Leutnant Gustl opracowanie


Leutnant Gustl (im Original: Lieutenant Gustl) ist eine Novelle von Arthur Schnitzler. Sie wurde 1900 in der Weihnachtsbeilage der Neuen Freien Presse erstmals veröffentlicht und erschien 1901 mit Illustrationen von M. Coschell im Verlag S. Fischer (Berlin).

Der Text ist gänzlich als innerer Monolog gestaltet, was als Neuheit in der deutschsprachigen Literaturgeschichte gewürdigt wird; er stellt die Ängste, Obsessionen und Neurosen eines jungen Leutnants der k.u.k. Armee aus der Innenperspektive des Protagonisten dar.

Schnitzlers Novelle wurde 1962 verfilmt, unter anderem mit Hans Moser.

Inhalt

Im Anschluss an ein abendliches Konzert, das er gelangweilt verfolgt hat, gerät Gustl an der Garderobe des Konzerthauses in einen Streit mit Habetswallner, einem ihm bekannten Bäckermeister. Gustl will seinen Säbel ziehen, wird aber durch seinen körperlich überlegenen Kontrahenten daran gehindert und als „dummer Bub“ beschimpft. Die Schmach, von einem gesellschaftlich tiefer stehenden Bäckermeister beleidigt worden zu sein, vermag Gustl nicht zu verwinden. Dem militärischen Ehrenkodex verhaftet, beschließt er, am nächsten Morgen um sieben Uhr Suizid zu begehen, unabhängig davon, ob der Bäckermeister den Vorfall publik machen wird.

Auf seinem Weg nach Hause durchquert Gustl den Wiener Prater. Der Duft der ersten Frühlingsblumen lässt ihn in seinem Selbstmordentschluss wanken. Das Wissen, von all den schönen Dingen Abschied nehmen zu müssen, entfacht in ihm eine neue Lebenslust. Die Erinnerung an seine Familie, insbesondere an seine Mutter und seine Schwester, sowie an diverse, aktuelle und verflossene Geliebte versetzt ihn in tiefe Betrübnis, die er mit der Feststellung, als österreichischer Offizier zum Suizid verpflichtet zu sein, vergeblich zu betäuben versucht.

Er schläft auf einer Parkbank ein und erwacht erst am frühen Morgen. Bevor er nach Hause gelangt, wo er seinen Revolver gegen sich zu richten beabsichtigt, kehrt er in sein Stammkaffeehaus ein. Der dort arbeitende Kellner Rudolf berichtet Gustl, sein Beleidiger Habetswallner sei in der Nacht unerwartet an einem Schlaganfall gestorben. Über alle Maßen erleichtert, nimmt Gustl freudig von seinen Suizidplänen Abstand und ergeht sich in Betrachtungen anstehender Unternehmungen. So wird er sich schon am Nachmittag desselben Tages mit einem Kontrahenten duellieren (Dich hau' ich zu Krenfleisch!).

Deutung

Leutnant Gustl ist ein Paradebeispiel für die Erzähltechnik des ununterbrochenen Inneren Monologs. Der Schauplatz der Handlung ist ausschließlich Gustls Denken. Daher wird der Akzent nicht von einem Erzähler auf bestimmte Aspekte der Handlung gelegt, sondern der Leser muss Gustls Gedanken werten. Gustl zieht sein Selbstwertgefühl allein aus seiner Uniform; er bedauert es, keinen Krieg erlebt zu haben und verachtet Nichtmilitärs, wie man an seiner groben Behandlung des Bäckers sieht. Als diese Autorität erschüttert wird, scheint Gustl konsequent zu seinen Ehrbegriffen zu stehen; doch als er vom Tod Habetswallners erfährt, vergisst er seinen Vorsatz sofort. Der Ehrbegriff des K.u.k.-Militärs wird als hohl und selbstgerecht entlarvt. Dass manche bürgerliche Zivilisten schon längst gefahrlos den Respekt vor einem jungen vorlauten Leutnant verlieren können, zeigt die Fassadenhaftigkeit seines Selbstbildes. Viele seiner Gedanken drehen sich um Frauen, mit denen er Affären hatte. Gustl ist überzeugt, ungemein attraktiv auf diese Frauen gewirkt zu haben, hat längerfristige Bindungen aber immer abgelehnt, da diese Mädchen („Menscherl“) nicht gesellschaftsfähig waren. Gleichzeitig findet sich beim Leutnant ein rüder Antisemitismus, der sich immer wieder gegen die jüdische Bevölkerung in Wien und in der Armee richtet. Als Bezugspunkt gilt hier auch die Dreyfus-Affäre, die sich zur selben Zeit in Frankreich abspielte.

