Einführung in das deutsche Verfassungsrecht
„Staatsorganisationsrecht“
Dr. Holger Greve
Humboldt-Universität zu Berlin
Breslau 2011
Inhalt
A. Öffentliches Recht in der Rechtsordnung
A. Öffentliches Recht in der Rechtsordnung
Recht ist ein Teil der Normen des Gemeinwesens. Zu diesen Normen zählen u.a.: Religion, Moral, Sitte, Übung, technische Normen, Geschäftsbedingungen, Rechtsnormen. Recht ist staatlicher Sollenssatz, der einseitig verbindlich und staatlich erzwingbar ist. Heute ist Recht regelmäßig schriftlich, ausnahmsweise gibt es noch Gewohnheitsrecht.
Die Rechtsnormen zerfallen in das Privatrecht und das Öffentliches Recht. Das Privatrecht regelt das Recht zwischen Bürgern, das Öffentliche Recht das Recht zwischen Staat und Bürgern.
Zu den Privatrechtsnormen (Rechtsregeln zwischen Privaten) zählen u.a.:
BGB mit Nebengesetzen (z.B. UmweltHG, ProdHG)
Handels- und Gesellschaftsrecht (z.B. HGB, AktienG, Wertpapierrecht, Wettbewerbsrecht)
Arbeitsrecht
Das Öffentliche Recht zerfällt in die Teile:
Verfassungsrecht
Verwaltungsrecht:
allg. Verwaltungsrecht
bes. Verwaltungsrecht (z.B. Polizeirecht, Umweltrecht, Katastrophenrecht, Baurecht, Kommunalrecht; zum Besonderen Verwaltungsrecht zählen daneben u.a. das Sozialrecht und das Steuerrecht, die unterdessen aber weitgehend eigenständige Gebiete darstellen.)
Kirchenrecht
Völkerrecht (Recht zwischen Staaten)
Europäisches Primärrecht (z.B. EUV, AEUV) und EU-Sekundärrecht (Verordnungen, Richtlinien).
Zum Öffentlichen Recht zählen an sich auch das Strafrecht und das Prozessrecht, weil sie die staatliche Strafgewalt bzw. die staatliche Gerichtshoheit regeln. Diese Gebiete haben sich aber unterdessen verselbständigt. Das Prozessrecht wird in den Rechtsfakultäten zusammen mit den jeweiligen materiellen Gebieten behandelt.
(BGB-ZPO / StGB-StPO / VerwR-VwGO / SGB-SGG / Steuerrecht - FGO)
Das Verfassungsrecht wird traditionell als Öffentliches Recht gesehen, erstreckt sich heute aber über die gesamte Rechtsordnung (also auch auf das Privatrecht: sog. Konstitutionalisierung der Privatrechtsordnung). Das Verfassungsrecht ist heute mehr als das Staatsrecht, obwohl beide Begriffe häufig synonym gebraucht werden.
Die Abgrenzung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht ist u.a. wichtig zur Beschreitung des Rechtswegs (§§ 40 VwGO, 13 GVG). Die Grundidee des Öffentlichen Rechts ist die Kontrolle der besonderen Übermacht des Staates. Die nähere Abgrenzung erfolgt nach:
Subordinationstheorie
Interessentheorie
Subjekttheorie (Sonderrechtstheorie)
Die Legitimität der Abgrenzung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht wird zunehmend problematisch (bspw. Verwaltungsprivatrecht).
B. Verfassung
I. Begriff und Wesen der Verfassung
Der Begriff der Verfassung ist mehrdimensional. Die Verfassung lässt sich formell und materiell, überpositiv und tatsächlich deuten.
Der formelle Verfassungsbegriff beschreibt die Verfassung als ranghöchste Norm (Verfassungsrecht bricht Gesetzesrecht etc.), die in einem bestimmten Verfahren zustande gekommen ist (z.B. Art. 144 GG) und nur erschwert abgeändert werden kann (Art. 79 Abs. 1, 2 GG: Verfahren; Art. 79 Abs. 3 GG: Inhalt/Ewigkeitsklausel; Verbot der Verfassungsdurchbrechung). Ein (zu) enger formeller Verfassungsbegriff setzt die Verfassung mit dem Recht in der Verfassungsurkunde gleich.
Der materielle Verfassungsbegriff versucht, die Verfassung vom Inhalt her zu bestimmen. Er beschreibt die Verfassung als Rechtsnorm, die wesentliche Vorschriften über die Verfassungsorgane und das politische Leben sowie über das Verhältnis von Staat und Bürgern enthält. Ein besonderes Problem stellt dabei das Problem der Abgrenzbarkeit dar (z.B. Abgeordnetengesetz, Wahlgesetze, Parteienrecht, Untersuchungsausschussgesetz).
Die überpositive, naturrechtliche Sicht deutet die Verfassung als eine dem Staat vorgegebene natürliche Ordnung. Das GG hat Naturrecht in beträchtlichem Maße positiviert (z.B. Art. 1 Abs. 1, 6 Abs. 2, 19 Abs. 2, 20 Abs. 4 GG), so dass in Deutschland die Frage nach dem Naturrecht fast keine praktische rechtliche Bedeutung mehr hat.
Die tatsächliche Verfassung beschreibt abbildend den Zustand, in dem ein Staat ist, die Verfassung als Rechtsnorm fragt danach, in welchem Zustand der Staat sein soll. Dieser für das Recht typische - Unterschied der Aspekte (Soll und Sein) wird im Verfassungsrecht als Spannung zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit beschrieben. Dabei will die Verfassung die (vor allem politische) Realität, wird aber ihrerseits von der Realität geprägt.
II. Geltungskraft der Verfassung, Verfassungsgewohnheitsrecht
Die Verfassung bindet alle staatliche Gewalt als unmittelbar geltendes Recht (Art. 20 Abs.3 und - für die Grundrechte - Art. 1 Abs. 3 GG). Die Präambel des Grundgesetzes erzeugt indessen keine unmittelbare rechtliche Bindung, hat aber eine auslegungs- und ermessensleitende Funktion.
Die Verfassung bricht als ranghöchste Norm im innerstaatlichen Recht das einfache Recht (Parlamentsgesetze, Rechtsverordnungen [Recht der Regierung, Art. 80 GG], Satzungen [Recht der Körperschaften]). Das Parlamentsgesetz bricht die Rechtsverordnung; die Rechtsverordnung die Satzung. Diese Normenhierarchie hat u.a. den Sinn, widersprüchliche Gebote an den Bürger zu verhindern. Im Europarecht bricht das Primärrecht (Vertragsrecht zwischen Mitgliedstaaten) das sog. abgeleitete Sekundärrecht (Recht der Unionsorgane: insbes. Verordnungen und Richtlinien der EU).
Das Verhältnis zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht lässt sich aber nicht nur einseitig hierarchisch verstehen. Vielmehr ist die Verfassung auch auf das einfache Gesetz angewiesen. Das Gesetz konkretisiert die Verfassung und macht so erst die Verfassungsanwendung möglich, z.B. durch die Formel „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ (z.B. Art. 4 Abs. 3 S. 2; vgl. auch Art. 21 Abs. 3 GG).
Während einfache Gesetze grundsätzlich durch spätere Gesetze frei geändert oder aufgehoben werden können, ist eine Aufhebung des GG nur durch einen neuen verfassungsgebenden Akt (Art. 146 GG) und eine Änderung des GG nur unter den erschwerten Voraussetzungen des Art. 79 GG (insbes. Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages und des Bundesrates) möglich. Selbst bei solcher Mehrheit verbietet die sog. Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) aber eine Antastung der in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze, der Gliederung des Bundes in Bund und Länder und der Mitwirkung der Länder bei der Bundesgesetzgebung durch Verfassungsänderung.
Die Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) begrenzt Verfassungsänderungen, die Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) begrenzt den grundrechtseinschränkenden einfachen Gesetzgeber (im Rahmen der - nicht veränderten - Verfassung).
Bundesrecht ist gegenüber Landesrecht vorrangig (Art. 31 GG). Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts (Art. 25 S. 1 GG), sie gehen den einfachen Gesetzen vor, haben aber keinen Verfassungsrang. Das Europarecht genießt Anwendungsvorrang gegenüber dem Bundes- und Landesrecht.
Die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat einerseits und die Länder als Teilstaaten andererseits haben jeweils Staatsqualität, Bund und Länder haben ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine Staatsgewalt. Bund und Länder haben als Staaten jeweils eigenständige Verfassungen. Das Grundgesetz gibt dem Verfassungsrecht der Länder Grundentscheidungen vor (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG - Homogenitätsprinzip Art. 142 GG). Die Länder sind aber nicht souverän und folglich nur Gliedstaaten.
Bund und Länder haben eigenständige Verfassungsgerichtsbarkeiten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) überprüft die Vereinbarkeit von Staatsverhalten (des Bundes und der Länder) mit dem Grundgesetz, die Landesverfassungsgerichte überprüfen die Vereinbarkeit von Staatsverhalten der jeweiligen Länder mit ihren Landesverfassungen.
Das Grundgesetz bindet (nur) deutsche Staatsgewalt. Die Bindung erfasst deutsche Staatsgewalt sowohl im In- wie im Ausland.
Das sog. Europäische Primärrecht, insbes. die von den Mitgliedstaaten beschlossenen Gründungsverträge und ihre Fortentwicklungen (EUV, AEUV), binden insbes. die Unionsorgane beim Erlass von sog. Europäischem Sekundärrecht (Verordnung, Richtlinie, Entscheidungen) und die Mitgliedstaaten teilweise. Dem Europarecht kommt grundsätzlich eine Vorrangwirkung gegenüber dem nationalen Recht zu. Das Europäische Primärrecht ist teilweise vergleichbar mit einer Verfassung, über die rechtlich insbesondere der EuGH wacht. Soweit man Verfassungen nur für Staaten anerkennt, gibt es derzeit keine Europäische Verfassung. Der Versuch, der Europäischen Union vermittels eines so genannten Vertrages über eine Verfassung für Europa eine Verfassung zu geben, ist politisch gescheitert. Der sich daran anschließende Vertrag von Lissabon ist an die Stelle des gescheiterten Verfassungsvertrages getreten, ohne allerdings echte Verfassungsqualität zu besitzen. Nach Auffassung des BVerfG im Lissabon-Urteil (BVerfG, NJW 2009, 2267) darf auf dem Boden des Grundgesetzes eine Umwandlung der Bundesrepublik Deutschland in einen Gliedstaat eines Europäischen Bundesstaats nicht erfolgen. Erforderlich soll für diesen Fall eine Verfassungsneuschöpfung nach Art. 146 mit Volksabstimmung des Deutschen Volkes sein.
III. Entstehung und Änderung der Verfassung
Ein Staat erhält seine Verfassung regelmäßig durch einen Akt der verfassungsgebenden Gewalt (pouvoir constituant), d.h. insbes. durch verfassungsgebende Nationalversammlung, teilweise mit Volksabstimmung. Die Verfassungsgebung kennt grundsätzlich keine vorgegebene rechtliche Bindung. Mit der Verfassungsgebung entsteht eine verfasste Staatsgewalt (pouvoir constitué), die verfassungsrechtlich begrenzt wird und durch verfassungsrechtlich konzipierte Verfassungsorgane handelt.
Das Grundgesetz schlägt einen entsprechenden Weg des pouvoir constituant in Art. 146 GG für eine etwaige neue Verfassung vor (Verfassungsneuschöpfung). Die Regelung des Art. 79 Abs. 3 GG betrifft dagegen nur Verfassungsänderungen und damit Begrenzungen (pouvoir constitué).
Das Grundgesetz ist aber - aus historischem Grunde - nicht als echte Verfassungsneuschöpfung durch das Volk ausgestaltet worden. Statt durch Vorgaben der westlichen Besatzungsmächte und durch Volksabstimmung ist es nach Vorarbeiten durch den Herrenchiemseer Konvent sowie vor allem des Parlamentarischen Staats nach Art. 144 Abs. 1 GG durch Annahmebeschluss der Mehrheit der (westdeutschen) Landtage von mindestens zwei Dritteln der (damaligen) westdeutschen Länder sowie durch Genehmigung der drei westlichen Besatzungsmächte entstanden. Es war zunächst als Provisorium konzipiert. Diesen Charakter einer Übergangsverfassung hat das GG jedoch spätestens mit der deutschen Wiedervereinigung verloren. Durch über 50 Verfassungsänderungen seit 1949 sind auch ursprünglich bestehende Lücken im Grundgesetz gefüllt werden. Das Deutsche Volk steht im Ergebnis nahezu geschlossen zum Grundgesetz.
Die deutsche Wiedervereinigung ist nicht durch einen neuen verfassungsgebenden Akt gemäß Art. 146 GG n.F., sondern durch Beitritt der sog. neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 23 GG a. F. am 3.10.1990 vollzogen worden. Vorgeschaltet waren diesem Akt insbes. der 2-plus-4-Vertrag (frühere Kriegsalliierte und beide deutsche Staaten) sowie Verträge zwischen beiden deutschen Staaten (Staatsvertrag über eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion sowie insbes. der Einigungsvertrag) zwischen beiden deutschen Staaten.
Verfassungsänderungen setzen eine ausdrückliche Änderung des Verfassungstextes voraus (Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG), bedürfen einer Zwei-Drittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat (Art. 79 Abs. 2 GG) und dürfen die Ewigkeitsgarantie nach Art. 79 Abs. 3 GG (siehe Rn. 16, 17) nicht verletzen.
