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IMRE KERTÉSZ 

 

Ich – ein anderer 

 

ROMAN 

 

 

 

Aus dem Ungarischen 

von Ilma Rakusa 

 

 

 

 

 

 

ROWOHLT TASCHENBUCH VERLAG 

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2. Auflage Oktober 2002 

Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 

Reinbek bei Hamburg, Oktober 1999 

Copyright © 1998 by Rowohlt • Berlin Verlag GmbH, Berlin 

 

 

 

Die ungarische Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel 

«Valaki más. A valtozas krónikája» bei Magveto, Budapest 

Copyright © 1997 by Imre Kertész 

Alle Rechte vorbehalten 

Umschlaggestaltung Cordula Schmidt / Barbara Hanke 

(Foto: The Image Bank) 

Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck 

Printed in Germany 

ISBN 3 499 22573 5 

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In dem ehemaligen Häftling  Imre  Kertész, dem 

«unverbesserlichen Kind von Diktaturen», ist eine 

Verwandlung geschehen. Er ist jetzt ständig unterwegs, 

lebt immer aus dem Koffer. «Sein Nomadisieren 

entzückt und bedrückt ihn zugleich» und hat ihn doch 

«zum Leichtsinn eines späten Daseinsglücks 

hingelenkt». (Sigrid Löffler, «Die Zeit») 

Imre  Kertész, geboren 1929 in Budapest, wurde 1944 

nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald 

befreit. Seit 1953 lebt er in Budapest als freier 

Schriftsteller und Übersetzer (u. a. von Nietzsche, Freud, 

Hofmannsthal). Für seine Romane, Erzählungen und 

Theaterstücke wurde er mit mehreren Preisen 

ausgezeichnet. 

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«… denn ich bin es, den ich darstelle.» 

Montaigne 

 

«… ich habe nicht existiert, ich bin jemand anderer gewesen 

(…) Heute auf einmal bin ich zu dem zurückgekehrt, der ich 

bin oder zu sein träume.» 

Pessoa 

 

«‹Ich› ist eine Fiktion, bei der wir bestenfalls Miturheber 

sind.» 

I. K. 

 

«Ich ist ein anderer.» 

Rimbaud 

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_____Neunzehnhunderteinundneunzig. Herbst  am kalten 

Donauufer, die nahe Dämmerung tauchte die in ihrem 

lügenhaften Prunk schäbig gewordenen Palais der Pester Seite 

in herbes Apfelgrün. 

Alles in mir schläft, tief und reglos. Ich rühre in meinen 

Gedanken, Gefühlen, als wär’s eine Autoladung lauen Teers. 

Warum fühle ich mich so verloren? Offenbar, weil ich 

verloren bin. 

Alles ist falsch (durch mich, wegen mir: meine Existenz 

verfälscht es). 

Wenn die Leere (meine innere Leere) Schuldgefühle auslöst, 

so geht das womöglich auf unsern Ursprung zurück. Der 

Schöpfung ging Beklemmung voraus:  der Horror vacui ist 

eine ethische Tatsache. 

Gestern, auf einer albernen Konferenz mit dem albernen Titel 

«Hungarian-jewish coexistence», kam im Vortragssaal ein 

älterer Herr auf mich zu; sein Gesicht war teigig und formlos, 

sein Haar in Streifen schütter wie ein abgewetztes 

Plüschkanapee: kein einziger seiner Gesichtszüge kam mir 

bekannt vor. Zu meinem Erstaunen umarmte er mich plötzlich 

und stellte sich vor: ein Freund, wir hätten uns fünfunddreißig 

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Jahre nicht gesehen. Er lebe im Ausland. Er habe von mir 

gehört, lese meine Bücher. Meine «Verwandlung» könne er 

nicht nachvollziehen.  Damals  habe er nichts Besonderes an 

mir bemerkt, es hätte keinerlei Anzeichen für meine «höheren 

Fähigkeiten» gegeben. Ich entschuldigte mich ein wenig für 

diese unerwartete Entwicklung, in Wirklichkeit aber wühlten 

mich seine Worte auf. Seit je neige ich dazu, mich für einen 

«Jedermann» zu halten, der allerdings in einer Hinsicht keine 

Anstrengung scheut: wenn es darum geht, klaren Kopf zu 

behalten. Was sind meine «höheren Fähigkeiten»? Ich bin der 

einzigen Inspiration dieses Landes nicht gefolgt: jenem 

permanent verführerischen Sirenengesang, der zum seelischen, 

geistigen und physischen Selbstmord verleitet, und das zeugt 

von einer gewissen Vitalität. Doch wäre es höchst unbesonnen, 

ja verblendet, dieses Minimum als Sieg zu werten. Was nun 

hat sich durch die «Wende» gewandelt? Gibt es kein 

Ausgeliefertsein mehr? Bin ich von mir selbst erlöst? Man hat 

mir nur die conditio  minima, meine persönliche Freiheit 

zurückgegeben  – die Tür zur Zelle, in der ich vierzig Jahre 

lang festgehalten wurde, ging, wenn auch quietschend, auf, 

und vielleicht genügt das, um mich zu verstören. Man kann die 

Freiheit nicht am selben Ort kosten, wo man die Knechtschaft 

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erduldet hat. Ich müßte weggehen, weit weg von hier. Ich 

werde es nicht tun. 

Also müßte ich wiedergeboren werden, mich verwandeln  – 

doch in wen, in was? 

Es regnet. An einem Tisch im Kaffeehaus erklärt ein Mann 

einer Frau etwas, das sich nicht erklären  läßt. Er möchte 

aufhören mit den unablässig scheiternden Glücksversuchen. Er 

hat genug von der Jagd nach Freude  – auf dem Irrweg der 

Versprechen, die ins Nichts führen. Nein, keine andere Frau, 

Gott behüte. Freiheit. Auftauchen aus dem jahrelangen trüben 

Strudel aufeinanderfolgender Beziehungen. Er hat es satt, in 

jedem Verhältnis seine eigene Unzulänglichkeit zu erkennen. 

Ihm schwebt ein kurzes, intensives, schöpferisches Leben vor. 

Treue, mürrische Pflichterfüllung als das nährende Feuer einer 

Dauerdepression. Dieses Feuer ist eiskalt, doch lodert darin 

große Genugtuung. «Was wußten sie, wer er war»

 – niemand 

weiß, wer er ist, und er wünscht, daß man ihn mit seinem 

Geheimnis allein läßt. Das Gesicht der Frau, während sie ihm 

zuhört. Jetzt müßte sie aufstehen, stolz, müßte sich mit 

unterdrücktem Schluchzen entfernen. Sie rührt sich nicht. Also 

springt der Mann auf, küßt die Frau sachte, rasch auf die 

                                                        

 Im Original deutsch 

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Augen und eilt aus dem Kaffeehaus. Nein, er tut es nicht. Er 

winkt den Kellner herbei, zahlt. Sie erheben sich gleichzeitig. 

Durch die regennasse Fensterscheibe kann man sehen, wie sie 

auf die Straße treten. Der Mann öffnet den Regenschirm. Sie 

gehen ein paar Schritte nebeneinander, dann hakt sie ihn unter, 

und nach kurzer Unkoordiniertheit sind ihre Schritte im Takt. 

Von der Tür her weht ein leichter Luftzug durch den Raum, 

wie das flüchtige Gekicher der Vergeblichkeit.  

Es regnet. Alte Parteiführer äußern sich im Fernsehen. Sie 

«glaubten» an die  Partei. Sie «glaubten», daß «Irrtümer», 

«Fehler» passiert seien, aber sie «glaubten» zum Beispiel, daß 

«Stalin davon nichts gewußt» habe. Usw. Doch wäre es falsch, 

anzunehmen, sie hätten solche Gemeinplätze nicht mit echten 

Inhalten, ihren sogenannten «Glauben» nicht mit echten 

Gedanken oder Gefühlen verwechselt. Die daraus zu ziehende 

Lehre: diese Menschen haben ihr Leben auf einen falschen 

Gebrauch der Sprache gebaut. Schlimmer noch, sie haben 

diesen falschen Sprachgebrauch zum gültigen Konsens 

erhoben und haben bei ihrem Abgang lauter Sprachgeschädigte 

zurückgelassen, die nun dringend moralische Soforthilfe 

benötigen, da die durch den falschen Sprachgebrauch wertlos 

gewordenen, wie Papierfetzen zerfasernden Worte plötzlich 

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ihre moralischen Verletzungen zu enthüllen scheinen. 

Moralische Prothesen klappern, moralische Krücken knarren, 

moralische Rollstühle rollen, wohin ich auch blicke. Es geht 

nicht darum, eine Epoche wie einen Alptraum zu vergessen: 

sie  waren ja der Alptraum, also müßten sie  sich selber 

vergessen, um leben zu können. Woher aber soll man wissen, 

ob es nach einem langen Tod möglich, verlockend ist, wieder 

zu leben. Ist denn je einer auferstanden – nicht um Wunder zu 

verkünden, sondern um einfach weiter so dahinzuleben, im 

wesentlichen  aus dem gleichen Grund  wie zuvor (nämlich 

grundlos), und ohne das Ereignis der Auferstehung auch nur 

bemerkt zu haben? Ist Lazarus in der Rolle eines Chaplin 

denkbar? 

Der feuchte, zehrende Wind der Tragödien heult. Die Erde tut 

sich auf, der Himmel stürzt ein. Die Menschen verändern sich 

jäh, fallen in sich zusammen, altern. Der Hauch der Hölle bläst 

ihnen die Farbe vom Gesicht. Graue und weiße Gestalten, 

Leichen nähern sich auf den Straßen. Metamorphosen der 

Apokalypse. Als ich auf der Vermezó an dem mit Judensternen 

vollgekritzelten Standbild von Bela Kun vorbeischlenderte, 

begriff ich mit einemmal, daß das, was ich in jungen Jahren für 

Feigheit, Dummheit, Blindheit und – im Grunde genommen – 

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für eine unbegreifliche tragikomische Form von Selbstmord 

gehalten hatte, in Wirklichkeit Hilflosigkeit ist, die in Würde 

umschlägt. Es liegt eine gewisse Würde darin, daß der Mensch 

schließlich den Befehl des Mörders ausführt und mit 

Gleichmut erträgt, daß er gebrandmarkt und abgeschlachtet 

wird. In der Bequemlichkeit  – der  Bequemlichkeit der 

Opferrolle  – liegt etwas Großzügiges. Was mich betrifft, so 

ahne ich schon, daß ich an meinem Platz ausharren werde, 

höchstens mein Ekel wird zunehmen. Das lange Leben hält 

immer mehr Überraschungen für uns bereit – Überraschungen, 

mit denen wir uns selber verblüffen. 

 

 

«Wir müssen unser Dasein so  weit,  als es irgend geht, 

annehmen»: Rilke. Kafka: «Ich muß viel allein sein. Was ich 

geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.» Nietzsche: 

«Das Pathos der Distanz…» 

Welches ist das richtige Leben? Ein ewiges Geheimnis (für 

mich). 

Gestern abend im Bett versuchte ich lange und angestrengt, 

mir mein Nichtsein vorzustellen. Das subjektive Nichts. Ich 

spürte geradezu, wie ich aus meinem Körper herausschlüpfte – 

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doch damit war das Abenteuer auch schon zu Ende. Kaum 

verlasse ich die Hülle, verschwindet der Inhalt; alles hört auf. 

Ich bin auf Gedeih und Verderb mit meinem Körper 

verbunden, dieser Gemeinplatz ist manchmal fast nicht zu 

fassen. Es wäre ein Fehler, zu glauben, mein Leben gehöre 

mir. Aber es wäre ein noch größerer Fehler, dieses Leben zu 

vernachlässigen, es zugrunde, flötengehen zu lassen. Dieses 

Leben wurde mir anvertraut – ich frage nicht, von wem, da ich 

die Antwort kenne und auch weiß, daß die Frage falsch gestellt 

ist; ich kann mich nur auf mein eigenes, unleugbares  Gespür 

für Verantwortung verlassen (mein einziges  Gespür).  Mit 

meinem Leben stehe ich in einer Wechselbeziehung. Diese 

Beziehung heißt: Ausgeliefertsein.  –  Soweit wäre alles in 

Ordnung. Doch welches Teilchen dieses gespaltenen Lebens 

nennt sich «Ich»? 

 

 

«Ich » ist eine Fiktion, bei der wir bestenfalls Miturheber sind. 

«Ich ist ein anderer.» (Rimbaud) 

 

 

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«9. IV. 1951.  ‹Weißt du, oder glaubst du nur, daß du L. W. 

heißt?› Ist das eine sinnvolle Frage?» (Wittgenstein:  Über 

Gewißheit) 

Und was habe ich am 9. April 1951 getan? Vor 

einundvierzigeinhalb Jahren? Ich glaube, ich habe in der 

MAVAG Eisen- und Maschinenfabrik gearbeitet, als 

ausgebooteter Intellektueller. Wußte ich oder glaubte ich nur, 

daß ich I. K. heiße? 

Weder wußte ich  es, noch glaubte ich es. Ich gehorchte 

einfach, wenn man mich bei diesem Namen rief. 

Immer schon haßte ich meinen Namen. Bereits in meiner 

frühen Kindheit haftete zuviel Schmach an ihm. 

Um genau zu sein: Ich glaube, ich habe mich vor meinem 

Namen gefürchtet. Ein bißchen tue ich es noch heute. 

Höre ich meinen Namen oder sehe ich ihn geschrieben, fühle 

ich mich gewissermaßen aus dem friedlichen Versteck meiner 

Anonymität herausgerissen  – identifizieren jedoch werde ich 

mich nie mit ihm. 

(Tolstoi berauschte sich angeblich schon im Flegelalter an 

seinem eigenen Namen, wie ein junger Hund.) 

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Ich bin nach Wien gekommen, als wollte ich vor meinem 

Leben flüchten. Und ich übersetze Wittgenstein  (Vermischte 

Bemerkungen), als wollte ich vor meinen Aufgaben flüchten. 

Milder Winter 1992. Spaziergänge in der frühen Dämmerung. 

Der Belvedere-Park. Die Umgebung der Karlskirche, die 

Argentinierstraße, mit deren  Namen  sich ein silbriges 

Klingelgeräusch verbindet. Die wohlproportionierten Palais, 

ein in einer Toreinfahrt verstecktes geheimnisvolles Geschäft, 

wo indonesischer Schmuck, krumme Säbel, exotische Nippes 

verkauft werden. Vor Sonnenuntergang (hier kommen mir so 

archaische Wörter wie  zum Beispiel «Vesper» in den Sinn), 

zur Vesperstunde also (wann ist denn Vesperstunde?), schaue 

ich noch rasch in den Garten des Palais Schaumburg, auf den 

mein Fenster geht. Der herbe Duft der Luft, die spärlichen 

Passanten, die Farben des abendlichen Zwielichts, die 

Einsamkeit, der leichte Rauchgeruch  – alles, alles erinnert an 

die langen, gramvollen, traumartigen Nachmittage meiner 

Kindheit. 

Wo ist die Stadt, die die Stille, die Altertümlichkeit dieses 

Wiener Abends wie eine Metapher in mir… heraufbeschwört? 

Ich glaube, ich wollte schon immer so leben: in einer 

angenehmen Mietwohnung (die nicht mir gehört), zwischen 

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freundlichen Möbeln (die nicht mir gehören), heimatlos, 

unabhängig, mit dem beschäftigt, was sich ergibt (zur Zeit die 

Wittgenstein-Übersetzung), ohne schwerwiegende Brotsorgen, 

an einem fremden Ort, wo mich Erinnerungen an vertraute, 

vielleicht nie gewesene Ereignisse heimsuchen… 

Wittgenstein. In Wien stoße ich auf keinerlei Spuren von 

ihm. Bei Wittgenstein jedoch stoße ich überall auf Wien. Bis 

zur Perversion gesteigerte Genauigkeit; jüdischer Selbsthaß 

(hier kann man auf bestem und höchstem Niveau studieren, 

wie der Antisemitismus entsteht und funktioniert); generell 

unsichere Selbsteinschätzung als verhängnisvolle Folge der 

väterlichen und staatlichen Stiefelsohle, wobei diese 

Unsicherheit an einem bestimmten Punkt der Verfallskurve 

unerwartet  fruchtbar und produktiv wird  – das Denken als 

Versuch, die Oberhand zu gewinnen, das Denken als Rache, 

als letzter, rückwärtsgewandter Blick eines Flüchtigen, 

verächtlich und luzid. 

Mahler sei ein schlechter Komponist. Während ich diesen 

Blödsinn übersetze, lege ich die Sechste Symphonie auf. 

Thomas Bernhard hat in einem Interview gesagt, Ludwig 

Wittgenstein sei  – im Unterschied zu seinem Neffen Paul  – 

«unmusikalisch» gewesen. Aber nicht darum geht es. «Eines 

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ist, in Gedanken säen, eines, in  Gedanken ernten», übersetze 

ich aus den Vermischten Bemerkungen: Nun, Wittgenstein war 

nicht bereit, Mahlers Gedanken zu ernten, meiner Meinung 

nach darum nicht, weil Mahler Jude war. So leicht ist es, ein 

Werk zu verkennen. Oder: Sind Werke so fragil? Nein, sie sind 

noch viel fragiler. Jedes Verstehen ist Mißverstehen. Können 

wir also behaupten, das Mißverständnis halte die Werke am 

Leben? Wohl kaum. 

Mein erster Wiener Traum, der eine klare, plastische 

Erinnerung hinterlassen hat. Ein schlechter, beklemmender, 

erniedrigender Traum. Vermutliche Zusammenhänge mit 

meiner gestrigen Abendlektüre («Der antisemitische Retter» in 

der Zeitschrift 

Transit), 

ferner mit Wittgensteins 

unglücklichem Verhältnis zu seinem eigenen Judentum. Heute 

habe ich mich bei einem symptomatischen Übersetzungsfehler 

ertappt: Es ist ein Widerspruch zu erwarten – schrieb ich –, ein 

solcher Widerspruch, wonach einer das alte ästhetische Gefühl 

für seinen Körper behält und die Beule willkommen heißt. (W. 

apostrophiert sein Judentum als Beule.) Der korrekte Text 

lautet selbstverständlich so: «Es ist ein Widerspruch zu 

erwarten, daß einer das alte ästhetische Gefühl für seinen 

Körper behalten  und  die Beule willkommen heißen wird.» 

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Mein Übersetzungsfehler ist eine offensichtliche Freudsche 

Fehlleistung, die bezeugt, was ich von Wittgenstein erwartet 

hätte… 

Was aber erwarte ich von mir selbst? Und wie soll ich 

meinen Traum deuten, der die Sache nur von der Beulenseite 

her betrachtet? 

Kaum hatte ich mich von dieser Nacht erholt, ging ich heute 

morgen  – wie übrigens jeden Tag  –  an der Gedenktafel für 

Moritz Schlick vorbei, die an einer Hauswand der Prinz-

Eugen-Straße angebracht ist. Kein gewöhnliches Haus, ein 

großes Mietshaus. Die Gedenktafel hat mich schon am ersten 

Tag stutzig gemacht, im Zusammenhang mit Wittgenstein. 