Das Militär um die Jahrhundertwende in Österreich-Ungarn pflegte einen Ehrenkodex, der zeittypische Besonderheiten aufwies: So bestand noch bis 1911 (danach nur noch bei Ehebruch und wenigen weiteren Ausnahmen) die „Pflicht“ für jeden Offizier, einer Duellierforderung unbedingt nachzugehen. Schnitzler traf mit der Novelle Leutnant Gustl die Schwachstelle dieses Ehrenkodexes, denn „satisfaktionsfähig“, also mit der Waffe zur Rechenschaft zu ziehen, waren nur Adelige, Militärs und Akademiker. Gustl, der sich von einem einfachen Bäckermeister bedroht fühlte, konnte seine Ehre also nicht mittels eines Duells verteidigen oder zurückerlangen, was ihn schließlich zum Suizid für die verlorene Würde treiben musste.

Rezeption

Als offene Anklage des Militarismus und des Gesellschaftsbildes vom kaiserlichen Offizier erfuhr die Erzählung schon kurz nach ihrer Veröffentlichung harsche Kritik, vor allem von Seiten des Militärs[1]. Schnitzler, der selbst das Offiziersdiplom der Doppelmonarchie besaß, wurde infolge dessen des Offiziersstandes enthoben und galt fortan nur noch als gewöhnlicher Militär.

Literaturgeschichtliche Bedeutung

Die literaturgeschichtliche Besonderheit und Leistung der Erzählung begründet Hartmut Scheible in seiner Schnitzler-Monographie in der durch die erzähltechnische Ausweitung des inneren Monologs ermöglichten kritischen Darstellung der Einheit von Seelen- und Gesellschaftsleben: Schnitzler, der diese Technik in die deutschsprachige Literatur einführt, steigert sie im Leutnant Gustl zugleich zu einem Gipfel ihrer Leistungsfähigkeit: „Drei Dutzend Seiten genügen, um ein erstaunlich vollständiges Bild der österreichischen Republik zu entwerfen…”

Kritik:

"Leutnant Gustl" ist das erste Werk in der deutschen Literaturgeschichte, das nur aus einem inneren Monolog besteht. Wir folgen den Gedanken eines jungen k. u. k. Offiziers, der sich in seiner falsch verstandenen Ehre verletzt fühlt und deshalb vorhat, sich am Morgen um 7 Uhr zu erschießen.

Inhaltsangabe:

Wie lange wird denn das noch dauern? Ich muss auf die Uhr schauen ... schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer sieht's denn? Wenn's einer sieht, so passt er gerade so wenig auf, wie ich, und vor dem brauch' ich mich nicht zu genieren ... Erst viertel auf zehn? ... Mir kommt vor, ich sitz' schon drei Stunden in dem Konzert. Ich bin's halt nicht gewohnt ... Was ist es denn eigentlich? Ich muss das Programm anschauen ... Ja, richtig: Oratorium? Ich hab' gemeint: Messe. Solche Sachen gehören doch nur in die Kirche. Die Kirche hat auch das Gute, dass man jeden Augenblick fortgehen kann. -- Wenn ich wenigstens einen Ecksitz hätt'! -- Also Geduld, Geduld! Auch Oratorien nehmen ein End'!

So beginnt die Novelle.

Der 23 oder 24 Jahre alte Leutnant Gustl hat eine Eintrittskarte für ein Oratorium geschenkt bekommen, und zwar von einem Bekannten, dessen Schwester im Chor singt. Hin und wieder gefällt dem Leutnant die Musik: "Orgel auch? ... Orgel hab' ich sehr gern ... So, das lass' ich mir g'fall'n -- sehr schön! Es ist wirklich wahr, man sollt' öfter in Konzerte gehen." Aber die meiste Zeit ist er mit seinen Gedanken anderswo, etwa bei der Kurtisane Steffi, die ihm schrieb, dass sie heute Abend mit einem anderen ausgehen müsse. Es ist also ihre Schuld, dass er still in diesem Konzertsaal sitzen muss.