Trotz der erschwerten Voraussetzungen der Verfassungsänderungen zeichnet sich Deutschland durch eine sehr (bzw. zu) große Häufigkeit aus (weit über 50 - teilweise sehr ausführliche - Verfassungsänderungen). Wichtige Verfassungsänderungen sind insbesondere die wehrverfassungsrechtlichen Änderungen von 1954 und 1956, die Notstandsverfassung von 1968, die Finanzverfassungsreform von 1969, die europabezogene Änderung 1992, die wiedervereinigungsbezogenen Änderungen 1994, Föderalismusreform I 2006 und die Föderalismusreform II 2009. Die meisten Verfassungsänderungen betreffen Grundrechtseinschränkungen und die Verluste von Landeskompetenzen.
IV. Auslegung der Verfassung
Die Verfassung ist teilweise in hohem Maße unbestimmt und konkretisierungsbedürftig. Hieraus ergibt sich die spezifische Bedeutung der Verfassungsrechtswissenschaft. Bei Auslegung der Verfassung kommt den Entscheidungen des BVerfG eine bestimmende, teilweise Gesetzeskraft erlangende Kraft zu (Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG, § 31 Abs. 2 BVerfGG).
Das BVerfG kann verfassungswidrige Gesetze (ganz oder teilweise) für nichtig erklären. Um zu harte Folgen der Nichtigkeitserklärungen von Gesetzen zu vermeiden, begnügt sich das Gericht bisweilen auch mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes verbunden mit dem Auftrag an den Gesetzgeber, bis zu einem bestimmten Datum ein verfassungsgemäßes Gesetz vorzulegen.
Lässt ein einfaches Gesetz aufgrund seiner nicht eindeutigen Formulierungen zwei Auslegungsmöglichkeiten zu (grundgesetzwidrig bzw. grundgesetzkonform), gebietet das - normerhaltende - Gebot der sog. verfassungskonformen Auslegung, das einfache Recht so auszulegen, dass es im Einklang mit dem GG steht.
Weitere Auslegungsprinzipien für die Verfassung sind u.a.: praktische Konkordanz bzw. schonender Ausgleich von Verfassungsgütern, normative Kraft der Verfassung bzw. Verfassungseffektivität, Schonung gesetzgeberischer Entscheidungsfreiheit.
Im übrigen gelten die gewöhnlichen Methoden der Gesetzesauslegung (insbes. subjektive, objektive, teleologische, systematische und historische Auslegung) auch im Verfassungsrecht. Die subjektive (oder genetische) Interpretation deutet ein Gesetz nach den Absichten der am Gesetzgebungsprozess beteiligten Personen, die objektive Interpretation nach dem objektiven Erklärungsinhalt des Gesetzeswortlauts, die (maßgebliche) teleologische Interpretation nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Die systematische Interpretation deutet eine Norm nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz und die historische Interpretation legt das Gesetz nach seiner historischen Entstehungssituation aus.
Analogie und Umkehrschluss dienen der interpretatorischen Schließung von Gesetzslücken und sind logisch prinzipiell gleichwertig.
C. Staatsstrukturprinzipien
Die grundlegenden Staatsstrukturprinzipien des GG sind die Republik, der Bundesstaat, der Rechtsstaat, die Demokratie, der Sozialstaat (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG), die unter dem Schutz der Ewigkeitsgarantie von Art. 79 Abs. 3 GG stehen. Als weiteres Staatsstrukturprinzip kann auch das Umweltstaatsprinzip (Art. 20a GG) gezählt werden (str.).
I. Republik
Die Republik (von lat.: res publica) bedeutet den Ausschluss vorgegebener, vererbter, insbesondere monarchischer, dynastischer Regierungsmacht und ist im Kern eine Absage an die Monarchie.
II. Bundesstaatsprinzip
Der Bundesstaat ist ein Staat aus Staaten und besteht aus dem Gesamtstaat (Bundesrepublik Deutschland) sowie den Gliedstaaten (Länder). Dieser zweigliedrige Bundesstaatsbegriff ist einem dreigliedrigen Verständnis (Gesamtstaat/Bund/Länder) vorzuziehen. Im Staatenbund sind die zusammengefassten Staaten souverän, im Bundesstaat sind es die Gliedstaaten nicht. Die EU ähnelt einem Staatenverbund, kennt aber eine supranationale Gewalt und supranationale Organe. Alle Länder sind untereinander gleichberechtigt. Die Gemeinden bilden in Deutschland keine eigene bundesstaatliche Ebene.
Die Bundesstaatlichkeit gehört zum historischen Verfassungsbestand Deutschlands. Sie wird von der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) geschützt und hat die Funktion, Vielgestaltiges zusammenzuführen, unterschiedliche Regionalgruppen in einem Staat zu eigenständigen Organisationsformen zu verhelfen. Bundesstaatlichkeit ist die intelligente Organisation von Einheit in Vielheit. Sie fordert die Kompromissfähigkeit, die politische Innovationsfähigkeit und führt zur Herausbildung von Ersatzeliten. Der Bundesstaat hat größere Freiheitsreserven als ein Zentralstaat. Die Abschaffung von Bundesstaatlichkeit erfolgte in Deutschland stets in Perioden der Unfreiheit.
Für die Bundesrepublik Deutschland typisch ist der sog. Parteienbundesstaat. Er ermöglicht vertikale Gewaltenteilung mit Elementen der Gewaltenteilung, weil er der Opposition im Bund die Handlungsebene der „oppositionellen“ Landesregierungen im Bundesrat erschließt.
Der Gesamtstaat wird durch gemeinsame Staatssymbole repräsentiert (z.B. Bundesflagge: Art. 22 Abs. 2 GG) und in einer gemeinsamen Hauptstadt: Berlin (Art. 22 Abs. 1 GG). Die Staatsaufgabe der Selbstdarstellung des Gesamtstaates in der Hauptstadt obliegt (auch finanziell) dem Bund.
Die entscheidende Verfassungsaufgabe für den Bundesstaat ist die Aufteilung der Zuständigkeiten bei allen drei Staatsgewalten auf Bund und Länder (Verbandszuständigkeiten). Es gilt der Grundsatz, dass im Bundesstaat grundsätzlich (Ausnahme: Gemeinschaftsaufgaben, Art. 91a - 91d GG) entweder Bund oder Länder im konkreten Fall zuständig sind. Mischkompetenzen sind ebenso unzulässig wie Kompetenzvereinbarungen (Ausnahme: Lindauer Abkommen).
Die politische Realität hat allerdings vertikale und horizontale Formen des kooperativen Föderalismus herausgebildet (z.B. Innenministerkonferenz, Umweltministerkonferenz).
Juristisch sind nach dem Grundgesetz (Art. 30, 70, 83 GG; anders Art. 105 Abs. 2 GG die Länderzuständigkeiten die Regel und die Bundeszuständigkeit die Ausnahme. In der politischen Realität und in der Verfassungsentwicklung sind die Bundeszuständigkeiten allerdings bis zur Föderalismusreform I (2006) kontinuierlich ausgeweitet worden. Die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern im einzelnen erfolgt getrennt nach den einzelnen Staatsgewalten (Gesetzgebung Rn. 44-57, Verwaltung Rn. 58-62, Rechtsprechung Rn. 63). Dabei kommt es häufig zu Funktionsverzahnungen der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, aber nur ganz ausnahmsweise zu echten Gemeinschaftszuständigkeiten (Art. 91a, b, 109 Abs. 2 GG). Sachaufgaben werden von verschiedenen föderalistischen Ebenen erledigt (Beispiel Justiz: Der Bund erlässt Justizgesetze, hat Bundesgerichte und Bundesanwaltschaft; die Länder tragen die erst- und zweitinstanzlichen Gerichte sowie die Staatsanwaltschaften etc.).
Trotz der juristischen Regelzuständigkeit der Länder (Art. 30, 70 GG) liegt aufgrund des umfänglichen Kompetenzkatalogs der Art. 73 f, 105 GG heute das faktische Schwergewicht aller Gesetzgebungszuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland beim Bund. Nur unzureichend konnte diese Entwicklung durch ein Anwachsen der Mitwirkungsrechte der Länder im Bundesrat, insbes. durch eine teilweise Zunahme der sog. zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze, kompensiert werden.
Im Jahr 2006 hat jedoch die Föderalismusreform I, indem sie die zugunsten des Bundes statuierten Kompetenzkataloge entschlackte, substantielle Gesetzgebungshoheiten auf die Länder rückübertragen. Zu dieser Kompensation gehört ebenfalls die punktuelle Möglichkeit der „Abweichungsgesetzgebung“ der Länder (Art. 72 Abs. 3 GG), mit dem Verlust der Länderzuständigkeiten in der früheren Rahmengesetzgebung des Bundes kompensiert wurde. Hier kann ausnahmsweise späteres Landesrecht früheres Bundesrecht verdrängen. Ob der Umfang der Rückübertragung von Kompetenzen freilich genügt, den Realzustand eines „unitarischen Bundesstaates“ abzuwenden, erscheint zweifelhaft.
Kompetenzen sind Ermächtigungen, keine Verpflichtungen und schon gar keine Grundrechtseinschränkungen. Sie beschreiben verfassungsrechtlich zulässige Aktionsgebiete des Staates, machen diese Sachmaterien aber nicht zu Verfassungswerten.
Die Kompetenzzuordnung erfolgt nach der Kompetenzqualifikation (Zuordnung zu einer Sachgebietsmaterie). In der Praxis können Kompetenzen auch kombiniert werden (Kompetenzkombinationen).
Die Feinaufteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern erfolgt nach Art. 70 Abs. 2 GG gemäß den kompetenziellen Gesetzgebungsarten des Bundes:
ausschließliche Gesetzgebung des Bundes (Art. 71, 73, 105 Abs. 1 GG)
konkurrierende Gesetzgebung des Bundes (Art. 72, 74, 105 Abs. 2 GG) ohne Abweichungsrecht der Länder
konkurrierende Gesetzgebung des Bundes mit Abweichungsrecht der Länder (Art. 72 Abs. 3 GG)
Grundsatzgesetzgebung des Bundes (z.B. Art. 109 Abs. 4 GG, 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV)
Im Fallaufbau ist zunächst eine Kompetenzqualifikation vorzunehmen (z.B. Art. 74 Nr. 1 GG) und sodann das Vorliegen der allgemeinen Kompetenzausübungsvoraussetzungen (z.B. Art. 72 GG). Lässt sich keine Gesetzgebungszuständigkeit finden, ist der Landesgesetzgeber nach Art. 70 GG zuständig (seltene Ausnahme: ungeschriebene Bundeszuständigkeiten).
Bei der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes (insbesondere Art. 71, 73, 105 Abs. 1 GG) dürfen die Länder nur bei ausdrücklicher bundesgesetzlicher Ermächtigung tätig werden. Zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes zählen auch die in der Verfassung verstreuten Sonderzuständigkeiten (z.B. 21 Abs. 3, 26 Abs. 2, 29 Abs. 7 S. 2, 38 Abs. 3, 41 Abs. 3 GG: „durch Bundesgesetz näher zu regeln“).
Im praktisch wichtigsten Fall der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (insbes. Art. 72, 74, 105 Abs. 2 GG) können die Länder auch bei Untätigkeit des Bundes („so lange und soweit“) eigene Gesetze erlassen. Sobald und soweit freilich der Bund Gesetze erlassen hat, verdrängen diese im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Gesetzgebungskompetenz der Länder.
Allerdings ist die Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes teilweise an die besonderen Erfordernisse des Art. 72 Abs. 2 GG geknüpft („Erforderlichkeitsklausel“), deren Vorliegen ebenso gesondert vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden können (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG). Galten diese einschränkenden Erfordernisse vor der Föderalismusreform I noch für die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz insgesamt, so sind sie jetzt allein noch hinsichtlich bestimmter, aus Sicht der Länder politisch besonders sensibler Kompetenztitel zu beachten. Insofern erlangt die präzise Abschichtung der einzelnen Kompetenztitel in Art. 72 Abs. 2 GG nunmehr besonderes Gewicht.
In bestimmten Fällen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Nr. 28-33 GG) haben die Länder das Recht zur Abweichungsgesetzgebung, d.h. sie können gemäß Art. 72 Abs. 3 GG (vgl. auch Art. 84 Abs. 1 S. 2 GG) materiell von einschlägigen Regelungen abweichen, die der Bund getroffen hat. Erlässt ein Bundesland eine solche abweichende Regelung, so genießt sie - unter Abweichung von Art. 31 GG - für das Gebiet dieses Landes Anwendungsvorrang gegenüber der gleichwohl fortbestehenden älteren Bundesnorm (Grundsatz der lex posterior derogat legi priori). Der Vorrang endet, sobald der Bund die fragliche Landesnorm seinerseits novelliert; es steht dann freilich dem Landesgesetzgeber theoretisch wieder frei, hiervon wiederum abzuweichen etc („ping-pong-Gesetzgebung“). Der experimentelle Charakter dieser durch die Föderalismusreform I (als Ersatz für die frühere Rahmengesetzgebung) eingeführten, so genannten konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz mit Abweichungsrecht reichert den im GG strukturgebenden Föderalismus um Elemente des kompetitiven Föderalismus (Wettbewerbsföderalismus) an, kann aber zu Problemen der schwierigen Erkennbarkeit des jeweils geltenden Rechts für den Bürger führen. Die Befugnis zur Abweichungsgesetzgebung wird durch bestimmte abweichungsfeste Kerne begrenzt (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2, 5 GG). Politisch wichtiger als die Abweichung selbst dürfte die Drohung der Länder mit ihr sein, um die inhaltliche Gestaltung des Bundesrechts zu beeinflussen.
