Bonanza 1 Frazee, Steve Bonanza

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Steve Frazee


BONANZA


Bonanza

Band 1












Engelbert-Verlag • Balve/Westf.

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Verlags-Nr. 708
2. Auflage 1968

Dia und Foto für den Umschlag

wurden von NBC ENTERPRISES gestellt

Illustrationen: Walter Riede

Titel der Originalausgabe:

BONANZA – Killer Lion

(c) 1966 by National Broadcasting Company, Inc.

Alle Rechte vorbehalten


Veröffentlicht mit Genehmigung von Western Publishing

Company, Inc. Racine USA

Alle Rechte der deutschen Buchausgabe

1968 by Engelbert-Verlag, Balve

Aus dem Amerikanischen übertragen

von Heinrich Gottwald

Nachdruck verboten – Printed in Germany

Satz, Druck und Einband:

Gebr. Zimmermann,

Buchdruckerei und Verlag GmbH,

Balve/Westf.

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Die spannende Geschichte von Hoss Cartwright
und seinem Puma, die den Leser ebenso fesseln
wird, wie sie die jugendlichen Fernsehzuschauer in
ihren Bann schlug.

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Der zweite Schuß



Nur eine huschende Bewegung nahm Hoss Cartwright oben im
Geröll des Felsenhanges, knapp am Rande seines
Gesichtsfeldes, wahr. Mit einem Zügelruck brachte er sein
großes Pferd Paiute zum Stehen und spähte angestrengt durch
den dichten Vorhang der fallenden Schneeflocken.

Irgendeine Bewegung – das war alles, was er gesehen hatte.
Vielleicht war es ein Kleinwild, das seinem Bau zustrebte;

vielleicht auch ein Vogel, der sich sein Nest unter einem
Felsvorsprung gebaut hatte. Jetzt jedenfalls konnte Hoss dort
oben nichts anderes entdecken als Felsgestein, das die sofort
tauenden Schneeflocken feucht und bräunlich schimmern
ließen.

Paiute war mit dem Aufenthalt gar nicht einverstanden.

Ungeduldig biß das Pferd auf der Zaumstange herum, es sehnte
sich nach seinem Stall am nahen Fluß. Mit einem scharfen
Ruck wandte es den Kopf und schien seinen Reiter ärgerlich
fragen zu wollen, weshalb man denn bei einem solchen
Unwetter auch noch stehen bleiben müsse.

Aber Hoss ließ sich nicht beirren und schaute aufmerksam

den Felsenhang hinauf. Hochgewachsen, von gemütlichem
Naturell, sah er jetzt noch unförmiger aus, als er tatsächlich
war: Er hatte sich nämlich in einen weiten Mantel aus Schaffell
gehüllt und einen riesigen grauen Hut aufgesetzt.

War dort oben etwa ein Wolfsbau? Dann konnte man sich gar

nicht früh genug darum kümmern. Der Frühling war nicht
mehr fern, dann würde die Wölfin womöglich Mutter werden,
und die jungen Welpen hätten Hunger! Mutter und Vater
würden also auf die Jagd gehen – und ein Mann, der hier in der

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Nähe eine Herde kräftiger Rinder weidete, mußte aufpassen.
Deshalb hatte Hoss während der letzten Wochen die Augen
offengehalten.

Sobald das Wetter sich besserte, würde er einmal dort oben

hinaufsteigen und in dem unwirtlichen Felsengelände sorgsam
Umschau halten.

Der Schnee auf seinem Hut schmolz, und von der Krempe

tropfte das Wasser herab. Paiute stampfte unwirsch mit den
Hufen und warf den Kopf zurück. Trotzdem wartete Hoss noch
einige Minuten, ehe er weiterritt.

Hier oben in diesem unwirtlichen, unberührten Lande

wimmelte es von meist harmlosen Tieren aller Art. Hoss fühlte
sich in der Wildnis wohl. Sein Bruder Joe und der Vater unten
in Ponderosa würden nicht schlecht lachen, wenn sie ihn
manchmal beobachten könnten – nicht zuletzt wegen der
Skunkmutter mit ihren fünf Jungen, die sich ganz nahe seiner
Hütte friedlich niedergelassen hatte.

Es fehlte nicht viel, daß die niedlichen kleinen Stinktiere sich

in dem winzigen Häuschen selbst breitgemacht hätten. Aber
um seine Nase zu schonen, achtete Hoss streng darauf, daß die
freundschaftliche Zuneigung die Grenze des Erträglichen nicht
überschritt.

Hoss ließ sein Pferd weitertrotten, warf aber doch noch ab

und zu einen Blick zurück. Zum ersten Male kehrte er auf
diesem von Espen gesäumten Weg von seiner Herde zum Hof
zurück. Gewöhnlich benutzte er einen Pfad, der sich tiefer
unten am Gebirge vorbeischlängelte. Heute jedoch hatte er
einen schwierigeren Weg gewählt, weil er erheblich kürzer war
und Hoss zu Hause sein wollte, ehe der Schneesturm seinen
Höhepunkt erreichte.

Seit einem Monat bewachte er nun eine kleine Herde von

Hereford-Rindern, die der Vater vor kurzem gekauft hatte. Es
handelte sich um eine ganz neue Zucht, und ehe der Vater

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weitere Tiere anschaffte, wollte er erproben, wie sie unter den
hiesigen Bedingungen gediehen.

Noch ein paar Wochen – dann war Joe an der Reihe, hier

oben den Hirten zu spielen, und Hoss konnte heimkehren.

Plötzlich blieb Paiute stehen. Schnaubend versuchte das

Pferd, zur Seite auszuweichen und den Berghang
hinunterzustürmen. Hoss hatte alle Hände voll zu tun, das
erschrockene Tier wieder in die Gewalt zu bekommen.

„Immer mit der Ruhe!“ mahnte er. „Nur nicht aufregen!“
Dort oben im felsigen Gebirge mußte etwas sein – auch

Paiute hatte nun Witterung davon bekommen. Als Fohlen hatte
das Tier einmal mit Wölfen zu tun gehabt, und seitdem geriet
es stets aus dem Häuschen, wenn es die Nähe dieser Raubtiere
spürte; sogar Hunde machten es zuweilen nervös.

So war es kein Wunder, daß Hoss an Wölfe dachte, als er

flink aus dem Sattel sprang und das Gewehr aus der Halterung
löste. Sorgsam band er das zitternde Pferd an einen Baum. Von
seiner Hutkrempe rann ein Bächlein Schneewasser über den
Gewehrlauf, während er die Patrone einschob.

Ganz langsam schlich er auf den Hang zu. Aufmerksam

suchte er mit den Augen das felsige Gelände nach Höhlen oder
Spalten ab. Falls er wirklich einen Wolf erspähen würde, wäre
das ein großer Glückszufall. Aber vielleicht gelänge es ihm,
wenigstens einen Anhalt zu finden: dann könnte er später
wiederkommen, die Höhle aufstöbern und sie ausräuchern.

Vorsichtig, ganz langsam, erklomm er den Hang. Auf dem

feuchten Boden verursachten seine Schritte fast keinen Laut.
Zum Schießen war es kaum noch hell genug, und Hoss wußte,
daß er überhaupt nur mit großem Glück würde treffen können
– und falls er sehr schnell wäre!

Unbeirrt suchte er sich seinen Weg durch Felsspalten und

dichtes Gebüsch. Endlich erreichte er eine kleine Lichtung,
und beklommen blieb er stehen. Zwar hatte er noch niemals

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gehört, daß ein Wolf einen Menschen angefallen hätte, aber
jedes Raubtier konnte ungemein gefährlich werden, wenn es
sich in die Enge getrieben fühlte und keine Möglichkeit zur
Flucht mehr sah.

Vor ihm zogen sich zahlreiche Spalten und Furchen durch

das felsige Gelände. Hoss mußte einsehen, daß es schon zu
spät war, um hier noch gründlich suchen zu können. Die
Schneeflocken schmolzen nicht mehr, und allmählich legte
sich eine weiße Decke über den Boden. Große Felsbrocken
versperrten Hoss den Blick nach unten, wo sein Pferd
angebunden war.

Immer langsamer bewegte er sich in dem dichten

Schneetreiben, und immer wieder blieb er stehen und lauschte.
Plötzlich stand er vor einer Enge, durch die er sich nur
seitwärts hätte hindurchquetschen können. Vorsichtig wich er
ihr aus und zog es vor, den Hang dicht daneben ein Stück
hinaufzuklettern.

Von hier aus konnte er das ganze Gelände unter sich

überschauen und auch sein Pferd sehen. Paiute blickte nicht zu
ihm herauf, sondern spähte gebannt nach Westen. Hoss stutzte.
Er konnte sich auf die Sehschärfe des Tieres erheblich besser
verlassen als auf seine eigene, und so schaute er aufmerksam
in die Richtung, die das Pferd ihm wies. Aber er konnte beim
besten Willen nichts anderes sehen als dicke Schneeflocken,
die auf die Felsen herabsanken. Nach kurzem Überlegen
beschloß er, nicht mehr höher hinaufzuklettern. Womöglich
käme er dabei ganz dicht an der Wolfshöhle vorbei, ohne sie
jedoch zu entdecken, und würde die Wölfin vielleicht so
erschrecken, daß sie mit ihren Jungen eilig irgendwo anders
Schutz suchte und sich an einer Stelle verkröche, wo Hoss sie
niemals wiederfände.

Mit der Hand fuhr er über den Kragen seiner Pelzjacke und

streifte den Schnee ab. Ein Blick nach unten zeigte ihm, daß

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sein Pferd noch immer aufmerksam in dieselbe Richtung
schaute und die Ohren spitzte.

Hoss blieb unbeweglich stehen und spähte angestrengt am

Hang entlang. Endlich verlor er die Geduld und wollte sich
abwenden…

Da aber sah er sie, unmittelbar unter dem Steilhang oben auf

der Höhe: eine lange, gelblich-braune schlanke Gestalt, die
gleich einem Pfeil von Felsbrocken zu Felsbrocken sprang.

Ein Puma! Ein Berglöwe!
Kaum nahm Hoss die flinke Bewegung wahr, da riß er auch

schon ganz automatisch das Gewehr hoch. Aber lange bevor er
zum Schuß kam, war das Tier mit einem langen Satz hinter
einem Felsen verschwunden.

Hoss hielt die Waffe im Anschlag. Gespannt wartete er – aber

nichts geschah. Diese elenden Raubkatzen! Immer war es so:
man sah sie – und im nächsten Augenblick waren sie
verschwunden und ließen sich nicht mehr blicken. Der Puma
da oben war inzwischen womöglich schon viele hundert Meter
weiter!

Dennoch blieb Hoss unbeweglich stehen, das Gewehr

schußbereit. Dicht neben der Stelle, wo der Puma aufgetaucht
und verschwunden war, ragten die Spitzen von zwei kleinen
Fichten in den Himmel. Dahinter schob sich ein Felsvorsprung
über den Abgrund – so kahl, daß sich dort gewiß niemand
verstecken konnte. Vermutlich hatte sich das Tier hinter dem
Felsen durch einen Spalt davongeschlichen, und Hoss durfte
nicht hoffen, es jemals wieder zu Gesicht zu bekommen.

Aber falls es noch da war und über den kahlen Felsvorsprung

fortschleichen wollte, würde Hoss es unweigerlich sehen
müssen – gerade lange genug, um einen schnellen Schuß
wagen zu können.

Von unten herauf klang aufgeregtes Stampfen und Wiehern

an sein Ohr, aber Hoss wagte nicht, den Blick von dem

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Felsvorsprung zu wenden. Mochte sein Pferd sich nur
losreißen!

Es würde schnell dunkler. In zehn Minuten würde die Nacht

hereinbrechen!

Ob der Puma dort oben seine Höhle hat? überlegte Hoss.
Sobald das Wetter sich besserte und man im Schnee die

Spuren deutlich erkennen könnte, würde er wiederkommen.

Schon wollte er sich umwenden und hinunterklettern – da

landete der Puma mit einem Satz oben auf dem kahlen
Felsvorsprung. Ungefähr drei Sekunden lang bekam Hoss
seine Gelegenheit zum Schießen.

Ruhig drückte er den Abzug durch und hatte das Gefühl, gut

abgekommen zu sein.

Die Kugel traf den Puma in die Mitte des schlanken Leibes.

Er sackte zusammen, wälzte sich, riß, sich noch einmal hoch
und rollte dann den Hang hinunter. Hoss konnte ihn nicht mehr
sehen.

„Getroffen!“ jubelte Hoss.
So begierig er war, das von ihm erlegte Wild zu sehen, nahm

er sich doch Zeit und kletterte ganz langsam durch das felsige
Gelände. Es wäre auch sträflicher Leichtsinn gewesen, hätte er
sich einem getroffenen Raubtier, vor allem einem Puma, einem
Berglöwen, unachtsam genähert.

So war es schon beinahe dunkel, als er von der Höhe eines

Felsvorsprunges aus auf die große Raubkatze hinunterschaute.

Anscheinend war sie tot. Dennoch kletterte Hoss nur mit

größter Vorsicht weiter, das Gewehr schußbereit in der
Armbeuge. Donnerwetter – ein so großer Puma war ihm noch
nie im Leben vorgekommen! Hätten doch nur der Vater und
Joe ihn sehen können!

Plötzlich stutzte Hoss. Er hatte etwas entdeckt: das tote Tier

war ein Weibchen, und es hatte Junge gehabt!

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Hoss schlug den Hut gegen sein Bein, um den Schnee

abzuklopfen. Ungehalten schüttelte er den Kopf. Nun mußte er
auch noch die Höhle suchen und die Jungen umbringen! Sonst
würden sie elend verhungern. Hoss war Viehzüchter, und er
hatte deshalb etwas gegen Raubtiere aller Art. Und doch war
ihm der Gedanke an die jungen Pumas, die elendiglich
verhungern mußten, einfach unerträglich.

Er machte sich an den Abstieg zu seinem wartenden Pferd.

Plötzlich erstarrte er: In einer kleinen Lichtung, in der zwei
zerzauste Fichten wuchsen, hatte er das Junge erspäht!

Es war auf einen der Bäume geklettert, so weit die ungeübten

Füße es trugen, und nun hing es dort oben an den schwachen
Zweigen. Während Hoss verblüfft hinaufstarrte, gab einer der
Zweige nach, und das Pumajunge mußte mächtig strampeln
und sich verzweifelt mit einer Pfote am Stamm festkrallen, um
ja nicht in die Tiefe zu stürzen.

Hoss hob das Gewehr und zielte auf den Kopf des Kleinen.

Mit Schnee bestäubt, starrte das Fellgesicht herunter: ein Ohr
hatte das Tierchen gespitzt, das andere angelegt. Wieder gab
ein Zweig nach, und das Junge mußte auf so urkomische
Weise um neuen Halt kämpfen, daß Hoss nicht anders konnte,
als das harte Gesicht zu einem Grinsen zu verziehen.

Mensch, war es nicht niedlich, das kleine Wesen da oben auf

dem Baum? Wie mochte es sich vorkommen in seiner luftigen
Höhe? Bestimmt sehnte es sich auf festen Grund zurück.

Ja, niedlich mochte es im Augenblick wohl sein – aber aus

Pumajungen wurden große Raubkatzen, natürliche Feinde
harmlosen Wildes – und Feinde weidender Rinder und
fröhlicher Fohlen.

„Armes Kätzchen!“ knurrte Hoss. „Leider muß ich dich

erschießen, es geht nicht anders. Je eher, desto besser!“

Der Finger krümmte sich um den Abzug. Wieder brach einer

der Zweige, um ein Haar wäre das junge Tier abgestürzt; erst

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im letzten Augenblick gelang es ihm, sich mit allen vieren am
Stamm festzukrallen. Der ganze Baum geriet ins Schwanken,
und das Junge starrte mit drolligem Gesichtsausdruck zu dem
Menschen herunter. Hoss zuckte ärgerlich die Schultern – und
setzte das Gewehr ab!

„Weshalb mußtest du nur auf einen Baum klettern!“

schimpfte er.

Und was für ein kümmerlicher Baum es obendrein war! Wäre

das Pumajunge auf dem Erdboden dahingelaufen, hätte es zu
entkommen versucht – ja, dann wäre alles ganz anders
gewesen! Dann hätte man nicht lange zu überlegen brauchen,
sondern einfach losgeknallt, und der Fall wäre erledigt
gewesen.

Noch dichter fiel der Schnee, und es war schon fast

stockfinster. Bis zur Hütte waren es fast zwei Kilometer, und
Hoss fiel ein, daß er noch Feuerholz würde sägen müssen.
Eigentlich hatte er es heute früh tun wollen, aber das Wetter
war so schön gewesen, daß er unbedingt hatte ausreiten
müssen und überzeugt gewesen war, das Holzsägen noch ohne
Mühe am Nachmittag erledigen zu können.

Reichlich viel Zeit hatte er nun damit vergeudet, sich über

einen kleinen Puma den Kopf zu zerbrechen. Er hob das
Gewehr.

Diesmal würde er ohne jedes Bedenken den Abzug drücken!

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Gefangen



Aber Hoss Cartwright brachte es nicht fertig. Mochte das
kleine Wesen mit dem beschneiten Fell später auch einmal ein
reißender Berglöwe werden – Hoss konnte es in diesem
Augenblick nicht abschießen. Gar zu rührend sah es aus, wie
es sich da oben an den Stamm klammerte und auf ihn
herabschaute!

Merkwürdig! Plötzlich fiel Hoss auf, daß das winzige Tier

ihn nicht ein einziges Mal angefaucht hatte. Gewiß hatte es
genug damit zu tun gehabt, sich oben festzuhalten. Aber
trotzdem…

Hoss konnte sich doch nicht einfach abwenden und

davongehen! Immerhin lag die Mutter des Pumajungen
erschossen dort drüben zwischen den Felsen…

Er lehnte das Gewehr an einen Felsen und zog die Pelzjacke

aus. Dann hielt er sie so, daß die weiche Seite oben lag, und
trat dicht an den Baumstamm heran. Er hob den Fuß, so hoch
er konnte, und trat mit aller Wucht gegen den schlanken
Stamm.

Der Baum schwankte, schnellte vor und zurück, und gleich

darauf verlor das Junge allen Halt und stürzte ab – in die
ausgebreitete Pelzjacke hinein. Flink beutelte Hoss sie
zusammen und schlug die Enden übereinander. Sogleich wurde
ihm klar, daß er einen strampelnden, fauchenden, beißenden
kleinen Teufel eingefangen hatte. Geschickt hantierte er so
lange mit der Jacke, bis der Kopf des kleinen Raubtieres
hervorschaute. Sofort stellte die Katze die Gegenwehr ein.

Hoss klemmte sich das gefangene Junge unter den Arm und

kletterte zu seinem Pferd hinunter. Paiute hatte den Boden

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rundum kräftig zerstampft, aber doch nicht ernstlich versucht,
sich loszureißen. Nun allerdings, als das Pferd die Witterung
des Pumajungen aufnahm, wurde es wild! Blitzschnell packte
Hoss die Zügelleine, aber Paiute riß gewaltsam daran, wollte
sich umwenden und davonlaufen!

„He, blödes Vieh!“ schimpfte Hoss. „Es ist doch nur ein

liebes Kätzchen!“

Ob lieb oder nicht, ob Katze oder Kätzchen – für Paiute war

die Witterung die gleiche! Es dauerte lange, bis es Hoss
endlich gelang, sein Pferd halbwegs zu beruhigen. Jedoch
mußte er einsehen, daß es sich unbedingt empfahl, gar nicht
erst den Versuch zu machen, mit seiner Beute in den Sattel zu
steigen!

So ging er zu Fuß und zerrte sein Pferd am Zügel hinterher.

Paiute fand es offenbar schlimm genug, einen Puma so nahe
bei sich zu haben. Als sie das Gehöft betraten, trabte Ginger,
das zweite Pferd, über die Koppel heran. Plötzlich nahm auch
er die Witterung des kleinen Pumas auf.

Mit lautem Wiehern fuhr er herum und galoppierte davon.

Spätestens in diesem Augenblick wurde Hoss klar, daß er sich
allerlei aufgehalst hatte, als er oben im Gebirge darauf
verzichtete, den Abzug durchzuziehen.

Er ließ Paiute los – auf die Gefahr hin, daß das Pferd das

Weite suchen würde. Aber das gute Tier trabte auf die Koppel
und schaute sich hinter dem Zaun noch einmal um. Es mußte
doch sehen, was sein Herr nun mit dem elenden Stinker
anstellte!

Hoss trug das Pumajunge in den einzigen Raum seiner

winzigen Hütte. Sofort rollte es sich auf dem Fußboden
zusammen, kroch dann mit klopfendem Schwanz über die
rohen Bohlen und versteckte sich unter dem Bett.

„Das ist der richtige Platz für dich, kleiner Stinker!“

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Hoss war vom Schnee durchnäßt, da er ohne Jacke hatte

marschieren müssen, und erschöpft vom langen Gehen. Aber
noch durfte er sich nicht ausruhen. erst einmal mußte das Pferd
versorgt werden. Also zog er sich die Felljacke wieder an und
ging hinaus. Sofort stürmte Ginger auf ihn zu – kaum aber
witterte er die Jacke, da schnaubte er angewidert, fuhr herum
und jagte über die Weide davon.

„Ich war wirklich ein Vollidiot, als ich einen jungen Puma

einfing!“ schalt Hoss sich selbst gehörig aus. „Aber nun habe
ich es einmal getan. Und was jetzt?“

Beim Schein einer Laterne sägte er Holz, und mit dicken

Flocken sank ihm der Schnee auf die Schultern. „Auch daran
hat niemand anders als das elende Löwenvieh schuld!“ knurrte
Hoss. Als er, die erste Bürde Holz auf den Armen, in die Hütte
kam, hörte er einen dumpfen Laut: das Pumajunge war von
seinem Bett heruntergesprungen und verkroch sich soeben mit
schlechtem Gewissen wieder unter die Lagerstätte.

Die Hütte war aus dicken Baumstämmen errichtet, die Wände

mit Lehm verschmiert. Neben dem Tisch befand sich das
einzige kleine Fenster, ein paar Regale waren an der Wand
befestigt und zum Schutz gegen Ratten sorgsam vergittert, und
die übrige karge Ausstattung war aus Holzklötzen roh
zusammengezimmert. Hier drinnen war es ziemlich gemütlich,
obwohl man sich während der langen Wintermonate tüchtig
langweilen konnte!

Kaum gewann das Feuer ein wenig Gewalt über die Kälte im

Zimmer, da zerrte sich Hoss das nasse Hemd vom Leibe und
stellte sich dicht an den Ofen. Deutlich hörte er, wie der junge
Berglöwe unter seinem Bett an den Holzbohlen kratzte.
Plötzlich aber wurde es ganz still.

Hoss dachte ans Abendbrot. Dazu mußte er einen Eimer

Wasser vom Fluß heraufholen. Als er nach einiger Zeit in die
Hütte zurückkehrte, machte er sich darauf gefaßt, den jungen

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Puma in heller Aufregung zu finden; sicherlich suchte er ein
Loch, durch das er entschlüpfen konnte.

Aber es war alles still.
Hoss stellte die Laterne auf den Boden und kniete nieder. Da

lag das junge Tier unter seinem Bett, hatte sich
zusammengerollt, und seine riesengroßen Augen blinzelten
verschlafen in dem hellen Licht.

„Donnerwetter!“ Mehr brachte Hoss nicht heraus.
Er goß Kondensmilch in eine Schale, verdünnte sie mit

warmem Wasser und stellte sie neben sein Bett auf den
Fußboden. Dann machte er sich daran, sein Abendbrot
zuzubereiten.

Erst ungefähr eine Stunde später rührte sich das Junge. Hoss

hatte sich auf seinem Strohsack ausgestreckt, als er plötzlich
ein schlürfendes Geräusch vernahm. Vorsichtig senkte er den
Blick: Ja, da schlappte das junge Tier die Milch aus dem Napf,
und die Schnurrbarthaare färbten sich weiß. Bewegungslos
schaute Hoss dem Pumajungen zu.

Irgend etwas stimmte mit dem einen Ohr nicht: mißgestaltet

und verstümmelt lag es im dichten Fell. Es sah aus, als habe es
jemand zur Hälfte abgefressen. Und jetzt bemerkte Hoss noch
etwas: von der Schulter über den rechten Vorderlauf zog sich
eine lange Narbe. Offenbar war die Wunde recht tief gewesen.
Inzwischen war sie zwar verheilt, doch das Fell war noch nicht
nachgewachsen.

Plötzlich hustete das Tier, vermutlich hatte es die Schnauze

ein wenig zu tief in den Napf getaucht. Wütend fauchte es, als
habe der Napf es angegriffen, und wich unter Hoss’ Bett
zurück.

Zweimal weckte das Tier Hoss während der kommenden

Nacht. Einmal vernahm er, wie es wieder an der Milch im
Napf schleckte. Und beim zweiten Male hörte er, wie es mit
der Schnalle eines seiner Sättel spielte, die im Zimmer lagen.

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Als Hoss am Morgen erwachte, saß der junge Puma auf dem

Tisch und schnupperte an der Fensterritze.

„Hinunter da!“ schimpfte Hoss ungehalten.
Vermutlich wirkte mehr der ärgerliche Klang der Stimme als

der Befehl selbst – jedenfalls huschte das Tier erschrocken
vom Tisch und verkroch sich wieder unters Bett.

Hoss trat in die Tür seiner Hütte. Fast ein halbes Meter hoch

lag der Schnee, und es schneite immer weiter. Sein erster
Gedanke war, daß er wieder Holz schneiden mußte. Während
er blinzelnd in die schweigende weiße Welt draußen schaute,
huschte das Jungtier ganz dicht an ihm vorbei – in die Freiheit.

Kaum aber war es draußen, da sank es tief in dem hohen

Schnee ein, und nach ein paar vergeblichen Versuchen,
vorwärts zu kommen, bahnte es sich durch die flockige Decke
einen Weg zu dem schneefreien Platz unter dem vorstehenden
Dach.

Das Pumajunge schüttelte sich heftig und rannte dann um die

Ecke, wo in unmittelbarer Nähe der Hauswand ebenfalls kaum
Schnee lag. Hoss lief hinterher, und auf einmal machte das
junge Tier kehrt, schlüpfte zwischen seinen Beinen hindurch
und lief zurück.

Machte es sich einfach einen Spaß, oder wollte es tatsächlich

entkommen? Hoss wußte eis nicht – jedenfalls drehte der
Puma unglaublich flink drei Runden um das Blockhaus…

Dann huschte er wieder hinein und verkroch sich unter die

Schlafstelle.

Hoss seufzte. Ihm war klar, daß er das Tier nie im Leben

wiedersehen würde, hätte ihm nicht die hohe Schneedecke den
Weg versperrt.

Jedes Lebewesen, ob Mensch oder Tier, hat seinen ganz

eigenen Charakter. Wie es sich entwickelt, hängt von vielen
Dingen ab – gewiß nicht zuletzt aber von seiner Veranlagung.
Konnte es sein, daß dieser junge Berglöwe gar nicht so wild

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und unberechenbar war wie die übrigen wilden Tiere, die Hoss
bisher kennengelernt hatte?

Vermutlich fühlte sich das Junge unter seinem Bett genauso

daheim wie in der Höhle, in der es geboren worden war. Seine
Geschwister waren vielleicht vollkommen anders. Womöglich
wären sie, sofern sich ihnen eine Möglichkeit zur Flucht
geboten hätte, trotz des Schnees davongestürmt und hätten
gegen die weiße Masse angekämpft, bis sie erschöpft
liegengeblieben wären!

„Mir scheint, du weißt ganz gut, was sich schaffen läßt!“

sagte Hoss lachend. Plötzlich stutzte er. „Ich meine, du
müßtest einen Namen haben.“ Er überlegte kurz. „Wie wäre es,
wenn ich dich Rimrock nenne? Ein besserer Name fällt mir
nicht ein!“

Nach dem Frühstück schüttete Hoss Milch in den Napf. Dann

suchte er draußen neue Holzstämme unter dem Schnee. Gewiß
gab es reichlich Holz auf dem Hof, aber leider hatte er stets
versäumt, genug Ofenholz zu spalten.

Nun aber wollte er so viel heizbares Holz in die Hütte

schaffen, daß es für den Rest des Winters reichte.

Jedesmal, wenn er in die Hütte zurückkam und einen neuen

Stapel Holz gegen die Wand schichtete, warf er einen Blick
auf die Schale mit Milch. Der Spiegel sank allmählich, daran
war nicht zu zweifeln. Rimrock schleckte die Milch, während
er draußen Holz sägte!

Lange bevor Hoss alles Holz hereingeschafft hatte, war die

Satte leer.

Hoss begann zu überlegen. Rimrock war doch eigentlich

schon zu groß, um noch als Säugling behandelt zu werden.
Zwar wußte er nicht viel über die Lebensweise der Berglöwen,
wenn er sich diesen Rimrock so anschaute, dann schien er
doch auf jeden Fall groß genug zu sein, um selbst auf die Jagd
zu gehen und sich seine Nahrung zu verschaffen.

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Seit seinem unüberlegten Entschluß, das junge Tier lebend zu

fangen, hatte Hoss immer wieder darüber nachdenken müssen,
wie unklug das gewesen war. Auf die Dauer ging es nie gut,
wenn man ein wildes Tier in ein zahmes Spielzeug verwandeln
wollte. Wurde das Tier endlich groß, gab es stets Verdruß.

Nachbar Corley Frakes hatte im Frühling eines Tages ein

verwaistes Rehkitz heimgebracht. Natürlich freuten sich seine
Kinder mächtig, und zwei Jahre lang ging alles gut. Dann auf
einmal wurde aus dem sanften Tierkind ein Bock mit spitzem
Gehörn, der mit Vorliebe Pferde und Besucher anfiel! Eines
Tages versetzte er sogar Corley, der sich gerade über die
Futterkiste beugte, einen Stoß, und der Rancher stürzte
kopfüber in die Körner. Das war zuviel! Wenige Tage später
war der Bock verschwunden, und der Vater erzählte seinen
Kindern, er sei sicherlich in den Wald gelaufen.

Hoss konnte nur eines tun: er wollte Rimrock so lange bei

sich behalten, bis er alt genug war, in der Wildnis für sich
selbst zu sorgen. Dann würde er ihn in einiger Entfernung von
seiner Hütte freilassen. Außerdem würde der Puma bestimmt
ganz von selbst davonlaufen, sobald er ein Kaninchen oder ein
anderes Tier dieser Größe fangen konnte.

Es wäre ja noch schöner, wenn er sich in ein Schoßtierchen

verliebte! Ein Mann tat so etwas nicht!

Nur eine Zeitlang behalte ich ihn bei mir, redete er sich ein.

Dann aber jage ich ihn ins Freie, wie es sich gehört!

Vermutlich war Rimrock wieder unter das Bett gekrochen,

nachdem er die Milch aufgeschleckt hatte. Tiere dieser Art
pflegten ja bei Tage zu schlafen und nachts auf die Jagd zu
gehen.

Plötzlich aber blieb Hoss bewegungslos stehen. Der Puma

kam aus dem Haus, stürzte sich in den Schnee, wälzte sich und
sprang unbeholfen durch die weiße Pracht.

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Paiute und Ginger spürten seine Nähe. Sie standen am

Koppelzaun, reckten die Hälse und stießen dampfende
Atemwolken aus den geblähten Nüstern.

Während Hoss seine letzte Ladung Holz hineintrug, hörte es

auf zu schneien. Eigentlich hatte er ja wieder ins Gebirge
reiten und nach der Höhle der Berglöwen suchen wollen. Nun
aber hielt er es für wichtiger, sich um seine Rinderherde zu
kümmern.

Rimrock hatte sich wieder ins Innere der Hütte

zurückgezogen. Als Hoss aufbrach, ließ er die Tür einen Spalt
offen und klemmte ein Holzscheit dazwischen.

Die Rinder waren ein wenig weitergezogen. Mit dem Schnee

wurden sie offenbar gut fertig. Das eben hatte der Vater
erproben wollen: ob sie auch bei schlechtem Wetter für sich
sorgen und noch unter einer Schneedecke Futter
hervorscharren könnten. Nun, er konnte mit diesen Hereford-
Kühen zufrieden sein!

Langsam ritt Hoss eine Runde um die Herde. Aufmerksam

musterte er die Tiere und suchte nach Anzeichen von
Schwäche. Außerdem hielt er Ausschau nach Spuren von
Raubtieren.

Raubtiere! dachte er erschrocken. Wenn Vater wüßte, daß ich

einen Löwen, wenn auch einen kleinen, unter meinem Dach
aufgenommen habe!

