Jagiellonen-Universität
Institut für Germanistik
WS 2004/2005
Vorlesung: Deskriptive Grammatik des Deutschen - Substantivwörter - Substantiv
Leiter: Andrzej S. Feret Ph.D.
Substantive sind Wörter mit ausgeprägter lexikalischer Bedeutung, die unabhängig von Kontextbedingungen ist, d. h. sie gehören zu den sog. Autosemantika. Alle Substantive werden im Deutschen groß geschrieben. Zu den Kategorien, die von Substantiven getragen werden, gehören: Genus Nominale, Kasus und Numerus.
Als morphologischer Exponent des Genus (eine formal-grammatische Kategorie) gilt das bei einem Substantiv stehende Artikelwort. Die Kategorie des Genus Nominale kann dreierlei repräsentiert werden: als Maskulinum, Femininum oder Neutrum, wobei die Zugehörigkeit eines Substantivs zu einem Genus von Sprache zu Sprache wechseln kann, d. h. durch die sprachgeschichtliche Entwicklung einzelsprachlich konventioniert und heute nur teilweise semantisch bzw. einzig und allein formal motiviert ist. Daraus resultiert, dass das grammatische Genus mit dem natürlichen (Sexus) nur selten übereinstimmt wie bei:
Verwandtschaftsnamen: der Vater - die Mutter
Berufsbezeichnungen: der Koch - die Köchin
Tiernamen: der Hahn - die Henne
Daneben gibt es Substantive, die mehrere Genera Nominale zugleich repräsentieren können. Dazu gehören:
Substantive mit schwankendem Genus: der / das Keks, der / die / das Dschungel
Homonyme (Dabei handelt sich es sich um zumindest zwei sprachgeschichtlich voneinander unabhängige Substantive mit demselben Formativ, jedoch mit unterschiedlicher Bedeutung.): das Stift / der Stift
Das Genus Nominale kann auch an der Form bzw. am Suffix erkannt werden. (vgl. dazu die Tabelle unten)
Maskulina
Form / Suffix |
Beispiele |
-ich |
Teppich, Fittich |
-ig |
König, Käfig - aber: das Reisig (dürrer Zweig) |
-ling |
Schmetterling, Zwilling - aber: die Reling |
-s |
Schnaps, Klaps |
-and |
Konfirmand, Doktorand |
-ant |
Aspirant, Brillant |
-är |
Aktionär, Parlamentär - aber: das Militär |
-ast |
Dynast, Phantast |
-eur / -ör |
Amateur, Likör |
-(i)ent |
Interessent, Inspitient |
-ier […ie:] |
Bankier, Routinier - aber: das Dossier |
-ier |
Offizier, Kavalier |
-iker |
Graphiker, Fanatiker |
-ikus |
Musikus, Kanonikus |
-ismus |
Idealismus, Realismus |
-ist |
Anarchist, Artist |
-or |
Motor, Regulator |
Deverbativa auf -ø (Nullsuffix) |
Klang, Betrieb |
Feminina
Form / Suffix |
Beispiele |
-ei |
Bücherei, Jägerei |
-in |
Löwin, Freundin |
-heit |
Freiheit, Einheit |
-keit |
Höflichkeit, Kleinigkeit |
-schaft |
Freundschaft, Eigenschaft |
-ung |
Achtung, Nahrung |
-a |
Kamera, Aula |
-ade |
Ballade, Fassade |
-age |
Spionage, Garage |
-äse |
Majonäse, Polonäse |
-ance |
Renaissance, Mesalliance |
-anz |
Konferenz, Differenz |
-elle |
Bagatelle, Zitadelle |
-ät |
Qualität, Mobilität |
-ie […ie] |
Materie, Folie |
-ie […i:] |
Kolonie, Geographie - aber: das Genie |
Zweisilber auf -e |
Lampe, Wange |
-(i)enz |
Audienz, Existenz |
-(i)ere |
Misere, Bonbonniere - aber: der Gondoliere |
-ik |
Musik, Politik |
-ine |
Margarine, Blondine |
-ion |
Reduktion, Explosion |
-isse |
Kulisse, Prämisse |
-(i)tät |
Fakultät, Kapazität |
-itis |
Bronchitis, Rachitis |
-ive |
Defensive, Alternative |
-ose |
Sklerose, Tuberkulose |
-sis |
Basis, Dosis |
-se |
Genese, Analyse |
-ur |
Natur, Kultur |
-üre |
Konfitüre, Broschüre |
Deverbativa auf -t |
Fahrt, Schlacht |
Neutra
Form / Suffix |
Beispiele |
Diminutiva auf -chen, -lein, -le |
Mädchen, Fräulein, Hannele |
-tel |
Drittel, Viertel |
-tum |
Eigentum, Christentum - aber: der Irrtum |
-um |
Zentrum, Neutrum |
-eau […o:] |
Niveau, Büro |
-il |
Krokodil, Ventil |
-ett |
Amulett, Etikett - aber: der Kadett |
-in |
Benzin, Insulin |
-ing |
Doping, Jogging - aber: der Pudding |
-(i)um |
Studium, Gremium |
-ma |
Asthma, Dogma |
-ment |
Argument, Dokument |
-ment […mã:] |
Appartement, Engagement |
konvertierte Infinitive |
Singen, Lernen |
Kollektiva mit dem Präfix ge- |
Gebirge, Gerede |
Darüber hinaus lassen sich im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einem Genus folgende Gruppen nennen.