Eine Gesetzgebungskompetenz eigener Art bildet die in Art. 70 Abs. 2 GG nicht erwähnte sog. Grundsatzgesetzgebung des Bundes. Vereinzelt wird sie im Grundgesetz erwähnt (v.a. Art. 109 Abs. 4 und Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV). In den Sachbereich der Grundsatzgebung erfolgt ein gestuftes Nebeneinander von Bundes- und Landesgesetzgebung. Obliegt dem Bund hier die Aufstellung bestimmter Grundsätze auf Gesetzesebene, so gebührt den Ländern die Konkretisierung dieser abstrakten bundesrechtlichen Vorgaben zu vollziehbarem Gesetzesrecht. Die Gesetzgebung des Bundes ist daher inhaltlich auf den Erlass konkretisierungsfähiger und konkretisierungsbedürftiger Vorschriften beschränkt.
Normen, die noch unter Geltung der abgelösten Kompetenzordnung erlassen worden sind, hinsichtlich derer aber der Träger oder die Art der Gesetzgebungskompetenz geändert worden sind, gelten im Grundsatz bis zu ihrer Novellierung fort. Zur Novellierung freilich ist grundsätzlich allein der nunmehrige Kompetenzträger in den durch die Kompetenzart gesetzten Grenzen berufen (vgl. die Übergangsvorschriften der Art. 125a und 125b GG).
Sofern hingegen nicht aufgrund einer Änderung des Verfassungstextes, sondern mit nachherigem Wegfall der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Einzelfall entfällt, bedarf es einer Freigabe der Gesetzgebungskompetenz durch den Bundesgesetzgeber (Art. 72 Abs. 4 GG). Diese Ersetzungsermächtigung kann seit der Föderalismusreform I vor dem BVerfG erstritten werden (Art. 93 Abs. 2 n.F. GG).
In seltenen Ausnahmen hat der Bund die ungeschriebene Gesetzgebungszuständigkeiten, bestimmte Regelungen zu treffen. Zu unterscheiden sind drei Fälle.
Natur der Sache: Die Gesetzgebungszuständigkeit folgt daraus, dass allein der Bund diese Regelung treffen kann (z.B. Bundeswappen, Nationalfeiertag). - Bsp.: BVerfGE 3, 422, 427 f.
Sachzusammenhang: Diese Regelung ist notwendig mit einer anderen zu treffen, hinsichtlich derer der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat. - Bsp.: BVerfGE 3, 421
Annex: Die Regelung betrifft die Durchführung und Ausführung einer anderen Regelung, für die der Bund gesetzgebungsbefugt ist. - Bsp.: BVerfGE 22, 210
Ausschließliche Landesgesetzgebungszuständigkeiten werden vom Grundgesetz nicht erwähnt, sondern vorausgesetzt. Sie ergeben sich dort, wo das Grundgesetz für eine bestimmte Sachmaterie keine Gesetzgebungskompetenz für den Bund enthält (Art. 70 Abs. 1 GG). Dies gilt z.B. für weite Teile des Polizeirechts, des Kommunalrechts und des Schulrechts.
Die Auflistung der Verwaltungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in Art. 83 ff, 108 GG befasst sich nur mit dem Vollzug von Bundesgesetzen. Die übrigen Verwaltungsaktivitäten: Vollzug von Landesgesetzen, grundsätzlich auch die nicht gesetzes-akzessorische Verwaltung, liegen nach Art. 30 GG bei den Ländern. Die Bundesgesetzgebungszuständigkeiten beschränken stets die äußerlichen Grenzen der Verwaltungszuständigkeiten des Bundes - BVerfGE 12, 205. Der rechtliche wie faktische Schwerpunkt aller Verwaltungszuständigkeiten liegt in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt bei den Ländern.
Der Vollzug von Bundesgesetzen liegt regelmäßig als eigene Angelegenheit bei den Ländern (Art. 83 GG). Die Regelform ist dabei die sog. Aufsichtsverwaltung (Art. 84 GG), bei der die Länder unter (bloßer) Rechtsaufsicht (nicht: Fachaufsicht) des Bundes und regelmäßig frei von Einzelweisungen des Bundes tätig werden. Die Länder können die Behördeneinrichtung und das Verwaltungsverfahren regeln. Soweit Bundesgesetze die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln, haben die Länder das Recht, hiervon abzuweichen (Art. 84 Abs. 1 S. 2 GG). Nur im Falle eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung (z.B. beim Umweltverfahrensrecht) kann der Bund (allerdings mit Zustimmung des Bundesrates) das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit der Länder regeln (Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG). Mit Zustimmung des Bundesrates kann die Bundesregierung allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 84 Abs. 2 GG).
In Ausnahmebereichen ermöglicht das GG (z.B. Art. 87c GG) die Auftragsverwaltung (Art. 85 GG), bei denen die Länder im Auftrag und unter den Weisungen des Bundes tätig werden und seiner Rechts- und Fachaufsicht unterstehen. Die Länder werden hier in der Sache wie nachgeordnete Verwaltungsbehörden tätig. Die Sachkompetenz (inhaltliche Entscheidungsbefugnis) liegt beim Bund, die Wahrnehmungskompetenz (Kontakt mit dem Bürger) liegt bei den Ländern - BVerfGE 81, 310; 104; 249.
Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Verwaltungsaufgaben nicht übertragen werden und zwar weder im Bereich der Aufsichtsverwaltung noch im Bereich der Auftragsverwaltung (Art. 84 Abs. 1 S. 7, 85 Abs. 1 S. 2 GG).
Die bundeseigene Verwaltung (Art. 86 GG) ist der Vollzug von Bundesgesetzen durch (rechtlich unselbstständige) Bundesbehörden (unmittelbare bundeseigene Verwaltung) oder durch juristische Personen des öffentlichen Bundesrechts (mittelbare bundeseigene Verwaltung). Die bundeseigene Verwaltung ist vom GG nur in Ausnahmebereichen (Art. 87 Abs. 1, Abs. 2, 108 Abs. 1 GG) vorgesehen. Durch einfache Bundesgesetze können aber im Rahmen der Bundesgesetzgebungszuständigkeiten selbstständige Bundesoberbehörden bzw. juristische Personen des öffentlichen Bundesrechts vorgesehen werden (Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG). Nur mit Zustimmung des Bundesrats kann der Bund im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeit auch eigene Mittel- und Unterbehörden gründen (Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG). Während von der Möglichkeit des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG relativ reger Gebrauch gemacht wurde, ist Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG bisher nicht praktisch geworden.
Die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Rechtsprechung (Art. 92 ff GG) erfolgt grundsätzlich nach dem hierarchischen Prinzip, wonach die Rechtsprechung der unteren Instanzen von Gerichten der Länder, die Rechtsprechung über Bundesrecht in letzter Instanz durch die obersten Gerichtshöfe des Bundes (Art. 95 GG) wahrgenommen wird. Nur in Ausnahmebereichen (Art. 96 GG) gibt es untere Bundesgerichte. (Beachte aber: Bundes- und Landesverfassungsgerichtsbarkeit sind voneinander unabhängig.)
Bund und Länder sind einander zu „Bundestreue“ bzw. bundesfreundlichem Verhalten verpflichtet - BVerfGE 12, 254 f. Das bezieht sich u.a. auf das procedere zwischen Bund und Ländern (z.B. durch Anhörung und Konsultationen).
Trotz Vielheit dürfen die einheitsgewährleistenden Gehalte des Bundesstaates nicht übersehen werden: Der Bund kann insbesondere durch seine Befugnis zur Gesetzgebung bzw. zum Erlass Allgemeiner Verwaltungsvorschriften, aber auch durch die Globalsteuerung nach Art. 109 Abs. 4 GG vereinheitlichend auf die Länder einwirken. Hinzu kommen die Möglichkeiten des kooperativen Föderalismus, bei denen der Bund mit den Ländern oder die Länder untereinander zusammenwirken. Dem Bund kommt schließlich die Befugnis zu Zwangsmaßnahmen zur Einheitserhaltung zu (Art. 28 Abs. 3, 37, 91 Abs. 2 GG).
Die Bundesverfassung garantiert zum Zwecke der Einheitsgewährleistung auch eine grundsätzliche Übereinstimmung der Verfassungsgrundsätze zwischen Bund und Ländern (Homogenitätsklausel - Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG). Er sichert eine gewisse Einheitlichkeit im Bundesstaat durch seine Gesetze, durch Verwaltungsvorschriften bzw. seine Aufsichtsbefugnisse beim Bundesrechtsvollzug (z.B. Art. 84 Abs. 2, 3, 85 Abs. 2, 3 GG) und gflls. durch das Führen von Bund-Länder-Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3, 2a GG).
III. Demokratieprinzip
In einer Demokratie geht alle Staatsgewalt vom Volke aus (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG). Neben dieser (nicht völkerrechtlich zu verstehenden) Volkssouveränität ist die demokratische Ordnung des Grundgesetzes geprägt durch eine Entscheidungsfindung nach dem Mehrheitsprinzip bei gleichzeitigem Minderheitenschutz, durch die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, durch die grundsätzliche Chance der Opposition, einmal die Regierungsmehrheit zu erreichen, durch die zeitliche Begrenzung von Herrschaft (z.B. Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG), durch den Grundsatz der Reversibilität getroffener Entscheidungen sowie schließlich (als notwendige Voraussetzung all dieser Elemente) durch die Gewährleistung von Freiheit und Gleichheit der Bürger und eines freien und offenen Meinungsbildungsprozesses. Da diese Willensbildung in einer Demokratie von unten nach oben verlaufen muss, kennt die Verfassung deutliche Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung - BVerfGE 44, 125.
Obwohl Demokratie Volksherrschaft ist, führt dies keineswegs zur Aufhebung von Herrschaft durch eine Identität von Herrschern und Beherrschten. Demokratie ist vielmehr die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit.
Das Volk im Sinne des Grundgesetzes ist das Deutsche Volk, also alle Deutschen (Art. 116 GG) insbesondere alle deutschen Staatsangehörigen. Der Gesetzgeber kann den Begriff der deutschen Staatsangehörigkeit definieren und somit den Kreis des Deutschen Volkes - in begrenzter Weise - erweitern oder verengen. Ausländer können an der Ausübung von deutscher Staatsgewalt (z.B. durch die Teilnahme an Wahlen) nur teilhaben, soweit das Grundgesetz dies ausdrücklich zulässt (bspw. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG).
Das Grundgesetz hat sich für eine repräsentative, mittelbare Demokratie entschieden. Danach übt das Volk die Staatsgewalt unmittelbar nur durch Wahlen (Personalentscheidungen) und ausnahmsweise auch durch Volksabstimmungen (Sachentscheidungen) (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) aus. Die weitere Ausübung der Staatsgewalt geht von besonderen Organen, in erster Linie aber von den Volksvertretungen aus. Die Volksvertretungen sind durch die Wahlen unmittelbar demokratisch legitimiert. Die Entscheidungen der anderen Staatsorgane müssen sich nach klassischem Verständnis in einer ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette auf das Volk zurückführen lassen. Das Volk wirkt also hier nur noch durch seine Repräsentanten, also nur noch mittelbar mit.
Seit langer Zeit sieht sich die fast völlige Ausrichtung des Grundgesetzes auf das Prinzip der repräsentativen, mittelbaren Demokratie grundsätzlicher Kritik ausgesetzt. Sie setzt vor allem an der faktischen politischen Distanz zwischen Wählern und Gewählten an. Die Gewählten sehen primär ihre eigenen Interessen und die ihrer Parteien, nicht aber die Interessen der Wähler. Dies hat u.a. zu Forderungen nach einem (bisher verfassungswidrigen: Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) imperativen Mandat und nach einem Ausbau der Elemente der unmittelbaren Demokratie geführt.
Das führt auch zu Forderungen nach verstärkten Anwendungsmöglichkeiten der Volksabstimmungen. Volksabstimmungen (Volksbefragungen, Volksinitiativen und Volksentscheidungen) kommen auf Bundesebene bisher nur eine ganz untergeordnete Bedeutung zu (bei Neugliederungsfragen: Art. 29, 118, 118a GG). Andere als diese verfassungsrechtlich vorgesehenen Abstimmungen auf Bundesebene sind ohne Verfassungsänderung nicht zulässig. Die Länder sind aufgrund ihrer Eigenstaatlichkeit befugt, weitere plebiszitäre Elemente in ihren Verfassungen zu verankern und haben auch vielfach - und mit steigender Tendenz - von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Die Legitimation der Repräsentanten des Volkes erfolgt in funktionell-institutioneller Form durch Wahlen. Die Bestellung von Amtswaltern erfolgt durch Bundesminister, die von einem parlamentarisch gewählten Bundeskanzler bestimmt werden.
Dem Grundgesetz liegen verschiedene (dort ungenannte) Mehrheitsbegriffe zugrunde. Zu unterscheiden sind die Begriffspaare „relative und absolute Mehrheit“ sowie „einfache und qualifizierte Mehrheit“. Mit dem ersten Begriffspaar wird die jeweilige Bezugsgröße angegeben (bspw. anwesende Mitglieder des Bundestages oder gesetzliche Mitgliederzahl), das zweite Begriffspaar bezieht sich auf das erforderliche mathematische Quorum (>1/2 bzw. 2/3, 1/10, 1/4 etc.). Beide Begriffspaare können kombiniert werden. Bei der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Bundestags (sog. Kanzlermehrheit Art. 63 Abs. 2 S. 1 GG, s. aber auch Art. 54 Abs. 6 S. 1 GG) wirken Stimmenthaltungen wie Nein-Stimmen. Das Grundgesetz kennt u.a. Zwei-Drittel-Mehrheiten (Art. 61 Abs. 1 S. 3, 79 Abs. 2 GG); ein Drittel der Stimmen (Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG); ein Viertel der Stimmen (Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG) und ein Zehntel der Stimmen (Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG).