Nun, der Vater würde es nie erfahren. Auch Joe sollte keinen

Wind davon bekommen – sonst würde er bestimmt nicht mit
bissigen Bemerkungen sparen. Hoss glaubte, die helle Stimme
zu hören, wie sie ihm spöttisch riet, das nächste Mal ein wildes
Tier doch lieber abzuschießen statt an die Brust zu ziehen.

Nein, wenn Joe kam, um ihn abzulösen, dann mußte der

junge Puma der Milch entwöhnt und in die freie Wildbahn
entlassen sein! Bei diesem Gedanken fiel Hoss ein, daß er ja
ins Gebirge wollte, um nach der Höhle zu sehen. Allerdings

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stand nicht fest, daß die Pumamutter gerade an der Stelle
gehaust hatte, wo sie Hoss über den Weg gelaufen war.
Vielleicht war sie nur unterwegs gewesen, um ihren Jungen
Jagdunterricht zu geben! Und vielleicht war Rimrock
überhaupt ihr einziges Junges.

Aber das erschien Hoss unwahrscheinlich. Pumas bekamen

gewöhnlich mehrere Junge auf einmal.

Morgen wollte Hoss losreiten und der Sache auf den Grund

gehen!


Hoss hätte sich wegen der Pumajungen keine Sorgen zu
machen brauchen. Nur zwei waren in der Höhle geboren
worden, die mehr als drei Kilometer von der Stelle entfernt lag,
wo Hoss die Löwin erschossen hatte.

Vor dieser Höhle hatten Bruder und Schwester eines

Morgens, als die Mutter auf der Jagd war, gespielt und sich
gebalgt. Laut fauchend und knurrend rollten sie über den
Felsboden und hatten alles um sich herum vergessen – als
plötzlich ein Schatten über sie fiel. Mit weit gespreizten
Flügeln stürzte sich eine Adlermutter, die ebenfalls Junge zu
ernähren hatte, auf die jungen Pumas. Ihre Krallen rissen
Rimrock ein halbes Ohr ab und zogen eine tiefe Schramme
über seine Brust und den oberen Teil des Vorderlaufes.

Die andere Klaue aber grub sich tief in den Nacken von

Rimrocks Schwester. Rimrock kam wieder auf die Beine, doch
ein schwerer Hieb des mächtigen Flügels streckte ihn nieder,
und er rollte davon. Nur mühsam konnte er zur Höhle
zurückkriechen, wo er sich in der hintersten, finstersten Ecke
verbarg.

Die Schwester sah er nie wieder. Aber er wußte, daß ihr

etwas ganz, ganz Schlimmes zugestoßen war.

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Als die Mutter heimkehrte, suchte sie Tag und Nacht

zwischen den Felsen nach dem verschwundenen Jungen.
Immer wieder ließ sie ihren Ruf erschallen, bis sie es
schließlich aufgab, weil sie fühlte, daß sie ihr Kind nie
wiederfinden würde.

Sie hatte nun mehr Milch, als sie brauchte. Deshalb säugte sie

Rimrock länger, als es nötig war – kein Wunder, daß der
Kleine sich reichlich unbeholfen anstellte, als die Mutter
endlich doch begann, ihn in die Geheimnisse der Jagd
einzuführen.


Hoss hielt sich nicht lange bei der Herde auf. Er wurde das
dumpfe Gefühl nicht los, daß etwas Unangenehmes auf ihn
wartete. Und als er sein kleines Gehöft erreichte, bestätigte
sich seine Ahnung.

Rimrock hatte seinen Aktionsradius ausgedehnt! Auf dem

Pfad, den Hoss zu seinem Holzstoß geschaufelt und getreten
hatte, war der junge Berglöwe bis zur Koppel vorgedrungen
und hatte versucht, Ginger seine Aufwartung zu machen.

Der Junghengst mußte ihn aber wohl mißverstanden haben.

Der Schreck hatte seine Kräfte vervielfacht: er hatte ein paar
Latten des Koppelzaunes losgetreten und war davongestürmt,
nach Ponderosa.

Als Hoss den Schaden betrachtet hatte und zur Hütte

zurückkehrte, lugte der Kleine durch die halboffene Tür.

„Das hast du fein gemacht!“ knurrte Hoss sarkastisch.
Er stieg erst gar nicht aus dem Sattel. Falls Ginger die Ranch

des Vaters erreichte, würde man sich dort Gedanken machen
und womöglich heraufkommen, um nach dem Rechten zu
sehen. Das mußte Hoss verhindern. Er ritt los, um das Pferd zu
suchen.

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In den niederen Landstrichen, wo der Schnee nicht mehr gar

so hoch lag, war Ginger langsamer gelaufen. Hier und da hatte
er eine Rast eingelegt, dann aber bald wieder den Weg zur
heimatlichen Ranch fortgesetzt. Hoss mußte mehr als fünfzehn
Kilometer reiten, bevor er das Tier einholte. Willig kehrte es
um.

Während des Heimritts ins Gebirge peitschte ihnen ein

scharfer, eisiger Wind entgegen. Als Hoss dann die Lücke im
Zaun endlich geflickt hatte, war es schon fast dunkel.

Müde kehrte er in die Hütte zurück. Da trat er auf etwas

Hartes, das unter seinem Fuß wegrollte. Er verlor das
Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Knurrend erhob er sich –
und wäre fast zum zweiten Male gefallen. Die Holzscheite, die
er so sorgfältig an die Wand gestapelt hatte, lagen rundherum
verstreut, und alles Hausgerät war ebenfalls zu Boden
geworfen worden.

Rimrock wälzte sich auf Hoss’ Bettstelle und spielte mit dem

Revolver, der am Koppel über dem Bett hing.

„Du bist wohl heute in Hochform?“ schrie Hoss wütend.
Flink glitt der junge Puma herunter und verkroch sich eilig

unter das Bett.

„Ich an deiner Stelle würde mich auch verstecken!“

fauchte

Hoss ihm nach.

Er zündete die Lampe an und räumte auf. Rimrock schaute

ihm, wie er mit einem Seitenblick bemerkte, unter dem Bett
hervor gespannt zu. Sobald aber Hoss einen neuen ärgerlichen
Laut vernehmen ließ, zog der junge Löwe sich hastig zurück.
Bald jedoch schob er sich vorsichtig wieder nach vorn, um
weiter zu beobachten, was da vor sich ging.

„Du elender Taugenichts!“ schimpfte Hoss, aber er konnte

sich dabei ein Lachen nicht verbeißen.

Eine Weile später setzte er die Schale mit Milch auf den

Boden. Sofort kam Rimrock unter dem Bett hervor.

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„Na, du bist gelehrig, was?“ feixte Hoss. „Aber laß dir eins

gesagt sein: Wir haben nur noch ganz wenig Milch da, und ich
würde dir empfehlen, dich beizeiten auf andere Nahrung
umzustellen.“

Nachts fuhr Hoss aus tiefstem Schlaf auf, als irgend etwas

gegen sein Bett bumste. Verschlafen, wie er war, begriff er
zuerst gar nicht, was das bedeuten sollte. Dann aber hörte er
ein Kratzen auf der Zeltplane, die er sich übers Bett gebreitet
hatte: Das Jungtier kletterte zu ihm herauf, tappte vorsichtig
herum und rollte sich dann zu Hoss’ Füßen zusammen.

„So ein Kerl!“ murmelte Hoss, schon wieder halb

eingeschlummert. Und Rimrock ließ als Antwort ein
zufriedenes Schnurren hören.

Kaum öffnete Hoss am nächsten Morgen die Tür, da rannte

Rimrock auch schon an ihm vorbei. Diesmal machte er keinen
Kopfsprung in den Schnee, sondern setzte sich ruhig auf die
Schwelle, schaute hinaus und lief dann in großen Sätzen um
die Hütte herum. Eilig stapfte Hoss zum Pferch. Er hatte keine
Lust, wieder hinter Ginger herzureiten.

Auch Rimrocks Ziel schien die Koppel zu sein. Aber Hoss

verscheuchte ihn, indem er ein paar Schneebälle nach ihm
warf. Was sollte Hoss nur mit Ginger machen? Offenbar
vertrug der Hengst sich ganz und gar nicht mit dem neuen
Hofgenossen. Ob er vielleicht künftig lieber auf Ginger ausritt
statt auf Paiute? Die Stute regte sich nicht halb so sehr auf wie
der Hengst.

Hoss kehrte ins Haus zurück, um zu frühstücken. Rimrock

wollte gerade wieder anfangen, mit den Holzscheiten zu
spielen.

„He!“ herrschte Hoss ihn an und gab ihm einen harten Klaps

aufs Hinterteil. Sofort nahm der junge Puma volle Deckung
unter dem Bett.

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Es dauerte aber gar nicht lange, da kam er wieder zum

Vorschein und schleckte die letzten Tropfen aus der fast leeren
Milchschale.

„Du bist viel zu groß, um wie ein Baby Milch zu trinken!“

schalt Hoss. „Wir beide werden uns auf etwas anderes einigen
müssen. Magst du dich auch noch so putzig anstellen, du
bleibst doch immer eine Wildkatze, ein Berglöwe.
Meinetwegen darfst du noch bei mir bleiben, bis der Schnee
schmilzt – aber von heute abend an wirst du Fleisch fressen,
verstanden? Und so bald wie möglich wirst du dich in dein
Gebirge zurückscheren!“

Nach dem Frühstück bekam das Tier noch einmal seine

Milch.

„Ich habe keine Molkerei!“ knurrte Hoss seinen schleckenden

Kostgänger an. „Hoffentlich machst du dir das endlich einmal
klar!“

Rimrock tauchte die Nase so tief in die duftende Milch, daß

er laut niesen mußte. Erschrocken fuhr er zurück, setzte sich
auf und starrte fassungslos auf den Napf. Dann schmatzte er
weiter. Als er fertig war, trat er versehentlich auf den Rand des
flachen Napfes – und in einem kühnen Bogen landete das Ding
auf Rimrocks Nase.

Hoss lachte aus vollem Halse – und das Pumajunge lief

unters Bett.

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Eine schreckliche Katze



Hoss war ins Bergland geritten und suchte nun unterhalb des
Steilhanges nach der Pumahöhle. Aber er konnte nicht die
geringste Spur finden. Eigentlich war er herzlich froh darüber
– denn hätte er tatsächlich ein paar Junge gefunden, so wäre
ihm nichts anderes übriggeblieben, als sie zu erschießen.

Ein Jungtier genügte ihm gerade! Eigentlich war es sogar

schon reichlich viel.

Das jedenfalls war ganz bestimmt Gingers Meinung. Nicht

einmal der ferne Duft des wilden Tieres war ihm erträglich,
und noch auf der Jacke aus Schaffell, die Hoss trug, nahm er
die verhaßte Witterung wahr.

Am Abend nach der Heimkehr stellte Hoss endgültig

Rimrocks Speisezettel um: für ein Raubtier gehörte es sich nun
einmal, daß es Fleisch fraß. Das mußte der junge Puma wohl
einsehen!

Hinter der Hütte hing an einer Stange zwischen zwei Bäumen

ein großes Stück Ochsenfleisch. Es war hartgefroren, denn dort
im Schatten herrschte Tag und Nacht scharfer Frost.

Hoss ging hinaus und schnitt ein tüchtiges Stück ab, mit dem

er und sein Gast auskommen würden.

Rimrock schien von dieser Mahlzeit durchaus angetan zu

sein. Es schmeckte ihm, und er aß mit sichtlichem
Wohlbehagen. Hinterher aber verlangte er nach der gewohnten
Milch.

„Willst du dich nicht endlich wie eine ganz gewöhnliche

Wildkatze benehmen?“ stöhnte Hoss verzweifelt. „Milch gibt
es nicht!“

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Entschlossen hing er den Napf an einen Nagel in der Wand.

Gleich darauf aber mußte er ihn ein tüchtiges Stück höher
hängen, denn Rimrock schlug mit den Pfoten danach, so daß er
hin und her schaukelte wie ein Uhrpendel.

Mit einigem Geschick brachte Hoss es fertig, Rimrock

mehrere Tage lang dem Pferdepferch fernzuhalten. Er hoffte,
daß Ginger sich inzwischen doch ein wenig mit dem neuen
Hofgenossen abfinden würde – wenigstens so weit, daß er
nicht mehr aus dem Koppelgehege ausbrach, wenn der kleine
Puma nur in die Nähe kam.

Eines Tages aber geschah es…
Hoss war auf Ginger zur Herde hinausgeritten und kehrte

heim. Er fütterte sein Pferd mit duftendem Hafer und ließ es
dann auf die Weide laufen. Als er zur Rückseite des Hauses
ging, sah er, daß Rimrock auf den Koppelzaun zulief.

„Zurück!“ schrie Hoss. Aber es nutzte nichts.
Paiute blieb halbwegs ruhig, zog sich allerdings vorsichtig

zum Stall zurück, wo sie stehenblieb und Rimrock mißtrauisch
anstarrte. Ginger aber trabte über die Weide davon. Rimrock
wurde vom Jagdfieber gepackt. Er schlüpfte durch den Zaun
und lief in tüchtigen Sätzen über den nur mäßig hohen Schnee
hinter dem Pferd her.

„Brrr!“ schrie Hoss in heller Verzweiflung. „Halt! Zurück!“
Aber Ginger stürmte in gestrecktem Galopp davon, und

Rimrock, mit hoch erhobenem Schweif, sorgte dafür, daß der
junge Hengst aus Leibeskräften weiterrannte.

Hoss sah schon wieder die Zaunlatten wie Streichhölzer

zerbrechen.

Unvermutet aber wich Ginger zur Seite aus, machte kehrt und

stürmte direkt auf das junge Raubtier zu. Rimrock bremste
seinen Lauf, rutschte und blieb stehen. Auch das Pferd wurde
langsamer… Beide musterten sich. Dem Pferd schien zum
Bewußtsein zu kommen, daß die Katze nicht gerade riesengroß

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war. Gewiß, sie duftete nach Löwe – aber schließlich war
Ginger nicht allein, er wußte Hoss und Paiute in der Nähe.

Seine Geduld schien endgültig erschöpft. Dieses winzige

Wesen hatte ihn nun lange genug geärgert. Ginger bäumte sich
auf, stemmte dann die Vorderhufe in den Schnee und setzte
zum Angriff an.

Rimrock fuhr herum und suchte sein Heil in eiliger Flucht.

Längst hielt er den Schwanz nicht mehr übermütig erhoben. Im
letzten Augenblick rutschte er unter dem Zaun hindurch, und
das Pferd konnte seinen eiligen Lauf nur mit Mühe bremsen.
Sekunden später war Rimrock in der Hütte unter dem Bett
verschwunden.

Hoss lachte aus vollem Halse. Als er in die Hütte trat, lugte

der kleine Puma vorsichtig aus seiner Deckung hervor.

„Na, du wild gewordener Handfeger?“ grinste Hoss.
Von nun an brauchte er keine Angst mehr zu haben, daß

Rimrock die Pferde beunruhigen könnte. Der Kleine dachte
nicht daran, noch einmal in die Nähe der Koppel zu kommen.
Wenn Hoss ihn zum Gatter trug, um den Pferden zu zeigen,
was für ein harmloser Kerl er doch war, dann verkroch er sich
ganz unbehaglich so tief wie möglich in die bergenden
Männerarme.

Von nun an wurde Rimrock so schnell zahm, daß Hoss sich

gar nicht genug wundern konnte. Gewiß war er verspielt wie
alle jungen Lebewesen, und am meisten machte es ihm Spaß,
wenn Hoss Zeit fand, sich mit ihm herumzubalgen. Aber er
nahm auch Lehren an und ließ sich etwas beibringen. Ohne es
zu ahnen, bediente sich Hoss derselben Erziehungsmethode,
die Rimrocks Mutter angewandt hatte: hatte der Kleine etwas
falsch gemacht, so versetzte ihm Hoss einen Klaps, und
Rimrock sprang sofort aufs Bett und bedachte die Lage. Erst
wenn er die Luft wieder rein glaubte, kehrte er zurück – um
sich bald darauf in neue Abenteuer zu stürzen.

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Eines Tages war der Schnee geschmolzen. Eigentlich hatte

Hoss vorgehabt, seinen Gast nun in die Freiheit zurückzujagen.
Aber trotz der Schneeschmelze war es doch noch lange nicht
Frühling! Noch standen rauhe, kalte Tage bevor! Also
beschloß Hoss, Rimrock weiterhin bei sich zu dulden – bis das
arme Tier sich draußen wirklich zurechtzufinden vermochte.

Er war schon ein niedliches Kätzchen! Mit seinem

verstümmelten Ohr sah es geradezu drollig aus. Die Schramme
am Bein war geheilt, jedoch würde es noch eine ganze Weile
dauern, bis das Fell darüber vollkommen zugewachsen war.

Eigentlich war es schön, jemanden in der Hütte zu haben, mit

dem man sich unterhalten konnte. Und Rimrock war nicht
irgendein wilder Berglöwe, wie man ihn hier und da im
Gebirge antreffen konnte! O nein, keineswegs! Er war ein
absolut ungewöhnliches Tier. Tatsächlich schien er mindestens
die Hälfte von dem, was Hoss zu ihm sagte, einwandfrei zu
verstehen.

Unten in Ponderosa hatte Hoss in der Bücherei in einem

Buch über Marco Polo geblättert. Darin stand auch zu lesen,
daß manche tatarischen Fürsten, wenn sie zur Jagd ritten,
hinter sich im Sattel einen Leoparden hocken hatten! Sah dann
der Reiter das gesuchte Wild, so rief er sein Kommando – und
sofort setzte das Raubtier hinter der Beute her.

Hoss war sich klar darüber, daß er auch durch eisernes

Training seinen Rimrock gewiß nicht dazu erziehen konnte,
solche Kunststücke zu vollbringen. Erstens nämlich hatte der
kleine Puma mehr Angst vor Pferden als sie vor ihm, und zum
anderen zeigte Rimrock bisher keine Vorliebe für die Jagd.

Sein Appetit war ungeheuer. Nachdem das Ochsenfleisch

aufgezehrt war, hatte Hoss hin und wieder im Gebirge ein
Stück Wild geschossen, vor allem kräftige junge Böcke, die
gut durch den Winter gekommen waren. Das Fleisch
schmeckte Rimrock ausgezeichnet, aber er machte nicht die

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leisesten Anstalten, es selbst heranzuschaffen, obwohl unter
den Weiden am Bach so manches Kaninchen durchs Gras
hoppelte.

Rimrock hielt sich dort besonders gern auf, und natürlich sah

er die kleinen Tiere – manchmal liefen sie ihm fast zwischen
den Beinen hindurch. Aber obwohl er sie aufmerksam
beobachtete, ließ er sie doch stets ungeschoren.

„Ich denke, Pumas leben von der Jagd?“ spottete Hoss. „Bist

du vollkommen aus der Art geschlagen?“

Ganz kleines Wild allerdings war schon eher Rimrocks Fall.

Feldmäuse jagte er mit unermüdlichem Eifer. Er stürzte sich
auf sie, wenn sie durchs Gras huschten, hielt sie mit den
Tatzen fest und beschnupperte sie voller Interesse. Zuweilen
allerdings fand er nach dem Sprung nichts unter den Tatzen,
und dann machte er ein unbeschreiblich enttäuschtes Gesicht.
Aber oft genug war er erfolgreich. Zahlreiche Mäuse
verspeiste er voller Behagen, andere aber brachte er Hoss und
legte sie ihm triumphierend zu Füßen, als wollte er sich
brüsten:

,Sieh nur, was ich gefangen habe!‘
„Du siehst wie ein Löwe aus, Rimrock!“ lachte Hoss. „Und

tatsächlich bist du ja auch eine Art Löwe. Würde es sich da
nicht gehören, daß du etwas Ansehnlicheres jagst und eine
Beute heimbringst, von der du auch satt werden kannst?“

Am verhaßtesten waren Rimrock die Raubvögel, die Hoss

mit Zwieback fütterte. Anfangs war der Puma sichtlich
erschrocken, wenn ihre Schatten dicht neben ihm über den
Boden huschten, aber später gewöhnte er sich daran und griff
die Vögel beherzt an. Allerdings gelang es ihm nie, einen von
ihnen zu erwischen.

Seit Rimrock da war, hatte Hoss die Skunkmutter mit ihren

Jungen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber das war ihm
nur recht.

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Hoss hoffte immer noch, der Hunger würde den Puma

endlich doch einmal veranlassen, sich an ein größeres Jagdwild
als Mäuse zu wagen. Deshalb gab er ihm zwei Tage lang nichts
zu fressen. Als er am Abend des zweiten Tages von der Herde
heimkehrte, deutete jedoch nichts darauf hin, daß der Puma auf
Jagd gewesen wäre. Freudig strich er Hoss um die Beine und
blickte sehnsuchtsvoll zum Regal hinauf, wo noch drei Dosen
Milch standen. Dann schaute er ihm andächtig beim Abendbrot
zu. Hoss konnte das nicht lange mit ansehen. Beim nächsten
Ausritt schoß er ein Kaninchen und legte es dem Puma vor die
Nase.

Rimrock rollte das tote Tier mit den Tatzen hin und her über

den Boden, schnupperte aufmerksam daran, und dann riß er
ihm den Stummelschwanz aus.

Das ist immerhin ein Anfang! dachte Hoss, und er schöpfte

Hoffnung. Er ging in die Hütte, und Rimrock folgte ihm, das
Kaninchen im Maul. Drinnen legte er es seinem Herrn zu
Füßen. Hoss nahm einen Eimer und ging zum Bach. Wieder
trug Rimrock das Kaninchen hinterher. Als sie beide in die
Hütte zurückgekehrt waren, legte er das Kaninchen wieder vor
seinem Herrn auf den Boden.

„Ich soll es dir wohl noch abziehen?“ schimpfte Hoss.
Und dann tat er genau das! Er häutete es nicht nur, sondern

schnitt es obendrein noch in Stücke. Und da fraß Rimrock es
voller Behagen. Zum Nachtisch verlangte er nach Milch.
Resigniert öffnete Hoss die nächste Büchse.

„Du Faulpelz!“ fauchte er dabei. „Hat der Geschmack des

Kaninchens dich nicht ein bißchen ehrgeizig gemacht?“

Am folgenden Tag ging Rimrock wieder auf Mäusejagd, und

die Kaninchen hoppelten vollkommen ungefährdet um ihn
herum.

Abends blieb Hoss noch am Tisch sitzen, während Rimrock

schon am Fußende des Bettes selig schnurrte, und überdachte

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den Fall von neuem. Wenn er sich darauf einließ, dem jungen
Berglöwen das Futter mundgerecht zu servieren, würde das
Tier nie im Leben selbständig werden. In dieser Hinsicht
unterschied es sich nicht von den Menschenkindern. Nein,
Rimrock mußte lernen, für sich selbst zu sorgen! Hoss
überlegte: Wie würde eine Pumamutter es wohl anfangen,
ihrem Jungen beizubringen, sich selbst zu versorgen und sich
nicht mehr auf die Fürsorge anderer zu verlassen? Ganz
einfach: sie würde ihm Unterricht im Jagen geben!

Beim bloßen Gedanken, er selbst müsse das tun, kam sich

Hoss reichlich albern vor. Dann aber machte er sich klar, daß
ihn ja niemand dabei beobachten konnte, und er beschloß,
gleich am nächsten Morgen mit der Ausbildung zu beginnen.

Sofort nach dem Frühstück ging er mit Rimrock zu dem

Weidengebüsch am Bach. Fröhlich hüpfte das Pumajunge
durch das hohe Gras. Es war ein schlaksiges Kerlchen, das fast
nur aus Ohren und Beinen bestand, und doch sah man ihm an,
daß es auf dem Wege war, sich zu einer ansehnlichen
Raubkatze zu entwickeln.

„Zunächst einmal muß man sich anschleichen!“ begann Hoss

den Unterricht.

Rimrock schien zu begreifen. Er spitzte das heile Ohr,

während das zerfetzte wie üblich schlapp herabhing. Er sah
aus, als sei er zu allem bereit.

Hoss bückte sich tief und schlich langsam vorwärts. Da er nur

zwei Füße hatte, machte er wenigstens nur halb soviel Krach
wie ein ausgewachsener Bulle. Rimrock erkannte schnell,
worauf es ankam: Leise schlich er dahin, den Leib dicht an den
Boden gepreßt. Tatsächlich stöberten sie ein Kaninchen auf,
das erschrocken zwischen den Weidenstämmen
davonhoppelte.

„Faß!“ schrie Hoss, und dann stürmte er selbst los.

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Rimrock blieb ihm auf den Fersen – auch als Hoss wenige

Sekunden später über einen Erdhügel stolperte und der Länge
nach zu Boden stürzte. Während er japsend dalag und Rimrock
ihn mitleidig beäugte, brachte sich das Kaninchen in
Sicherheit.

Endlich setzte Hoss sich auf, und Rimrock hockte sich neben

ihn. Dann leckte er ihm zum Trost das Gesicht – mit einer
Zunge, die rauh war wie mittelgrobes Schmirgelpapier.

Mühsam stand Hoss auf. Da sah er, daß Paiute und Ginger

am Koppelzaun standen und ihn betrachteten. Sie verzogen die
Nüstern, als müßten sie sich ein Lachen verbeißen.

Plötzlich machte Rimrock einen Satz – und schon hatte er

eine Maus erwischt! Aber nein… Als er die Pranke hob, war
keine Maus zu sehen.

Nun gab es nur noch eine Möglichkeit: das Tier mußte aus

dem Hause! Schon viel zu lange ließ Hoss sich von ihm an der
Nase herumführen! Mochte das blöde Vieh sehen, wie es in
der freien Wildbahn fertig wurde! Groß genug war es nun, und
wenn es nichts lernen wollte, mußte es eben die Folgen tragen.
Falls Hoss es noch lange fürsorglich fütterte, würde der kleine
Puma nie selbständig werden.

Ein anderer Ausweg wäre, das Tier zu erschießen. Und das

würde Hoss niemals können, das wußte er ganz genau.

Obwohl Paiute sich nicht mehr um Rimrock kümmerte, wenn

er in der Nähe vorbeilief oder wenn Hoss das Katzentier am
Koppelzaun hochhielt, damit sie es beschnuppern konnte,
wollte es die Stute doch nicht zulassen, daß Hoss sich mit dem
Puma in den Sattel setzte. Noch auf dem Hof begann sie zu
bocken und zu steigen, und auch zwischen den Weiden, beim
Übergang über den Bach und auf der Weide am jenseitigen
Ufer wurde es nicht besser. Rimrock sträubte sich wie wild,
grub die Krallen tief in Hoss’

Beine, und der Reiter konnte sein

Tier nur mit Mühe zügeln. Endlich beruhigte sich das Pferd ein

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wenig, aber ehe sie bei der Herde anlangten, wollte Paiute
noch zweimal durchgehen, wenngleich ihr Ungestüm von Mal
zu Mal nachließ.

Seit dem Besuch am Vortag war die kleine Rinderherde fast

ein Kilometer weiter nach Osten gezogen. Hoch am Hang über
dem kleinen Bruch, wo die Tiere weideten, setzte Hoss den
abgekämpften Rimrock auf einen Baumstumpf.

„Sieh dich schon mal ein bißchen um und mach dich mit

deiner neuen Umgebung vertraut!“ redete er ihm gut zu und
trat dann einen Schritt zurück. Was würde das Tier nun tun?

Ach, das wußte Rimrock offenbar selbst nicht! Nur eines

wurde ihm auf den ersten Blick klar: die großen rotbraunen
Wesen da unten im Tal sahen ungemein gefährlich aus. Eine
ganze Herde war es, und jedes einzelne Tier erinnerte ihn an
Ginger, das große Pferd, das ihn hatte treten wollen. Rimrock
warf noch einen verschüchterten Blick in die Talmulde
hinunter – dann schlug er sich in entgegengesetzter Richtung
in die Büsche.

Hoss schaute ihm nach. Immer schneller lief das Tier, und es

strebte anscheinend dem Gelände zu, wo Hoss es damals
gefunden hatte.

Gottlob, das war geschafft! Und zweifellos war es am besten

so! Allerdings… Ja, man gewöhnte sich an einen
Hausgenossen, selbst wenn es ein nichtsnutziger junger
Berglöwe war. Während der nächsten Tage würde Hoss sich
bestimmt recht einsam fühlen. Er hatte niemanden mehr, mit
dem er sich in seiner Hütte unterhalten konnte. Nie mehr
würde er zusehen können, wie Rimrock mit dem Ball aus
Kaninchenfell spielte, den Hoss ihm genäht hatte.

Zum Teufel – es mußte sein! Eine andere Lösung gab es

nicht. Allein die Frage, womit er das junge Tier ernähren
sollte, war von Tag zu Tag schwieriger zu lösen.

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Hoss wußte, daß er den nächsten ausgewachsenen Puma, der

ihm über den Weg lief, abschießen würde. Das war nun einmal
nicht zu ändern. Aber wenn dies in vielleicht einem Jahr
geschah, würde er nach dem Schuß kaum wagen, sich die
Beute näher anzuschauen – aus Angst, das erlegte Tier könnte
ein zerfetztes Ohr und eine tiefe Schramme am Vorderbein
haben.

Nachdem Hoss die Herde noch einmal aufmerksam betrachtet

hatte, ritt er in ein Waldstück, wo er bisher immer Jagdglück
gehabt hatte. Viel brauchte er nicht; ein junges Reh würde
reichen, bis Joe zur Ablösung heraufkam.

Wie lange war es noch bis dahin? Erst jetzt fiel ihm auf, daß

er seit vielen Tagen den Kalender nicht mehr abgestrichen
hatte, weil Rimrock ihn die ganze Zeit über in Atem gehalten
hatte. Na, das war nun endgültig vorbei.

Tatsächlich stieß er unten auf ein Rudel Rehe, und mit einem

einzigen Schuß streckte er einen jungen Bock nieder. Nachdem
er das Tier ausgeweidet hatte, legte er es hinter dem Sattel aufs
Pferd und ritt zurück. Obwohl er wußte, daß Rimrock ein für
allemal davongelaufen war, rechnete er doch fast damit, daß
der junge Puma um seine Hütte herumstreunen und auf ihn
warten, daß er sofort herbeispringen und sich schnurrend an
seinen Beinen reiben würde. Aber nichts dergleichen geschah.

Während Hoss die Leber des Bockes über dem Feuer briet,

warf er einen düsteren Blick auf den Kalender an der Wand.
Mindestens zwei Wochen war er mit seinen Markierungen im
Rückstand, eher mehr! Großartig: Da hatte doch tatsächlich ein
ausgewachsener junger Mann jedes Zeitgefühl verloren, nur
weil er mit einem jungen Berglöwen, einem Raubtier, einem
mörderischen Feind herumgealbert hatte…

Hoss verspeiste sein Mahl. In der Hütte war es unerträglich

still. Mit einem wütenden Tritt beförderte er den Ball aus
Kaninchenfell hinter den Herd. Heller Wahnsinn war es

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gewesen, das Jungtier überhaupt hierher in die Hütte zu
schleppen! Nichts als Ärger und Unruhe hatte ihm das
eingebracht! Ein wahres Glück, daß das Vieh aus dem Hause
war!

Als Hoss einige Zeit später das Geschirr abgewaschen hatte,

war es ganz finster geworden. Er öffnete die Tür, um das
schmutzige Wasser auf den Hof zu gießen. Da fiel der trübe
Lampenschein auf ein struppiges, schlaksiges, einohriges
Wesen, das auf der Schwelle saß.

„Rimrock!“
Rimrock schnurrte, stand auf und kam auf steifen Beinen in

die Hütte. Dann setzte er sich auf den Boden und begann, sich
den Dreck von den Tatzen zu lecken.

Er hatte einen weiten Weg zurücklegen müssen, und offenbar

hatte er einen Umweg gemacht – denn oben im Bergland gab
es nicht diesen Lehm, der sein Fell verklebte. Und der Hunger,
den er mitbrachte, bewies eindeutig, daß er unterwegs nicht auf
Jagd gewesen war! Fünf Pfund Fleisch verschlang er – und
dann wollte er noch mehr haben.

„Schluß, du Vielfraß!“ schimpfte Hoss. „Ach, was stelle ich

bloß mit dir an?“

Am nächsten Tag wußte Hoss, was er anzustellen hatte: er

zog los, um noch einen Rehbock zu schießen.

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Das Stinktier



Einen untrüglichen Beweis dafür, daß Rimrock kein
gewöhnlicher Puma war, lieferte die Tatsache, daß er – wenn
man von den Gewohnheiten der Berglöwen ausgeht – Tag und
Nacht vertauschte: er schlief, wenn auch Hoss schlief, und
tagsüber kletterte er auf Bäume oder tollte zwischen den
Weiden und auf dem Hof umher.