Maskulina
männliche Lebewesen (Personen und Tiere)
Tage, Monate, Jahreszeiten, Himmelrichtungen, Witterungserscheinungen, Niederschläge
Mineralien, Gesteine, Berge, Gebirge,
Währungen
Autos
Spirituosen
Feminina
weibliche Lebewesen (Personen und Tiere)
viele Flüsse
Bäume
Viele Blumen
Schiffsnamen
Waldbäume (aber: der Ahorn)
Ziffern, Kardinalzahlen
Flugzeuge
Zigarettensorten
Neutra
junge Lebewesen (Personen und Tiere)
Tiernamen
Städte, die meisten Orte, Länder, Kontinente
Metalle, chemische Elemente, chemische Verbindungen, physikalische Einheiten, Medikamente
substantivierte Adjektive und Partizipien als Abstrakta: das Schöne, das Verabredete
Bruchzahlen, Noten, Namen von Buchstaben
Hotels, Kinos
Sprachen
Wasch- und Reinigungsmitteln
Eine weitere (syntaktische) Kategorie - Kasus (Pl. Kasus) hat die Aufgabe, die Beziehungen des Substantivs zu anderen Elementen im Satz mithilfe morphologischer Mittel auszudrücken. Im Deutschen wird zwischen den reinen (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) und präpositionalen Kasus unterschieden. Zwischen den beiden gibt es in syntaktischer Hinsicht keinen Unterschied. Ihre syntaktische Funktion ergibt sich aus der Rolle der Kasus in Bezug auf das jeweilige übergeordnete Wort. Bei den reinen Kasus gibt es dabei einen direkten Kontakt zwischen dem regierenden Wort und dem regierten Substantiv. Beim Präpositionalkasus dagegen besteht ein indirekter, mittelbarer Kontakt, d. h. zwischen dem regierenden Wort und dem regierten Substantiv vermittelt eine Präposition. Diese wird vom regierenden Wort gefordert und fordert ihrerseits den Kasus des regierten Substantivs.
Wir erhoffen das baldige Ende. vs. Wir hoffen auf das baldige Ende.
Kasus haben keine Gesamt- bzw. Grundbedeutung. So z. B. kommen treffen und begegnen in den Beispielsätzen unten ohne inhaltlichen Unterschied vor:
Er trifft seinen Freund.
Er begegnet seinem Freund.
Der inhaltliche Unterschied wird dagegen deutlich, wenn mehrere Kasus nebeneinander in der Umgebung eines Verbs stehen: z. B. Er gibt der Freundin die Blumen.