Wegen ihrer besonderen Bedeutung unterliegt die Ausgestaltung des Wahlrechts bestimmten Wahlrechtsgrundsätzen der Verfassung. Wahlen müssen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim (Art. 38 Abs. 1 GG, Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG; § 1 ABs. 1 S. 2 BWahlG) sowie öffentlich sein. Diese Wahlrechtsgrundsätze sind subjektive, grundrechtsgleiche Rechte, die mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG).
Allgemeinheit der Wahl (§ 12 BWahlG) bedeutet, dass das (aktive wie das passive) Wahlrecht grundsätzlich allen Deutschen zustehen muss. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gilt nicht absolut, sondern kann aus Gründen der geistigen Gesundheit bzw. zum Schutz anderer Rechtsgüter mit Verfassungsrang eingeschränkt (§ 13 BWahlG) werden. Bereits die Verfassung beschränkt das Wahlrecht auf Deutsche, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (Art. 38 Abs. 2 S. 1 GG).
Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl ist weitaus schärfer als der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und verlangt, dass jedermann sein Wahlrecht in rechnerisch und formal möglichst gleicher Weise soll ausüben können. Differenzierungen im Zählwert der Stimmen sind deshalb schlechthin unzulässig. Differenzierungen des Erfolgswertes sind in engen Grenzen gleichwohl zulässig (z.B. 5%-Klauseln - § 6 Abs. 6 BWahlG; BVerfGE 6, 84; 95, 408; Überhangmandate § 6 Abs. 5 BWahlG - BVerfGE 95, 335; Grundmandatsklausel § 6 Abs. 6 S. 3 BWahlG - BVerfGE 95, 408). Sie bedürfen aber eines „zwingenden Grundes“. Über den Erfolgswert einer Stimme entscheidet vor allem das dem Wahlrecht zugrundeliegende Wahlsystem (Mehrheitswahl oder Verhältniswahl).
Unmittelbar ist eine Wahl nur dann, wenn die Abgeordneten durch die Stimmabgabe der Wähler selbst bestimmt werden. Maßgeblich ist insoweit, dass keine fremde Willensentscheidung - außer der des Bewerbers - zwischen den Wahlakt und dem Wahlergebnis geschaltet ist - BVerfGE 7, 77.
Die Freiheit der Wahl ist nur gegeben, wenn es eine freie Auswahl zwischen verschiedenen Parteien gibt (keine Einheitsliste) und jeder unmittelbare oder auch nur mittelbare Zwang oder Druck auf die Entscheidungsfreiheit des Wählers unterbleibt. Sie betrifft nicht nur das Wie, sondern auch das Ob der Wahl (keine Wahlpflicht). Darüber hinaus erfordert die Freiheit der Wahl auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können. Die Wahlfreiheit enthält auch Schutzpflichten gegenüber Beeinträchtigungen durch Dritte (z.B. gegenüber Nötigungen oder subliminale Beeinflussungen).
Die Freiheit der Wahl von Zwang oder Druck setzt notwendigerweise ihre Geheimheit (§ 33 BWahlG) voraus. Dieser Grundsatz schützt vor der Offenbarung, wie jemand wählt, gewählt hat oder wählen will. Insoweit ist eine Briefwahl nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sie hinreichende Sicherungen gegen unbefugte Offenbarung enthält.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 u. 2 GG gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.
Art. 39 Abs. 1 S. 1, 69 Abs. 2 GG lässt sich schließlich der Wahlrechtsgrundsatz der Periodizität entnehmen. Demokratische Herrschaft ist Herrschaft auf Zeit. Die periodisch stattfindende Wahl stellt sicher, dass die Abgeordneten dem Volk verantwortlich bleiben. Der Vorrang des späteren Gesetzes gegenüber dem früheren Gesetz sichert, dass eine neue politische Mehrheit Rechtsänderungen vornehmen kann. Ungeachtet der politischen Vorteile einer Herrschaft auf Zeit sind die Periodizität und die damit verbundene Fixierung auf die jeweils anstehende nächste Wahl hinderlich für die Wahrnehmung von Langzeitverantwortung bzw. für die Nachhaltigkeit von Politik.
Eine verfassungsrechtliche Festlegung auf ein bestimmtes Wahlsystem kennt das Grundgesetz nicht (Ausnahme: Art. 54 Abs. 3 GG, mit dem Zwei-Stimmenwahlrecht (§ 4 BWahlG)). Dem deutschen Wahlrecht liegt ein Mischsystem zugrunde: Die personalisierte Verhältniswahl (§ 1 Abs. 1 S. 2 BWahlG) versucht, die Vorteile der Mehrheitswahl mit denen der Verhältniswahl zu kombinieren und zugleich die jeweiligen Nachteile zu reduzieren.
Einen ausdrücklichen Schutz der parlamentarischen Opposition sieht das Grundgesetz im Gegensatz zu einigen Länderverfassungen nicht vor. Das demokratische System lebt maßgeblich auch von der Chance der Opposition, künftig einmal die Regierungsmehrheit zu stellen (s. Rnr 67). Minderheiten, insbesondere parlamentarische Minderheiten, werden aber durch Quoren bei bestimmten Entscheidungen geschützt. Darüber hinaus verfügen sie über besondere Untersuchungsrechte (Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG) und prozessuale Befugnisse (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). In allgemeiner Hinsicht dient der Grundsatz der Öffentlichkeit auch und gerade den politischen Minderheiten.
Die politischen Parteien (Art. 21 GG) wirken an der Willensbildung des Volkes mit. Sie sind einerseits frei gebildete, auf Dauer gerichtete und im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen; andererseits sind sie nicht in den systematischen Bereich der Grundrechte, sondern den der Staatsorganisation gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Parteien in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben, die ihre Rechte im Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) geltend machen können (BVerfGE 4, 27). Das Parteiengesetz beruht als verfassungskonkretisierendes Gesetz auf Art. 21 Abs. 3 GG.
Art. 21 GG definiert den Parteibegriff nicht, knüpft aber sowohl bestimmte Rechte und Privilegien als auch Verpflichtungen an die Parteieigenschaft. Deshalb ist der Begriff der politischen Partei gegenüber anderen Organisationsformen abzugrenzen. Die gesetzliche Definition in § 2 Abs. 1 S. 1 PartG steht mit der Verfassung in Einklang. Ad hoc-Wählervereinbarungen oder Bürgerinitiativen sind keine politischen Parteien.
Das Gebot der demokratischen Binnenstruktur in Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG ist die Konsequenz aus der Anerkennung der Parteien als Institution des Verfassungslebens. Ausprägungen dieser demokratischen Struktur sind insbesondere die Willensbildung von unten nach oben, das Verbot des Führerprinzips, das Recht der Mitglieder auf Mitwirkung, schließlich auch die freie Meinungsäußerung innerhalb einer Partei sowie das Recht auf eine innerparteiliche Opposition. Die innere Parteienfreiheit ist eine Vorfeldsicherung der Demokratie.
Zu den ausdrücklich von der Verfassung eingeräumten Rechten der Parteien gehört - wie bei den Vereinigungen nach Art. 9 Abs. 1 GG - ihre Gründungsfreiheit (Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG). Ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt wird auch die Betätigungsfreiheit. Schließlich lässt sich dem Art. 21 GG das Erfordernis der Chancengleichheit politischer Parteien entnehmen (z.B. bei der Zuteilung von Wahlsendungszeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - BVerfGE 14, 121). Abweichungen vom Grundsatz der Chancengleichheit sind nicht per se unzulässig, bedürfen aber hinreichend gewichtiger Gründe. Insbesondere darf die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung nicht die Chancengleichheit der politischen Parteien verletzen - BVerfGE 44, 125.
Der doppelten Natur der politischen Parteien entspricht die duale Parteienfinanzierung: Sollen die Parteien nicht in Abhängigkeit vom Staat geraten, müssen sie sich zunächst maßgeblich Linie aus eigenen Mitteln finanzieren. Auf der anderen Seite nehmen sie staatliche Aufgaben wahr, was zumindest eine teilweise staatliche Finanzierung rechtfertigt. Die Parteienfinanzierung ist Gegenstand einer ausgedehnten in sich nicht widerspruchsfreien Rechtssprechung des BVerfG - vgl. z.B. BVerfGE 8, 51; 20, 56; 85, 264 - und detaillierter gesetzlicher Regelungen (§§ 18 ff. PartG).
Politische Parteien genießen gegenüber anderen Formen politischer Zusammenschlüsse zahlreiche Privilegierungen. Dazu gehört insbesondere, dass sie nur vom Bundesverfassungsgericht und nur unter den von Art. 21 Abs. 2 GG genannten Voraussetzungen verboten werden können (Parteienprivileg i.e.S.). Bislang hat das BVerfG lediglich zwei Parteiverbote ausgesprochen: 1953 gegen die SRP - BVerfGE 2, 1 - und 1956 gegen die KPD - BVerfGE 5, 85. Ein Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte 2003 vor dem BVerfG - BVerfGE 107, 339. Teile der Politik streben derzeit ein neues Verbotsverfahren für die NPD an.
Die Realität des Verfassungslebens in Deutschland ist durch die Allmacht der politischen Parteien gekennzeichnet. Aus der Bundesrepublik Deutschland ist ein Parteienstaat (aber kein Einparteienstaat) geworden, der die Begrenzungen des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG auf bloße Mitwirkungsbefugnisse bei der politischen Willensbildung des Volkes missachtet und die traditionellen Verfassungsstrukturen stark verändert. Die bei allen Parteien verbreitete Ämterpatronage im öffentlichen Dienst ist evident verfassungs- und rechtswidrig, aber aus Beweisgründen häufig nur schwierig zu begegnen. Das - selbst maßgeblich von der Parteienpatronage geprägte - Bundesverfassungsgericht ist dem bisher nicht wirksam entgegengetreten.
Demokratie ist ohne demokratische Freiheiten (z.B. Art. 5, 8, 9 Abs. 1, 17, 33 Abs. 1, 2, 3, 38 GG) nicht möglich. Dabei kommt der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG) und vor allem der Presse- und Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) eine ausschlaggebende Bedeutung („schlechthin konstituierend“) für die öffentliche Meinung als Lebenselement der Demokratie zu. Ein konstitutives Element der Demokratie ist die Öffentlichkeit und Transparenz des politischen Prozesses (vgl. z.B. Art. 42 Abs. 1 S. 1, 52 Abs. 3 S. 3 GG, IFG).
Das Grundgesetz bekennt sich wegen der Erfahrungen der Zerstörung der Weimarer Republik zum Konzept der „wehrhaften Demokratie“, d.h. zum (freilich eingeschränkten) Grundsatz: „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit.“ Es geht um Demokratiesicherung durch Demokratielimitierung. Sicherungsobjekt ist die freiheitlich demokratische Grundordnung - s. dazu BVerfGE. 2. 1 (12). Zur Bekämpfung verfassungsfeindlicher Aktivitäten kennt die Verfassung daher die Möglichkeit der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG), des Parteiverbots (Art. 21 Abs. 2 GG) sowie einschlägige Grundrechtsbegrenzungen (z.B. Art. 5 Abs. 3 S. 2, 9 Abs. 2 GG) und das Widerstandsrecht (Art. 20 Abs. 4 GG). Der Extremistenbeschluss (BVerfGE 34, 339) war u.a. der - in sich nicht konsequente - Versuch, Angehörige verfassungsfeindlicher Parteien aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten, ohne die Parteien zu verbieten.
Das Demokratiegebot wird von einigen politischen Gruppen nicht nur als Staatsstrukturprinzip, sondern auch als gesellschaftliches Prinzip (z.B. „Demokratisierung“ von Unternehmen) verstanden. Demokratiegebote im Privatbereich sind aber stets auch (rechtfertigungsbedürftige) Grundrechtseinschränkungen. Das staatsgerichtete Demokratieprinzip fordert keine innergesellschaftliche „Demokratisierung“ z.B. in Form einer Unternehmensmitbestimmung.
IV. Rechtsstaatsprinzip
Der Rechtsstaat (Art. 28 Abs. 1 S. 1, 70 Abs. 2 GG) ist formal geprägt durch die Bindung der Staatsgewalt an die Gesetze (formaler Rechtsstaat) und materiell durch den Auftrag zur Verwirklichung materieller Gerechtigkeit (materieller Rechtsstaat). Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit sowie die Verwirklichung von Grundrechten sind die zentralen Anliegen des Rechtsstaats.
Art. 20 Abs. 3 GG verankert die Gesetzesbindung der Exekutive und der Judikative. Der Legalstaat wird so zum politischen Steuerungsmittel. Die Gesetzesbindung der Verwaltung wird traditionell als ein Bestandteil des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstanden und dort als Vorrang des Gesetzes bezeichnet. Hiernach darf die Verwaltung bei ihrem Handeln nicht geltendes Recht verletzen (kein Handeln gegen Gesetz). Die Gesetzesbindung ist ein notwendiger Bestandteil der mittelbaren demokratischen Legitimation der Verwaltung. Bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes darf die Verwaltung das Gesetz nicht verwerfen.
Die Gesetzesbindung schließt Ermessensermächtigungen der Verwaltung (§§ 40 VwVfG, 114 VwGO) und unbestimmte Rechtsbegriffe nicht aus (BVerfGE 48, 210, 49, 89).
