wusste nicht, ob sie lachen oder we-
glaufen sollte. „Du bist schlimmer als die
spanische Inquisition."

„Na gut." Liebevoll strich Flora ihrer Nichte
eine blonde Locke aus dem Gesicht. „Ich
werde dich nicht weiter bedrängen."

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„Das hätte auch keinen Sinn, weil es nichts
zu berichten gibt."

Während der Rückfahrt in Lisas rotem
Sportwagen sagte Kit plötzlich nachdenklich:

„Ich habe mir überlegt, dass ich in meiner
Diele gern einen Spiegel hätte. Möglichst
groß und mit einem breiten Holzrahmen."

Lisa warf ihr einen überraschten Blick zu,
sagte aber nur: „Dann sollten wir am näch-
sten Wochenende mal die Flohmärkte
durchstöbern."

Sie fanden tatsächlich etwas Passendes und
verbrachten einen anstrengenden Sonntag-
nachmittag damit, einen großen Spiegel
unter Tatianas Kommando aufzuhängen.

„Was ist das für eine Welt, in der zwei junge,
hübsche Frauen sich mit so einem schweren

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Ding abschleppen", schimpfte die alte Dame.
„Links einen Zentimeter weiter nach oben.

Einfach lächerlich. Hier muss ein Mann her."

„Nein!" riefen beide Schwester wie aus
einem Mund. Dann sahen sie sich an und
lachten.

Nach diesem Sonntag sah Kit nur noch
wenig von ihrer Schwester. Nicht nur Lisa
war beruflich viel auf Reisen, sondern auch
Kit war ständig unterwegs. Sie nahm nun
mehrmals

wöchentlich

Fahrunterricht.

Außerdem hatte sie bei einem von ihrer
Spanisch-Konversationsgruppe

veranstal-

teten Salsaabend ihre Liebe zum Tango ent-
deckt und sich mit einigen anderen aus ihrer
Klasse zu einem Tangotanzkurs angemeldet.

Noch vor zwei Monaten hätte Kit es nicht er-
tragen, sich im eng anliegenden Trikot und
mit schwingendem Rock vor anderen zu

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zeigen. Doch nun erschienen ihr die früheren
Bedenken unsinnig.

Außerdem zwang sie sich, jeden Morgen, be-
vor sie zur Arbeit ging, einen Blick in den
Spiegel zu werfen. Zwar war ihre zarte Ur-
laubsbräune inzwischen verblasst, aber Kit
fand, dass sie trotzdem ganz annehmbar
aussah.

Überhaupt entdeckte sie ständig neue Seiten
an sich, wie etwa, dass es ihr Spaß machte,
mit einem Partner zu tanzen. Sicher, sie gab
noch immer jedem einen Korb, der sich mit
ihr verabreden wollte, aber sie empfand den
Körperkontakt mit einem Mann nicht mehr
als bedrohlich.

Kit interessierte sich nun auch für interna-
tionale Politik, studierte ausgiebig die
Tageszeitungen und holte sich weitere In-
formationen aus dem Internet.

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Der Name „Philip Hardesty" tauchte fast täg-
lich irgendwo auf, während Soralaya Khan
nur selten Erwähnung fand. Sie galt als Ex-
pertin für den Erdölmarkt und arbeitete für
eine New Yorker Großbank. Bei der letzten
Ölpreiserhöhung hatte ein Fernsehsender
ein Interview mit ihr ausgestrahlt, und in
einem Wochenmagazin waren einige Fotos
von ihr zu sehen, die sie auf einem
Wohltätigkeitsball zeigten.

Sie war eine rassige dunkelhaarige Schönheit
mit der Figur eines Models und sah in dem
weißen Spitzenkleid einfach umwerfend aus.
Nicht herausfordernd sexy, sondern elegant
und selbstsicher. Dem Begleittext war zu
entnehmen, dass sie mehrere Universitäts-
diplome besaß und aus einer reichen,
vornehmen Familie kam.

Auf einem Foto war sie mit Philip Hardesty
abgebildet. Er trug einen weißen Smoking
und hatte diesen kühlen, unnahbaren

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Gesichtsausdruck, den Kit schon kannte.
Nun ja, er wirkte nicht unbedingt glücklich,
aber das änderte nichts daran, dass die
beiden ein perfektes Paar bildeten. Wie eben
zwei Menschen es tun, die der gleichen
Gesellschaftsschicht entstammten.

Es war gut, dass ich sofort abgereist bin,
dachte Kit. Sie sollte besser jede Erinnerung
an Philip Hardesty aus ihrem Gedächtnis
verbannen, denn sie würde ihn bestimmt nie
wieder sehen.

Philip saß entspannt in dem bequemen
Ledersessel und erwartete ruhig den Befund.
Er rechnete nicht mit einer guten Nachricht,
obwohl es sich bei dem Arzt um einen der
besten

Augenspezialisten

New

Yorks

handelte.

Der Mediziner setzte sich auf die Kante
seines Schreibtisches und klopfte mit dem
Kugelschreiber auf die Krankenakte.

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„Nun?" fragte Philip. „Keine Angst, ich kann
die Wahrheit vertragen, wie immer sie auch
lautet."

Der Doktor nickte. „Tja, wenn ich nur
wüsste, was ich Ihnen sagen soll. Um ehrlich
zu sein, mir ist das Ganze ein Rätsel."

Philip runzelte die Stirn. „Wie darf ich das
verstehen?"

„Es gibt diese zeitweise auftretende Blindheit
in Ihrem linken Auge tatsächlich. Sie ist also
nicht psychosomatisch bedingt. Aber ein or-
ganischer Fehler ist ebenfalls nicht zu
erkennen."

„Wie bitte?"

„Sie sagen, es passiert nur selten und ohne
Vorwarnung.

Und

Sie

spüren

keine

Schmerzen."

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„Richtig."

„Wirklich sehr ungewöhnlich." Der Arzt ver-
schränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann
es mir nur so erklären, dass Ihr Auge sich
einfach verweigert, wenn es zu sehr an-
gestrengt wird. Es ruht sich aus und hört auf
zu sehen."

Philip machte aus seiner Skepsis keinen
Hehl. „Das kann ich mir nicht vorstellen."

„Ich weiß, es klingt verrückt", sagte der Arzt
lächelnd, „aber solche Fälle hat es schon
gegeben. Allerdings sehr selten."

„Und was kann ich dagegen tun?"

„Nun ja, falls Ihre Sehstörungen stress-
bedingt sind, besteht gute Aussicht, dass sie
wieder verschwinden werden. Vorausgesetzt
natürlich, Sie vermeiden alles, was Sie zu
sehr belastet."

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Philip musterte den Arzt mit kühler Höflich-
keit. „Sprechen Sie von meinem Beruf?"

„Das haben Sie getan, nicht ich." Der Arzt
sprang

geschmeidig

von

der

Schreibtischkante.

„Sie müssen selbst entscheiden, was Sie tun.
Eine

spezielle

Behandlung

oder

ents-

prechende Medikamente gibt es nicht. Es
wäre eine Lüge, wenn ich etwas anderes be-
haupten würde."

Notgedrungen musste Philip dies akzeptier-
en. „Tut mir Leid", entschuldigte er sich. „Ich
hätte wissen müssen, wie es ist, jemandem
eine unangenehme Wahrheit zu sagen." Er
lächelte auf seine unnachahmliche Art. „Es
gehört schließlich auch zu meinem Beruf."

„Es geht mich zwar nichts an", meinte der
Arzt, „aber ganz offensichtlich verlangen Sie

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sich seit Jahren zu viel ab. Warum gehen Sie
die Dinge nicht etwas langsamer an?"

Philip seufzte. „Kürzlich hat man mir ger-
aten, mehr den Augenblick zu genießen",
sagte er trocken.

Der Arzt zuckte die Schultern. „Sie sollten es
versuchen."

Philip lachte. „Dazu müsste ich mich von
Grund auf ändern."

„Dann tun Sie es. Wenn Sie weitermachen
wie bisher, wird sich Ihre Sehstörung ver-
mutlich verschlimmern."

„Danke, dass Sie so ehrlich zu mir waren."
Philip stand auf und verabschiedete sich.

Den

Augenblick

genießen,

dachte

er

lächelnd, als er das Gebäude verließ. Viel-
leicht könnte er es, wenn er seine

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Meerjungfrau wieder fand. Die Frage war
nur, ob sie noch etwas mit ihm zu tun haben
wollte.

Aus Zeitmangel hatte Philip seinen Assisten-
ten mit der Suche nach Kit beauftragt, aber
nun wollte er die Dinge selbst in die Hand
nehmen.

„Du hast dich nicht sonderlich angestrengt",
fuhr er Fernando an, nachdem dieser ihm
das karge Ergebnis seiner Recherchen
vorgelegt hatte.

„Ich habe die Büroadresse ihres Schwagers
ermittelt und ihm ein Fax geschickt", vertei-
digte sich Philips Assistent.

„Hier steht", Philip klopfte auf die Akte,
„dass

er

sich

momentan

auf

einer

Forschungsreise befindet. Falls dein Fax
nicht sofort in den Papierkorb gewandert ist,
wird es womöglich Monate dauern, bis er es

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zu lesen bekommt. Das war recht unüberlegt
von dir!"

„Es gehört nicht zu meinen Aufgaben, nach
deinen Freundinnen zu suchen", murrte
Fernando.

„Das ist richtig", erwiderte Philip ruhig,
„aber dann hättest du eben ablehnen
müssen. Da du es nicht getan hast, hätte ich
von dir mehr Initiative erwartet. Und nun
verschwinde."

Schockiert über Philips rüden Ton, verließ
Fernando das Büro seines Chefs. Noch nie
hatte er ihn so wütend erlebt. Und das wegen
einer Frau, von der er nicht einmal geahnt
hatte, dass Philip sich für sie interessierte.
Was wohl Soralaya Khan dazu sagen würde?

Es war Jahre her, dass Philip selbst recher-
chiert hatte. Da Kits Schwager nicht erreich-
bar war, musste er versuchen, mit ihrer

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Schwester Kontakt aufzunehmen. Diese
hatte sich zwar auf Coral Cove nicht sehr hil-
fsbereit gezeigt, aber zumindest saß sie nicht
wie ihr Mann irgendwo im Dschungel und
beobachtete Affen. Das wusste er, da er im
Internet eine Liste der Expeditionsteil-
nehmer gefunden hatte.

Eine Stunde später hatte er in Erfahrung ge-
bracht, dass Gräfin Lisa Ivanov als Lisa Ro-
maine Karriere gemacht hatte und das Lon-
doner Büro einer internationalen Invest-
mentgesellschaft leitete. Was nun? fragte
sich Philip. Sollte er Lisa einfach anrufen
und sie nach Kits Adresse fragen? Oder war
es besser, auf subtilere Weise vorzugehen?

Zum Glück hatte er gute Kontakte zur
Bankenwelt. Lächelnd hob er den Hörer ab
und wählte eine Nummer, die er auswendig
kannte. „Soralaya? Schön, deine Stimme zu
hören.

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Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.
Wen kennst du in London?"

Kit machte es immer großen Spaß, in Alan
Hendersons Buchhandlung zu arbeiten. Der
Laden war stets gut besucht und voll gestopft
mit Büchern jeder Art, die sich in Ecken und
auf Tischen stapelten. Für Außenstehende
war das ein unlösbares Rätsel, doch die
Verkäufer wussten genau, wo ein bestimmtes
Buch zu finden war. Und auch Kit hatte als
einzige Aushilfskraft - wie man ihr immer
wieder versicherte - das System auf Anhieb
begriffen.

„Was macht Ihr Bildungsprogramm?" erkun-
digte sich Alan, als sie am Montagmorgen
zur Arbeit erschien.

„Momentan beschäftige ich mich mit sü-
dostasiatischen Vögeln", erklärte Kit.

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Ihr war bewusst geworden, dass sie nicht
alles vergessen wollte, was sie auf Coral Cove
erlebt hatte. Beispielsweise interessierten sie
jene Vögel, die sie dort gesehen, deren Na-
men sie jedoch von ihrem zwanghaften Kat-
egorisierer nicht erfahren hatte.

Alan blickte sie überrascht an. „Hat Ihr Sch-
wager Sie dazu inspiriert? Vermutlich be-
suchen Sie dann auch den Regenwaldball?"

„Ich lese doch nur einige Bücher", wehrte Kit
erschrocken ab. „Das heißt nicht, dass ich zu
Wohltätigkeitsveranstaltungen gehe."

Alan schmunzelte. „Wenn Sie das Projekt
nicht unterstützen, wird es in hundert
Jahren keinen Regenwald mehr geben. Sie
sollten also besser als meine Begleiterin
mitkommen."

„Das ist Erpressung!"

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„Stimmt!" pflichtete er ihr fröhlich bei. „Die
Veranstaltung findet am übernächsten Sam-
stag statt. Das ist Ihr letzter Arbeitstag bei
uns

und

die

Einladung

mein

Abschiedsgeschenk."