Außerdem ist es seltsam, hier auf Namen zu stoßen, die in 

Budapest bloß abstrakte Begriffe sind. Moritz Schlick wurde 

von einem seiner Studenten in der Universitätsaula einfach 

abgeknallt. Da das damals (1936) selbst in Österreich nicht 

ganz den Anstandsregeln entsprach, wurde der Student zu zehn 

Jahren verurteilt; doch schon nach zwei Jahren, anläßlich des 

Anschlusses, wurde er rasch (und unter zahlreichen 

Entschuldigungen) auf freien Fuß gesetzt. Bei der 

Gerichtsverhandlung nannte er als Tatgrund Schlicks «böse 

und schädliche» Philosophie (das heißt die Sprachkritik und 

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den logischen Positivismus, da diese, zusammen mit der 

Phänomenologie, äußerst  judenverdächtige Dinge sind  – zu 

Recht: wessen 

Interesse 

ist denn die Entlarvung 

metaphysischen Geschwätzes, auf dem das ideologische Blabla 

seinen schiefen Turm erbaut?).  – Ich habe keine Ahnung, 

warum ich mich jeden Morgen mit dieser Geschichte 

herumplage. Schlick wohnte an einem schönen Ort, seine 

Fenster gingen auf den Rosengarten des  Belvedere. Nebenan 

wurde kürzlich ein Kellerlokal eröffnet, fremdartige Männer 

mit knarrendem Idiom gehen hier ein und aus, am Sockel des 

stolzen Gebäudes prangen verdächtige feuchte Flecken, 

gestern morgen mußte ich den Blick rasch von Erbrochenem 

abwenden. Seit 1989, das ist nun drei Jahre her, als ich zuletzt 

(und zum erstenmal) in Wien gelebt habe, ist die Stadt deutlich 

heruntergekommen. Doch warum klage ich darüber wie ein 

Wiener Kleinbürger? Offenbar habe ich mit 

Identitätsproblemen zu kämpfen; mit wem bin ich solidarisch? 

Käme es zur Entscheidung, würden mich die Wiener 

Ordnungshüter zweifellos jener Gruppe mit dem knarrenden 

Idiom zuordnen, die ich aber nicht mag, weil sie die westliche 

Kultur vollkotzt. Fragt sich freilich, ob es die westliche Kultur 

überhaupt noch gibt. Nur mit Moritz Schlick darf ich getrost 

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solidarisch sein; er hat nachgedacht und wurde aus diesem 

Grunde erschossen, was letztlich ein angemessenes Schicksal 

für einen Philosophen ist. 

Wittgenstein: «Das Verständnis der Musik ist eine 

Lebensäußerung des Menschen.» 

Ich weiß nicht warum, doch verfolgt mich ein ständig 

wiederkehrendes Bild, das einer Cellistin des Budapester 

Kammerorchesters, die, wenn sie mit dem Bogen heftig über 

die Saiten strich, ihren Kopf so schonungslos, so brüsk zur 

Seite warf, so schief auf die linke Schulter senkte, als wär’s ein 

fremder Gegenstand. Jede Note, jeder einzelne Bogenstrich 

schien ein Opfer von ihr zu verlangen, eine Ekstase des 

Körpers, die der Körper nicht aufzubringen vermochte, so daß 

er den Zuschauer mit dem schmerzlichen Bild ständiger 

Unerfülltheit quälte; zu alldem aber erklang klassische, 

vollkommen rationale Musik, wenn ich mich recht erinnere, 

Bach. 

 

 

Die vielen damenhaften, feinen und hinfälligen alten Frauen in 

Wien. Ich reiche ihnen die Hand, helfe ihnen beim Aussteigen 

aus der Straßenbahn, beim Betreten des Fahrdamms. Einige 

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bedanken sich, andere mustern mich argwöhnisch; nie jedoch 

so argwöhnisch, wie ich mich selbst. 

Die überaus quälende Frage, mit der sich Wittgenstein 

fortwährend herumschlägt: ob das von ihm Zustandegebrachte 

etwas «wert» sei oder nicht. Das ist, als würde die Muschel 

den Marktwert der Perle abschätzen, während sie sie in der 

Tiefe des Meeres absondert; es gilt einzusehen, daß die Natur 

dieser Frage sich radikal von derjenigen der Muschel 

unterscheidet… 

Ein zwischen Begabung und Genialität bestehender  – 

mitunter unüberbrückbarer – Abgrund. 

«Wenn einer nicht lügt, ist er originell genug», habe ich heute 

nachmittag übersetzt. 

Wen überrascht es, daß die Menschen ihre Gedanken (oder, 

wie sie sich auszudrücken belieben, ihre «Überzeugungen») 

scheinbar so leicht ändern? Jede «Überzeugung» ist die Maske 

eines bestimmten Menschentyps, und mit welcher 

Überzeugung er sich auch maskiert, er bleibt doch immer der 

gleiche, tut doch immer das gleiche. 

Es stimmt tatsächlich, worauf mich Wittgenstein gebracht 

hat: beim religiösen Glauben stimmt vor allem und in erster 

Linie der Ausgangspunkt, die Tatsache nämlich, daß die Lage 

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des Menschen hoffnungslos ist. Ich frage mich: Kann man 

auch an die Hoffnungslosigkeit  glauben?  Denn mir genügt 

dieser Glaube; und ich bin nicht hoffnungslos. 

 

 

Die nie wiederkehrenden, unwiederholbaren Morgen dieses 

kalten Wiener Frühlings; genieße ich sie zur Genüge, bin ich 

nicht zu dumm, um glücklich zu sein? 

 

 

Momentaufnahmen des belichtenden Gedächtnisses: auf dem 

Stephansplatz läuft eine Frau in Pelzmantel und auffallend 

hohen Stöckelschuhen lachend ihrem Freund entgegen  – über 

unebenes, teilweise schneebedecktes Pflaster. 

Ein Paar auf dem nächtlichen Schwarzenbergplatz, fröstelnd 

aneinandergeschmiegt, auf die Straßenbahn «D» wartend. 

Der Tisch im warmen, duftenden Restaurant, 

Kerzenschimmer. Der wichtigtuerische Oberkellner, der 

wissen möchte, wer die Wiener Symphoniker im 

Musikvereinssaal dirigiert habe, und der den Dirigenten mit 

der typisch wienerischen Boshaftigkeit des Eingeweihten 

heruntermacht. 

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Heimweg durch die dunkle Goldeggasse, etwas wankend. 

Das grelle Morgenlicht in der Imbißstube der Graf-

Starhemberg-Gasse. Die leichte Irrealität des Lebens, dieser 

lockere Humus, auf dem später die Erinnerungen wie 

flammender Mohn erblühen. 

Die milde Melancholie der Bahnhöfe, zur Zeit der 

Dämmerung und der Abschiede. Noch eine abendliche 

Aufnahme im Schnellzug: das Profil einer Frau vor weinrotem 

Polster. 

Am Tag danach: ein Wiener Sonntag. Vormittags 

Wittgenstein, mittags Spaziergang nach Hietzing. Der 

Hietzinger Friedhof, der gepflegte Garten, die schönen Gräber 

(fast hätte ich hinzugefügt: die wohlgenährten Toten). Gleich 

gegenüber vom Eingang das monumentale Grabmal von 

Dollfuß. Soviel ich weiß, war Dollfuß ein winziger Mann. Am 

Rózsadomb, in der feinen und exklusiven Szemlóhegy-Straße, 

gab es einmal einen Sommerkindergarten. Jemand – eine Frau 

in weißem Kittel  – wusch gerade meine Haare, über einem 

großen Becken  im Garten. Da ertönte ein Name (auf der 

Straße? im Garten?): Dollfuß!! Man habe ihn erschossen. Die 

Hand hörte auf, meinen Kopf zu reiben, in meinem Mund 

sammelte sich prickelnder Seifenschaum. Ich hörte folgende 

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Worte: «Er  ist verblutet. Röchelnd.» An letzteres Wort 

erinnere ich mich besonders, weil ich nicht genau verstand, 

was es bedeutete. Ich stellte mir eine dicke rote Flüssigkeit vor 

– das Blut eines Erwachsenen, also keineswegs jenes fröhliche, 

hellrote, salzige Siegeselixier, das aus mir hervorsprudelte, 

wenn ich mich schnitt oder hinfiel und mir das Knie 

«aufschlug» usw. so eine ominöse, klebrige Masse, in der sich 

die Zunge vergeblich zu bewegen versucht; das war für mich 

das Wort «Dollfuß», und im Grunde genommen verbindet sich 

«röcheln» in meiner Vorstellung noch heute mit diesem 

spezifischen Ereignis und dem Geschmack von Seifenschaum. 

– Aber wohin ist die Szemlóhegy-Straße entschwunden? Zwar 

gehe ich manchmal auf einer Szemlóhegy-Straße spazieren, 

doch erinnert diese nicht im entferntesten an jene Szemlóhegy-

Straße, wo ich zwischen den scheckigen, wie Riesenschlangen 

sich windenden Wurzeln der alten, von merkwürdigen 

Eisengittern umzäunten Platanen hin und wieder Schildkröten 

fand, die ich dann zur Wiese am Ende der Straße trug, um sie 

stolz ins Gras zu setzen; hier, auf dieser Höhenwiese, war das 

letzte zu verteidigende Eckchen der Welt, von hier aus sah ich 

über den Rand der Welt hinaus, und dieses Jenseits war eine 

lockende, ahnungsvolle Bläue, in die sich meine Kinderaugen 

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verloren, vernarrten, und in deren Weite ich dort, wo der 

Horizont zwischen dem mäandernden Wasserspiegel und dem 

glitzernden Himmel verschwamm, bisweilen staunend und 

schauernd ein zauberhaftes weißes Schiff entdeckte… 

Wittgenstein-Übung: Wenn ich sage, das Wasser sei kalt, 

erklärt jeder sofort, es sei kalt, weil Winter sei, weil das 

Höhleninnere kälter als… usw.; wenn ich aber sage, ich sei naß 

und friere, reicht man mir ein Handtuch  – oder auch nicht: 

jedenfalls provoziere ich mit der Frage eine Entscheidung. (Ich 

denke an den Antisemitismus, das Gerede über ihn.) 

Die Welt nicht zu verstehen, bloß weil sie unverständlich sei, 

ist Dilettantismus. Wir verstehen die Welt darum nicht, weil 

das hienieden nicht unsere Aufgabe ist. 

Zuviel Denken macht entweder unglücklich oder mystisch. 

Wittgenstein war letzten Endes ein Mystiker, wie Kafka. Nur 

arbeitete er mit anderem Material: mit der Logik. Er mußte 

Welten zertrümmern, bis unter den Ruinen, wie ein 

aufblitzender Edelstein, plötzlich sein Glaube 

hervorschimmerte. Ich stelle ihn  mir in diesem Augenblick 

vor, mit dem Schatz in der Hand: er sieht ihn lange an und 

findet keinen Namen dafür. Doch weiß er, daß ein Wunder 

passiert, daß er gerettet ist. 

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Dennoch hat der Schriftsteller vor allem zu befürchten, daß 

er, wenn er nichts zu sagen hat, auf einmal geistreich wird. 

Ein strahlender März. Vormittag. Harte Farben, blendendes 

Licht. Sonnenschein, der durch die Vorhänge des Café Prückel 

dringt; die Stille des Kaffeehauses; die diskret raschelnden 

Zeitungen,  wenn eine Hand sie umblättert; die Menschen mit 

ihren langsamen, seltenen Bewegungen, ihrer Sicherheit und 

Ruhe; hinter dem Vorhang, auf dem Ring, der gleichsam 

lautlos dahinströmende Verkehr; die dienstfertigen, doch nie 

aufdringlichen Kellner; mir gegenüber ein sympathischer 

Mann mit offenem, porzellanfarbenem Gesicht: ein Literat; 

klug, geistreich, unterhaltsam; die Greuel, die apokalyptischen 

Phänomene, von denen wir sprechen und die in der sanften 

Kaffeehausstille zu einer bedrohlichen Vision in uns 

anwachsen. Wir sind uns einig,  daß eine unheimliche 

Entwicklung ihre Schatten vorauswirft. Die Vorzeichen des 

Grauens sind überall und in allem erkennbar. Die rationale 

Sprache vermag diese Symptome nicht annähernd zu fassen. 

Man muß zur alten Sprache greifen, zur Bibel, die von Satan 

weiß und das Weltende kennt. So faseln wir, listig, bequem, 

während am Rande meiner Aufmerksamkeit der funkelnde 

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Himmel, der nahe Frühling und mein süßes Freiheitsgefühl 

einen glücklichen Reigen tanzen. 

Später (am Nachmittag): urheberrechtliche Probleme im 

Zusammenhang mit Wittgenstein (der Verlag, für den ich 

übersetze, hat es versäumt, die Rechte einzuholen; der, der sie 

besitzt, hat inzwischen jemand anderen mit der Übersetzung 

betraut). Plötzlich erscheinen Ursache und Anlaß meines 

Wiener Aufenthalts in  Frage gestellt. Vielleicht muß ich 

vorzeitig nach Hause; bei diesem Gedanken erfaßt mich 

überraschend eine fast physischen Schmerz verursachende 

Panik und mir kommt, wie eine Vision, dieses Gemälde in den 

Sinn: der verlorene Sohn, seine nackten Füße, das Bündel, der 

spindeldürre Hund, die zusammengefallene Hütte, kurz: mein 

zurückgelassenes Heim. 

 

 

Vergiß nicht den Traum, der dich wiedergeboren hat. 

Vergiß nicht deine Eltern. 

Vergiß nicht, daß du im tiefen Traum das von ihnen 

empfangene Leben angenommen hast. 

Vergiß nicht das Versprechen, das dieses Leben birgt. 

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Vergiß nicht, daß dieses Versprechen an Bedingungen 

geknüpft ist, ja daß du die Einlösung dieses Versprechens 

einzig in der Erfüllung seiner Bedingungen suchen mußt. 

 

 

Du verlangst doch nicht etwa eine Zugabe? 

Hitze in Budapest. Gestern abend in der Straßenbahn der 

Hund, ein semmelfarbener Dackel. Verzagt kauerte er unter 

dem Sitz, zu Füßen seines Herrchens. Seine gramerfüllten 

schwarzen Augen schlossen sich ganz langsam. Über seine 

ergraute Schnauze liefen zwei Tränen. Das Schlagen der Tür 

schreckte ihn auf, er erhob sich schwerfällig, doch herrschte 

man ihn an: Sitz! und drückte seinen Schwanz hinunter. 

Zwinkernd, apathisch gehorchte er. Die totale Vergeblichkeit 

des Seins sprach aus jedem seiner Züge, zugleich aber die 

unfreiwillige Geduld einer Verzauberung  – als hätte er etwas 

anderes zu tun, anderswo, in anderer Gestalt, in einer andern 

Zeit, in einem andern Raum, und als würde er sich mit diesem 

schrecklichen Irrtum nur abfinden, weil er völlig mürbe 

gemacht worden war… 

Manchmal taucht in mir die (unbeantwortbare) Frage auf: 

Wer, was bin ich, und welches ist meine besondere 

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Geschichte? Gestern hat mir J. jetzt bei einem neuen Verlag 

tätig, erzählt, wie ich 1988, vor vier Jahren, zum Artisjus-

Stipendium gekommen sei. Auch er sei in der Jury gewesen. 

Damals hätten sie schon alle im Turnhallengestank des 

Spätkadarismus die frische Luft der Wende gewittert. 

Gelangweilt hätten sie in der Namensliste der ewig gleichen 

Stipendiatsbewerber gestochert, als jemand  – J. behauptet, er 

erinnere sich nicht mehr, wer – plötzlich meinen Namen «aufs 

Tapet gebracht» habe. Es sei still geworden, alle hätten 

versucht, vom Gesicht des andern abzulesen, ob es statthaft sei, 

so zu provozieren… doch wodurch eigentlich? Außer  meinen 

zwei Büchern  Roman eines Schicksallosen  und  Fiasko 

belastete schließlich nichts mein Sündenregister. Es sei denn 

die Anzeigen der Szigligeter Denunzianten, meinen Abscheu 

vor dem Regime betreffend. Doch war dieser bloß platonisch 

gewesen, an einer Widerstandsbewegung hatte ich nie 

teilgenommen, mein Abscheu vor aktivem Widerstand 

rivalisierte mit dem vor dem Regime. Ich lebte wie ein Hund, 

an meinen einsamen Wahnglauben gekettet, und heulte 

höchstens manchmal den Mond an. Ich meinte, niemand lese 

meine Sachen, niemand wisse von mir. Sie aber wußten alles 

ganz genau,  und die kafkaesken Notare führten Buch über 

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mein Schicksal. Wie eine meiner Romanfiguren sagt: «Wozu 

ihn töten? Er geht auch von selbst zugrunde.» So dachten sie. 

Meine Person, meine Lebensweise und das daraus 

resultierende Werk waren ihnen so selbstverständlich 

unannehmbar, daß stillschweigender Konsens herrschte, ohne 

daß man mich hätte verurteilen müssen. Ich beobachte mich, 

während ich J. zuhöre, und verabscheue, was in mir vorgeht. 

Man sollte diese Gefühle nicht analysieren, der Taumel 

negativer Genugtuung eint alle bitteren Freuden. Ich bin das 

unverbesserliche Kind von Diktaturen, meine Besonderheit ist 

das Gebrandmarktsein. Es ist meine unerklärlichste, zugleich 

aber wahrhaftigste Erfahrung auf Erden, unter den Menschen. 

Dabei glaube ich keinen Moment, ich sei daran unschuldig. 

Offen gestanden kenne ich es seit meiner frühen Kindheit. 

Unter vier Augen liebten sie mich, in der Öffentlichkeit 

verrieten sie mich, und wenn es galt, eine Figur auf dem 

Schachbrett zu eliminieren, ließen sie mich eilig fallen. 

Anscheinend löste  ich  diese ambivalenten Gefühle aus, und 

vielleicht war in mir tatsächlich eine Art Unschuld  – oder 

sagen wir lieber Naivität –, die meine Rolle in der Gesellschaft 

determinierte. Das Gift der Subalternität hätte mich ohne 

weiteres umbringen können, doch das geheimnisvolle 

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Laboratorium meines Seelenhaushalts machte daraus die 

stärkste Würze meines Lebens. Mein Gebrandmarktsein ist 

meine Krankheit, zugleich aber der Garant, das Dopingmittel 

meiner Vitalität, daraus beziehe ich meine Inspiration, wenn 

ich jäh und mit einem verrückten Aufschrei, als hätte ich einen 

Anfall erlitten, vom Sein zum Schreiben überwechsle. Das 

Gebrandmarktsein ist mein Elend und mein Kapital, doch steht 

jetzt zu befürchten, daß ich es immer schwerer ertrage, obwohl 

ich es kaum missen mag. Fragt sich, ob ich zu einem normalen 

Leben überhaupt noch fähig bin. Vermutlich werde ich diese 

Frage nie klar und eindeutig beantworten können, jedenfalls 

nicht, solange ich da lebe, wo ich lebe und wo mein 

Gebrandmarktsein kein Ende hat, weil es mir wahrscheinlich 

längst in Fleisch und Blut übergegangen ist. 

 

 

In meinem heißen Zimmer lese ich Marai:  Was nicht im 

Tagebuch steht.  Ein interessantes Buch, voll vom wirren 

Ressentiment der Nachkriegszeit (das im Tagebuch tatsächlich 

fehlt). Den Juden rät es zum Christentum. Dieser Vorschlag ist 

schon darum inakzeptabel, weil es auch unter den Christen  – 

sehe ich mich da genauer um – nur sehr wenige Christen gibt. 

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Gegen Abend: ungeduldiger Tatendrang, beflügelnder 

Wortandrang, grimmiges Glücksgefühl. Ich habe oft 

geschwollene Beine, oft Schwindel. Mir gefällt, wie sich mein 

Leben langsam abbaut. 

Gestern sah ich die fahrenden Ritter unserer Zeit. Nacht, ich 

saß mit Albina im Auto von Z. wir kamen aus Miskolc zurück. 