Der andere Bestandteil der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist der sog. Vorbehalt des Gesetzes. Hiernach darf die Verwaltung nur handeln, wenn sie durch ein (formelles und/oder materielles) Gesetz hierzu ermächtigt ist. Dies gilt auch in besonderen Staatsverhältnissen wie Strafvollzug - BVerfGE 33, 1 und in Schulen - BVerfGE 47, 46. Die früheren „besonderen“ Gewaltverhältnisse gibt es nicht mehr. Im Strafrecht gilt ein besonders geschärfter Gesetzesvorbehalt - BVerfGE 73, 206. Der Gesetzesvorbehalt gilt jedenfalls für Eingriffe in die Rechte der Bürger, möglicherweise aber auch für Leistungen an ihn (kein Handeln ohne Gesetz). Eine Ermächtigung allein durch Satzung oder gar durch Verwaltungsvorschriften oder technische Normen reicht nicht aus. Umstritten ist, ob auch bloßes staatliches Informationshandeln unter den Vorbehalt des Gesetzes fällt - BverfGE 105, 252; 105, 279.
Die sog. Wesentlichkeitstheorie beschreibt den sog. Parlamentsvorbehalt, d.h. die (wesentlichen) staatlichen Entscheidungen, die durch das Parlament selbst erfolgen müssen (kein Handeln ohne Parlamentsentscheidung). Das BVerfG hat dies u.a. für die Berufsordnungen - BVerfGE 33, 125, für die Lehrpläne der Schulen - BVerfGE 47, 46, für die zivile Kernkraftnutzung - BVerfGE 49, 89, für die Auslandseinsätze der Bundeswehr - BverfGE 90, 286 (388) und für die Einführung des Privatrundfunks - BVerfGE 57, 295 entwickelt.
Der Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) trennt funktionell und organisatorisch die Legislative, Exekutive und Judikative (z.B. Art. 94 Abs. 1 S. 3, 137 Abs. 1 GG), um Machtkonzentrationen zu verhindern (checks and balances). Zunehmend wird der Ansatz der Gewaltentrennung allerdings durch den Gedanken der Gewaltenverschränkung (z.B. durch Mitwirkungsrechte) überlagert (z.B. Wahl und Kontrolle der Regierung durch das Parlament, Art. 63 Abs. 1, 67, 68 GG), Richterwahl und Richterernennung z.B. Art. 94 Abs. 1, 95 GG), richterliche Kontrolle von Verwaltung und Gesetzgebung. Im Bereich der Planung kann bei guten Gründen auch der Gesetzgeber tätig werden - BVerfGE 95, 1. Die neuere Begrifflichkeit spricht daher nicht mehr von Gewaltenteilung, sondern von Funktionenzuordnung. Dem klassischen Grundsatz der funktionalen Gewaltenteilung innerhalb einer Gebietskörperschaft (horizontale Gewaltenteilung) wird zunehmend die Idee der bundesstaatlichen vertikalen Gewaltenteilung entgegen gesetzt.
Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass der Bürger erkennen kann, was Staat und Recht von ihm verlangen. Das fordert klare und bestimmte Gesetze, schließt aber weder gesetzliche Ermessensvorschriften (§§ 40 VerwVfG, 114 VwGO) noch unbestimmte Rechtsbegriffe aus - BVerfGE 48, 210; 49, 89. Unbestimmte Rechtsbegriffe ermöglichen eine schnelle Rechtsanpassung an veränderte Außenumstände, d.h. auch einen „dynamischen“ Grundrechtsschutz.
Die rechtsstaatlich gebotene Berechenbarkeit und Verlässlichkeit staatlichen Handelns fordert eine Respektierung schutzwürdigen Vertrauens (Vertrauensschutz) und eine weitgehende Unzulässigkeit belastender rückwirkender Gesetze (Rückwirkungsverbot - BverfGE 30, 367). Nur ganz ausnahmsweise sind echt rückwirkende belastende Gesetze zulässig, bei denen in bereits abgeschlossene Sachverhalte rechtlich eingegriffen wird (echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen, z.B. wenn die alte Rechtslage unklar, verworren oder verfassungswidrig war.). Bei Vorliegen von überwiegenden Gemeinwohlbelangen ist eine unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung, d.h. belastende Eingriffe in noch nicht abgeschlossene Sachverhalte regelmäßig zulässig.
Im Strafrecht gilt ein besonders intensives Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG - nulla poena sine lege). Das Rückwirkungsverbot hindert weder eine rückanknüpfende Verschärfung der Rechtssprechung noch eine verschärfende Rechtsänderung (nur) für die Zukunft (kein schutzwürdiges Vertrauen auf künftigen Forbestand des Rechts. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG fordert eine Bestimmtheit der Ermächtigung für Rechtsverordnungen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip soll auch das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung folgen (BVerfGE 98, 106).
Die Bestandskraft von Verwaltungsakten oder Gesetzesentscheidungen sind Ausprägungen der von der Rechtssicherheit gestalteten Verlässlichkeit staatlicher Entscheidungen.
Für den Rechtsstaat als Staatsform der Mäßigung der Staatsgewalt ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Übermaßverbot) von ausschlaggebender Bedeutung - BVerfGE 23, 133. Dabei soll bei Eingriffen ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Zweck (Gemeinwohl) und dem Mittel (Freiheitsbeeinträchtigung) sichergestellt werden. Zu fordern ist danach:
Verfassungslegitimität des Zwecks (kein verfassungwidriger Zweck -
z.B. Angriffskrieg)
Geeignetheit des Mittels (Verbot der evidenten Ungeeignetheit; Eingriff muss
geeignet sein, näher zum Ziel zu führen)
Geringsterforderlichkeit des Mittels (Interventionsminimum; zwischen
mehreren im wesentlichen gleich geeigneten Maßnahmen ist das geringer
eingreifende zu wählen) - BVerfGE 17, 306
Proportionalität des Mittels (kein krasses Missverhältnis zwischen Zweck und
Mittel; keine bloße Güterabwägung)
Die intensivste Anwendung des Übermaßverbots erfolgt im Polizeirecht. Bei der Übertragung auf die Gesetzgebung ist die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit zu beachten. Der Richter darf bei Anwendung des Übermaßverbots die Abwägung von Verwaltung und Gesetzgebung überprüfen, aber nicht eine neue eigenständige Abwägung vornehmen.
Soweit der Staat Grundrechte gegenüber Dritten zu verteidigen hat (grundrechtliche Schutzfunktion), darf er ein Mindestmaß an Schutz nicht unterschreiten (Untermaßverbot).
Ohne Rechtsschutz ist ein Rechtsstaat nicht vorstellbar. Das Grundgesetz überantwortet die Rechtsprechung den Richtern deswegen einen eigenen Abschnitt (Art. 92 ff. GG) mit ausdrücklicher Gewährleistung der sachlichen (Weisungsfreiheit) und persönlichen (Umsetzbarkeit Art. 97 Abs. 4 GG) Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG). Die umfassende Rechtsschutzgarantie für den Bürger gegenüber der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) ist als „Schlussstein des Rechtsstaats“ bezeichnet worden. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) verankert vor allem den Gerichtszugang in den nicht von Art. 19 Abs. 4 GG erfassten Fällen (z.B. bei Zivilrechtsstreitigkeiten). Geschuldet wird effektiver Rechtsschutz (z.B. ohne unzumutbare Kostenhindernisse und in angemessener Zeit). Art. 101 ff. GG sehen zugunsten der Bürger eine Reihe wichtiger Justizgrundrechte (Grundrechte auf und gegenüber der Rechtsprechung) vor, z.B. Recht auf den gesetzlichen Richter bzw. Recht auf rechtliches Gehör. Das Grundgesetz sieht in den Richtern also nicht nur den Grundrechtsgaranten (z.B. Art. 13 Abs. 3, 4; 104 Abs. 2 S. 1 GG), sondern auch den Grundrechtseinschränker.
Aus dem Rechtsstaat wird auch das Prinzip der Staatshaftung (Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB) für rechtswidriges schuldhaftes Verhalten abgeleitet. Auch das Widerstandsrecht (Art. 20 Abs. 4 GG) hat rechtsstaatliche Würden.
Auch die meisten der übrigen Grundrechte (insbes. die Abwehrgrundrechte, z.B. Art. 2 Abs. 1, 14 GG) entsprechen rechtsstaatlichem Gedankengut (s.a. Art. 1 Abs. 2 GG). Sie dienen maßgebend auch - wie der Rechtsstaat selbst - der Mäßigung und Limitierung staatlicher Macht.
Aus dem Rechtsstaat werden auch das Gebot des Schuldstrafrechts und das Prinzip der Unschuldsvermutung abgeleitet.
V. Sozialstaatsprinzip
Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG) verankert die Verantwortung des Staates für die Zustände in der Gesellschaft (insbes. in der Wirtschaft) und ermächtigt ihn zu Maßnahmen der Daseinsvorsorge und des sozialen Ausgleichs, der sozialen Fürsorge - BVerfGE 40, 121, und damit auch - im Rahmen der grundrechtlichen Schranken - zu Eingriffen in Grundrechte (z.B. Art. 14 Abs. 2, 3 und 15 GG). Die Hauptaufgaben des Sozialstaats sind die Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit, sozialen Schutzes und sozialer Sicherheit. Dem sozialen Ausgleich mit Elementen der Umverteilung dienen seit vielen Jahren der größte Teil der Staatsaufgaben.
Eine wesentliche Aufgabe des Sozialstaats ist die Gewährleistung gerechter und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen bei Achtung der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG). Der Staat kann beträchtliche Mitbestimmungen einführen - BVerfGE 50, 290.
Das maßgeblich am Gleichheitsgedanken orientierte Sozialstaatsprinzip steht in einem latenten Spannungsverhältnis zum maßgeblich an der Freiheitsidee orientierten Rechtsstaatsprinzip - BVerfGE 88, 203. Der Sozialstaat ist nicht nur ein unverbindlicher Programmsatz, sondern eine rechtsverbindliche Grundsatznorm, die freilich auf gesetzgeberische Ausgestaltung - BVerfGE 100, 271 (z.B. durch Sozialversicherungs- und Sozialleistungsgesetze) angelegt ist. Dabei sind die Grenzen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates zu berücksichtigen - BVerfGE 27, 253 ff. Einzelaspekte sind an vielen Stellen der Verfassung vorgesehen (z.B. Art. 3 Abs. 2 („Herkunft“), Abs. 3 S. 2; 6 Abs. 4, 5; 7 Abs. 4 S. 3, 4).
Das Sozialstaatsprinzip begründet grundsätzlich keine unmittelbaren Leistungsansprüche des Bürgers oder sog. soziale Grundrechte. Es kann aber zur Ausbildung von Leistungsgehalten durch die traditionellen Grundrechte führen (z.B. Anspruch auf Existenzminimum - BVerfGE 115, 49 aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Zwar lassen sich z.B. keine Ansprüche auf Arbeitsplätze oder Wohnung ableiten (darüber verfügt der Staat nur zu einem geringen Teil), wohl aber allgemeine Verpflichtungen zu einer Beschäftigungspolitik - BVerfGE 100, 271) bzw. zu einer Wohnungsversorgungspolitik.
Die sozialen Besitzstände etwa im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht werden vom Sozialstaat geschützt, allerdings im Hinblick auf erst noch entstehende Sozialpositionen der nachwachsenden Generationen nur bedingt (z.B. Konflikte zwischen Arbeitsplatz-Besitzenden und Arbeitsplatz-Suchenden).
VI. Umweltstaat, Wirtschaftsverfassung
Mit Art. 20 a GG hat das GG den Weg zum Umweltstaat beschritten, d.h. zu einem Staat, der den Umweltschutz zu einem maßgeblichen Maßstab und Ziel seines Handelns macht (str.). Der Umweltstaat ist u.a. geprägt von den Phänomenen der Langzeitverantwortung, der Notwendigkeit des Handelns im Ungewissen und der ökologischen Gemeinschaftsverpflichtungen. Im Umweltstaat soll der Umweltschutz Bestandteil jeder Politik sein und ein hohes Umweltschutzniveau gewährleisten. Die folgenden umweltpolitischen Prinzipien auch das Vorsorge-, das Verursacher-, das Kooperations- und das Integrationsprinzip.??
Art. 20 a GG ist eine verbindliche Staatszielbestimmung, die alle Staatsgewalten auch unmittelbar zum Handeln ermächtigt, aber keine einschlägigen Individualansprüche der Bürger begründet. Der Umweltschutz wird zum Verfassungsgut und kann Eingriffe in schrankenlose Grundrechte rechtfertigen (BVerwG, NJW 1995, 2648). Diese Staatszielbestimmung verpflichtet den Staat auch zum Schutz der natürlichen, aber auch der menschlich gestalteten Umwelt. Dabei räumt Art. 20 a GG dem Gesetzgeber eine gewisse umweltpolitische Prärogative ein.
Durch Änderung des Art. 20a GG ist jetzt auch der Schutz der Tiere dem Staat verfassungsrechtlich aufgegeben, während der Tierschutz zum Verfassungsgebot, aber nicht zur Eingriffsgrundlage wird.
Art. 20 a GG bekennt sich zur Nachweltverantwortung („Verantwortung für die künftigen Generationen“ - sustainable) und spricht das in der Verfassung bisher nur ganz unvollkommen gelöste Problem der Rechte der zukünftigen Generationen an, die sich insbes. auch beim Problem der Staatsverschuldung, der Rentenkonstruktion und der Bildungsinterventionen zeigt.