Während der ersten Zeit hielt Hoss die Tür nachts

verschlossen, aber bald wurde es ihm lästig, daß er morgens in
aller Frühe aufstehen mußte, um das Tier ins Freie zu lassen.
Das Wecken ging nämlich immer ungemein stürmisch vor
sich: Rimrock kroch einfach auf den Schlafenden, klopfte ihm
mit den Tatzen auf die Brust und schnurrte freundlich, aber
unüberhörbar.

Also ging Hoss dazu über, die Tür offenzulassen, so daß das

Tier ganz nach Belieben kommen und gehen konnte. Das tat er
sogar dann, wenn er unterwegs war, um die Herde aufzusuchen
oder auf die Jagd zu gehen. Inzwischen hatte der junge Puma
gelernt, daß er manches in der Hütte nicht anrühren durfte –
unter anderem das Feuerholz und die Gerätschaften auf dem
Tisch!

Hoss hoffte, daß das junge Raubtier tapfer und wachsam

genug sein würde, um unliebsame Fremde zu vertreiben, die
versuchen könnten, in die Hütte einzudringen – ebenso wie
Ratten und andere Nagetiere. Allerdings bezweifelte er, daß
Rimrock einer Invasion von Kaninchen wirkungsvollen
Widerstand entgegensetzen würde – falls es zu einem
derartigen, im höchsten Grade unwahrscheinlichen
Zwischenfall kommen sollte!

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Eines Morgens, in aller Frühe, kurz nach der ersten

Dämmerung, bemerkte Hoss im Halbschlaf, daß Rimrock von
draußen hereinschlich und wieder aufs Bett sprang.

Kurze Zeit später wachte Hoss erneut auf, diesmal aus einem

höchst peinlichen Anlaß: Er schnupperte, holte tief Luft…

Es stank! Nach Stinktier!
Jawohl, in seiner Hütte mußte sich ein Skunk befinden! Hoss

fuhr auf, wollte aus dem Bett springen – aber im letzten
Augenblick bezwang er sich und blieb lieber, wo er war. Es
mußte die Skunkmutter mit ihren Jungen sein; zweifellos hatte
sie mitsamt ihrer ganzen Kinderschar Einzug in die Hütte
gehalten!

Hoss griff nach Rimrock. Auf keinen Fall sollte der Puma

sich in den Fall einmischen und dadurch alles nur noch
schlimmer machen.

Puh! Der Gestank war überwältigend! Man bekam ja kaum

noch Luft!

Mit weit aufgerissenen, rollenden Augen spähte Hoss im

dämmerigen Zimmer umher. Wo steckte nur die Ursache all
dieses Übels? Im Lichtschein, der allmählich durchs Fenster
hereindrang, konnte er schon alles recht genau erkennen.
Nirgendwo aber erblickte er ein weißgestreiftes Stinktier.

Offenbar hatte die Familie sich nur kurz im Zimmer

umgesehen und war gleich wieder ausgezogen. Hoss seufzte
erleichtert. Plötzlich aber zuckte er zusammen. Ein
fürchterlicher Gedanke war ihm gekommen: wenn die Familie
es sich nun unter seinem Bett gemütlich gemacht hatte?

Er ließ Rimrock los und beugte sich vorsichtig über die

Bettkante. Dabei näherte sich seine Nase der linken Hand, die
soeben noch den Berglöwen festgehalten hatte. Und da überfiel
ihn die schreckliche Erkenntnis. Er schnappte nach Luft.

Rimrock! Er verbreitete den Gestank! Er, der da in aller

Gemütsruhe auf dem Bett lag. Offenbar war er draußen mit

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dem Skunk zusammengestoßen – und es schien ein sehr
nachhaltiger Zusammenstoß gewesen zu sein!

Hustend, mit tränenden Augen, taumelte Hoss ins Freie.
Während der nächsten vier Tage ließ er den Puma nicht mehr

in die Hütte. Ein wenig hoffte er, die Verbannung könnte
Rimrock veranlassen, nachts auf die Jagd zu gehen und dabei
seine wahre Löwennatur zu entdecken. Vielleicht kehrte er
dann niemals mehr zurück.

Aber Hoss täuschte sich.
Rimrock kratzte an der Tür und bat schnurrend um Einlaß.

Dann krallte er sich an der Wand fest und lugte zum Fenster
herein. Wie ein verstoßenes Waisenkind sah er aus. In der
folgenden Nacht sprang er auf einen alten Ofen, der draußen
an der Hütte lehnte, und kletterte von dort aus aufs Dach, wo er
versuchte, sich durch die mit einer dicken Schmutzschicht
bedeckten Balken einen Weg zu graben.

In der dritten Nacht konnte er einen Teilerfolg verzeichnen:

Er drang bis zu den nackten Balken vor und scharrte so viel
Moos und Gras los, das Hoss in die Rillen gestopft hatte, daß
Sand ins Innere hineinrieselte – genau auf den Tisch, wo Hoss
die Überreste vom Abendbrot hatte stehen lassen.

Angefeuert von diesem guten Gelingen, kratzte Rimrock

auch in der nächsten Nacht am Dach. Als er nach getaner
Arbeit hinabkletterte, warf er den alten Ofen um. Es gab ein
gewaltiges Getöse, so daß Hoss aufwachte und erschrocken
aus dem Bett sprang. Draußen sah es schlimm aus: Rimrocks
Schwanz war unter dem Ofen eingeklemmt, und nun saß das
Tier fest und jaulte verzweifelt.

Hoss befreite es aus seiner mißlichen Lage. Kaum war

Rimrock frei, da sauste er durch die offene Tür in die Hütte
und verkroch sich unter das Bett.

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Hoss gab es auf. Wenigstens war der schreckliche Gestank

inzwischen einigermaßen verflogen. Oder kam es ihm nur so
vor, weil er sich schon daran gewöhnt hatte?

Ein paar Tage später betrachtete Hoss das Tier, wie es sich

gähnend reckte. Nein, ein Baby konnte man Rimrock kaum
noch nennen, und er wuchs zusehends. Bald würde er so groß
sein, wie es sich für einen richtigen Puma gehörte. Immerhin
war er schon jetzt dreimal so groß wie das rührende Tierchen,
das Hoss damals aus dem Bergwald heimgebracht hatte.

Daß Rimrock so tüchtig wuchs, wunderte Hoss gar nicht –

bei dem mächtigen Appetit, den das Tier entwickelte! Dabei
hatte er, soviel Hoss wußte, noch nie ein größeres Wild erlegt
als eine Maus. Es war wirklich zum Auswachsen!

„Wenn du halb so wild auf Kaninchen wärst wie auf Mäuse“,

schimpfte Hoss, „wäre ich ja schon zufrieden!“

Aber Rimrock war guten Ratschlägen nicht zugänglich.
Die hervorstechendsten Eigenschaften des jungen Pumas

waren Neugier und Freundlichkeit. Beides veranlaßte ihn, es
noch einmal mit den Pferden zu versuchen. Ginger wollte nach
wie vor nichts mit ihm zu tun haben; zweifellos hätte er ihn am
liebsten klaftertief in den Erdboden gestampft. Paiute hingegen
erwies sich als aufgeschlossener. Nachdem Rimrock ihr ein
paar Tage lang den Hof gemacht hatte, senkte sie bei seinem
Kommen den Kopf und schnaubte fast freundschaftlich.

Bisher war Rimrock, wenn Hoss fortritt, ruhig auf dem Hof

oder in der Hütte zurückgeblieben. Plötzlich aber fing er an,
ihm nachzulaufen, so daß Hoss absteigen und ihn mit ein paar
Klapsen heimscheuchen mußte. Dann pflegte der Puma aufs
Dach zu klettern und seinem Herrn nachzuschauen, solange er
ihn nur sehen konnte.

Obwohl Hoss es aufgegeben hatte, die Tage auf seinem

Kalender abzuhaken, war er doch davon überzeugt, daß Joe
nun sehr bald eintreffen würde. Vielleicht fiel Rimrock ihm auf

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die Nerven, und Joe würde… Aber schnell wies Hoss den
Gedanken von sich. Nein, Joe würde nicht daran denken, sich
von seinem älteren Bruder die traurige Aufgabe andrehen zu
lassen, die Hoss selbst nicht erfüllen mochte…

Einzig und allein er, Hoss, war dafür verantwortlich, den

Berglöwen in die Wildnis zurückzuschaffen. Darüber war er
sich seit jenem Tage klar, als er das junge Tier heimgebracht
hatte. Nun, jetzt mußte er handeln. Er würde Rimrock so weit
von der Hütte entfernt aussetzen, daß er bestimmt nicht mehr
zurückfand. Jawohl!

Gleich am folgenden Tag in aller Morgenfrühe machte sich

Hoss daran, den Plan in die Tat umzusetzen. Paiute duldete
Rimrock ohne nennenswerten Widerstand auf ihrem Rücken.
Mehr als zehn Kilometer weit ritt Hoss nach Westen, bog dann
nach Norden in Richtung auf den Signalberg ab und ritt noch
sechs Kilometer. Das Gelände dort war einfach ideal für ein
junges Raubtier: zwischen Bäumen und Felsbrocken wimmelte
es geradezu von Kleinwild.

Hoss stieg erst gar nicht aus dem Sattel. Er packte Rimrock

und setzte ihn auf einen großen Granitblock.

„Leb wohl, du trübe Tasse!“ Er wandte sein Pferd und ritt

davon.

Rimrock machte keinerlei Anstalten, ihm nachzulaufen. Als

Hoss sich noch einmal umschaute, war der Puma vollauf damit
beschäftigt, den Eingang zu einem Dachsbau zu untersuchen.

Hoss ritt in einem weiten Bogen nach Hause, um Rimrock zu

verwirren. Und immer wieder hielt er Ausschau, weil er wußte,
daß gerade Pumas sich darauf verstehen, dem verfolgten Wild
ein Schnippchen zu schlagen.

Mehrmals kreuzte Hoss seine eigene Spur, und zweimal ritt

er zu beiden Seiten des Pfades hin und zurück, um sich davon
zu überzeugen, daß Rimrock nicht verstohlen am Wegrand
dahinschlich. Aber er konnte keinerlei Spuren entdecken.

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Das langsame Reiten, die wiederholten Umwege und all die

anderen Vorsichtsmaßnahmen hielten Hoss natürlich mächtig
auf. So war es schon ziemlich spät, als er endlich wieder auf
den Hof ritt.

Nein, Rimrock war ihm nicht nachgelaufen, er hatte sich

nicht hinter ihm hergeschlichen. Er hatte die Umwege nicht
mitgemacht – sondern war auf dem kürzesten Wege
heimgekehrt! Da saß er vor der Tür und schaute seinen Herrn
nachdenklich an, als wolle er fragen:

,Wo hast du bloß so lange gesteckt?’
Hoss wurde den Verdacht nicht los, daß Rimrock schon seit

Stunden hier hockte und auf ihn wartete.

„Auch das soll dir nichts nützen!“ herrschte er das Tier an.
Rimrock reckte und streckte sich und kratzte dann an der

geschlossenen Tür.

In der folgenden Nacht geschah etwas, das Hoss mit neuer

Hoffnung erfüllte: Wollte Rimrock sich etwa doch allmählich
wie ein ausgewachsenes Raubtier benehmen? Er erwachte
nämlich von einem mächtigen Lärm. Ein heftiger Kampf
mußte im Gange sein. Es polterte, fauchte, quiekte – nahe dem
Holzstoß in der Ecke ging es hoch her.

Hoss ergriff seinen Revolver.
Als es ihm eine kleine Weile später gelungen war, die Lampe

anzuzünden, war der Lärm verstummt. Rimrock hatte eine
Ratte erlegt! Gewiß war sie nicht sehr groß – aber immerhin,
es war mehr als eine Maus! In der Hitze des Gefechts hatte er
die Holzscheite wieder über den Fußboden verstreut, aber er
hatte den Sieg davongetragen und schien darauf nicht wenig
stolz zu sein.

Er brachte seine Beute herbei und legte sie zu Hoss’

Füßen

nieder. Sein Herr beugte sich hinab, klopfte ihm den Hals und
lobte seine Tapferkeit und Einsatzbereitschaft. Dann warf er

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die Ratte auf den Hof hinaus. Aber sofort holte Rimrock sie
wieder herein und legte sie ihm erneut zu Füßen.

„Ich denke nicht daran, dir die Ratte abzuhäuten!“ schrie

Hoss erbost, während er das tote Tier wieder zur Tür
hinauswarf.

Am nächsten Morgen lag die Ratte unmittelbar neben seinem

Bett auf dem Fußboden. Leider stellte Hoss das aber erst fest,
als er beim Aufstehen den nackten Fuß auf das Tier setzte. Mit
nacktem Fuß auf eine tote Ratte treten – da kann der stärkste
Mann die Nerven verlieren! Verdutzt und staunend hörte
Rimrock sich das wütende Geschrei an, zu dem sein Herr sich
in aller Morgenfrühe hinreißen ließ.

Weiteren Erlebnissen dieser Art ging Hoss aus dem Wege,

indem er den toten Nager ins Feuer warf.

Seine Hoffnung, der erste Erfolg mit größerem Wild werde

Rimrocks Ehrgeiz anstacheln, schien in Erfüllung zu gehen.
Jedenfalls beobachtete Hoss einige Stunden später, wie
Rimrock draußen eifrig ein nichtsahnendes Kaninchen
anschlich.

Das harmlose Tier hockte am Rande des Hofes unter einem

Weidenbaum und knabberte an frischem Grün. Jede nur
mögliche Deckung ausnutzend, kroch Rimrock mit den
federnden, geschmeidigen Bewegungen des anschleichenden
Katzentieres immer näher an seine Beute heran. Selbst falls er
das Tier schließlich verfehlen sollte, versuchte er doch zum
ersten Male ernsthaft zu jagen. Rimrock zeigte Zielstrebigkeit
und schien endlich erwachsen zu werden.

Dicht an den Boden gepreßt, mit unbeweglichem Schwanz,

schlich der Puma immer näher an das Kaninchen heran. Noch
einmal schien er Maß zu nehmen – und dann sprang er!

Zwei lange Sätze machte er, sprang dann hoch in die Luft –

und hockte sich geruhsam hin, um dem aufgescheuchten

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Kaninchen nachzuschauen, das zwischen den nahen Bäumen
davonhoppelte.

Hoss schloß die Augen und stöhnte gequält auf – ein Bild des

Jammers.

In seiner Verzweiflung verdrängte er alle Erinnerungen an

frühere Mißerfolge und unternahm einen neuen Versuch,
Rimrock das Anschleichen eines Wildes zu lehren. Gewiß gab
er sich hinsichtlich der Erfolgsaussichten keinen Illusionen hin,
aber er brachte es einfach nicht fertig, in diesem kläglichen
Augenblick gar nichts zu tun.

Hoss drängte Rimrock hinüber zum Weidenbruch, unweit der

Stelle, wo im Bach Biber ihre Burgen zu bauen pflegten. Auf
allen vieren kroch er am Rande des Dickichts entlang. Sofort
begriff Rimrock, was gespielt wurde. Vorsichtig schlich er
neben seinem Herrn dahin.

Das unvorsichtige Kaninchen von vorhin – oder auch ein

anderes, das Rimrock kannte – hoppelte aus seiner Deckung
hervor, knabberte ein wenig am Gras und entfernte sich immer
mehr von den Weiden. Bald saß es geradezu auf dem
Präsentierteller. Mit Leichtigkeit würde man ihm den
Fluchtweg zu den schützenden Weiden abschneiden können.

Ein Zeichen von Hoss – und Mann und Löwe brachen los!

Tatsächlich schnitt Rimrock dem Kaninchen den Weg ins
Weidenbruch ab. Das kleine Tier rannte hinüber zur Hütte, und
Rimrock folgte in weiten Sätzen. Bald hatte er das fliehende
Kaninchen fast eingeholt.

Sofort wurde er langsamer. Dann machte er noch einen

vergnügten Luftsprung – und setzte sich hin!

In heller Verzweiflung gab Hoss einen Schuß ab. Den

Revolver handhabte er längst nicht so geschickt wie das
Gewehr, und so ging die Kugel vorbei. Sie prallte vom
gefrorenen Boden ab, schlug ein Loch in die Tür der Hütte und
riß drinnen ein noch viel größeres in einen Sattel.

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„Nie mehr bringe ich dir etwas bei!“ schäumte Hoss. „Ein so

blödes Vieh wie du ist mir im Leben noch nicht
vorgekommen!“

Am gleichen Tag folgte ihm Rimrock, als er zur Rinderherde

hinausritt. Hoss merkte wohl, daß sein Pferd nervös und
schlechter Laune war, aber daß der Puma sich an seine Fersen
geheftet hatte, stellte er doch erst fest, als er schon wieder
kehrtmachen und heimreiten wollte.

Von nun an ließ sich der Puma nicht mehr davon abhalten,

seiner Spur zu folgen, wohin er auch ritt.

Auf dem Heimweg lief Rimrock mit federnden Sätzen vor

Ginger her. Zweimal wollte der junge Hengst ihn einholen und
offenbar in den Boden stampfen. Beim ersten Male hätte er
dabei seinen Herrn um ein Haar in eine Hecke wilder Rosen
geworfen, und beim zweiten Male lief er unter eine Reihe so
niedriger Äste, daß sie Hoss den Hut vom Kopf streiften und
ihm eine blutende Strieme über die Oberlippe zogen.

Während Hoss daheim den soeben abgeschnallten Sattel ins

Haus trug, beobachtete er, wie Rimrock erstarrte, aufgeregt die
Luft einsog und dann blitzschnell in der Hütte verschwand.
Wenige Augenblicke später ertönte Hufgetrappel. Joe!

Nein, Joe war es nicht. Hoss stand draußen vor der

geschlossenen Tür und sah den Reitern entgegen, die soeben
zum Biberteich abbogen. Es waren Sam Hargis, dessen Ranch
ein Stück ostwärts von Ponderosa lag, und zwei seiner
Cowboys, Slim McCrea und Kansas Weber. Der
hochgewachsene, hagere, braungebrannte Hargis war ein
angenehmer Nachbar, obwohl er manchmal recht dickköpfig
und verbohrt sein konnte.

Die drei Männer kamen heran, und Hoss begrüßte sie; dabei

mußte er dauernd an Rimrock denken.

„Den ganzen Tag über haben wir ostwärts von hier gesucht“,

erzählte Hargis. „Vorige Woche haben mir Berglöwen nämlich

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ein Kalb gerissen. Uns machen in diesem Jahr Pumas schwer
zu schaffen, aber je weiter wir nach Westen kamen, desto
weniger Spuren fanden wir von ihnen. Wie geht es denn deiner
Herde, Hoss?“

„Wir haben kein einziges Tier verloren, Sam“, erwiderte

Hoss, und dicke Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Die
Höflichkeit verlangte es, daß er die Männer nun zum Essen
einladen und sie sogar übernachten lassen mußte! „Neulich
habe ich eine Löwin geschossen – aber es war die einzige, die
mir während des ganzen Winters über den Weg gelaufen ist.“

Kansas Weber griff hart in die Zügel, als sein Pferd steigen

wollte. Auch die anderen beiden Pferde wurden nervös.

„Du scheinst noch danach zu riechen“, meinte Weber.
„Das kann sein“, gab Hoss zu. „Ich wollte dem Vieh schon

das Fell abziehen, aber dann habe ich mir überlegt, daß die
Mühe sich kaum lohnt!“

Slim McCrea rümpfte die Nase.
„Und nach Skunks stinkt es auch noch!“ maulte er.
„Eine ganze Familie hat sich in meinem Wohnzimmer

eingenistet!“ Hoss lachte gezwungen auf. Und dann sagte er
verwegen: „Kommt nur herein. Ich werde…“

„Heute nicht! Vielen Dank!“ wehrte Hargis erschrocken ab.

„Ruhig!“ Hart riß er sein Pferd am Zügel. „Nicht, daß mir der
Geruch des Skunks etwas ausmachte – aber ich möchte heute
noch zum Lager zurück.“ Er nickte. „Du hast also nur eine
einzige Löwin gesehen?“

Hoss nickte tapfer.
„Nur eine!“ bestätigte er.
Hargis schüttelte den Kopf.
„Das kann nicht die gewesen sein, die mein Kalb gerissen

hat“, meinte er. „Die ist nämlich, soweit wir feststellen
konnten, nach Norden abgezogen. Und inzwischen hat, wie ich

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höre, auch Anderson ein Fohlen eingebüßt. Vermutlich müssen
wir in absehbarer Zeit eine Treibjagd veranstalten.“

„Gewiß“, murmelte Hoss. „Übrigens – ich habe hier oben ein

bißchen das Gefühl für Zeit verloren. Welches Datum haben
wir eigentlich?“

„Es müßte der vierzehnte sein“, erwiderte Slim. „Stimmt’s,

Hargis?“

„Ungefähr kann es stimmen“, nickte der Rancher. „Hast du

auch westlich von hier auf Löwenspuren geachtet, Hoss?“

„Ein wenig schon“, erwiderte Hoss. „Aber viel habe ich auch

dort nicht feststellen können.“

„Vor Einbruch der Dunkelheit schaffen wir es doch nicht

mehr bis ins Lager, Boß“, warf Weber ein. „Wollen wir nicht
wenigstens eine Tasse Kaffee trinken, da Hoss uns so
freundlich eingeladen hat?“

„Hm…“ Hargis schien nicht abgeneigt. Aber dann kamen

ihm doch Bedenken. „Nein, heute nicht!“ entschied er nach
kurzem Überlegen. „Also, Hoss, ich lasse noch von mir hören.
Wir tun uns alle zusammen, lassen unsere Hunde los und
stöbern die Löwen im ganzen Lande auf!“

Weber warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf die Tür der

Hütte. Aber sosehr er auch nach einer Tasse Kaffee lechzte, er
ließ sich doch nicht auf eine Auseinandersetzung mit seinem
Rancher ein. Er wandte sein Pferd, und Slim tat dasselbe. „In
den nächsten Tagen komme ich bestimmt nach Ponderosa“,
rief Hargis. „Soll ich deinem Vater etwas ausrichten?“

„Sag ihm, mir und den Kühen ginge es ausgezeichnet!“ rief

Hoss. „Und ich freue mich schon, daß Joe nun bald kommt.
Ach, Joe könnte vielleicht noch ein paar Dosen Milch
mitbringen! Würdest du das ausrichten?“

Kaum aber waren Hoss diese Worte entschlüpft, da hätte er

sich am liebsten die Zunge abgebissen. Drei Kisten
Büchsenmilch hatte er mitgebracht, als er heraufkam, und Joe

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hatte lachend gemeint, davon brächte er bestimmt die Hälfte
wieder zurück.

Aber Hargis schien an der Bitte nichts aufzufallen. Er winkte

dem jungen Mann noch einmal zu und ritt davon, gefolgt von
Hoss’ erleichtertem Seufzer. Puh! Um ein Haar hätte es eine
Katastrophe gegeben! Und wäre der Boden nicht noch
hartgefroren gewesen, so hätte man überall auf dem Hof und in
der ganzen Umgebung die Spuren von Rimrocks Tatzen
gesehen!

Nein, das ewige Zaudern half nichts mehr. Es mußte Schluß

sein – Schluß mit dem Getue um den jungen Puma!

In vier Tagen würde Joe heraufkommen. Zu früh würde er

sicherlich nicht zur Ablösung eintreffen – das sähe Joe ganz
und gar nicht ähnlich. Aber auch verspäten würde er sich
bestimmt nicht!

Langsam kehrte Hoss in die Hütte zurück.
„Rimrock, unsere Wege trennen sich nun endgültig!“
Der junge Berglöwe strich seinem Herrn um die Beine und

schnurrte genüßlich.

Vier Tage! Wenn es Hoss in drei Monaten nicht gelungen

war, sich von dem kleinen Puma zu befreien, wie wollte er es
in vier Tagen schaffen?

Sollte er ihn etwa erschießen?
Hoss wußte genau, daß er das nicht fertigbringen würde.

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Die Höhle



Hätte Hoss wählen dürfen, so hätte er sich für sein Vorhaben
bestimmt einen anderen Tag ausgesucht als ausgerechnet den,
der auf Hargis’ Besuch folgte: Der Himmel war viel zu klar
und blau, und es war für diese Jahreszeit ganz ungewöhnlich
warm. Hoss roch geradezu, daß ein Unwetter in der Luft hing.
Aber er konnte es nicht ändern. Der Tag, an dem Joe eintreffen
würde, war viel zu nahe, als daß Hoss das, was er nun einmal
tun mußte, noch hätte aufschieben können.

Er ritt auf Ginger. Rimrock wußte genau, daß der Hengst ihn

nicht leiden konnte, und deshalb würde sogar er in seiner
Verbohrtheit merken, daß er unerwünscht war!

Sein Ziel war ein unwegsames, zerklüftetes Gebiet, mehr als

dreißig Kilometer von der Hütte entfernt. Hoss zweifelte nicht,
daß Rimrock ihm folgte, obwohl er nur ab und zu einen ganz
kurzen Blick auf den Puma erhaschen konnte. Erst am späten
Nachmittag, als Hoss ein Reh geschossen hatte, wurde das
anders.

Ja, Rimrock wußte inzwischen recht gut, was los war, wenn

das Gewehr knallte! Kaum war der Schuß verhallt, da sprang
er in fröhlichen Sätzen herbei, um seinen Anteil am Festessen
einzuheimsen. Zwar wich er Ginger nach Kräften aus, jedoch
versuchte er nicht mehr, sich zu verbergen, während Hoss in
das graue Felsengelände weiterritt und schließlich auf einem
Felshang unmittelbar vor einer Höhle sein Nachtlager
aufschlug.

Im ersten Augenblick wußte Rimrock offenbar nicht recht,

was er vom Lagerfeuer zu halten hatte. In achtungsvoller
Entfernung rollte er sich zusammen und schnurrte bedenklich,

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aber nach einiger Zeit schlich er doch näher heran und begann
dann die Höhle zu untersuchen. Schließlich legte er sich auf
Hoss’ zusammengerollte Decke, wo er sich offenbar sicher und
mollig fühlte. Nur hin und wieder, wenn es im Feuer knackte
und die Funken stoben, schaute er bedenklich hinüber.

So sehr glich er einem reichlich groß geratenen

Schoßkätzchen, daß Hoss sich allen Ernstes seines Vorhabens
zu schämen begann.

Während der Nacht schlief Rimrock nicht zu Füßen seines

Herrn, er zog sich in die Höhle zurück. Kaum aber dämmerte
es, da erhob er sich und lief immerzu ganz dicht an Hoss
vorbei, um ihn zu wecken. Noch war es recht warm, aber der
Himmel hatte sich bezogen.

Ein Schneegestöber wäre ihm gerade recht gewesen;

andererseits wollte er unbedingt auf seinem Gehöft sein, ehe
die Nacht anbrach. Schließlich war die Jahreszeit noch nicht
vorbei, in der der Winter allerlei Schabernack zu treiben und
plötzliche Gefahr heraufzubeschwören vermochte. Da mußte
man es sich schon überlegen, ehe man irgendwo im Freien
kampierte.

„Dir wird es gewiß keinen Spaß machen, Schlappohr!“

knurrte Hoss. „Aber das kann ich nicht ändern.“

Zunächst einmal wälzte Hoss einen dicken Felsbrocken vor

den Eingang zur Höhle. So fest wie möglich stemmte er ihn in
die Öffnung, und dann rollte er noch ein paar kleinere
Felsstücke herbei, bis er genügend Material hatte, um den
Ausgang fest und sicher zu verrammeln.

Rimrock durfte so viel Rehfleisch fressen, wie er nur wollte,

dann schob Hoss ihn durch eine schmale Öffnung in die Höhle
hinein – und verschloß sie fest und zuverlässig mit den
Felsbrocken.

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Ein gutes Gewissen hatte Hoss dabei ganz gewiß nicht. Er

blieb beklommen vor der Höhle stehen und redete dem
eingesperrten Tier durch die dicke Steinwand gut zu.

„Wenn du wirklich willst“, meinte er, „kannst du dir den

Ausgang sicherlich freischarren. Und dann kommst du in ein
Gelände, in das du gehörst und wo du dich zu Hause fühlen
kannst! Hier, den Rest des Rehs lege ich so hin, daß du ihn
bestimmt von drinnen riechen kannst. Laß es dir schmecken,
und dann – hm – ja…“

Er riß sich los, sattelte Ginger und ritt so schnell wie möglich

davon.

Diesmal hatte es bestimmt geklappt! Rimrock würde sich

sehr schnell aus der Höhle befreien können, sobald er es nur
ernstlich darauf anlegte. Allerdings war er im Augenblick satt,
und deshalb würde ihn die Witterung des Rehs erst in einigen
Stunden locken. Zu fressen hatte er genug für mehrere Tage,
daran war kein Zweifel. Und später würde der Hunger ihn
schon auf die richtigen Gedanken bringen. Diesmal würde er
nicht nur einen freudigen Luftsprung machen, wenn er ein
Kaninchen sah, sondern es ernsthaft jagen und verzehren.

Zum Donnerwetter – es mußte geklappt haben!
Je weiter Hoss jedoch ritt, desto mehr Bedenken kamen ihm.

Wenn Rimrock nun zwar zu graben anfing, aber auf einen
Felsbrocken stieß, der doch zu schwer für ihn war? Oder wenn
zum Schluß die ganze Sperre zusammenbrach und Rimrock
womöglich verletzt wurde?

Würde er überhaupt auf den Gedanken kommen, sich den

Weg in die Freiheit zu graben und zu scharren? War er stark
genug dazu?

Natürlich war er stark und klug genug! Und zu fressen hatte

er reichlich – vor der Höhle, so daß es für ihn einen Ansporn
gab, sich den Weg in die Freiheit zu ertrotzen!

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Hoss zügelte sein Pferd und blieb eine Weile bewegungslos

sitzen. Beklommenen Herzens schaute er zurück. Ganz sacht
begann es zu schneien.

„Nein!“ schalt er sich selbst. „Es wäre pure Verrücktheit,

wenn ich umkehrte!“

Er gab Ginger die Sporen.
Aber was war das? Redete da nicht eine Stimme auf ihn ein?
Wenn du nicht umkehrst, Hoss Cartwright, wirst du niemals

die Angst loswerden, das arme, hilflose Wesen sei in der Höhle
elend verhungert! Nie im Leben wirst du Ruhe finden, denn du
kannst nicht wissen, ob das arme Tier mit dem Leben
davonkommt!

Die Stimme setzte Hoss zu. Wieder überlegte er. Jedes Tier

mußte im Notfall imstande sein, sich aus einer solchen Höhle
den Weg ins Freie zu bahnen. Rimrock würde es schaffen!

Schon fiel der Schnee so dicht, daß Hoss keine dreißig Meter

weit sehen konnte. Nach einer Stunde hatte er jede
Orientierung verloren. Wo war er? Der Schnee verwischte alle
Erkennungsmerkmale, und doch war Hoss überzeugt davon,
sich auf einem anderen Weg zu befinden als dem, den er auf
dem Ritt zur Höhle benutzt hatte.

Wegen des weißen Schleiers mußte er eine Abzweigung

verfehlt haben, und nun ritt er bergab, einen schmalen Bach
entlang, den er überhaupt nicht kannte. Allerdings wußte er,
daß in dieser Gegend alle Gewässer nach Süden flossen. Wenn
er dem Bach folgte, würde er in die Ebene gelangen, wo er sich
genau auskannte.

Der Schnee machte den kümmerlichen, nur vom Wild

getretenen Pfad neben dem Bach glitschig. Links erhob sich
ein mit dichtem Gebüsch bewachsener Hügel. Zur Rechten
wußte Hoss nach wie vor den Bach hinter einem dichten Wall
von Weiden und Espen. Immer enger wurde die Schlucht,
immer näher rückten die Büsche heran, und Ginger tastete sich

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behutsam auf dem schmalen Pfad voran, der nun zwischen
mehreren Bibertümpeln hindurchführte.

Plötzlich glitt Ginger aus – an einer Stelle, die nicht

schwieriger war als so manche andere, die Roß und Reiter
mühelos bewältigt hatten. Unvorstellbar schnell ging alles: der
rechte Hinterfuß rutschte aus, der linke verlor ebenfalls den
Halt, Ginger stürzte, rutschte den Abhang zum Bibertümpel
hinunter, Hoss strampelte verzweifelt, bis er beide Füße aus
den Steigbügeln befreit hatte, und stieß sich dann kraftvoll
vom Pferdeleib ab. Aber er konnte es nicht verhindern, daß er
in dem Bibertümpel landete.

Das kalte Wasser schlug ihm über dem Kopf zusammen.

Prustend tauchte er auf. Am Ufer stand Ginger, längst wieder
auf den Beinen. Hoss packte seinen Hut, der auf dem Wasser
trieb. Dann watete er zum Ufer. Aber unversehens trat er in ein
von den Bibern gegrabenes tiefes Loch, verlor das
Gleichgewicht und tauchte erneut unter.