Sie schnitt ein Gesicht, überlegte dann je-
doch, dass es eine gute Gelegenheit wäre, ihr
neu

gewonnenes

Selbstvertrauen

zu

erproben.

Der Buchhändler lächelte schalkhaft. „Sagen
Sie: Vielen Dank, Alan, ich bin entzückt, Sie
begleiten zu dürfen."

„O ja, ich kann es kaum mehr erwarten." Kit
bedachte Alan, der ihr knapp bis zur Schulter
reichte und vor kurzem siebzig geworden
war, mit einem schmelzenden Blick, den er
lachend erwiderte.

Tatiana nahm die Nachricht begeistert zur
Kenntnis und verkündete, dass Kit für diesen

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Anlass unbedingt ein langes Abendkleid
benötige.

„Ist das nicht ein wenig altmodisch?" wagte
Kit einzuwenden.

„Alan Henderson ist altmodisch", belehrte
Tatiana sie. „Wir werden uns am Wochen-
ende nach einem passenden Kleid für dich
umsehen."

Nach einigem Sträuben gab Kit nach. Insge-
heim fand sie den Gedanken, sich ein
Ballkleid zuzulegen, ziemlich aufregend. So-
weit sie sich erinnern konnte, hatte sie sich
bisher nur ein einziges Mal in ihrem Leben
wirklich fein gemacht, und zwar in Coral
Cove, als sie Tatianas kleines Schwarzes
getragen hatte. Es reizte sie, herauszufinden,
wie sie aussehen könnte, wenn sie sich
richtig Mühe gab. Natürlich war das auch
eine Preisfrage, denn ihre finanziellen Mittel
waren begrenzt.

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Der Einkaufsbummel am darauf folgenden
Sonntag wurde für Kit zu einer einzigen
Qual.

Tatiana schleppte ihre Mieterin von einem
Laden zum nächsten und ließ sie ein Kleid
nach dem anderen anprobieren. Sie scheint
mich mit einer Barbiepuppe zu verwechseln,
dachte Kit grimmig. Schon überlegte sie, ob
sie Tatiana nach Hause bringen und die
Suche allein fortsetzen sollte, da sah sie zwis-
chen einem Stapel schwarzer Röcke etwas
Blaues aufblitzen.

„Was ist denn das?"

„Nichts

Blaues",

widersprach

Tatiana.

„Blondinen meinen immer, Blau würde
ihnen gut stehen, aber das ist ein Irrtum."

Doch Kit hörte nicht auf sie, sondern zeigte
erstmals an diesem Tag so etwas wie
Begeisterung, als sie in dem Stapel wühlte

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und das schimmernde Etwas hervorzog. Es
bestand aus einem schwarzen seidenen Un-
terkleid

mit

einem

hauchdünnen,

an

manchen Stellen zerschlissenen, blauen Net-
züberwurf, der mit bunten Schmetterlingen
bestickt war.

„Schade, es hat Risse", sagte sie enttäuscht.

Tatiana stieß sie zur Seite. „Die kann man re-
parieren. Du hast einen besseren Blick, als
ich dachte." Sie hielt Kit das Kleid an. „Ja,
das nehmen wir. Endlich kommst du aus
deinem Schneckenhaus heraus."

Die freundliche Inhaberin der kleinen Se-
condhandboutique schien kaum fassen zu
können, dass jemand das Kleid kaufen woll-
te, was Kit in ihren Zweifeln nur bestärkte.

„Lassen wir es lieber sein. Es fällt ja schon
fast auseinander."

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Doch Tatiana hörte nicht auf sie, sondern
handelte den Preis auf ein Minimum
herunter.

„Na schön, ich habe das Kleid spottbillig
bekommen", sagte Kit auf der Heimfahrt,
„aber was nützt mir das, wenn ich es wegen
der vielen Risse nicht anziehen kann?"

Tatiana ging darauf überhaupt nicht ein,
sondern lächelte nur. „Es macht nur ein
wenig Arbeit. Ich werde dir zeigen, wie man
eine Häkelnadel benutzt und mit winzigen
Stichen näht."

Das tat sie wenig später, und Kit war davon
so fasziniert, dass sie mit Feuereifer ans
Werk ging und in den folgenden Tagen fast
ihre gesamte Freizeit mit Häkeln und Nähen
verbrachte.

Bis zu dem Samstag, an dem der Ball
stattfand, war aus dem Kleid ein wahres

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Kunstwerk geworden. Tags zuvor hatte Kit
auch noch die Fahrprüfung bestanden und
befand sich in absoluter Siegeslaune, als sie
sich nun, kurz bevor Alan sie abholte, im
Spiegel betrachtete.

Das Kleid war einfach geschnitten, ärmellos
und hatte ein tiefes Dekollete, doch irgend-
wie wirkte Kit darin unglaublich zart und
grazil.

Sehe ich nicht aus wie eine asiatische Pfeif-
drossel? überlegte Kit übermütig und ließ die
Hand über den kobaltblau schimmernden
Netzstoff gleiten. Sie hatte Tatiana nicht ver-
raten, wieso sie das Kleid aus dem Stapel
herausgezogen hatte. Es war ihr kleines Ge-
heimnis genau wie Philip Hardesty.

Was er wohl sagen würde, wenn er mich so
sehen könnte? ging es ihr unwillkürlich
durch den Kopf. Mit dem langen blonden
Haar, das sie auf Tatianas Rat hin offen trug,

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und den geschminkten Lippen, sah sie sexy
und exotisch aus und nicht mehr wie das na-
ive Dummerchen, das er auf Coral Cove get-
roffen hatte. Ob er ihr auch jetzt noch wider-
stehen und sie zurückweisen könnte?

Nun, ich werde es nie herausfinden, dachte
sie und versuchte sich einzureden, dass sie
darüber froh sei. Aber nichtsdestoweniger
war Alans Reaktion Balsam für ihre Seele.

„Hinreißend", sagte er fast ehrfürchtig.
„Heute Abend werden mich alle Männer um
meine schöne Begleiterin beneiden."

Und Kit, die sonst immer sofort errötete und
die Flucht antrat, wenn man ihr Kompli-
mente über ihr Aussehen machte, strahlte
vor Freude. „Ich beginne zu begreifen, wie
Aschenputtel sich gefühlt haben mochte. Ge-
hen wir."

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Beinahe wäre Philip nicht zum Ball gegan-
gen. Er war erst am Abend zuvor in London
angekommen und wollte am nächsten Tag zu
seinem Landsitz fahren. Es gab dort einiges,
was er dringend erledigen musste, bevor er
sich auf die Suche nach seinem Meermäd-
chen machte.

Er mietete für den folgenden Tag einen Leih-
wagen und rief dann alle Leute an, von den-
en er glaubte, dass sie ihm helfen könnten,
Kit zu finden. Leider hatte er kein Glück.

Lisa Romaine befand sich auf Reisen, wahr-
scheinlich war sie in Zürich. Ihre Schwester
kannte niemand.

Er schlug im Londoner Telefonbuch nach,
fand jedoch keine Eintragung unter Kits Na-
men. Vielleicht hatte sie sich nicht registrier-
en lassen, aber er hielt es für wahrscheinlich-
er,

dass

sie

woanders

wohnte.

Sein

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Meermädchen hatte ganz und gar nichts von
einer Großstädterin an sich.

Frustriert warf er das Telefonbuch zu Boden.
Während er noch überlegte, wie er weiter
vorgehen sollte, rief ein Freund von Soralaya
an.

„Sir Philip, heute Abend findet ein Ball der
Regenwaldschützer statt. Die Ivanovs unter-
stützen diesen Verein, und wenn sie nicht
verreist wären, würden sie sicher kommen.

Jedenfalls werden viele Freunde und Bekan-
nte von ihnen dort sein. Vielleicht kennt ja
einer von ihnen die Adresse von Lisas Sch-
wester. Wir haben einen Tisch reservieren
lassen. Falls Sie Lust haben zu kommen, sind
Sie herzlich eingeladen, sich zu uns zu
setzen."

Für Philip waren derartige Veranstaltungen,
an denen er in New York aus beruflichen

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Gründen oft genug teilnehmen musste, alles
andere als ein Vergnügen. Aber der Anrufer
war sichtlich bemüht, ihm behilflich zu sein,
und außerdem war Philip mit seinen Nach-
forschungen an einem toten Punkt an-
gelangt. Deshalb sagte er am Ende zu und
machte sich auf einen langweiligen Abend
gefasst.

Zu seinem Ärger musste er sich auch noch
einen Smoking leihen, da er seinen nicht
mitgebracht hatte. Als er sich kurzerhand
entschlossen hatte, seine Suche nach Kit in
England fortzusetzen, hatte er in Windeseile
nur das Nötigste eingepackt. Ich kann von
Glück sagen, wenn ich mir außer dem
Smoking nicht auch noch andere Dinge be-
sorgen muss, dachte er ironisch.

Er erkannte sich kaum wieder. Normaler-
weise plante er alles bis ins kleinste Detail
und packte seinen Koffer nach einer

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ausgeklügelten

Checkliste.

Unwillkürlich

musste er lächeln.

Hatte er sich etwa von Kits Spontaneität an-
stecken lassen?

Als der erste Tanz begann, fühlte Philip sich
bereits in seinen schlimmsten Befürchtun-
gen bestätigt. Er kannte keinen der Banker,
an deren Tisch er saß. Sie hatten ihn herzlich
willkommen geheißen, wussten jedoch nicht,
worüber sie sich mit ihm unterhalten sollten.

Schließlich kamen sie auf seine Arbeit zu
sprechen, und Philip fühlte sich wieder ein-
mal in die Pflicht genommen.

Zwischendurch ließ er den Blick durch den
Saal schweifen -und plötzlich sah er sie. Kit
war hier. Ihm wurde heiß und kalt.

Nie im Leben wäre er auf die Idee gekom-
men, dass sie hier sein könnte. Es war der

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letzte Ort, wo er seine scheue Nixe zu sehen
erwartet hätte. Er hatte sie für frei und unge-
bunden gehalten, für ein Naturkind, das im
Wasser herumtollte und durch Wälder
streifte.

Doch nun stand sie lachend inmitten einer
Gruppe von juwelenbehängten und gekün-
stelt wirkenden Leuten. Philip konnte den
Blick nicht von ihr wenden - genauso wenig
wie die meisten Männer im Saal. Damit hatte
er nicht gerechnet.

Sie sah anders aus. Irgendwie exotisch. Noch
immer sprühend vor Lebenslust, aber auch
geheimnisvoll. Das war neu.

Jemand forderte sie zum Tanzen auf, und sie
tanzte so selbstvergessen, wie sie damals
geschwommen war. Ganz eins mit der
Musik, schwebte sie über die Tanzfläche und
sah in ihrem blau schimmernden Kleid so

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zauberhaft schön aus, dass es Philip ganz
heiß wurde.

Sie lachte über etwas, das ihr Partner sagte,
aber gleichzeitig machte sie einen verlorenen
Eindruck. Verloren und überwältigend sexy.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, stand
Philip auf.

„Danke", sagte seine Tischnachbarin, ihn
missverstehend. „Ich tanze gern mit Ihnen."

Höflich lächelnd erhob sie sich und tat so of-
fenkundig ihre Pflicht, dass Philip unwillkür-
lich lachen musste.

„Wunderbar", sagte er und führte sie zur
Tanzfläche. „Vielleicht könnten Sie mich
aufklären, wer all diese Leute hier sind."

„Die meisten kenne ich ebenfalls nicht."

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Wie sich jedoch herausstellte, kannte sie den
älteren Mann, der Kit zum Lachen gebracht
hatte. „Das ist Alan Henderson. Ihm gehört
eine der renommiertesten Buchhandlungen
Londons. Wer die junge Frau ist, weiß ich
nicht. Sie ist eine richtige Schönheit, nicht
wahr?"

„Ja", sagte Philip stolz.

Kit hätte nie gedacht, dass ihr ein exklusiver
Wohltätigkeitsball so großen Spaß machen
würde. Niemand behandelte sie herab-
lassend, wie sie befürchtet hatte, sondern
alle waren nett zu ihr. Die Frauen bewunder-
ten ihr Kleid und sagten, dass sie sie um ihr
Haar beneideten.

Die Männer versorgten sie mit Champagner
und standen Schlange, um mit ihr zu tanzen.

Sie wäre vollkommen glücklich gewesen,
wenn sie nicht ständig an jenen Abend auf

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Coral Cove hätte denken müssen, als Philip
an ihr absolut nichts bewundernswert gefun-
den hatte.

Sonst

hätte

er

sie

ja

wohl

kaum

zurückgewiesen.

Sie glaubte zu träumen, als sie plötzlich
hinter sich eine vertraute Stimme vernahm.

„Darf ich bitten?"

Kit wirbelte herum und sah sich Auge in
Auge mit Philip Hardesty. Sein Anblick
machte sie sprachlos.

Er legte ihr die Hände auf die bloßen Arme.
„Du siehst wundervoll aus." Es klang nicht
so, als wäre er darüber froh.