Die letztgenannte (semantische) Kategorie - Numerus gibt an, ob mit einem Substantiv ein (Singular - Einzahl) oder mehrere (Plural - Mehrzahl) Exemplare bezeichnet werden. Bei der Pluralbildung unterscheidet man folgende Gruppen:
Substantive mit suffixlosem Plural: z. B. der Wagen - die Wagen (ohne Umlaut)
der Bruder - die Brüder (mit Umlaut des Stammvokals)
Substantive mit Pluralsuffixen:
-e: z. B. die Bank - die Bänke, der Stern - die Sterne
-er: z. B. der Mann - die Männer
-n: z. B. der Knabe - die Knaben
-en: z. B. das Herz - die Herzen
-s: z. B. das Kino - die Kinos
Suppletivbildungen - ein und dieselbe lexikalische Bedeutung wird mit zwei verschiedenen Stämmen ausgedrückt: z. B. der Mensch - die Leute
Zahlreiche Substantive des Deutschen kommen in den beiden Numeri vor. Daneben gibt es aber auch solche, die aufgrund ihrer Bedeutung nur auf einen Numerus beschränkt sind. Substantive, mit denen stets ungegliederte Objekte der außersprachlichen Realität bezeichnet werden und aus dem Grund nur im Singular stehen, werden als Singulariatantum bezeichnet. Dagegen alle Substantive, die immer nur gegliederte Objekte bezeichnen und daher nur im Plural vorkommen, werden Pluraliatantum genannt. Zu den Singulariatantum gehören:
Stoffnamen im allgemeinen Kontext, Bezeichnungen vieler Stoffe natürlichen Vorkommens wie
chemische Elemente: Sauerstoff
Mineralien: Quarz
Witterungsprodukte: Schnee
pflanzliche und tierische Produkte: Gummi, Wolle
Lebens - und Genussmittel: Butter, Wein
Bei einigen Stoffarten ist dabei der Plural möglich, wenn das Substantiv fachsprachlich gebraucht wird: z. B. Stähle.
Sammelnamen (Kollektiva) - Bezeichnungen einer einheitlichen Klasse wie:
Personengruppen: Bevölkerung
Tier- und Pflanzenklassen: Wild, Getreide
Sachgruppen: Schmuck
Abstrakta - als ungegliederte Allgemeinbegriffe: Fleiß, Erziehung
Eigennamen.
Zu den Pluraliatantum gehören dagegen:
geographische Namen wie:
Namen von Gebirgen: Alpen
Inselgruppen: Kurilen
Länder: USA
Personengruppen: Großeltern, Honoratioren
Zeitabschnitte: Ferien, Flitterwochen
Krankheiten: Masern, Pocken
Sammelbegriffe im Handel und in der Wirtschaft: Chemikalien, Textilien
Finanz- und Rechtsbegriffe: Aktiva, Alimente
Begriffe menschlichen Verhaltens: Umtriebe
Andere: Realien, Memoiren.
Substantive werden nach Kasus, Numerus und Genus dekliniert. Im Deutschen unterscheidet man zwischen vier Deklinationstypen, wobei als Kriterien die Bildung vom Plural sowie vom Genitiv Singular genannt werden.
Deklinationstyp I (starke Deklination) - wird durch maskuline und neutrale Substantive repräsentiert, deren Genitiv Singular auf -es oder -s endet. Im Dativ kann auch bei einigen Substantiven das Suffix -e erscheinen. Dies ist meistens in festen Wendungen der Fall (z. B. im Grunde).
der Vater das Bild
des Vaters des Bildes
dem Vater dem Bild(e)
den Vater das Bild
Deklinationstyp II (schwache Deklination) - wird durch maskuline Substantive repräsentiert, deren Singular, außer Nominativ, auf -en endet. Im Plural steht in allen vier Kasus das Suffix -en.
der Mensch die Menschen
des Menschen der Menschen
dem Menschen den Menschen
den Menschen die Menschen
Deklinationstyp III (gemischte Deklination) - wird durch maskuline und neutrale Substantive repräsentiert, deren Genitiv Singular auf -ens endet, während der Dativ auf -en ausgeht. Das Suffix -en steht auch bei Maskulina im Akkusativ. Im Plural steht in allen vier Kasus das Suffix -en.
der Glaube das Herz die Herzen
des Glaubens des Herzens der Herzen
dem Glauben dem Herzen den Herzen
den Glauben das Herz die Herzen
Deklinationstyp IV (weibliche Deklination) - wird durch feminine Substantive repräsentiert, deren Singular suffixlos ist. Im Plural steht in allen vier Kasus das Suffix -e (-en im Dativ) oder -(e)n. Bei vielen wird zusätzlich der Stammvokal umgelautet.
die Hand die Hände die Schwester die Schwestern
der Hand der Hände der Schwester der Schwestern
der Hand den Händen der Schwester den Schwestern
die Hand die Hände die Schwester die Schwestern
Einen Sonderfall stellen Eigennamen dar, da ihre Deklination von den vier oben genannten Typen abweicht. Dabei gelten folgende Regeln:
Personennamen mit einem Artikelwort bleiben im Genitiv suffixlos: z. B. die Rede des Meier.