Im gleichen Augenblick gelang es Ginger unter Aufbietung

aller Kräfte, den Pfad oben auf dem Hang zu erklimmen. Aber
dabei verfing sich der Hengst in einem Dickicht, das den Hang
säumte.

Inzwischen hatte Hoss sich freigekämpft, und keuchend

erreichte er die Höhe unmittelbar neben dem wiehernden
Pferd. Flink ergriff er die Zügelleine.

„Immer mit der Ruhe!“ mahnte er. „Ich bringe dich schon

wieder nach Hause!“

Tatsächlich beruhigte sich das Pferd, und Hoss machte sich

daran, die Schlingen und Ranken zu entfernen, in denen sich
Ginger mit den Vorderbeinen verfangen hatte.

Plötzlich zuckte er zusammen. Kein Zweifel: Ginger hatte

sich das rechte Vorderbein gebrochen!

Das Pferd schien zu wissen, was seiner harrte. Es zitterte am

ganzen Leibe und schaute Hoss wehmütig an. Kummer und

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Mitleid verzerrten sein Gesicht, als Hoss seinen Hengst
absattelte, das Zaumzeug löste und alles in weitem Bogen an
den Hang warf.

Dann zog er den Revolver und bemühte sich, das Wasser aus

dem Schloß zu schütteln. Schließlich drückte er ab – aber es
gab nur ein leises, kaltes Klicken. Dadurch wurde alles noch
schlimmer. Aber er mußte es tun!

Wenige Minuten später schleppte sich Hoss, mit Sattel und

Zaumzeug beladen, den Pfad entlang. Seine Kleidung war
gefroren, und sie knirschte laut bei jedem seiner Schritte. Er
sah ein, daß er weitermarschieren mußte, bis er von selbst ein
bißchen warm wurde. Und dann würde er ein Feuer anmachen.

Der Schnee fiel immer dichter, mit immer größeren Flocken.
Endlich verbreiterte sich die Schlucht ein wenig. Espen

wuchsen in dichten Hainen zu beiden Seiten. Hoss machte halt
und trug einen großen Haufen dürrer Zweige im Windschutz
eines dicken Stammes zusammen.

Seine Hosentaschen waren zugefroren. Es blieb ihm nicht

anderes übrig, als den Stoff zu zerreißen, wenn er an seine in
einer Blechdose aufbewahrten Streichhölzer herankommen
wollte. Aufatmend stellte er fest, daß die Hölzer trotz des
unfreiwilligen Bades trocken geblieben waren.

Schnee fiel auf das aufgeschichtete Holz. Beim ersten

Versuch gelang es ihm nicht, die Zweige in Brand zu setzen.
Hoss’ Finger waren so klamm vor Kälte, daß das zweite
Streichholz ihnen entglitt und in den Schnee fiel.

Hoss mußte erkennen, daß man leicht den Tod finden kann,

wenn man es im verkehrten Augenblick eilig hat.

Heftig rieb er sich die Hände, damit die Finger wieder warm

und beweglich würden. Dann schaute er sich suchend um.
Endlich fand er am Fuße des Hanges einen Klumpen
verdorrten Grases. Er kniete nieder, und seine Hose knackte,
als wolle der steinhart gefrorene Stoff brechen. Das

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aufflammende Streichholz setzte das trockene Gras in Brand,
und wenige Augenblicke später zuckten lodernde Flammen aus
dem Holzstoß.

Nun war alles in Ordnung. Hoss hatte keine Ahnung, wie

weit er noch von seinem Gehöft entfernt war; aber daß es noch
sehr, sehr weit sein mußte, konnte er sich denken. Vorläufig
würde er hierbleiben müssen – – bis er trocken war… Und
vielleicht, bis der Schneesturm endete.

Ganz taub wurden seine Glieder unter den gefrorenen

Kleidungsstücken. Als er nahe ans Feuer trat, dampfte das
Zeug in der Hitze. Erst auf der einen und dann auf der anderen
Seite ließ er sich von den Flammen wärmen.

Ja, es hatte ihn wirklich arg erwischt. Wie mochte es

Rimrock gehen?


Rimrock fehlte absolut nichts. Die warme, dunkle Höhle ließ
ihn wieder an sein erstes Zuhause denken, wo er das
dämmerige Licht der Welt erblickt hatte. Draußen war es
seltsam still, aber das konnte den Puma nicht schrecken. Ganz
deutlich witterte er das leckere Fleisch jenseits der
aufgeschichteten Felsen – für ihn ein untrügliches Zeichen, daß
der Mann, dem er von ganzem Herzen vertraute, nicht fern sein
konnte.

Rimrock rollte sich zusammen und hielt ein Schläfchen.
Ausgeruht wachte er auf. Bald würde der Mann

wiederkommen, und Rimrock würde ihm folgen, wohin er
wollte. Er kratzte ein wenig an den Felsbrocken vor dem
Eingang. Sie waren schwer und so geschickt geschichtet, daß
sie nicht abrutschten oder wegrollten. Durch die Ritzen
schimmerte der helle Tag herein, und am unteren Rand lag ein
ziemlich breiter Lichtstreifen auf dem Boden.

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Rimrock schnupperte an der Öffnung, und er versuchte, mit

der Pfote in den Spalt hineinzufahren. Leicht gab der sandige
Boden nach. Eifrig kratzte Rimrock weiter, der Spalt wurde
schnell breiter, und bald konnte der junge Berglöwe die
Schnauze hineinschieben.

Ob er sich etwa auch mit dem ganzen Leib hindurchzwängen

konnte? Rimrock versuchte es, aber obwohl er sich mit den
Hinterbeinen von dem Sandberg abstieß, den er vorhin hinter
sich aufgeworfen hatte, kam er doch nicht weiter.

Nach einiger Zeit gab er es auf. Er setzte sich und wartete auf

den Mann. Ganz deutlich roch es doch draußen nach ihm.
Sogar als der Schnee alles Land und auch die erkaltete
Feuerstelle bedeckte, nahm Rimrock die Witterung wahr. Sie
haftete an den Felsbrocken, die Hoss vor den Eingang
geschichtet hatte, an allem, womit er in Berührung gekommen
war.

Seltsam aber war es, daß der Mann gar nicht zurückkam!
Wieder drängte der junge Puma die Schnauze in die Öffnung

und schnurrte sehnsuchtsvoll. Noch einmal kratzte er an den
Felsen, die doch nicht nachgaben. Ziellos scharrte er im Sand,
versuchte sein Glück an verschiedenen Stellen der dunklen
Höhle.

Den ganzen Tag über schneite es, und noch nach Anbruch der

Dunkelheit fielen die Flocken. Erst irgendwann in der Nacht,
als Rimrock längst schlief, hörte es auf.

Dann kam der Morgen, und nun ging Rimrock ernsthaft an

die Arbeit. Er fing da an, wo er gestern schon einen schönen
Anfangserfolg gehabt hatte. Er war hungrig – und draußen, nur
wenige Meter von ihm entfernt, lag herrlich duftendes Futter!

Aber nicht Rimrock allein witterte das leckere Fleisch!
Eine große braune Bärin mit ihren beiden Jungen hatte seit

dem frühen Morgen am Fuße des Berghanges nach Futter
gesucht. Die Kleinen waren in ihrem Übermut, ein Stück

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davongetrollt, und mitten im fröhlichen Spiel hatten sie einen
herrlichen Duft wahrgenommen. Während die ersten
Sonnenstrahlen die weiße Schneedecke glitzern ließen, waren
die beiden jungen Bären der lockenden Witterung
nachgegangen.

Endlich hatte Rimrock es geschafft. Unter Aufbietung aller

Kräfte war es ihm gelungen, sich einen Weg aus der Höhle zu
bahnen. Nun stand er da und blinzelte in das grelle Licht.
Tatsächlich, da lag das Stück Wild – aber eine Elster tat sich
daran gütlich! Zornig stürmte der junge Puma auf den Vogel
zu und schlug nach dem frechen Tier, doch die Elster huschte
flink davon. Unwillig schüttelte sich Rimrock, und dann
machte er sich daran, sein Frühstück zu verzehren – ein
gewaltiger Krieger, der den Feind in die Flucht geschlagen
hatte.

Aber schon nahte neue Gefahr: zwei dunkle Fellgeschöpfe

mit merkwürdiger Witterung strolchten heran! Kaum
erblickten sie Rimrock, da fuhren sie erschrocken zurück. Und
er verstärkte ihre Verblüffung durch wütendes Fauchen.

Alle drei Gegner zauderten, die Flucht zu ergreifen, denn

auch die beiden Jungbären spürten den gleichen bohrenden
Hunger wie Rimrock.

Einer der jungen Bären wagte sich ein paar Schritte nach

vorn und packte eine Hinterkeule des Rehs. Zwar war nicht
mehr als Haut und Knochen daran, aber immerhin war es ein
unter Lebensgefahr erbeutetes Stück! Gierig knabberte der
Jungbär daran, wobei er wütende Knurrlaute zu Rimrock
hinüberschickte.

Empört sprang Rimrock über das tote Tier, versetzte dem

Bären einen Hieb übers Ohr und zog sich eilig zurück. Der
zweite Bär aber kam dem Bruder zu Hilfe. Beide nahmen das
Fleisch in Besitz, während Rimrock ihnen unschlüssig, aber

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höchst ungehalten zuschaute. Endlich bleckte er die Zähne und
peitschte mit seinem Schwanz den Boden.

So etwas war ihm noch nie passiert, seit er sich mit seiner

Schwester um das Futter gebalgt hatte. Er hatte Hunger, und er
sollte zusehen, wie die beiden dunklen Ungeheuer sich an
seinem eigenen Fleisch gütlich taten?

Wütend stürzte Rimrock sich auf die Räuber, fauchte, kratzte

und biß. Leider bissen die beiden beherzt zurück! Auf der
Stelle bildeten die drei Tiere ein dickes, hin und her rollendes,
kreischendes Knäuel. Die Bärenjungen hatten nadelspitze
Zähne, und sie wußten mit ihren krallenbewehrten Tatzen
wirkungsvoll zuzuschlagen.

Auch Rimrock landete ein paar tüchtige Hiebe, und unter den

Krallen seiner Hinterbeine stoben kleine Fetzen braunen Fells
in die Luft. Nach erfolgreichem Angriff wollte er sich
vorübergehend zurückziehen, aber das gelang ihm nicht ganz
nach Wunsch. Der eine Jungbär biß ihn in die linke
Vordertatze, und der andere versuchte, ihm den Schwanz
auszureißen.

So heftig Rimrock sich auch wehrte, es ging doch über seine

Kräfte, sich gleichzeitig nach zwei Seiten verteidigen zu
müssen. Zornig riß er sich los, wich zurück – ging aber sofort
wieder zum Angriff über und grub seine scharfen Krallen tief
in die Schnauze des Bären, der sich soeben an seinem Schwanz
vergangen hatte.

Plötzlich aber griff noch jemand in den Kampf ein – ein

riesenhaftes, knurrendes, fauchendes, braunes Wesen, das
entschlossen war, seine Jungen zu schützen. Rimrock erstarrte,
als er den aufgerissenen Rachen mit den spitzen Zähnen und
die zornig flammenden Augen sah.

Flink rannte er davon und suchte Schutz zwischen den Felsen

am Hang. Bären hatte er nun genug gesehen – es würde ihm
für den Rest seines Lebens reichen.

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Gegen Mittag war Hoss zu der Überzeugung gelangt, daß

alles, was er während der letzten zwei Tage’ getan hatte,
Unsinn und der schlimmste Irrtum seines Lebens war.

Schreckliches hatte er Rimrock angetan. Unverzüglich mußte

er zu der Felsenhöhle zurückkehren. Daß er Ginger verloren
hatte, war auch nur eine Folge des blöden Einfalls, Rimrock
auf solche Weise loszuwerden. Und es geschah ihm ganz recht,
daß er auch sonst noch allerlei Unbill hatte hinnehmen
müssen!

Zu allem Überfluß schien er nun auch noch nahe daran zu

sein, schneeblind zu werden.

Die ganze Nacht über hatte er am Feuer gehockt, seine

Kleidung getrocknet und nur ganz kurz, an einen Baumstamm
gelehnt, ein bißchen vor sich hin gedöst. Bei Tagesanbruch
gelang es ihm, sich halbwegs zu orientieren: er befand sich in
einem Seitental, ungefähr zehn bis zwölf Kilometer von
seinem kleinen Gehöft entfernt.

Der kürzeste Heimweg war ein alter Viehpfad, der durchs

Bergland führte. Zu Pferde kam man zweifellos recht gut
darauf voran, jetzt aber lag dort der Schnee zwanzig
Zentimeter hoch, und zu Fuß ging man bestimmt besser in der
Ebene weiter, wo unterhalb der Berghänge ein Weg
entlangführte, der zwar länger war, aber das Gebirge vermied
und in das Tal mündete, wo Hoss’ Hütte stand.

Obwohl die Sonne noch hinter den Bergen stand, tat der

glitzernde Schnee seinen Augen weh. Ganz schlimm aber
wurde es, als es richtig hell war. Das grelle Licht brannte in
den Augen, und Hoss mußte die Lider zusammenkneifen, bis
ihm die Muskeln schmerzten.

Kurz bevor er das Flachland erreichte, legte er eine Rast ein

und machte Feuer. Mit dem angekohlten Ende eines Zweiges
schwärzte er sich die Umgebung seiner Augen. Nun blendete
ihn die Sonne doch etwas weniger – aber schnell mußte Hoss

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einsehen, daß er diese Vorsichtsmaßregel nicht rechtzeitig
genug getroffen hatte.

Eine halbe Stunde später befand er sich in der Ebene, wo

nichts mehr die Gewalt der grellen Sonne zu mildern
vermochte. Zu ganz schmalen Schlitzen kniff er die Augen
zusammen, verbiß die Schmerzen, während dicke Tränen ihm
über die Backen rollten und grelle Blitze vor seinen Augen
zuckten. Hin und wieder blieb er stehen, um sich die
Augenhöhlen mit kühlendem Schnee zu reiben. Dann ließ der
Schmerz etwas nach, aber besser sehen konnte Hoss trotzdem
nicht.

Ihm fiel ein, daß ein bekannter Arzt in Virginia City ihn

einmal gewarnt hatte: frisch gefallener Schnee, auf den die
Sonne scheint, könne zu vollkommener Schneeblindheit
führen, noch ehe man selbst es richtig merke. Dann täten die
Augen weh, hatte er gesagt, und es sei, als habe man eine Art
Sonnenbrand in den Augenhöhlen. Tatsächlich meinte Hoss,
genau dies zu fühlen.

Obwohl die Sonne vom wolkenlosen Himmel schien, war es

doch nicht warm. Im Gegenteil, es wurde immer kälter, und
nun wehte auch noch ein eisiger Wind über die Ebene. Hoss
ahnte, was ihm bevorstand – eine der kältesten Nächte des
Jahres! Er verspürte keinerlei Lust, noch eine Nacht im Freien
zu verbringen, fürchtete aber, daß es ihm nicht erspart bleiben
würde.

In Stiefeln, die nicht für lange Fußmärsche bestimmt waren,

zog er durch die weiße, ebene Wüste. Immer wieder riß er die
schmerzenden Augen auf und schaute zum Gebirge hinüber.
Solange er es zu seiner Rechten sah, hatte er die Richtung nicht
verloren.

Er kam ganz gut voran, aber die Augen schmerzten immer

mehr, er konnte sie kaum noch offenhalten, und so mußte er
schließlich langsamer gehen. Das einzige, was die eintönige,

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qualvolle Weiße unterbrach, waren dunkle, struppige Büsche –
und es fiel Hoss immer schwerer, sie zu erkennen. Vom
Schnee und Licht geblendet, stolperte er über Maulwurfshügel
und brach in Kaninchenlöcher ein.

Immer langsamer wurde er. Mühsam mußte er einen Busch in

der Ferne ausmachen, unbeirrt auf ihn zugehen und sich dann
einen neuen Orientierungspunkt suchen, um nicht vom Wege
abzuirren. Die Berge an seiner Seite waren längst nur noch ein
etwas dunklerer Schimmer, und Hoss war nicht einmal sicher,
daß er sie wirklich sah. Vielleicht war das, was er für das
Gebirge hielt, nichts anderes als die allgemeine Finsternis am
Rande seines Blickfeldes.

Falls er aber nach links abirrte, würde er in eine baumlose

Einöde geraten, die ungefähr zehn Kilometer breit war. Er
versuchte, sich nahe an den Bergen zu halten, denn falls er
Rast machen mußte, würden die Bäume an den Hängen seine
einzige Zuflucht sein. Mit einem tüchtigen Feuer könnte er
dort die Nacht verhältnismäßig sicher überstehen.

Aber dann geschah ausgerechnet das, wovor er die meiste

Angst gehabt hatte:

Er bemerkte Fußspuren, die in seiner Richtung verliefen!

Zwar hatte der Wind sie schon teilweise verweht, als er jedoch,
die Augen mit der Hand beschattend, angestrengt
hinunterstarrte, mußte er sich sehr bald davon überzeugen, daß
er vor seinen eigenen Spuren stand. Trotz all seiner
Bemühungen, sich am nahen Bergland zu orientieren und von
einem Busch zum anderen geradeaus zu gehen, war er im
Kreis gelaufen!

Er hob den Kopf und spähte angestrengt dorthin, wo er die

Berge vermutete. Nun fand er sich überhaupt nicht mehr
zurecht. Keinen einzigen Berg konnte er erkennen, und er hatte
auch keine Ahnung, in welcher Richtung er vom Weg
abgewichen war. Von Panik ergriffen, wäre er am liebsten

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losgerannt – in die Richtung, die er im Augenblick für die
richtige hielt. Aber er mußte einsehen, daß er sich jetzt keinen
neuen Fehler erlauben durfte. Es ging um Leben und Tod!

Er kniete im Schnee nieder und prüfte seine Fußspuren. Die

Augen schmerzten mehr denn je, und da die Flocken die Form
der Abdrücke verwischt hatten, konnte er nicht einmal mit
Sicherheit erkennen, in welche Richtung seine Spur führte. Auf
Händen und Füßen kroch er ein Stück weiter, und zum Glück
fand er an einer windgeschützten Stelle neben einem Busch
einen unverwehten Abdruck.

Er hob den Blick und schaute in die Richtung, die der Fußtritt

ihm anzeigte. Dann streckte er den Arm aus. Dorthin also! Ja,
dort mußten die Berge sein! Soeben hatte er noch in panischer
Angst die entgegengesetzte Richtung einschlagen wollen.

Er riß sich hoch und taumelte vorwärts. Drei Zündhölzer

besaß er noch, damit würde er sparsam umgehen müssen.
Waren sie noch da? Zögernd fuhr er mit der Hand in die
Tasche. Ja, da war die Dose… Aber der Deckel hatte sich
gelöst! Vorsichtig trocknete Hoss sich die Hand am Hemd ab,
und dann holte er die ungeschützt in der Tasche liegenden
Streichhölzer hervor und betrachtete sie.

Die Köpfe waren abgeweicht! Jedesmal, wenn er sich vorhin

die Augen mit Schnee ausgewaschen hatte, war er
anschließend mit den feuchten Händen in die Taschen
gefahren, um sie zu wärmen. Und jetzt lagen drei wertlose
Holzstäbchen in seiner zitternden Hand!

Ich muß den Wald erreichen! dachte er.
Aber wo war der Wald?

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Im Schneesturm



Nur ein kurzes Stück setzte die empörte Bärenmutter dem
flüchtenden Rimrock nach, dann kehrte sie zu ihren Jungen
zurück – und zu dem herrlichen Mahl, das ein freundliches
Wesen ihnen dort auf dem Felsvorsprung serviert hatte. Der
junge Puma aber rannte weiter, bis er sich in Sicherheit wußte.
Auf einem Felsvorsprung oberhalb eines Espenhains machte er
halt.

Eine Weile ruhte er sich hier aus. Er beleckte die verletzte

Pranke und schaute auf den Schnee hinunter, der sich auf die
Baumkronen gelegt hatte. Irgendwie kam ihm das Land
rundum bekannt vor – und doch fühlte Rimrock sich nicht
recht zu Hause. Außerdem hatte er bohrenden Hunger.

Nachdem er sich ein bißchen erholt hatte, kletterte er zu den

Bäumen hinunter. Sollte es hier wirklich keine Mäuse zu jagen
geben? Aber zwischen den Stämmen konnte Rimrock beim
besten Willen nichts als Schnee entdecken. So verließ er den
Hain und lief weiter bergab. Irgendwo hier in der Gegend
mußte der Mann doch stecken!

Da! Ein Schatten huschte über die weiße Schneefläche.

Hastig lief Rimrock zu den Bäumen zurück und suchte
Deckung neben einem Stumpf. Es war nur ein Habicht, der
ziemlich tief über das Land strich und nach Beute Ausschau
hielt. Rimrock war ihm viel zu groß. Trotzdem blieb der junge
Puma in seinem Versteck, bis er ganz sicher war, daß der
Raubvogel sich nicht mehr in der Nähe befand.

Da! Ein Eichhörnchen schwatzte in einer Fichte. Rimrock lief

näher, um sich den Urheber dieser Ruhestörung anzuschauen.
Das kleine Klettertier lugte von der Höhe eines Astes auf ihn

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herab, und der Puma hockte unten, hob eine Tatze und mußte
einsehen, daß es vermessen gewesen wäre, einem
Eichhörnchen nachzuklettern.

Plötzlich nahm Rimrock eine vertraute Witterung wahr. Er

folgte ihr und kam an einen dünnen Fichtenstamm, den Hoss
und Ginger gestreift hatten. Aufgeregt beschnupperte Rimrock
das ganze Gelände, tief grub er seine Schnauze in den Schnee.
Der Schwanz tat ihm weh, und er humpelte mühsam weiter.

Er war nichts mehr als ein kleiner, armseliger Berglöwe, der

Angst hatte, sich in einer fremden Umgebung nicht
zurechtfand und sich vollkommen verlassen fühlte – am
meisten von dem Menschen, der ihm bisher alle Mühen im.
Kampf ums Dasein abgenommen hatte…


Langsam, schrecklich langsam wuchsen die Baumstämme aus
dem Schleier hervor, der vor Hoss’ Augen wallte.

Plötzlich stieß er gegen einen Espenstamm, und freudig

umarmte er ihn wie einen alten Freund. Dahinter dehnte sich
graue Leere, aber Hoss war, als ginge es bergauf; und er
glaubte sogar, eine dunkle Wand von Fichten erkennen zu
können.

Verzweifelt riß er sich zusammen, taumelte weiter und spürte

mit innerem Jubel, daß es wirklich bergauf ging. Trotzdem
kam er den Fichten nicht näher. Gab es sie überhaupt? Der
Schnee überzog sich mit einer harten Kruste, und der Wind,
der aus dem Bergland herüberwehte, drang eisig durch Hemd
und Jacke.

Hoss wollte warten. Später, wenn ihm die Augen nicht mehr

so weh taten, würde er die Fichten wohl erreichen können!
Tastend sammelte er dürres Espenholz auf, um eine Art
Windschirm errichten zu können. Dann stieß er mit den Füßen

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den Schnee beiseite. Mehr Vorbereitungen zur Nacht konnte er
nicht treffen.

Eine Stunde später mußte er einsehen, daß seine Vorsorge

kaum ausreichte. Seine enganliegenden Reitstiefel waren
durchnäßt, und nun, da er sich zur Ruhe niedergelassen hatte,
fingen die Füße an zu erfrieren. Solange er auf den Beinen
gewesen und immer wieder herumgestapft war, hatte er den
Blutkreislauf in Bewegung gehalten.

Nun aber fiel die Kälte mit Ungestüm über ihn her. Hoss sah

ein, daß er auf den Beinen bleiben, umhergehen, die ganze
Nacht wachen mußte. Aber er bezweifelte, daß er das
durchhalten würde…

Und doch wußte er, daß ihm keine Wahl blieb!
Und morgen? Seinen Augen ging es nicht besser. Was also

sollte werden? Vielleicht war er morgen früh schon
vollkommen blind. Sollte er vielleicht doch weitergehen und
versuchen, seine Hütte wiederzufinden?

Immerhin war er nach seiner Schätzung kaum mehr als zehn

Kilometer von dem Gehöft entfernt. Und das Marschieren
würde ihn wenigstens warmhalten. Wieder drohte die panische
Angst ihn ziellos weiterzujagen. Wenn er Glück hatte, konnte
alles noch gut werden!

Aber sogleich meldete sich die mahnende Stimme der

Vernunft. Falls er der Verlockung folgte und aufs Geratewohl
loszog, würde die Erschöpfung ihn sehr bald niederwerfen.
Nein, er mußte bleiben, wo er war, mußte durchhalten – selbst
wenn er noch zwei Tage und zwei Nächte unterwegs sein
sollte!

Gewiß durfte er sich hinsichtlich seiner Chancen keinen

Illusionen hingeben. Aber Kurzschlußhandlungen brachten ihn
auch nicht weiter. Er mußte bedächtig vorgehen – falls er sich
ein Bein brach oder auch nur einen Knöchel verstauchte, wäre
er erledigt.

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Lange, lange hielt er sich auf den Beinen. Das Stehen

ermüdete ihn mehr als alles Gehen. Und die nassen Stiefel…
Es würde qualvoll sein, sie wieder anzuziehen. Und doch – er
mußte es einfach darauf ankommen lassen.

Mühsam zerrte er sie von den Beinen. Dann schnitt er mit

dem Messer ein breites Stück vom Hemd ab, wickelte es um
die wunden Füße und erwärmte sie, indem er sie kräftig rieb
und die Zehen bewegte.

So saß er da. Allmählich ließ er die Hände sinken, und sein

Kopf fiel vornüber. Er rührte sich nicht mehr.

Wolfsgeheul weckte ihn.
Taumelnd sprang er auf. Waren die Räuber schon so nahe?

Deutlich erklang das langgezogene Jaulen durch die kalte
Nacht. Es kam von irgendwoher auf der linken Seite. Hoss
verstand den Ton: die Tiere setzten einer Beute nach,
verfolgten durch den hohen Schnee einen Feind…

Zu seiner Erleichterung entfernte sich das Heulen, und bald

darauf hörte er nichts mehr.

Obwohl er sich fest vornahm, diesmal wach zu bleiben,

nickte er doch ein, kaum daß er sich hingesetzt hatte. Zwar
fuhr er immer wieder auf, und er brachte es tatsächlich fertig,
dann ein paar Schritte hin und her zu gehen – aber sobald er
meinte, ganz wach zu sein, wagte er es, sich erneut
hinzusetzen. Es fiel ihm nicht auf, daß es allmählich immer
länger dauerte, bis er wieder erwachte.

Am schlimmsten aber war es, daß er kaum merkte, wie ihm

ständig kälter wurde.

Es kam der Augenblick, wo er überhaupt keine Kälte mehr

spürte. Er hockte da, begann zu erfrieren und träumte von
seinem molligen, gemütlichen Vaterhaus in Ponderosa…

Joe war bei ihm. Er wollte ihn wecken, denn es war Zeit,

aufzustehen und an die Arbeit zu gehen. Er rüttelte ihn, ärgerte
ihn, gab ganz seltsame Laute von sich… Hoss wollte ihn

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wegschieben. Nein, er hatte gar keine Lust aufzustehen. Ihm
konnte es gar nicht besser gehen, er fühlte sich ausnehmend
wohl!

Aber Joe ließ nicht locker. Er stieß ihn, und die Laute, die er

von sich gab, klangen seltsam, aber doch vertraut – wie das
Schnurren einer großen Katze. Hoss tastete mit der Hand, und
er fühlte weiches Fell. Eine warme Zunge leckte ihm die
Hand… Aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis der fast
Erfrorene begriff, was da eigentlich los war.

„Rimrock!“ murmelte er.
Wieder wollte er einschlafen. Man sollte ihn doch in Ruhe

lassen! Er wollte schlafen, schlafen…

Plötzlich aber fuhr er doch auf.
„Rimrock!“ schrie er.
Beim Aufstehen merkte er, daß er schon ganz steifgefroren

war; seine Glieder schienen aus Holz zu bestehen, und um ein
Haar wäre er umgefallen, hätte er sich nicht im letzten
Augenblick an einem Baumstamm festhalten können.

„Rimrock!“ murmelte er ungläubig. „Wo kommst du denn

her?“

Der junge Berglöwe rieb den geschmeidigen Leib an Hoss’

Beinen. Der junge Mann zwang sich, Arme und Beine zu
bewegen, um sein Blut wieder in Wallung zu bringen. Nur mit
größter Anstrengung brachte er es fertig, mit den Füßen
aufzustampfen, die Arme im Kreise zu schwenken und sie
kreuzweise vor die Brust zu schlagen. Jetzt erst wurde ihm
bewußt, wie nahe er dem Tode gewesen war.

Es tat ihm gut, Rimrock nun in seiner Nähe zu wissen,

obwohl das seine Lage nicht im geringsten besserte. Längst
hatte Hoss jeden Zeitbegriff verloren. Die Sterne leuchteten am
Himmel, aber er konnte sie kaum sehen. Mit seinen Augen
stand es schlimmer denn je.

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Unruhig lief der junge Berglöwe hin und her, verschwand

immer wieder zwischen den Bäumen und kehrte kurz darauf
zurück. Es war Nacht, und auch er hätte sich gern zur Ruhe
gelegt. Aber sein Herr hatte sich einen ausgesprochen
ungemütlichen Lagerplatz ausgesucht! Da war es in einer
Höhle doch wesentlich gemütlicher, am gemütlichsten
allerdings war es daheim in der Hütte auf dem weichen Bett!

Immer von neuem lief Rimrock zu den Bäumen hinüber,

blieb dort stehen und schnurrte vernehmlich.

Er möchte in die Hütte zurück! dachte Hoss.
Er nahm seine Stiefel, und obwohl sie steifgefroren waren,

gelang es ihm schließlich doch, sie anzuziehen. Vielleicht
würde auch diese letzte Hoffnung trügen, aber Rimrock war ja
immerhin bis hierher gekommen; könnte es ihm da nicht
gelingen, auch noch das letzte Stück des Weges zu finden?

Hoss vertraute sich dem Tier an. Mühselig stapfte er hinter

ihm durch die eisige Nacht.

Zuweilen lief Rimrock so weit voraus, daß Hoss gar nicht

mehr wußte, wo er war. Dann blieb er stehen, rief den Puma,
und sofort kam das treue Tier zurück. Mit der Zeit schien
Rimrock zu spüren, daß mit seinem jungen Herrn etwas nicht
stimmte. Und sofort lief er langsamer und hielt sich stets in
Hoss’ Nähe.

Der kluge Berglöwe wählte den allerkürzesten Weg: durch

sperriges Unterholz, über Gräben und durch Schluchten, über
karge Felsenhänge. Hoss beklagte sich nicht. Er stand wieder
auf, wenn er hingefallen war, und folgte dem Weg, den
Rimrock ihm wies.

Er wußte nicht, seit wie vielen Stunden er sich vorwärts

schleppte, über Steine stolperte, in tiefen Schnee fiel und
immer wieder keuchend stehenblieb, um zu lauschen, ob
Rimrock noch in seiner Nähe war.

Rimrock war immer da.

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Es war noch immer dunkel, als er auf einmal ein Pferd

wiehern hörte. Paiute!

Er taumelte in die Hütte. Sollte er Feuer machen? Es schien

ihm nicht der Mühe wert. Er kannte ja die Ecke, wo sein
weiches, warmes Bett stand. Mühsam zerrte er sich die Kleider
vom Leibe, dann ließ er sich stöhnend fallen.

Zuerst zitterte und schauderte er vor Kälte, dann aber spürte

er, wie ihm warm wurde. Rimrock rollte sich auf dem Bett
zusammen, und Hoss spürte, wie herrlich das Tier ihm die
Füße wärmte.

Zuweilen fühlte Hoss den Schmerz in seinen Augen, meist

aber schlief er ganz fest. Als er erwachte, mußte es Nachmittag
sein. Wie üblich hatte er beim Heimkommen die Tür hinter
sich offengelassen, und nun war es eiskalt im Zimmer.
Außerdem taten ihm die Augen gräßlich weh. Plötzlich begriff
Hoss deutlicher denn je, was aus ihm geworden wäre, hätte
Rimrock ihn nicht draußen in der Eiseskälte gefunden.

Nur tastend konnte er sich durch die Hütte bewegen. Das

Wasser im Eimer auf dem Regal gleich neben der Tür war
gefroren. Hoss machte Feuer und setzte den Kessel auf den
Herd. Nach einigem Herumtasten fand er auf dem Regal eine
Dose Corned beef. Ein Büchsenöffner lag daneben. Schon warf
er den Block Fleisch in die Bratpfanne.