Ja, was ist denn? Jetzt muss es doch bald aus sein? ... "Ihr, seine Engel, lobet den Herrn" ... -- Freilich, das ist der Schlusschor ... Wunderschön, da kann man gar nichts sagen. Wunderschön!

In dem Gedränge an der Garderobe ärgert sich Leutnant Gustl, weil es ihm nicht schnell genug geht. "Sie, zweihundertvierundzwanzig! Da hängt er! Na, hab'n Sie keine Augen? Da hängt er!" Ein korpulenter Herr vor ihm mahnt: "Geduld, Geduld!" Aber da kommt er bei dem schneidigen Leutnant an den Rechten: "Sie, halten Sie das Maul!" Der andere dreht sich um. Leutnant Gustl kennt ihn aus dem Kaffeehaus. Es ist der Bäckermeister Habetswallner. "Was macht denn der da? Hat sicher auch eine Tochter oder so was bei der Singakademie." Der kräftige Bäcker packt den Säbel des Offiziers und sagt leise, aber bestimmt: "Sie, Herr Leutnant, sein S' jetzt ganz stad. ... Herr Leutnant, wenn Sie das geringste Aufsehen machen, so zieh' ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech' ihn und schick' die Stücke an Ihr Regimentskommando. Versteh'n Sie mich, Sie dummer Bub?" Dann verabschiedet sich der Bäckermeister freundlich und geht.

Leutnant Gustl ist verwirrt. Wieso hat er den Kerl nicht auf der Stelle erschlagen? Soll er ihm nachlaufen und ihn töten? Nein, jetzt ist es zu spät. "Wo ist denn mein Mantel? ... Ich hab' ihn ja schon angezogen ... Ich hab's gar nicht gemerkt." Er geht hinaus auf die Straße und läuft ziellos durch Wien.

Außer den beiden Kontrahenden hat niemand etwas von dem Vorfall gemerkt. Aber könnte es nicht sein, dass Habetswallner seiner Frau oder seiner Tochter davon erzählt?

Und selbst, wenn er es nicht tut: Leutnant Gustls Ehre wurde verletzt. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich zu töten. Seine Pistole hat er nicht bei sich, aber morgen früh um 7 Uhr wird er sich zu Hause erschießen. Auf einer Bank im Prater schläft er ein. Im Morgengrauen kehrt er zurück. Seiner Schwester Klara sollte er wohl einen Abschiedsbrief schreiben. Oder besser doch nicht. Weil er Hunger hat, geht er auf einen Sprung ins Kaffeehaus. Während der Kellner Kaffee und frische Semmeln serviert, erzählt er dem Leutnant, dass Bäckermeister Habetswallner in der Nacht vom Schlag getroffen wurde und tot ist.

Ich glaub', so froh bin ich in meinem ganzen Leben nicht gewesen ... Tot ist er -- tot ist er! Keiner weiß was, und nichts ist g'scheh'n! -- Und das Mordsglück, dass ich in das Kaffeehaus gegangen bin ... sonst hätt' ich mich ja ganz umsonst erschossen ...

Jetzt ist Leutnant Gustl wieder guter Dinge. Er wird jetzt gleich in die Kaserne gehen und sich von seinem Burschen kalt abreiben lassen. Dann wird exerziert. Steffi wird er schreiben, dass sie sich auf jeden Fall heute Abend für ihn frei machen soll. Am Nachmittag ist er noch mit einem Doktor der Jurisprudenz zum Duell verabredet, der zu ihm sagte: "Herr Leutnant, Sie werden mir doch zugeben, dass nicht alle Ihre Kameraden zum Militär gegangen sind, ausschließlich um das Vaterland zu verteidigen!"

Buchbesprechung:

"Leutnant Gustl" ist das erste Werk in der deutschen Literaturgeschichte, das nur aus einem inneren Monolog besteht. Wir folgen den Gedanken eines jungen k. u. k. Offiziers, der sich in seiner falsch verstandenen Ehre verletzt fühlt und deshalb vorhat, sich am Morgen um 7 Uhr zu erschießen. Ziellos schweifen seine Gedanken herum, sie bleiben immer an der Oberfläche, sind zum großen Teil nichts anderes als Vorurteile und Redensarten.