Personennamen mit dem Nullartikel bekommen im Genitiv das Suffix -s: z. B. die Rede Meiers.
Bei mehreren Namen mit dem Nullartikel erhält nur der Letzte das Suffix -s im Genitiv: z. B. die Rede Horst Meiers.
Mehrere Namen mit Artikelwort bekommen kein Suffix im Genitiv: z. B. die Rede des Horst Meier.
Bei Personennamen mit einem Titel bzw. einer Berufsbezeichnung bzw. einer Anredeform bekommt nur der Name das Suffix -s: z. B. die Rede Professor Meiers.
Bei Personennamen mit einem Titel bzw. einer Berufsbezeichnung bzw. einer Anredeform, die mit einem Artikelwort stehen, bekommt nur der Titel bzw. die Berufsbezeichnung bzw. die Anredeform das Suffix -s im Genitiv: z. B. die Rede des Professors Meier. (Fräulein und Doktor stehen immer ohne -s.)
Geographische Namen erhalten, soweit sie Maskulina oder Neutra sind, im Genitiv das Suffix -s, wenn sie mit dem Nullartikel gebraucht werden: z. B. die Teilung Deutschlands, Schwedens Königin.
Substantive können nach morphologischen, syntaktischen und semantischen Kriterien klassifiziert werden.
Die morphologische Klassifizierung ergibt das folgende Bild:
nach Deklinationstypen (I, II, III, IV)
nach Zugehörigkeit zu einem Genus (Maskulinum, Femininum, Neutrum, schwankender Genus)
nach Teilhabe am Numerusparadigma (sowohl Singular als auch Plural, Singularetantum, Pluraletantum)
Nach syntaktischen Kriterien werden Substantive folgendermaßen eingeteilt:
Aufgrund der Valenz unterscheidet man:
absolute (nullwertige) Substantive (Sie verfügen über die syntaktische Valenz nicht und somit eröffnen keine Leerstellen. Dazu gehören zumeist Konkreta.)
relative Substantive (Sie weisen die syntaktische Valenz auf, so dass sie Leerstellen eröffnen können. Dazu gehören zumeist deverbale und deadjektivische Abstrakta, die satzwertig sind.)
Nach der Zahl und Art der Aktanten lassen sich drei Klassen aufzählen, wobei Aktanten als nachgestellte nominale oder infinitivische Attribute (valenzgebundene bzw. Rektionsattribute) realisiert werden:
einwertig: z. B. die Größe des Anzuges
zweiwertig: z. B. die Armut des Landes an Rohstoffen
dreiwertig: z. B. die Überreichung der Blumen an die Gaste durch den Wirt
Bei Substantiven, die von Verben abgeleitet worden sind, kann es sich um folgende Fälle handeln:
Nomina actionis, die Tätigkeiten ausdrücken: z. B. die Überreichung
Nomina agentis, die den Täter angeben: z. B. der Raucher
Nomina acti, die das Ergebnis der Handlung nennen: z. B. die Lieferung
Nomina instrumenti, die das Mittel bzw. Instrument bezeichnen, mit dem eine Handlung ausgeführt wird: z. B. der Bohrer
Nach semantischen Kriterien werden die Substantive zuerst in Gattungsnamen (Appelativa) und Eigennamen unterteilt. Die Erstgenannten können sowohl eine Klasse gleichartiger Erscheinungen als auch deren einzelne Glieder bezeichnen. Die Eigennamen dagegen bezeichnen ausschließlich einzelne Glieder einer Klasse / Gattung. Gattungsnamen werden weiter eingeteilt in Konkreta und Abstrakta. Die Letztgenannten bezeichnen Erscheinungen, die nicht sinnlich wahrnehmbar sind, während mit den Konkreta das sinnlich Wahrnehmbare bezeichnet wird. Konkreta unterteilt man ferner in (zählbare) Individuativa, (nicht belebte) Stoffnamen und Kollektiva (Sammelbegriffe). Die Einordnung in eine der obigen Gruppen hängt von der Verwendung eines Substantivs im konkreten Satz ab: z. B. die Jugend kann sowohl als Kollektivum als auch als Abstraktum interpretiert werden. (vgl. die Abbildung unten)
Substantive
Gattungsnamen Eigennamen
Konkreta Abstrakta Personennamen geographische Namen Produkte
Individuativa Eigenschaften Vorgänge Orte Bergen Länder …
Stoffnamen Zustände …
Kollektiva
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