Wöhe Gertie Touristen zu¾such


Gerti Wöhe (Leserbrief in der Frankfurter Rundschau)

Touristen zu Besuch

Ich hatte mir meine ältesten Klamotten angezogen und war gerade mit Gartenarbeit beschäftigt, als sie vor unserem Gartenzaun erschienen - zwei dunkelhäutige Gestalten. Jedem von ihnen baumelte ein Fotoapparat vor dem Bauch. Abwartend blieben sie stehen und sahen mich an. Vielleicht hatten sie sich im Weg geirrt? Etwas zögernd ging ich näher. Sie grinsten mich aufmunternd an. Der eine von ihnen zog etwas aus der Hosentasche und reichte es mir. Vielleicht ein Zettel mit der Adresse, die sie suchten? Es war ein Bonbon, das er mir in die Hand schob. Während ich es noch ratlos-verwirrt anblickte, fingen sie an, in abgehacktem Englisch auf mich einzureden. Ihr Englisch war nicht besser als meines, dennoch entging mir das Wort »Foto« nicht, und auch ihre Geste war eindeutig: sie wollten ein Foto von mir machen. Ein Foto von mir? Was sollte das? Sie kannten mich doch gar nicht? Und überhaupt, in diesem Aufzug! Sie hätten gern ein Bild, erklärten sie, um Bekannten daheim zu zeigen, wie Deutsche ausse­hen. Auch die Häuser, in denen man hier wohne, wollten sie denen daheim zeigen - und überhaupt alles hier bei uns sei ja so interessant und anders als bei ihnen in Afrika. Niemand daheim könne sich das vorstellen. Deshalb müßten sie in ihrem Deutschland-Urlaub so viel wie nur irgend möglich fotografie­ren. Während der eine mir sein Anliegen mühsam auseinandersetzte, nütze der andere die Zeit und foto­grafierte Haus und Garten von allen Seiten. Wieder baten sie, ein Foto von mir machen zu dürfen. Halb einverstanden wandte ich ein, ich müsse mich ja wenigstens umziehen, sonst würden die Leute in ihrer Heimat ja denken, Deutsche tragen schmutzige, alte Kleider. Als ich mich anschickte, ins Haus zu gehen, fragten sie mich, ob sie nicht vielleicht mitkommen dürften, sie würden gern einmal ein deutsches Haus von innen sehen. Also gut, ungastlich gegenüber Fremden wollte ich nicht sein. Kaum im Haus angekommen, war ihrer Begeisterung kein Einhalt zu gebieten. Das Haus gehörte ihnen. Unaufgefordert zogen sie von Zimmer zu Zimmer, und überall flammte das Blitzlicht auf. Ich zog mir inzwischen mein bestes Kleid an und frisierte mich. Als ich fertig war, hatten die beiden ihren Rundgang beendet und warteten im Wohnzimmer auf mich. Ich setzte mich in Positur und wartete mit verkrampftem Lächeln auf das erlösende »Klick«. Doch ein Bild müßten sie mir wenigstens schicken, verlangte ich dann von ihnen. Sie versprachen es, und ich schrieb ihnen meine Adresse auf. Die beiden waren mir inzwischen gar nicht mehr so unsympathisch. Ich ging in die Küche, machte Kaffee und holte den restlichen Sonn­tagskuchen. Als ich alles vor sie hinstellte und sie bat, zuzugreifen, herrschte peinliches Schweigen. Schließlich gaben sie mir zu verstehen, sie würden lieber nichts bei mir essen. Von unserem Essen würde ihnen vielleicht schlecht werden - und zu trinken hätten sie sich auch selbst etwas mitgebracht, ich solle ihnen nicht böse sein. Mit diesen Worten zogen sie zwei Kalebassen aus dem Ledersack, den sie bei sich trugen, und tranken. Natürlich war ich böse. Wer hört schon gern, daß anderen vom eigenen Essen schlecht wird. Dennoch ließ ich mir aus Höflichkeit nichts anmerken. Meine beiden Besucher waren noch immer nicht ganz zufrieden. Sie fingen nun an, mich auszufragen. Wie alt ich sei, wollten sie wissen, was mein Mann mache, wieviel er verdiene und ob er noch andere Frauen habe. Ich fand die Fragen alle zu persönlich und antwortete etwas verlegen lächelnd. Als ich auf ihre Fragen nach der Zahl meiner Kinder erklärte, ich hätte gar keine, fragten sie mich erstaunt, ob ich unfruchtbar sei. Aus dieser peinlichen Situation rettete mich meine Nachbarin, die in diesem Augenblick gerade zu Besuch kam. Sie trug ein Dirndl, und die beiden Afrikaner waren begeistert von dem Nationalkostüm, das sie offensicht­lich schon kannten, denn sie waren fest davon überzeugt, daß meine Nachbarin auch jodeln könne. Eindringlich baten sie die verdutzte Frau, ihnen etwas vorzujodeln, sie würden es gern auf Tonband aufnehmen, um denen daheim eine Kostprobe deutscher Volksmusik zu geben. Um ihnen eine Freude zu machen und auch um sie endlich loszuwerden, beschlossen wir, ihnen statt dessen »Am Brunnen vor dem Tore« vorzusingen. Sie schienen begeistert von unserer Darbietung und spielten uns anschließend unser auf Tonband aufgenommenes, etwas falsch gesungenes Volkslied noch einmal vor. Dann verab­schiedeten sie sich. Am Gartentor drückte mir einer von ihnen zum Abschied zehn Mark in die Hand - fürs Foto, sagte er und versprach nochmals, mir einen Abzug zu schicken. Das war vor zwei Jahren. Ich habe das Bild bis heute nicht erhalten.



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