Überhaupt, dass sie noch immer so viel' Juden zu Offizieren machen -- da pfeif' ich auf'n ganzen Antisemitismus! Neulich in der Gesellschaft, wo die G'schicht' mit dem Doktor passiert ist bei den Mannheimers ... die Mannheimer selber sollen ja auch Juden sein, getauft natürlich ... denen merkt man's aber gar nicht an -- besonders die Frau ... so blond, bildhübsch die Figur ... War sehr amüsant im ganzen. Famoses Essen, großartige Zigarren ... Na ja, wer hat's Geld?

Obwohl er bis zum Morgen glaubt, sein Tod sei unvermeidlich, ist er nicht fähig, sich ernsthaft mit seinem Leben oder kritisch mit dem Ehrenkodex auseinanderzusetzen. Deshalb wird ihm auch nicht bewusst, wie einsam er ist. Sogar bei seinen erotischen Abenteuern ist er seit jeher auf Kurtisanen angewiesen.

Die Novelle "Leutnant Gustl" wurde 1900 als Skandal empfunden. Ein militärisches Ehrengericht nahm Arthur Schnitzler den Rang eines Oberarztes, weil er "als dem Offiziersstand angehörig die Ehre und das Ansehen der österreichisch-ungarischen Armee geschädigt und herabgesetzt" habe.

Sprachliche u. stilistische Merkmale: Schnitzler verwendet hier zum erstenmal den "inneren Monolog": Gedanken und Gefühle des erlebenden Ichs werden sprachlich so wiedergegeben wie sie im Bewusstseinsstrom auftauchen. Das Verb steht im Präsens. Der innere Monolog ermöglicht Schnitzler die vertiefte Darstellung der menschlichen Psyche.

Inhalt:

Leutnant Gustl hat von einem Freund Karten für ein Konzert bekommen. Nun sitzt er in einem Wiener Konzertsaal und langweilt sich. Anstatt sich auf das schöne Oratorium zu konzentrieren, wirft er lieber wildfremden Mädchen Blicke zu und denkt an alles mögliche, nur nicht an die Musik. Als das Konzert endlich aus ist, drängt er sich zur Garderobe wo es durch das Drängen und Stoßen des jungen Offiziers zu einer Auseinandersetzung mit einem Bäckermeister, den Gustl aus seinem Stammcafé kennt, kommt. Der junge Gustl kann seinen Säbel nicht ziehen, da der wesentlich stärkere Bäckermeister seine Waffe in der Scheide hält und dem junge Offizier droht das Schwert zu zerbrechen, wenn er nicht Ruhe gibt. Doch damit nicht genug er nennt ihn auch noch einen "dummen Bub". Als Gustl ganz verwirrt vor dem Konzerthaus steht und die vorangegangenen Ereignisse analysiert überkommt es ihn plötzlich: Er wurde in seiner Ehre beleidigt! Deshalb beschließt er sich umzubringen. Er spaziert ziellos herum und denkt nach, was er tun könnte damit er nicht Selbstmord begehen muss. Gustl überlegt sogar nach Amerika auszuwandern. Er kommt in den Prater und erkennt, dass es keinen anderen Ausweg aus dieser verzwickten Lage gibt, außer dass er sich umbringt. Er setzt sich auf eine Bank und schläft ein.

Als er am nächsten Morgen erwacht spaziert er wieder zurück in die Stadt. Er kommt zum Nordbahnhof, wo er einen Freund vom Militär trifft, der gerade mit einer Kompanie zum Schießplatz marschiert. Gustl denkt über seine letzten Tage und Wochen nach, über seine Familie (ob sie sich wohl kränken werden; über seine Schwester Klara die keinen Mann bekommt) über seine Freunde, über seine heimliche Geliebte namens Steffi und über das, was er hätte machen können, um diese ausweglose Situation zu verhindern. Als er an einer Kirche vorbeikommt macht er einen kurzen Abstecher hinein. Dann nimmt er Kurs auf sein Stammcafé um noch einmal zu frühstücken. Dort angelangt erfährt er vom Ober Rudolf, dass vergangene Nacht den Bäckermeister der Schlag getroffen hat und gestorben sei. Gustl kann es gar nicht fassen und ist überglücklich. Der junge Offizier muss sich nicht umbringen.