Das Grundgesetz enthält keine Wirtschaftsverfassung i.S. einer verbindlichen Entscheidung für ein bestimmtes Wirtschaftssystem (wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes - BVerfGE 4, 7). Die Marktwirtschaft ist also zulässig, aber nicht verfassungsgeboten. Bei seinen wirtschaftspolitischen Entscheidungen muss der Staat aber die wirtschaftlichen Zuständigkeiten (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 109 Abs. 2 GG) und Grundrechte (u.a. Art. 2 I, 9 Abs. 3, 12, 14 GG). Hinzu kommen einschlägige europarechtliche Vorgaben (z.B. Art. 3 Abs. 3 EUV - Lissabon).
D. Verfassungsorgane
85. Da das Grundgesetz eine repräsentative Demokratie konstituiert, geht nach Art. 20 Abs. 1 S. 1 GG die Staatsgewalt zwar vom Volke aus, wird aber nicht unmittelbar von ihm ausgeübt (Ausnahmen: Art. 29 Abs. 2 S. 1, 38 Abs. 1 S. 1 GG), sondern durch besondere Staatsorgane. Diese gewaltengeteilten Staatsorgane werden letztlich durch den Wahlakt mit der daran anknüpfenden Legitimationskette legitimiert. Staatsorgane sind Handlungsinstrumente des Staates ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Insbesondere sind die Verfassungsorgane von den übrigen Organen des Staates zu unterscheiden, u.a. weil nur sie organstreitbefugt beim BVerfG sind.
I. Bundestag
86. Der Bundestag ist das einzige unmittelbar demokratisch legitimierte Verfassungsorgan des Bundes, das, anders als die übrigen Verfassungsorgane, nur an die Verfassung, nicht aber an die Gesetzgebung gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Der mit innerer und äußerer Autonomie ausgestattete Bundestag besitzt keine parlamentarische Allzuständigkeit.
87. Der Bundestag hat im wesentlichen folgende Funktionen:
Repräsentation des Volkes
(Mit)Träger der politischen Staatsleitung
Gesetzgebung (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG)
Ausgabenermächtigung (Art. 110 Abs. 1 GG)
Kreation von Verfassungsorganen (z. B. Art. 63 Abs. 1, 114 Abs. 2 S. 3 GG) sowie von eigenen Organen (Art. 40 Abs. 1 S. 1, 45 b GG)
Kontrolle insbesondere der Exekutive z. B. durch Untersuchungsausschüsse (Art. 44 GG)
Wahlprüfung (Art 41 Abs. 1 S. 1 GG)
Gestaltung politischer Öffentlichkeit (z. B. Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG)
88. Neben seiner Funktionsvielfalt verfügt der Bundestag auch über eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, z. B.:
Rechtsverbindliche Beschlüsse
Staatsleitende Beschlüsse
Organisationsinterne Beschlüsse
Schlichte Parlamentsbeschlüsse
Kreationsakte
89. Die Bundestagsabgeordneten werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl bestimmt (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Das vom BWahlG ausgestaltete Prinzip der personalisierten Verhältniswahl erfolgt durch eine Erststimme wie durch die entscheidende Zweitstimme. Modifikationen der Wahlrechtsgleichheit ergeben sich u. a. durch die sog. Überhangmandate und die 5 %-Klausel.
Der Bundestag hat keine Selbstauflösungskompetenz. Allein in den Fällen des Mehrheitslosenkanzlers (Art. 63 Abs. 4 S. 3, 68 Abs. 1 GG) kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen, nachdem dieser einem Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht entsprochen hat. Zulässig ist auch eine sog. auflösungsgerichtete (negative) Vertrauensfrage des Mehrheitslosenkanzlers, die darauf abzielt, die Voraussetzungen der Bundestagsauflösung herbeizuführen. In die Nähe eines Quasi-Selbstauflösungsrechts jedoch gerät eine vom BVerfG wiederholt (zuletzt 2005) gebilligte Staatspraxis, derzufolge der Bundeskanzler die auflösungsgerichtete Vertrauensfrage stellen darf, sobald aus seiner Sicht die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung verloren gegangen ist, obschon die sie tragenden Fraktionen weiterhin über eine parlamentarische Mehrheit gebieten (unechte Vertrauensfrage).
Im Übrigen endet die Wahlperiode des Bundestages mit Zusammentritt eines neuen Bundestages (Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG). Zwischen dem neuen und dem alten Bundestag gilt der Grundsatz der sachlichen Diskontinuität (§ 125 GeschOBT).
91. Das Verfahren des Bundestages ist im Wesentlichen in seiner Geschäftsordnung (Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG) geregelt. Er entscheidet mit einfacher (z. B. Art. 42 Abs. 2 GG), absoluter (z. B. Art. 121 GG) und qualifizierter Mehrheit (z. B. Art. 79 Abs. 2 GG).
92. Die Fraktionen (oder kleinen Parteigruppen nach § 10 Abs. 4 GeschOBT) sind als parteipolitische Teilgliederungen des Bundestages (§§ 10 ff. GeschOBT, §§ 45 ff. AbgG) wesentlich für die Arbeit und die Struktur des Bundestages. Ihnen (bzw. mehreren Abgeordneten mit Fraktionsstärke) behält die GeschOBT sehr viele der wesentlichen Rechte in der Parlamentsarbeit vor. Dadurch wird die Rechtsstellung des fraktionslosen Abgeordneten entscheidend geschwächt. Aber auch die politischen Handlungsmöglichkeiten des fraktionsangehörigen Abgeordneten werden durch die Fraktionsmitgliedschaft stark eingeengt.
Die Parlamentsausschüsse sind die eigentlichen Träger der politischen Arbeit des Bundestages. Ihre parteipolitische Zusammensetzung entspricht der des Plenums.
94. Für den Status des einzelnen Abgeordneten verankert Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG das traditionell sog. freie Mandat, das in einer Parteiendemokratie allerdings Abstriche erfährt. Immerhin führt der Wechsel der Parteizugehörigkeit nicht zum Mandatswechsel; der mit Rechtssanktionen bewehrte echte Fraktionszwang gilt als verfassungswidrig. Der Abgeordnete kann seine Rechte vor dem Bundesverfassungsgericht im Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) verteidigen.
95. Die Immunität als Strafverfolgungshindernis (Art. 46 Abs. 2 GG) und die Indemnität als Strafausschließungsgrund (Art. 46 Abs. 1 GG) dienen vorrangig der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments; sie findet ihre Rechtfertigung im Repräsentationsprinzip.
Die reichlichen persönlichen Rechte des Abgeordneten (insbesondere auf Entschädigung und Versorgung) sind auf der Grundlage von Art. 48 GG im Abgeordnetengesetz geregelt und tragen vor allem dem Umstand Rechnung, dass die hoch komplexe Wirtschafts- und Industriegesellschaft dem Gegenwart mehr als eine nebenamtliche Tätigkeit abverlangt und Abgeordnete daher heute regelmäßig als Berufspolitiker tätig werden. Das so gezeichnete heutige Leitbild der Mandatsausübung und der allgemeine Transparenzgrundsatz gebieten freilich auch, den Abgeordneten Pflichten zur Offenlegung ihrer Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte aufzuerlegen.
II. Bundesrat
Der Bundesrat ist ein Bundesorgan, in dem die Länder durch ihre Regierungsmitglieder an der Bundesgesetzgebung und -verwaltung sowie in EU-Angelegenheiten mitwirken. Besonders wichtig sind gerade im Parteienbundesstaat die Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates bei der Gesetzgebung mit Initiativ-, Einspruchs- und Zustimmungsbefugnissen.
Der Bundesrat ist nicht unmittelbar demokratisch legitimiert, sondern besteht aus - weisungsgebundenen - Vertretern der Landesregierungen. Durch seine Mitwirkung an der Gesetzgebung werden nicht nur Landesinteressen, sondern auch Exekutivinteressen in die Bundesgesetzgebung integriert. Die - grob nach Einwohnerzahl vergebenen - Stimmen eines Landes können nur einheitlich abgegeben werden (Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG). In einer uneinheitlichen Abgabe der Stimmen liegt kein Verfassungsbruch; der gespaltene Landeswillen darf im Abstimmungsergebnis des Bundesrates jedoch nicht etwa durch Aufteilung der Stimmen des Landes berücksichtigt werden.
Der Bundesrat ist ein oberstes Verfassungsorgan und verfügt über Autonomie mit der Befugnis, sich u.a. eine Geschäftsordnung, einen Präsidenten (zugleich Vertreter des Bundespräsidenten, Art. 57 GG) und Ausschüsse zu geben. Die Bundesratskammer nach Art. 53 Abs. 3a GG kann in Aufgabengebieten der EU für den Bundesrat selbst handeln, um diesen bei Wahrnehmung seiner vielfältigen Mitwirkungsbefugnisse nach Art. 23 GG zu entlasten.
III. Bundesregierung
Die aus Bundeskanzler und Bundesministern bestehende Bundesregierung (Art. 62 GG) ist ein Verfassungsorgan, das nicht nur die Spitze der vollziehenden Gewalt (Exekutive) darstellt, sondern auch maßgeblichen Anteil an der Staatsleitung (government) hat.
Politisch und verfassungsrechtlich wichtigster Teil der Bundesregierung ist der Bundeskanzler. Nach dem grundgesetzlichen Konzept der „Kanzlerdemokratie“ wird er als einziges Regierungsmitglied vom Bundestag gewählt und führt die Amtserledigung des Bundeskanzlers zur Beendigung der Ämter aller Bundesminister. Ungeachtet des Geschlechtes des jeweils gegenwärtigen Amtsinhabers gebraucht das GG - wie in der Rechtssprache allenthalben üblich - für die Organbezeichnung Bundeskanzler durchgehend die maskuline Form.
Der Bundeskanzler wird mit „Kanzlermehrheit“ (Art. 63 Abs. 2 S. 1, 121 GG) vom Bundestag gewählt und ist dann vom Bundespräsidenten zu ernennen. Der Bundespräsident kann einen Minderheitenkanzler ernennen oder aber den Bundestag auflösen (Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG).
Nach dem grundgesetzlichen Prinzip der Regierungsstabilität kann der Bundeskanzler nur durch Neuwahl eines Nachfolgers "abgewählt" werden (konstruktives Misstrauensvotum, Art. 67 Abs. 1 GG). Eine missglückte Vertrauensfrage nach Art. 68 GG führt nicht automatisch zur Amtserledigung des Bundeskanzlers, sondern ermächtigt nur den Bundespräsidenten (auf Vorschlag des Bundeskanzlers) zur Auflösung des Bundestages. Erfolgt eine solche Auflösung nicht, ermöglicht die Regelung über den Gesetzgebungsnotstand (Art. 81 GG) einer Minderheitenregierung eine Fortexistenz der Gesetzgebung.
Die maßgeblichen internen Organisationsprinzipien der Bundesregierung sind das Kanzlerprinzip, das Ressortprinzip und das Kollegialprinzip. Das Kanzlerprinzip gibt dem Bundeskanzler eine Vorrangstellung, der die Richtlinien der Politik, die Regierungsorganisation und das Schicksal der Bundesminister bestimmt und die Geschäfte der Bundesregierung führt (Art. 64, 65 GG).
Die vielfältigen Zuständigkeiten der Bundesregierung sind in Regierungs- und Verwaltungskompetenzen aufgeteilt. Die parlamentarische Verantwortung der Regierung wird unmittelbar vom Bundeskanzler eingefordert (Art. 65 S. 1 GG), trifft aber auch die einzelnen Bundesminister z.B. bei parlamentarischen Informationsverlangen (Art. 43 Abs. 1, 44 GG).
IV. Bundespräsident
Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Gleichwohl ist diese keine präsidentielle Republik. Deshalb beschränken sich die Funktionen des Bundespräsidenten - anders als beim Weimarer Reichspräsidenten - auf die Funktionen der neutralen Integration und Repräsentation.
Der Bundespräsident wird als Teil der Exekutive nicht vom Volk, sondern von der allein zum Zwecke seiner Wahl zusammentretenden Bundesversammlung gewählt (Art. 54 Abs. 1 S. 1 GG). Seine persönliche Rechtsstellung ist durch die Prinzipien der Inkompatibilität (Art. 55 GG) bzw. der Immunität (Art. 60 Abs. 4 GG) geprägt. Durch Präsidentenanklage kann der Bundespräsident seines Amtes für verlustig erklärt werden (Art. 61 GG).
Der Bundespräsident vertritt die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich und schließt völkerrechtliche Verträge (Art. 59 Abs. 1 S. 1, 2 GG). Diese verfassungsrechtliche Aussage ist funktionell verzahnt mit entsprechenden völkerrechtlichen Rechtssätzen über die Stellung des Staatsoberhaupts.
Der Bundespräsident hat wesentliche quasi-„notarielle“ Funktionen z.B. bei der Ausfertigung von Gesetzen (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG) oder bei der Ernennung bzw. Entlassung von Mitgliedern der Bundesregierung (Art. 63 Abs. 2 S. 2, 64 Abs. 1 GG) und bestimmten Bundesbediensteten. Ihm kommt dabei ein formelles, wohl aber kein materielles Prüfungsrecht zu (str.). Politisches Ermessen kommt ihm nur in Ausnahmefällen zu, insbesondere bei der Bundestagsauflösung im Falle eines Minderheitenkanzlers (Art. 63 Abs. 4 S. 3, 68 Abs. 1 S. 1 GG).
Vermittels der notwendigen Gegenzeichnung der Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten durch Mitglieder der Bundesregierung (Art. 58 S. 1 GG) soll die fehlende parlamentarische Verantwortlichkeit des Bundespräsidenten durch die parlamentarische Verantwortlichkeit der notwendig zu beteiligenden Bundesregierung kompensiert werden.