Beim Pester Brückenkopf der Árpád-Brücke, inmitten 

unbeweglicher Staubwolken, die  sich im bläulichen, 

irrlichternden Schein der Straßenlampen zum Nebel ballten, 

blieben wir vor einer Verkehrsampel hängen. Die Straße war 

stickig und verlassen. Da fiel uns die Horde auf, Nibelungen, 

die aus der Unterführung auftauchten, acht bis zehn 

schwerfällige, sich seltsam bewegende Gestalten in 

khakifarbener Kleidung, mit glattrasiertem Schädel, in der 

Hand des einen ein langer Holzknüppel (vielleicht der 

berühmte Baseballschläger). In stummem Gänsemarsch 

trotteten sie durch das jenseitige, neblige Licht, eine traurige, 

blutrünstige Gruppe mit geröteten Augen, die – wer weiß, was 

für Dünste ausströmend  – Jagd auf Menschenfleisch machte. 

In ihren tarnfarbenen Hosen sahen sie wie gefleckte Hyänen 

aus, die mit trägem, doch ausdauerndem Haß nach einem 

Opfer suchen  – ohne Gier, eher aus Langeweile, aus 

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Gewohnheit, aus natürlichem Widerwillen gegen fremdes 

Leben. Ich gestehe: Mit eisiger Angst wartete ich darauf, daß 

die Ampel auf Grün geschaltet wird, bevor die Razziabande 

einen Blick ins Auto wirft und an mir das verhängnisvolle, 

untilgbare Zeichen entdeckt. Diese Menschengestalten 

verkörperten für mich den reinen Höllenspuk, das «wüste 

Land», wo nicht mehr geredet, nur gemordet wird, wo die 

Leichen gefleddert und am Straßenrand liegengelassen werden. 

Als wäre mir das nackte Naturgesetz erschienen, ein 

Naturgesetz ohne Schöpfung und Geburt; und ich dachte, da 

müsse sich ein furchtbarer Fehler in die Rechnung 

eingeschlichen haben, obwohl ich nicht zu sagen wüßte, 

welcher. Wie ich den erschreckenden Verfall dieses Landes, 

seine selbstmörderische Paranoia beobachte,  erlebe. Wie ich 

mich durch die Nationalmannschaft des Hasses und durch 

meine eigenen Erinnerungen täglich von ihm entfremde. Wie 

meine Gleichgültigkeit ihm gegenüber zunimmt. Wie ich 

langsam versuche, mich von ihm zu lösen. Die Sprache  – sie 

ist das einzige, das mich mit ihm verbindet. Eigenartig. Diese 

fremde Sprache, meine Muttersprache, die mir meine Mörder 

verstehen hilft. In letzter Zeit heißt es häufig, ich hätte mich 

«verändert». Zu meinem Vorteil? Zu meinem Nachteil? Ich 

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denke, eher zu meinem Vorteil, obwohl man mir das zu 

verübeln scheint. V. warf mir neulich an den Kopf, ich hätte 

«meine Tiefe verloren», redete nur noch von 

urheberrechtlichen Fragen und von materiellen Dingen. Wie 

denn das? Sollten das Sklaventum und der Diktatur-

Infantilismus meine «Tiefe» erzeugt haben? Die Tatsache, daß 

ich vierzig Jahre lang gegen meine Natur, überhaupt gegen die 

Natur gelebt habe? Das ist nicht ausgeschlossen… Ich stelle 

meine Veränderung selber fest, allerdings anders. Ich grenze 

mich deutlicher von meiner Umgebung ab, scheine mich von 

ihr abzuheben, und obwohl ich mich starr an sie anklammere, 

versinke ich mit ihr nicht in den Tiefen der Depression, wie 

bisher; das aber wird bereits als Provokation empfunden, ja als 

Mangel an Solidarität, als Verrat. Und wenn irgendwo das 

winzige, blinkende Flämmchen einer möglichen Chance für 

mich aufleuchtet, wird das auch schon als Unglücksbotschaft, 

als Beginn meines Untergangs gedeutet. Es ist dies ein 

besonderer Moment, eine besondere Station, bevor die Wege 

auseinanderlaufen, und falls ich die Anstrengung nicht scheue, 

kann ich einige mystische Details wie bunte Blumen am 

Wegrand pflücken und hier zu einem Strauß zusammenbinden. 

Vor allem zeitliche Koinzidenzen: Das  Galeerentagebuch 

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entstand und erschien zur selben Zeit, als die Veränderung 

einer begrenzten Lebensform (meiner) mit einer 

umfassenderen Wende (der des Landes) zusammenfiel. Ich 

weiß, daß diese Koinzidenz nicht besonders für mich spricht: 

Während im großen Weltstudio der Schleier fällt und eine 

Ruinenlandschaft enthüllt, bekommt im hintersten Winkel ein 

aus den Ruinen geborgenes Gebäude (vielleicht baufällig und 

bei weitem nicht perfekt) ein neues Dach; eine solche 

Kreativität  – ich weiß und fühle es  – ist unentschuldbar. Ich 

würde schon gern weitergehen, doch etwas in mir zittert, eine 

unüberwindliche Nostalgie. Ich bange um meine Einsamkeit, 

um die vertrauten Stunden der Lektüre und der Kasteiung, um 

die verborgene Energiequelle des Alleinseins, um diese alte, 

mir zur zweiten Haut gewordene, gewissermaßen trotzige 

Lebensform, um die Art, wie ich mich ständig den 

zerstörerischen Kräften entgegenstellte, hart auf hart, wie eine 

Pfeilspitze auf dem Bogen… Das war ein großes Abenteuer, 

eine Freude, die ich mit vorsätzlicher Freudlosigkeit erlebte, 

und nun blicke ich darauf zurück wie ein Greis auf seine 

Jugend. 

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___Ende Oktober in Leverkühns Feldafing  –  ich blättere im 

Doktor Faustus,  und natürlich heißt Leverkühns Dorf nicht 

Feldafing, sondern Pfeiffering. 

Egal. 

Ich wohne jetzt seit drei Monaten hier, über dem Starnberger 

See. Fahre weg und kehre wieder zurück, wie ein routinierter 

Untermieter; komme ich im Dunkeln heim, spätabends, finde 

ich die Schleichwege, wie ein nächtliches Tier die Wechsel. 

Flüchtige Eindrücke aus Frankfurt. Die Buchmesse: Ich 

kriege einen Messestempel auf meine zu Markte getragene 

Haut gedrückt; von meinen eigenen Lesungen bekomme ich 

selber kaum etwas mit, warte nur immer, daß die Hülle fällt 

(habe aber keine Ahnung, die Hülle wovon); angenehme 

Absurditäten. Der Taxichauffeur, der mich zum Bahnhof fährt; 

sein vielversprechendes, vornehmexotisches Profil, das jedoch 

von innerem Verfall bedroht ist – ob Zähne oder Lebensweise, 

es geht um eine allgemeine Vernachlässigung. In einem 

Pidgin-Deutsch beklagt er sich über die zunehmende 

Fremdenfeindlichkeit der Deutschen. Plötzlich kurbelt er die 

Scheibe herunter und ruft seinem Kollegen zu, der am 

Taxistand dahindöst: «Hallo, General!», dann erzählt er mir 

lachend, sein Kollege sei General in Sadats Armee gewesen, 

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bevor er in Frankfurt Taxichauffeur geworden sei (vermutlich 

ist mein exotischer Chauffeur selber auch Ägypter). Er redet 

viel, und wie jeder geschädigte Angehörige einer geschädigten 

Nation beginnt er gleich zu politisieren, das heißt, auf die 

Juden zu schimpfen. Ich schweige wie ein gleichgültiger 

Passagier, der zum Bahnhof muß und das Ziel nicht mit dem 

dazugehörigen Mittel verwechselt. Ich gebe ihm ein 

großzügiges Trinkgeld, verheimliche aber,  daß es von einem 

Juden stammt.  –  Berlin, die wechselvolle Vereinigung der 

geteilten Stadt. Überhaupt verblüfft, daß die Vereinigung gar 

nicht erwünscht ist. Eine antikreative  Erfahrung. Sie löst Wut 

aus, ohnmächtige Gereiztheit in Anbetracht der plötzlichen 

Raumausdehnung, der wachsenden Möglichkeiten, vor allem 

aber der drängenden, unaufschiebbaren Aufgaben. Ängstlich 

horcht das altersschwache Europa auf: Es hat sein seit 

Jahrzehnten verfolgtes angebliches Ziel erreicht, ist jetzt aber 

äußerst erpicht, alles abzuwehren, was ihm Taten abverlangen, 

was zum Nachdenken, zur Erneuerung, zur Kreativität anregen 

könnte. Das bärtige Europa gleicht einem alten Geizkragen, 

der dem Mädchen, das ihn bei der Damenwahl zum Tanz 

auffordert, einen Stockhieb versetzt, da er nur eines mutmaßt: 

man wolle sein Geld. In solcher Kleinkariertheit steckt die 

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Vorahnung drohender Sklerose und des eigenen Endes.  – 

Lesung in der «Jüdischen Gemeinde»: Als die Organisatorin 

des Abends, eine untersetzte, etwas fahrige Frau, vor mich tritt, 

habe ich plötzlich den Eindruck, dieses Gesicht sei mir schon 

lange  von Budapest her bekannt, doch stellt sich heraus, daß 

sie aus England, aus London stammt. Ich muß endlich 

zugeben, was ich bislang nur ungern zugeben mochte, daß 

Jude  nicht bloß ein abstrakter Begriff ist (obwohl auch das), 

sondern Rasse und Typus, kurz: Wenn auch nicht jeder Jude 

Jude ist, wie Schönberg sagt, so kommt doch kein einziger 

Jude um die Tatsache herum, daß er Jude ist (meine eigene 

Erfahrung). (Man muß sich heute nur mal die Gesichter jener 

Budapester Intellektuellen ansehen, die vierzig Jahre lang 

glaubten, sie würden nie mehr mit dem Faktum ihres 

Judentums konfrontiert, bloß weil in der Kadar-Gesellschaft, 

diesem Sumpf, das Wort, die Erinnerung, die Trauer und die 

Wahrheit als Tabus galten  –  ja, man muß sich nur mal diese 

schmerzlich überraschten, diese verstörten und ratlosen, 

manchmal zornigen Gesichter ansehen, muß sich ihre 

überraschten, verstörten, ratlosen, manchmal zornigen Worte 

anhören  – über ihre törichte Nostalgie nach der Epoche des 

Schweigens oder über ihr neu erwachtes jüdisches 

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Selbstbewußtsein. Daneben gibt es aber auch solche, die 

wegen ihrer plötzlich problematisch gewordenen Abstammung 

in Raserei geraten, Juden, die in ihrer hilflosen Qual zu 

antisemitischen Publizisten, zu den Leitschakalen der 

heruntergekommenen Intelligenz geworden sind und die nun 

das verödete ungarische Geistesleben vollheulen und  – 

schreien…)  – Wien: Im Hotel treffe ich mich mit Albina, die 

aus Budapest angereist ist; abends mein Amery-Vortrag an der 

Universität – mir bangte ein wenig, der Titel («Der Holocaust 

als Kultur») könnte provokativ klingen, aber es gab keine 

negativen Reaktionen, im Gegenteil… Beim  Abendessen sehe 

ich auf Albinas Gesicht den glücklichen Abglanz dessen, was 

sie meinen «Erfolg» nennt; zwei Tage später, an einem milden, 

klaren Herbstmorgen, lade ich am Bahnhof mein Gepäck 

hastig auf ein Wägelchen und eile, da die Zeit drängt, zum 

Münchner Zug, als ich bei der Perrontür den Taxichauffeur 

erblicke, der mich zum Bahnhof gebracht hat; keuchend hält er 

Ausschau, bemerkt mich und reicht mir mit den Worten: «Das 

können Sie vielleicht noch brauchen…»

 meine Brieftasche mit 

sämtlichen Ausweisen und allem Geld, die ich offensichtlich 

auf den Wagensitz gelegt und dort liegengelassen hatte und die 

                                                        

 Im Original deutsch 

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ich jetzt so selbstverständlich, mit leichtem, dankbarem 

Händedruck entgegennahm, als wäre es das Natürlichste der 

Welt, daß großstädtische Taxichauffeure  den Fremden ihre 

liegengebliebenen Brieftaschen im Eilschritt zurückbringen; 

wie ich nun mit meinem Gepäckwägelchen zum Zug hetzte, 

verdichtete sich das Phantastische der letzten Tage und 

Wochen zu einer Art flüchtigen Morgenandacht in mir, zu 

einem heftigen, bislang kaum gekannten Identitätsgefühl, das 

sich mit dem Transitorischen der Bahnhofsatmosphäre, mit 

dem hellblauen Herbstmorgen, mit dem allgemeinen 

Stimmengewirr, mit den herumrennenden oder  -stehenden 

Gestalten, mit meinem eigenen Sein und allem, was mir 

geschah und noch geschehen mag, zu einer kurzen, feierlichen 

Harmonie verband  – selbst mit dem Tod, diesem wilden 

Abenteuer, dessen Gedanke mich ständig begleitet und dessen 

dunkles Licht von Zeit zu Zeit an meinem Horizont aufblitzt… 

Erst als ich den Zug bestieg, fiel mir ein, daß ich in meinem 

Taumel vergessen hatte, dem Taxichauffeur ein Trinkgeld zu 

geben, und freudlos ließ ich mich durch dieses Versäumnis in 

die Welt der widerwärtigen Tatsachen zurückstoßen. 

 

 

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Vielleicht halten wir das Leben nur aus, weil es so 

unwahrscheinlich ist; andererseits rührt das Denken ständig an 

die sogenannte Wirklichkeit, sehnt sich nach Wirklichkeit. 

 

 

«Ich bin heute so klarsichtig, als ob ich nicht existierte»: 

Pessoa, Das Buch der Unruhe. 

 

 

Nebel. Die fernen Alpen, die mal wie weiße Ungeheuer 

auftauchen, mal in der braunen Luft verschwinden. 

Ich kann nur schreiben unter der Voraussetzung geistiger 

Intaktheit (womit ich sagen will, daß das Schreiben immer 

schwieriger wird). 

In Feldafing schreibe ich nicht. Ich arbeite nicht, weiß auch 

nicht, ob ich je wieder arbeiten werde, weiß nicht, wie man 

arbeitet, ob der Kaddisch-Roman, aus dem ich deutsch überall 

unentwegt vorlese, wirklich von mir stammt, und wenn ja, wie 

ich das gemacht habe  – das Schreiben ist mir abhanden 

gekommen. 

Wißt ihr, daß Lenin die Nachtigallen mit Steinen 

verscheuchte? So war es, ich habe es im Fernsehen, im Film 

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eines jungen russischen Regisseurs gesehen. Dokumentarfotos 

von Lenin, sein versteinertes Gesicht nach dem Schlaganfall. 

Sie hatten ihn irgendwo auf die Krim gebracht, an die Sonne, 

in den Frühling, damit er sich wohl fühle. Doch die 

Nachtigallen rissen ihn im Morgengrauen regelmäßig aus dem 

Schlaf. Und so lief er einmal in den Garten, um die 

Nachtigallen zu verjagen. Er sammelte Steine und warf mit 

ihnen nach den Vögeln. Plötzlich spürte er, daß er weder die 

Steine noch den Arm hochheben konnte: er war gelähmt. Das 

war die elegante, hauchzarte, doch eisern konsequente Rache 

der Nachtigallen am großen Revolutionär, der ihren Gesang 

nicht ausstehen konnte. Künstlerrache. 

Die hohen, kerzengeraden Tannen im Garten der Feldafinger 

Villa Waldberta tragen auf ihrem Stamm große, frische, 

leuchtendweiße zweistellige Zahlen. Als M. diese numerierten 

Bäume nachts, im gleißenden Licht der Autoscheinwerfer, zum 

erstenmal sah, machten sie, wie zu erwarten, einen 

erschütternden Eindruck auf sie. 

Unsere «Flucht» nach Verona. Auf der Rückfahrt die in 

ihrem Garten werkelnde alte Italienerin, die uns den Weg zu 

erklären versuchte. «Capito?» Wir  frühstücken wieder im 

bleigrauen Starnberg, die Alpen sind nicht zu sehen, der See 

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und die Luft grau, mit den weißen Tupfen der Schwäne. Wir 

verfehlen den Weg zum Münchner Flughafen, von wo aus ich 

mit der S-Bahn zurückfahren wollte; in Salzburg nehmen  wir 

bei einer Tankstelle Abschied, ich winke, das Auto 

verschwindet rasch auf der Ausfallstraße, M. eilt zurück nach 

Budapest, ich nach Hause, nach Feldafing. Im Zug nach 

München eine Sonderprozedur: drei deutsche Zollbeamte 

verlangen von einem Reisenden, der, wie ich zu verstehen 

meinte, polnisch spricht, er solle seine Taschen auspacken. Sie 

durchwühlen alles, beugen sich zu ihm, flüstern; die Szene 

spielt sich ohne eine einzige auffällige Bewegung, ohne einen 

lauten Ton ab. Selbst ich, der ich in Sachen Zollkontrolle 

etliche Erfahrung besitze, vermag dem Geschehen nicht zu 

folgen. Das ist diskrete, leise, zuvorkommende und tadellose 

professionelle Arbeit. 

In Feldafing elendes Gefühl des Verwaistseins. Nebel. 

Nutzloser Kampf mit Feder, Papier und mir selbst. 

Spaziergang in München. Ich suche das berühmte 

Schwabing. Finde es nicht. Beziehungsweise was ich finde, ist 

nicht das Erwartete. Düstere Straßen. München im Spätherbst, 

bei strömendem Regen, ist ein ziemlich düsterer Ort. 

Deutschland ist seit dem Gottesgericht vollkommen verwüstet. 

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Diese Städte, diese Straßen, all das Wiederaufgebaute und 

Neugebaute sind bloß die vernarbte Oberfläche einer riesigen 

Wunde. Niemand weiß es, alle finden es schön. 

 

 

Einladung zu einer Lesung nach Leipzig, bei winterlichem 

Regen komme ich in der schwarzen, allseits verwitterten Stadt 

an; ich bin im Gästehaus des Bürgermeisters untergebracht, es 

ist Mittag, ich möchte Mittag essen, gehe von meinem Zimmer 

im ersten Stock aus den Flur entlang, dann die Treppe hinunter 

in den Speisesaal, verlange die Speisekarte, der Kellner 

quittiert meine Bitte mit einem Lächeln, das mir irgendwie 

bekannt vorkommt. Mit diesem Lächeln setzt er sich über 

meinen Wunsch hinweg, fragt, was ich denn essen wolle, ich 

sage, gegrilltes Steak mit Salat, davor, wenn möglich, Suppe, 

dazu Wein. Ich bekomme das Gewünschte, alles schmeckt 

vorzüglich, und als ich nach dem Essen zahlen will, läßt mich 

der Kellner mit demselben, mir irgendwie bekannten Lächeln 

wissen, es sei schon alles beglichen; in dem Moment geht mir 

auf, daß ich mich in einer Gespensterstadt befinde, wo noch 

die vor drei Jahren verabschiedete Vergangenheit herumspukt 

und wo ich vielleicht zum letztenmal einen für privilegierte 

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Kader eingerichteten privilegierten Betrieb in Funktion erlebe; 

wie immer er heißen mochte oder heißt, das Personal ist 

bestimmt das gleiche geblieben. Ich lege fünf Mark Trinkgeld 

auf den Tisch und gehe verblüfft in mein Zimmer hoch, bald 

wird man mich zu einer Stadtbesichtigung abholen. Rasch 

werfe ich einen Blick durchs Fenster, schwarzer Regen ergießt 

sich auf die schwarzen Häuser, der Garten meines Logis, des 

Bürgermeisterhauses, ist aufgegraben und voll Erdhaufen, ich 

sehe die Bretter, auf denen wir vorhin über den Schlamm ins 

Haus gegangen sind. Dann kontrolliere ich, ob ich alle drei 

Schlüssel bei mir habe: den Torschlüssel, den Hausschlüssel, 

den Zimmerschlüssel  – abends geht das Personal nach Hause, 

die Villa ist unbeaufsichtigt, doch läßt man mich im voraus 

wissen, ich könne die bereitgestellten Getränke nach Belieben 

hinauf ins Zimmer nehmen  – und eile in die Halle hinunter. 