Inzwischen hatte Kit sich wieder etwas ge-
fangen. „Was machst du hier?"

„Dich suchen."

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„Wie bitte?"

Er gab darauf keine Antwort, sondern sagte
nur: „Tanz mit mir."

Es war himmlisch, ihn wieder zu sehen.
Nein, es war schrecklich. Er sah so vornehm
aus im schwarzen Anzug, mit dem blüten-
weißen Hemd und der perfekt gebundenen
Krawatte.

Er strahlte eine lässige Eleganz aus, und man
merkte sofort, dass er sich von Kind an in
einem solchen Rahmen bewegt hatte.

Wahrscheinlich konnte er schon mit sechs
seine Krawatte allein binden, dachte Kit ge-
hässig und kam sich in ihrem Kleid aus dem
Secondhandladen

auf

einmal

ziemlich

schäbig vor. „Ich tanze nicht."

„O doch, ich habe dich gesehen. Meinem
Blutdruck ist das gar nicht gut bekommen."

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„Ach, du meinst mit Alan."

In seinen dunklen Augen blitzte es auf. „Alan
zählt nicht?"

Kit errötete. „Es ist herzlos, so über je-
manden zu reden."

Trotzdem drückte Philips Blick so etwas wie
stillen Triumph aus. „Alan zählt also nicht",
sagte er und nickte zufrieden. „Du kannst es
riskieren, in seinen Armen zu liegen, aber
nicht in meinen."

Es war keine Frage, sondern eine Feststel-
lung, und Kits Röte vertiefte sich.

„Tanz mit mir, Kit", bat er leise.

Allen guten Vorsätzen zum Trotz und obwohl
sie wusste, dass sie es hinterher bereuen
würde, folgte sie ihm auf die Tanzfläche.
Unglücklicherweise begann die Band nun

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auch noch, ein langsames Stück zu spielen.
Hilfe! dachte Kit.

Philip legte die Arme um sie und zog sie an
sich. Er hielt sie fest, aber nicht zu eng, und
schmiegte die Wange an ihr Haar, während
sie sich in vollkommener Harmonie zu der
einschmeichelnden Musik bewegten.

Er will mich, dachte Kit, aber nur, weil er
gerade Zeit hat. Aber sie wollte für ihn nicht
nur ein angenehmer Zeitvertreib sein. Mach
dir nichts vor, ermahnte sie sich. Philip
Hardesty und sie kamen aus völlig ver-
schiedenen

Welten.

Sie

passten

nicht

zueinander.

„Weißt du eigentlich, wie schwer du zu find-
en bist?" flüsterte er, die Lippen in ihrem
Haar.

Sie hielt es für sicherer, darauf nicht zu
antworten.

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Er hielt sie ein wenig von sich ab und sah ihr
forschend ins Gesicht. „Hast du dich nicht
gefragt, weshalb ich mich nicht bei dir
gemeldet habe?"

„Nein", log sie tapfer.

„Ich wusste so wenig über dich. Und deine
Schwester und dein Schwager, die mir als
Einzige hätten weiterhelfen können, schein-
en ständig in der Welt herumzugondeln."

„Du hast mit Lisa Verbindung aufgenom-
men?" fragte Kit, die sich Lisa gegenüber
schuldig fühlte, da diese sich ihretwegen mit
Nikolai gestritten hatte.

Philip schüttelte den Kopf. „Nicht mehr, seit
sie sich in Coral Cove geweigert hat, mir
deine Adresse zu geben. Sie scheint mo-
mentan durch Europa zu rasen. Jedes Mal,
wenn ich dachte, ich hätte sie endlich

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erwischt, war sie schon wieder abgereist. Das
war ziemlich frustrierend."

„Wie auch immer, sie hätte dir sowieso nicht
meine Adresse gegeben, ohne mich vorher zu
fragen. Und ich hätte sie gebeten …“

„Ja?"

„Dir nichts zu verraten", sagte Kit so
entschieden, als müsste sie nicht nur ihn,
sondern auch sich überzeugen.

Leise lachend zog Philip sie an sich. „Bestim-
mt hättest du das getan."

Sie lehnte sich in seinen Armen zurück und
musterte ihn mit gerunzelter Stirn. „Du bist
dir deiner sehr sicher, nicht wahr?"

Er schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht.
Aber ich weiß, dass zwischen uns etwas
Besonderes ist." Er machte eine kleine

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Pause, ehe er hinzufügte: „Und ich glaube,
du weißt es auch."

Kit schluckte trocken. „Hör auf, mir Honig
um den Mund zu schmieren. Ich habe dir
gesagt..."

„Dass ich dir gegenüber niemals mehr das
Wort ,Liebe' benutzen soll", ergänzte er ruhig
und verstärkte den Druck seiner Arme. „Wie
möchtest du, dass ich es ausdrücken soll?"

Kit schoss das Blut ins Gesicht. Verstohlen
blickte sie sich um, doch niemand schien sie
beide zu beachten. „Mir ist diese ganze Un-
terhaltung hier unangenehm."

„Verstehe." Philip ließ die Arme sinken, und
ehe Kit wusste, wie ihr geschah, hatte er sie
an der Hand gefasst und von der Tanzfläche
gezogen.

„Wo willst du hin?" fragte sie verwirrt.

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„An einen Ort, wo wir unter vier Augen
miteinander reden können." Er zog sie ins
Foyer.

Als sie an einem gerade offen stehenden
Aufzug vorbeikamen, schob er sie hinein und
drückte auf „Untergeschoss". „So", sagte er,
„hier sind wir ungestört, von den Über-
wachungskameras einmal abgesehen."

Der Aufzug hielt im Untergeschoss. Ger-
äuschlos gingen die Türen auf. Philip drückte
auf eine Taste, um sie wieder zu schließen
und den Aufzug zu blockieren. „Ein weiterer
Trick, den mir die Truppe meines Vaters bei-
gebracht hat", erklärte er mit einem jungen-
haften Lächeln. „Nun, wo war ich stehen
geblieben?"

„Hör zu, du kannst mich nicht einfach von
meinen Freunden wegschleppen!" empörte
sich Kit.

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Er ging darauf nicht ein. „Zwischen uns war
etwas Besonderes", wiederholte er fast
beschwörend. „Zugegeben, der Zeitpunkt un-
seres Kennenlernens war denkbar ungünstig,
und wahrscheinlich habe ich vieles falsch
gemacht, aber du kannst nicht leugnen, dass
wir uns zueinander hingezogen fühlten."

Kits Herz klopfte wie wild. Damit Philip
nicht merkte, wie aufgeregt sie war, wandte
sie sich ab und blickte ungeduldig zur Tür.
„Was für ein Unsinn! Du willst doch nicht
ernsthaft behaupten, du seist in mich
verliebt?"

„Das behaupte ich ja nicht."

Seine Bemerkung bestätigte Kit in ihrem
Verdacht, dass er sich nur mit ihr amüsieren
wollte. „Nun, dann ..." Sie streckte die Hand
nach der Schalttafel aus. Irgendwo musste ja
eine Taste sein, mit der man die Türen öffn-
en konnte.

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Philip hielt ihre Hand fest und zwang Kit,
ihm ins Gesicht zu sehen. „Ich weiß nicht,
wie es ist, verliebt zu sein."

Was für eine unglaubliche Arroganz! dachte
Kit

wütend.

„Na

wunderbar!

Einfach

großartig! Erwartest du etwa von mir, dass
ich dir Intensivunterricht erteile?"

In seinen Augen war Bestürzung zu lesen,
die sich jedoch schnell in Belustigung ver-
wandelte. „Daran hatte ich zwar nicht
gedacht, aber die Vorstellung gefällt mir."

Kit bebte vor Zorn. „Vergiss es!" Sie ver-
suchte, ihm ihre Hand zu entziehen, doch er
hielt sie mit eisernem Griff fest. „Lass mich
los!" rief Kit.

Er reagierte nicht darauf. „Was ich sagen
wollte, war, dass das alles neu für mich ist.
Ich habe so etwas noch nie empfunden."
Philip versuchte sie mit seinem berühmten

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Lächeln zu besänftigen. Es mochte auf
Diktatoren und Guerillaführer wirken, aber
Kit Romaine schien dagegen immun zu sein.

„Glaub nicht, du könntest mich hier ebenso
behandeln wie auf Coral Cove", sagte sie mit
nur mühsam unterdrückter Wut. Es gelang
ihr, sich aus seinem Griff zu befreien. Sie lief
hinaus ins Untergeschoss und merkte, dass
sie sich in einer Tiefgarage befand. Ihre Ab-
sätze klapperten laut auf dem Betonboden,
als sie zum Notausgang rannte. Noch bevor
sie die Tür öffnen konnte, hatte Philip sie
wieder eingeholt. Immerhin war ihm das
Lächeln vergangen, und sein sonst so
makellos gekämmtes schwarzes Haar war
leicht zerzaust. Sogar seine Krawatte schien
etwas verrutscht zu sein, wie Kit mit einer
gewissen Genugtuung feststellte.

„Kit, bitte hör mir zu." Seine Stimme klang
nun gar nicht mehr gelassen, sondern
geradezu flehentlich. „Ich fahre morgen aufs

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Land. Komm mit. Rede mit mir. Wir können
doch nicht einfach …“

„Sag du mir nicht, was ich zu tun und lassen
habe!" unterbrach sie ihn.

Noch während sie das sagte, schien sich
ohne

jede

Vorwarnung

ein

schwarzer

Vorhang über sein linkes Auge zu senken.
Philip tastete mit einer Hand nach der
Wand.

„Ich habe mit dir geredet", fuhr Kit fort,
„während du dich in Schweigen gehüllt hast.
Sir Philip, der große Friedensstifter, hat sich
mir nicht zu erkennen gegeben, sondern ..."
Sie verstummte unvermittelt. „Was hast du?"
fragte sie mit völlig veränderter Stimme.

Er stützte sich mit einer Hand gegen die
Wand und schüttelte benommen den Kopf.
„Ich

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..."

„Bist du verletzt?" fragte sie besorgt, als er
sich über die Stirn fuhr.

„Nein, es ist nichts." Er versuchte, sich
zusammenzureißen, doch ihr entging nicht,
dass ihn etwas schwer erschüttert hatte.

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Hör
mal, ich wollte dich nicht..."

Als er sich ihr zuwandte, um sie anzusehen,
drehte er sich ganz zu ihr um. Es war eine
ungewohnt plumpe Bewegung für jemanden
wie Philip Hardesty, der selbst dann noch
eine eiserne Körperbeherrschung zeigte,
wenn er sich nachts plötzlich mehreren
Freiheitskämpfern gegenübersah. Nur ein
einziges Mal hatte Kit bisher erlebt, dass er
eine unbedachte Bewegung gemacht hatte,
und zwar bei dem kleinen Empfang in Coral

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Cove, als er beim Abstellen seines Glases bei-
nahe die Tischkante verfehlt hätte.

Sie berührte mit der Hand seine Wange und
zwang ihn mit sanfter Gewalt, sie anzusehen.

Der Ausdruck absoluter Kontrolle war aus
seinem Gesicht verschwunden, und es wirkte
auf einmal verletzlich.

„Du kannst nicht sehen!" sagte Kit.

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7. KAPITEL

Philip brach in Gelächter aus. „Weißt du,
dass du er erste Mensch bist, der das fests-
tellt? Es passiert mir seit Monaten immer
wieder. Doch keiner hat es bisher bemerkt.
Ich bin ständig von Leuten umgeben, aber
niemandem ist aufgefallen, dass ich Schwi-
erigkeiten mit einem Auge habe."

„Wie schlimm ist es?" fragte Kit.

Er zuckte schweigend die Schultern.

„Na gut, wir werden darüber reden. Aber
nicht hier unten. Wir fahren nach oben und
unterhalten uns bei einer Tasse Kaffee."

Sehr begeistert klingt das nicht, dachte
Philip trocken. Aber wenigstens rannte sie
nicht schreiend davon und schwor, ihn nie

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mehr wieder sehen zu wollen. Er fühlte sich
noch leicht angeschlagen, doch als sich auf
der Fahrt nach oben seine Sehkraft wieder
einstellte, kam ihm eine Idee.

Kit hatte sich ihm gegenüber besorgt gezeigt.
Zugegeben, ihr Mitgefühl hatte sich in Gren-
zen gehalten, doch er war Pragmatiker und
für jeden Beweis ihrer Zuneigung dankbar.

Vielleicht sollte er ganz dezent seine Seh-
störung ins Spiel bringen, um Kit milder zu
stimmen?

Gratuliere, dachte Philip selbstironisch. Seit
er denken konnte, hatte er stets alles unter
Kontrolle gehabt, und nun zwang ihn dieses
unnachgiebige Mädchen, sich hilfsbedürftig
zu geben. Das war etwas ganz Neues für ihn.

Sie kehrten nicht in den Ballsaal zurück, son-
dern setzten sich in die Hotelbar, wo ein

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ständiges Kommen und Gehen herrschte
und es nicht anonymer hätte sein können.