V. Gemeinsamer Ausschuss / Oberste Staatsorgane
Der Gemeinsame Ausschuss (Art. 53 a GG) ist ein selbstständiges Verfassungsorgan, nicht aber ein gemeinsames Unterorgan von Bundesrat und Bundestag; er nimmt für die Dauer eines Verteidigungsfalles die Aufgaben eines Notparlaments wahr. Die obersten Gerichtshöfe des Bundes (Art. 95 Abs. 1 GG) einschließlich ihres Gemeinsamen Senats (Art. 95 Abs. 3 GG), die Bundesbank (Art. 88 S. 1 GG) und der Bundesrechnungshof (Art. 114 Abs. 2 GG) sind oberste Staatsorgane des Bundes, nicht aber Verfassungsorgane.
VI. Bundesverfassungsgericht
Auch das Bundesverfassungsgericht ist ein Verfassungsorgan, denn es leitet sowohl seine Existenz (Art. 92 GG) als auch seine grundlegenden Zuständigkeiten (Art. 93 GG, aber auch bspw. Art. 100, 21, 18, 61 GG) unmittelbar aus dem Grundgesetz ab. Aus dieser Organqualität folgt die Befugnis, sich eine Geschäftsordnung zu geben. Die wichtigsten Vorgaben für das Verfahren sind im BVerfGG geregelt.
Das Bundesverfassungsgericht ist ein Gericht, also ein dauerhaft eingerichteter Spruchkörper, der nach einem gesetzlich festgelegten Verfahren am Maßstab des Rechts (des Verfassungsrechts) verbindliche Entscheidungen trifft.
Die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG). Während der Bundesrat die Richter in unmittelbarer Wahl bestimmt (§ 7 BVerfGG), werden die vom Bundestag zu bestimmenden Richter von einem Richterwahlausschuss und somit nur mittelbar gewählt (§ 6 BVerfGG). Unabhängig von diesem Verfahren erfolgt die Besetzung der Richterstellen in der Praxis nach Absprache unter den politischen Parteien.
Wichtigste Spruchkörper am Bundesverfassungsgericht sind die zwei Senate à 8 Richter, die personell und organisatorisch unabhängig voneinander sind (§ 14 BVerfGG). Über die Zulässigkeit von Vorlagebeschlüssen im konkreten Normenkontrollverfahren sowie über die Annahme von Verfassungsbeschwerden entscheiden Kammern, die aus je 3 Richtern eines Senats gebildet werden (§ 15a BVerfGG). Ausnahmsweise entscheidet das Plenum des Bundesverfassungsgerichts (§ 16 BVerfGG).
Das Bundesverfassungsgericht ist nur in den ausdrücklich im Grundgesetz oder gesetzlich (Art. 93 Abs. 3 GG) angeordneten Fällen zur Entscheidung befugt (Enumerationsprinzip). Darüber hinaus darf das Bundesverfassungsgericht nur auf Antrag tätig werden (§ 23 Abs. 1 - Ausnahme § 105 BVerfGG). Zu den wichtigsten Verfahrensarten zählen die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), die konkrete und die abstrakte Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG bzw. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) sowie das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG).
Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wird in allgemeiner Hinsicht im I. und II. Teil des BVerfGG normiert. Für die einzelnen Verfahren sind im III. Teil des BVerfGG besondere Vorgaben zu beachten. Die Senate entscheiden regelmäßig aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 25 Abs. 1 BVerfGG), unter Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 26 BVerfGG) und mit einfacher relativer Mehrheit (§ 15 Abs. 4 S. 2 - beachte aber S. 3 BVerfGG).
In allen Verfahren wird erst nach Prüfung der Zulässigkeit über die Begründetheit eines Antrags entschieden. Ausnahmsweise können Anträge auch „a limine“ verworfen werden (§ 24 BVerfGG).
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erwachsen in Rechtskraft und sind für alle staatlichen Organe verbindlich (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Entscheidungen über Normenkontrollen sowie u.U. über Verfassungsbeschwerden erwachsen in Gesetzeskraft (Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG, § 31 Abs. 2 BVerfGG), sind also allgemeinverbindlich. Bestandskräftige Entscheidungen, die auf einer später vom BVerfG für nichtig erklärten gesetzlichen Norm beruhen, bleiben regelmäßig unberührt (§ 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG).
E. Staatsfunktionen
I. Gesetzgebung
Ist nach den Art. 70 - 74 GG die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes (als Verbandszuständigkeit) gegeben, regeln die Art. 76 - 78, 82 GG, welche Bundesorgane wie und in welchen Verfahrensformen zusammenwirken müssen, um ein Bundesgesetz wirksam zustande kommen zu lassen (Organzuständigkeit). Sinn dieser Verfahrensregeln sind u.a. eine tragfähige Informationsverarbeitung für die gesetzgeberische Entscheidung, ein größtmöglicher Interessenausgleich, die Unterrichtung der Allgemeinheit und die Erhöhung der politischen Integrationswirkung sowie vor allem auch die Rechtssicherheit. Wesentliche Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren sind nicht nur in der Verfassung, sondern auch in den Geschäftsordnungen der Verfassungsorgane enthalten.
Mit ihrer Regelung in Art. 76 Abs. 1 GG über das Einbringen von Gesetzesvorlagen setzt die Verfassung politisch sehr spät, d.h. nach Erarbeitung vollständiger Gesetzesentwürfe, an. Art. 76 Abs. 1 GG kennt einen numerus clausus der Initiativberechtigten (Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat). Dabei sind die Gesetzesentwürfe der Bundesregierung praktisch am bedeutsamsten. Bei ihnen findet nach Art. 76 Abs. 2 GG der sog. "erste Durchgang" im Bundesrat statt, bei dem dieser eine Stellungnahme abgeben kann, bevor der Entwurf an den Bundestag geleitet wird. Eine vergleichbare Rückkopplung von Bundes- und Landesexekutiven vor dem Gang in das Parlament sieht Art. 76 Abs. 3 GG für Vorlagen des Bundesrates vor.
Der Bundestag berät den Gesetzesentwurf nach den §§ 79 ff. GOBT in drei Lesungen. Nach Schluss der dritten Beratung erfolgt die entscheidende Schlussabstimmung über den Beschluss gem. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG.
Das beschlossene Gesetz wird unverzüglich dem Bundesrat (bei Initiativen der Bundesregierung: zum „zweiten Durchgang“) zugeleitet. Der Bundesrat kann eine Beratung im unabhängigen Vermittlungsausschuss verlangen (Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG), der Bundestag nur im Falle von Zustimmungsgesetzen (Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG). Die verfassungsrechtliche Regel sind die sog. Einspruchsgesetze, während die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen sich jeweils ausdrücklich aus einer Einzelbestimmung des GG ergeben muss. Einspruchsgesetze können im Ergebnis vom Bundestag auch gegen den Willen des Bundesrats durchgesetzt werden. Zustimmungsgesetze sind hingegen ohne Zustimmung des Bundesrats nicht zu realisieren.
Der Vermittlungsausschuss kann Änderungen vorschlagen, über die der Bundestag erneut Beschluss fassen muss (Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG). Der Vermittlungsausschuss hat im Gesetzgebungsverfahren zwar keine Entscheidungskompetenz, wohl aber eine den Kompromiss vorbereitende, ihn aushandelnde und faktisch gestaltende Kompetenz, die durch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens beschränkt ist. Soweit der Vermittlungsausschuss nicht angerufen wird oder der angerufene Vermittlungsausschuss keine Änderung vorschlägt, muss der Bundesrat bei Zustimmungsgesetzen in angemessener Zeit über die Zustimmung entscheiden (Art. 77 Abs. 2a GG). Bei Einspruchsgesetzen kann der Bundesrat gem. Art. 77 Abs. 3 GG Einspruch einlegen, der aber vom Bundestag zurückgewiesen werden kann (Art. 77 Abs. 4 GG).
Das gem. Art. 78 GG zustande gekommene Gesetz muss nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt werden und ist dann im Bundesgesetzblatt zu verkünden (vor kurzem wurde im Saarland die elektronische Verkündung von Gesetzen ermöglicht). Soweit das Gesetz keine Inkrafttretensregelung enthält, tritt es grundsätzlich 14 Tage nach Verkündung in Kraft (Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG). Von Verfassungs wegen eine Ausnahme gilt allein für Gesetze, die auf dem Gebiet der materiellen Abweichungsgesetzgebung erlassen worden sind; diese treten erst sechs Monate nach Verkündung in Kraft, Art. 72 Abs. 3 GG.
Rechtsverordnungen sind Rechtssätze („materielle Gesetze“) der Exekutive. Sie sind weitaus häufiger als parlamentarische (formelle) Gesetze und dienen vor allem der Entlastung des parlamentarischen Gesetzgebers durch Normkonkretisierung. Art. 80 GG ermöglicht die (konservierende, rückholbare) Delegation von Rechtsetzungsmacht vom Parlament auf die Exekutive (Bundesregierung, Bundesminister, Landesregierung - Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG). Das parlamentarische Gesetz geht der Rechtsverordnung vor und kann letztere aufheben. Gesetzesvertretende Verordnungen sind verfassungswidrig (s.a. Art. 129 Abs. 3 GG).
Der zur Verordnungsgebung ermächtigende Gesetzgeber muss Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Ermächtigung bestimmen, d.h. die wesentlichen Entscheidungen des Normprogramms vorhersehbar selbst bestimmen. Soweit im Ermächtigungsgesetz vorgesehen, können die Ermächtigungsempfänger ihre Ermächtigung durch Rechtsverordnung weiter übertragen (Subdelegation - Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG). Die Rechtsverordnung muss ihre Ermächtigungsgrundlagen angeben (Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG), von der erlassenden Stelle ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet werden (Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG). Das Inkrafttreten (auch) von Verordnungen ist in Art. 82 Abs. 2 GG geregelt.
Der Bundesrat muss Rechtsverordnungen in den Fällen des Art. 80 Abs. 2 GG - insbes. bei ermächtigenden Zustimmungsgesetzen - ausnahmsweise zustimmen und ist in diesem Bereich auch zur Verordnungsregelung initiativberechtigt (Art. 80 Abs. 3 GG). Soweit der Bundesgesetzgeber Landesregierungen zur Verordnungsregelung ermächtigt, kann auch der Landesgesetzgeber handeln (Art. 80 Abs. 4 GG).
Der Bundestag kann sich Zustimmungsvorbehalte in der Ermächtigungsgrundlage einräumen, nicht aber Aufhebungs- und Änderungsvorbehalte in Form einfacher Parlamentsbeschlüsse.
Trotz der Erwähnung in Art. 20 Abs. 1 S. 2 GG sind (Volks)Abstimmungen nur bei einer Neugliederung des Bundesgebiets und u.U. bei einer Verfassungsneuschöpfung nach Art. 146 GG im Grundgesetz vorgesehen, das sich grundsätzlich für den Typ der repräsentativen Demokratie entschieden hat.
II. Verwaltung, Gesetzesvollzug
Der Begriff der Exekutive lässt sich (negativ) definieren als diejenige Staatstätigkeit, die nicht der Gesetzgebung und der Rechtsprechung zugeordnet werden kann. Er umfasst sowohl die Regierung (staatsleitende Tätigkeit) als auch die Verwaltung (primär Gesetzesvollzug).
Die Verteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern folgt nicht der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten, sondern bestimmt sich nach Art. 83 ff. (vgl. Thesen 51 - 55).
Auch soweit die Länder Bundesgesetze ausführen, obliegt ihnen grundsätzlich die Organisationsgewalt über ihre eigene Verwaltung (v.a. Errichtung und Ausstattung der Behörden sowie Regelung des verwaltungsmäßigen Gesetzesvollzuges). Allerdings gebührt dem Bund das Ingerenzrecht, abweichende Regelungen zu treffen. Stets kann er mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Betreffen die abweichenden Bundesregelungen hingegen Zuständigkeit, Form und Verfahren, ist zwischen der bloßen Aufsichtsverwaltung (Art. 84 GG) und der Auftragsverwaltung (Art. 85 GG) zu unterscheiden.
In der Aufsichtsverwaltung verbleibt den Ländern die Möglichkeit, von abweichenden Organisationsregelungen des Bundes ihrerseits landesrechtlich abzuweichen (Sonderfall der Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 Abs. 3 GG). Allein für das Verwaltungsverfahren kann der Bund abweichungsfeste Regelungen treffen, sofern ein besonderes Bedürfnis für eine bundeseinheitliche Regelung besteht und der Bundesrat zustimmt.
In der Auftragsverwaltung kann der Bund mit Zustimmung des Bundesrates stets abweichende Regelungen normieren; ein Abweichungsrecht der Länder besteht nicht. Die Ingerenzrechte des Bundes erstrecken sich fürderhin auf die Ausbildung der Amtswalter und die Benennung der Leiter der Mittelbehörden.
Der Bundesaufsicht beschränkt sich bei der Aufsichtsverwaltung auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Landesvollzugs (Art. 84 Abs. 3 S. 1 GG). Bei der Auftragsverwaltung erstreckt sie sich auch auf die Zweckmäßigkeit (Art. 85 Abs. 4 S. 1 GG - Fachaufsicht), so dass Ermessenentscheidungen auch innerhalb der Ermessensgrenzen korrigiert werden können.