Mein Begleiter ist pünktlich auf die Minute, wir besichtigen 

die Stadt, die genauso schwarz, naß und unfreundlich ist wie 

ein paar Stunden zuvor, nur in der Innenstadt stoßen wir völlig 

unerwartet auf eine Passage, die zu einer westlichen 

Fußgängerzone passen würde und deren verschwenderische 

Beleuchtung das dämmerige Dunkel der Stadt noch dunkler 

erscheinen läßt. Wir besichtigen die Thomaskirche, Auerbachs 

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Keller, ja selbst den Bahnhof, in dem  bald schon ein buntes 

Gewühl wie in Frankfurt, München oder sonstwo herrschen 

dürfte, dessen zugige, menschenleere Halle vorläufig aber öde 

vor sich hin dämmert. Tatsächlich kommt Wind auf, eisiger 

Wind, und da ich vor der Lesung noch eine halbe Stunde 

schlafen möchte, schlägt mein Begleiter vor, daß wir ein Taxi 

nehmen, was wir auch tun, ich höre, wie er dem Taxichauffeur 

die Adresse meiner Unterkunft nennt: Wächterstraße soundso, 

ich steige aus, er fährt weiter, um mich später zu vereinbarter 

Stunde abzuholen und zum Veranstaltungsort zu bringen. Ich 

winke, suche im Dunkel nach dem Schlüsselloch, versuche das 

Gartentor aufzuschließen, doch das Schloß gibt nicht nach. Ich 

probiere auch die andern Schlüssel aus  – vergeblich. Da 

erblicke ich eine Klingel, läute. Eine Stimme ertönt aus der 

Gegensprechanlage, ich sage: «Ich kann das Tor nicht öffnen.» 

– «Was für ein Tor?» fragt die Stimme. «Das Gartentor», sage 

ich. «Warum wollen Sie das Gartentor öffnen?»  – «Um 

hineinzugehen, ich wohne hier», sage ich. «Hier? Wo?» Die 

Stimme wird immer unangenehmer. «Im Gästehaus des 

Bürgermeisters», sage ich. «Mag sein, doch das hier ist das 

Amerika-Haus.» Die Stimme ist jetzt schon ausgesprochen 

unfreundlich, dann knackt es im Apparat und das Gespräch ist 

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zu Ende. Ich stehe auf der Straße, es ist dunkel, gießt in 

Strömen, der Wind bläst immer stärker und kälter, ich habe 

keine Ahnung, was los ist, offenbar hat mich der Taxichauffeur 

falsch abgesetzt, an der Häuserecke, wo ich mich befinde, 

entdecke ich kein Straßenschild, es gibt weit und breit keine 

Telefonzelle, kein  Café, kein Geschäft, kein Restaurant, etwa 

zehn Minuten irre ich, Ausschau haltend und suchend, umher; 

in der Zwischenzeit ist kein einziges Taxi aufgetaucht, das 

mich zu meiner Unterkunft, deren Adresse ich immer wieder 

vor mich hin murmle, hätte bringen können. Die Straße ist 

breit, menschenleer und schlecht beleuchtet, auf meiner Seite 

schlummern hinter stummen Gärten stumm hingekauerte 

Villen, auf der gegenüberliegenden Seite ragt die dunkle 

Rückwand eines scheußlichen öffentlichen Gebäudes empor – 

Museum, Universität oder Gefängnis –, nur aus einem einzigen 

Fenster dringt Licht, nachgerade schadenfroh, um mich noch 

deutlicher fühlen zu lassen, wie ausgeschlossen ich in dieser 

düsteren, nunmehr offen feindlichen Stadt bin, die mich mit 

der Indifferenz eines hungrigen Tiers zu  packen und zu 

verschlingen droht. Endlich taucht ein junger Mann auf, eilig, 

mit hochgezogenem Kapuzenkragen, ich frage ihn, wo die 

Wächterstraße sei, er weiß es nicht, ich frage, wie diese Straße 

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hier heiße, er weiß es nicht, wie das denn möglich sei, frage 

ich, er käme doch diese Straße entlang, er sagt, er gehe täglich 

diese Straße entlang und wisse doch nicht, wie sie heiße, dann 

eilt er schulterzuckend davon; ich stehe einige Minuten 

unschlüssig da, als sich aus dem Dunkel die schwankende 

Gestalt einer Frau mit Regenschirm nähert, sie weiß, daß wir 

uns in der Wächterstraße befinden, das Haus sei nicht dort, wo 

ich es suchte, meint sie, sondern hinter mir; ich drehe mich um, 

überquere die  Straße  – da ist es, das Gästehaus des 

Bürgermeisters! Ich war nur dreißig Meter davon entfernt, 

hatte aber in der falschen Richtung gesucht. Der Schlüssel 

dreht sich im Gartentorschloß, ich atme auf, gehe über die 

vertrauten lieben Bretter, die Portiersloge ist leer, das Haus 

dunkel, ich betrete es, drücke auf den Lichtknopf, keine Seele, 

ich eile in mein Zimmer hinauf, entkleide mich, lege mich hin, 

um ein Nickerchen zu machen  – in diesem Augenblick ertönt 

ein Lärmgeräusch, dann entsetzliches Geschrei. Die Stimme 

kommt ohne Zweifel aus dem Haus, eine furchterregende 

Männerstimme, die auf deutsch droht und fordert, wohl beides 

zugleich, in einer endlosen Tirade. Wieder fühle ich meine 

Einsamkeit, das Personal ist weg, ein Telefon gibt es zwar, 

doch die Nummer der Polizei zum Beispiel weiß ich nicht, 

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Telefonbuch und sonstige Informationen fehlen, zur Sicherheit 

schließe ich meine Zimmertür ab. Die Stimme wird immer 

furchterregender, nach kurzer Überlegung schleiche ich auf 

Zehenspitzen aus meinem Zimmer. Vom Flur aus sehe ich ins 

Eßzimmer, doch der kaum erhellte Raum ist leer, die Stimme 

kommt von anderswoher, auf Zehenspitzen gehe ich weiter, 

erreiche ein Geländer, von hier aus sehe ich, einen Stock tiefer, 

den Fuß einer Treppe, eine Hintertür und im winzigen  Raum 

dazwischen einen untersetzten, fast kahlköpfigen Mann in 

Weste: Besitzer der furchterregenden Stimme. Wie ein 

Tobsüchtiger flucht er aus Leibeskräften, windet sich hin und 

her, und als hätte er meine Schritte gehört, wendet er plötzlich 

sein bebrilltes Gesicht forschend nach oben und schreit wie der 

blinde Polyphem in zornerfülltem Schmerz:  «Komm, komm! 

Komm runter, du Gauner, komm mal, los, komm!»

  Entsetzt 

fliehe ich in mein Zimmer. Was soll das? Wer ist das? Was 

soll ich tun? Bald kommt man mich abholen, beginnt die 

Lesung; ich kleide mich für alle Fälle an. Seit ein paar Minuten 

ist die Stimme verstummt. Ich warte noch ein wenig, dann 

verlasse ich entschlossen mein Zimmer; das Haus ist still und 

leer; ich gehe die Treppe hinunter bis zur Eingangstür – nichts. 

                                                        

 Im Original deutsch 

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Jetzt folgt der heikelste Moment, der mein Ausgeliefertsein 

unerträglich steigert: Während ich mich mit dem 

verschlossenen Haustor herumplage, das ich von innen öffnen 

muß, ist mein Rücken ungeschützt, dahinter gähnt  der Raum. 

Endlich bin ich draußen. Ich atme auf, es regnet nicht mehr, 

dafür aber bläst ein stürmischer Wind, die Bretter sind vereist. 

Glücklich erreiche ich das Gartentor, im selben Augenblick 

hält ein Auto an: man holt mich ab. Erleichtert setze ich mich 

neben meinen Begleiter und dessen Frau und erzähle ihnen 

aufgeregt, in miserablem Deutsch von meinen Abenteuern; sie 

stellen einige Zwischenfragen, aber ich merke, daß sie meine 

Geschichte gelinde gesagt für eine Übertreibung halten. Wir 

gelangen zu einem zauberhaften Schloß, dem Gohliser 

Schlößchen, wo ich lesen soll, eine zauberhafte Dame begrüßt 

mich, auffallend liebenswürdig, äußerst vornehm und stilvoll, 

sie läßt mich wissen, daß es vor der Lesung etwas Musik geben 

werde und daß man eigentlich mit mehr Publikum gerechnet 

habe, doch halte leider gerade heute abend ein gewisser 

Professor M. seinen lange erwarteten Vortrag; dieser berühmte 

Gelehrte sei in dieser Stadt von seinem Lehrstuhl abgesetzt 

und in den Westen abgeschoben worden, jetzt kehre er 

sozusagen im Triumph zurück, und natürlich wollten alle ihn 

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sehen und hören. Der Abend läuft programmgemäß ab; eine 

junge Frau spielt Cello, ein Herr Klavier, ich lese und 

beantworte Fragen, man drückt mir einen Blumenstrauß in die 

Hand, dann gehen wir in einem nahe gelegenen italienischen 

Lokal essen. Der eisige Nordwind ist noch stürmischer 

geworden. Ohne meine Geschichte überzustrapazieren, beharre 

ich doch darauf, daß man mich nach dem Abendessen nicht 

nur nach Hause fährt, sondern ins Haus hinein begleitet, ich 

wisse ja nicht, was mich dort erwarte. Das Haus ist diesmal 

erleuchtet, die Lampen brennen, wir gehen die Treppe hoch, 

im Flur begegnen wir einer korpulenten, elegant gekleideten 

Dame mittleren Alters mit heiterem Gesicht, die von meinen 

Begleitern freundschaftlich-kollegial begrüßt wird. Es stellt 

sich heraus, daß sie soeben Professor M. nach Hause gebracht 

hat, der Abend sei glanzvoll gewesen, man habe M. lange und 

enthusiastisch gefeiert. Ich bin erfreut, daß ich nicht allein in 

diesem Geisterhaus übernachten muß, und erzähle kurz, was 

mir vor der Lesung zugestoßen ist. Die fremde Dame lacht auf, 

beugt sich zu mir und sagt mit gedämpfter Stimme, der 

Wahnsinnige, den ich unter der Treppe habe toben sehen, sei 

Professor M. gewesen. Ihre Worte tauchen den ganzen 

Alptraum plötzlich in ein klares, nüchternes Licht. Der 

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Professor sei zuckerkrank, etwas hysterisch und außerdem fast 

blind. Am Nachmittag habe er gedacht, es sei Zeit, daß er 

abgeholt und zur Universität gebracht würde. Also sei er in die 

Halle hinuntergetappt, hier aber habe niemand auf ihn gewartet 

(die Verabredung war nämlich eine halbe Stunde später), 

zudem seien alle Türen verschlossen gewesen, mit dem 

Schlüssel aber sei er nicht zurechtgekommen (weil er ihn 

falsch ins Schloß gesteckt hat). Da seien in ihm die Reflexe aus 

jenen alten Tagen erwacht, als er in dieser Stadt permanent 

observiert wurde, seinen Lehrstuhl verlor und ins Exil mußte; 

plötzlich habe er das Gefühl gehabt, er hätte nicht hierher 

zurückkehren sollen, man habe ihn in eine Falle gelockt, habe 

ihn in dieses Haus gesperrt, um andernorts über sein Schicksal 

zu entscheiden, und aus panischer Angst habe er zu schreien 

und an die Tür zu hämmern begonnen, bis er abgeholt und 

beruhigt wurde. Um so erstaunlicher sei, daß er nach einer 

solchen Nervenanspannung einen brillanten Vortrag gehalten 

habe. Auch ich beruhige mich nun, denn die Geschichte, die 

am Nachmittag so rätselhaft und erschreckend wirkte, hat ihre 

rationale Erklärung gefunden; zum Schluß lachen wir alle, 

wenn auch respektvoll, über den armen Professor M. Am 

Morgen stehe ich früh auf, ein Taxi wird mich zum Flughafen 

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bringen, es wurde schon am Vortag bestellt und kommt auch 

auf die Minute genau. Prächtiger Morgen, strahlender Himmel, 

blendender Sonnenschein, nur der gestrige Wind hat noch 

zugenommen. Wir fahren durch eine deprimierende Gegend 

stadtauswärts, zwischen Ruinen aus der Zeit der sogenannten 

Deutschen Demokratischen Republik, nach den Außenbezirken 

folgen verlassene, baufällige Schuppen, schwarze Scheunen, 

nur da und  dort bebaute Felder, der strohblonde, 

schnurrbärtige, beleibte Taxichauffeur bekommt sehr schnell 

heraus, woher ich stamme, welcher Nationalität ich angehöre; 

als er «Ungar» hört, schaltet er den Zähler augenblicklich aus. 

«Hohe Steuern», sagt er, an mein Verständnis appellierend, das 

ihm natürlich sicher ist, obwohl mir der Gedanke kommt, daß 

er die Steuer wohl anstandslos bezahlen würde, wenn ich 

beispielsweise Engländer wäre; was bin ich für ein Mensch, 

daß man mich aufgrund meiner bloßen Herkunft von 

vornherein für einen natürlichen Verbündeten von 

Gesetzesübertretern hält, ohne auch nur nach meiner Meinung, 

nach meinem Wesen, meiner Lebensauffassung, meinen 

Eigenheiten zu fragen. Ich überlege, ob ich nicht protestieren 

soll, lasse es aber bleiben, weil  mir einfällt, daß ich nur im 

Namen des deutschen Staates protestieren könnte, was wirklich 

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lächerlich wäre. Als ich in Leipzig das Flugzeug besteige, 

herrschen, wie gesagt, blendender Sonnenschein und 

stürmischer Wind, in München aber erwarten mich Nebel und 

heftiges Schneetreiben. Trotz des unfreundlichen Wetters 

steige ich am Marienplatz aus der S-Bahn; mein 

geheimnisvoller Leipziger Gastgeber, der sich nie zu erkennen 

gegeben hat, ließ mir zwar ein ausgiebiges Frühstück 

bereitstellen, und auch im Flugzeug gab es eine Kleinigkeit, 

doch setze ich mich in München gleich in ein Restaurant, 

genieße es, meine Rechnung zu bezahlen, kaufe in einem 

Geschäft etwas ein, stöbere in den Regalen, überlasse mich 

Münchens nüchternem Kapitalismus, seiner Attraktivität, 

seinen 

– zumindest oberflächlich 

– transparenten 

Verhältnissen, wie einer, der nach einer langen Reise plötzlich 

wieder zu Hause ist. Habe ich auf diesen Seiten zufällig einmal 

gesagt, München sei nicht schön? München ist wunderbar… 

 

 

Huldigung an Feldafing. Der See. Die Berge. Der Uferweg. 

Die Freunde. Monika, die mich um den Starnberger See 

herumfährt und zum Tee in ihre Villa einlädt. Susanne, die für 

mich eine Lesung in  der Bibliothek organisiert. Barbara, die 

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die Künstler-Gäste der Villa Waldberta fotografiert. Albina, 

die in ihrem gelben Mantel auf dem hoch über dem See 

gelegenen Balkon sitzt und das  Galeerentagebuch  liest  – bei 

müdem Sonnenschein. Es wird Winter. Bald fahren wir nach 

Hause. 

 

 

Winterliche Budapest-Erlebnisse; als würde mein Bewußtsein 

langsam krank. 

Wovor fürchtest du dich, wo du doch weißt, daß du sterblich 

bist?! 

Am Vormittag der junge Mann in der Erzsebet Szilágyi-

Allee. «Mein lieber Herr (ja so: mein lieber Herr), bleiben Sie 

doch einen Moment stehen!» Pelzmütze auf dem Kopf, heller 

Teint, ziemlich blonder Schnurrbart, angenehme, wenn auch 

leicht wäßrige blaue Augen. Mir schwant nichts Gutes, doch 

bleibe ich stehen. Es ist klar, was folgen wird, dennoch muß 

ich das ganze Ritual durchspielen. Ob ich nicht Arbeit für ihn 

hätte? Nein. Ob ich nicht etwas rumänisches Geld eintauschen 

würde? Ach wo, was soll ich damit. Er sei aus 

Sepsiszentgyórgy nach Budapest gekommen, sagt er. Keine 

Neuigkeit: in den letzten Tagen sprachen mich mindestens 

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zehn Personen, Männer und Frauen, an, die alle aus 

Sepsiszentgyórgy kamen. «Nur, damit ich was zu beißen 

habe.» Irgendwie rührt mich dieses altmodische, an die 

Kriegszeit gemahnende Argot. Aus meiner Magengrube 

steigen KZ-Erinnerungen auf; ich versuche mir gar nicht 

vorzustellen, was aus diesem hübschen, lebenstüchtigen und 

kräftigen jungen  Mann wird, den eine lügenhafte Propaganda 

hierhergelockt hat, mitten in diese gemeine Gleichgültigkeit, in 

diesen mörderischen Wahnsinn. Ich reiche ihm einen Hundert-

Forint-Schein. Er heitert sich auf: « Gott behüte Sie! » sagt er, 

was auch mich aufheitert. Ich nehme seine Worte auf, wie einst 

die Griechen die gütige Prophezeiung eines Hirtengottes. In 

der Straßenbahn treffe ich zu meinem Pech Sz. an, der 

sozusagen vor meinen Augen verfiel, zu einem senilen Greis 

wurde. Er erkennt mich. Er sagt, er habe mich lange nicht 

gesehen. Unvorsichtigerweise erwähne ich, ich sei in München 

gewesen. Er kramt seine Münchner Erinnerungen aus den 

sechziger Jahren hervor. Wie er am Oberlauf der  Isar Kiesel 

gesammelt, wie er von der Stadt sechzig Mark bekommen und 

damit ein Gerät gekauft habe, das er aus Sparsamkeit bis heute 

nicht in Gebrauch genommen hat usw. endlos. Seine 

hervortretenden Augen werden bei jedem Satz feucht, sein 

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zuckender Mund nimmt einen seltsamen, fremden Ausdruck an 

– als  wäre er schon mehrere tausend Jahre alt und erinnerte 

sich jetzt an das zweite Jahrtausend, als dieser Planet noch 

grün und voller Leben war. 

Ein heftiges Gefühl der Verlogenheit jeglichen Trosts. 

Neujahr 1993. Wintersonne, am Morgen Spaziergang über 

den  Rozsadomb. Die Stadt von oben, kühles Licht, kühler 

Sonnenschein, stumme neujährliche Straßen. Ich betrachte das 

reglose, starre Bild und spüre, daß sich vor meinen Augen auch 

noch der letzte Rest jenes Schleiers lüftet (egal, ob  wir ihn 

Gewohnheit oder gar Kultur nennen), durch den ich bislang die 

Welt zu betrachten pflegte, und daß ich plötzlich in die Weite 

sehe, direkt und unmittelbar ins Nichts. 

Doch scheine ich mich aus irgendeinem Grund nicht damit 

abfinden zu wollen, daß dieser Augenblick vergeht, ohne daß 

meine Empfindung des Nichts Form annimmt, ohne daß das 

Nichts zur Erfahrung wird, zu einem Etwas. 