„Erzähl", befahl Kit, nachdem der Kellner
ihnen den Kaffee gebracht hatte.

Philip zögerte. Dann zuckte er die Schultern
und lieferte ihr einen gekürzten Bericht über
seinen Besuch beim Augenarzt. „Nicht sehr
interessant", meinte er abschließend.

„Man kann nichts dagegen tun." Dass der
Arzt ihm geraten hatte, etwas weniger zu
arbeiten, verschwieg er wohlweislich.

Sie musterte ihn scharf. „Ist das wahr?"

Philip unterdrückte ein Lächeln. „Niemand,
den ich kenne, hätte es gewagt, mich das zu
fragen."

„Wieso nicht? Hast du sie schon alle von dir
abhängig gemacht?"

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„Gut möglich", antwortete er keineswegs
beleidigt.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und
beobachtete

Kits

ausdrucksvolles

Mienenspiel.

Er hatte sie noch nie geschminkt gesehen.
Mit dem aufreizend roten Mund sah sie älter
aus, energischer. Vielleicht hatte sie sich seit
Coral Cove ja auch verändert. Sie musste den
Schreck ihres Lebens bekommen haben, als
an jenem Abend Rafek und seine Männer
aufgetaucht waren. Ein solches Schlüsseler-
lebnis konnte durchaus eine Veränderung
bei einem Menschen bewirken.

„Du willst also den Rat anderer nicht anneh-
men", stellte sie fest.

„Niemand hat mir einen angeboten."

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Kit stieß einen unwilligen Laut aus. „Hast du
jemanden darum gebeten?"

Es faszinierte ihn, wie ihre Augenfarbe je
nach Stimmung von Jadegrün über Türkis
bis hin zu Smaragdgrün wechselte. Er beugte
sich vor. „Ich glaube, du hast keine Ahnung,
wie mein Leben aussieht. Achtzig Prozent
meiner Zeit bin ich beruflich unterwegs.
Wenn ich Glück habe, sehe ich meine Fre-
unde zweimal im Jahr. Ich lebe allein. Wen
soll ich da um Rat bitten? Meinen Assisten-
ten? Den Hausmeister des Gebäudes, in dem
ich wohne?"

Kit war entsetzt von dem schwarzen Bild, das
er von sich malte. Schon begann er, ihr Leid
zu tun, doch dann fiel ihr ein, was sie über
ihn und die schöne Soralaya Khan gelesen
hatte.

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Er versucht schon wieder, mich zu manip-
ulieren und mein Mitleid zu wecken, dachte
sie.

„Sicher gibt es da auch noch die eine oder
andere Freundin", meinte sie ironisch.

„Oh, Freundinnen", sagte Philip in einem
Tonfall,

der

auch

für

„Oh,

Schokoladentrüffeln"

gepasst hätte.

Kit stand auf, und ihr blaues Kleid chan-
gierte in allen möglichen Blautönen.

Ganz Kavalier alter Schule, erhob auch Philip
sich.

Wie groß er war, und wie unglaublich at-
traktiv er aussah mit dem pechschwarzen
Haar und dem klassischen Profil!

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Kit wich seinem fragenden Blick aus.
„Wende dich an eine deiner Freundinnen",
schlug sie kühl vor. „Du könntest ja mal ver-
suchen, sie respektvoll zu behandeln und
ihren Rat zu beherzigen." Dann eilte sie dav-
on, ohne sich noch einmal nach ihm
umzudrehen.

Fassungslos blickte Philip ihr nach. Seine
Taktik war fehlgeschlagen. Weder seine Seh-
störung noch die Andeutung, dass er einsam
sei, hatten bei Kit die gewünschte Wirkung
erzielt. Sie war einfach gegangen. Das em-
pfand er als herbe Niederlage.

Was hatte sie damit gemeint, dass er mal
versuchen könne, eine Freundin respektvoll
zu behandeln? Er behandelte jede Frau mit
Respekt und überhaupt... Jäh hielt er in sein-
en Gedanken inne. Dieses Mädchen ging ihm
wirklich unter die Haut. Noch nie hatte eine
Frau ihn derart wütend gemacht. Seine

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kleine Nixe war nicht ohne Waffen, und sie
wusste sie zu gebrauchen.

Kit hatte sich von Alan, der sie nach Hause
gebracht hatte, verabschiedet, Tatiana einen
um wesentliche Details gekürzten Bericht
geliefert und war nun allein in ihrer
Wohnung.

Sie ging zum Spiegel und betrachtete ihr
Gesicht. Wieso war ihr noch nie aufgefallen,
dass sie einen sehr sinnlichen Mund hatte?
Und ihre Augen leuchteten. Voller Leben. Ja,
so sah sie aus.

Philip hatte nach ihr gesucht. Insgeheim
hatte sie gehofft, dass er es tun würde, sich
aber gleichzeitig vor einem Wiedersehen ge-
fürchtet. Sie hatte sich nach ihm gesehnt und
sich dessen geschämt. Und als er sie schließ-
lich gefunden hatte, war sie erneut vor ihm
geflüchtet.

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Ich muss nicht ganz bei Trost gewesen sein,
dachte Kit reumütig. Sie seufzte.

Flucht war keine Lösung. Sie musste Philip
finden und sich mit ihm aussprechen. Er
hatte Recht, zwischen ihnen bestand eine be-
sondere Anziehungskraft. Sie hatte es zu ver-
drängen versucht, aber nun musste sie eine
Entscheidung treffen. Sie konnte den auf
Coral Cove begonnenen Weg zu Ende gehen.
Oder sie riskierte nichts, würde sich dann
aber lebenslang mit der Frage herumquälen,
was geworden wäre, hätte sie sich nicht feige
zurückgezogen.

„Na schön", sagte Kit zu ihrem Spiegelbild,
„du hast gewonnen."

Als sie jedoch am nächsten Morgen vor
Philips Hotel stand, wäre sie am liebsten
wieder umgekehrt. War ihr der Veranstal-
tungsort des Regenwaldschützer-Balls schon
äußerst vornehm erschienen, so hielt er doch

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keinen Vergleich aus mit diesem in einer der
exklusivsten Gegenden Londons gelegenen
Herrenhaus, das von außen wie ein Privatge-
bäude aussah. Dass Philip hier abgestiegen
war, hatte Alan für sie herausgefunden. Es
erforderte Kits ganzen Mut, die kunstvoll
geschnitzte Eingangstür zu öffnen. Dahinter
befand sich eine holzgetäfelte Halle mit be-
quemen Sitzgruppen in Leder und Chintz.
An den Wänden hingen Bilder mit Jagdszen-
en und viktorianische Porträts.

Eingeschüchtert blieb Kit an der Tür stehen
und versuchte herauszufinden, an welchem
der auf Hochglanz polierten Tische sich die
Rezeption befand. Obwohl ihre schwarze
Hose und die braune Lederjacke zu den be-
sten Stücken in ihrer Garderobe zählten,
kam sie sich in dieser vornehmen Umgebung
hoffnungslos deplatziert vor.

Ein Hotelangestellter erbarmte sich ihrer.
„Kann ich Ihnen helfen, Miss?"

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„Ich würde gern mit Mr. Hardesty sprechen."
Zum Glück war ihrer Stimme nicht an-
zuhören, wie aufgeregt Kit war.

„Sir Philip?" fragte der Hotelangestellte.

Sir! Natürlich! Das hatte sie ganz vergessen.
Sie nickte.

„Lassen Sie mich kurz nachsehen, ob er bei
uns wohnt", sagte der Mann höflich. „Wie ist
Ihr Name, Miss?"

Sie sagte es ihm, und er verließ daraufhin die
Halle. Vermutlich, um den verehrten Gast zu
fragen, ob er geneigt sei, mit dem schäbig
gekleideten Individuum zu reden, das ihn
sprechen wollte. Kit ging zum Kamin und
hielt die Hände über das knisternde Feuer.
Aber es konnte die Kälte, die sie am ganzen
Körper spürte, nicht vertreiben.

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Plötzlich hörte sie hinter sich eine vertraute
Stimme ungläubig fragen: „Kit?" Und auf
einmal wurde ihr nicht nur warm, sondern
heiß.

Philip nahm ihre Hand, die sie ihm nicht
entzog. Er sah sich in der gemütlich ein-
gerichteten Halle um. „Hier können wir
nicht reden. Und ich möchte dir auch nicht
zumuten, mit mir auf mein Zimmer zu kom-
men. Was hältst du von einem Spaziergang?"

„Das ist mir recht", antwortete sie. Hoffent-
lich merkte er nicht, wie aufgeregt sie war.

Er führte sie an imposanten Gebäuden
vorbei zum nahe gelegenen St.-James-Park.
Es war ein sonniger Frühlingstag, und an
den Bäumen zeigten sich die ersten grünen
Blätter. Auf der über den See führenden
Brücke sah man zwischen den Weiden die
Turmspitzen von Whitehall hervorlugen.

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„Es ist herrlich hier", platzte Kit unfreiwillig
heraus.

„Ja, ich mag diesen Park auch sehr gern",
stimmte Philip ihr zu. „Und nun leg los."

Kit gab nicht vor, ihn nicht zu verstehen.
Zögernd sagte sie: „Ich wünschte, ich hätte
dir gestern Abend nicht all diese Dinge an
den Kopf geworfen."

„Ach ja?"

„Nicht, dass das, was ich gesagt habe, falsch
war", beeilte sie sich hinzuzufügen. „Aber es
gab Wichtigeres zu besprechen. Ich hätte
nicht einfach gehen dürfen."

Er nickte schweigend.

„Nun sag schon was", forderte sie ihn auf.

„Ich überlege noch."

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„Genau das ist das Problem!" rief Kit. „Wenn
du anfängst zu überlegen, endet es immer
damit, dass du mich zu manipulieren
versuchst!"

Unwillkürlich musste Philip an seine takt-
ischen Manöver vom vergangenen Abend
denken und schämte sich dafür.

„Wieso sagst du nicht einfach, was du
denkst?" fragte Kit frustriert, da er noch im-
mer schwieg. „Ich finde dieses ständige Ab-
wägen und Taktieren unerträglich. Es ist
unmenschlich."

Er atmete tief durch. „Na schön, fahr mit mir
nach Hause."

„Wie bitte?"

Er lachte. „Ich habe ohne Umschweife
gesagt, was ich möchte. Es scheint dir aber
nicht zu gefallen."

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Nachdenklich blickte Kit ihn von der Seite
an. „Du möchtest, dass ich mit dir
mitkomme?" fragte sie. „Warum?"

Er hob die Hände. „Damit wir zusammen
sind und miteinander reden. Ich muss drin-
gend nach Hause. Es gibt viel zu tun, und ich
war seit Monaten nicht mehr dort. Es wäre
die ideale Gelegenheit, dir zu zeigen, wer ich
bin und ..." Er sprach nicht weiter, sondern
schlug sich mit der Faust in die andere
Hand. Es war eine völlig uncharakteristische
Geste für ihn. „Vergiss es. Warum solltest du
mit einem alten Langweiler wie mir mitkom-
men wollen?"

„Fährst du mit dem Auto?"

„Wie?" Ihre Frage brachte ihn aus dem
Konzept, und es dauerte einen Moment, bis
er verstand, was sie meinte. „Ach so, ja. Ich
habe einen Leihwagen gemietet."

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„Und was machst du, wenn unterwegs dein
linkes Auge streikt?"

Daran hatte er nicht gedacht. Wie es schien,
hatten sich seine Gedanken seit Tagen nur
noch um Kit gedreht. „O verdammt!"

„Du brauchst jemanden, der dich notfalls am
Steuer ablösen kann", sagte sie kühl.

Verblüfft sah er sie an.

Sie lächelte, da ihr bewusst wurde, dass sie
plötzlich gar nicht mehr nervös war. „Ich
komme nicht als deine Ersatzgeliebte mit",
stellte sie klar.

„Kit!"

„Nur als deine Beifahrerin und vorüberge-
hende Assistentin. Dazu bedarf es eines ents-
prechenden

Vertrages

mit

meiner

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Arbeitgeberin. Und du wirst gefälligst die
Hände von mir lassen. Aber wir werden
reden."

Einen Moment lang sah Philip sie schwei-
gend an, dann blitzte in seinen Augen ein
Funke auf. „Du stellst ja harte Forderungen."

Sie straffte die Schultern. „Niemand zwingt
dich, auf sie einzugehen."

„Natürlich werde ich sie akzeptieren", sagte
er schnell. „Glaub mir, ich bin mit allem ein-
verstanden, wenn du nur mitkommst."

Am Montagmorgen füllte eine sichtlich
amüsierte Helen Ludwig den Vertrag aus
und schob ihn über den Schreibtisch zu
Philip, der ihn, ohne ihn zu lesen, unters-
chrieb. Dann sah er mit einem Ausdruck
zärtlicher Belustigung Kit an. „Zufrieden?"

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„Ja, nun habe ich zumindest etwas in der
Hand." Insgeheim war sie sehr stolz auf sich.

Sie war nicht länger Miss Überempfindlich,
die man so leicht verletzen konnte, sondern
sie hatte sich ihm gegenüber behauptet.