Ein Schnurren erklang: Rimrock war von einem Ausflug

nach draußen heimgekehrt und wollte etwas fressen.

Ein Glück, daß Hoss noch immer ein Stück von dem

Rehbock hinter der Hütte hängen hatte! Nachdem er sich ein
altes Hemd so um den Kopf gebunden hatte, daß es seine
Augen beschirmte, tastete er sich hinaus. Eisiger Wind schlug
ihm entgegen, als er um das Haus schlurfte. Mit einem Messer
schnitt er den Strick durch und ließ das gefrorene Fleisch zu
Boden fallen. Freudig zerrte Rimrock es in die Hütte und legte

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es so hin, daß Hoss beim Eintreten stolperte und beinahe
hingefallen wäre.

„Sogar das lasse ich dir durchgehen!“ stieß er hervor.

Nachdem er zum Bach gewankt war und Wasser geholt hatte,
verließ er die Hütte den ganzen Tag über nicht mehr. Als es
Abend wurde, ging es seinen Augen schon wesentlich besser.
So gut konnte er immerhin wieder sehen, daß er Rimrocks
Verletzungen an einem Bein und am Schwanz bemerkte.

„Wir beide sind schon elend dran, wie?“ Zärtlich kraulte er

das schnurrende Tier zwischen den Ohren. „Und morgen
kommt Joe. Was soll dann aus dir werden, Rimrock?“

Jeder Versuch, den Puma loszuwerden, war kläglich

gescheitert. Aber es mußte doch einen Ausweg geben… Hoss
brauchte Zeit, um den Fall neu zu überdenken.

Diese Zeit mußte er gewinnen!



Am nächsten Tag wartete Hoss auf einem nahen Berg. Wieder
hatte er sich das Hemd vor die Augen gebunden, und nur ab
und zu hob er es an, um Ausschau zu halten. Endlich entdeckte
er weit hinten in der Ebene Joes Pferd und noch zwei
Packtiere, die hinterherliefen. Sofort ritt Hoss bergab und dem
Bruder entgegen. Es wunderte ihn nicht, daß Joe laut loslachte.

„Du willst wohl unter die Bankräuber gehen, Hoss?“
„Hör auf!“ fauchte Hoss. „Ich bin schneeblind – das kommt

daher, daß ich hier oben arbeiten mußte, während gewisse
andere Leute es sich daheim gut sein ließen!“ Er hob seine
Augenmaske und schaute den Bruder zornig an. „Du hast dir ja
die Gegend um die Augen mit Kohle geschwärzt!“

„In der Ebene blendet die Sonne mächtig“, erwiderte Joe.

„Meinst du, daß du allein nach Ponderosa reiten kannst?“

„Ich werde nicht hinunterreiten!“

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„Wieso nicht?“ Joe sprang aus dem Sattel. Er war ein

hübscher, gutgewachsener Bursche und sehr viel kleiner als
der ältere Bruder.

„Ich mag nicht nach Hause“, erklärte Hoss. „Nachdem ich die

blöden Rinder nun durch die schlimmsten Wintermonate
gebracht habe, möchte ich mir die letzten Wochen nicht
entgehen lassen!“

„Wie?“ staunte der Bruder.
„Mehr fällt dir wohl nicht ein?“ fauchte Hoss ihn an. „Wie

geht es dem Vater?“

„Vater?“ Joe hatte seine Verblüffung noch immer nicht

überwunden. „Ach, dem geht es gut. Aber daß du dich nicht
ablösen lassen, sondern weiter hier oben bleiben willst…“

„Na, ich will es eben!“ brummte Hoss. „Außerdem habe ich

keine Lust, mit dem Hemd um den Kopf heimzureiten und
mich zum Gespött der Leute zu machen…“

Joe verzog das Gesicht zu einem Grinsen.
„Weshalb mußte ich eigentlich so viel Büchsenmilch

mitbringen?“ fragte er. „Bist du zum Säugling geworden?“

„Ich habe öfter Eierkuchen gebacken!“
Joe pfiff zwischen den Zähnen.
„Und wer hat die gegessen?“ fragte er anzüglich. „Die Pferde

vielleicht?“

Hoss lüftete ein wenig seine Maske.
„Hör doch auf mit deinem frechen…“ Er verstummte.
Am Rande seines Gesichtsfeldes hatte er eine Bewegung auf

dem Berghang bemerkt, und wenig später erkannte er
Rimrock. Dabei hatte er ihn doch in der Hütte eingesperrt!
Ach, er hätte sich denken können, daß es schiefgehen würde!

„Was ist los?“ Joe schaute den Berg hinauf.
„Nichts!“ brummte Hoss unwirsch. „Ich habe nur keine Zeit,

hier herumzuschwatzen. Also, ich bleibe im Lager, bis Vater
mich zurückruft. Nimm dein Gepäck nur wieder mit und reite

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heim! Und richte dem Vater aus, mit den Kühen sei alles in
Ordnung.“

„Das will ich tun, Hoss“, erwiderte der Bruder verdutzt.

„Weißt du, die Rinder machen mir gar keine Sorgen – du aber
dafür um so mehr. Was hast du zum Beispiel mit der vielen
Milch gemacht? Ziehst du etwa eine Ziege groß?“

„Nein!“ brüllte Hoss. „Ich nähre sieben Berglöwen und vier

Bären! Eigentlich wollte ich es dir nicht sagen, aber vor einem
so gewitzten Burschen kann man ja doch nichts verbergen. So,
und nun nimm dein Gepäck, laß mir das eine Packpferd da,
und scher dich heim!“

Aber so schnell ließ sich Joe nicht abschütteln.
„Weshalb hast du eigentlich diesen abgenutzten alten Sattel

aufgelegt?“ bohrte er.

„Weil ich meinen guten Sattel neulich zurücklassen mußte,

nachdem Ginger sich ein Bein gebrochen hatte!“

„Und bei dieser Gelegenheit bist du auch schneeblind

geworden?“

„Allerdings!“
„Man wird doch noch fragen dürfen!“ Joe zuckte die

Achseln. „Aber nachdem du solches Pech hattest, sollte man
meinen, daß du besonders gern heim möchtest…“

„Ich bleibe!“ fauchte Hoss. „Jede weitere Diskussion ist

überflüssig!“

„Schon gut“, sagte Joe friedfertig, während er seinen

Knappsack vom Packpferd zerrte. „Glaub ja nicht, daß ich
enttäuscht bin! Ich lege keinen besonderen Wert darauf, mir
mein Essen selbst zu kochen, um acht ins Bett zu gehen,
während der Nacht alle halbe Stunde mit Holzscheiten nach
Ratten zu werfen und…“

„Den Ratten habe ich ihre nächtlichen Ausflüge abgewöhnt“,

knurrte Hoss. „So, daheim schaffe ich das Zeug, was das
Packpferd trägt, in meine Hütte, und dann lasse ich das Tier

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einfach laufen. Vermutlich trifft es dann nicht später als du in
Ponderosa ein.“

„Und das zweite Pferd behältst du hier?“
„Nein, das kannst du gleich mitnehmen!“ erklärte Hoss

verächtlich. „Es würde doch nach spätestens zwei Tagen unter
mir zusammenbrechen! Paiute und ich, wir bringen die letzten
paar Tage auch noch hinter uns!“

„Hast du während des Winters Scherereien mit Berglöwen

gehabt, Hoss?“

„Keine Spur!“
„Im Osten sollen sie ziemlich wüst gehaust haben, wie man

mir erzählte!“

Hoss hob das schützende Hemd vor den Augen wieder ein

wenig an und spähte verstohlen zum Berghang hinüber.
Rimrock aber blieb in guter Deckung!

„Du redest wie Sam Hargis“, brummte er. „Wenn man dem

zuhört, möchte man meinen, er habe mindestens fünfzig fette
Rinder eingebüßt. Als er mich neulich besuchte, hat er mächtig
gejammert!“

„Aber er hat wirklich mehrere Kälber verloren“, beharrte Joe.

„Und verschiedene andere Rancher haben mir versichert, in
diesem Jahr seien die Pumas besonders aufdringlich gewesen.
Jack Sayers hat mit seinen Hunden…“

„Hat Vater dir gesagt, wie lange ich noch hier oben bei den

Rindern bleiben muß?“ fiel Hoss dem Bruder ins Wort.

„Ich glaube, du bist schon viel zu lange oben!“ schimpfte Joe.

„Woher hättest du sonst deine schlechte Laune?“ Er schüttelte
den Kopf. „Vater hat mir gesagt, ich solle selbst entscheiden,
wie lange die Herde noch gehütet werden muß. Das kannst du
dann ebensogut tun wie ich.“

„Drei Wochen genügen bestimmt“, erwiderte Hoss. „Dann

komme ich heim.“

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Hoss wußte, daß er sich um die Rinder überhaupt nicht mehr

zu kümmern brauchte. Aber die drei Wochen benötigte er, um
eine andere Aufgabe zu lösen.

„Na, jetzt hast du ja genug Büchsenmilch!“ feixte Joe. „Mach

dir in der Hütte nur recht viele süße Pfannkuchen, damit deine
Stimmung sich ein bißchen hebt!“ Er lachte und machte sich
auf den Weg zurück nach Ponderosa.

Dem Packpferd mißfiel die Witterung des Berglöwen. In

Hoss’ Kleidung hatte es sie sogleich entdeckt. Und als es nun
zum Gehöft geleitet wurde, da nahm es den schrecklichen
Geruch ganz dicht neben dem Weg wahr – dort nämlich, wo
Rimrock seinem Herrn nachgeschlichen war.

Zuweilen mußte Hoss das Tier voranzerren, dann wieder

mußte er es kräftig festhalten, um nicht selbst mitgezerrt zu
werden. Neben der Hütte angekommen, sattelte Hoss das Pferd
vollkommen ab, und sofort bäumte es sich auf, schnaubte und
stürmte im Galopp den Weg zurück, den es gekommen war.

Hoss schaute ihm nach. In der Ebene würde es schon

vorsichtig weiterlaufen. Es würde bald begreifen, daß kein
Berglöwe es dort unten bedrohte.

Zufrieden schleppte Hoss die neuen Vorräte in die Hütte. Er

hatte gehofft, Rimrock hätte sich unter der Wand einen Weg
ins Freie gebuddelt oder er wäre so lange gegen die Tür
geprallt, bis das Schloß aufsprang – aber nein: der Berglöwe
war durchs Fenster entkommen.

„Auf den Satz bist du wohl gar noch stolz?“ knurrte Hoss.

„Na, ich werde die Öffnung zunageln. Du hast es dir selbst
zuzuschreiben, wenn es dann drinnen finsterer ist als im Bauch
eines Ochsen!“

Rimrock schien die neue Öffnung sehr praktisch zu finden.

Er sprang auf den Tisch, schlüpfte durchs Fenster hinaus, und
Hoss verfehlte sein Hinterteil ganz knapp, als er ihm einen
kräftigen Klaps versetzen wollte.

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„Ich dachte, ich hätte es dir abgewöhnt, auf den Tisch zu

springen!“ schimpfte er.

Dann löste er das Problem, indem er den Tisch ein gutes

Stück vom Fenster fortschob. Wenig später kehrte Rimrock auf
demselben Weg zurück – und machte eine ziemlich harte
Bauchlandung auf dem Fußboden.

Hoss schüttelte sich vor Lachen.
Aber noch standen andere Überraschungen bevor: gegen

Abend kam Rimrock von einem Ausflug zurück ins Haus und
– trug ein Kaninchen im Maul!

„Großartig!“ lobte ihn sein Herr. „Offenbar willst du doch

noch zur Vernunft kommen.“

Aber anscheinend hielt Rimrock gar nichts von zu

stürmischen Fortschritten. Er trottete heran, legte das
Kaninchen zu Hoss’ Füßen nieder und wartete, bis sein Herr es
ihm abhäutete.

Anschließend verlangte er nach einem Napf Milch!

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Abschied



Am Tage nach Joes Ankunft und Rückkehr ritt Hoss durch den
tauenden Schnee, um die längst fällige Inspektion der Herde
nachzuholen. Den Tieren fehlte offenbar nichts. Was sie
anging, so hätte Hoss ganz bestimmt noch am selben Tag
endgültig nach Ponderosa heimreiten können.

Drei Wochen hatte er sich noch bewilligt. Wozu? Hatte er

nicht schon alles versucht, was auch nur die geringste Aussicht
auf Erfolg bot? Hatte er nicht jeden Kniff ausprobiert?
Konnten drei weitere Wochen ihn auch nur einen einzigen
Schritt weiterbringen? Nur immer schwerer würde es ihm
fallen, sich endgültig von dem anhänglichen Tier zu trennen.

Da oben saß der Puma. Wie stets hockte er brav im Blickfeld

seines Herrn und schaute mißtrauisch auf die Rinderherde
herunter. Er wahrte immer einen Abstand von mindestens
zweihundert Metern. Hoss hätte keinen Eid darauf geleistet,
aber er wurde doch den Verdacht nicht los, daß Rimrock
insgeheim schreckliche Angst vor allen Tieren in Wald und
Feld hatte – solange sie auf ihren vier Beinen standen. In
geschlachtetem Zustand mochte er sie ausgesprochen gern!

Immerhin gab die Tatsache, daß Rimrock ein erfolgreicher

Kaninchenjäger geworden war, zu einiger Hoffnung Anlaß.
Gewiß mußte Hoss sie ihm nach wie vor abhäuten, aber ihn
tröstete doch der Gedanke, daß der Puma die flinken Tiere
wenigstens zu fangen vermochte.

Sogar an einen Biber hatte sich Rimrock drunten am Teich

schon herangemacht. Das kleine Tier aber hatte sich
verteidigungsbereit hingehockt und die gelben Zähne gebleckt.
Da hatte Rimrock doch gezaudert und war zu seiner alten

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Gewohnheit zurückgekehrt, einen Luftsprung zu machen und
sich dann geruhsam auf allen vieren niederzulassen.

Immerhin – der Angriff hatte doch von Tapferkeit gezeugt.

Der Biber hatte nämlich dicht am Wasser gesessen, und kein
halbwegs vernünftiges Tier wird sich an einen Biber
heranwagen, der sich in seinem feuchten Element befindet.
Und wenn Hoss es recht bedachte, war der letzte Luftsprung
Rimrocks der eleganteste gewesen, den er jemals vollführt
hatte.

Aufmerksam betrachtete Hoss die Herde. An den Spuren

erkannte er, daß die Tiere sich während der kältesten Tage in
einem Dickicht verkrochen hatten. Das war wirklich
ausgesprochen klug von ihnen gewesen.

Zwischen den Büschen stieß Rimrock zu seinem Herrn.
„Na, hast du heute ein bißchen dazugelernt?“ fragte ihn Hoss.

„Weißt du inzwischen, was es heißt, ein Löwe zu sein?“

Rimrock setzte sich aufs Hinterteil und kratzte sich hinter

dem verstümmelten Ohr. Während des Heimweges sprang er
munter umher, und daheim sauste er mit einem gewaltigen
Satz mitten durch das brüchige Segeltuch, das Hoss vor das
Fenster genagelt hatte.

Seufzend hängte sein Herr eine alte Satteldecke vor die

Öffnung. Oben befestigte er sie sorgfältig, ließ sie aber locker
herabhängen. Nun mochte Rimrock herein- und
hinausspringen, sooft er wollte.

„Alles hier richtet sich nur nach dir!“ knurrte Hoss böse.
Einen neuen Höhepunkt erreichte Rimrocks Geselligkeit an

dem Tag, als er mit Hoss ausritt, um die Sachen heimzuholen,
die Hoss damals nach Gingers Tod im hohlen Baum verstaut
hatte. Inzwischen war der Schnee fast vollkommen
geschmolzen, die Sonne schien warm, und der Tag verlockte
zu einem fröhlichen Spazierritt. Genau das dachte offenbar
auch Rimrock.

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Hoss holte das Geschirr aus dem Versteck, tauschte die Sättel

aus, band den alten hinter sich auf und das Schaffell dazu.
Lange ritt er dann am Rande der Ebene dahin, während
Rimrock sich zwischen Büschen und Felsen hielt. Als echter
Berglöwe setzte er sich bei Tage nicht gern den Gefahren der
deckungslosen Ebene aus.

Als Hoss einige Zeit später den Pfad entlangritt, der durch die

Berge führte, folgte der Puma dicht hinter ihm. Noch näher
drängte er sich, als Hoss zwischen Felsgeröll besonders
vorsichtig und langsam reiten mußte. Und plötzlich sprang
Rimrock hinten auf das aufgeschnallte Sattelzeug.

„Hallo!“ Hoss erschrak, denn er war sicher, daß Paiute sofort

steigen würde.

Aber Paiute trottete weiter, als sei überhaupt nichts

geschehen.

„Ich werd’ verrückt!“ murmelte Hoss verdutzt.
Kurze Zeit später sprang Rimrock wieder ab.
„Bleib ja unten!“ ermahnte ihn sein Herr. „Einmal ist es noch

gutgegangen, aber… Hallo!“

Rimrock schwebte durch die Luft heran, landete sicher auf

dem Schaffell, blieb hocken – und machte ein verschmitztes
Gesicht, als sei er mit sich selbst höchst zufrieden.

Hoss war außer sich.
„Paß doch auf!“ rief er besorgt. Wenn Rimrock aus Versehen

das Pferd mit seinen Klauen verletzte… „Und nimm deinen
dicken Schwanz von Paiutes Flanke!“

Auf dem ganzen Heimweg wiederholte Rimrock unablässig

das herrliche neue Spiel. Geschickt und gewandt, wie
Raubkatzen nun einmal sind, landete er stets sicher auf dem
Schaffell. Aber Hoss zitterte bei dem bloßen Gedanken daran,
daß der Puma schließlich auch einmal schlecht abkommen
konnte.

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Am meisten peinigte ihn die Vorstellung, daß Rimrock das

feine Spiel von nun an auch dann versuchen würde, wenn
Paiute nicht durch ein aufgeschnalltes Schaffell geschützt war.

Hoss sah sich schon mit dem Kopf auf einem Felsbrocken am

Wege landen, während Paiute, außer sich, auf
Nimmerwiedersehen davonstürmte.

Dem wollte er vorbeugen. Am nächsten Tage fertigte er ein

dickes Kissen aus alten Decken und mehreren Fellen. Die Felle
wurden naß gemacht und so geformt, daß sie genau auf Paiutes
Rücken paßten, dann nähte Hoss oben und, unten Decken
darüber. Sobald die Felle getrocknet waren, würden Rimrocks
Krallen nicht mehr durchdringen können. Zum Schluß wurde
das Kunstwerk mit Riemen fest verschnürt, so daß man es
hinter den Sattel schnallen konnte.

Mit lebhaftem Interesse schaute Rimrock zu, wie die Arbeit

an dem eigens für ihn zugeschnittenen Sattel fortschritt.
Allerdings rannte er auch manchmal mit dem Material davon,
zerrte an den Riemen und Fellen, fauchte und knurrte gewaltig
– und auf einmal verhedderte er sich, stolperte und fiel
gefesselt zu Boden. Nun war er gefangen, und Hoss konnte
ihm ungehindert ein paar deftige Klapse geben.

Schnell lernte der Puma, daß es gefährlich war, das feine

Spiel zu treiben, solange das Polster Paiute nicht schützte. Die
zusätzliche Belastung machte dem braven Pferd gar nichts aus,
und mit dem neuen Bewohner des Berghofes hatte es sich seit
langem abgefunden. Bald kam es so weit, daß Paiute von selbst
stehenblieb, wenn sie den Puma auf einem Felsblock warten
sah, und geduldig ausharrte, bis Rimrock mit gekonntem Satz
hinten landete.

Hoss war nicht wenig stolz auf dieses neue Kunststück. Wie

ein Tatarenkhan fühlte er sich, wenn er zusammen mit dem
Löwen über Land ritt. Er hatte einmal gelesen, daß dies bei den
Steppenvölkern ein Zeichen höchster Würde gewesen sei. Und

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in seiner Kindheit hatte er im Zirkus einen Löwen auf dem
Rücken eines Ponys reiten sehen.

Allerdings war das wohl kein Puma gewesen. Noch nie war

es jemandem gelungen, einen Puma so großartig zu dressieren!
Ein Jammer, daß Hoss seine Kunststücke niemandem
vorführen und nicht damit angeben durfte!

Jawohl, Rimrock war ein ausgezeichneter Reiter, aber als

Jäger ließ er sich noch immer im Höchstfall mit Kaninchen
ein. Hoss hatte alle Hände voll zu tun, um immer genug zu
schießen, damit sein Schützling zu fressen bekam.

Jeden Abend, wenn er einen Tag auf dem Kalender

durchstrich, meldete sich Hoss’ schlechtes Gewissen. Die Zeit
raste dahin. Und anstatt sich von Rimrock zu trennen, duldete
er es, daß das Tier immer anhänglicher wurde.

Und Rimrock wuchs und wuchs…
Vor vielen Jahren hatte irgendwo drüben im Wald ein alter

Einsiedler namens Plato gehaust, der allerlei Getier aufgezogen
hatte. Vögel und Vierbeiner waren es gewesen, darunter auch
ein Löwenjunges. Und wie Rimrock hatte der Löwe sich nie
gezeigt, wenn Fremde kamen.

Die Cowboys waren Platos Hütte des Löwen wegen am

liebsten ferngeblieben, aber der eine oder andere war doch
regelmäßig zu dem Alten geritten, um ihm Verpflegung zu
bringen und nach dem Rechten zu sehen.

Eines Tages hatte Sam Hargis’ Vater den alten Plato tot

aufgefunden. Er war buchstäblich zerfetzt worden. Natürlich
hatte der Verdacht sich sofort gegen den Löwen gerichtet, alle
Bewohner der Umgegend waren zur Löwenjagd aufgebrochen,
und man hatte sogar drei Berufsjäger mit Hundemeuten
engagiert.

Schon am zweiten Tag hatten alle außer den Berufsjägern die

Suche aufgegeben. Diese erlegten in den Bergen drei oder vier
große Tiere und mehrere Junge. Dann waren auch sie

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davongezogen, und die ganze Geschichte geriet in
Vergessenheit.

Hoss mußte jetzt daran denken, als er in seiner Hütte saß und

Rimrock anstarrte.

Ohne Zweifel war Rimrock eine ganz große Ausnahme unter

allen Raubtieren; er hatte sich gern zähmen lassen und war
ausgesprochen gutmütig. Trotzdem blieb die Tatsache
bestehen, daß ein ausgewachsener Berglöwe zu den wildesten
und unberechenbarsten Bestien der Welt gehört. Der liebe Gott
hatte sie nun einmal nicht zahm geschaffen!

Die Zeitspanne, in der Hoss sich von Rimrock lösen wollte,

verstrich, und plötzlich war der Tag da, an dem Hoss
kopfschüttelnd feststellte, daß er morgen das vorletzte Kreuz
machen würde. Zwei Tage blieben ihm noch!

Es war sinnlos, sie hier abzusitzen! Am besten ritt er morgen

früh heim nach Ponderosa. Blödsinn war es gewesen, drei
Wochen länger als nötig hier oben mit Rimrock auszuharren!
Inzwischen liebte er den Puma inniger denn je!

Den entscheidenden Fehler hatte er an jenem Tage begangen,

als er gezaudert hatte, das Pumajunge vom Baum
herunterzuschießen!

Am nächsten Tag verrammelte Hoss die Hütte, und er nagelte

die Tischplatte vor das Fenster, so daß Rimrock auf keinen Fall
hineingelangen konnte. Dann ritt er davon, wobei es ihm nichts
ausmachte, daß der Puma hinter ihm aufs Pferd sprang.
Mochte er sich auf seinem letzten Ritt noch vergnügen! Am
Fuße des Berglandes aber sprang Rimrock ab und hielt sich
zwischen den Bäumen, während Hoss auf die weite Ebene ritt,
wo er das Kissen abknotete und es fortwarf.

„Wir sind geschiedene Leute!“ schrie er. „Lauf dahin, wohin

du gehörst, und laß dich nicht mehr blicken!“

Damit galoppierte er über die Ebene davon. Rimrock folgte

ihm bis hart an den Rand des Waldes, wagte sich sogar ein

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paar Meter aus der Deckung hervor, schauderte aber vor der
endlos weiten Ebene doch zurück. So begab er sich schnell
wieder in den Schutz der Bäume. Vergeblich suchte er einen
Weg, der ihn in Hoss’ Nähe bringen würde, ohne daß er über
die nackte Ebene laufen müßte.

Aber einen solchen Weg gab es nicht, und der Reiter

entfernte sich immer mehr, wurde kleiner und kleiner…

Ein elender Abschied! dachte Hoss. Aber was sonst hätte er

tun sollen? Vielleicht waren die acht Kilometer baumloser
Ebene die einzige Schranke, die ihn von Rimrock trennen
konnte. Falls der Puma sich bei Nacht übers Flachland wagte,
würde er sehr bald den merkwürdigsten Dingen begegnen:
weidenden Herden, fremden Pferden, Straßen, Wagen,
unbekannten Witterungen und Geräuschen – allerlei
betriebsamen Dingen, vor denen er sehr schnell in seine
geliebten Berge entweichen würde.

Aller Wahrscheinlichkeit nach aber würde Rimrock sich erst

gar nicht auf die Ebene trauen, nicht einmal bei Nacht!
Vielmehr würde er zur Hütte zurücklaufen und dort bleiben,
bis sogar ihm die Erkenntnis dämmerte, daß er ein wildes Tier
war, daß niemand mehr für ihn sorgte und ihm die Kaninchen
abhäutete.

Sogar zahme Hauskatzen wurden doch oft innerhalb

erstaunlich kurzer Zeit wieder zu wilden Tieren. Sobald
Rimrock einmal eine Woche lang für sich selbst gesorgt hatte,
würde er vermutlich sehr schnell vergessen, daß er jemals
Gefährte eines Menschen gewesen war!

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Ponderosa



Herrlich war es, wieder zu Hause zu sein. Die festgefügten
Ställe und Pferche und das große, solide Ranchhaus standen in
wohltuendem Gegensatz zu der winzigen Hütte, in der Hoss
fast den ganzen Winter hatte verbringen müssen.

Ben Cartwright, der stämmige, grauhaarige Mann, dem man

ansah, mit wieviel Kraft und Zuversicht er sein Leben zu
meistern suchte, hieß den Sohn herzlich willkommen. Dann
wollte er natürlich genau wissen, wie es der Herde draußen in
den Bergen ging.

„Ich will nicht behaupten, daß die Tiere sehr fett geworden

wären, während sie sich kümmerliches Gras unter dem Schnee
hervorkratzen mußten“, sagte Hoss lachend. „Aber sie sind
jedenfalls ganz prächtig durchgekommen!“

Es war alles andere als ungewöhnlich, daß in Ponderosa auch

Gäste übernachteten. Einen der Männer, die heute dablieben,
kannte Hoss: Mel Stark, Angestellter eines Mietstalls in
Virginia City – ein junger Bursche, der sich gern nach der
letzten Mode kleidete und sich seiner Schönheit offenbar
bewußt war.

Heute hatte er einen Viehhändler im Einspänner von Ranch

zu Ranch gefahren. Der Händler hieß J. T. Orton und war ein
ansehnlicher Herr mittleren Alters mit Melone und einer
dicken goldenen Uhrkette über der eleganten, gestickten
Weste.

Die Unterhaltung zwischen dem Vater und Orton beim

Abendbrot brachte sehr schnell zutage, daß Orton etwas von
seinem Beruf als Viehhändler verstand. Er hatte sein Büro in

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Omaha, bereiste fast den ganzen Westen und wußte mancherlei
Interessantes zu erzählen.

Hoss merkte, daß sein Bruder Joe das Gesicht zu einem

Grinsen verzog, als Orton das Gespräch auf Pumas brachte.
Gewiß war dieses Thema Hoss im Augenblick nicht sehr
angenehm, aber Orton hatte vor wenigen Tagen mit Sam
Hargis gesprochen und ließ sich nicht ablenken.

„Man hat mir erzählt“, berichtete er, „daß die Wildkatzen

nachts auf einen Baum klettern, dort auf der Lauer liegen und
den Reiter anspringen, bevor der überhaupt weiß, was
geschieht!“ sagte er.

„Haben Sie das von Hargis?“ fragte der Vater lachend.
„Aber nein!“ wehrte der Händler ab. „Der beklagte sich nur

darüber, daß er schon mehrere Kälber eingebüßt hat. Nein, was
ich eben sagte, habe ich in Kentucky erfahren. Dort nennt man
diese Berglöwen Panther!“

Der Vater nickte. „Panther, Kuguars… Richtig aber heißen

sie Pumas. Wir hierzulande nennen sie Berglöwen!“

„Und sie fallen Reiter von den Bäumen herab an?“ fragte

Orton gespannt.

„Davon habe ich noch nie etwas gehört“, versicherte Vater

Cartwright, während er Joe zuzwinkerte, um ihn vor einer
vorwitzigen Bemerkung zu warnen. „Tatsächlich habe ich
überhaupt noch nie gehört, daß in unserer Gegend ein
Berglöwe Menschen angefallen hätte – es sei denn, daß er
verwundet war.“

„Wer – der Mensch oder der Löwe?“ warf Joe ein.
Orton lachte, aber es klang so gepreßt, daß man ihm

anmerkte, wieviel Angst er vor Raubtieren hatte.

„Und die Sache mit Plato?“ fragte Stark.
„Ja, das war ungewöhnlich!“ meinte der Vater. „Aber jedes

ausgewachsene wilde Tier, das man als Haustier bei sich
behielte, würde eine Gefahr darstellen.“

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Hoss wurde es allmählich ungemütlich. Immer wieder warf er

Joe verstohlene Blicke zu. Gar zu gern hätte er gewußt, ob sein
Bruder etwa doch ahnte, warum er länger droben im Lager
geblieben war.

„Manches habe ich von Plato natürlich gehört“, nahm Stark

den Faden wieder auf. „Als die Geschichte sich abspielte, war
ich gerade nicht hier. Aber in Tennessee, woher ich stamme,
war es keine Seltenheit, daß Panther unvermutet Menschen
anfielen.“

„Hier jedenfalls hat es so etwas noch nie gegeben“, erklärte

Hoss entschieden; er konnte einfach nicht länger schweigen.
„Im übrigen ist es wohl schon oft vorgekommen, daß man
Pumas und anderen Katzentieren Verbrechen in die Schuhe
geschoben hat, an denen sie vollkommen unschuldig waren.
Dabei bringt ein Bär es fertig, eine kleine Herde Rinder zu
reißen, und Wölfe treiben es womöglich noch schlimmer.“

Orton horchte auf. Ganz genau wollte er wissen, ob man hier

etwa damit rechnen müsse, auf Bären zu stoßen, und ob sie gar
Menschen angriffen.

„Bären sind gar nicht so gefährlich“, meinte Joe. „Sie lassen

gern mit sich ringen, und wenn man ihnen dabei etwa noch die
vierte Rippe krault…“

„Joe!“ Streng schaute der Vater seinen Jüngsten an, und dann

warf er Orton einen entschuldigenden Blick zu. „Der Bursche
hat manchmal einen etwas ungewöhnlichen Humor…“

Nun wandte sich die Unterhaltung anderen Dingen zu, und

Hoss atmete auf.

Der Vater eröffnete dem Viehhändler, daß er eine seiner

Rinderherden verkaufen wolle, und er schlug vor, am nächsten
Morgen zu zweit loszureiten, um sich die Tiere anzusehen.

„Morgen geht es leider nicht, Herr Cartwright“, erwiderte

Orton: „Ich bin nämlich mit Holcomb auf seiner Ranch
verabredet, anschließend muß ich noch auf zwei andere Höfe,

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und so werde ich vermutlich erst in drei Tagen wiederkommen.
Dann aber will ich mich gern wieder bei Ihnen melden!“

„Ausgezeichnet!“ Der Vater nickte. „Drei Tage lang habe ich

zusammen mit den Jungen noch genug Arbeit. Wir wollen
nämlich ein neues Förderband legen, so daß wir das Heu
bequem in die Scheune bringen können.“

„Donnerwetter!“ fuhr Hoss auf. „Wäre ich doch lieber

draußen im Berglager geblieben. Aber ich hatte gedacht, ich
könnte ein bißchen ausgehen und mich amüsieren…“

„Das kannst du auch noch, mein Junge!“ tröstete der Vater.