Wenn die Schöpfung das Werk der Liebe ist, sind dann 

Untergang und Tod das Werk des Hasses? Macht uns die Liebe 

seiend, der Haß zunichte? Oder wäre denkbar, daß auch der 

Tod das Werk der Liebe ist? 

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Einige schwer zu beantwortende Fragen. Beckett, in Molloy: 

«Was zum Teufel hat Gott vor der Schöpfung gemacht?» 

(Augustinus-Paraphrase) Valery: «Muß jede Frage 

aufgeworfen werden?» Und: «Was tut Gott, wenn er nicht 

schafft?» 

Borges in seinem Swedenborg-Aufsatz: «Die Höllen sind 

sumpfige Landstriche, Zonen, in denen anscheinend durch 

Feuersbrünste zerstörte Städte liegen; aber: hier sind die 

Verworfenen glücklich. Glücklich auf ihre Art; das heißt, sie 

sind voll von Haß, und es gibt keinen Herrscher, keine 

Ordnung in diesem Reich; sie alle konspirieren unaufhörlich 

gegeneinander. Es ist eine Welt der politischen Niedrigkeiten, 

der Verschwörungen. Dies ist die Hölle.» 

Eine gute Beschreibung. Ihr zufolge spricht  alles dafür, daß 

ich zu Hause bin. Aber warum fühle ich mich nicht wohl, wie 

es laut Borges/Swedenborg  doch der Fall sein sollte? Bin ich 

vielleicht doch am falschen Ort? Durch eine falsche 

Zuweisung? Könnte es sein, daß der Schreibfehler eines 

fahrlässigen, schlechten Beamten zum Urteil wird? 

Dann ist hier eine schreckliche Inkommensurabilität am 

Werk. Dann muß doch jede Frage aufgeworfen werden. (Mag 

es auch überflüssig sein.) 

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Ich fürchte, daß ich nicht mehr in der Lage bin,  seriös  zu 

sprechen. Meine Seele glaubt an etwas, was mein Verstand 

leugnen muß. 

Wer die Probleme als das nimmt, was sie sind (das heißt sie 

erkennt),  muß von ihrer Lösung absehen; das Problem liegt 

nicht in den Problemen, sondern außerhalb. Die Probleme des 

zerfallenden Roms zum Beispiel konnte nur Christus 

formulieren,  weil  er von ihrer pragmatischen Lösung absah; 

und schließlich bekam er recht, sein furchtbares Los bezeugt, 

wie notwendig und zugleich aussichtslos eine radikale 

Erneuerung war. 

 

 

K. der Schriftsteller, zählte sein ganzes Hab und Gut 

zusammen. «Nur meine Sünden gehören mir», notierte er dann 

am untern Rand des vor ihm liegenden Zettels, der im übrigen 

mit Telefonnummern vollgekritzelt war. 

 

 

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Wieder unterwegs im Zug. Hamburg-Berlin-Köln-Frankfurt-

Zürich. Die Mahnungen: Ich verlöre meine Tiefe. Ich verlöre 

mich selbst. 

Mich selbst? Wer ist das? (Wenn ich nicht gerade Zahn- oder 

Bauchweh habe…) 

Bin ich denn aus meinem Zentrum herausgetreten, aus dem 

Emersonschen Raum des Heros? Worauf muß ich achtgeben? 

Ich weiß nicht, worauf ich achtgeben muß, und ich weiß 

nicht, warum ich achtgeben muß. 

Ich weiß nicht, warum das Natürliche (die Tatsache, daß ich 

die Existenz des Schriftstellers I. K. lebe) widernatürlich sein 

soll. 

Ich weiß nicht, warum die Moral der Unterdrückung 

natürlicher sein soll als die Schäden der Freiheit. 

Die Platzangst des Diktaturzöglings. 

Einige Fragen, die gleichwohl aufgeworfen werden müssen. 

Bin ich nicht zu leicht, ja seicht geworden? Will ich noch 

schreiben! 

Köln. Heulender Wind, die breite Krempe meines schwarzen 

Hutes hindert mich daran, zum Dom hochzublicken – komisch. 

Wenn ich den Hut abnehme, wird mein Kopf vom eisigen 

Wind und den Nadelstichen des Regens förmlich malträtiert. 

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Der Dom sieht wie ein monumentales Märchenbuch aus. 

Drinnen der Domherr in rotem  Ornat. Er bittet mich, nicht 

umherzugehen, sondern mich zu setzen, da die Mittagsandacht 

beginne. Dann würde ich lieber gehen, sage ich erschrocken. 

Nein, nein, sagt der Domherr, das Ganze dauere nur fünf 

Minuten. Ich setze mich. Die Zeremonie spielt sich  mit Hilfe 

eines Tonbandgerätes ab. Nach fünf Minuten ist sie auch schon 

zu Ende. Der Domherr lächelt mir zu. Der Dom ist innen öde 

und kalt. So muß es sein. Eine überdekorierte Kirche hat etwas 

von geschmacklosem Zauber, was schlicht unverzeihlich ist. 

Wie ein mit Bändern geschmücktes Richtbeil. 

Hamburg, Spaziergang zwischen den Docks, der Journalist 

und seine Freundin. Die Linken lesen mein Buch. Ich kann es 

auch umkehren: Wer mein Buch liest, ist Linker. Ästhetisch ist 

das äußerst suspekt, aber was ist Ästhetik? Alles deutet darauf 

hin, daß der Mensch nicht wirklich frei ist, seine Gedanken, 

seine Gefühle sind determiniert, freilich nicht so, wie Marx 

oder Freud es sich vorstellten, nämlich keineswegs 

automatisch. Kann ich denn von den Lesern meiner Bücher auf 

die Bücher selbst schließen? Können wir von denen, die 

Quellwasser trinken, auf die Quelle schließen? Dennoch 

scheint es eine Art chemisches Gesetz von Anziehung und 

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Abstoßung zu geben… «Ist euch das Gefühl bekannt, in 

jemandem klein zu werden?» (Gombrowicz,  Ferdydurke,  1. 

Kapitel) 

In Basel die beflissene, doch etwas schrullig, wenn auch nicht 

bekloppt wirkende Buchhändlerin und ihr charismatischer 

Gehilfe, der schlanke, schwarzhaarige Thomas. Es kommen 

mir Assoziationen wie: Dickens,  Der Raritätenladen… Die 

Buchhändlerin sucht etwas, Thomas findet es. Die 

Buchhändlerin sagt etwas, Thomas berichtigt sie. Und immer 

mit allergrößtem Takt. Eine Weile versucht sie den Schein zu 

wahren, doch schließlich lächelt sie nur irr; ich gewinne den 

Eindruck, ohne Thomas wäre sie verloren. Dann erfahre ich, 

daß Thomas bald geht – er muß lernen, will er nicht in diesem 

Laden, neben dem einsamen alten Fräulein langsam 

verstauben, zwischen und mit den Büchern. Was wird nur aus 

dem winzigen, zerbrechlichen Fräulein (das vielleicht Witwe 

ist oder, was ich allerdings für ausgeschlossen halte, eine 

aktive Frau)? Sie wackelt mit dem Kopf, beklagt sich, tut aber 

so, als wäre sie sich über ihre Lage nicht im klaren, als könnte 

sie den drohenden Verlust nicht voll erfassen. Ob sie das aus 

Taktgefühl tut, um Thomas den Weggang zu erleichtern? Es ist 

dies eine besondere, altertümliche Beziehung in einer 

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friedlichen, altertümlichen Stadt; doch irgendwie werde auch 

ich von Sorge ergriffen. Das Hotelzimmer, das die 

Buchhändlerin für mich reserviert hat, ist kahl und äußerst 

deprimierend. Ich mache keinen Hehl daraus. Wir suchen ein 

anderes Hotel auf, das ebenfalls kahl und deprimierend ist, 

offenbar muß es vor allem billig sein; und da es sich nur um 

eine einzige Übernachtung handelt, willige ich ein. Wir essen 

in einem als schäbiges Lokal getarnten, sehr feinen Lokal zu 

Abend  – ein lauter, fröhlicher Ort. Am nächsten Vormittag 

schlendere ich noch ein wenig durch die Stadt, dann fährt mein 

Zug. Obwohl ich protestiere, begleitet mich Thomas zum 

Bahnhof, trägt meinen Koffer dienstfertig über die Brücke; ich 

wage nicht vorzuschlagen, daß wir ein Taxi nehmen sollen. 

In Frankfurt die kämpferische Jüdin mit schwarzem 

Männerhut und dicker Brille, sympathisch, attraktiv, hübsch, 

spricht davon, daß sie, daß ihre Generation (sie ist um die 

dreißig) sich mit Auschwitz  «auseinandersetzen müßten»

«Wir  in Israel», sagt sie, «haben zumindest eines gelernt: uns 

zu verteidigen.» Totale Nichtauthentizität, keiner versteht 

etwas. Ich  will auch niemanden von etwas überzeugen. Will 

nur schreiben, solange ich kann, weil ich gerne schreibe, weil 

                                                        

 Im Original deutsch 

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ich die Sprache mag, weil ich es mag, wenn mir unerwartet ein 

Vergleich einfällt usw. Alle erkundigen sich nach Auschwitz; 

dabei sollte ich von den gemeinen Freuden des Schreibens 

reden  – verglichen damit ist Auschwitz fremde, unnahbare 

Transzendenz. 

 

 

K. der Schriftsteller, sagt folgendes: 

–  Eine Annäherung an Auschwitz ist unmöglich, es sei denn, 

von Gott aus; Auschwitz ist eines jener großen Menetekel, die 

in Gestalt eines schrecklichen Schlags auftreten, um den 

Menschen hellhörig zu machen  – falls er hinhört. Statt dessen 

werden wissenschaftliche Motive vorgebracht, wird von der 

Banalität des Mordens geredet, was wie ein Gruß aus der Hölle 

klingt. Wenn Auschwitz vergeblich ist, so hat Gott Bankrott 

gemacht; und wenn wir Gott zum Bankrotteur machen, so 

werden wir Auschwitz nie verstehen. So bin ich denn bereit, 

auf diesem riesigen, wüsten Schauplatz namens Erde, wo im 

gräulichen Licht nur ein Häufchen Schutt, spitze 

Stacheldrahtreste, ein entzweigebrochenes Kreuz und die 

Trümmer einiger weiterer Symbole auszumachen sind, mich 

unterm grauen Himmel in den Staub hinzuknien, das Gesicht 

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mit Asche zu bedecken und Auschwitz im gräßlichen Zeichen 

der Gnade anzunehmen… 

Dazu hast du kein Recht  – widerspreche ich  sofort  –, 

höchstens dann, und selbst das ist fraglich, wenn du daran 

zugrunde gehst. 

–  Aber das tue ich ja  – erwidert K. der Schriftsteller  –, die 

Geschichte meines Lebens besteht aus meinen Toden, wollte 

ich mein Leben erzählen, müßte ich von meinen Toden 

berichten. 

– Trotzdem ist etwas faul an der Sache – protestiere ich weiter. 

– Wenn du Auschwitz so teleologisch auffaßt, glaubst du 

offensichtlich auch, daß dein Leben einen Sinn hat. Vielleicht 

glaubst du sogar, Gott habe dich am Leben gelassen, weil er 

dich dazu ausersehen hat, Auschwitz als Menetekel zu 

begreifen. 

K. der Schriftsteller, hat darauf nichts mehr erwidert. Seither 

schweigt er. 

 

 

Ein Brief aus Salzburg:  « Über Ostern habe ich Ihr Buch 

gelesen, das mehr ein karfreitägliches Gefühl vermittelt.»

 (Es 

                                                        

 Im Original deutsch 

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geht um  Kaddisch.)  In der Atmosphäre des ungarischen 

Regime-Christentums  ist es ein großer Trost, solche echt 

christlichen Worte zu lesen. 

Was trennt mich von der ungarischen christlichen 

Mittelschicht (die freilich eher eine mittlere Intelligenzschicht 

ist als eine wirkliche Mittelschicht)? Daß sie Wert auf die 

Unterscheidung legt, ob Graf Pal Teleki oder ob Ferenc Szalasi 

auf die Juden schimpft. Mir hingegen ist das im großen und 

ganzen gleich, für mich ist allemal Auschwitz das Endresultat.  

Dieser Sommer, dieser heiße Sommer 1993… Warum 

erinnert er mich so sehr an den Sommer 1944? Ringsum 

virulenter Haß, ununterbrochen tätiger Wahnsinn. Der Begriff 

«Nation» als unglückliches Bewußtsein, das dem ganzen Land 

aufgezwungen wurde. 

Die Totalität dieses Bewußtseins schafft wiederum Rollen. 

Ich verspüre keinerlei Lust, meine Rolle zu spielen. Keinerlei 

Lust, so tief zu sinken, daß ich gegen den sogenannten 

Antisemitismus protestieren muß (einst, zu Beginn der Zeiten, 

habe ich es aus Hochmut, Dummheit, Dünkel und  Hoffnung 

getan). 

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Mein Judentum ist viel zu interessant (oder: zu 

bedeutungsvoll), um im gebrochenen Licht jenes Wahnsinns 

namens Antisemitismus gesehen zu werden. 

Andererseits ist es schwierig, im Gravitationsfeld des 

Wahnsinns klaren Verstand zu bewahren. 

Ihr verlangt doch nicht, daß ich meine nationale, 

konfessionelle und rassische Zugehörigkeit formuliere? Ihr 

verlangt doch nicht, daß ich eine Identität habe? 

Ich verrate euch: Meine einzige Identität ist die des 

Schreibens. (Eine sich selbst schreibende Identität.)

 

Wer ich sonst bin? Wer wüßte es? 

 

 

Kurzer Spaziergang in Linz. Am Hang, wo es zum Schloß 

hochgeht, das alte Starhemberg-Haus, das Ende des 17 

Jahrhunderts dem Stadtrat vermacht wurde, zur Gründung 

einer Schule. An der Wand eine gelbe Tafel: hier seien Anton 

Bruckner und Rainer Maria Rilke zur Schule gegangen. Als ich 

zur Donau hinunterblicke, die im strahlenden Sonnenschein 

aus einer Krümmung auftaucht und fließt, weiterfließt 

Richtung Osten, verstehe ich die große östliche Hauptstadt der 

                                                        

 Im Original deutsch 

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Österreicher, Wien; dort lebte Freud, der in die chaotische 

Tiefe des Bewußtseins blickte, so wie ich in Linz mit 

schüchtern zusammengekniffenen, dennoch wachsamen Augen 

in die Weite, zum bedrohlichen Osten hinüberblicke… 

Dann erfaßt mich, gleichsam hubartig, ein plötzlicher leichter 

Taumel. Zeitweise wird auch der Mensch gereinigt – wie die 

Natur, wenn frischer Wind die dichten Wolken vertreibt und 

die stickige Luft den schwülen Dunst blank fegt; und wie diese 

Naturerscheinungen sind auch innere Aufheiterung und Sonne 

kaum erklärbar  – oder bloß durch unzureichende und 

willkürliche physische Ursachen. 

 

 

 

_____Ich liebe mein Berliner Bett, auf dem man  bequem und 

hart liegt. 

In diesem Jahr habe ich insgesamt nur drei Monate zu Hause 

(in Budapest) verbracht. 

Ich lebe wie ein Flüchtling. 

Einzig was dies anbelangt, lebe ich richtig: ich bin ein 

Flüchtling. 

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Im Zug, irgendwo zwischen Zürich und Berlin, glaubte ich 

das inspirationshaltige Magma des Theaterstücks, an dem ich 

gerade arbeite, gefunden zu haben: im Selbstmörder (der 

Hauptrolle) werde ich mein eigenes schöpferisches Sein 

betrauern – jenes Wesen, das infolge dreißigjähriger geheimer, 

fruchtbarer und im Grunde harmloser  Arbeit aus seinem 

Kokon eine Seidenraupe hervorgebracht hat, diesen andern, 

der ich heute bin. Er aber, der eigentliche Schöpfer  – ist tot. 

Ich liebte  – und liebe noch heute  – mein früheres, leidendes, 

hochstilisiertes Ich, in dem ich so lange gewohnt habe, diesen 

großen Toten, den ich in meinem Theaterstück zu Grabe trage. 

Ich wiederhole die Worte Ibsens  – schreiben heiße soviel wie 

über sich richten. Im Stück verurteile ich mich zum Tode (das 

tue ich in jedem Werk, ich sterbe unentwegt); falls ich das 

Urteil überlebe, werde ich weiterfliehen, neuen Toden 

entgegen (bis ich eines Tages, vermutlich unerwartet und 

völlig unvorbereitet, auf den richtigen stoße: was wird das für 

eine Überraschung sein!). 

Als ich in meine Berliner Wohnung zurückkam, wusch und 

bügelte ich wie eine Studentin. 

Heute: In der Abenddämmerung Spaziergang an der Spree 

entlang, nicht enden wollender Nachmittag, mäanderndes 

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Wasser, Weiden, die ihre Äste in den Fluß hängen lassen, 

dazwischen einzelne Pappeln und Platanen, Stille und Frieden. 

Beim Schloß Charlottenburg beziehungsweise in einer 

Seitenstraße des Tegeler Wegs kaufte ich mir in einer schlecht 

beleuchteten Papierwarenhandlung einen Radiergummi, ein 

junger Mann mit Schnurrbart bediente mich, ermunternd 

lächelnd; er suchte skrupulös einen Radierer aus und verlangte 

dafür 40 Pfennig. Matte Herbstdämmerung, die in Abend 

übergeht; sehnsüchtiger, zielloser, wie um Verluste trauernder 

Schmerz, der uns in fremden Städten beim Anblick trauter 

Heime, mit Kerzenlicht beleuchteter Kaffeehäuser überkommt, 

wenn wir am Wasser entlangschlendern; ein namenloser, 

archaischer Schmerz, mit Haut und Haar, mit Gepräge und 

Gesicht, der Schmerz des Individuums, das im Ich-Kerker 

schmachtet und sich aus der Gefängniszelle heraussehnt. Der 

Hirschbock fängt in solchen Augenblicken  fordernd und 

dumpf zu röhren an und geht einer Hirschkuh auf den Leim  – 

aber nicht davon ist die Rede… 

 

 

Stehe auf dem Potsdamer Platz herum; matte Vormittagssonne; 

eine Einöde voll Staub und Schutt, mitten in der Stadt, wo 

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einst die Mauer war und umliegendes Gelände. Wie nach 

schweren, verheerenden Luftangriffen. Feiner Aschegeruch im 

milden Licht, Straßen Richtung Nirgendwo, Stimmung und 

Gerüche, die an das Frühjahr 1945 erinnern, unfaßbare 

Melancholie des Überlebens… Wie oft habe ich  so vor dem 

Tor des Lagers Buchenwald gestanden, gleichsam die Freiheit 

kostend, die nach Leichen stank, nach Frühling duftete und wie 

Lagersuppe schmeckte… Weiter zur Synagoge in der 

Oranienburger Straße. Vergeblich suchte ich die kleine 

Konditorei, wo ich vor dreizehn Jahren, 1980, als dieser 

Stadtteil noch zur DDR gehörte, eines Vormittags 

Riesenappetit nach einem kohleschaufelgroßen grünen Stück 

Torte verspürte. Durch das Konditoreifenster fiel mein Blick 

auf eine ziegelrote Gebäuderuine, ich konnte ihn  nicht 

abwenden. Langsam kamen die Assoziationen. Die brennende 

Synagoge  – die Kristallnacht, die Oranienburger Straße, das 

Gebäude im maurischen Stil, wie wir es von Dokumentarfotos 

her kennen… Ich zahlte, lief auf die andere Straßenseite 

hinüber. Ja, richtig. Ruinen, Mauerreste, aus deren Ritzen da 

und dort ein Strauch wuchs. Nirgends ein Hinweis, drinnen 

eine unauffällige Tafel, auf der lediglich die 

Eigentumsverhältnisse festgehalten waren. Ein stummer, in 

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Namenlosigkeit versunkener Ruinenhaufen, vom Vergessen 

geschändet. Neulich nun bekam die Synagoge eine glänzende 

Kuppel aus Gold, wie eine Dornenkrone. Doch ihre 

Umgebung, die baufälligen Häuser, die triste Straße, erinnern 

noch immer an den Krieg; der muffige Geruch in den 

Torwegen, die Bilder des Verfalls, der Schimmel, die Fäulnis. 