Es wurde eine lange Fahrt. Er bot ihr an, das
Steuer zu übernehmen, aber sie lehnte
dankend ab, ohne allerdings zu erwähnen,
dass sie erst seit einigen Tagen ihren Führer-
schein besaß. Sie wusste, dass sie eine gute
Fahrerin war, es fehlte ihr jedoch die nötige
Praxis, um bei einem Beifahrer nicht nervös
zu werden, der seit Monten durch ihre
Träume geisterte. Sie wollte ihren ersten Un-
fall nicht unbedingt mit einem Leihwagen
verursachen.

„Wie bist du eigentlich zu deiner Berufung
als Friedensvermittler gekommen?" wollte
sie wissen.

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„Per Zufall. Mich in den Dienst der Uno zu
stellen war ein Kompromiss. In unserer
Familie war es Tradition, zur Armee zu ge-
hen. Mein Vater wollte, dass ich wie er Sold-
at werde, aber Mom hasste diesen Beruf. Sie
lebte immer in schrecklicher Angst, wenn
Dad an gefährlichen Unternehmungen teil-
nahm. War er dann wieder zu Hause, wartete
sie voller Angst auf seinen nächsten Einsatz.

„Das muss ja eine großartige Ehe gewesen
sein", meinte Kit trocken.

„Sie hatte auch ihre guten Momente."

„Sind die beiden noch zusammen?"

„Sie sind vor fünf Jahren tödlich ver-
unglückt", antwortete Philip. „Seither geht es
mit Ashbarrow bergab. Ich hatte nicht damit
gerechnet, den Besitz so früh übernehmen zu
müssen. Und mir fehlt die Zeit, mich einge-
hend damit zu befassen."

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Er hörte sich so nüchtern an, dass Kit
zögerte, ehe sie fragte: „Vermisst du deine
Eltern noch?"

Er warf ihr überrascht einen Seitenblick zu.
„Ich war nie sehr lange mit ihnen zusammen.

Als ich klein war, war mein Vater als Mil-
itärattache an verschiedenen Botschaften im
Ausland tätig. Meine Mutter hat ihn beg-
leitet, und ich bin eigentlich bei meinen
Großeltern aufgewachsen. Mein Großvater
sagte immer, ich solle meine Eltern nicht zu
sehr beanspruchen. Sie hätten höhere Pf-
lichten zu erfüllen. Mein Großvater war
Monarchist und sehr pflichtbewusst." Ein
Lächeln huschte über Philips Gesicht.

Er zeigt keine Spur von Verbitterung, dachte
Kit

verwundert.

„Klingt

ziemlich

erbarmungslos."

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„Findest du?" fragte er erstaunt. „Aber ich
hatte so viele Privilegien. Deshalb habe ich
auch das Gefühl, anderen etwas schuldig zu
sein."

„Aber du musst ihnen nicht dein ganzes
Leben opfern", widersprach sie und hätte ihn
am liebsten mütterlich in die Arme genom-
men. Was für ein unsinniger Gedanke!

„Nein", gab er ihr reumütig Recht. „Niemand
hat von mir verlangt, dass ich nur noch für
meinen Beruf lebe. Ich fürchte, ich tue es aus
reiner Eitelkeit. Ich möchte überall der Beste
sein."

Das bezweifelte Kit keinen Augenblick.
„Verstehe."

Er musterte sie kurz von der Seite. „Ich habe
mein

Privatleben

immer

mehr

eingeschränkt.

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Man nennt so etwas Verdrängung."

Nur zu gern hätte Kit gewusst, ob dies auch
für Soralaya Khan galt, aber lieber hätte sie
sich die Zunge abgebissen, als ihn das zu
fragen.

„Und mein Skeptizismus auf beruflichem Ge-
biet ist für Beziehungen im Privatbereich
auch nicht gerade förderlich."

„Wie soll ich das verstehen?" fragte Kit.

„Es ist mein Job, Wogen zu glätten und
Leute zu beschwichtigen, aber niemals selbst
verärgert zu sein. Ich muss also meine Ge-
fühle immer unter Kontrolle halten, was
privat eine Katastrophe ist."

Kit glaubte sich verhört zu haben. „Du wirst
niemals zornig?"

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Er zuckte gleichmütig die Schultern. „Das
kann ich mir nicht leisten. Abgesehen davon,
könnte das den letzten Ausschlag geben, falls
es jemand auf mich abgesehen hat."

Entsetzt sah Kit ihn an. „Dann bist du ja
ständig in Gefahr?"

„Sagen wir, man könnte andere mit mir zu
erpressen versuchen", sagte er ruhig. Es kam
ihm völlig unwirklich vor, dass er, während
er den Wagen durch das frühlingshafte Eng-
land lenkte, mit Kit so selbstverständlich
über Dinge redete, die er sich bisher selbst
kaum eingestanden hatte.

Ihr Herz zog sich vor Mitleid zusammen,
aber gleichzeitig war sie auch wütend. „Wie
kannst du dabei so gelassen bleiben?"

„Ich glaube nicht, dass ich mir ernsthaft Sor-
gen machen muss, aber ich bin gern auf alles
vorbereitet. Dummerweise war ich es nicht

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bei unserem Spaziergang zum Wasserfall.
Ich hätte vorher meinem Leibwächter Bes-
cheid sagen müssen."

Kit schwieg, Schließlich sagte sie: „Machst
du dir etwa Vorwürfe, weil dieser Soundso
plötzlich aufgetaucht ist?"

„Ich hätte dich nicht in Gefahr bringen
dürfen."

Nachdenklich blickte sie ihn an. „Heißt das,
du musst dich jedes Mal, bevor du etwas un-
ternimmst, mit deinem Sicherheitsbeamten,
oder wie immer man solche Leute nennt,
absprechen?"

„Wenn ich in einer bestimmten Mission un-
terwegs bin, wird das von mir erwartet."

„Und wenn nicht?"

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„Dann hinterlasse ich, wo ich zu erreichen
bin."

Sie schnitt ein Gesicht. „Das klingt ja
grauenhaft."

„Es schränkt sicher die Möglichkeiten ein,
enge persönliche Bindungen einzugehen",
sagte er vorsichtig.

Aus den Augenwinkeln studierte sie sein
markantes Profil. „Soll das eine versteckte
Warnung sein?"

Er gab keine Antwort.

„Etwa: Verlieb dich nicht in mich, ich kann
mich nicht binden?"

„Ich wollte nur Missverständnissen vorbeu-
gen", sagte er ruhig.

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„Das möchte ich auch." Kit kochte vor Wut.
„Weshalb ich mitgekommen bin, steht im
Vertrag. Ist das klar?"

„Natürlich", sagte er reserviert.

Sie drehte sich auf ihrem Sitz herum und sah
Philip mit zornig funkelnden Augen an. „Und
wenn du mehr von mir willst", sagte sie
entschieden, „dann musst du dich gewaltig
anstrengen, um mich zu überzeugen."

Seine Miene hellte sich auf, und er lächelte.
„Einverstanden."

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8. KAPITEL

Philip begann seinen Werbefeldzug, falls es
einer war, sobald Ashbarrow in Sicht kam.
Kit sah das Schild. Die Straße wurde enger,
dann hielt er auf einem Hügel den Wagen an,
und sie blickten auf ein ihnen bislang verbor-
gen gewesenes Tal hinunter.

Kit stockte der Atem.

Das Haus war teils Schloss, teils elisabethan-
isches Herrenhaus. Es lag inmitten eines
Sees und glitzerte in der Frühlingssonne, als
wäre es innen hell erleuchtet. Der Schlossteil
bestand aus massivem hellgrauem Stein,
während die rotbraune Ziegelfassade des
Herrenhausflügels mit dunklen Holzbalken
verziert war und bleiverglaste Fenster hatte.

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Enten schwammen auf dem See, dessen Ufer
mit Weiden bewachsen waren. Dazwischen
blühten Schwertlilien, und die Wiese rings
um das Schloss war mit Gänseblümchen
übersät.

Eine solche Idylle sah man sonst nur noch
auf Ansichtskarten.

„Wie konntest du dieses herrliche Fleckchen
Erde jemals verlassen?"

Philip sah Kit erstaunt an. In ihren grünen
Augen schimmerten Tränen. „He", sagte er
sanft, „es ist doch nur ein altes Gemäuer." Er
konnte der Versuchung nicht widerstehen,
den Arm um sie zu legen.

„Aber es ist dein Zuhause." Kit war erschüt-
tert. „Hast du nicht zu viel aufgegeben?

Abgesehen davon, dass du ständig unterwegs
bist und keine Zeit für Freundschaften hast,

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hast du dich selbst aus dem Paradies
vertrieben."

Eine weiche blonde Locke berührte Philips
Lippen. Genießerisch atmete er Kits frischen
Duft ein. „Vielleicht habe ich das", sagte er.

Beide sprachen nicht, als er langsam hin-
unter zum See fuhr. Dort angekommen, stieg
Kit sofort aus. Ihr war seltsam weinerlich zu
Mute. Sie musste aufpassen, sich von dieser
emotionsgeladenen

Atmosphäre

nicht

mitreißen zu lassen. Deshalb wartete sie
auch nicht, bis Philip ihr die Beifahrertür
aufhielt.

„So", sagte sie betont energisch, „was soll ich
jetzt tun?"

Ihr Tatendrang schien ihn zu amüsieren.
„Dich eingewöhnen", schlug er vor.

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„Ich bin hier, um zu arbeiten, vergiss das
nicht. Soll ich erst einmal die Betten
beziehen?

Oder uns etwas kochen?"

Seine dunklen Augen funkelten belustigt.
„Das wird schon alles meine Haushälterin
erledigt haben."

Kit bemühte sich, die Neuigkeit mit Fassung
zu tragen. Wieso hatte sie angenommen, es
gäbe hier kein Personal? Wahrscheinlich
würde es ihr hier nicht anders ergehen als
auf dem Familienschloss ihres Schwagers in
Frankreich. Da ihr der nötige gesellschaft-
liche Schliff fehlte, war sie dort ständig un-
angenehm aufgefallen.

„Ich möchte dich vorwarnen", sagte sie und
versuchte, möglichst sachlich zu klingen,

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„ich bin für einen solchen Ort nicht vornehm
genug."

Philip, der die auf dem Tisch in der Halle lie-
gende Post durchsah, blickte hoch. „Was,
zum Teufel, meinst du damit?"

Sie ging nur indirekt auf seine Frage ein. „Of-
fenbar gibt es für mich gar nichts zu tun.
Was soll ich also hier?"

„Mich beraten", erwiderte er und fügte mit
jungenhaftem Lächeln hinzu: „Und mir Gele-
genheit geben, dir zu beweisen, was für ein
netter Mensch ich bin."

Verlegen errötete sie. Er lachte, doch in sein-
en

Augen

blitzte

Verlangen

auf.

Kit

erschauerte.

In nächsten Augenblick wurde eine große
Tür geöffnet, und die Haushälterin erschien.

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Sie war keineswegs der schmallippige Haus-
drachen, den Kit nach ihren schlechten Er-
fahrungen auf dem französischen Schloss er-
wartet hatte, sondern eine hübsche, junge
Frau. Sie trug Jeans und ein rotes Sweatshirt
und begrüßte ihren Arbeitgeber ganz locker.

„Hi, Phil. Ich habe ein Auto gehört und
dachte, dass du es bist."

„Hallo, Sandy. Das ist Kit."

Die Haushälterin zog einen gelben Gummi-
handschuh aus und schüttelte Kit begeistert
die Hand. „Freut mich, Sie kennen zu lernen.
Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier. Ich habe das
Königinnenzimmer hergerichtet, wie du
gesagt hast, Phil. Aber die Sprungfedern in
dem alten Bett sind schon ziemlich abgen-
utzt. Es ist ein schönes Bett, nur weiß ich
nicht, ob Sie darin schlafen können", erklärte
sie Kit freimütig.

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Darauf gab es viele Antworten, und jede
würde

mehr

oder

weniger

zweideutig

klingen.

Deshalb schwieg Kit lieber.

Sie wagte Philip nicht anzusehen, als er ganz
unbefangen sagte: „Wir werden sehen." Er
nahm sie an der Hand. „Ich zeige dir erst
einmal dein Zimmer."

Sie ging mit ihm mit und versuchte so aus-
zusehen, als würde sie jeden Tag an der
Hand eines gut aussehenden Aristokraten
durch dessen Schloss wandeln. Sobald sie je-
doch das Königinnenzimmer betrat, vergaß
sie vor lauter Staunen alles andere.

Den meisten Platz im Raum nahm ein
riesiges Himmelbett ein, um dessen Bal-
dachin grüne Samtvorhänge drapiert waren.
Am meisten faszinierte Kit jedoch die golden
glänzende Bettdecke.

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„Sie ist mit Goldfäden durchwirkt", erklärte
Philip. „Sieht wundervoll aus, kratzt aber
höllisch."

