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Nacbwort
Nachwort
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nest ist sdiockierend. Das vermeintliche Tanzbein der Maskę erweist sich in Wirklichkeit ais Prothese.
Zuletzt: „Lokal der Heilsarmee", vorweggenommene Brecht-Szenerie. Die Bufibank gleicht mit ihren beken-nenden Gestalten einem Spiegelkabinett, das die bisheri-gen Wirklichkeiten des Kassierers in ihrer verlorenen Form wiedergibt, zwar allemal deformiert, doch immer richtig, niemals aber wahr. So ist es wohl immer seine „Sadie", aber nie seine Wahrheit. Solidaritat der sidi entblofienden Seelen wird feilgeboten, Fangnetz fiir seinen Lebensrest. Eine sdileidiende Diktatur der Seelen beginnt. Sie leuditet fiinf Minuten vor zwolf mit pein-lichem Licht in den sich schon verdunkelnden Tagesgang des Kassierers zuriick, bis hin zum neuralgischen Punkt seines Aufbruchs. Nachdem sidi trotz hochstem Einsatz keine Station gelohnt hat, der Rest des Geldes in seiner von Schweifi durditrankten Fracktasche schal geworden und sein Bewufitsein iiberfordert, ubernachtigt ist, hofft er, durdi „Bekenntnis und Bufie" seine Erfiillung zu finden. Ais er vor dem Confiteor das Geld, den Rest der Unterschlagung, auf den Boden streut, wird das fromme Lokal der Bekenner und Biifier nicht, wie erwartet, zum „brennenden Ofen" der Verachtung des Geldes, sondern zum Hexenkessel der Raffsucht, Gier und Mifigunst. Das war die vorletzte Enttauschung. Konfrontiert mit der letzten Erkenntnis, mit dem Yersagen der Liebe, ais ihn die Geliebte an die Polizei verrat, vollstreckt er selbst die Kreuzigung seines Ichs, zerbridit mit letztem Kraft-aufwand den unbarmherzigen Kreislauf des rasenden Lebens. Mit dem Sdiufi hinter die „Hemdbrust" ins eigene Herz sorgt er auf exemplarische Weise fiir einen „Kurzschlufi in der Leitung" der Menschheit. Doch Kurzschliisse sind reparierbar.
Das handschriftliche Original des Dramas Von mor-gens bis mitternachts ist yerschollen. Der Text dieser Ausgabe wurde nach einer im Georg-Kaiser-Archiv Berlin aufbewahrten Abschrifl (A) hergestellt, die Korrektu-ren von der Hand Georg Kaisers enthalt und ais Fassung letzter Hand erkennbar ist. Dabei wurde auf eine Nor-malisierung der Orthographie nach Duden zugunsten der Kaiserschen Schreibart verzichtet. Die Abweidiungen des hier im Druck gereichten Textes von A seien kurz genannt. Die Personen sind in A nicht gesperrt geschrie-ben. Der aus Griinden einer Verdeutlichung nach den Personen gesetzte Punkt kommt in A nicht vor. Um diese Eigenheit des Druckes zu respektieren, wurde bei Regieangaben, die sich unmittelbar an eine Person kniip-fen, der in A vor der beschliefienden Klammer stehende Punkt hinter die Klammer verwiesen.
Walther Huder
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