Stellt der Bund im Rahmen seiner Rechtsaufsicht bei der Aufsichtsverwaltung der Länder Rechtsverletzungen fest, kann er eine Mängelrüge erheben. Kommt das Land dieser Rüge nicht nach, entscheidet der Bundesrat auf Antrag der Bundesregierung oder des betreffenden Landes über das Vorliegen einer Rechtsverletzung (Art. 84 Abs. 4 GG); beseitigt das Land einen vom Bundesrat festgestellten Mangel nicht, kann äußerstenfalls Bundeszwang, Art. 37 GG, angewandt werden. Bei der Auftragsverwaltung ist ein solches Verfahren nicht vorgesehen, weil die Landesbehörden stets den Weisungen der obersten Bundesbehörden unterstehen (Art. 85 Abs. 3 GG).
Im Bereich der Aufsichtsverwaltung sind Einzelweisungen des Bundes wegen ihres Eingriffs in die Organisationsfreiheit der Länder nur ausnahmsweise zulässig: Sie stehen unter einem mehrfach qualifizierten Gesetzesvorbehalt: Das ermächtigende Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates, die Weisungen sind nur in besonderen Einzelfällen zulässig und müssen regelmäßig an die obersten Landesbehörden gerichtet werden (Art. 84 Abs. 5 GG). Ein Durchgriff auf nachgelagerte Landesbehörden ist hingegen nur bei Dringlichkeit zulässig.
Das Grundgesetz gestattet dem Bund in einigen Vorschriften, seine Gesetze selbst zu vollziehen (fakultative bundeseigene Verwaltung, z.B. Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG), in anderen Vorschriften verpflichtet es ihn dazu (obligatorische bundeseigene Verwaltung - z.B. Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG).
In jedem Fall ist zwischen der bundesunmittelbaren Verwaltung und der mittelbaren Bundesverwaltung zu unterscheiden (Art. 86 S. 1 GG „oder“). Während der Bund bei der bundesunmittelbaren Verwaltung durch Behörden des Bundes tätig wird, handelt er bei der mittelbaren Bundesverwaltung durch selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts, nämlich durch Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen. Weil Träger dieser juristischen Personen die Bundesrepublik ist, spricht man von mittelbarer Bundesverwaltung durch bundesunmittelbare Körperschaften etc. Welche Form der Bundesverwaltung zulässig ist, bestimmt sich nach Art. 87 GG.
Zu unterscheiden ist weiterhin zwischen bundeseigener Verwaltung mit und ohne Unterbau. Die bundeseigene Verwaltung mit Unterbau (obligatorisch nach Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG, fakultativ nach Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG) ist durch Bundesober-, Mittel- und Unterbehörden gekennzeichnet. Bei der bundeseigenen Verwaltung ohne Unterbau wird eine Zentralbehörde für das gesamte Bundesgebiet tätig. Neue Bundesoberbehörden können vom Bund nur für Bereiche errichtet werden, für die ihm die Gesetzgebungskompetenz zusteht (Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG).
III. Kommunale Selbstverwaltung / Dezentralisation, öffentlicher Dienst
Ausdruck einer Dezentralisation ist das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG sichert ihnen das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Diese institutionelle Garantie kommunaler Selbstverwaltung ist gesetzlich ausgestaltbar und begrenzbar. Die kommunale Rechtsetzung erfolgt durch gemeindliche Satzungen. In prozessualer Hinsicht sind die durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten Rechte durch die Möglichkeit der kommunalen Verfassungsbeschwerde abgesichert (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG). Auf Grundrechte können sich die Gemeinden dagegen nicht berufen.
Die hoheitsrechtlichen Befugnisse sollen nach Art. 33 Abs. 4 GG grundsätzlich von Angehörigen des öffentlichen Dienstes ausgeübt werden, die in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen. Nach Art 33 Abs. 5 GG sind die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (relativ) verfassungsgeschützt. Der Zugang zu diesen öffentlichen Ämtern erfolgt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Diese Bestimmung des Art. 33 Abs. 2 GG ist als grundrechtsgleiches Recht durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG mit der Verfassungsbeschwerde prozessual bewehrt.
IV. Rechtsprechung: Funktion und Aufbau, Stellung von Richtern
Die Rechtsprechung ist eine der von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vorausgesetzten drei Staatsgewalten. Das „Rechtsprechungsrecht“ des Grundgesetzes ist insbesondere im Abschnitt IX (Art. 92 bis 104 GG) geregelt.
Die Aufgabe der Rechtsprechung besteht in der Wahrung der Rechtsordnung. Diese Funktion kann sie nur dann erfüllen, wenn sie in besonderem Maße unabhängig, objektiv und sachverständig arbeitet. Die Anforderungen an diesen Maßstab müssen tendenziell auch deshalb hoch gesetzt werden, weil gerichtliche Entscheidungen schwere Eingriffe in die Rechtssphäre des Bürgers bedeuten können (=> folgerichtig ist daher die in Art. 1 Abs. 3 GG statuierte Grundrechtsbindung der Rechtsprechung).
Das Grundgesetz geht davon aus, dass Unabhängigkeit und Objektivität gerichtlicher Entscheidungen in einem Staatswesen nicht garantiert werden können, ohne sie vor äußeren und inneren Einflüssen und Gefahren zu schützen.
Die Verfassung enthält daher eine Reihe von Regelungen, die als Schutzmechanismen gegen solche Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit zu verstehen sind. Einige dieser Regelungen sind als sog. Justizgrundrechte von den Bürgern vor dem Bundesverfassungsgericht einklagbar, vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG.
Einige dieser Schutzmechanismen sind also ausdrücklich auf das Verhältnis zwischen Rechtsprechung und Bürger bezogen:
Das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 enthält vor allem das Recht auf den zuständigen, d.h. im voraus eindeutig und nach generellen Kriterien bestimmten Richter.
Art. 103 Abs. 1 GG bestimmt das Recht auf Gehör: Den Verfahrensbeteiligten muss im Prozess Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden.
Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen (grundrechtlichen) effektiven Rechtsschutz. Die Vorschrift bezieht sich allerdings nur auf den Gerichtsschutz des Bürgers gegen die öffentliche Gewalt. Nach Rspr. des Bundesverfassungsgerichts fällt unter den Begriff der öffentlichen Gewalt nicht die Gesetzgebung.
Aus dem Rechtsstaatsprinzip wird das insbesondere im Strafprozess relevante Recht auf ein faires Verfahren abgeleitet.
Andere Vorschriften beziehen sich dagegen auf die Binnenorganisation der Rechtsprechung sowie auf das Verhältnis zwischen Rspr. und die übrigen Staatsgewalten:
Gem. Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Die Formulierung „anvertraut“ ist hierbei im Sinne von „vorbehalten“ zu verstehen, d.h. die Vorschrift bestimmt eine ausschließliche Zuweisung der Rechtsprechung an die Gerichte (Richtervorbehalt). Sonst häufig anzutreffenden Verzahnungen der Staatsgewalten und ihrer Tätigkeitsbereiche steht die Vorschrift damit entgegen, soweit sie zu Lasten der Rechtsprechung gehen.
Art. 97 GG statuiert die richterliche Unabhängigkeit; die Richter sind demnach „nur dem Gesetze unterworfen“ (die Gesetzesbindung folgt schon aus Art. 20 Abs. 3 GG). Die Rechtsstellung der Richter wird durch ihre persönliche Unabhängigkeit (Unabsetzbarkeit) und ihre sachliche Unabhängigkeit (Weisungsfreiheit) garantiert. Dass diese Unabhängigkeit der Richter ein hohes Gut ist, zeigt auch die Regelung in Art. 98 Abs. 2 GG, wonach nur das Bundesverfassungsgericht (in schwerwiegenden Fällen) eine Versetzung oder Entlassung von Bundesrichtern anordnen kann.
Es existieren sowohl Bundes- als auch Landesgerichte. Das Grundgesetz regelt in Art. 95 nur die Organisation der obersten Gerichtshöfe. Die Vorschrift regelt die verbindliche Errichtung des Bundesgerichtshofes, des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesfinanzhofes, des Bundesarbeitsgerichts und des Bundessozialgerichts als oberste Gerichtshöfe. Art. 95 Abs. 2 GG bestimmt Verfahrensvorgaben für die Berufung der Richter für die genannten Gerichte: Die Auswahl obliegt dem zuständigen Minister und einem Richterwahlausschuss.
Das Organisationsrecht (auch der unterinstanzlichen Gerichte) ist auf der Ebene des einfachen Rechts geregelt, insbesondere im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG, Schönfelder Nr. 95) sowie für den Verwaltungsrechtsweg in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO, Sartorius Nr. 600). Dabei handelt es sich um Bundesgesetze; die Zuständigkeit des Bund hierfür ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (konkurrierende Gesetzgebung).
V. Verfassungsgerichtsbarkeit: Art. 93 Abs. 1 Nrn. 1, 3, 2 GG, Art. 100 GG
152. Das Organstreitverfahren ist in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG geregelt. Nähere Bestimmungen finden sich in den §§ 13 Nr. 5 und 63 ff. BVerfGG. Das Verfahren dient der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen um ihre wechselseitigen Rechten und Pflichten; es geht also um die Abgrenzung von Kompetenzen. In seiner abschließenden Entscheidung (§ 67 BVerfGG) stellt das BVerfG fest, ob die fragliche Maßnahme oder Unterlassung grundgesetzwidrig ist.
153. Die wichtigsten Zulässigkeitsvoraussetzungen des Organstreitverfahrens sind:
Antragsberechtigung und Antragsgegner: Oberstes Bundesorgan oder „andere Beteiligte“, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG iVm § 63 BVerfGG.
zulässiger Streitgegenstand: „Streitigkeit über den Umfang von Rechten und Pflichten“, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG iVm § 64 BVerfGG.
Antragsbefugnis, vgl. § 64 BverfGG
Form und Frist, § 23 Abs. 1 BVerfGG (schriftlicher Antrag); § 64 Abs. 3 BVerfGG (6-Monats-Frist).
154. Der Bund-Länder-Streit, Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, betrifft Streitigkeiten im Verhältnis von Bund und Ländern um Rechte und Pflichten aus dem Bundesstaatsverhältnis. Die Voraussetzungen sind näher in den §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG geregelt. Ebenso wie beim Organstreitverfahren endet das Verfahren mit einer Feststellung des BVerfG, ob die angegriffene Maßnahme gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt (§§ 69 iVm 67 BVerfGG).
155. Die wichtigsten Zulässigkeitsvoraussetzungen des Bund-Länder-Streits sind:
- Antragsteller und Antragsgegner: gem. § 68 BVerfGG Bundesregierung und Landesregierungen (Prozessstandschaft für den Bund/das Land).
- zulässiger Streitgegenstand: gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 „Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten...“.
- Antragsbefugnis, vgl. § 69 iVm 64 Abs. 1 BVerfGG.
- Form und Frist (wie beim Organstreitverfahren, s.o.).
156. Um ein objektives Beanstandungsverfahren handelt es sich bei der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. Die einzelnen Voraussetzungen sind in den §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG geregelt. Der objektiv-rechtliche Charakter des Verfahrens wird daran deutlich, dass (im Gegensatz etwa zum Organstreitverfahren oder zur Verfassungsbeschwerde) die Antragsbefugnis keine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt: Unabhängig von einer Betroffenheit des Antragstellers in subjektiven Rechtspositionen oder Kompetenzbereichen kann die Verfassungsgemäßheit einfachen Bundes- und Landesrechts zur Überprüfung gestellt werden. Das Verfahren dient somit nicht in erster Linie der Wahrung von subjektiven Rechten, sondern dem rechtsstaatlichen Interesse an der Einhaltung der Verfassung
157. Die wichtigsten Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle sind:
Antragsberechtigung, gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG iVm § 76 BVerfGG die Bundesregierung, Landesregierung oder ein Drittel der Bundestagsmitglieder. Da es sich um ein objektives Beanstandungsverfahren handelt, kennt das Verfahren keinen Antragsgegner.
Prüfungsgegenstand, gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG iVm 76 BVerfGG Bundesrecht oder Landesrecht.
„Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ über die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bzw. sonstigem Bundesrecht, vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und § 76 Abs. 1 BVerfGG (letzterer ist seinem Wortlaut nach enger: Antragsteller muss die Norm für nichtig halten).
Klarstellungsinteresse: Es reicht ein objektives Klarstellungsinteresse, dass nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zu verneinen ist. Da es sich um ein objektives Beanstandungsverfahren handelt, ist eine besondere Antragsbefugnis nicht erforderlich.
Schriftform und Frist: zur Schriftform vgl. § 23 Abs. 1 BVerfGG; es gelten keine Antragsfristen.
158. Von der abstrakten Normenkontrolle ist die konkrete Normenkontrolle gem. Art. 100 GG zu unterscheiden. Bei der konkreten Normenkontrolle handelt es sich zwar ebenfalls um die Überprüfung der Vereinbarkeit von einfachen Gesetzen mit der Verfassung durch das BVerfG. Anders als bei der abstrakten Kontrolle wird das BVerfG hierbei jedoch durch ein anderes Gericht eingeschaltet, wenn dieses von der Verfassungswidrigkeit des fraglichen Gesetzes überzeugt ist.
159. Die wichtigsten Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Verfahren der konkreten Normenkontrolle sind:
Vorlageberechtigung: gem. Art. 100 Abs.1 GG nur Gerichte.
Verfahrensgegenstand: nur formelle und nachkonstitutionelle Gesetze.
Gem. Art. 100 Abs. 1 GG muss das Gericht das Gesetz für nichtig halten.
Die Frage der Gültigkeit des fraglichen Gesetzes muss für die konkrete gerichtliche Entscheidung erheblich sein, vgl. Art. 100 Abs. 1 GG.
Antragsform: Das vorlegende Gericht entscheidet über die Vorlage durch Beschluss; dieser muss begründet werden.
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