ais Zweitsprache zu tun haben unii nidit mit Deutsch ais Fremdspra-chc. Andcrcrseits konnie man wie folgt argumentieren: wenn die Adressaten solcher Kursę nach ihren Studien in ihr lleimatland zu-riickkchren, ist Deutsch wiederum eine Fremdsprache, die fiir einen bestimmten Zeitraum in einer „zweitsprachlichen" Umgebunggelernt wurde. In der Tai bat sich in der Zwischenzeit eine Unterscheidung zwischen „Deutsch ais Fremdsprache" und „Deutsch ais Zweitsprache" durdigesetzt - nur bleibt diese Unterscheidung unscharf.
Wenn zwischen Fremdsprache und Zweitsprache unterschieden wird, dann fchlt ein Oberbegriff - in Abbildung 1.2 wird „Nicht-Mut-tersprache" ad hoc eingesetzt. In der Fachliteratur werden sowohl „Zweitsprache" ais auch „Fremdsprache" ais Oberbegriffe benutzt. Daher sollte man beim Lesen aufpassen. ob einer dieser beiden Bc-griffe in einem spezifizischen Sinnc (etwa wie in Abbildung 1.2) oder in einem ailgemeinen Sinne (= „Nicht-Muttcrsprache" in Abbildung 1.2) benutzt wird.
Die in Abbildung 1.2 eingefuhrten Unterscheidungen sind daher keine absoluten: auch die untcrrichtliche Praxis ist in der Zwischenzeit sehr heterogen. In einer deutschen Universitat koinmt es vor, daB fremdsprachliche Kursę von einigen Studierenden bcsucht werden, die die Fremdsprache ais LI beherrschen. Ebenso gilt, daB die Grenzen zwischen Deutsch ais Muttersprache, Deutsch ais Fremdsprache und Deutsch ais Zweitsprache flieBend sind und daB das Fach Deutsch in deutschen Schulen und Universitaten von Personen studiert wird, die móglicherweise die Sprache aus allen drei Perspektiven angehen. Es ist zu erwarten, daB diese verwirrende, aber ebenso spannende Ten-denz sich in der Zukunft auf der Grundlage politischer Entwicklungen innerhalb und auBerhalb Europas noch verstarken wird. In diesem Zusammenhang sei auf den Begriff lingua franca hingewiesen. Eine Sprache wird dann ais lingua franca bezeichnet, wenn Personen un-terschiedlicher Herkunft zur Konununikation eine weitere Sprache verwenden, die keine von ihnen ais Muttersprache beherrscht. Eng-lisch wird sehr haufig ais lingua franca verwendet, eine Tatsache, die móglicherweise Konsequcnzen fiir den Englischunterricht mit sich bringt (Edmondson/Housc 2003; Seidlhofer 2001). Der Status des Deutschen ais Wissenschaftssprache und daher auch ais lingua franca wird weiterhin heftig diskutiert (vgl. z.B. Ammon 1999). Solche politischen Perspektiven werden in Kapitel 4, Abschnitt 2.4. diskutiert.
In Bczug auf die Frage nach einem angemessenen Oberbegriff fiir „Nicht-Muttersprachen" móchten wir im Rahmen dieses Buches das Akronym L2 ais Oberbegriff einfiihren - eine Abkiirzung, die in der Fachliteratur besonders im angelsachsischen, aber auch zunehmend im deutschsprachigen Raum verwendei wird.
2.2 Sprachenlemen - Spracherwerb
Einigc Wissenschaftler unterscheiden zwischen dem Erlernen und dem Erwerb von Sprachen. Weitere hiermit verbundene Unterschei-dungen stehen sich in Abbildung 1.3 gegenuber:
Lernen („learning") gesteuertes Lernen explizites Lernen bewuBtes Lernen
Erwerb („acquisition") naturliches Lernen implizites Lernen unbewuBtes Lernen
Abbildung 1.3 Sprachentwicklung
Nach dieser Unterscheidung findet Spracherwerb bei der Erstspra-chenentwicklung statt: die Sprache wird intuitiv, meistens unbewufct durch soziale Kontakte entwickelt. Sprachenlemen dagegen ist ein bewuBter Prozeft, in dem Regeln gelernt und angewendet werden. Das Sprachenlemen findet z.B. im tradilionellen Grammatikunter-richt statt.
Bei dieser Gegeniiberstellung soli zwischen Lern- bzw. Erwcrbs-kontexten (etwa Fremdsprachenunterricht gegenuber naturlicher Um-gebung) auf der einen Seite und zwischen verschiedenen Lern- bzw. Erwerbsprozessen auf der anderen Seite unterschieden werden. Einige Forschcr aber lassen diese Unterscheidung zwischen Kontexten und Prozessen aufócr acht, d.h. es wird davon ausgegangen, date im Unter-richt „gelernr und auf der StraBe „erworben" wird. Diese Annahme ist aber nicht nur sehr problemat isch, sondern schlicht falsch. Ob un-terschiedliche Prozesse in gesteuerter gegenuber naturlicher Sprachentwicklung aktiviert werden, bleibt solange eine offene Frage, bis empirische Studien eine differenziertc Beurteilung erlauben. Ferner kann man durchaus versuchen, „naturliche" Spracherwerbsprozesse im Unterricht zu fordem, und es ist nicht auszuschlie&en, daS Lerner in ^naturlichen" (auBerunterrichtlichen) Situationen iiber die Ziel-sprache bewuBt nachdenken.
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