Als täte sich plötzlich ein geheimer Keller auf, dringt die ganze 

Verwüstung und Verheerung der letzten Jahrzehnte an die 

Oberfläche. In ein paar Jahren wird sie verschwunden sein, 

wird sich alles, alles ändern  – die Menschen, die Häuser, die 

Straßen; die Erinnerungen werden eingemauert, die Wunden 

zugebaut sein, der moderne Mensch mit seiner  berüchtigten 

Flexibilität wird alles vergessen haben, wird den trüben 

Bodensatz seiner Vergangenheit wegfiltern, als wär’s 

Kaffeesatz. Mich erfüllt eine gewisse Befriedigung, daß ich 

dies, vielleicht zum letztenmal, sehen (und nicht nur sehen, 

sondern verstehen) kann, so wie es einem Naturforscher 

erginge, wenn er plötzlich ein Exemplar einer vor kurzem 

ausgestorbenen Rasse erblickte, das ruhig sein 

anachronistisches Leben lebt. 

 

 

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Weimar. Oben auf dem Ettersberg. Ein frostiger, dunkler 

Novembernachmittag. Irrelevanter Teilnehmer, der ich bin, 

trapple ich hierhin und dorthin, bleibe stehen, gehe weiter, wie 

es die Umstände und meine Begleiter verlangen. Es lohnt sich 

manchmal, jene Schauplätze, wo die entscheidenden 

Ereignisse unseres Lebens stattfanden, wieder aufzusuchen, 

um zu erfahren, daß wir nichts mit uns selbst zu tun haben. 

Eine gravierende Erkenntnis, die wir mit verschiedenen 

Formen und Sublimationen von Treue zu kaschieren 

versuchen, weil die Unbeständigkeit unserer Person sonst 

schieren Wahnsinn enthüllen würde.  –  Unten in der Stadt die 

sogenannte Konferenz. Professor H. eine Persönlichkeit im 

klassischen Wortsinn; eine in ihrer Absonderlichkeit geradezu 

unverfrorene Erscheinung. Seine überwältigende 

Vortragsweise. Unter den Referaten der Historiker sticht seines 

deutlich hervor: Es habe keinen Befehl zur Ausrottung der 

Juden, zur  «Endlösung»

  gegeben. Keinerlei  Führerbefehl

*

Was man als solchen bezeichne, seien lediglich vage, auf 

mündlichen Äußerungen basierende Behauptungen. Alles sei 

freiwillig, eigenmächtig, spontan geschehen. Bei 

Befehlsverweigerung wäre es schwierig gewesen, sich auf 

                                                        

 Im Original deutsch 

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irgend etwas zu berufen – Beweis dafür seien die tatsächlichen 

Befehlsverweigerungen. 

In Kiel ein strahlender Himmel, vom Hotel am Waldrand aus 

sehe ich direkt auf die südlich blaue Ostsee; am Ausgang der 

Bucht halten mehrere acht- bis zehnstöckige Schiffe langsam 

auf die  blau-weiße Weite zu. Müdigkeit. Im Zug nach 

Hamburg erwache ich jäh, weil mich jemand mustert. Zwei 

schräg gegenübersitzende junge Frauen starren mich an. In 

ihrem Blick ist noch immer etwas wie Verdutztheit,  ja leiser 

Schrecken.  «Hab ich geschnarcht?»

  frage ich, selber 

erschrocken.  «Nee, nee»

*

,  wehren sie ab und beginnen sich 

sofort lebhaft miteinander zu  unterhalten. Ich zerbreche mir 

den Kopf, womit ich diesen Mädchen wohl solchen Schrecken 

eingejagt habe. Im Spiegel ihres befremdeten Gesichts erblicke 

ich plötzlich mich selbst, einen älteren Ausländer, der mit 

zurückgesunkenem Kopf und offenem Mund reglos dasitzt und 

von dem man nicht weiß, ob er schläft oder vielleicht schon tot 

ist. Ich muß ihnen ein unangenehmes Reiseerlebnis gewesen 

sein. 

Hamburgs weiße Villen. Der Flughafen. Dann München. Es 

geht mir durch den Kopf, daß ich nach vierzig Jahren 

                                                        

 Im Original deutsch 

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Gefängnisleben nun plötzlich so viele Flughäfen und Bahnhöfe 

kenne, mit völliger Selbstverständlichkeit die verschiedensten 

U-Bahnen und Schnellzüge benutze. Bedeutet es mir etwas? Es 

wäre gelogen, ich sagte nein. Ich bin der leicht skeptische, aber 

durchaus empfängliche Protagonist meines 

Lebens-

Entwicklungsromans

. 

Draußen am Starnberger See, Tutzing, Evangelische 

Akademie. Wieder eine sogenannte Konferenz, die unter dem 

Titel «Deutsche und ungarische Intellektuelle im Gespräch» 

angekündigt ist. Ich habe dafür eigens ein Elaborat verfaßt: 

«Der überflüssige Intellektuelle». Eine verstörte Dame 

empfängt mich mit seltsamen Nachrichten. Von zuständiger 

ungarischer Seite sei verlautet, man halte die Liste der 

ungarischen Geladenen für einseitig. Gegen mich wurde 

vorgebracht, ich schriebe nur über ein  einziges  Thema 

(nämlich Auschwitz) und sei  somit  nicht repräsentativ für das 

Land (nämlich Ungarn). Die Worte der verstörten Dame 

verstören mich; ich spüre, wie der offerierte Wahnsinn 

hoffnungslos und unausweichlich von mir Besitz ergreift. 

Zuerst nimmt er in mir die Züge von Selbstmitleid und 

Entrüstung an; danach beginnt die Leidenschaft Argumente zu 

                                                        

 Im Original deutsch 

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sammeln, steigt in den Ring der Logik, obwohl klar ist, daß 

man mich nur in den Ring zwingt, um mich k. o. zu schlagen. 

Diese Logik offeriert brillante Wahrheiten, und jede Wahrheit 

ist eine Fußangel. Je mehr Argumente für mich sprechen, desto 

weiter entferne ich mich von der Wahrheit, weil ich an einem 

Sprachspiel teilnehme, dessen Komponenten allesamt 

wahrheitswidrig sind, weil ich mich in einer Ordnung des 

Denkens bewege, die alles verfälscht. Wenn diese Ordnung des 

Denkens Wirklichkeit schafft, kann meine Wirklichkeit, als 

Teil davon, nur Mittel zum Zweck sein. Es scheint, als wäre ich 

ein gefährlicher Gegner, während ich doch nur einem 

perversen Bedürfnis diene, das mich an sich reißt und 

schändet, wie ein Lustmörder sein Opfer. 

Doch wie sollte ich nüchtern bleiben, wenn die Wollust des 

Wahnsinns so verlockend ist? Hat man mich nicht beleidigt? 

Hat man mich nicht ungerecht behandelt und diskreditiert? 

Sind nicht antisemitische Affekte im Spiel? Sieht es nicht wie 

eine Rückkehr alter Methoden aus, wenn die Kulturdiplomatie 

eines postkommunistischen Staates im Ausland seine eigenen, 

unerwünschten Bürger in den Dreck zieht? Und so weiter  – 

Argumente des Wahnsinns, die im Gewande juristischer Logik 

daherkommen, um sich meiner zu entledigen. 

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Wäre es nicht interessanter, der Wahrheit ins Auge zu 

blicken? Sollte ich nicht lieber ein für allemal mit meinem 

negativen Wahnsinn aufräumen, der mir den widerwärtigen 

Stempel eines Opfers aufdrückt? Es ist evident: Eine kleine 

Nation, die längst aus dem großen Prozeß der sogenannten 

Weltgeschichte ausgeschieden ist und sich zudem schwertut, 

ihre wahre, adäquate Rolle in Raum und Zeit zu finden 

(vielleicht ist eine solche Rolle für sie gar nicht vorgesehen): 

eine solche  Nation kann sich  als  Nation nur wahnsinnig 

gebärden. 

Wenn sie nicht einsehen wollen, daß ihr kaputtes Privatleben 

und die verfehlte Geschichte auf ihr eigenes Konto gehen, 

wenn sie darin ein von bösen,  fremden  Kräften verursachtes 

Unglück,  einen  nationalen Fluch,  Schicksal, ja Verhängnis 

sehen wollen: dann läßt sich wohl sagen, daß sie den 

Antisemitismus brauchen. 

Die an einem Vaterkomplex leidende, sadomasochistisch 

perverse osteuropäische Kleinstaatenseele kann, wie es scheint, 

nicht ohne den großen Unterdrücker leben, auf den sie ihr 

historisches Mißgeschick abwälzt, und nicht ohne den 

Sündenbock der Minderheiten, an dem sie all den Haß und all 

das Ressentiment, das der tägliche Frust erzeugt, abreagiert. 

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Wie soll einer, der permanent mit seiner spezifisch 

ungarischen Identität  beschäftigt ist, ohne Antisemitismus zu 

einer Identität gelangen? Was aber ist das ungarische 

Spezifikum? Zugespitzt formuliert, läßt es sich nur durch 

negative Charakteristika bestimmen, deren einfachstes  – redet 

man nicht um die Sache herum  – so lautet: Ungarisch ist, was 

nicht jüdisch ist. Nun gut, was aber ist jüdisch? Das ist doch 

klar: was nicht ungarisch ist. Jude ist der, über den man in der 

Mehrzahl reden kann, der ist, wie die Juden im allgemeinen 

sind, dessen Kennzeichen sich in einem Kompendium 

zusammenfassen lassen wie die einer nicht allzu komplizierten 

Tierrasse (dabei denke ich natürlich an ein schädliches Tier, 

das – schiere Irreführung – ein seidiges Fell hat) usw.; und da 

«Jude» im Ungarischen zum Schimpfwort geworden ist, macht 

der als Kollaborateur ehrenhaft ergraute politische Redner und 

schnellgebackene Ungar einen Bogen um den heißen Brei und 

benutzt das Wort «Fremder»  – doch weiß jedermann, wer 

gegebenenfalls seiner Rechte beraubt, gebrandmarkt, 

geplündert und totgeschlagen wird. 

Und ich – was kann ich tun? 

Schon seit langem nichts. Ich habe den Moment zum 

Handeln verpaßt, bin bloßer Wächter und Zeuge. Vielleicht 

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wird mir diese Fahrlässigkeit, im Zusammenhang mit der 

isolierten Sprache und der unmöglichen Umgebung, als 

Schriftsteller zum Verhängnis. Doch müßte ich mich schon 

mehr für die Unsterblichkeit interessieren, um deswegen 

betrübt zu sein. 

In begrifflicher Klarheit steckt immer ein wenig Trost. Mit 

Karl Kraus gesprochen ist die Lage hoffnungslos, aber (noch) 

nicht total. Durch eine höfliche Verbeugung kann ich noch 

immer der Einladung zur Hinrichtung entgehen  – und das ist 

meine Aufgabe, praktisch und mental. 

 

 

Nachmittags um fünf Rendezvous am Münchner 

Hauptbahnhof. Ich komme mit dem Zug aus Berlin, M. mit 

dem Auto aus Budapest. Seit wann wage ich es, solche Treffen 

zu vereinbaren? Woher nehme ich das unbegründete, 

kosmische Vertrauen? Als ich nach siebenstündiger Zugfahrt 

aussteige, sehe ich niemanden. Beziehungsweise ein 

Gewimmel von Gesichtern, in dem ich mit dem  Blick 

vergeblich herumstochere. Langsam überkommt mich das 

vertraute, watteartig gedämpfte Gefühl der Unwirklichkeit. 

Doch siehe da, was für ein Lächeln taucht plötzlich in dem 

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bunten Gewirr, zwischen den zerstiebenden Marionetten auf 

und hält geradewegs auf mich zu? Ich  höre ihre Worte: Die 

achtstündige Autofahrt habe sich um zehn Minuten verzögert, 

weil an einem Grenzübergang ein Stau entstanden sei  – doch 

mit einemmal wird diese lärmige, wimmelnde, turbulente 

Halle, dieser absurde Schauplatz, wo unsere Wege 

zusammenlaufen, zu einer Art archaischen Kulthöhle, erfüllt 

mit der metaphysischen Bedeutung der Begegnung, mit der 

affirmativen Suggestion einer gleichsam schicksalhaften 

Zusammengehörigkeit, die ich einen Augenblick als völlig real 

erlebe. Dann bahnen wir uns einen Weg durch die Menge, zum 

Ausgang, zum Parkplatz, und fahren weiter, nach Florenz… 

 

 

Budapest. Träume. In der vorigen Nacht meine Mutter, der 

übliche vage Traum, voller Gewissensbisse. Vor zwei Tagen 

ein hellbrauner tollwütiger Hund, ich sah seine scharfen Zähne, 

spürte schon die grausam-böse Wirklichkeit seines Bisses, als 

in einem Arkadenhof Feuer ausbrach, das blitzschnell um sich 

griff und dunkle Rauchwolken bildete, wie wenn Öl oder 

Benzin brennt. 

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Es ist etwas anderes, zu Hause heimatlos zu sein als in der 

Fremde, wo wir in der Heimatlosigkeit ein Zuhause finden 

können. 

Aus zahllosen kleinen, individuellen Irrtümern  entsteht der 

große, gemeinsame Irrtum. Und dieser Irrtum ist unsere 

einzige Wahrheit. 

Einige Fragen, auf die ich immer falsche Antworten gebe 

(falsch meint: irrig, weil dies in der Natur der Sache liegt, doch 

habe ich zuwenig beachtet, daß jeder Irrtum immer  mein 

Irrtum  ist, das heißt meine einzig mögliche Wahrheit). Zum 

Beispiel: Ob wirklich nur mörderische Umstände für mich eine 

Kraftquelle seien? Das kann ich nicht wissen, weil diese 

Kraftquelle immer nur zur Darstellung der mörderischen 

Umstände diente, unter ebendiesen mörderischen Umständen. 

Ließe sich der Akt der Unabhängigkeit oder Freiheit hier 

zweifelsfrei nachweisen, dann wüßte ich, daß diese Kraftquelle 

sich nicht den mörderischen Umständen, sondern einer viel 

tieferen, wesentlicheren Notwendigkeit verdankt, dann könnte 

ich sagen, daß ich zum Künstler geboren wurde. So aber kann 

ich nur feststellen, daß ich mit diesen mörderischen 

Umständen so heftig zusammengeprallt, dann 

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zusammengewachsen bin, daß diese Fusion explosionsartig 

eine neue Qualität erzeugt hat – durch mich und in mir. 

Weiter: Warum ich am Ende des  Galeerentagebuchs  so viel 

über Gott rede. Hier allerdings ist die Frage falsch gestellt, 

denn über Gott kann man meines Erachtens nicht reden, Gott 

ist weder Person noch Gegenstand, es ist zu befürchten, daß 

wir es mit einem Sprachproblem zu tun haben. Ich spreche 

davon, daß der Mensch in bestimmten Situationen Gott denken 

muß beziehungsweise über Gott nachdenken muß – es handelt 

sich also  schlicht um ein Zeugnis, ein «documentum 

humanum», um nichts weiter. 

Schließlich: Das Thema des sogenannten Antisemitismus. 

Darum «sogenannt», weil er nicht mehr der gleiche ist, 

sondern ein anderer (obwohl man das nicht wahrhaben will). 

Hier, bei der Unterscheidung zwischen Antisemitismus und 

Antisemitismus, muß man das Faktum Auschwitz 

berücksichtigen. In der Geschichte des Antisemitismus ist 

Auschwitz ein Wendepunkt, wie beispielsweise in der  Physik 

die Quantentheorie. Womit ich nur sagen will, daß ein 

Antisemit, der Auschwitz außer acht läßt, kein echter, 

glaubwürdiger, ernster, auf dem Gebiet seines Wahns 

bewanderter und  gebildeter Antisemit sein kann 

– 

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ebensowenig wie der Physiker, der noch nie von der 

Quantentheorie gehört hat. Es ist nämlich so, daß Auschwitz 

die Antisemiten permanent in Verlegenheit bringt: auf 

Auschwitz gibt es – sieht man von der schieren Billigung ab – 

keine antisemitische Antwort. (Kürzlich erlebte ich, wie im 

Lebensmittelgeschäft gegenüber ein Mann die Bierflasche 

schwenkte und schrie: «Die opfern sich lieber selber, nur um 

Schadenersatz zu bekommen!» Dieser unverblümte 

Infantilismus war jedoch so komisch, daß ich laut lachen 

mußte, worauf der Mann mir freundlich zublinzelte.) Der 

Antisemitismus wurde zu Ende gedacht, und das Gedachte 

wurde in die Tat umgesetzt: mit Auschwitz hat die klassische 

Geschichte des Antisemitismus ihr Ende erreicht  –  freilich in 

dem Sinne, wie für manche die Geschichte selbst an ihr Ende 

gelangt ist. Das heißt, alles geht weiter, nur irgendwie matter, 

wenn auch unverblümter: die Nebengeräusche der 

antisemitischen Ideologie, die niemanden von nichts mehr zu 

überzeugen vermag, werden in Zukunft höchstens als 

unartikulierte Hetzrufe vonnöten sein, als Metronomschläge 

zum Takt der Menschenvernichtung. 

 

 

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_____Noch nie habe ich die gravierende Tatsache  analysiert, 

daß das Lieblingsmärchen meiner Kindheit  Das häßliche 

Entlein  war. Ich habe es oft gelesen und jedesmal fleißig 

geweint. Es ist mir häufig auf der Straße, im Bett vor dem 

Einschlafen usw. in den Sinn gekommen, als Trost, der sich an 

allen für alles rächt. Womöglich sagt es mehr über meine 

geheimen Lebensgrundsätze aus als die großen 

Jugendlektüren, von denen ich glaubte, sie hätten mein 

Schicksal tiefgreifend verändert, hätten meine Wege  – oder 

Irrwege – bestimmt. 

In Weiterführung von Freuds Idee, wonach sich im deutschen 

Antisemitismus der einstige latente Widerstand der 

heidnischen Germanen gegen das Christentum spiegeln dürfte 

– denn das Christentum ist ja ein Kind des jüdischen 

Monotheismus  –, wäre zu erwähnen, daß für die 

Tiefenpsychologie der  «Endlösung»

  auch eine gewisse Rolle 

gespielt haben mag, daß die Juden das biblische Volk sind.

 

Man wollte die Schrift auslöschen. Wollte allein sein. Ohne 

Gesetz. 