Problematik:

Der in seiner Ehre verletzte Offizier wird durch den Ehrenkodex des k. u. k. Offizierskorps dazu verpflichtet durch ein Duell seine Ehre wiederherzustellen. Doch Gustl konnte sich nicht mit dem Bäckermeister duellieren, da dieser ja den Säbel des jungen Offiziers hielt. Ein späteres Duell verbietet der Kodex und so war Gustl für alle Zeit gebrandmarkt. Wenn seine Vorgesetzten von diesem peinlichen Zwischenfall erfahren hätten, wäre aus dem Militärdienst entlassen worden und für eine andere Arbeit außer diese soll Gustl, wie er selber sagt, "zu dumm" sein. Er steigert sich auch immer mehr in die Sache hinein und verstrickt sich in Widersprüchen. Auch zeigt Arthur Schnitzler (der ja Jude war) in der Person der Leutnant stark den Antisemitismus der zu jener Zeit (um die Jahrhundertwende) in Wien, einem Schmelztiegel der Kulturen dieses großen Kaiserreiches Österreich, geherrscht haben muss.

Wichtigste vorkommende Personen:

Leutnant Gustl: Leutnant des k.u.k. Offizierskorps, oberflächlich, arrogant, in seinem Innersten leicht verletzlich, hat Angst um seine gesellschaftliche Position, kein Held.

Bäckermeister Habetswallner: einfach direkt, da er gesellschaftlich unter Leutnant Gustl steht: nicht satisfaktionsfähig.

Steffi: ist anderweitig gebunden, trotzdem Verhältnis mit Leutnant Gustl.

Interpretation

Schnitzler hat mit dieser Novelle eine realistische Studie über einen Einzelfall verfasst, dessen psychischer Zustand symptomatisch für den Zustand der Gesellschaft und des Kastenwesens des Militärs ist. Die Novelle ist auch eine Satire auf den Ehrencodex des k.u.k. Offizierskorps. Nach Veröffentlichung begann auch gegen Schnitzler ein ehrenrätliches Verfahren und er wurde 1901 seines Offizierscharakters für verlustig erklärt.

Schnitzler war der erste deutschsprachige Autor, der sich des Stilmittels des „inneren Monologs“ bediente. Die Novelle zeigt impressionistische Züge, es wird nicht das Gegenständliche geschildert, sondern das Gegenständliche ist Anlass der Empfindungen und der seelischen Regungen.

Die vertiefende Darstellung der menschlichen Psyche ist charakteristisch für die um die Jahrhundertwende einsetzende wissenschaftliche Erforschung des Unbewussten. Gleichzeitig mit Schnitzlers Leutnant Gustl erschien Sigmund Freuds „Traumdeutung“ (1900).

In der Novelle wird der Leser durch eine „liebevolle“ Sprache in Versuchung geführt, sich mit dem Helden zu identifizieren. Doch denkt Gustl bitterböse Gedanken, dadurch wird der Leser aus seiner Identifikation gerissen und in die Möglichkeit versetzt, die Handlung objektiv zu betrachten.

Charakteristisch für den Ehrencodex der k.u.k Offiziere ist, wie Schnitzler es sieht, dass diese nur dann ihre Ehre verlieren können, wenn jemand über den „Ehrenverlust“ Bescheid weiß. Da der Bäcker gesellschaftlich unter dem Leutnant steht, kommt ein Duell mit diesem nicht in Frage, es bleibt nur der Selbstmord. Leutnant Gustl lernt aus der Erfahrung nicht. Er wird weiter gedankenlos Juden diskriminieren („Überhaupt, dass sie noch immer so viel Juden zu Offizieren machen - da pfeif´ ich auf den ganzen Antisemitismus“ und sinngemäß „Es gibt Juden, denen merkt man es gar nicht an“), weiter eine konservative Haltung verfolgen („Gewiss ein Sozialist! Die Rechtsverdreher sind doch heutzutage alle Sozialisten... am liebsten möchten sie gleich das ganze Militär abschaffen; aber wenn die Chinesen über die kommen, daran denken sie nicht“). Auch hofft er sicher weiter auf einen Kriegsausbruch, denn die Aufgabe eines Militärs kann nur der Krieg sein und nicht das spielerische Üben desselben. Durch die übungshafte Erziehung beim Militär und den fehlenden Krieg sieht Gustl in seinem ganzen Leben nur ein unernstes Spiel, das seinen Charakter prägt, „außer Dienst ist er immer gemütlich“. Auch in seinem Verhalten zu Frauen wird sich sicherlich keine Änderung ergeben, er wird weiterhin nur deren Äußeres und Leichterreichbarkeit als wichtig erachten, für eine tiefere Bindung fehlt ihm die grundsätzliche Anerkennung der Frau als Mensch.

