Dennoch kommcn Ansdriicke wie „Zweitsprachenunterricht", „Zweitsprachenlernen* oder „Fremdsprachenerwerb" in der Fachlite-ratur kaum vor: Lemprozesse werden eher mit einer Fremdsprache, Erwerbsprozesse mit einer Zweitsprachc assoziiert.
Ahnlich wie bei Fremdsprache und Zweitsprache fehlt auch fiir Sprachenlernen und Spracherwerb ein Oberbegriff. Wir verwenden daher in Abbildung 1.3 „Sprachentwicklung". In diesem Buch werden wir (wie in dem vorherigen Absatz) den Begriff „Lernen" theo-rieneutral verwenden, d.h. ais Oberbegriff, in dem sowohl natiirli-cher Spracherwerb ais auch gesteuertes Sprachenlernen mitenthaltcn sind. Wann immer nótig, werden wir jedoch zwischcn Spracherwerb und Sprachenlernen explizit untcrscheiden.
3 Die Sprachlehrforschung und verwandte Disziplinen
Die Natur der Sprachlehrforschung und ihr Entstehen kann durch Vergleiche mit anderen Wissenschaften erhellt werden. In den sieb-ziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts fand in Deutsch-land eine „Abgrenzungsdiskussion- statt, die teilweise sehr emo-lional und personlich gefiihrt wurde, die aber letztcndlich niitzlich war, weil durch sie die Frage einer angemessenen Erforschung des Fremdsprachenlernens und -lehrens neu debattiert, der Ansatz der Sprachlehrforschung publik gemacht und eine fruchtbare Zusam-menarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen ermóglicht wurde. Irn folgenden wollen wir versuchen, die Sprachlehrforschung gegcniiber der Fremdsprachendidaktik, der Angewandten Linguistik und der Zweitsprachenerwerbsforschung abzugrenzen.
Die Fremdsprachendidaktik befaftt sich mit praxisbezogenen, also zumeist lehrbezogenen Problcmen. Da die Fremdsprachendidaktik ais institutionelles Fach eng mit der Lehrerausbildung verkniipft ist, besteht die Gefahr, dafó innerhalb der Fremdsprachendidaktik der Fremdsprachenunterricht ais Ort des Einsatzes bestimmter Arten von Lehrverhalten verstanden wird, zu Lasten der fiir die Sprachlehrfor-schung wichtigen Lernerperspektivc. Historisch gesehen trifft dies auch zu, da das Frerndsprachenlernen in der Fremdsprachendidaktik zur Aufnahmc ausgewahlter Fremdsprachenlehrmethoden reduziert wurde (s. hierzu Kapitel 7). Die Fremdsprachendidaktik bezieht ihre didaktischen Handlungsanweisungen haufigaus von der Erziehungs-wissenschaft abgeleitcten theoretischen Modellen.
Das Fach Angewandte Linguistik (vgl. Knapp el al. 2004) hat in Deutschland eine etwas andere Richtung eingeschlagen ais die irn Prinzip aquivalente „Applied Linguislics" in angelsachsischen Landem. Beide Facher sind sehr breit konzipiert - eine Beschaftigung mit Aspekten des Fremdsprachenlernens und -lehrens konstitutiert nur einen (wennglcich den wichtigsten) Schwerpunkt innerhalb diescr beiden Disziplinen. In der Fachrichtung Angewandte Linguistik sind in der Tcndenz - genau wie der Name andeutet - das Fremdspra-chenlernen und die Fremdsprachenvermittlung ais Bereiche erforscht worden, in denen hauptsachlich linguistische Untersuchungcn durch-gefuhrt und linguistische Theorien angewandt oder erprobt werden. Abbildung 1.4 enthalt zwei abstrakte Modelle, die unterschiedliche Konzeptc der Yermittlungsfunktion der angewandten Linguistik dar-stellcn (vgl. Stern 1983, 36-39).
Anwendung der Linguistik = Angewandte Linguisitik Angewandte Linguistik 1
i
I
Linguistik |
Anwendung |
- |
Sprachunterricht |
Eklektische Anwendung der Linguistik und anderer Disziplinen Angewandte Linguistik 2
Abbildung 1.4 Angewandte Linguistik: zwei Modelle
Im Gegensatz zur Sprachlehrforschung geht die Angewandte Linguistik ehcr eindimensional vor: von einer Basisdisziplin (der Linguistik des 20. Jahrhundcrts) oder mehrercn cklektisch ausgewahlten Basis-disziplinen ausgehend, bis hin zum Anwendungsbereich Fremdspra-chenunterricht wird die Rcz.cption linguistischer und anderer Modelle