Die Feinheiten der Tiefenpsychologie. Die unermeßliche 

Drehbühne der historischen Analyse, Hannah Arendts 

                                                        

 Im Original deutsch 

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großräumige und tieflotende Vision vom Ursprung und 

Aufkeimen des Antisemitismus zur Zeit der europäischen 

Aufklärung, das heißt der Judenemanzipation. Wie aber erklärt 

sie Auschwitz, die Sonderkommandos, den Alltag des 

Lagerlebens? Hier nämlich muß jede historische, jede 

wissenschaftliche Erklärung versagen. Hier spielt sogar der 

Antisemitismus kaum noch eine Rolle. Hier quält nur noch ein 

Mensch den andern, mordet zuhauf, schwelgt im Gestank 

verwesenden Fleisches, hier werden nur noch Leichen von den 

Händen Halbtoter verbrannt und Gegenstände von 

Magazinarbeitern sortiert; die Welt geht im Innersten 

zugrunde, was sowohl die Geschichte als auch Verstand und 

Wissenschaft weit übersteigt… 

Habt ihr bemerkt, daß in diesem Jahrhundert alles 

eigentlicher wird, sein eigentliches Selbst offenbart? Der 

Soldat wird zum Berufsmörder, die Politik zum Verbrechen, 

das Kapital zu einem mit Krematorien ausgerüsteten 

Menschenvernichtungsbetrieb, das Gesetz zur Spielregel für 

schmutzige Spiele, die Weltfreiheit zum Völkergefängnis, der 

Antisemitismus zu Auschwitz, das Nationalgefühl zum 

Genozid. Unser Zeitalter ist das Zeitalter der Wahrheit, ohne 

jeden Zweifel. Doch aus purer Gewohnheit wird 

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weitergelogen, obwohl jeder die Absicht durchschaut; schreien 

sie: Liebe  – weiß jeder, daß die Stunde des Mordens 

gekommen ist; schreien sie: Gesetz  – regieren Diebstahl und 

Raub. 

Vergessen wir nicht, daß man Auschwitz keineswegs wegen 

Auschwitz liquidierte, sondern weil das Kriegsglück 

umschlug; auch ist seit Auschwitz nichts geschehen, was wir 

als Widerlegung von Auschwitz hätten begreifen können. 

Indessen haben wir erlebt, daß Reiche von Ideologien 

beherrscht wurden, die sich in praxi als bloße Wortspiele 

entpuppten, wobei gerade ihr Wortspielcharakter sie tauglich, 

das heißt zum wirksamen Instrument des Terrors gemacht hat. 

Wir haben erlebt, daß Mörder und Opfer sich gleichermaßen 

über die Leere, die Bedeutungslosigkeit solcher ideologischen 

Befehle im klaren waren: und gerade dieses Bewußtsein 

verlieh den im Namen solcher Ideologien verübten Greueltaten 

jene besondere, unvergleichliche Schändlichkeit und 

pervertierte die von solchen Ideologien beherrschten 

Gesellschaften bis hinab an die Wurzeln. Mörderische Salven, 

mehr noch die bloße Faust, «der mörderische Stockhieb» mit 

dem gleichzeitigen Gebrüll eines wahrhaft mörderischen 

Unsinns haben sich als das genüßlichste Machtgefühl 

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erwiesen, das vernunftschändende Morden hat ein 

orgiastisches Glücksgefühl erzeugt, das dem Menschen und 

seiner Zukunft wahrhaft apokalyptische Perspektiven 

eröffnet… 

Man müßte einmal alle Ressentiments analysieren, welche 

die zeitgenössische Intelligenz gegen die Vernunft hegt, müßte 

eine Geistesgeschichte des Hasses auf den Geist verfassen… 

Ich schreibe diese Zeilen mit besonderer Bitterkeit und 

besonderer Genugtuung (um nicht zu sagen Wonne) und habe 

zugleich eine starke Empfindung von der Vergeblichkeit und 

Unzeitgemäßheit meines Seins. Was bewegt mich, warum 

kritzle ich mit meinem Kugelschreiber aufs Papier? Wozu all 

diese geheimen Morgen und geheimen Spaziergänge, all diese 

einsamen, intimen Selbstquälereien? Bin ich etwa ein 

Kryptoprophet? Ein unter den Trümmern der Zeit sich 

versteckender Chronist? Formuliere ich Antworten auf Gottes 

unablässige Fragen? Irgendwann muß ich mich um die äußere 

Gestalt des Stoffes kümmern, um die impassibilite, die 

künstlerische Makellosigkeit – aber wird ein solcher Moment 

kommen? Und ist das überhaupt wichtig? Ist nicht viel 

wichtiger, was am Schluß der  Englischen Flagge  steht: «Wer 

sieht durch uns?» Denn wir müssen so denken, das heißt auch 

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leben, als  sähe  einer  –  nicht uns, nicht mit unsern Augen, 

sondern durch unser Leben. 

Was bedeutet das, strenggenommen? Keineswegs eine 

Lösung.  «Ich bin nicht bereit, mit erlöster Seele in einer 

unerlösbaren Welt zu wandeln» – sagt Buber (zitiert von Ervin 

Nagy Valyi). 

 

 

Budapest, Januar 1994. Ich spüre meinen inneren Verfall. Die 

dumme Leidenschaft des Zeitungslesens. Die verhaßten 

Fakten, die zerstörerische Umgebung  – auf den Straßen und 

Gehsteigen, in den Läden: die tägliche Aggression überall löst 

den Reflex der täglichen Haßanfälle aus. Dieses dumme Leben 

spielt sich auf einer einzigen Ebene ab, auf der Ebene des 

Nachdenkens über lauter Ephemeres. Meine ewige Seele 

(wenn ich mich so ausdrücken darf), meine ewige Seele läßt 

mich langsam im Stich, und schon spüre ich ihren enttäuschten 

Rückzug: auch in diesem Haus habe ich umsonst ein Nest zu 

bauen versucht… 

Heute morgen sah ich einen sechs- bis siebenjährigen Jungen 

mit vornehmem, dunkelhäutigem Gesicht; schmutzig und 

zerlumpt kauerte er auf dem kalten Asphalt Ecke Margit körút 

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und Károly-Szasz-Straße, an eine Hauswand gelehnt. Stumm, 

mit selbstvergessenem Gesichtsausdruck wühlte er in seinen 

Taschen. Die Almosen nahm er wortlos und würdevoll 

entgegen, ohne darauf zu achten, wer wieviel Kleingeld in das 

mützenähnliche Ding vor ihm warf. Das Bild hatte etwas 

Endgültiges, etwas unabänderlich, ja vollendet Apathisches. 

Mich abwenden (weil ich nicht anders kann). Ich verliere 

meine Empfänglichkeit für die Freude, für die absurde 

Schönheit des Lebens  – ich verliere die Empfänglichkeit für 

mich selbst. Ich verliere den Überschuß, den Lebensüberschuß, 

in dem mein Reichtum, die latente Quelle meines Schaffens 

liegt; indes ist es einzig das sogenannte Schaffen, in dem sich 

mein wahres Wesen manifestiert (warum aber muß es sich 

überhaupt manifestieren?  – nicht enden wollende Fragen). 

Unzeitgemäß leben, das heißt tragisch leben, in den 

weitläufigen Dimensionen des einmaligen Seins und des 

unberechenbaren, schnellen Todes, wie jemand, dem zwischen 

zwei faden Kokon-Existenzen dieser einzigartige, kurze 

Sommer zuteil wird. 

 

 

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_____In letzter Zeit habe ich keine großen, weg weisenden 

Träume mehr. Ich schlafe vergebens und wache umsonst auf. 

Diese unendliche Leere, wenn ein Gefühl vergeht. Wenn ein 

langes Buch, in dessen Welt du dich eingenistet hast, 

ausgelesen ist; wenn du eine Liebesbeziehung beendest; wenn 

die anspornende Inspiration ausbleibt  – da erfährst, da siehst 

du die Welt mit einemmal ohne Ziel, ohne Sehnsucht, Willen 

und sonstige Manipulationen, einfach so, wie sie ist, als das, 

was sie ist. 

Du erlebst dein Unglück und begreifst, daß diese Leere der 

Welt gewissermaßen dein Werk ist. 

Lange habe ich die Lebensträgheit meiner Väter verachtet; 

daß sie in diesem Land lebten und sich gleichsam durch den 

natürlichen Lauf der Dinge, sozusagen durch die organische 

Entwicklung plötzlich mit der Wahrheit um sich herum 

konfrontieren mußten. Es gibt keine größere geistig-moralische 

Niederlage, als den Tod aus den Händen jener 

entgegenzunehmen, die wir restlos verachten. Was spricht aus 

solchem Versäumnis? Selbstverachtung? Blindheit? 

Bequemlichkeit? Ungläubigkeit? Fatalismus? 

Auch ich lebe  so, abwartend, gleichgültig,  schuldig. Es ist 

März, die Sonne scheint, der Nationalfeiertag steht bevor. Als 

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ich auf dem Szenater aus der Straßenbahn schaue, sehe ich 

einen Aufmarsch von jungen Leuten in tarnfarbener Kleidung 

und schwarzen Schnürstiefeln, mit Arpadfahne und 

waffenähnlichen Dingern unterm Arm. Was haben sie vor? In 

der Unterführung der Margit-Brücke ein weißbärtiger Greis in 

gendarmgelbem Anzug, er trägt eine nationalfarbene 

Armbinde mit schwarzem Doppelkreuz und auf dem Kopf 

einen Pfadfinderhut mit Reiherbusch und bunten Federn… ein 

vergreister nationalistischer Winnetou. Jungvolk, das sich in 

leintuchgroße Trikoloren hüllt, haßerfüllte Blicke, die über 

riesigen nationalen Abzeichen ihre Razzia machen. Flüchtig 

taucht die Frage auf, ob es  sich lohne, das Phänomen zu 

analysieren; ich glaube, nein. Was dennoch auffallend daran 

ist: das Fehlen von Veränderung. Als wären diese zumeist 

jungen Leute, abgesehen vom Abstrahierbaren  – der Person  – 

die gleichen,  die ich in den vierziger Jahren gesehen habe  – 

gleiche Gesichter, gleiche Stimmen, gleiche Bewegungen 

usw.; das läßt auf eine gewisse Konstanz der Wirklichkeit 

schließen. Auffällig ist ihre mangelnde Anpassungsfähigkeit 

und Flexibilität – sie wiederholen dasselbe, auf dieselbe Weise 

–, was auf schwerwiegende Probleme im Bereich der Vitalität 

hindeutet; ihre Aggressivität ist eine Dissimulation, das 

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Zeichen offenkundiger Dekadenz und Lebensuntauglichkeit; 

nicht ihr Antisemitismus, nicht ihr unbezwingbarer, 

beschränkter, zu jeder Anpassung oder Erneuerung unfähiger 

Egozentrismus wird diese Menschen ins Verderben  stürzen, 

vielmehr zeigt sich daran, daß sie schon längst verloren sind. 

Es fehlt ihnen vollkommen der feine Instinkt der 

Aufnahmebereitschaft, sie schließen sich ab und schließen 

andere aus; wenn aber eine Gemeinschaft den Anschluß an die 

Weltkultur verpaßt, blickt sie verständnislos in den Abgrund, 

der sich vor ihr auftut, obwohl dieser Abgrund da ist, um sie zu 

verschlingen. 

Die Vergeblichkeit aller Luzidität. Der Mensch ist, mit 

menschlichem Verstand beurteilt, einfach jämmerlich ridikül; 

aber gibt es denn einen andern Verstand, mit dem er zu 

beurteilen wäre? Ist der Verstand eine tätige Energie? Und 

wenn er den Menschen ununterbrochen in Frage stellt, muß 

man da nicht auf negative Kräfte im Menschen schließen, auf 

seinen unvermeidlichen Untergang? Ist der Kampf hienieden 

nicht auch zu begreifen als ein Kampf der Ratio gegen die 

Trägheit der Materie? Das heißt, die Ratio kämpft in ihrem 

Kampf für den Fortbestand sozusagen gegen die dem 

Fortbestand dienenden Instinkte, und wenn sie diese nicht 

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besiegen kann, muß sie zwangsläufig den Fortbestand selbst 

verurteilen und das Urteil mit Hilfe der Instinkte vollstrecken. 

So betrachtet könnte die Welt (und was ich von ihr sehe) 

zweifellos Sinn gewinnen. Nur muß ich meine Augen sehr 

anstrengen… 

Eines Nachts (heute? gestern?) war ich im Traum in einem 

Theater-  (oder  Konzert-)Saal, wo die Menschen stehend 

applaudierten. Ich sah sie  von hinten (an einen graublauen 

Anzug und an den glattrasierten Nacken eines jungen Mannes 

kann ich mich genau erinnern), somit muß ich wohl selber im 

Publikum gewesen sein.  – Oder war ich doch auf der 

Bühne?… 

Wenn ich mein Stück zu Ende bringe (was mir zur Zeit 

immer unwahrscheinlicher vorkommt), möchte ich einige lang 

hinausgeschobene Projekte in Angriff nehmen (die 

Autobiographie  Die Zone,  in deren Mittelpunkt die 

authentische Geschichte von A. steht; vielleicht werde ich die 

Autobiographie aus dem Gesichtswinkel von A. das «Ich» 

durch die «Sie»-Perspektive schildern, wodurch die Passion 

eines gegen mich gerichteten Stils in vollem Maße moralisch 

gerechtfertigt würde). 

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Gestern, beim Anhören des Quartetts op. 127 (zweiter Satz), 

fiel mir auf, daß ein solches Gefühl in der heutigen Kunst 

völlig fehlt. Was für ein Gefühl? Müßte  ich es benennen, 

würde ich am ehesten sagen: Dankbarkeit. 

Wir mögen das Leben nicht. Wir freuen uns nicht daran. 

Und doch muß das Leben ein großes Privileg sein, wenn wir 

es mit dem Tod bezahlen müssen. 

 

 

Ich versuche weise Bücher zu lesen, aber sie machen mich nur 

immer gereizter. Die Weisheit läßt das Leben gewissermaßen 

als Gewohnheit erscheinen, während man sich an das Leben 

niemals gewöhnen kann. Und gerade darin liegt das 

Entscheidende – sein einziger Reiz. 

Mitten in meinen Sechzigern muß ich plötzlich  feststellen, 

daß der grundlegende Fehler meiner Arbeitsmethode bislang 

meine Arbeitsmethode war. 

Gestern mit Freunden. Es umgaben mich die sanften, ruhigen 

Wellen der Sympathie; ich wagte es nicht, mich darauf zu 

wiegen. 

Nachts, auf der Heimfahrt, G. N.s ernstes Gesicht hinter dem 

Lenkrad. Er fragte: Wenn Auschwitz für mich eine gültige 

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Metapher sei, ob ich dann die letzten Sätze meines Textes über 

die überflüssigen Intellektuellen wirklich  ernst  meine, das 

heißt, ob meines Erachtens zwischen einer «freien» und einer 

«geschlossenen» Gesellschaft gewählt werden könne. Ich 

sagte, was ich geschrieben hätte, sei mein Ernst; zwar könne 

man das Bewußtsein der Schande nicht mehr aus unserm 

Leben ausmerzen, doch dürfe diese Tatsache nicht zu weiteren 

Schändlichkeiten verleiten. 

Heute aber bin ich davon schon nicht mehr so ganz 

überzeugt. Und auch nicht vom Gegenteil. Überhaupt bin ich 

von meinen Worten nicht überzeugt, weil diese eine bloße 

Meinung ausdrücken; unsere Meinungen müssen auf unserem 

Leben gründen, in meinem Fall aber tun sie das nicht, schlicht 

und einfach darum, weil mein Leben kein aktives Leben ist; 

und so bin ich wieder einmal auf das Glatteis der Meinungen 

geraten und prompt ausgerutscht; außerdem habe ich mich 

plötzlich als  Essayisten  gesehen, und mich packte die Angst 

vor dem Verdursten in der Wüste der Rhetorik… 

Ich übe Einfluß auf andere aus und weiß selber gar nicht, wer 

ich bin. 

Mein Leben provoziert eine andere Frage, und diese könnte 

so lauten: Bedarf es, um das Leben voranzutreiben, noch 

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schlichten menschlichen Ernstes, oder kann man auf solchen 

verzichten; ist Moral im klassischen Sinne noch wichtig, oder 

genügt hemmungsloser Machtzuwachs; inwiefern können der 

hemmungslose Machtzuwachs und die Unterordnung der 

Moral (die Funktionalisierung des Individuums, der Person) zu 

einem besseren und reicheren Leben beitragen? Und ist die 

moralische Qualität des Lebens  – das Bemühen,  besser  zu 

werden  – überhaupt noch eine Kategorie, über die sich 

nachzudenken lohnt – oder ist die innere Kultur des Menschen 

mit Tolstoi zu Ende gegangen? 

Auch darüber habe ich keine  Meinung,  diese Frage könnte 

ich lediglich  verkörpern,  die Antwort lediglich leben, 

praktizieren, ohne sie selber je finden zu können… 

 

 

«Solange du nicht zu steigen aufhörst, hören die Stufen nicht 

auf, unter deinen steigenden Füßen wachsen sie aufwärts»

  – 

Kafka. Ich bewege mich durch die Leere, um nicht zu sagen 

abwärts. 

                                                        

 Im Original deutsch 

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György Ligeti: «Avantgarde und Moderne sind zwei 

unterschiedliche Stilbegriffe»  (Lettre, 1994, Nummer zwei). – 

Ligeti hat damit, wie üblich, etwas Grundlegendes formuliert. 

Die neue Romantechnik beruht alles in allem auf der 

Einsicht, daß nicht der Schriftsteller die Welt (als sein 

Erkenntnisobjekt) ergreift, sondern die Welt  den Schriftsteller 

(als Objekt ihrer unbeschränkten Willkür) ergriffen hat; solche 

Einsicht hat jedoch verheerende Wirkungen auf die sogenannte 

Literatur, diesen Kunstzweig, der immer kümmerlicher 

dahinvegetiert. Noch holt sich die Literatur ihre letzte 

Inspiration aus dem unwahrscheinlich rasanten Verfall 

menschlichen Niveaus; doch bald schon wird dieser 

unaufhaltbare Verfall jede Inspiration zunichte machen – außer 

der des Untergangs. Schon jetzt: Wer spricht denn von 

Literatur? Die letzten Zuckungen festhalten, das ist alles. 

 

 

Ich ging durch eine öde, wüste Gegend; «eine flache und leere 

Landschaft, wie am Ende der Welt, kaum noch als Landschaft 

zu bezeichnen». Ich war ein emotional berührter Betrachter der 

Dinge, nahm an ihnen aber nicht teil. Was wie eine Stadt 

aussah, mündete in einen Schuttabladeplatz, in Moorland. Der 

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hellbraune, zottige Hund war nicht lahm, sondern zog die 

Hinterbeine aus Müdigkeit nach. Alles war von 

«Dämmerlicht» übergossen, vom Widerschein eines Feuers. In 

der Tiefe eines an eine Sandgrube erinnernden Höllenkreises 

erblickte ich plötzlich altersschwache Menschen mit 

malvenfarbenen, leichenfleckigen Gesichtern; an einen Mann 

kann ich mich gut entsinnen, er trug eine Wollweste (wie sie 

A. für mich gestrickt hat) und lag sanft im Sterben (wie alle 

übrigen Menschen auch); ich sah auch den Hund wieder, er lag 

auf dem Bauch; der vom Hunger Ausgezehrte streichelte 

zärtlich-vertraut das vollkommen geschwächte Tier, das sich 

an ihn schmiegte. Mich  bedrückte das Schweigen in diesem 

von Lebenden bevölkerten Massengrab, wo die Menschen sich 

der friedlichen Beschäftigung der Agonie hingaben. Doch 

gelang es mir ohne größere Schwierigkeiten, mich jetzt weder 

als Sterbender noch als Betrachter zu empfinden; irgendwie 

wurde ich ins Bild hineingesogen, das mich gleichwohl nicht 

vollständig aufnahm. Ich erinnere mich an den Mann mit der 

Weste, wie er im Liegen (zu mir?) hochsah, mit abweisendem 

Gesichtsausdruck, wie nicht von dieser Welt, und dabei in 

einem fort den Hund streichelte: gemeinsam warteten sie auf 

die Erfüllung ihres Schicksals, unnahbar stolz und ruhig. 