Vorsichtig ließ Kit die Hand über die Decke
gleiten, als befürchtete sie, das kostbare
Stück würde sich bei der leichtesten Ber-
ührung in Luft auflösen.

„Weißt du", sagte Philip betont locker, „dass
ich schon bei unserem ersten Zusammen-
treffen dachte, du seist wie geschaffen für
dieses Zimmer?"

Verwirrt sah sie ihn an.

„Aber jetzt sehe ich, dass ich mich geirrt
habe."

Kit war entsetzt, wie sehr seine Bemerkung
sie verletzte. Sie wandte sich ab und sagte
schroff: „Ich habe dir ja gesagt, dass ich nicht
hierher passe."

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„Ich wollte dich auf dieser Decke liegen se-
hen", fuhr er unbeirrt fort, „aber das kommt
nicht infrage. Du müsstest deine Kleidung
anbehalten, um nicht völlig zerkratzt zu
werden."

„Oh!"

„Falls ich dich jedoch überreden kann, mit
mir ins Bett zu gehen", sagte er, und seine
Stimme klang auf einmal ganz heiser, „dann
wirst du das mit Sicherheit nicht angezogen
tun."

In ungläubigem Staunen hatte Kit ihm zuge-
hört. Ihr Herz jubelte, doch gleichzeitig mel-
dete sich ihr Gewissen. Sie musste fair zu
Philip sein und ihm sagen, worauf er sich
einließ, wenn er mit ihr eine Beziehung
begann.

„Nun sag etwas", drängte er, den Blick auf
ihre Lippen gerichtet. „Und sei es auch nur:

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.Träum weiter'!"

Sie schluckte. „Das wollte ich nicht sagen,
sondern ..."

„Dass ich dich noch nicht überzeugt habe?"

„Nein, das hast du noch nicht", bestätigte
Kit, die sich nun schon wieder etwas mutiger
fühlte, „aber eigentlich wollte ich sagen ..."

„Dass du Vorurteile gegen Haushälterinnen
hast? Keine Angst, Sandy geht um fünf Uhr
nach Hause."

„Hör auf, mich ständig zu unterbrechen",
fuhr sie ihn verärgert an. „Ich habe dir schon
einmal gesagt, dass ich das nicht mag."

Er machte ein zerknirschtes Gesicht und hob
beschwichtigend die Hände.

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Kit musste sich zusammenreißen, um sich
auf das zu konzentrieren, was sie sagen
wollte.

„Sieh mal, du kennst mich nicht so gut, wie
du vielleicht glaubst. Es gibt da etwas, das du
unbedingt wissen solltest."

„Du bist verheiratet und Mutter von vier
Kindern?" In seinen Augen blitzte Belusti-
gung auf.

„Nein, natürlich nicht."

„Mit allem anderen werde ich fertig",
erklärte er selbstbewusst.

„Mag sein", sagte Kit lächelnd. „Aber lass
mich dir erst einmal alles erzählen."

„Na gut." Er hielt ihr die Hand hin.
„Während ich dir mein Schloss zeige, kannst

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du mir die schreckliche Wahrheit über dich
gestehen."

Es fiel Kit schwer, einen Anfang zu finden.
Sie hatte schon so lange nicht mehr darüber
gesprochen, dass sie erst wieder nach den
richtigen Worten suchen musste. Und für
manches hatte sie gar keins, weil sie darüber
noch mit niemandem geredet hatte.

Schließlich blieb sie einfach vor einem Bild
stehen und blickte starr darauf, ohne etwas
zu sehen.

„Das Einhorn", sagte Philip erfreut. „Gefällt
es dir?"

Sie nickte geistesabwesend. „Ich weiß", sagte
sie zu dem fröhlich über die Frühlingswiese
springenden Tier, „du denkst, ich sei jung,
unschuldig und sensibel."

„Und verdammt sexy. Vergiss das nicht."

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„Danke." Noch immer wagte sie nicht, ihn
anzusehen. „Aber ich bin nicht so un-
schuldig, wie du glaubst, sondern habe schon
einiges hinter mir."

„Du bist eine erwachsene Frau. Da ist es nor-
mal, sexuelle Erfahrungen ..."

„Darum geht es nicht!" Sie fuhr herum und
blickte

ihn

an.

„Ich

war

als

Kind

magersüchtig.

Mit Lisas tatkräftiger Hilfe konnte ich es
überwinden, doch als dann das mit Johnny
passierte

... nun ja, da wurde ich rückfällig. Ich hasste
mich dafür, konnte meinen Anblick im
Spiegel nicht mehr ertragen und wollte auch
nicht, dass andere Menschen mich ansahen."

„O Kit! Mein armer Liebling!" Philip war das
Lachen vergangen. Er wollte sie in die Arme

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nehmen, traute sich aber plötzlich nicht
mehr.

Sie senkte den Blick. „Wieder war es Lisa, die
mir geholfen hat. Sie hat einen Therapeuten
für mich gefunden. Er meinte, ich müsse mir
bewusst machen, was ich selbst will, und
mich nicht danach richten, was andere gut
für mich halten. Mit seiner Hilfe ist es mir
allmählich gelungen, zu mir zu finden."

„Aber du hast Angst, einen Rückfall zu er-
leiden, wenn du mit mir schläfst, stimmt's?"

Sie schüttelte energisch den Kopf. „Nein, das
ist es nicht. Aber", fuhr sie zögernd fort,

„es gibt da noch etwas, was du wissen musst.
Ich sollte ein ... Baby haben."

Eine Pause entstand, dann sagte Philip
ruhig: „Du hast Recht. Darüber müssen wir
reden.

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Komm mit."

Er führte sie in ein kleines Wohnzimmer.
Eines der Fenster war geöffnet, und neben
dem Kamin stand eine Kupfervase mit
Kirschblütenzweigen.

Philip rückte Kit einen bequemen Sessel
zurecht, setzte sich dann vor sie auf den Tep-
pich und nahm ihre Hände in seine. „Nun
erzähl."

„Johnny war nicht wirklich an mir in-
teressiert. Wahrscheinlich kam es ihm ein-
fach gelegen, dass er in mir eine Begleiterin
für Partys hatte. Wir haben nur einige Male
miteinander geschlafen." Sie blickte zur
Seite. „Ich war dafür genauso verantwortlich
wie er. Ich möchte nicht, dass du in mir das
Opfer siehst."

Sanft strich Philip ihr eine blonde Locke hin-
ters Ohr. „Ich versuche auch immer, anderen

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gegenüber fair zu sein. Da sind wir uns
ähnlich."

„Ich glaube, ich könnte dich tatsächlich nett
finden", sagte sie mit einem bezaubernden
Lächeln, ohne allerdings zu bemerken,
welche Wirkung es auf Philip hatte, der noch
immer ihre Hände hielt.

„Ich habe gedacht, ich sei schwanger", fuhr
sie fort. „Oder vielmehr, ich war mir fast
sicher, es zu sein. Als ich Johnny davon
erzählte, geriet er völlig außer sich." Bei der
Erinnerung an sein vor Wut verzerrtes
Gesicht, überlief sie ein Frösteln.

„Wahrscheinlich hatte er ebenso viel Angst
wie Wut", sagte Philip ruhig, obwohl er
diesen jungen Dummkopf am liebsten ver-
prügelt hätte.

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Sie nickte. „Möglich. Aber damals sah ich
nur sein vor Hass verzerrtes Gesicht. Er
wurde richtig gewalttätig."

Philip umklammerte ihre Hände so fest, dass
es wehtat. Plötzlich sah er richtig gefährlich
aus, und Hunderte von Kämpfern aus aller
Welt würden ihren stets die Ruhe be-
wahrenden Vermittler nicht wieder erkannt
haben.

Kit

befreite

ihre

Finger

aus

seinem

schmerzhaften Griff. Reumütig sah er sie an,
doch sie schüttelte den Kopf. „Schon gut.
Nach der Szene mit Johnny konnte ich es
lange Zeit nicht ertragen, von einem Mann
berührt zu werden. Das hat sich seit Coral
Cove geändert."

Es war mehr, als Philip zu hoffen gewagt
hatte, wenngleich ihr die Tragweite ihrer
Worte gar nicht bewusst zu sein schien. Sie
war viel zu sehr damit beschäftigt, ihm ihre

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schrecklichen Geheimnisse zu verraten,
dabei hatte sie ihm das, was für ihn wichtig
war, bereits gesagt. Ich werde alles tun, um
sie glücklich zu machen, schwor er sich.

„Ich ... lief weg", setzte sie ihren Bericht mit
gesenktem Kopf, fort. „Es hat in jener Nacht
schrecklich geregnet, doch ich ging immer
weiter. Als ich schließlich völlig durchnässt
den Bus nach Hause nehmen wollte, rutschte
ich auf einer Treppe aus und fiel mehrere
Steinstufen hinunter."

„Du hast das Baby verloren", sagte Philip
leise.

Kit lachte bitter auf. „Nicht einmal das. Im
Krankenhaus sagte man mir, das ich gar
nicht schwanger gewesen sei. Aber ich war
überzeugt, dass sie mich anlogen."

„Warum sollten sie das tun?"

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„Um mich zu schonen. Immer wollen Leute
mich schonen, weil sie mich für schwach
halten.

Zu schwach, um mein Baby zu beschützen."
Sie klang, als würde sie sich dafür hassen.

„Du bist nicht schwach, und Ärzte lügen
nicht, um jemanden zu schonen!" sagte
Philip scharf. „Sie haben viel zu viel Angst,
angezeigt zu werden."

Kit hob den Kopf.

„Falls du dich gern selbst quälst, musst du
dir schon einen anderen Grund suchen",
sagte er.

Forschend sah sie ihm ins Gesicht und be-
merkte erst jetzt, dass er richtig wütend war.

„Mich selbst quälen?" wiederholte sie
verwundert.

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„Wenn ich dich richtig verstanden habe, hat
man dich all die Jahre diesen Unsinn
glauben lassen. Selbst wenn es dir gelungen
ist, deine Familie davon zu überzeugen, ver-
stehe ich noch immer nicht, weshalb die
Ärzte dir nicht energisch klargemacht haben,
dass du auf dem Holzweg bist. Hast du nicht
gesagt,

du

warst

in

therapeutischer

Behandlung?"

„Ja", bestätigte sie benommen. Plötzlich
überkam sie der Drang, laut zu lachen und
wie das Einhorn fröhlich herumzuspringen.
„Ja, das war ich, aber ich habe meinem
Therapeuten nie etwas von dem Baby
erzählt. Und auch niemand sonst."

„Dann lass uns dieses Thema für immer
beenden", sagte Philip schlicht.

„O ja. Ja." Sie beugte sich vor und lehnte die
Stirn an seine. Wie stark er war! Sie glaubte

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zu spüren, dass etwas von seiner inneren
Kraft auf sie überging.

„Ich meine es ernst, Kit", sagte er. „Mit Ri-
valen werde ich fertig, und wenn es sein
muss, würde ich für dich gegen die ganze
Welt kämpfen. Aber gegen das, was in
deinem Kopf vorgeht, bin ich machtlos."

Sie sah ihn an, umfasste sein Gesicht und
küsste ihn voll auf den Mund. „Keine Angst,
mir geht es jetzt gut. Besser als jemals zuvor.
Und das verdanke ich dir."

Philip führte sie auf seinem Besitz herum.
Wie

ein

von

einer

langen

Reise

heimkehrender Ritter seine mitgebrachten
Schätze präsentierte, so zeigte er ihr alle
seine Lieblingsplätze.

In der langen Galerie mit den Porträts seiner
Vorfahren ging er mit Kit von Bild zu Bild.

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„Die Hardestys sind ein unnahbarer, rach-
süchtiger Haufen. Sie trauen so leicht
niemandem, und wenn jemand ihr Ver-
trauen missbraucht, verfolgen sie ihn
gnadenlos."

Interessiert betrachtete Kit die Männer mit
dem entschlossenen Zug um den Mund und
dem gelassenen Blick. Die Ähnlichkeit mit
Philip war unübersehbar, und sie glaubte
ihm.

„Und hier habe ich immer Ivanhoe gespielt",
erklärte Philip lächelnd, als sie zur ehemali-
gen Wachstube des alten Schlosses kamen.
„Wenn ich mit dem Schwert auf den Stein-
fußboden schlug, hat es wunderbar geklirrt."

„Sie haben dir ein Schwert zum Spielen
gegeben?" Kit war entsetzt über die rauen
Erziehungsmethoden der Oberschicht.

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Er lachte. „Es war nur der Schürhaken aus
dem Wohnzimmer."

Sie gingen weiter zu den Ställen. „Unter der
Bedingung, dass ich es selbst pflegte, hat
mein Großvater mir erlaubt, ein Pony zu hal-
ten." Philip blickte in den leeren Stall. „Als
ich aufs Internat kam, wurde es verkauft."

„Das klingt hart."

„So war er. Gerecht, aber nicht sehr
warmherzig."

Kit lehnte den Kopf an Philips Schulter, als
wollte sie ihn für die fehlende Wärme in
seiner Kindheit entschädigen. Sie rieb die
Wange an seinem Kaschmirpullover. „Mit
wem hast du gespielt?"