Lieutenant Gustl

Entstehung:

Die Monolognovelle - es handelt sich hier um den ersten konsequent durchgeführten monologue intérieur der deutschen Literatur - wurde im Sommer 1900 im Kurhaus von Reichenau (Niederösterreich) geschrieben. Schnitzler las sie zunächst in einem Privatzirkel vor, dann trug er sie noch vor der Veröffentlichung vor einer literarischen Vereinigung in Breslau vor, wo die Novelle mit Beifall aufgenommen wurde. Gedruckt erschien die Novelle dann erstmalig in der Weihnachtsnummer der Wiener „Neuen Freien Presse“ 1900. In Wien freilich fand die Novelle nicht die ungeteilte Zustimmung wie in Breslau; vor allem in Militärkreisen erregte sie erheblichen Anstoß.

Form, Gattung:

Schnitzler verwendet hier zum erstenmal den „inneren Monolog“: Gedanken und Gefühle des erlebenden Ichs werden sprachlich so wiedergegeben wie sie im Bewußtseinsstrom auftauchen. Das Verb steht im Präsens.

Inhalt:

Ein österreichischer Leutnant in Wien ist glücklich einem langweiligen Konzert entronnen. Bei der Garderobe angekommen, verlangt er seinen Mantel, doch bekommt er ihn nicht gleich, da ein dicker Mann den Weg verstellt. Das erregt den Leutnant ziemlich. In dem anschließenden Wortgefecht rutscht dem Leutnant "Sie, halten Sie das Maul" heraus, worauf der Herr zornig wird und sich umdreht. Nun erkennt Gustl, daß er den Bäckermeister Habetswallner vor sich hat, den er aus dem Kaffeehaus kennt. Dieser hält den Säbel des Leutnants fest und droht Gustl, jenen zu zerbrechen und beide Teile dem Regimentskommando zuzuschicken. Schließlich heißt er ihn (allerdings ziemlich leise) auch noch einen dummen "Bub". Gustl weiß dieses Vorkommnis nicht mit seiner "Ehre" zu vereinbaren und beschließt deshalb, sich am nächsten Morgen "gleich eine Kugel vor den Kopf" zu schießen. Er verbringt die Nacht im Prater. Bevor er seinem Tod ins Auge sieht, will er dem Obersten aus dem Regimentskommando einen Brief schreiben, wo die ganze Geschichte niedergeschrieben ist. Er kann jedoch seine Angst nicht überwinden und zögert den Zeitpunkt des Erschießens immer weiter hinaus. Da der Bäckermeister auch öfters in das Kaffeehaus geht, in dem sich Gustl immer aufhält, findet er es als Zeichen seiner Kaltblütigkeit, gerade jetzt dort aufzutauchen. Während er auf dem Weg zum Kaffeehaus ist, überlegt er auch, statt sich zu erschießen, nach Amerika auszuwandern. Gustl denkt auch daran, seinen Eltern und seiner Schwester vor seinem Tod einen Abschiedsbrief zu schreiben. Er geht ins Kaffeehaus, setzt sich an seinen gewohnten Tisch und bestellt beim Kellner eine Melange mit Haut. Da auf dem Tisch schon Zeitungen liegen, sieht er nach, ob von der Geschichte schon etwas in der Zeitung steht. Plötzlich kommt der Kellner zum Tisch und sagt zum Leutnant, daß der Bäckermeister heute nacht vom Schlag tödlich getroffen wurde. Durch dieses "Mordsglück" sieht sich der Leutnant von Schmach und Schande befreit - und kann weiter in den Tag hineinleben.