„Kommt es denn auf zwei oder drei Tage an? Ich zahle doch
eine Menge Miete, weil ich mein Heu in der Stadt lagern muß.
Deshalb möchte ich, daß unsere Scheune schnellstens in
Ordnung kommt.“

Joe verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
„Reg dich nur nicht auf, Hoss!“ meinte er. „Deine Freundin

hat inzwischen einen anderen geheiratet und ist schon vor
Monaten nach San Franzisko verzogen. Ich habe ihr nämlich
verraten, wie gut es dir oben in den Bergen gefällt, und ihr
gesagt, daß du dich entschlossen hast, den Rest deiner Tage in
vollkommener Einsamkeit zu verbringen.“

„Hätte ich geahnt, daß du ein so elender Witzbold geblieben

bist“, fauchte der große Bruder ihn an, „wäre ich gleich dort
oben geblieben!“

Orton lächelte über die Neckerei, aber er konnte die

Gedanken nicht lange vom Geschäft fernhalten.

„Falls Sie mir ein Pferd leihen, Herr Cartwright“, sagte er

zum Vater, „würde ich Stark nach Hause fahren lassen. Ich
glaube nämlich, mich hierzulande genügend auszukennen, um
auch allein zurechtzukommen.“

„Wir sind kein Mietstall und verleihen keine Pferde gegen

Geld“, sagte der Vater lachend. „Aber natürlich borge ich
Ihnen oder Ihrem Vormann gern ein Reittier. Vielleicht…“

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„Natürlich gebe ich es nicht gern zu“, meinte der Viehhändler

verlegen, „aber mit meinen Reitkünsten ist es nicht weit her.
Also müßten Sie schon ein ziemlich frommes Tier haben…“

Der Vater nickte.
„Ganz bestimmt finden wir eins, mit dem sie in Frieden

auskommen!“ versprach er dem Gast. „Gleich morgen früh
wird sich Joe darum kümmern. Meiner Meinung nach müßte
Geronimo genau das Richtige für Sie sein, Herr Orton.“

„Geronimo?“ fuhr der Händler erschrocken auf. „Der Name

klingt aber mächtig kriegerisch!“

Alle lachten.
„Er ist brav wie ein Baby!“ versicherte ihm Joe.
Aber Orton schien ihm nicht recht zu glauben. Fragend

blickte er den Vater an.

Der nickte beruhigend.
„Ich glaube bestimmt, daß Geronimo Ihnen gefallen wird!“
Später, während die anderen am Tisch saßen und heißen

Kaffee schlürften, vertiefte sich Boss in seine Geschichte über
Marco Polo. Begeistert las er von den Hunnenfürsten, die über
die Steppen brausten und einen Leoparden hinter sich auf dem
Sattel hocken hatten. Ach, es war doch eine Schande, dachte er
dabei immer wieder, daß ihm nie im Leben jemand glauben
würde, wenn er berichtete, daß er draußen in den Bergen genau
dasselbe mit einem Puma getan hatte!

Und noch andere Erlebnisse mit Rimrock würde man ihm

bestimmt nicht glauben. Schuldbewußt starrte er vor sich hin.
Er glaubte zu hören, wie der brave Berglöwe schnurrend um
die Hütte strich und darauf wartete, daß Hoss endlich, endlich
heimkehrte.

„Mensch!“ ertönte, auf einmal Joes Stimme. „Du liest? Eine

Ewigkeit ist es her, seit ich dich zuletzt mit einem Buch vor
der Nase gesehen habe. Was liest du denn da so Spannendes?“

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Flink blätterte Hoss ein paar Seiten weiter. Auf gar keinen

Fall sollte der Bruder sehen, womit er sich soeben beschäftigt
hatte!

„Ich habe eben keine Lust, mein Leben lang ungebildet zu

bleiben – wie andere Leute!“ maulte er.

Noch eine ganze Weile stritten sie weiter. Als Orton seinen

Begleiter Stark entlohnte, erstarrte Joe plötzlich, und er pfiff
leise durch die Zähne. Mensch, was für ein dickes Bündel
Geldscheine hatte der Viehhändler soeben aus der Tasche
gezogen!

„Wie wäre es, Herr Orton“, wandte der Vater sich an den

Gast, „wenn ich das Geld heute nacht im Panzerschrank
aufbewahrte? Zwar ist Mord und Totschlag bei uns nicht
gerade an der Tagesordnung – aber hin und wieder passiert
doch einmal etwas.“

Orton lächelte.
„Danke sehr“, meinte er. „Ich gebe zu, daß ich zuweilen

etwas ängstlich bin. Aber noch nie habe ich befürchtet, man
könnte mich berauben! Komisch, nicht wahr?“

Als Hoss zehn Minuten später in die Küche ging, um einen

Schluck Wasser zu trinken, hörte er die Pferde draußen im
Pferch laut schnauben. Dann folgte ein dumpfes Poltern im
Stall, heftig schlugen die Hufe der Tiere gegen die Wände der
Boxen. Hoss bezwang seinen Wunsch, gleich hinauszulaufen,
und kehrte äußerlich ruhig ins Wohnzimmer zurück.

„Es hört sich an, als bekäme eins der Pferde einen Anfall!“

sagte er. „Ich sehe mal nach.“

Mit einem Ruck sprang Stark auf.
„Bestimmt ist mein Kutschpferd in der fremden Umgebung

nervös geworden“, meinte er.

Hinter Hoss rannte er ins Freie.
Zumindest eins der Pferde im Stall gab sich alle Mühe, seine

Box in Klumpen zu treten. Hoss begann zu laufen.

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Ihn peinigte ein Verdacht, den er sich selbst nicht eingestehen

wollte.

Stark hatte recht gehabt: es war sein Wagenpferd, das sich

wie verrückt gebärdete. Allerdings waren auch die anderen
Tiere ziemlich aufgeregt – alle außer Paiute.

Hoss zündete eine Laterne an und begann mit Starks Hilfe,

die stampfenden, schnaubenden Pferde zu beruhigen.

„Komisch!“ rief Stark plötzlich aus. „Ihr eigenes Pferd, auf

dem Sie heute geritten sind, scheint nicht im geringsten
beunruhigt zu sein!“

„Paiute?“ Hoss lachte. „Na, da müßte schon mindestens ein

Wolf kommen, ehe die sich aufregt!“

„Eben das meine ich aber! Die anderen benehmen sich genau

so, als witterten sie einen Bären.“

Damit ging er auf den Hof hinaus. Wenige Augenblicke

später hörte Hoss ihn einen Schrei ausstoßen.

Hastig rannte auch er aus dem Stall. Er fand Stark an der

Rückseite des Gebäudes.

„Ich habe einen Berglöwen gesehen, Hoss!“ flüsterte er.
„Blödsinn!“ stieß Hoss hervor. „Das ist unmöglich.“
„Ich kann es beschwören!“ beteuerte Stark. „Dort drüben war

er, direkt hinter dem Zaun. Er ist zu den Bäumen da gelaufen!“

„Es muß ein Luchs auf der Mäusejagd gewesen sein!“
„Auf keinen Fall!“ wehrte der Fremde ab. „Dafür war das

Tier viel zu groß.“

„Was gibt es denn?“ ertönte von der Haustür her die Stimme

des Vaters.

„Nichts!“ rief Hoss. „Irgendein Tier muß über den Hof

geschlichen sein.“

„Jedenfalls kein kleines Haustier!“ beharrte Stark. „Es war

auffallend groß, Hoss!“

„Drei Meter lang, wie?“ feixte der junge Mann.

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„Nein, so groß nun auch wieder nicht. Aber es sah aus wie

ein Puma, und…“

„Es war ein Luchs, Stark!“ sagte Hoss nachdrücklich. „Oder

ein Kater, eine ganz gewöhnliche männliche Hauskatze!“

„Hm, aber…“
„Haben Sie das Tier denn genau gesehen?“
„Nein“, gestand Stark. „Nur ganz kurz habe ich etwas

vorbeihuschen sehen, aber…“

„Haben Sie je erlebt, daß ein Berglöwe bis hierher

vorgedrungen wäre?“

„Das wäre ungewöhnlich, muß ich zugeben!“
Hoss nickte entschieden.
„Das kann man wohl sagen“, bekräftigte er. Und Stark senkte

betreten den Kopf.

„Es muß tatsächlich ein Luchs gewesen sein.“
Hoss glaubte, seinen Gast überzeugt zu haben. Plötzlich griff

der nach der Laterne in Hoss’ Händen.

„Kommen Sie, wir sehen uns die Spur an!“
Hastig riß Hoss die Lampe an sich.
„Was soll der Blödsinn?“ knurrte er. „Die Familie nebenan

hat im vorigen Jahr angefangen, Hühner zu züchten, und
seitdem kommen immer wieder Luchse, um zu sehen, ob sie
nicht mal ein saftiges Küken erwischen können.“

„Ach so!“ Stark nickte ergeben. „Ja, ich weiß, daß Luchse

eine Vorliebe für Geflügel haben.“ Während er Hoss zum
Stalleingang folgte, lachte er plötzlich auf. „Mensch, würde
Orton einen Schrecken bekommen, wenn wir jetzt drinnen
einfach behaupteten, wir hätten einen Puma gesehen!“

Die Pferde hatten sich beruhigt. Hoss blies die Laterne aus

und hängte sie an die Stallwand. Rimrock! flehte er im stillen.
Mach, daß du fortkommst! Scher dich in deine Berge zurück!

Ruhig traten die beiden wieder ins Wohnzimmer.

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„Es war nur ein Luchs, der auf Hühnerjagd ging“, meinte

Stark.

„Wie groß werden Luchse?“ fragte Orton schnell.
Der Vater mußte ein Lächeln unterdrücken, und Joe spitzte

schon die Lippen, um wieder einmal eine seiner
Räuberpistolen zum besten zu geben. Aber der Vater kam ihm
zuvor.

„Sie sind wirklich nicht groß, Herr Orton“, tröstete er. „Vor

denen braucht man bestimmt keine Angst zu haben.“

Für einen Mann, der den ganzen Westen bereist hatte,

verstand Orton erstaunlich wenig von wilden Tieren! Verdutzt
starrte Hoss ihn an und schüttelte verstohlen den Kopf.

Während der ersten Nacht daheim fand Hoss keinen

geruhsamen Schlaf. Nach der langen Zeit, die er auf dem
Berghof verbracht hatte, kam ihm nun sein Bett viel zu weich
und die Luft im Haus viel zu stickig vor. So stand er auf,
öffnete das Fenster, blieb dort eine Weile stehen und schaute
über das Dach der Veranda hinweg auf die dunklen Umrisse
der Gebäude, die den Hof begrenzten.

Dieser vertrackte Rimrock… Da war er doch tatsächlich quer

durch die weite Ebene gelaufen. Sicherlich hatte er sich bei
Sonnenuntergang oder kurz danach auf den Weg gemacht.
Offenbar hatte Hoss sich getäuscht, als er annahm, die
baumlose Ebene würde den Berglöwen schrecken.

Nur eines konnte Hoss nun noch tun. Bisher war ihm das

nicht eingefallen, und jetzt griff er diesen Gedanken nur
widerwillig auf: er konnte Rimrock an einen Zoo oder Zirkus
verkaufen!

Vor seinem geistigen Auge sah er all die vielen

halbverhungerten Tiere, die er im Zirkus in Virginia City
schon mehrmals besichtigt hatte. Sie waren in winzige,
schmutzige Käfige gesperrt und wurden Hunderte von
Kilometern weit durch Staub und Hitze gekarrt. Aber

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immerhin – dort wäre Rimrocks Leben nicht mehr gefährdet;
zumindest würde er eine ganze Weile länger leben als hier in
der sogenannten Freiheit, wo tausend Gefahren ihn umgaben.
Aber zu was für einem Leben würde er gezwungen sein?

Der bloße Gedanke daran ließ Hoss erschauern.
Ehe er Rimrock so etwas antat, würde er ihn lieber

erschießen! Und doch wollte er dies nur im alleräußersten
Notfall tun. Vielleicht hatte Rimrock inzwischen genug von
aller Zivilisation? Vielleicht rannte er in diesem Augenblick
schon in gestrecktem Galopp in seine Berge zurück?

Hoss versuchte, sich selbst einzureden, daß Stark vorhin

wirklich einen Luchs erspäht hätte.

Aber er wußte genau, daß es kein Luchs gewesen war.

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Besuch bei Nacht



Lange bevor Hop Sing, der chinesische Koch der Ranch
Ponderosa, in der Küche mit den Vorbereitungen zum
Frühstück begann, schlich Hoss bereits hinter den Stallungen
durchs Gelände und verwischte mit seinen großen Stiefeln die
Spuren eines Berglöwen. In unmittelbarer Nähe der Gebäude
fand er glücklicherweise nicht sehr viele, und zwischen den
nahen Bäumen lag eine dicke Schicht dürren Laubes, so daß er
dort überhaupt keine entdecken konnte.

Nach dem Frühstück beobachtete er, wie Stark sich in

derselben Gegend zu schaffen machte.

„Sie werden nichts finden!“ rief er ihm zu. „Ganz bestimmt

war es ein Luchs! Ich habe vorhin ein paar Spuren entdeckt!“

„Ich hingegen kann überhaupt keine Spuren finden – außer

Ihren!“ war die knurrige Antwort.

„Dann habe ich sie wohl versehentlich verwischt!“
Joe kam auf den Hof, am Zügel führte er Geronimo, das

bravste Pferd der Ranch.

„Habe ich Ihnen nicht schon erzählt“, feixte er, „wie Hoss

einmal die Spuren von mehr als fünfzig Bullen zertrampelt hat,
nur indem er hinter ihnen herging? Ha, ich kann Ihnen sagen:
seine Schuhgröße ist ungewöhnlich und bemerkenswert!“

„Soll ich dir wohl mal zeigen, was ich mit nur einem Fuß

fertigbringe?“ schrie Hoss empört, und Joe suchte lachend
hinter Geronimo Schutz.

Eine Rolle Decken unter dem Arm, kam Orton aus dem

Haus, vom Vater begleitet.

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„So, nun bin ich abmarschbereit“, meinte er mit säuerlicher

Miene, während er auf Geronimo starrte. „Das also ist der
Gaul?“

„Er wird Ihnen bestimmt keine Schwierigkeiten machen,

Herr Orton“, versicherte ihm Vater Cartwright.

Aber der Viehhändler schien ihm das nicht ohne weiteres

abzunehmen. Zweimal umrundete er das fromme Tier und
suchte nach irgendeinem Zeichen von Boshaftigkeit und
Verstocktheit. Inzwischen schnallte der Vater ungerührt die
Deckenrolle hinten auf den Sattel.

„Sie brauchen sich gar keine Sorge zu machen!“ tröstete er

im Brustton der Überzeugung. „Jedes Kind könnte Geronimo
reiten!“

„Das ist es ja eben!“ stöhnte der Viehhändler. „Ich bin kein

Kind!“

Joe lachte auf – und handelte sich einen strengen Blick des

Vaters ein.

Schließlich gelang es Orton, so viel Mut zusammenzuraffen,

daß er in den Sattel kletterte. Nichts geschah, nur ein müder
Seufzer entrang sich Geronimos Brust. Der Reiter blickte zu
Boden.

„Der ist aber ziemlich hoch!“ brummte er.
„Seine Beine sind lang“, gab der Vater zu. „Deshalb kommt

er auch gut vorwärts!“

„Dafür brauche ich ihn schließlich auch.“ Der Händler nickte.

„Er soll vorankommen.“

„Dann lassen Sie den Zügel locker!“ riet ihm Joe. „Auch

wenn Sie die Leine einfach loslassen, trottet er ganz gemütlich
weiter.“

Bedächtig ritt Orton vom Hof.
„In drei oder vier Tagen bin ich wieder da, Herr Cartwright“,

rief er über die Schulter zurück.

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Vater und Söhne schauten ihm nach, bis er hinter den

Stallungen ihren Blicken entschwand. Hoss und Joe sahen sich
an, schüttelten die Köpfe und grinsten.

Kurz darauf fuhr Stark mit dem Einspänner vom Hof, in die

Stadt zurück.

„Nun habt ihr euren Spaß gehabt, Jungens“, erklärte der

Vater. „Aber laßt euch etwas gesagt sein: Orton ist keineswegs
der Schlappschwanz, als der er zuweilen auftritt! Gewiß ist er
kein wüster Cowboy, aber auch nicht so ein Greenhorn, wie er
es uns eben vorgespielt hat.“

„Weshalb stellt er sich dann so an?“ wollte Joe wissen.
„Weil er meint, die Rancher würden ihm deshalb keine

großen Kenntnisse als Viehhändler zutrauen“, sagte der Vater
lachend. „So mancher hat schon geglaubt, einen harmlosen
Anfänger vor sich zu haben – bis er plötzlich feststellen mußte,
daß er für seine Rinder pro Kopf zwei Dollar weniger
bekommen hatte, als er hätte erlösen können!“

Joe grinste.
„Na, ich habe ihn jedenfalls gleich durchschaut.“
Der Vater zog sich die Handschuhe an.
„So, und nun wieder an die Arbeit!“ kommandierte er.
Bis es dunkel wurde, schufteten sie in der riesigen Scheune.

Sie bauten ein Gerüst, das einen großen Aufzug tragen sollte,
mit dem man das Heu hoch aufstapeln konnte.

Beim Zubettgehen mußte Hoss sich eingestehen, daß er oben

auf dem Berghof nicht viel getan hatte, um sich körperlich gut
in Form zu halten. Er wußte, daß er am folgenden Morgen
einen Muskelkater haben würde; aber er wußte auch, daß die
reichliche Arbeit hier in Ponderosa ihn schnell wieder gelenkig
machen würde.

Wie ein Stein schlief er, rührte und regte sich fast während

der ganzen Nacht nicht. Morgens beim Frühstück spitzte er

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unruhig die Ohren. Aber niemand erwähnte, daß es etwa
irgendwelche Unruhe auf der Pferdekoppel gegeben habe.

Hoss glaubte deshalb hoffen zu dürfen, daß Rimrock die

Nase voll habe und aus der Zivilisation schleunigst in seine
Bergeinsamkeit geflohen sei.

Sicherlich war er in diesem Augenblick schon wieder oben

im Lager und benahm sich wie ein richtiger Berglöwe!

Tatsächlich taten Hoss die Muskeln und Gelenke nach der

schweren Arbeit des gestrigen Tages weh, aber die Arbeit
wartete nicht, und am Abend war er zum Umfallen müde.
Wieder schlief er wie ein Stein, und er träumte, er läge in
seinem Bett oben in der Hütte, und Rimrock käme herein, um
ihn zu wecken.

Seufzend räkelte er sich und wälzte sich auf die andere Seite.
Aber es war kein Traum. Irgend etwas Schweres lag

tatsächlich auf ihm! Plötzlich war Hoss hellwach.

„Du?“
Zur Antwort schnurrte es freundlich. Und dann strich eine

rauhe Zunge dem jungen Mann über die Backe.

So ungestüm sprang Hoss aus dem Bett, daß er gegen einen

Stuhl trat, der durchs halbe Zimmer flog. Natürlich polterte es
beängstigend laut – und außerdem schmerzte Hoss die linke
große Zehe ganz fürchterlich. Stöhnend ließ er sich aufs Bett
sinken und hielt sich den Fuß.

Mitleidig schmiegte sich Rimrock an seine Beine.
Nachdem Hoss sich davon überzeugt hatte, daß die Zehe

nicht gebrochen war und daß trotz des Lärms nicht das ganze
Haus zusammenlief, packte er den Puma und schleppte ihn
zum Fenster.

„Scher dich zurück, woher du gekommen bist!“ herrschte er

ihn an. „Los, übers Dach und den Baum hinunter!“

Dann aber drängte er das Tier doch nicht übers Fensterbrett.

Plötzlich sah er ein, daß dadurch nichts zu retten war. Wenn er

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Rimrock hinauswarf und dann das Fenster hinter ihm schloß,
würde der Puma vermutlich auf dem Verandadach sitzen
bleiben und die ganze Nacht über am Fenster kratzen und
pochen.

Nein, am besten war es wohl, das Tier jetzt dazubehalten.

Beim ersten Morgengrauen würde es sich sowieso
davonmachen.

Damit wäre das Problem zwar nicht gelöst, aber zumindest

gewann Hoss ein wenig Zeit zum Überlegen. Vielleicht fand er
doch einen Ausweg! Gewiß mußte er sich eingestehen, daß er
nun seit Monaten versuchte, „Zeit zu gewinnen“, und daß ihm
dennoch nichts eingefallen war. Nach wie vor befand er sich in
der gleichen elenden Zwickmühle.

„Soll ich dich vielleicht in einen Zoo einliefern?“ flüsterte er,

und dabei betastete er Rimrocks Magen. „Na, viel gegessen
hast du offenbar nicht in letzter Zeit!“ Er ließ ihn los.
„Jedenfalls paß auf, daß du hier kein Unheil stiftest, und mach
vor allem keinen Lärm.“

Hoss öffnete die Tür. Noch nie war ihm aufgefallen, daß sie

quietschte. Bewegungslos blieb er in der Diele stehen und
lauschte angestrengt. Kein Laut kam aus Joes Zimmer, das
dem seinen unmittelbar gegenüberlag.

Jedes Brett des Fußbodens und jede Treppenstufe knarrte, so

kam es Hoss vor, während er sich so leicht wie möglich
machte und barfuß hinunterstieg. Beim Durchqueren des
Eßzimmers stieß er mit der verstauchten Zehe gegen ein
Tischbein und konnte nur mit aller Gewalt einen
Schmerzensschrei unterdrücken. Durch die Küche gelangte er
in Hop Sings Eiskeller.

Auf der Hackbank lag ein gewaltiges Stück Fleisch. Hoss

wollte sich nicht erst lange beim Anschneiden aufhalten,
deshalb nahm er das ganze große Stück und machte sich auf
den Rückweg in sein Zimmer.

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Joe war von einem Rutschen und Poltern im Zimmer des

Bruders halb erwacht. Sogleich aber schlief er wieder fest ein –
bis er den Bruder über den Flur und die Treppe
hinunterschleichen hörte. Aber auch dabei dachte er sich nichts
weiter. Wer wie Hoss monatelang in einer einsamen, dürftigen
Hütte gehaust hatte, der hielt es nicht gleich eine ganze Nacht
über zwischen vier festen Wänden aus, sondern mußte
zwischendurch frische Luft schnappen gehen!

Vielleicht wollte Hoss auch nur ein Glas Wasser trinken.

Oder es mochte sein, daß er draußen etwas gehört hatte, daß
der Luchs wieder die Pferde erschreckte. Joe drehte sich
gähnend auf die andere Seite, als er plötzlich, gar nicht weit
entfernt, irgendwo im Obergeschoß des Hauses, ein Kratzen
hörte!

Ob das Orton war? Aber nein. Im Haus waren ja keine

Fremden mehr. Das Geräusch hörte nicht auf – aber Joe war zu
verschlafen, als daß er sich darüber aufgeregt hätte. Wieder
wollte er einschlafen, da hörte er Hoss die Treppe
heraufkommen.

Noch immer im Halbschlaf, stand Joe auf und öffnete seine

Tür. Da sah er den großen Bruder den Flur entlangkommen.

„Was ist denn los?“ brummte er.
Hoss zuckte zusammen. Er blieb stehen und verbarg beide

Hände auf dem Rücken.

„Nichts!“ flüsterte er. „Gar nichts ist los. Leg dich nur wieder

ins Bett.“

„Was hast du denn da?“
„Nur einen kleinen Imbiß!“
„Ach so!“
Schon wollte Joe seine Zimmertür hinter sich zuziehen. Müde

lehnte er am Türrahmen, wandte sich langsam ab,

um ins Bett

zurückzutaumeln – da fiel ihm etwas auf: Hoss, der nun weiter
zu seinem Zimmer schlurfte, hatte einen ziemlich

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umfangreichen „Imbiß“ bei sich: sicherlich fünfzehn Pfund
schwer mochte das Stück Fleisch sein. Mensch, der Bruder
hatte wirklich einen gesegneten Appetit!

Joe wankte zum Bett zurück und ließ sich hineinsinken.

Gerade als ihm die Augen wieder zufallen wollten, fuhr er
plötzlich auf. Nun war er hellwach!

Das Fleisch war doch roh gewesen!
Joe hielt es nicht mehr im Bett aus. Er stand wieder auf,

verließ sein Zimmer, huschte über den Flur und öffnete Hoss’
Tür. Der Bruder saß im Nachthemd auf dem Bett, zu seinen
Füßen aber hockte etwas, das wie ein riesiger Hund aussah,
und tat sich an dem großen Stück Fleisch gütlich.

„W-w-was…“ stotterte Joe.
„Rimrock!“ stellte Hoss sein Schoßtier vor. „Ich gebe ihm

gerade zu fressen. Er hat nämlich…“

„Komische Zeit, einen Hund zu füttern!“ murrte Joe, machte

die Tür wieder zu und kehrte in sein Zimmer zurück. Plötzlich
aber blieb er wie angewurzelt stehen und überlegte.

Für einen Hund hatte das Tier aber doch ungewöhnlich

ausgesehen!

Er fuhr herum und stürmte zu Hoss ins Zimmer.
„Das ist ja gar kein Hund!“ keuchte er. „Das ist ja ein – ein –

ach, du meine Güte!“

Eilig verkroch sich Rimrock unter das Bett.
„… ein Berglöwe!“ brachte Joe verzweifelt hervor.
„Sei doch still!“ flehte der Bruder ihn an. „Weck den Vater

nicht auf! Ich erkläre dir alles!“

Joe ging ums Fußende des Bettes herum. Plötzlich war ihm,

als habe er noch immer ein wenig geträumt, als er den Mut
aufbrachte, ins Zimmer des Bruders zurückzukehren.

„Was machst du bloß mit einem lebendigen Löwen?“ fragte

er.

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„Pst!“ zischte Hoss. „Willst du den Vater mit Gewalt wach

machen?“

In diesem Augenblick kroch Rimrock, durch die

Anwesenheit eines zweiten, fremden Menschen verängstigt,
unter dem Bett hervor und – huschte in wenigen
geschmeidigen Sätzen durch die Tür auf die Diele hinaus.

„Das hast du fein gemacht!“ stöhnte Hoss, indem er den

Bruder vorwurfsvoll anschaute.

Deutlich hörten sie, wie Rimrock die Treppe hinunterlief.
„Vater darf nichts merken!“ ächzte Hoss verzweifelt.
„Nichts erfahren?“ wimmerte Joe. „In wenigen Minuten wird

der Löwe ihn gefressen haben!“

„Rimrock tut keinem etwas zuleide!“ versicherte Hoss. „Er

ist völlig zahm.“ Fest packte er den Bruder beim Arm. „Du
mußt mir helfen, ihn aus dem Haus zu schaffen!“

„Dafür wäre ich auch!“ gab Joe zu. „Aber…“
„Er tut dir bestimmt nichts. Komm!“
Mit wehendem Nachthemd lief Hoss aus dem Zimmer.
„Zerr mich doch nicht so!“ beklagte sich Joe. „Ich komme ja

freiwillig mit – obwohl ich nicht weiß, weshalb ich es tue!“

Dicht hintereinander erreichten die Brüder das dunkle

Wohnzimmer. Nichts regte sich, und Rimrock war nicht zu
sehen.

„Mach du die Vordertür auf!“ befahl Hoss. „Ich gehe

inzwischen zu Vaters Zimmer.“

Er suchte tastend den Weg, und Joe schlich gehorsam zur

Vordertür. Aber er stolperte über einen Stuhl und stöhnte
vernehmlich. Hoss erstarrte. In Ben Cartwrights Zimmer hatte
sich etwas geregt: der Vater sprang aus dem Bett.

„Mach die Tür doch endlich auf!“ fauchte Hoss den Bruder

an.

„Sie ist auf!“ kam wenige Augenblicke später die leise

Antwort.

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„Ist er draußen?“
„Ich weiß nicht, ob er hinausgelaufen oder ob ein anderer

hereingekommen ist!“ sagte Joe. „Ach, Hoss, du elender…“

„Was ist denn los?“ brüllte der Vater aus seinem Zimmer.
„Nichts!“ rief Hoss so unbefangen wie möglich. Dann wandte

er sich wieder Joe zu. „Wo ist er?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete der kläglich. „Gerade deshalb

bin ich ja so beunruhigt!“

Fast im selben Augenblick begriffen sie, wo Rimrock sich

befand: in der Küche polterte und klapperte es laut. Teller
klirrten zu Boden. Dann blitzte ein Licht auf, und der Koch
stieß mit kreischender Stimme chinesische Laute aus.

Noch ein gewaltiges Klirren und Krachen – und Hoss wußte,

daß Rimrock den Weg durchs Fenster gewählt hatte.

Mit wirrem Haar, den Revolver in der einen, eine Lampe in

der anderen Hand, stürmte der Vater kurz hinter seinen Söhnen
in die Küche. Ein wüstes Durcheinander bot sich ihren Augen.
Hop Sing hüpfte durch den Raum und schwang ein blitzendes
Fleischermesser, während seine andere Hand die Lampe
umklammerte.

„Es war der Luchs“, meinte Hoss ruhig. „Wie ist er nur

hereingekommen?“ Dabei gab er Joe einen warnenden
Rippenstoß.

Plötzlich konnte Hop Sing wieder englisch sprechen.
„Löwe!“ keuchte er. „Sehl gloße Löwe!“
„Ausgeschlossen!“ Hoss winkte entschieden ab.
Der Vater trat mit dem nackten Fuß auf die Scherbe eines

Tellers und verzog schmerzvoll das Gesicht.

„Was ist denn nun eigentlich los?“ grollte er.
„Ich kann mir nur vorstellen, Vater, daß der Luchs, den Stark

gestern abend gesehen hat, eingedrungen ist“, meinte Hoss.
„Jemand muß die Vordertür offengelassen haben, und da…“

„Löwe!“ jaulte Hop Sing.

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„Wie käme ein Löwe hier herein?“ wandte Hoss ein.
„Gloßel Löwe!“ beharrte der Chinese. „Ganz langel

Schwanz!“

Er breitete die Arme aus, um die Größe anzudeuten, und

dabei kam das Messer der Nase des Vaters bedenklich nahe.
Ben Cartwright packte den Koch beim Handgelenk und
entwaffnete ihn.

„Stell ja die Lampe weg“, herrschte er den Chinesen an, „ehe

du das ganze Haus in Brand setzt! Du hast also einen Löwen
gesehen?“

Hop Sing nickte entschieden und redete dann in flinkem

Chinesisch auf den Vater ein.

Der Vater blickte Joe grollend an.
„Und du hast einen Luchs gesehen?“ fragte er.
„Gehört habe ich ihn“, korrigierte Joe. „Gesehen hat ihn

Hoss!“

„Löwe!“ mischte Hop Sing sich wieder ein. „Liesig gloß!

Langel Schwanz!“

„Der Luchs ist dort durchs Fenster entwischt, Vater!“ Hoss

zeigte auf die zerbrochene Scheibe.

„Ich veltleiben ihn!“ brüstete sich der Chinese.
„Vertrieben hast du ihn?“ Der Vater kratzte sich den Kopf.

„Irgend etwas stimmt hier nicht.“ Mißtrauisch musterte er erst
seine Söhne und dann den Koch.

„Hast du je im Leben schon einen Puma, einen Berglöwen,

gesehen, Hop Sing?“ fragte er.

„Heute nacht gesehen!“ antwortete der Koch. „Sehl gloß.

Lange Schwanz!“

Der Vater schüttelte den Kopf. Er war verärgert, weil er nicht

wußte, was er von alledem halten sollte. Außerdem hatte er
sich an der Scherbe verletzt. „Wenn aber doch die Tür
offenstand – warum ist er dann nicht dort hinausgerannt?“
fragte er.

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Hoss zuckte die Achseln.
„Wilde Tiere benehmen sich eben komisch!“ brummte er.
Hop Sing hatte gerade am Fensterbrett ein paar Haare

entdeckt.

„Da!“ rief er triumphierend, indem er sie dem Vater vor die

Nase hielt. „Sehen? Gloßel Löwe! Haal von Löwe, bestimmt!“

„Löwenhaar?“ Hoss lachte. „Luchshaar, wolltest du sagen!“
Der Vater winkte ab.
„Genug für heute nacht!“ verkündete er. „Marsch, ins Bett,

alle miteinander! Hoss, überzeuge dich davon, daß die
Vordertür fest verschlossen ist. Ich kann mir noch immer nicht
vorstellen, daß sie vorhin offengestanden haben soll.“

„Meine Tül machen zu, bestimmt!“ gelobte Hop Sing.

„Gloßel…“

„Schon gut! Marsch, ins Bett!“ Der Vater musterte seinen

verletzten Fuß. „Luchs… Puma… Donnerwetter!“

Die Brüder gingen ins Obergeschoß. Joe folgte dem Bruder

in sein Zimmer.

„Und nun erzähl mir alles von deinem Zweizentnerluchs!“

forderte er ihn auf.