Amüsiert blickte er auf sie hinunter. „Das
wird deine Vorurteile gegen die Oberschicht
voll bestätigen. Mein Großvater beauftragte

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mein Kindermädchen, zwei Jungen aus dem
Dorf zu holen. Sie mussten jeden Samstag
mit mir spielen und haben mich dafür ge-
hasst,

weil

sie

so

das

Fußballspiel

versäumten."

„Unterdrücker der Armen", zog Kit ihn auf.

„Richtig. Wir wurden trotzdem gute Fre-
unde. Einer von ihnen ist heute mein Guts-
verwalter,

der

andere

der

örtliche

Briefträger. Er ist mit Sandy verheiratet."

Hand in Hand setzten sie ihren Rundgang
fort.

„Hast du jemals gespielt, ohne es vorher zu
planen?" fragte Kit.

In seinen Augen schienen plötzlich kleine
Teufel zu tanzen. „Bisher noch nicht."

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„Dann sollten wir es einmal ausprobieren",
sagte sie und ließ die Hände unter seinen
Pullover gleiten.

„Bist du dir sicher, dass du es willst?" fragte
er leise.

Sie nickte, und er führte sie zu seinem
Schlafzimmer.

Der Raum unterschied sich von allen ander-
en. Hier gab es kein Himmelbett, keine gold-
durchwirkten Decken und keine Samt-
vorhänge. Es war ein gemütlich ein-
gerichtetes Zimmer, in dem Kit sich sofort
wohl fühlte. Sie erkannte eine Krawatte
wieder, die über einer Stuhllehne hing. Er
hatte sie bei jenem verhängnisvollen Emp-
fang auf Coral Cove getragen.

„Offenbar war Sandy schon hier", sagte er.
„Sie packt immer gleich meinen Koffer aus
und sortiert aus, was gewaschen werden

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muss. Aber sicherheitshalber ..." Er ging zur
Tür und drehte den großen Schlüssel im
Schloss um.

Plötzlich fühlte Kit sich ihrer Sache nicht
mehr so sicher und hatte Angst, Philips Er-
wartungen nicht gerecht zu werden. „Ich
habe zwar gesagt, dass ich nicht so un-
schuldig bin, wie du denkst, aber das heißt
nicht, dass ich sehr erfahren bin."

„Aber ich", meinte er lächelnd.

Sie war zu aufgeregt, um darauf einzugehen.
„Es ist lange her, dass ich so etwas getan
habe, und noch nie ..."

„Mit mir", ergänzte er gelassen. „Wieder et-
was, das wir gemeinsam haben."

„Aber ich möchte ..."

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„Ja?" Er ließ die Hände unter ihr T-Shirt
gleiten. „Magst du das?"

Die Berührung seiner wannen Finger ließ sie
erschauern. „Ja", sagte sie atemlos.

„Und das?"

„Daran könnte ich mich gewöhnen." Sie
blickte ihm tief in die Augen, und jäh wurde
ihr bewusst, dass sie so etwas noch nie getan
hatte: einem Mann in die Augen sehen, ihn
herausfordern, begehren und lieben. All
diese Gefühle schienen sie förmlich zu über-
fluten, als wäre in ihrem Innern ein Damm
gebrochen.

Sie zog sich das T-Shirt über den Kopf und
merkte an Philips Gesichtsausdruck, dass er
wusste, welch großer Schritt das für sie war.
Er flüsterte ihren Namen, und sie las in sein-
en Augen Verlangen, aber auch eine tiefe
Zärtlichkeit.

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Er hob sie hoch, trug sie zum Bett und ließ
sie behutsam auf die Decke gleiten. Er ber-
ührte ihr Gesicht, als könnte er nicht
glauben, dass sie wirklich neben ihm lag.

Kit griff nach seiner Hand, zog sie an die Lip-
pen und schloss die Augen.

„Mach die Augen bitte nicht zu", stieß er her-
vor. „Grenz mich nicht aus."

Sie sah ihn an und merkte, dass dieser auf
politischer Ebene so mächtige Mann, der
sonst nie die Kontrolle über sich verlor, sein-
en Gefühlen genauso ausgeliefert war wie
sie.

Und auf einmal war sie gar nicht mehr
nervös. Sie setzte sich auf und entledigte sich
ihrer restlichen Kleidung. Nackt sank sie in
die Kissen zurück und streckte die Arme aus.
„Sieh mich an", flüsterte sie, „und liebe
mich."

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9. KAPITEL

Als Philip sie liebte, tat er es mit seinem gan-
zem Herzen. Dessen war Kit sich trotz ihrer
geringen sexuellen Erfahrung sicher. Noch
nie hatte sie sich so begehrenswert gefühlt.

Er schien den Rhythmus ihres Körpers bess-
er zu kennen als sie selbst und schien genau
zu wissen, wie er sie zu erregen vermochte.
Und er zeigte ihr, dass Liebesspiel süß und
sanft, aber auch wild und leidenschaftlich
sein konnte, bis sie schließlich beide gemein-
sam den Gipfel der Lust erklommen.

„Wo hast du nur mein ganzes Leben lang
gesteckt?" fragte sie, als sie wieder sprechen
konnte.

Er lachte. „Ich habe auf jemanden gewartet,
der meine Talente gebührend zu würdigen

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weiß." Und wie um seine Worte zu bestäti-
gen, begann er erneut, Kit mit seinen
raffinierten Zärtlichkeiten zu erregen.

Er war ein fantastischer Liebhaber. Und sie
hätte auch nie gedacht, dass Menschen
miteinander lachen konnten, während sie
sich liebten. Es gab so vieles, was sie mit ihm
neu entdeckte.

„Und ich habe immer geglaubt, dass ich es
nicht mag, wenn Leute mich ansehen", sagte
sie etwas später, als sie glücklich und
entspannt in seinen Armen lag.

„Ich bin nicht irgendwer, mein Schatz, ich
bin dein Liebhaber." Er küsste sie zärtlich
auf die Stirn. „Alle anderen sollten sich bess-
er von dir fern halten, sonst werde ich ihnen
mit dem Enterhaken zu Leibe rücken."

Kit lachte. „Anscheinend hast du außer Ivan-
hoe auch noch Pirat gespielt?"

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„Mit einem See vor der Haustür? Was
glaubst du wohl?"

Es war wundervoll, sich gegenseitig zu neck-
en und Unsinn zu reden. Jeder Scherz bra-
chte sie einander näher, jede besitzergre-
ifende Berührung verstärkte das Gefühl der
Zusammengehörigkeit.

„Ich wusste nicht, dass es so sein kann",
sagte Kit zärtlich.

Er streichelte mit den Fingerspitzen ihren
Arm. „Ich auch nicht."

Kit schmiegte sich an seine Brust. Sie war di-
cht behaart, was man bei seinen feinen
Gesichtszügen und gepflegten Händen gar
nicht erwartete. Zu wissen, dass sich unter
den konservativen Anzügen und hinter den
geschliffenen Manieren ein so leidenschaft-
licher Mann verbarg, gab Kit das Gefühl, ein
Geheimnis mit ihm zu teilen. Mit einem

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wohligen Seufzer streckte sie sich neben ihm
aus.

Er zog sie ein wenig fester an sich. „Ist es so
bequem?"

Es kam ihr vor, als wäre sie noch nie einem
Menschen so nahe gewesen. Wer hätte ge-
glaubt, dass sie jemals so für einen Mann
empfinden könnte? „Mm. Ich habe mich nie
besser gefühlt."

„Gut."

„Philip", murmelte sie schlaftrunken.

„Ja?"

„Ich liebe dich", sagte sie gähnend und
schlief ein.

Philip blieb wach und beobachtete durch das
geöffnete Fenster, wie sich allmählich die
Dämmerung über die Landschaft senkte.

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Nüchtern betrachtet, sah die Zukunft für ihn
und seine Meerjungfrau keineswegs rosig
aus.

Er hatte so viele Ehen seiner Kollegen scheit-
ern sehen. Als Friedensvermittler war er oft
Wochen unterwegs. Dazu kam die ständige
Gefahr, entführt zu werden. Würde Kit das
verkraften? Er wusste, wie empfindsam sie
war. Wäre es da nicht unfair, sie zu bitten,
bei ihm zu bleiben?

Für Kit folgten nun wundervolle Tage. Wie
die Blüten der Frühlingssonne, so schien sie
sich ihrem neuen Leben zu öffnen. Es stieg
ihr zu Kopf, und sie fühlte sich so glücklich
wie nie zuvor.

Sie ging mit Philip im Schlosspark spazieren,
durchstreifte mit ihm die Wälder von Ash-
barrow und saß mit ihm abends Händchen
haltend vor dem knisternden Kaminfeuer.

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Und sie redeten viel miteinander.

Während sie das kostbare Porzellan im
Speisezimmer näher in Augenschein nahm,
erzählte sie Philip ohne Bitterkeit von ihrer
ärmlichen Kindheit. Und als sie sich im
Musikzimmer aufhielten, gestand sie ihm,
dass ihr Versuch, sich mit klassischer Musik
anzufreunden,

nicht

sehr

erfolgreich

gewesen sei.

„Am schlimmsten waren die Opern", bekan-
nte sie.

Philip brach in schallendes Gelächter aus
und spielte ihr dann eine CD mit so überi-
rdisch schöner Musik vor, dass Kit beinahe
die Tränen kamen. „Eine Oper?" fragte sie,
nachdem der letzte Ton verklungen war.

„Eine Arie aus ,Rodelinda' von Händel. Die
Oper wird selten gespielt, aber ich mag sie
sehr."

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„Ich konnte den Text nicht verstehen."

Nach kurzem Zögern sagte Philip: „Übersetzt
heißt es ungefähr: ,Wo bist du, Geliebte?

Nur du kannst mich vor der Verzweiflung
retten."'

Es folgte ein Augenblick des Schweigens,
und Bat ertappte sich dabei, dass sie den
Atem anhielt.

Jäh verschwand der träumerische Ausdruck
von Philips Gesicht. „Sehr melodramatisch,
aber die Musik ist großartig."

Irgendwie hatte Kit plötzlich das Gefühl, ein-
en wichtigen Moment verpasst zu haben.

Am nächsten Morgen rief Lisa an.

„Sie

will

sich

von

Nikolai

trennen",

berichtete Kit mit bebender Stimme. „Und
ich bin an allem schuld."

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Philip runzelte die Stirn. „Hat sie das
gesagt?"

„Nein, natürlich nicht", entgegnete Kit un-
geduldig. „Aber ich weiß, dass die beiden
sich meinetwegen in Coral Cove gestritten
haben. Ich muss sofort zurück nach London.
Lisa kommt heute Abend mit dem Flugzeug
aus Zürich."

„Findest du nicht, die beiden sollten ihre
Ehekrise allein meistern?" meinte Philip.
„Uns bleiben nur noch drei Tage. Ich habe
heute Morgen eine E-Mail erhalten. Ich
werde in Pelanang benötigt und fliege am
Montag."

Fassungslos sah sie ihn an. „Du hast
zugesagt,

ohne

mit

mir

darüber

zu

sprechen?"

„Man ist nicht daran gewöhnt, dass ich Ur-
laub mache." Er lächelte schwach. „Mein

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Assistent hat zugesagt, ohne sich vorher mit
mir abzustimmen. Bisher ist das nie nötig
gewesen."

„Natürlich nicht", sagte Kit leise. Sie hob den
Kopf und blickte Philip direkt in die Augen.

„Und daran hat sich nichts geändert."

Es folgte eine winzige Pause. Dann sagte er
schroff: „Ich wusste, dass so etwas eines
Tages passieren würde."

„Klar." Kit bebte am ganzen Körper. Vor
Wut, wie sie sich einzureden versuchte. „Was
kann man von einer Frau schon erwarten,
der

Menschen

wichtiger

sind

als

Etikettierungen?"

„Kit, ich..."

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„Vermutlich mangelt es mir am nötigen Pf-
lichtgefühl, da ich keine berühmten Vor-
fahren habe."

„Kit!" Philip sah ihre Wut und Verletztheit,
aber er wusste nicht, was er dagegen tun
sollte.

„Du hast mich ja gewarnt, mir keine falschen
Hoffnungen zu machen", warf Kit ihm vor.

„Frauen wie ich sind für dich Eintagsfliegen."

„Du hattest mehr als einen Tag", verteidigte
er sich spontan und bereute seine Worte so-
fort wieder.

„Hatte?

Dann

bin

ich

also

schon

Vergangenheit?"

„Nein,

natürlich

nicht."

Trotz

seiner

langjährigen Erfahrung als Vermittler fühlte

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Philip sich bei diesem Streit völlig hilflos.
„Du bist es doch, die abreisen will."

Sie sah ihn rebellisch an. „Drei Tage mehr
oder weniger machen keinen Unterschied."

Er zuckte zusammen, schwieg jedoch.

