Wahrend man in alteren Abhandlungen iiber den Kruseler80 davon ausgeht, das die gekniuselten Rander entweder angenaht oder durch Pressen in eine heiBe Form (Gauffrierung) erzeugt wurden, ist die englische Textil- und Kostiimkundlerin Stella Mary Newton zu dem Ergebnis gelangt, daB diese Randkrausen integraler Bestandteil des Ge-webes waren, aus dem die Kruseler hergestellt wurden.81 In ihrem Aufsatz iiber die „frilled edges“ zeigt sie nicht nur Beispiele fur gekrauselte Web-rander, sondern auch schematische Darstellungen der speziellen Webart.
Ais man in der 2. Halfte des 14. Jahrhunderts in deutschen Stadten vermehrt dazu iiberging, aus so-zialen, wirlschaftlichen und religiosen Griinden mit Kleiderordnungen gegen den zunehmenden Kleiderluxus vorzugehen, wurdc dabci auch der Kruseler nicht vergessen. In der Speyrer Kleider-ordnung von 1356 wird der Kruseler erstmals na-mentlich erwahnt: ...sleyger, genannt kruseler...*2
Somit verfugen wir neben den kunsthistori-schen (Bildern und Statuen/Statuetten) auch iiber archivalische Quellen, die uns recht genau iiber die modischen Ubertreibungen bei Anfertigung und Tragweise dieser Kopfbedeckung informieren. FUr sein exaktes Aussehen sind in Ermangelung von erhaltenen Originalen nach wie vor die łe-bensgroBen Statuen adliger Damen - erwahnens-wert vor allem die Stiflerfiguren des habsbur-gischen Herzogshauses am Wiener Stephansdom -und ab den dreiBiger Jahren des 15. Jahrhunderts die fotografisch genauen Portrats der altniederlan-dischen Meister die beste Quelle; denn auf kleine-ren Darstellungen - vor allem in der Miniaturma-lerei - erscheinen die den Kruseler schmtickenden Riischen voluminóser, ais sie es in der Realitat tatsachlich waren.83
Der einfache Kruseler wird aus mehreren (min-destens drei) halbkreisformigen, ubereinanderge-legten Schleierttichern gebildet, bei denen die das Gesicht rahmenden geraden Vorderkanten mehr oder weniger stark gekrauselt sind. Die Schleier-tiicher konnen dabei weich fallen, wie zum Bei-spiel an der urn 1350 entstandenen Statuę der hl. Elisabeth von Thiiringen im StraBburger Munster, oder aber gestiirkt sein und die Stirn rechtwinklig einrahmen, wie zum Beispiel auf manchen engli-schen Grabmalern.
Mit der Zeit wird die Zahl der Schleier erhóht. Wahrend die Speyrer Kleiderordnung von 1356 vier Tuchlagen erlaubt, gestattet Frankfurt im glei-chen Jahr seinen Biirgerinnen bis zu scchs Rii-schenlagcn. Es wird sogar von Kruselern mit zwolf und mehr Lagen berichtet. In der Ravens-burger Kleiderordnung von 1371 werden erst Exemplare mit mehr ais 20 Riischen verboten. Im Jahre 1392 erhalt eine gewisse Katharina Schmie-der zu ihrer Hochzeit einen seidenen zwolffachen Schleier mit gelben Riischen geschenkt.84
Vereinzelt wird im deutsch-bdhmischen Raum zum Kruseler noch die Rise getragen, ein Tuch, das von Schlafe zu Schliife reicht und einen Teil der Wangen, das Kinn und den Hals bedeckt. Der Reiz der Rise kann dadurch gesteigert werden, daB ihr unterer Rand nicht in den Halsausschnitt des Gewandes gesteckt wird, sondern den Brustansatz frei laBt.
„Seinen Erfolg verdankt der Kruseler zweifelsoh-ne der Moglichkeit, ihn durch zahlreiche iibcrcin-andergelegtc Riischen zu einem eindrucksvollen Kopfputz zu gestalten, was der zeitgenossischen Vorliebe tur Extravaganzcn besonders entgegen kam. Er erfreute sich so groBer Beliebtheit, daB cr ais eines der wenigen modischen Allribule bei Ma-donnendarstellungen erscheint. Selbst Ordensfrau-en waren vor dem Yerlangcn nach dieser weltli-
Kruselerfigiirehen, Spielzeug um 1400 (GNM Niimberg) - man beachte die Gehren
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