„Ach, Rimrock wiegt höchstens einen halben Zentner,

verhungert, wie er ist!“ wehrte Hoss ab. „Das arme Tier!“

„Genau so kam er mir vor!“ brummte Joe. „Ausgehungert!“
Hoss ließ sich auf sein Bett fallen.
„Vor einigen Monaten habe ich seine Mutter erschossen“,

berichtete er. „Das winzige Junge war kaum größer als ein
Eichhörnchen. Und…“ Hoss rieb sich die verstauchte Zehe.

„Du brachtest es wohl nicht übers Herz, das putzige Tierchen

abzuschießen?“ meinte Joe.

„Richtig!“ knurrte der Bruder. „Also habe ich es mit in die

Hütte genommen.“ Er zuckte die Achseln. „Na, dann wurde
das Tierchen zahm, es wuchs… Es wuchs mir ans Herz und…“

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„Und nun sitzt du da: mit einem großen Vieh und einem

ebenso großen Problem! Eine Löwenmutter bist du
geworden!“

„Laß die Witze, Joe!“ stöhnte Hoss. „Der Fall ist ernst!“
„Von Witz kann nicht die Rede sein. Laß nur den Vater

erfahren, daß du ein Löwenjunges wie ein Schoßhündchen
großgezogen hast – in unmittelbarer Nähe einer Herde
erstklassiger Zuchtrinder!“ Joe grinste breit. „Die Rancher im
ganzen Land werden ebenfalls begeistert sein, wenn sie von
deiner Heldentat erfahren. Ich würde dir vorschlagen, nach San
Franzisko auszuwandern – oder noch besser: nach Paris!“

„Hör auf!“ Hoss seufzte. „Hilf mir lieber aus der Patsche!“
„Wie könnte ich dir helfen?“ maulte Joe. „Schließlich habe

ich den Puma durchs Haus und aus dem Küchenfenster
gescheucht! Ehrlich gesagt, mir war gar nicht heldenhaft
zumute dabei! Als ich so allein durch die Finsternis schlich,
um mich herum alles ganz still war… Ach, da wäre am
liebsten i c h durchs Fenster entwichen!“

„Rimrock hätte dir nie im Leben ein Haar gekrümmt!“
„Um mein Haar hatte ich auch weniger Angst als um Kopf

und Kragen.“

„Paß auf! Ich will dir sagen, wie du mir helfen kannst: wir

müssen unbedingt bei der Geschichte von dem Luchs bleiben!“

Joe deutete auf den Fleischrest vor dem Bett.
„Meinst du, Hop Sing wird dem Vater nichts erzählen, wenn

er merkt, daß der Braten fehlt?“

Hoss verzog das Gesicht.
„Vielleicht fällt Hop Sing gar nichts auf.“
Joe lachte. „Da täuschst du dich aber! Bereite dich nur darauf

vor, daß du erklären mußt, wie ein Luchs sich gewaltsam
Eingang in den Eiskeller verschaffen konnte!“

Hoss stöhnte gequält auf.

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„Wir müssen eben abwarten!“ meinte er. „Vielleicht ist

Rimrock doch der Schreck in die Knochen gefahren, und er hat
sich für immer davongemacht…“

„Ein Berglöwe, der dir acht Kilometer weit durch die Ebene

nachläuft, der gibt so schnell nicht auf“, sagte Joe. „Ich wette,
daß er zurückkehrt. Schließlich bist du sein einziger
Angehöriger, Hoss!“

„Am besten erzähle ich dem Vater sofort die ganze

Geschichte.“ Hoss stand entschlossen auf.

„Ausgezeichnet!“ bestätigte Joe.
„Morgen früh tue ich es!“ Hoss ließ sich wieder aufs Bett

sinken.

„Ganz bestimmt?“
„Ich weiß nicht.“
Joe stand auf und ging grinsend zur Tür.
„Gute Nacht, Löwenmutter!“
Dann schloß er flink die Tür hinter sich.

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Der Überfall



Am folgenden Morgen behauptete Hop Sing immer wieder, er
habe einen sehr großen Löwen gesehen. Hoss seinerseits
beharrte auf der Version, es sei ein Luchs gewesen. Nachdem
es nun zu spät war, die Wahrheit zu sagen, hoffte er, daß mit
der Zeit Gras über den ganzen Fall wachsen würde.
Seltsamerweise schien dem Vater gar nichts mehr daran
gelegen, die Angelegenheit mit seinen Söhnen oder dem Koch
zu erörtern.

Das war ein böses Zeichen – Hoss wußte es nur zu genau.

Der Vater wartete ab, bis Hoss sich in seinem eigenen
Lügengewebe verfing.

Ehe sie sich an die Arbeit in der Scheune machten, suchten

sie die Umgebung des Gehöftes nach Spuren ab. Offenbar
hatte Rimrock das Haus von der Seite her angeschlichen, wo er
im dürren Laub keine Spuren hinterließ. Nach dem Satz aus
dem Fenster war er wohl auf dem gleichen Weg fortgelaufen.

Nein, der Vater sagte kein Wort. Aber sein ruhiger,

nachdenklicher Blick ging den Söhnen durch Mark und Bein.
Das Fleisch hatte Hoss beseitigt, indem er es aus Joes Fenster
so weit wie möglich ins dichte Unterholz warf. Und Hop Sing
schien es tatsächlich nicht zu vermissen. Jedenfalls hatte er
dem Vater, soviel Hoss wußte, nichts davon gesagt.

Wieder verbrachten Vater und Söhne einen Tag bei

anstrengender Arbeit in der Scheune. Heute wurden das
Fließband und der Lift fertig, und anschließend probierten sie
die Anlage aus. Nur noch das Gerüst mußte entfernt werden.

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Da der Vater die nächtlichen Abenteuer mit keinem Wort

erwähnte, ließen auch seine Söhne den Fall nur zu gern auf
sich beruhen.

Nach dem Essen zog Joe seinen Bruder beiseite.
„Wenn nun dein teurer Freund heute nacht wiederkommt?“

fragte er grinsend. „Was dann?“

Dieser Gedanke hatte Hoss den ganzen Tag über gequält.
„Jedenfalls darfst du ihn dann nicht wieder aus meinem

Zimmer entwischen lassen!“ knurrte er.

„Deswegen mach dir nur keine Sorgen! Ich werde mich

hüten, überhaupt in dein Zimmer zu kommen.“

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit verkündete Hoss, er wolle

noch einmal in den Stall, um Paiute das dichte Winterhaar aus
dem Fell zu kämmen. Allerdings fand er dann den Striegel
nicht – aber das machte ihm wenig aus.

Nachdem er sich eine Weile im Stall aufgehalten hatte, trat er

durch die Hintertür ins Freie und suchte im nahen Wald nach
Rimrock. Falls der Puma wirklich in der Nähe war und ihn
entdeckte, würde er bestimmt sofort herbeigelaufen kommen.

Als er so weit vom Haus entfernt war, daß der Vater ihn ganz

bestimmt nicht hören konnte, rief er Rimrock. Aber der
Berglöwe zeigte sich nicht. Vielleicht hatte Rimrock
tatsächlich in der vorigen Nacht im Haus einen solchen
Schrecken bekommen, daß ihm endgültig alle Lust vergangen
war, sich je wieder in die Nähe menschlicher Behausungen zu
wagen. Hoss sah ihn im Geiste über die finstere Ebene traben,
zurück in die Berge, wo er zu Hause war. Der Gedanke hatte
etwas Tröstliches – und doch Vermochte Hoss nicht so recht
daran zu glauben.

Ihn hätte es gewiß nicht überrascht, wäre Rimrock in diesem

Augenblick zwischen den Baumstämmen hervorgehuscht!

Erst als es längst ganz dunkel war, kehrte Hoss ins Haus

zurück. Der Vater war bei der Buchführung. Er schaute nicht

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einmal auf, um Hoss zu fragen, wie man ein Pferd so lange
striegeln könne.

Joe blickte ihn fragend an. Hoss schüttelte den Kopf.
Während der Nacht schlief Hoss sehr unruhig; immer wieder

schrak er auf und meinte, Rimrock auf der Türschwelle gehört
zu haben. Zweimal stand er auf und schaute vor die Tür. Aber
nichts deutete darauf hin, daß der Puma sich wieder in die
Nähe des Hauses gewagt hätte.

Das arme Vieh muß doch mächtigen Hunger haben!

überlegte Hoss. Falls Rimrock nicht in die Berge
zurückgelaufen war, suchte er bestimmt etwas zu fressen.


Als Ben Cartwright und seine Söhne am nächsten Morgen
soeben die letzten Teile des Gerüstes aus der Scheune
schleppten, ritt Sheriff Roy Coffee auf den Hof. Er brachte
eine schlimme Nachricht.

„Der Viehhändler Orton ist in der vorigen Nacht ungefähr

zehn Kilometer von hier, nahe dem Indianer-See, getötet
worden“, berichtete er, während er sich aus dem Sattel gleiten
ließ und seine Beine streckte. „Die ganze Nacht über bin ich
geritten, ich muß sehen, daß ich schnell in die Stadt
zurückkomme; dort erwartet mich weitere Arbeit.“ Die
Einladung des Vaters, schnell eine Tasse Kaffee zu trinken,
lehnte er ab. „Wenn ich mich erst hinsetze, Ben, bleibe ich
bestimmt mindestens eine Stunde lang hocken!“

„Wie ist es eigentlich geschehen?“ fragte Joe gespannt.
„Gestern am frühen Nachmittag ist er von Halsteads Ranch

aufgebrochen“, erwiderte der Sheriff. „Auf dem Wege hierher,
in der Nähe des Sees, ist er angefallen worden.“

„Wieso – angefallen?“ stieß Hoss hervor.
Der Sheriff fuhr sich mit der Hand über den staubigen

Schnurrbart.

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„Alles deutet darauf hin, daß ein Puma ihn gerissen hat“,

sagte der Sheriff. „Ein Puma – so seltsam das klingen mag!“

„Unsinn!“ rief Hoss.
Coffee nickte.
„Das habe ich zuerst auch gesagt“, gab er zu. „Ein paar

Goldgräber, die im Wohnwagen fuhren, haben ihn gegen sechs
Uhr gefunden. Kurz vorher hatten sie Spuren eines Pumas
entdeckt, und dann fanden sie Orton zerbissen und zerkratzt
unter einem Baum. Sie haben ihn sofort in die Stadt gebracht.“

„Und er war schon tot?“ fragte der Vater.
Wieder nickte der Sheriff.
„Bei Tagesanbruch war ich draußen und habe mich

umgesehen“, fuhr er fort. „Ganz dicht neben der Straße waren
deutlich Pumaspuren zu erkennen.“

„Und auch an der Stelle, wo man Orton gefunden hat?“

drängte Hoss.

Der Sheriff fuhr sich noch einmal über den Schnurrbart.
„Die Goldgräber mit ihren großen Füßen hatten alles

zertrampelt“, knurrte er. „Ich konnte nichts mehr erkennen.
Die Burschen aber schworen, sie hätten, als sie hinkamen,
neben dem Toten Tatzenspuren gesehen.“

Joe und Hoss wechselten Blicke, und dann schaute Joe zu

Boden.

„Und das Pferd?“ fragte der Vater.
„Das ist zur Halstead-Ranch zurückgelaufen“, erwiderte der

Sheriff. „Einer der Cowboys hat es heute früh eingefangen.“ Er
runzelte die Stirn. „Das Tier hat eine lange Schramme auf dem
Leib. Es trug noch immer Ortons Deckenrolle.“

„Orton hatte eine Menge Geld bei sich, Roy“, meinte der

Vater bedächtig.

„Das habe ich gehört“, bestätigte der Sheriff. „Halstead sagt,

er habe es in die Innentasche der Jacke gesteckt.“

Der Vater nickte.

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„Das habe ich auch gesehen.“
„Sehr unvorsichtig von ihm!“ knurrte der Sheriff. „Aber das

tat er wohl schon immer.“ Er machte eine Pause. „Als die
Männer ihn fanden, hatte er jedenfalls keinen Pfennig bei
sich!“

„Da haben Sie es!“ rief Hoss. „Er wurde nicht von einem

Berglöwen getötet, sondern ein Räuber hat ihn überfallen und
den Eindruck erwecken wollen, als sei der Tote das Opfer
eines wilden Tieres geworden.“ Fragend schaute er den Sheriff
an. „Was halten Sie denn von den Goldgräbern?“

„Phantasiere nur nicht, Hoss!“ mahnte Coffee. „Vielleicht

haben sie ihn von seinem vielen Geld befreit, nachdem sie ihn
gefunden hatten; vielleicht hat sich sonst etwas am Wegrand
abgespielt. Aber das alles kann ich nicht beweisen! Und
Vermutungen bringen mich nicht weiter.“ Er kratzte sich hinter
dem Ohr. „Falls sie nur vorspiegeln wollten, daß der Tote von
einem wilden Tier gerissen wurde, hätten sie doch bestimmt
nicht den Boden rund um ihn herum zertrampelt!“ Der Sheriff
nickte bedächtig. „Und sie hätten ihn auch nicht in die Stadt
geschafft!“

„Sie meinen also, es sei ein Puma gewesen?“ fragte Hoss.
Die Frage schien den Sheriff zu verärgern.
„Ich habe gesagt, es sähe so aus!“ knurrte er. „Trotzdem

verliere ich die Goldgräber schon nicht aus den Augen! Leider
ist der Arzt nicht daheim, deshalb kann ich seine Meinung über
die Todesursache erst morgen einholen. Vielleicht ist Orton am
Herzschlag gestorben, weil ihm der Löwe einen solchen
Schreck eingejagt hat.“ .

Hoss selbst war der Schreck in die Glieder gefahren.
„Finden Sie heraus, wo Ortons Geld geblieben ist!“ flehte er

den Sheriff an. „Dann werden Sie auch den Mörder finden.“

Coffee musterte den jungen Mann scharf.
„Vielleicht“, sagte er unbestimmt.

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„Roy versteht sein Geschäft!“ tröstete der Vater seinen

Ältesten, und dann zwinkerte er dem Sheriff nochmals
einladend zu. „Willst du wirklich keine Tasse Kaffee trinken?“

„Heute nicht, Ben. Vielen Dank!“ Der Sheriff sprang aufs

Pferd. „Übrigens hat es gestern abend in der Stadt eine große
Aufregung gegeben, als die Goldgräber ankamen. Vermutlich
bricht spätestens morgen eine Gruppe zur Löwenjagd auf. Sam
Hargis ist schon lange scharf auf so etwas, und wie ich höre,
hat er schon einen Boten zu Curly Joe geschickt, damit der mit
seiner Hundemeute herüberkommt.“

Der Sheriff winkte ihnen zu und ritt davon. Hoss starrte

bewegungslos zu Boden. Rimrock hatte den Mann nicht
getötet! Ganz bestimmt nicht! Sicherlich konnte man im
Augenblick überall seine Spuren entdecken – doch sie waren
kein Beweis dafür, daß er Orton angefallen hatte!

Aber alle würden sie jetzt durch die Gegend streifen! Rancher

und Landstreicher würden Jagd auf den Löwen machen! Die
Hunde würde man loshetzen, und Rimrock würde sich nicht
retten können. Die Hunde würden seine Witterung aufnehmen
– und dann konnte es sich nur noch um Tage handeln, bis sie
ihn stellten!

„Hoss!“
Die Stimme des Vaters schreckte ihn aus seinen trüben

Gedanken auf. Voll böser Ahnungen blickte er ihn an.

„Vorgestern nacht ist bei uns im Haus ein wildes Tier

gewesen“, begann der Vater mit strenger Stimme. „Es hat
allerlei erstaunliche Taten vollbracht – zum Beispiel hat es die
Tür zum Eiskeller aufgemacht und einen Braten herausgeholt,
den Hop Sing für den kommenden Tag bereitgelegt hatte!“

„So?“ fragte Hoss kläglich.
„Ich meine, du solltest mit der Wahrheit herausrücken“,

drängte der Vater seinen ältesten Sohn. „Los, rede!“

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„Ich wollte es dir längst sagen“, murmelte Hoss mit einem

Seitenblick auf Joe. „Ganz bestimmt! Es kam nur immer
wieder etwas dazwischen.“

„Nun, jetzt soll nichts mehr dazwischenkommen!“
„Tatsächlich war ein Puma im Haus“, gab Hoss zu. „Ein ganz

kleiner, Vater – kaum der Rede wert!“

„Die Beurteilung überlaß nur mir! Weiter!“
„Er heißt Rimrock! Oben in der Berghütte ist er mir

gewissermaßen zugelaufen, wir haben uns aneinander
gewöhnt… Und dann muß er mir hierher nachgelaufen sein!“

Dem Vater sackte der Unterkiefer herab.
„Du hast ein Löwenjunges auf den Hof gelassen?“ brachte er

mühsam hervor. „Obwohl du doch unter Pferden und Rindern
aufgewachsen bist? Du hast freiwillig ein wildes Tier zu dir
genommen?“

„Hm…“ Hilfesuchend schaute Hoss den Bruder an, aber von

dort winkte keine Hilfe, vielmehr zog Joe sich, vorsichtig in
Richtung auf die Scheune zurück. „Ja, das habe ich wirklich
getan.“

„Bleib hier, Joe!“ herrschte der Vater den Jüngeren an. „Du

hast mit Hoss unter einer Decke gesteckt, versuche dich jetzt
also nicht zu drücken!“

„Nein, Vater!“ stammelte Joe. „Nie im Leben habe ich…“
„Los, Hoss!“ befahl der Vater. „Ich will alles hören!“
„Viel mehr gibt es gar nicht zu berichten!“ beteuerte Hoss.

„Als das Tier noch ganz klein war, habe ich es zu mir
genommen und aufgezogen. Es schlief auf meinem Bett,
begleitete mich zur Herde…“

„Zur Herde hast du es mitgenommen?“
„Anfangs lief es mir gegen meinen Willen nach. Den Rindern

hat Rimrock nie etwas getan! Dafür hatte er viel zuviel Angst
vor ihnen!“

„Das kann ich mir vorstellen!“ spottete der Vater.

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„Ganz bestimmt, Vater!“ beharrte Hoss. „Sobald ich mich der

Herde näherte, sprang Rimrock ab und…“ Er stockte. Zu spät
begriff er, was er sich da hatte entschlüpfen lassen.

„Wovon sprang er ab?“ brachte der Vater hervor.
„Von Paiute“, gab Hoss zu.
„Wie?“ Der Vater mußte sich erst ein wenig sammeln. „Du

hast doch nicht etwa einen Puma auf dem Pferd gehabt?“

„Er hockte hinter mir“, berichtete Hoss. „Ich hatte für ihn ein

Kissen hinten am Sattel befestigt.“

Unter dem wütenden Blick des Vaters hätte Wasser zu Eis

erstarren können, aber für Hoss gab es nun kein Halten mehr.
Begeistert berichtete er von seinen Erziehungsversuchen und
von der sanften Liebenswürdigkeit des jungen Berglöwen. „Ich
kann mir vorstellen, was du jetzt denkst, Vater“, schloß er.
„Aber du hast unrecht. Nie im Leben hätte er Orton oder sonst
jemanden angefallen. Dazu war er Fremden gegenüber viel zu
scheu. Sogar vor fremden Pferden hatte er Angst! Ach, er hat
doch immer…“

„Hör auf!“ Der Vater hob beide Hände. „Rimrock ist also ein

wahrer Engel – aber wer wird es glauben, wenn er ihm im
Wald oder sonstwo begegnet? Und woher willst du wissen, daß
er nicht vielleicht auf Geronimos Hinterteil gesprungen ist, um
einen kleinen Ritt zu machen?“

Ungestüm schüttelte Hoss den Kopf.
„Bestimmt hat er das nicht getan!“ beteuerte er. „Er hat Angst

vor allen Pferden – außer Paiute!“

„Womöglich hat ihn diese Angst vorübergehend verlassen?“

meinte der Vater ungerührt. „Auf alle Fälle ist das Fell des
Pferdes von Krallen zerkratzt, und Orton ist ums Leben
gekommen!“

„Bestimmt war es nicht Rimrock!“ beharrte Hoss verstockt.
„Woher willst du das wissen?“ meinte der Vater. „Du hast

doch selbst gesagt, daß dein Puma ausgehungert war.

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Dazu befand er sich in fremder Umgebung, hatte Angst – und

er ist nun einmal ein Berglöwe, ein wildes Tier – eins der
gefährlichsten Raubtiere, die es hierzulande gibt. Wer immer
ihn sieht, wird ihn abschießen!“

„Niemand soll ihn sehen!“ schrie Hoss auf. „Ich suche ihn

und bringe ihn ins Bergland zurück!“

„Ach?“ Fassungslos schaute der Vater ihn an. „Selbst wenn

er Orton gerissen hat, bringst du ihn in die Berge zurück?“

„Rimrock hat niemanden getötet, das weiß ich ganz genau!“

wimmerte Hoss.

„Jedenfalls werden wir darüber niemals Gewißheit erlangen.

Du darfst ihn nicht suchen, um ihn in Sicherheit zu bringen,
Hoss!“ Ganz fest schaute der Vater seinen Sohn an. „Ja, Hoss,
geh ihn suchen. Aber wenn du ihn gefunden hast, wirst du ihm
eine Kugel durch den Kopf schießen!“

„Nein!“
„Doch!“
„Er hat mir das Leben gerettet, als ich schneeblind durch die

Wildnis irrte!“

„Und nun hat er vielleicht ein anderes Leben auf dem

Gewissen!“ mahnte der Vater. „Ihr seid quitt.“

„Ich kann ihn nicht erschießen!“
„Aber ich kann es!“ erklärte der Vater verbissen. „Sobald er

mir vor die Augen kommt, knalle ich ihn ab!“

„Er wird dir nie vor die Augen kommen!“
Mit einem Ruck fuhr Hoss herum und lief in den Stall, um

Paiute zu satteln. Draußen redete Joe dem zornigen Vater
begütigend zu. Als Hoss wenig später mit dem gesattelten
Pferd auf den Hof kam, schaute er dem Vater fest in die
Augen.

„Du solltest meinem Rat folgen, Hoss!“
„Diesmal nicht, Vater!“ rief Hoss, während er vom Hof ritt.

„Ausnahmsweise will einmal ich recht behalten!“

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Nach zwei Stunden vergeblichen Suchens kamen Hoss doch

Bedenken. Gewiß konnte er sich noch immer nicht vorstellen,
daß Rimrock über Nacht zu einem blutrünstigen Mörder
geworden war – aber bekanntlich sind Pumas unberechenbar.

Hoss bog nach rechts ab, schlug die Richtung zum Indianer-

See ein. Es dauerte nicht lange, da hatte er die Stelle gefunden,
wo Orton unter einer großen Fichte vom Tod ereilt worden
war. Sheriff Coffee hatte recht: Hier war wirklich so gut wie
nichts mehr zu erkennen. Die Goldgräber hatten alle Spuren
zertrampelt, dann war der Sheriff selbst mit seinen gewaltigen
Stiefeln kreuz und quer herumgestapft, und schließlich hatten
sich offenbar noch mehrere andere Leute nachträglich an der
Unglücksstelle umgeschaut.

Vermutlich waren es einige von Halsteads Cowboys

gewesen.

Hoss hielt sich nicht lange auf. Hier konnte er doch nichts

mehr finden. Lieber wollte er Rimrock suchen und Wald und
Busch nach ihm durchkämmen. Erst spät am Nachmittag
kehrte er von Westen her nach Ponderosa zurück. Einen weiten
Kreis hatte er geschlagen – ohne den geringsten Erfolg! Kein
Wunder, daß er in bedrückter Stimmung war, als er zum Haus
stapfte, nachdem er Paiute abgesattelt hatte.

„Nichts?“ fragte der Vater, und Hoss hörte ihm an, daß sein

Zorn verraucht war.

Hoss schüttelte den Kopf.
„Nicht einmal eine Spur von ihm habe ich gefunden!“
„Vielleicht ist er ins Bergland zurückgelaufen“, vermutete

Joe.

„ Hoffentlich!“ meinte der ältere Bruder skeptisch.
„Brenneman ist vorhin dagewesen“, sagte der Vater.

„Natürlich ist die ganze Gegend in Aufruhr. Morgen früh
wollen mehr als dreißig Mann mit Curly Joe und seinen
Hunden losreiten!“

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„Was soll ich nur machen?“ stöhnte Hoss. „Ich bin doch an

allem schuld! Hätte ich Rimrock nicht so lange bei mir
behalten, bis er ganz von mir abhängig wurde… Ach, was
könnte er gegen die Hunde ausrichten? Sobald sie ihn wittern,
werden sie ihn innerhalb einer halben Stunde stellen. Hier kann
er sich nicht so gut verstecken wie in den Bergen!“

„Ich wüßte nicht, was du dagegen tun könntest.“
„Jedenfalls kann ich die Leute nicht ausreiten lassen…“
„Nun hör aber auf!“ Der Vater schien Mitleid zu empfinden,

blieb aber streng. „Willst du dich gegen unsere Nachbarn
auflehnen? Immerhin sind sie alle felsenfest davon überzeugt,
daß Rimrock der Mörder Ortons ist!“

„Bist auch du dieser Überzeugung?“
„Hm, ich weiß nicht“, wich der Vater aus. „Aber auf mich

kommt es ja auch nicht an. Du weißt doch, wie schlecht die
Leute auf Pumas zu sprechen sind!“

„Ja, doch!“ stöhnte Hoss. „Ehe ich Rimrock kennenlernte,

habe ich nicht anders gedacht. Aber er ist nun einmal ganz
anders! Weißt du, als ich schneeblind war…“

Der Vater und Joe lauschten interessiert dem Bericht, und hin

und wieder wechselten sie verständnisvolle Blicke. Dann
schwiegen sie alle eine lange Weile.

„Nun begreife ich, weshalb dich die Sache so quält“, gab der

Vater endlich zu. „Trotzdem kannst du nicht verhindern, daß
die Leute auf die Hetzjagd gehen!“

„Nein, gewiß nicht!“ sagte Hoss. „Aber wenn ich ihn finden

könnte…“

„Den ganzen Nachmittag über hast du ihn gesucht – und

nicht gefunden!“ tröstete Joe. „Sollte das kein Zeichen dafür
sein, daß er sich davongemacht hat? Wäre er noch im Gelände,
so wäre er doch bestimmt zu dir gekommen!“

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„Das möchte ich meinen!“ Hoss nickte. Ja, daß er Rimrock

nicht gefunden hatte, war ein wahrer Trost. Ein wenig
zuversichtlicher ging er zu Tisch.


Aber Hoss’ Hoffnung trog: Rimrock war nicht ins Bergland
zurückgelaufen! Gegen Mitternacht schlich er von Westen her
lautlos auf die Ranch Ponderosa zu, sprang gewandt auf den
Baum dicht neben der Veranda, kroch aufs Dach und schaute
lange vorsichtig auf den finsteren Hof hinunter.

Dann schlüpfte er durchs offene Fenster.
Hoss zuckte zusammen, als er den großen Katzenleib an

seinen Füßen fühlte.

„Donnerwetter!“
Er streckte die Hand aus und kraulte dem Berglöwen den

Kopf. Rimrock reckte sich wohlig.

Blitzschnell sprang Hoss aus dem Bett und schloß das

Fenster. Dann machte er Licht und betrachtete Rimrock. Der
Puma schnurrte zufrieden, und als Hoss ihm das verstümmelte
Ohr kraulte, schloß er genußvoll ein Auge. Besorgt befühlte
Hoss Rimrocks Leib.

„Na, hast du etwa doch gelernt, dich selbst zu versorgen?“

fragte er beruhigt.

Rimrock rieb sich an seinem Bein und sprang dann wieder

aufs Bett.

„O nein!“ rief Hoss. „Wir beide machen einen kleinen Ritt!“
Er trat zur Tür, öffnete sie und rief Joe. Wenig später lugte

der Bruder vorsichtig herein.

„Um Gottes willen!“ stöhnte er. „Und was wird nun?“
„Sieh ihn dir doch an!“ sagte Hoss. „Meinst du, ein so lieber

kleiner Kerl könnte einen Menschen umbringen?“

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„Darauf möchte ich keinen Eid ablegen – schon gar nicht um

Mitternacht“, maulte Joe. „Ich bin auch nicht hergekommen,
um das festzustellen.“

„Sattele sofort Paiute für mich!“ bat Hoss. „Binde ihr hinter

den Sattel ein paar dicke Zeltplanen, wie sie in der Scheune
liegen, und bring das Pferd dann vor die Haustür.“

„Und wer soll das Pferd halten, während du mit diesem

Untier aufsteigst?“ fragte Joe beklommen.

„Du jedenfalls brauchst Paiute nicht zu halten“, beruhigte ihn

Hoss. „Bleibe schön im Hintergrund, damit Rimrock nicht
nervös wird!“

„Darauf kannst du dich verlassen!“ versicherte ihm Joe.
Kurze Zeit später war Joe wieder da und teilte mit, daß Paiute

bereitstehe. Dann verzog er sich blitzschnell die Treppe
hinunter. Im Wohnzimmer brannten sämtliche Lampen, als
Hoss hereinwankte, den Berglöwen auf den Armen. Die
Vordertür stand weit offen. Vater und Joe hatten im
Hintergrund Posten bezogen, während Hop Sing hinter der
einen Spalt geöffneten Küchentür hervorlugte, ein Hackmesser
in der Hand.

„Liesige, gefähliche Fleischdieb!“ murmelte er. „Sieh dich

vol, Hoss!“

So viel Publikum machte Rimrock nervös. Er wollte Hoss’

Armen entschlüpfen, aber der junge Mann hielt ihn eisern fest.

„Daß mir ja keiner auf den Hof hinauskommt!“ schärfte er

den anderen ein.

Der Vater hatte auch die Lampen auf der Veranda

angezündet, und deshalb war es auf dem Hof recht hell. Die
drei Leute im Haus konnten also gut beobachten, was vorging.

Hoss spürte nun doch eine gewisse Beklommenheit, als er

Rimrock absetzte, um sich in den Sattel zu schwingen.
Blitzschnell huschte der Löwe davon, wurde von der Finsternis

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aufgesogen – aber als Hoss ihn rief, kam er sofort zurück.
Paiute senkte den Kopf und beschnupperte den alten Freund.

Drinnen schüttelte der Vater ungläubig den Kopf.
Hoss saß auf. Zu seinen Füßen hockte Rimrock.
„Los, Kamerad!“ flüsterte Hoss. „Spring auf!“
Mit einem gewandten, mühelosen Satz landete Rimrock auf

dem Polster, machte es sich bequem, rollte den langen
Schwanz ein und legte den Kopf dicht an Hoss’ Rücken.

„Unglaublich!“ murmelte Joe.
Auch der Vater schüttelte den Kopf.
„Mir ist, als hätte ich das geträumt“, gab er zu.
„Ich habe gesehen!“ bekräftigte der chinesische Koch.
„Aber wenn dich morgen die Jäger danach fragen, hast du

nichts gesehen! Verstanden?“ schärfte der Vater ihm ein.

Hop Sing grinste übers ganze Gesicht.
„Habe keinen Fleischdieb gesehen! Habe nichts gesehen!“
Wie um seine Worte zu unterstreichen, schwenkte er sein

Hackmesser, so daß Joe erschrocken den Kopf einzog.


Eine halbe Stunde vor der Morgendämmerung hatte Hoss das
Bergland erreicht. Sofort sprang Rimrock ab und lief in die
Deckung der Bäume. Als er aber sah, daß Hoss ihm nicht
folgte, kam er schleunigst zurück.

„Hier trennen sich nun unsere Wege endgültig, Rimrock!“

schärfte Hoss ihm ein. „Wir sind geschiedene Leute, klar?
Wenn du von jetzt an jemals wieder einen Menschen siehst –
dann suchst du sofort das Weite! Verstanden? Ich weiß, daß es
meine Schuld ist, wenn du so geworden bist, wie du nun
einmal bist. Aber jetzt muß es damit endlich anders werden…“

Obwohl Hoss wußte, daß Rimrock seine Worte nicht

verstand, redete er doch geradezu beschwörend auf ihn ein:
Immer wieder sagte er ihm, was er von nun an tun müsse, um

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sein Leben zu fristen. Noch immer stand Hoss am Rand der
weiten Ebene, als das Morgenlicht hinter dem Horizont
hervorgekrochen kam. Rimrock trieb sich irgendwo ganz in
der Nähe im Gebüsch herum.

Bei Tage würde er es nicht wagen, die Ebene zu durchqueren,

dessen war Hoss ganz sicher. Nicht einmal hinter ihm auf
Paiutes Rücken würde er nach Ponderosa zurückkehren!

Hoss wandte sein Pferd und trabte davon. Wie oft hatte er das

nun schon getan! Und jedesmal hatte er von Herzen gehofft, es
möge ein Abschied für immer sein. Als er sich umschaute,
erblickte er Rimrock, der vorsichtig witternd ins Freie trat, ein
paar Schritte hinaus auf die Ebene trottete – und dann
kehrtmachte und im Gebüsch verschwand.