Sein Schweigen war für Kit beredter als
Worte. „Ich nehme den nächsten Zug. Würd-
est du mir bitte ein Taxi bestellen, das mich
zum Bahnhof bringt?"

„Ich fahre dich."

„Nein!"

Doch er bestand darauf. „Ich habe dich hier-
her gebracht und werde dich wieder
zurückfahren."

Notgedrungen gab Kit nach.

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Stumm saßen sie wenig später nebenein-
ander im Auto. Als Philip sich jedoch
mehrmals das linke Auge rieb, wurde Kit
aufmerksam. „Falls dir dein Auge wieder
Schwierigkeiten macht, solltest du besser
mich fahren lassen."

Zu ihrer großen Verwunderung hielt er an
und ließ sie ans Steuer.

Sie setzten die Fahrt schweigend fort. Sch-
ließlich sagte Philip leise: „Kit, ich wollte dir
nichts vormachen."

Sie antwortete nicht, sondern konzentrierte
sich ganz auf das Fahren.

„Meine Arbeit... nun ja, du hast es ja erlebt."
Er lachte freudlos. „Ich habe meiner Mutter
versprochen, nicht zur Armee zu gehen, und
bin in einem Job gelandet, der noch schlim-
mer ist! Ich kann von keiner Frau verlangen,
ein solches Leben mit mir zu teilen."

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Du hättest mich zumindest fragen können,
dachte sie, sagte es jedoch nicht.

Die restliche Fahrt verbrachten sie in eis-
igem Schweigen. Als sie die Außenbezirke
von London erreichten, erkundigte er sich,
wo sie wohne, und lotste sie mit ruhiger, un-
persönlicher Stimme durch die Stadt.

Erst als sie den Wagen vor Tatianas Haus an-
hielt, bemerkte Kit, dass sie am ganzen
Körper bebte. Ohne Philip noch einmal an-
zusehen, stieg sie aus.

Er verließ ebenfalls das Auto und holte ihre
Reisetasche aus dem Kofferraum, gab sie Kit
jedoch nicht. Seine Miene war undurch-
dringlich. „Du könntest mit mir ins Hotel
kommen."

Kit schüttelte den Kopf. „Nein, das werde ich
nicht", sagte sie traurig.

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„Mir ist nicht klar, was du für deine Schwest-
er tun kannst?"

„Bei ihr sein. Ihre Hand halten und Lisa
zuhören. Kaffee für sie kochen und mit ihr
über Männer schimpfen." Letzteres war ein
missglückter Versuch zu scherzen.

Er versteifte sich.

„Tut mir Leid", entschuldigte sie sich und
streckte die Hand nach ihrer Tasche aus.

Er gab sie ihr nicht. „Ich wollte dich nicht
verletzen." In seinen Augen lag ein gequälter
Ausdruck. „Ich wusste nicht..."

„Schon gut", unterbrach sie ihn sanft, „du
hast mir nie etwas versprochen und nie be-
hauptet, mich zu lieben."

Er wurde blass. „Ich habe dir gesagt, dass ich
nicht weiß, wie es ist, jemanden zu lieben."

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„Ja, das hast du", erwiderte sie leise. „Weil
du Angst vor der Liebe hast. Du glaubst, sie
würde dich schwach machen."

Er schwieg.

„Ich muss gehen. Leb wohl." Kit entriss ihm
ihre Tasche und rannte, wie von wilden Hun-
den gejagt, ins Haus.

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10. KAPITEL

„O Kit!" rief Lisa und warf sich ihrer Sch-
wester, die vor dem Haus auf das Taxi ge-
wartet hatte, in die Arme.

Und Lisa, die in der Familie immer der Fels
in der Brandung gewesen war, begann an
Kits Schulter zu weinen.

„Ist ja schon gut", versuchte Kit, die selber
des Trostes bedurfte, sie zu beruhigen. „Nun
komm erst mal ins Haus."

Drinnen sank Lisa auf das Sofa. Sie sah ver-
härmt aus. Als hätte sie seit Tagen geweint.

Kit kochte Kaffee und setzte sich dann neben
ihre Schwester. „So, und nun erzähl. Du bist
schwanger, doch Nikolai möchte das Baby
nicht. Warum nicht?"

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Müde schüttelte Lisa den Kopf. „Angefangen
hat es schon vor Weihnachten, als ich eine
Fehlgeburt hatte."

„Eine Fehlgeburt?"

„Alle

dachten,

ich

hätte

ein

Virus

aufgeschnappt." Lisa schluckte. „Ich verlor
das Kind, noch ehe ich wusste, dass ich
schwanger war. Ist das nicht verrückt?"

,,.O Lisa!" Mitfühlend streichelte Kit die
Hand ihrer Schwester.

„Nikolai warf mir vor, ich würde zu viel
arbeiten und hätte selbst schuld, dass ich das
Baby verloren habe. Von da an begann es, in
unserer Ehe zu kriseln."

„War das auch der Grund für eure Streit-
ereien auf Coral Cove?"

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„Eigentlich sind wir nach Coral Cove gereist,
um einmal Zeit für uns zu haben. Aber we-
gen dieses verdammten Kongresses bekam
ich Nikolai kaum zu sehen." Lisa zuckte die
Schultern.

„Nun ja, du hast ja selbst erlebt, wie wir uns
angegiftet haben."

„Aber als ich abreiste, hattet ihr euch doch
wieder versöhnt?"

„Das mit dem Sex ist doch eine große
Illusion."

Unwillkürlich zuckte Kit zusammen.

Lisa bemerkte es nicht. „Eine kleine Mein-
ungsverschiedenheit genügte, und der Streit
brach erneut aus."

„Meinetwegen."

„Egal. Jedenfalls ist er einfach abgereist."

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„Wusste er, dass du erneut schwanger
warst?"

„Ich wusste es damals doch selbst noch
nicht", erwiderte Lisa.

„Hast du es ihm inzwischen mitgeteilt?"

„Wie denn? Ich habe ja keine Ahnung, wo er
steckt. Vermutlich bei irgendwelchen Affen
weitab von jeder Zivilisation."

Kit biss sich auf die Lippe. „Und was willst
du jetzt tun?"

„Hier bei dir bleiben." Lisa blickte ihre Sch-
wester flehend an. „Du hilfst mir doch, das
alles durchzustehen, nicht wahr, Kit? Ich
weiß ja, dass du von uns schon immer die
mütterlichere warst."

„Ich?" fragte Kit erstaunt.

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„Natürlich", bestätigte Lisa im Brustton der
Überzeugung. „Hilf mir Kit, bitte. Ich habe
solche Angst."

Kit schaffte es, Nikolais Aufenthaltsort zu er-
mitteln. Zuerst versuchte sie, Philip zu er-
reichen, doch er war bereits abgereist. Sch-
ließlich gelang es ihr, die Telefonnummer
von Philips New Yorker Büro zu ermitteln
und mit seinem Assistenten zu sprechen.

Fernando war froh, seinem Chef einen Di-
enst erweisen zu können. Er nutzte seine
vielseitigen Kontakte und brachte es fertig,
dass Nikolai nur wenige Stunden später
seine Frau anrief.

Er brauchte drei Tage, um nach London zu
kommen und seine Frau in die Arme zu
schließen. „O mein Liebling", sagte Nikolai.

Und dann war für einige Zeit nichts mehr zu
hören.

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Schließlich wandte Nikolai sich an seine Sch-
wägerin: „Ich verstehe nicht, wie du Philip
Hardestys Assistenten dazu gebracht hast,
nach mir zu suchen."

„Nun ja, Lisa hat dich gebraucht."

„Das ist nicht der Punkt." Nikolai wechselte
einen viel sagenden Blick mit seiner Frau.

„Offenbar hat Philip Hardesty seinen Leuten
gesagt, dass meine Schwester ihm sehr viel
bedeutet", meinte Lisa.

Kit wurde rot. „Nein, das stimmt nicht."

„Verstehe." Lisa lächelte. „Anscheinend ist er
einer dieser Männer, die sich nicht binden
wollen."

„So ist es nicht." Überrascht stellte Kit fest,
dass sie sich bemüßigt fühlte, Philip zu ver-
teidigen. „Er ist nur sehr von seinem Beruf in

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Anspruch genommen und glaubt, einer Frau
das Leben an seiner Seite nicht zumuten zu
können."

„Bist du derselben Meinung?" fragte Nikolai
leise.

Kits Miene verriet, dass sie darüber anders
dachte.

Erneut wechselte Nikolai einen Blick mit
seiner Frau. „Ich denke, du solltest schnell-
stens versuchen, ihn vom Gegenteil zu
überzeugen, Kit."

Aus dem Dschungel drangen laute Ger-
äusche. Pelanang war kein luxuriöses Ferien-
ressort am Meer wie Coral Cove, sondern ein
verschlafenes Nest im Dschungel mit hoher
Luftfeuchtigkeit, Schwärmen von Moskitos
und einem Luftwaffenstützpunkt.

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Während ihres abendlichen Spaziergangs am
Dorfrand fragte sich Kit, was Philip wohl tun
würde, wenn er von seinem Ausflug zum Re-
bellencamp zurückkehrte und erfuhr, dass
sie hier war. Würde er auf ihrer sofortigen
Abreise bestehen? Und wie sollte sie ihm
erklären, weshalb sie gekommen war?

Plötzlich hörte sie Schritte. Instinktiv wollte
sie in die Büsche flüchten, doch das war zu
gefährlich. Wie leicht konnte sie auf eine
Schlange treten. Sie blieb also tapfer stehen
und leuchtete mit der Taschenlampe den
Ankömmling an.

„Es besteht kein Grund, mich zu blenden",
sagte eine ruhige, ihr nur allzu vertraute
Stimme.

„Philip!" rief Kit. Er hatte einen Dreitagebart
und sah auch sonst reichlich mitgenommen
aus.

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Mit wenigen Schritten war er bei ihr. „Kit, ist
alles in Ordnung? Ich habe mir solche Sor-
gen um dich gemacht. Wenn dir etwas
passiert wäre ..."

„Was sollte mir denn passieren?"

Er lachte rau. „Es gibt hier giftige Spinnen
und Schlangen, fleischfressende Orchideen.

Als ich hörte, dass du hier draußen mut-
terseelenallein spazieren gehst, habe ich
Todesängste ausgestanden. Bitte, tu mir so
etwas nie wieder an."

Kit ließ die Taschenlampe sinken.

„Ich weiß, ich hätte dich das längst fragen
sollen, Kit", fuhr er fort. „Bist du bereit, mich
zu heiraten?"

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Verwirrt sah sie ihn an. War dies der kühle,
gelassene Mann, der nie etwas Unüberlegtes
äußerte? „Das meinst du doch nicht ernst?"

Er seufzte. „O doch. Erinnerst du dich noch
daran, als ich sagte,, ich würde jeden aus
meiner Familie vergiften, der versuchte, dich
zu heiraten?"

„Das war doch nur ein Scherz."

„In jedem Scherz steckt ein Körnchen
Wahrheit."

Kit begann zu zittern, und er nahm ihr die
Taschenlampe ab. „Hast du je für einen an-
deren Mann so empfunden wie für mich?"

„Das ist unfair!" rief sie.

„Ich bin zu Diktatoren und Mördern fair,
aber zu dir war ich es nie." Flüchtig berührte
er ihre Wange, als hätte er Angst, dass Kit

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ihn zurückstoßen würde. „Du bist meine an-
dere Hälfte, doch ich habe dich wie Dreck
behandelt."

„Nein, das hast du nicht", widersprach sie
sanft. „Du hast nur gemerkt, dass wir nicht
zusammenpassen. Mir fehlt der gesellschaft-
liche Schliff. Ich könnte nie ein Diadem tra-
gen wie deine Mutter auf dem Porträt, das
du mir gezeigt hast."

Ungläubig sah er sie an. „Diesen Unsinn
glaubst du doch wohl nicht wirklich, mein
Schatz, oder?" Er zog sie an sich. „Die Tage
mit dir in Ashbarrow waren die glücklichsten
meines Lebens. Du hast mich zum Lachen
gebracht und mich entflammt. Ich hatte das
Gefühl, endlich wieder zu leben, aber
gleichzeitig Angst, dass die Liebe mich
schwach machen würde.

Schon im Flugzeug wurde mir klar, dass ich
dich nicht hätte gehen lassen dürfen.

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Kits Puls beschleunigte sich. „Heißt das, du
liebst mich?"

Er blickte ihr tief in die Augen. „Ja, ich liebe
dich."

„Dann werde ich dich heiraten."

„O Kit. Süße, empfindsame, wundervolle Kit.
Wer hätte gedacht, dass ich jemals so glück-
lich sein würde."

Sie schmiegte sich an ihn. „Ich liebe dich
auch, Philip. Wahrscheinlich werde ich mir
Sorgen machen, wenn du auf einer Mission
bist, aber damit werde ich fertig. Und ich
werde dieses verdammte Diadem tragen,
selbst wenn es mich umbringt."

Er lachte, und dann küsste er sie, bis ihr ganz
schwindlig wurde. „Gemeinsam werden wir
mit allem fertig."

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-ENDE -

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