Aussage, Sprache:

Mit dieser Novelle hat Schnitzler die epische Technik des sogenannten "inneren Monologs" als erster in die deutsche Literatur eingeführt. In vorausgegangenen Erzählungen hatte Schnitzler den inneren Monolog nur passagenweise verwendet, im "Lieutenant Gustl" hingegen wird er zum übergreifenden Erzählprinzip; die äußere Handlung ergibt sich nur aus dem unwillkürlichen, motorischen Reflexionsstrom der Hauptfigur:

In einer nervös flackernden Sprache erscheinen diese wenigen Vorgänge nur als Spiegelungen von sich durchkreuzenden Erinnerungsfetzen, gebrochenen Stimmungsmomenten, sensorischen Reizen, fragmentarischen Redensarten und eingedrillten Phrasen. Der Erzähler tritt scheinbar zurück und läßt die Figur objektiv, ohne Vermittlung hervortreten. Die willkürlich anmutende Folge von disparaten Assoziationen ist durchsetzt mit leitmotivisch wiederkehrenden Schlagworten, die das aggressive Kastendenken des von der "Angst" um seine gesellschaftlichen Position umgetriebenen, unheldischen Helden verraten. Es entsteht eine Satire, die, ohne zu kommentieren oder Wertmaßstäbe zu setzen, allein durch das sich selbst darstellende Bewußtsein des Leutnants, Gustl und seine Welt der Lächerlichkeit preisgibt. 52599smy36jyy1l

Der innere Monolog ermöglicht Schnitzler die vertiefte Darstellung der menschlichen Psyche. Gleichzeitig mit Schnitzlers Erzählung erschien S. Freuds epochemachende Schrift "Traumdeutung" (1900). Persönliche Erfahrungen des Autors als Nervenarzt kamen hinzu. Der innere Monolog wurde von Schnitzler später, vor allem in der Novelle "Fräulein Else" (1924), noch weiter verfeinert. Weitergeführt wurde dieser Erzählstil weniger in der deutschen (Alfred Döblin) als in der angelsächsischen Literatur (James Joyce, Virginia Woolf).

Diese ätzende Satire auf den Ehrenkodex des k. und k. Offizierskorps, den er als "naive Heuchelei" bezeichnete, brachte ihrem Autor den Verlust der Offizierscharge ein.

Leutnant Gustl (Suchi)

Es ist Mittwoch vor der Karwoche 1900 und Lt. Gustl sitzt im Musikvereinssaal in Wien und hört das Oratorium „PAULUS“ von Felix Mendelsson-Bartholdy. Die Karte hat er von einem Offizierskameraden geschenkt bekommen und wie seine Gedanken zu erkennen geben, fühlt er sich gelangweilt und hofft auf ein baldiges Ende. Er überbrückt die Zeit mit diversen Gedanken an vergangene Ereignisse, zum Beispiel ein ihm bevorstehendes Duell, Ärger mit seiner Freundin, und so weiter. Beim Verlassen des Musikvereins, vielmehr beim Abholen der Garderobe, gerät er in die übliche Drängelei und es kommt zu einer Auseinandersetzung mit dem Bäckermeister der das Kaffeehaus beliefert in dem Gustl oft verweilt.