„Lauf ins Gebirge!“ flehte der Reiter, als könnte das Tier

seine gepreßte Stimme hören und ihn verstehen. „Lauf ins
Gebirge!“

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Der Mörder



Fast fünfzig Mann hatten sich zusammengefunden; es war eine
stattliche Schar Löwenjäger, die kurz nach Hoss’

Heimkehr

von seinem geheimen Ritt auf den Hof Ponderosa getrabt kam.
Einigen der wackeren Jäger war deutlich anzumerken, daß sie
sich zur Vorbereitung in den Kneipen der Stadt tüchtig gestärkt
hatten. Vermutlich würden sie ihre Jagdgefährten erheblich
mehr gefährden als das gesuchte Wild!

Auf einem leichten Wagen hatte man einen Käfig angebracht,

und darin jaulten und knurrten Curly Joes Hunde. Sie konnten
den Beginn der Hetze schon gar nicht mehr abwarten. Joe
selbst war ein hochgewachsener, hagerer Mann in alten,
blankgewetzten Lederhosen, und dunkles Haar hing ihm bis
auf die Schultern herab.

Anführer der wilden Jagd war Sam Hargis.
„Seid ihr fertig, Cartwright?“ rief er dem Vater entgegen,

während er sein Pferd vor dem Wohnhaus zügelte.

„Wir kommen!“ Der Vater hatte Hoss erlaubt, daheim zu

bleiben, aber Hoss wollte nicht kneifen. „Wo willst du die
Hunde loslassen, Sam?“

„Curly Joe meint, es habe keinen Sinn, sie freizulassen, ehe

wir nicht die Ebene hinter uns haben“, erwiderte der Anführer.
„Er ist überzeugt davon, daß der Löwe, der den Viehhändler
angefallen hat, allerhöchstens einen Tag hier unten geblieben
ist und sich dann in seine Berge zurückgezogen hat!“

Hoss zuckte unmerklich zusammen. Er hatte gehofft, Curly

Joe würde seine Meute nahe der Stelle freilassen, wo man den
Toten gefunden hatte. Und nun? Anstatt Rimrock zu helfen,

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hatte Hoss ihn dorthin gebracht, wo die Hunde ihn am
allerschnellsten ausmachen würden!

Hargis wollte noch etwas hinzufügen, aber einer der leicht

angetrunkenen Jäger gab einen Schuß in die Luft ab und stieß
einen gellenden Schrei aus.

„Hör doch mit der Knallerei auf!“ schimpfte Hargis

aufgebracht.

„Wir wollen reiten!“ grölte eine Stimme. Hoss erkannte Mel

Stark, den Mann vom Mietstall, der neulich Orton gefahren
hatte.

Während er neben dem Vater und Joe vom Hof ritt, blickte er

immer wieder zu Mel Stark hinüber. Die Männer der
Jagdgesellschaft hielten reichlich Abstand voneinander, um
dem von den Pferden aufgewirbelten Staub auszuweichen.
Deshalb mußten sie um so lauter sprechen, sie lachten und
schrien lärmend durcheinander und benahmen sich ausgelassen
wie bei einem Volksfest.

„Du konntest wirklich nicht wissen, Hoss“, meinte der Vater

tröstend, „daß Curly seine Hetzjagd ausgerechnet am Rand des
Gebirges anfangen würde!“

Hoss starrte düster vor sich hin.
„Es ist zum Verzweifeln“, stöhnte er. „Ich mache aber auch

alles falsch!“

Die meisten Männer ritten am Ostufer des Indianer-Sees

entlang, einige aber trennten sich von den anderen und
durchkämmten für alle Fälle das Unterholz am westlichen
Ufer. Kreuz und quer ritten sie durch das Gelände, denn sie
hatten genügend Zeit, weil der Wagen mit den Hunden viel
langsamer vorwärts kam als sie.

„Hast du eigentlich den Sheriff gesehen?“ fragte Hoss.

„Reitet er nicht mit?“

Joe schüttelte den Kopf. Plötzlich zügelte Hoss sein Pferd.
„Ich bin gleich wieder da!“

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Damit lenkte er Paiute zum Wasser zurück. Sein Bruder

zauderte und schien zu überlegen, ob er sich ihm anschließen
solle.

„Bleib hier!“ riet ihm der Vater. „Kannst du dir nicht

vorstellen, weshalb Hoss sich davonmacht? Er mag nicht
zusehen, wie das Tier umgebracht wird. Übrigens mache ich
kein Hehl daraus, daß auch ich mich nach dem, was ich von
Hoss gehört habe, auf den Ausgang dieser elenden Jagd nicht
mehr recht freuen kann!“

Hoss ließ Paiute an dem Baum zurück, unter dem Orton den

Tod gefunden hatte. Drei bis vier Meter über der Straße ragte
ein kräftiger Ast hervor, und er schien so recht dafür
geschaffen, daß ein Puma sich dort auf die Lauer legte. Hoss
schauderte: Wirklich, die Behauptung, das Raubtier habe dort
gelegen und sei dem ahnungslosen Reiter ins Genick
gesprungen, leuchtete ohne weiteres ein!

An der Ostseite des gewaltigen Baumes führte ein sanfter

Hang zum Seeufer hinunter, im Westen erstreckte sich
unübersichtliches, dicht bewachsenes Gelände. Hoss wandte
sich in diese Richtung. Plötzlich stutzte er. Deutlich erkannte
er Fußspuren! Offenbar hatte sich schon jemand anders hier
umgesehen. Der Sheriff!

In immer weiteren Kreisen suchte Hoss das Gelände ab, aber

er fand keinerlei Hinweise und begann einzusehen, daß er nur
seine Zeit vergeudete. Bestimmt hatte der Sheriff nichts
übersehen.

Dann aber fand er etwas: eine Stelle, wo längere Zeit ein

Pferd gestanden hatte!

Beinahe wäre Hoss die Spur gar nicht aufgefallen, denn es

lag ein dünner Teppich von Tannennadeln darüber. Aber sein
scharfes Auge erspähte ein paar helle Bruchstellen an den
benachbarten Büschen. Vor nicht allzulanger Zeit waren
mehrere kleine Zweige abgeknickt worden. Hoss kniete nieder

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und fuhr mit den Fingern vorsichtig durch den Nadelteppich.
Jawohl, kein Zweifel: hier hatte ein Pferd gestanden! Und dann
wurde ihm klar, daß nicht der Wind die Tannennadeln über die
Spur geweht hatte, sondern daß jemand bemüht gewesen war,
die Spur gut zu verbergen.

Hoss blieb auf dem Boden hocken und spähte umher. Da,

wenige Meter entfernt, lag etwas unter einem Busch. Er stand
auf, ging hinüber und nahm das Ding in die Hand.

Es war sein bester Striegel!
Jemand hatte fünf der scharfen, spitzen Metallzähne aus dem

Holzboden herausgezogen, so daß sie weit vorstanden, und
dann hatte er sie mit einer Feile messerscharf geschliffen. Die
anderen Zähne des Striegels hatte er flachgeklopft.

Und an den vorstehenden, scharfen Zähnen verrieten dunkle

Flecke, wozu das Werkzeug benutzt worden war!

Hoss’ Gedanken wirbelten durcheinander. Auf der Stelle

mußte er dem Sheriff Meldung machen! Oder nein, er wußte
noch etwas Besseres! Der Mann, der Orton getötet und den
Verdacht auf einen harmlosen kleinen Puma gelenkt hatte, ritt
ja mit den Jägern über Land!

Hoss stand auf und ging zu seinem Pferd zurück. Nach zwei

Schritten aber ließ eine harte Stimme ihn erstarren.

„Schade, Hoss, daß du das Ding gefunden hast!“
Der junge Mann fuhr herum. Hinter einem Baumstamm war

Stark hervorgetreten. Nun stand er breitbeinig da und richtete
drohend einen Revolver auf Hoss.

„Schnalle sofort dein Revolverkoppel ab, Hoss!“

kommandierte er mit eiskalter Stimme.

Hoss knirschte mit den Zähnen, aber er mußte gehorchen.
„Meinst du etwa, das Märchen von dem Raubtier könnte die

anderen auf die Dauer hinters Licht führen?“

„Bisher hat alles ganz prima geklappt!“ feixte Stark. „Bis du

angefangen hast, deine Nase in Dinge zu stecken, die dich

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nichts angehen! Du kannst dir wohl vorstellen, was ich nun tun
muß?“

Hoss schätzte ab, wieviel Meter ihn von dem Verbrecher

trennten. Der Abstand war groß – aber mit zwei oder drei
Sprüngen mußte er ihn doch überwinden können. Er ballte die
Hände zu Fäusten.

„Ich warne dich!“ stieß Stark hervor. „Mach keine

Dummheiten!“

Mindestens eine Kugel würde er einstecken, falls er sprang,

das wußte Hoss. Aber wenn es ihm gelänge, die Hände
wenigstens dreißig Sekunden lang um die Gurgel des
niederträchtigen Schurken zu legen, dann würde er sich
reichlich belohnt fühlen! Mit allen Fibern verlangte Hoss
danach, sich auf Stark zu stürzen, und schon war er bereit, alles
auf eine Karte zu setzen, als ihn sein gesunder
Menschenverstand doch noch im allerletzten Augenblick
davon abhielt.

Kein Auge ließ er von seinem Gegenüber. Die Hand, die den

Revolver hielt, zitterte nicht, aber Starks Augen flackerten
unruhig. Er gehörte zu den Menschen, die rücksichtslos und
impulsiv zur Waffe greifen und denen es auf einen Schuß mehr
oder weniger nicht ankommt.

Warum hatte er eigentlich nicht längst geschossen?
Ich muß Zeit gewinnen! dachte Hoss verzweifelt. Etwas

sagen! Und versuchen, ihm näher zu kommen!

„Du hast genau gewußt, daß an jenem Abend auf unserer

Ranch ein Puma gewesen ist, nicht wahr, Stark?“ sagte er. „Du
hast nur so getan, als hätte ich dich davon überzeugt, daß es ein
Luchs war.“

„Das spielt nun keine Rolle mehr. Dreh dich um, Hoss, und

geh langsam vorwärts! Los, wir machen einen Spaziergang
zum See hinunter!“

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Dorthin also wollte er. Am See sollte es geschehen! Ein

Schuß in den Rücken… Einen Stein ans Bein gebunden – und
hinunter in die Tiefe!

„Nein!“ erklärte der junge Mann. „Ich gehe nicht. Ich denke

nicht daran, Stark!“

Stark hob den Revolver und stieß einen mitleidigen Seufzer

aus. Aber Hoss hielt seinem Blick stand.

„Auch wenn du noch so gut zielst, Stark“, sagte er

zähneknirschend, „wirst du mich doch nicht aufhalten: Ehe ich
sterbe, packe ich dich. Noch mit letzter Kraft reiße ich dich in
Stücke, darauf kannst du dich verlassen.“

Der andere blickte ihn unschlüssig an. Hoss sah, daß Starks

Augen immer unruhiger flackerten. Ein gemeiner Feigling war
er, ein niederträchtiger Wegelagerer…

„Ich gebe dir eine einzige Chance“, begann Stark stockend.

„Ich brauche einen Vorsprung von sechs Stunden, um mich aus
dem Staube zu machen. Wenn du mir die garantierst, lasse ich
dich laufen! Meinst du, es macht mir Spaß, mein Gewissen
auch noch mit dir zu belasten?“

Hoss dachte nicht daran, dem Burschen zu vertrauen. Aber

noch immer kam es ihm darauf an, Zeit zu gewinnen.

„Wie soll das denn vonstatten gehen?“ fragte er, während er

einen halben Schritt auf den Gegner zuging.

„Stehenbleiben!“ fauchte Stark. „Mach keine Dummheiten,

Hoss!“

Mit verzerrtem Gesicht stand er breitbeinig da, den Revolver

im Anschlag. Hoss sah ihm an, daß er schießen würde, sobald
er sich ernsthaft bedroht fühlte. Stark fuhr sich mit der
Zungenspitze über die Lippen.

„Ich will dir sagen, wie ich es mache“, knurrte er. „Wir gehen

jetzt zusammen zum Ufer hinunter, dort fessele ich dich, und
dann nehme ich dein Pferd mit. Wenn du dich endlich befreit

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haben und zu eurer Ranch gelaufen sein wirst, bin ich längst
über alle Berge!“

Der See! Immer wieder kreisten Starks Gedanken darum.

Wenn Hoss mit ihm ans Ufer hinunterging, würde er nie mehr
nach Ponderosa zurückkehren.

„Du willst mich also wirklich nur fesseln?“ fragte er.
„Ganz bestimmt!“ gelobte Stark. „Siehst du denn nicht ein,

daß dies der einzig mögliche Ausweg ist? Sind wir nicht bisher
immer gut miteinander ausgekommen?“

„Hm, eigentlich ja“, gab Hoss zu, und er runzelte die Brauen,

als erwäge er Starks Vorschlag ernsthaft. „Du hast also Orton
tatsächlich umgebracht?“

„Das habe ich nicht gesagt!“ fuhr der andere auf. „Aber nun

komm schon, zum See hinunter!“

„Ich möchte aber genau wissen…“
„Nun hast du genug geschwatzt!“ herrschte Stark ihn an.

„Los, dreh dich um!“

Vielleicht würde er auf dem Weg hinunter eine Möglichkeit

finden… Ein flinker Sprung ins Gebüsch… Aber ein Blick in
Starks Gesicht verriet Hoss, daß der andere seine Gedanken
ahnte. Hoss rang sich zu einem Entschluß durch. Jetzt oder nie!

Er setzte zum Sprung an, um sich auf Stark zu stürzen.

„Halt! Hände hoch!“ ertönte in diesem Augenblick eine

scharfe Stimme.

Dann trat hinter Stark eine kräftige Gestalt aus dem Gebüsch

– Sheriff Coffe!

Stark fuhr herum und schoß. Aber er drückte zu spät ab, und

der Schuß ging vorbei. Im nächsten Augenblick traf ihn die
Kugel des Sheriffs in den rechten Arm. Der Revolver entfiel
der kraftlosen Hand. Und das war Hoss’ Augenblick: Er sprang
den Feind an!

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Beide stürzten zu Boden. Hoss hielt Stark eisern

umklammert. Dann rief der Sheriff: „Danke, Hoss! Ich möchte
ihn gern lebend haben!“

Hoss stand auf. Er begriff noch immer nicht recht, wie sich

die Lage so plötzlich verändert hatte. Benommen reichte er
dem Sheriff Starks Revolver, den er vom Boden aufgehoben
hatte. „Wie kommen Sie denn hierher, Sheriff?“

Coffee lachte.
„Wie i c h herkomme? Viel eher dürfte wohl ich fragen, wie

d u herkommst! Du hast dich in eine schöne Lage gebracht und
hättest um ein Haar eine Kugel in den Kopf bekommen.“

„Hm, ja, gewiß“, murmelte Hoss. „Das stimmt, aber ich

dachte…“

„Ich weiß schon, was du gedacht hast!“ schnauzte der Sheriff

ihn gutmütig an. „Du hast gedacht, ich sei zu alt und dumm,
um einen Mörder zu überführen. Du meintest, ich hätte das
blöde Märchen von dem Löwen geglaubt! Glaubst du, ich sei
nicht mehr in der Lage, eine Spur zu lesen und einen Schluß zu
ziehen? Den Striegel habe ich dort, wo du ihn vorhin entdeckt
hast, schon vor Tagen gefunden!“

„Wirklich?“ staunte Hoss.
„Allerdings! Aber ich dachte nicht daran, ihn aufzuheben und

mitzunehmen. Sobald der Täter den Verlust bemerkte, würde
er wiederkommen und das Beweisstück beiseite schaffen – das
wußte ich genau!“

„Und Sie wußten schon lange, daß es Stark war?“ fragte

Hoss.

„Immerhin hatte ich ihn in Verdacht. Ich habe ihn beobachten

lassen, habe mir meine Gedanken gemacht, und als dann Dr.
Inman mir gestern sagte, Orton sei mit einem Messer ermordet
worden – na, da schien mir alles ganz fein
zusammenzupassen!“

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„Erstochen?“ rief Hoss erstaunt aus. „Das wußte ich ja gar

nicht!“

Coffees Laune schien sich zu bessern.
„Schon gut!“ Er lächelte. „Wenn du nur mit dem Leben

davongekommen bist!“ Er riß Stark hoch und untersuchte die
Verwundung am Arm. „Davon stirbt man nicht! Wo ist das
Geld?“ fragte er barsch.

„Was für Geld?“
„Na, laß nur! Ich habe es längst entdeckt: hinter einem

Wandbrett in eurem Mietstall!“

Stark sackte zusammen.
„Weshalb mußte er so viel Geld haben?“ zischte er. „Das war

ungerecht, und ich…“

„Ruhe!“ donnerte der Sheriff. „Komm, Hoss, opfere ein

Stück von deinem Hemd, damit ich ihn fesseln kann. Und dann
hol sein Pferd! Dort drüben steht es, ungefähr zweihundert
Meter weiter.“

Zwanzig Minuten später ritt Sheriff Coffee mit seinem

grollenden Häftling davon, und Hoss galoppierte hinter der
Jagdgesellschaft her. Vielleicht würde mancher der Männer die
Lust an der Hetzjagd verlieren, wenn er berichtete, was mit
Stark los war! Vielleicht könnte er damit Rimrock doch ein
bißchen helfen…

Noch während er über die Ebene ritt, hörte er in der Ferne die

Hunde bellen, und erschrocken erkannte er am Klang, daß sie
offenbar eine frische Witterung aufgenommen hatten. Er gab
dem Pferd die Sporen.

Als er wenig später die erste Gruppe der Jäger einholte,

schien sich das Hundegebell noch weiter entfernt zu haben.
Die Männer waren an einem Bach abgestiegen und tränkten
ihre Pferde.

„Wo ist denn die Hauptgruppe?“ fragte Hoss.

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„Als wir uns den Bergen näherten, scheinen die Hunde irgend

etwas gewittert zu haben“, berichtete einer der Männer. „Dann
fielen dort drüben mehrere Schüsse, und offenbar sind die
Hunde nach allen Richtungen auseinandergelaufen!“

Eilig berichtete Hoss über sein Erlebnis mit Stark.
„Ich habe sowieso nie geglaubt, daß ein Löwe den

Viehhändler getötet hat“, brummte einer der Männer, während
er düster zum Bergland hinüberschaute. „Eine Gemeinheit ist
das! Ich reite heim!“

Und mehrere andere nickten beifällig.
Hoss ritt weiter. Am Fuße eines steilen Felshanges holte er

eine zweite Gruppe ein. Die Hunde waren noch immer weit
voraus. Die Reiter schauten den Hang hinauf und überlegten,
wie sie ihn erklimmen könnten, ohne abzusteigen.

„Ich kenne einen Umweg“, erklärte Hoss. „Aber er ist weit,

und eine längere Strecke müßt ihr auch dort zu Fuß gehen!“

Einer der Jäger schüttelte den Kopf.
„Wenn wir dann endlich da sind, haben die Hunde ihren

Vorsprung noch vergrößert“, meinte er, „und mindestens vier
neue Steilhänge werden uns von ihnen trennen.“

Hoss hielt sich nicht damit auf, noch einmal von Stark zu

erzählen.

Er sah den Männern an, daß sie ohnehin keine Lust mehr zur

Jagd verspürten.

„Hat einer von euch etwa einen Löwen gesehen, als vorhin

geschossen wurde?“ fragte er beklommen.

„Ja“, sagte einer der Männer. „Er war halb ausgewachsen,

klemmte den Schwanz ein und sauste davon, als sei der Teufel
hinter ihm her.“

„Und niemand hat ihn getroffen?“
„Jedenfalls habe ich nichts davon gemerkt.“
So schnell wie möglich ritt Hoss nach Osten, um den

Steilhang zu umgehen. Vier der Jäger begleiteten ihn, und auch

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von ihnen gaben zwei auf, als sie bald darauf einen
schwierigen Felsenpfad erreichten.

Als Hoss kurze Zeit darauf abstieg und erklärte, nun käme

man nur noch zu Fuß weiter, strich auch der Vorletzte die
Segel.

Nur Hargis’ Cowboy Slim hielt durch. Zusammen mit Hoss

kletterte er dem Klang des Hundegebells nach.

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Verbellt!



Nachdem sie den halben Hang geschafft hatten, blieb Slim
keuchend stehen. Auch Hoss rang nach Atem. Sie ruhten sich
ein wenig aus. Dann zuckte Hoss zusammen: Der Klang des
Hundegebells verriet eindeutig, daß die Hunde ihr Wild
gestellt hatten.

Rimrock war verbellt!
„Komm!“ Hoss trieb seinen Gefährten zur Eile an.
Kaum hatten sie mit Mühe den ersten Hang genommen, da

wuchs über ihnen schon der zweite auf. Dahinter aber mußten
die Hunde sein. Keuchend kämpften sie sich weiter empor.

Plötzlich stießen sie auf eine Gruppe Reiter, die auf der

anderen Seite des Berghanges offenbar einen bequemeren Weg
gefunden hatten. Hoss erkannte seinen Vater, Bruder Joe und
Hargis. Er winkte.

„Wo ist denn Curly Joe?“ rief Hargis.
„Den habe ich zuletzt in Ponderosa gesehen!“
„Unten haben wir das Vieh aufgestöbert“, berichtete Hargis.

„Das hat unsere Jagd ein bißchen durcheinandergebracht. Die
Hunde waren nicht mehr zu halten. Joe ist zurückgeblieben,
und nun wissen wir nicht, wo er steckt!“

„Am besten warten wir hier auf ihn“, schlug Hoss vor.
„Weshalb?“ wandte Hargis ein. „Der Löwe ist verbellt – nur

darauf kommt es mir an.“

„Aber erst muß ich euch noch etwas berichten!“ Mit wenigen

Worten erzählte Hoss, was mit Stark geschehen war.

„Das ist ja noch mal gutgegangen“, sagte Hargis. „Und nun

kommt zu dem Puma!“

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Der Vater zog Hoss beiseite und meinte, er könne Rimrock

nun doch nicht mehr helfen. Aber Hoss ritt weiter.

„Bestimmt ist es dein Puma“, sagte der Vater. „Als die

Hunde ihn aufstöberten, konnte ich ihn einmal ganz gut
sehen.“

Nach kurzem Ritt mußten sie alle absteigen und das letzte

Stück zu Fuß hinaufklettern. Als Hoss einen Blick zurückwarf,
sah er in der Ferne Curly Joe auf seinem Maultier
heranschaukeln.

Auch Hargis sah ihn, aber er war zu ungeduldig, um auf den

Gefährten zu warten.

Entschlossen zog er das Gewehr aus der Halterung am Sattel.
„Den brauchen wir nicht für den letzten Akt!“
Der Vater warf Hoss einen verständnisvollen Blick zu und

reichte ihm sein Gewehr. Schweren Herzens nahm Hoss die
Waffe.

Als einer der ersten erklomm er die Höhe. Dort drüben, unter

einer Fichte, waren die Hunde, bellten und bissen in den
Stamm, schnappten nacheinander, jaulten, sprangen ein Stück
hoch…

„Da ist er!“ schrie Slim. „Ich sehe ihn – auf dem großen Ast,

drei Meter über dem Boden!“

Nun war es um Rimrock geschehen! Hoss war, als habe er

den jungen Puma erst gestern gefunden. Deutlich sah er das
kleine Wesen, wie es sich verzweifelt an den verschneiten
Stamm klammerte – und wie er das Gewehr sinken ließ!

Neben ihm hob jemand das Gewehr. Erschrocken stieß Hoss

den Lauf beiseite.

„Auf diese Entfernung würdest du ihn höchstens

verwunden!“

Begütigend legte ihm der Vater die Hand auf die Schulter.
„Nimm dich zusammen, Hoss!“ mahnte er.

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Vor allen anderen kletterte Hoss den Hang hinunter, auf den

Baum zu. Eines wußte er gewiß: er würde sorgsam zielen und
einen einzigen Schuß abfeuern. Jawohl! Er selbst wollte der
Schütze sein!

Erst kurz vor dem Baum blieb Hoss keuchend stehen. Dort

oben war der Puma, ganz deutlich sah er ihn. Beide Ohren
hatte er angelegt, wütend fletschte er die Zähne und starrte
grollend auf die aufgeregten Hunde hinunter.

Aber es war gar nicht Rimrock, sondern ein ausgewachsener

Berglöwe!

Joe blieb neben dem Bruder stehen.
„Das ist er ja gar nicht!“ keuchte er.
„Nein.“ Hoss fiel ein Stein vom Herzen.
„Halt!“ schrie Hargis. Aber der Befehl kam zu spät.
Einer der Männer gab einen voreiligen Schuß mit dem

Revolver ab. Der Puma wankte, fiel aber nicht herab. Hoss hob
das Gewehr, doch dem Löwen gelang es, um den Stamm
herumzuklettern, so daß Hoss’ Kugel ihn nicht erreichen
konnte.

Es regnete Fichtennadeln. Bellend rannten die Hunde unter

dem Baum hin und her. Allmählich verlor das angeschossene
Tier den Halt, begann zu rutschen…

Dann fiel es zwischen die Hunde, ging unter in einem

bellenden, kläffenden, jaulenden Wirbel. Einer der Hunde
überschlug sich mehrmals, schrie auf und blieb leblos liegen.

Trotz seiner Verwundung kämpfte der Puma um sein Leben.

Die Jäger aber mußten tatenlos zuschauen, weil sie nicht
schießen konnten, ohne auch die Hunde zu gefährden. Dreimal
hob Hoss das Gewehr, ließ es aber immer wieder sinken.

Zum zweiten Male verlor der Jäger, der vorhin so vorschnell

geschossen hatte, die Nerven. Wieder knallte sein Revolver.
Einer der Hunde sank zusammen.

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In diesem Augenblick kam Curly Joe den Hang

heruntergelaufen. Mit vor Wut verzerrtem Gesicht stürzte er
sich mitten in die Meute und erlegte den Puma mit einem
einzigen Revolverschuß.

„Ihr Dummköpfe!“ schimpfte er dann los, indem er von

einem der betreten niederblickenden Männer zum anderen
schaute. „Habe ich nicht gesagt, Hargis, ihr solltet unbedingt
auf mich warten, falls die Hunde ihn verbellten?“

Hargis mochte sonst noch so grob sein – diesmal wagte er

keinen Widerspruch.

„Schon gut, Joe“, murmelte er. „Du hast es gesagt, ja. Leider

aber…“

„ Wer hat den Puma angeschossen?“
„Das wissen wir nicht“, murmelte Hargis. „Einer muß den

Kopf verloren haben…“

„Dafür reiße ich ihn ihm von den Schultern!“ tobte Curly Joe

weiter. „Heraus mit der Sprache: Wer war es?“

„Wer hätte das bei all der Aufregung feststellen können?“
„Blöde Hammel seid ihr alle miteinander!“ tobte der

Hundehalter weiter. Dann betrachtete er seine Hunde: drei
waren tot, und ein vierter schien so schwer verletzt zu sein, daß
ihn nur noch der Gnadenschuß erlösen konnte. Aber so schnell
gab Curly Joe nicht auf. Flink holte er Nadel und Faden hervor
und begann, dem armen Tier den aufgeschlitzten Leib
behutsamen und geschickt zuzunähen. Vater Cartwright und
seine Söhne, Hargis und sein Cowboy Slim halfen ihm. Die
anderen Teilnehmer an der wilden Jagd schlichen sich betreten
davon.

„Es sieht schlimm aus!“ murmelte Hoss mitleidig, während er

dem Tier den Kopf hielt.

„Er hat schon Schlimmeres überlebt!“ knurrte der

Hundehalter. „Wer war denn nun der Idiot, der den Löwen
angeschossen und nur verwundet hat?“

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„Das weiß ich wirklich nicht“, erwiderte Hoss.
„Es tut mir leid, daß Sie solchen Schaden haben“, versicherte

Hargis. „Natürlich werde ich Ihnen die Hunde bezahlen.“

Curly Joe schüttelte den Kopf.
„Meinen Sie etwa, Geld könne einen guten Jagdhund

ersetzen?“

Hargis hob bedrückt die Schultern.
„Schließlich kann ich die Tiere nicht wieder zum Leben

erwecken“, murmelte er.

Auch Hoss war mit dem Ausgang der Jagd ganz und gar nicht

zufrieden: drei tote Hunde, ein mühsam erlegter Puma – das
alles schien keine Ruhmestat zu sein!

Vorsichtig trug Curly Joe den verletzten Hund zu den Pferden

hinüber. Er war offenbar auf solche Unfälle vorbereitet, denn
er holte eine zusammengerollte Hängematte hervor, knüpfte
die beiden Enden so um eine Stange, daß man den winselnden
Hund in das provisorische Bett legen konnte, nahm es auf und
ging zu Fuß davon, das Maultier am Zügel führend.

„Wir begleiten ihn, Slim und ich“, sagte Hargis. „Um seine

Hunde tut es mir wirklich leid!“

Vater und Söhne schauten ihnen nach. Ben Cartwright ließ

den Blick über das Land gleiten, das sich drunten erstreckte.

„Man sollte meinen, es gäbe Platz genug für uns alle“,

murmelte er. „Für Menschen, Viehherden und wilde Tiere, die
immerhin als erste hier waren – und sogar für die Berglöwen!“

Hoss und Joe sagten nichts. Schweigend blickten auch sie in

die weite Ebene hinunter.

„Der Puma, den ich unten gesehen habe, war ganz bestimmt

dein Rimrock, Hoss!“ fügte der Vater mit ruhiger Stimme
hinzu. „Die Hunde müssen ihn verloren haben, als sie die
Witterung der großen Raubkatze aufnahmen. Vielleicht wird er
nun doch noch groß – ein richtiger, wilder Puma!“

„Das habe ich immer gehofft.“ Hoss lächelte erleichtert.

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Der Vater ergriff die Zügel seines Pferdes.
„Du mußt ja zu Fuß zu deinem Pferd zurück“, sagte er. „Wir

treffen uns unten!“

Bergab kam Hoss langsamer vorwärts als vorhin bergauf,

aber er hatte es nun gar nicht mehr eilig. Curly Joe würde so
bald seine Meute nicht mehr für eine Löwenjagd zur
Verfügung stellen. Rimrock hatte also die Möglichkeit, sich an
das Leben in der Wildnis zu gewöhnen.

Endlich erreichte Hoss die Pferde. Er schwang sich in Paiutes

Sattel und führte Slims Tier am Zügel.

Kaum zehn Minuten später erblickte er Rimrock! Der Puma

kauerte auf einem großen Felsbrocken und schaute zu ihm
herunter.

„Um Gottes willen!“ rief Hoss erschrocken. „Wenn du mir

nun wieder nachläufst…“

Einen Augenblick lang überlegte er, ob er Rimrock vielleicht

erschrecken sollte, indem er ganz dicht neben ihm das Gewehr
abschoß. Aber dann begnügte er sich damit, dem jungen Tier
empörte Vorwürfe zuzurufen. Abschließend wollte er
erproben, ob seine Worte die richtige Wirkung gehabt hatten.

„Komm, komm, Rimrock!“ lockte er.
Der Berglöwe sprang herunter und verschwand für einen

Augenblick hinter allerlei Geröll. Hoss schlug sich vor die
Stirn.

„Was für eine Verrücktheit!“ schalt er sich. „Nun habe ich

ihn wieder auf dem Hals!“

Aber Rimrock kam gar nicht zu ihm! Vielmehr zeigte er dich

erst wieder in einiger Entfernung, und Hoss schaute ihm nach,
wie er einen steinigen Hang erklomm. Noch einmal rief Hoss –
mit dem Erfolg, daß Rimrock noch schneller fortlief!

Offenbar hatte er nun doch gemerkt, wo seine Heimat war.

Hunde, Pferde, Gebrüll und Getrampel – all das Schreckliche,
das einen erwartete, wenn man den Menschen zu nahe kam…

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Nein, Rimrock lief nun dahin, wohin er in Wirklichkeit
gehörte!

Hoss riß das Gewehr hoch und schoß zwischen die

Felsblöcke, mindestens dreißig Meter an dem Puma vorbei,
Schuß auf Schuß, bis das Magazin leer war.

Lauf, Rimrock, lauf [dachte er. Und begreife, daß von nun an

jeder Mensch dein Feind ist! Zeige dich nie einem Menschen,
sondern laufe davon und führe dein eigenes Leben, für das du
geboren wurdest!

Als der letzte Schuß verhallte, war Rimrock nicht mehr zu

sehen. Eine lange Weile schaute Hoss in die leblose, steinerne
Bergwelt hinauf – und in seinem Gesicht spiegelten sich
Erleichterung und Schmerz.


Ende


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