Der Wortlaut "dummer Bub" geht dem Leutnant nicht mehr aus dem Sinn. Auch das Problem, daß der Bäckermeister Habetswallner über den Vorfall prahlen und Gustl lächerlich machen könnte quält ihn. Eigentlich sollte er sich mit dem Bäckermeister duellieren, allerdings ist das unmöglich, weil ein Leutnant sich mit einem bürgerlichen nicht duellieren darf. Die nun für ihn einzig logische Konsequenz liegt im Selbstmord, der ihn bei einem Spaziergang durch Wien in der nun folgenden Nacht beschäftigt. Es kommen in seinen Gedanken immer wieder Personen vor, die in seinem Leben eine große Bedeutung einnehmen, wie zum Beispiel seine Eltern, die Steffi, eine Freundin, die allerdings verheiratet ist, der Oberst und sein bester Freund der Kopetzky. Er versucht sich auszumahlen wie sie nach seinem Tod reagieren werden. Er setzt sich nach langem Herumirren auf einer Bank im Prater nieder und schläft anschließend ein. Nach einigen Stunden Schlaf erwacht er durch Vogelgezwitscher und überlegt, ob dies alles nicht ein Traum gewesen sein könnte. Die Tatsache, daß er allerdings auf einer Parkbank schlief, macht ihm jedoch wieder klar, wie aussichtslos die Lage für ihn ist. Er definiert den genauen Zeitpunkt des Selbstmordes " morgen um acht ist Zeit genug zum Totsein..." und daß der Tod durch Erschießen eintreten soll. Als er dann nach Hause unterwegs ist, packt ihn jedoch dermaßen der Hunger, daß er beschließt noch in sein Kaffeehaus zu gehen, um dort zu frühstücken. Ein leichtes Unbehagen lastet auf ihn, weil möglicherweise der Bäckermeister schon etwas ausgeplaudert haben könnte, doch der Kellner erzählt ihm, daß der Bäckermeister, als er von der Oper heimkehrte, plötzlich im Stiegenhaus durch einen Schlaganfall zusammenbrach und starb. Er konnte also niemandem etwas erzählt haben, nicht einmal seiner Frau, da diese zu Hause auf ihn wartete. Gustl nimmt dies trocken zur Kenntnis, ohne sich seine Freude anmerken zu lassen: " Tot ist er - tot ist er! Keiner weiß was, und nichts ist g´scheh´n! - Und das Mordsglück, daß ich in das Kaffeehaus gegangen bin...sonst hätt´ ich mich ja ganz umsonst erschossen - es ist doch wie eine Fügung des Schicksals... Wo ist denn der Rudolf? - Ah, mit dem Feuerburschen red´t er... - Also, tot ist er - tot ist er - ich kann´s noch gar nicht glauben! Am liebsten möcht´ ich hingeh´n, um´s zu seh´n. - - Am End´ hat ihn der Schlag getroffen aus Wut, aus verhaltenem Zorn... Ah, warum ist mir ganz egal! Die Hauptsach´ ist: er ist tot, und ich darf leben, und alles g´hört wieder mein!... Komisch, wie ich mir da immerfort die Semmel einbrock´, die mir der Herr Habetswallner gebacken hat! Schmeckt mir ganz gut, Herr von Habetswallner! Famos! - So, jetzt möcht´ ich noch ein Zigarrl rauchen...

In dieser Novelle experimentierte Schnitzler konsequent mit dem Verfahren des «Stream of consciousness», um seelische Befindlichkeiten fast stenographisch nachzuzeichnen. Das Thema ist die psychische Situation eines beleidigten Offiziers, der laut Ehrenkodex Selbstmord begehen muss.

Charakterliche Eigenschaften des Leutnants

ungehobeltes Benehmen

dumm-arrogant-aggressiv, denkt in Stereotypen (Heiratspläne, hohe vs niedere Frauen)

körperliche Unterlegenheit kaum wichtig

Standesdünkel und unreflektierter Ehrbegriff

Kulturbanause, antiintellektuell, antisemitisch

Widersprüchliches des Leutnants

"Und wenn ihn heut'nacht der Schlag trifft" vs. Ende."

"Unglaublich, weswegen sich die Leut totschiessen!"

"Wenn die Leut wüssten, wie egal mir die ganze Geschichte ist ..."

"Einen Krieg hätt ich noch gern mitgemacht" (Den Rest kennt er schon!?)

Gesellschaftliche Situation und Position eines Offiziers

Mehr SCHEIN als SEIN

Finanzielle Probleme durch standesgemässe Unternehmungen wie Glücksspiel, Ausritte, Frauen ...

Offensichtlich viel FREIZEIT, kann sich Nächte um die Ohren schlagen

Sprachliche Besonderheiten

Innerer Monolog: "freier Fluss der Gedanken"

Denunziation der Titelfigur durch ihre phrasenhafte Denkweise und Sprache

Weitgehende Übereinstimmung von Erzählzeit (1h) und erzählter Zeit (10h)

Assoziative, sprunghafte Sprache

Interpretation

Kritik der "k.u.k."-Monarchie um die Jahrhundertwende

Kritik an Standesdünkel und Zeitvertreib der Armee

Neue Darstellungsform (in Frankreich bei Dujardin)

Das ICH ist keine Einheit, sondern ein Konglomerat von z.T. widersprüchlichen Empfindungen, stark assoziativ vermischt mit Erinnerungen. Vgl. auch psychoanalytisches Verfahren.



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