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Ich bin der Sache nicht nachgegangen, ich mußte aufwachen. 

Dann aber habe ich sie rasch geklärt. Allmählich kenne ich die 

Symbolwelt meiner Träume. Ich weiß, warum die Hungernden 

hier hungern. Ich weiß, wer der Mann ist. Ich  weiß, wer der 

Hund ist. Ich weiß, warum sie hungern müssen. Ich weiß, was 

ich ihnen vorenthalte. Ich weiß, warum ich sie sehen muß. Ich 

weiß alles. Ich weiß auch, daß die Qual des Wissens mich nie 

verlassen wird. 

 

 

 

_____Im April erneut in Szigliget; der alte Ort,  das alte 

Zimmer. Als ich den oberen Spazierweg betrat, schlug mir der 

Blumenduft entgegen und mit ihm die alte, alte abendliche 

Wehmut… Das  Ganze dauerte nur einen Augenblick, und 

schon verwandelte sich die Nostalgie in ein Déjà-vu… Als 

wäre ich hier schon einmal gegangen. Als hätte ich in diesem 

Zimmer gerade  Die Geburt der Tragödie  übersetzt, die ersten 

Sätze von  Kaddisch… geschrieben, als hätte ich hier (vor 18 

Jahren weniger einen Monat) jenes Gewitter erlebt, von dem in 

Kaddisch… die Rede ist und in  dessen rötlichen Blitzstrahlen 

ich gleichsam meine künftigen Werke erblickte; in einem 

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Licht, das den Blitzstrahlen glich, schienen sie auf und 

verlöschten, um später im Wechsel von Inspiration und 

Depression  – gleich den Lichterscheinungen des Gewitters  – 

eins nach dem andern zu entstehen. Als hätte ich hier  – für 

mich selber unerwartet  – das Haar der Schweizerin 

gestreichelt, an der ich mich eines langen Nachmittags 

wunderbar für eine arg verpfuschte Sache rächte, die ich 

damals, mit der transzendenten Höflichkeit des Betrogenen, 

«Liebe » nannte  – und so weiter. Alles ist da, aber alles ist 

anders, auch ich. Das Menschenleben hat Perioden, wie die 

Erde geologische Zeitalter: die brodelnden Lavaströme, dann 

die Eiszeit, Sintflut, Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit… Mein 

erneutes Hiersein ist ein seltsames Spiel mit der Zeit. Es hat 

keinen tieferen Sinn, keine geheime Bedeutung. Ich möchte 

nur ein wenig an meinem Stück arbeiten, abgeschirmt, ruhig, 

weitab vom tobenden Irrsinn der Stadt. Im Park habe ich einen 

Hirsch gesehen, der die frischen Rosentriebe und  -knospen 

fraß. 

Mein Stück – von jetzt an muß ich mir das ständig vor Augen 

halten  – handelt von Auschwitz’  Sieg, weil «der Geist der 

Geschichte», die Welt als Geschichte ebenfalls davon handeln. 

 

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Schriftstellergeplauder im Gemeinschaftsraum: einsame 

Raubtiere kreisen um die leeren Schüsseln. 

Der wüste Park. Vor meinem Fenster der Strauch mit den 

nadelförmigen Blättern; einst strotzte er vor Kraft und wuchs 

wie lodernd empor, so daß ich ihn jahrelang «grüne Flamme» 

nannte, jetzt aber ist er ausgetrocknet, schlaff und welk. 

Der vage Eindruck, von meinen Zunftgenossen kalt berührt 

zu werden. Als hörte ich hinter meinem Rücken 

vorbeihuschende Reptilien, doch wenn ich mich umdrehe, 

verschwinden sie oder verziehen ihren Krokodilrachen rasch 

zu einem Lächeln. Sie drücken mir eine Kritik in die Hand, 

und ich kann nicht entscheiden, ob aus Boshaftigkeit oder 

reinem Wohlwollen. An einer markanten Stelle bezeichnet 

diese Kritik mich als «ungarischen Schriftsteller». Frage: 

Warum muß man mich einen «ungarischen Schriftsteller» 

nennen, wenn ich meine Geschichten doch (größtenteils) in 

einer ungarischen Umgebung ansiedle und (immer) auf 

ungarisch schreibe? Wozu diese fast provokative Feststellung: 

«ungarischer Schriftsteller»? Offenkundig, weil ich keiner bin. 

(Offenkundig, weil sie mich nicht für einen solchen halten.) 

Für mein Ohr jedenfalls ist diese Aussage, diese 

Wortverbindung nicht mehr als ein Gaumen-, Kehl- oder 

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Zungenlaut. Einen Wahrheitswert, wie Wittgenstein sagen 

würde, hat sie nicht. Was sollte diese Aussage schon bedeuten? 

Etwa folgendes: Man möge mich, obwohl ich kein 

«ungarischer Schriftsteller» bin, als «ungarischen 

Schriftsteller» anerkennen und annehmen. Dies ist jedoch 

keineswegs mein Wunsch (man hat mich ja nicht einmal 

gefragt), vielmehr der Wunsch des Verfassers; und meist wird 

er von Leuten geäußert, die selber (natürlich zusammen mit 

ihren Problemen) irgendwo als irgendwer anerkannt und 

angenommen werden möchten, hier vermutlich als «Ungarn» 

(obwohl überhaupt nicht klar ist, was und wen der Begriff 

genau meint). Was mich betrifft, so habe ich meinen 

spezifischen Status längst akzeptiert und seit der neuesten 

Zeitrechnung nicht nur erneut akzeptiert, sondern zugleich 

gewählt:  Aus bestimmten Gründen gehöre  ich nicht hierher 

(kann ich nicht hierhergehören), zum größten Teil schreibe ich 

nicht für jene, deren Sprache ich spreche (kann es nicht), und 

irgendwie tut es mir gut, dies so klar zu formulieren, nachdem 

ich (in einer andern Situation, unter Hammer und  Sichel, wo 

ich sogar das trübe Spiegelbild nur durch einen Spiegel 

wahrnehmen konnte) meine wahre Lage lange sozusagen 

metaphysisch umschreiben mußte, als die eines Fremden in der 

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Welt usw. Das stimmt schon, bloß: die «Welt» (die mich 

umgibt) ist Ungarn, und der wahre Name meiner «Fremdheit» 

heißt Judentum; damit aber ein Jude heutzutage (und dieses 

Heutzutage dauert nun schon gut sieben Jahrzehnte) als Ungar 

akzeptiert wird, muß er bestimmte Bedingungen erfüllen, die –  

um es kurz und bündig zu sagen  – im wesentlichen zur 

Selbstverleugnung führen. 

Das Leben ist nämlich entweder Demonstration oder 

Kollaboration. 

 

 

M.s Fähigkeit, glücklich zu machen – das außergewöhnlichste 

aller Talente… Rasch ziehe ich meine Hand zurück, wenn sie 

mich am Glück teilhaben lassen will, doch sie zwingt ihre 

Finger zwischen meine und schmuggelt so ihren Schatz in 

meine Hand; ich halte ihn erschrocken, fürchte, ihn 

anzuschauen, fürchte, daß er unter meinem Blick zerfällt…  – 

Der unverhoffte Zauber verlassener Nebenstraßen; nach einer 

Steigung taucht völlig unerwartet ein märchenhaftes Dorf vor 

uns auf, mit leuchtenden, schneeweißen Säulenarkaden und 

roten Ziegeldächern. Namen wie: Nemesvita, Nagyvazsony, 

Vóróstó; schläfrig-zeitlose Stimmung, Glockengeläut, ein 

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Obstgarten, ein Hund, der uns hinterm Zaun ankläfft, eine 

dunkelgekleidete Frau auf der Dorfstraße. Sanfte Gegend, 

lichter, verträumter Bakonywald; und plötzlich tut sich der 

Horizont auf, und unten erstrahlt ein gelbes Rapsfeld im 

Sonnenlicht. 

Nicht Gott, nicht der Mensch, nicht  die Gesellschaft, nicht 

ausgetüftelte «Pflichten»  – einzig das Bewußtsein des Todes 

verpflichtet uns zu profundem künstlerischem Schaffen. 

Ende Mai. Gestern noch habe ich im Americain  Café an der 

Amsterdamer Leidse Pleinen Kaffee getrunken. Die van Goghs 

und Rembrandts. Plötzlich hat man, beim Betreten eines 

Raums, die  Nachtwache  vor sich. Das Selbstbildnis mit 

Turban, als Apostel Paulus. Die rissige Gesichtshaut, die 

großporige Nase, der skeptische Blick, die hochgezogenen 

Augenbrauen, die gerunzelte Stirn: dieses Gesicht kann man 

nie mehr vergessen. Die portugiesische Synagoge (hier 

«Esnagoga» genannt). In einer Amsterdamer Kneipe habe ich 

Genever getrunken, den Wacholderschnaps, der in Camus’ 

Roman  (Der Fall)  die Hauptrolle spielt; zwischen den 

Messinghähnen, der Theke, den an Bilder von Cezanne 

gemahnenden traurigen Flaschen schenkt die füllige blonde 

Wirtin Getränke aus, neben ihr, in einem großen Käfig, trippelt 

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und lärmt ein Kakadu. Amsterdams Häuser, Amsterdams 

Mythos, Amsterdams Geschichte, der «protestantische Geist». 

Durch das Fenster meines Hotelzimmers sehe ich auf die 

schmalen Puppenhäuser auf der andern Seite des Kanals, auf 

die vorhanglosen Fenster, ich kann in die Küche hineinsehen, 

darüber ein Schlafzimmer, ein kleines Büro, ein winziges 

Wohnzimmer (vermutlich scheint es nur winzig). Abends um 

halb zehn bricht zwischen den behäbigen flämischen 

Haufenwolken plötzlich die Sonne hervor. Das Bordellviertel. 

In einer engen Gasse eine undurchdringliche Menge vor den 

Schaufenstern mit den Mädchen: Gedränge, Schreie, Schwüle, 

das Vibrieren der Leidenschaft; dann greift eine Hand plötzlich 

nach einem Hals und drückt einen Männerkopf mit 

bräunlichem Teint an die Hauswand; nun hagelt es Fausthiebe, 

über das zuckende Gesicht fließt Blut. Ja, auf diese Szene lief 

hier alles hinaus, die Vorgeschichte mußte in diese Fausthiebe 

münden, und offenkundig nicht nur heute, sondern jeden 

Abend. Trotzdem läßt die seltsam rauhe Schönheit dieser 

dämmrigen Gäßchen, dieser sonderbar geformten Häuschen, 

dieser kleinen Brücken mit den roten Laternen, dieser 

wimmelnden Kais all dies annehmbar erscheinen, verklärt es 

mit ihrem Zauber. 

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Seither spukt ständig ein Zauberwort, ein Hexenspruch in 

meinem Kopf herum: «die westliche Kultur…» Heute nur noch 

ein Zauberwort – Gewoge einer gesichtslosen Masse in einem 

immer noch Europa genannten Museum  –, doch wieviel 

Vergangenheit verbirgt sich dahinter, wieviel atemberaubende 

Schönheit, wieviel Verklärung des Lebens, unseres Lebens, 

wieviel Tapferkeit, Wahrheit, Größe und Kraft… Da taucht 

Kapitän Cocqs Kompanie flink und mit neugierigem 

Tatendrang aus dem Dunkel auf  – für einen Augenblick nur: 

sie kommt mit ihren Laternen aus dem Dunkel und kehrt gleich 

wieder ins Dunkel zurück, um seine Tiefen zu erkunden, um 

ihre endlose Nachtwache fortzusetzen, die heute ein Ende 

gefunden hat. «Und trotzdem»  – wie der greise Oedipus sagt; 

trotzdem geht mir das Zauberwort nicht aus dem Sinn; jetzt 

verbinde ich damit zwei Werke,  Die Nachtwache  und das 

Quartett op. 132 in a-Moll… 

 

 

 

_____Die Erinnerungen sind wie verwahrloste  herrenlose 

Hunde, sie umringen und starren einen an, sie hecheln und 

heulen zum Mond, du möchtest sie verscheuchen, aber sie 

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weichen nicht, gierig lecken sie deine Hand, und hast du sie im 

Rücken, beißen sie zu… 

Die Bilder des verflossenen  Sommers, als wären es Notizen 

auf den abgefallenen Blättern, die der Wind vor meinem 

Fenster hochwirbelt… 

Plötzliche Dunkelheit an einem heißen Abend, unterhalb der 

Wälder, auf der Straße nach Zugliget. Wie mich Einsamkeit 

und Beklemmung befielen. Hinter  den Zäunen das 

unheilverkündende Gebell der Hunde; irgendwo das schnelle, 

böse Geknatter von Luftgewehren. Sie üben. Wer? Warum? 

Was für Feinde umgeben uns? 

Die alte Frau, die mich auf der Varosmajor-Promenade 

ansprach: wo das Janos-Krankenhaus sei. Die Frage war 

überflüssig (denn augenscheinlich wußte sie es genau). Ihre 

Augen, diese eingefallenen Augen, die das in ihrem Innern 

tobende Chaos widerspiegelten, im übrigen aber vollkommen 

gleichgültig auf die sogenannte reale Welt blickten, nicht 

zuletzt auf  mich. Sie trug gute Kleidung, hatte ein gepflegtes 

Äußeres und auf dem Arm eine tiefe Wunde, auf der das Blut 

schon geronnen war; keine gefährliche Wunde, doch die 

verräterische Spur einer unsicheren, hilflosen Handlung, einer 

halbverrückten Hantierung in der einsamen Wohnung. 

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Als ich im Armsessel Hesses Demian lese, greift meine Hand 

plötzlich nach einem kleinen Quittungszettel und kritzelt rasch 

folgendes darauf: « Erschreckend, wie wenig mich das Wesen, 

das ich bin, interessiert.» Ich erhebe mich, trete  ans Fenster: 

unten auf der Straße führt ein Hund einen andern, und ich kann 

nicht unterscheiden, wer von beiden der Besitzer ist. 

Ich begegne meinem Türnachbarn, den ich seit Jahrzehnten 

kenne, und plötzlich fallen mir sein verändertes Gesicht, seine 

Blässe, seine seltsam vergrößerten Zähne auf; er redet Unsinn, 

und entsetzt stelle ich fest, daß er sich anders als bisher 

bewegt, mit kleinen tapsigen Schritten. Der Verlagsleiter 

empfängt mich in Shorts und verschwitztem Polohemd in 

seinem Büro, und während er  – wie man so sagt  – mit mir 

verhandelt, springt er jede Minute auf und stürzt aus dem 

Zimmer, oder jemand kommt unangemeldet herein, teilt ihm 

flüsternd, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, eine 

offenkundig wichtige Nachricht mit, und er antwortet, indem 

er unser Gespräch mitten im Satz unterbricht. In der 

Straßenbahn die drückende Hitze, die wahnsinnigen, stumpfen 

oder brutalen Gesichter, die junge Frau mit hochgerutschtem 

Rock, die kokett «ihre Lippen befeuchtet», wobei ihre leicht 

violette Zunge einem aufgequollenen Blutegel gleicht. Im 

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Nachbarland mordet, vergewaltigt einer den andern. Aus 

Afrika erreichen uns Bilder, die an Auschwitz erinnern, 

russische und ungarische Agenten laufen mit 

Atombombenteilen in ihren Taschen herum, und während sie 

von ihren Auftraggebern das Honorar für ihren Schmuggel 

entgegennehmen, werden ihnen Lenden, Nieren und Milz vom 

Plutonium in ihren Gesäßtaschen zerfressen. 

Der Zeitgeist ist das Weltende. Ich werde einen 

Erzählungsband zusammenstellen mit dem Titel 

«Weltendgeschichten ». 

Der einzige große Inspirator und Inquisitor eines jeden 

Werkes ist die Todesangst. 

4. Juli: Ob strahlender Sonnenschein oder sternklare Nacht, 

zwischen Mattersburg und Tatzmannsdorf rast unser Auto 

dahin, M. und ich sitzen abwechselnd am Steuer, und 

triumphal erklingt die Waldstein-Sonate… 

Aus dem Notizheft: «Seit drei Jahren, seit der  Englischen 

Flagge,  habe ich kein narratives Gebilde mehr zustande 

gebracht. Als würde ich neuerdings lieber an österreichische 

und schweizerische Seen fahren, als Reisen ins Seeleninnere 

zu unternehmen…» 

Ein auflösbarer Widerspruch. 

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Wenn mich dennoch böse Vorahnungen in bezug auf mein 

Leben heimsuchen, muß ich wissen, daß das nicht Todesangst 

ist, sondern deren genaues Gegenteil: existentielle 

Zerstreutheit. Immer wieder vergesse ich den Tod, und das 

wirft Schatten auf den Ernst meines Daseins. Ist meine 

Existenz nicht unerhört, ist sie nicht der Rede wert. 

Im milden Spätsommer mit A. und Esterhazy in  Salzburg. 

Lesungen. Dann mit A. am Traunsee. Balkon auf den See. Wie 

immer wir es betrachten (und obwohl Nachsaison ist): dies ist 

ein Luxushotel, ein liebevolles Geschenk für A. ermöglicht 

durch die verblüffenden Wendungen in meinem Leben. A. 

nimmt es bedächtig an, mit der Melancholie und 

unbestechlichen Zurückhaltung der Verspätung, so wie es ihr 

die Treue zu den nicht wiedergutzumachenden, bitteren Jahren 

auferlegt; und mich packt Entsetzen, weil ich sozusagen 

greifbar etwas Unabänderliches (womöglich Schicksalhaftes) 

spüre: daß der Mensch sich schließlich dem Starrsinn der 

Dinge beugt und damit seinen eigenen Untergang befördert… 

Lebe so, als ob jeder deiner Schritte von Segen begleitet 

wäre. Du kannst auch wie ein Verfluchter leben. Aber dann 

wirst du zum Verfluchten werden. Doch wie dem auch sei, die 

Tatsache, daß du leben und arbeiten konntest, war an sich 

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schon ein Segen; war ein Segen, weil du auch in deiner 

Verfluchtheit imstande warst, die großen Chancen des Lebens 

wahrzunehmen. 

Wenn stimmt, was Camus sagt: daß das Glück eine Pflicht 

sei, dann kann diese Wahrheit nur Bestand haben, wenn wir 

klären: eine Pflicht  gegenüber wem?  Gegenüber uns selbst, 

unsern Mitmenschen oder Gott? 

Zu klären wäre auch die Beschaffenheit des Glücks. Wenn 

dein Beruf  – nein, lassen wir diesmal das Understatement: 

wenn deine Leidenschaft die Schilderung menschlicher 

Befindlichkeit ist, mußt du dein Herz all dem Elend öffnen, das 

diese Befindlichkeit in sich birgt; dennoch kannst du dich der 

sogenannten Schaffensfreude, wenn der Bleistift übers Papier 

eilt, nicht verschließen. Bist du also ein Betrüger? Zweifellos; 

doch jedes große Abenteuer enthält den Befehl, daß du dich 

hingibst, daß man von deinem Fleisch esse und von deinem 

Blut trinke… Am schlimmsten sind die kleinlichen Störungen 

des Alltags: sie  strafen alles Lügen. Nur nicht aus dem 

Festglanz heraustreten – oh, der Schrecken der Langeweile: die 

Langeweile ist Sünde. 

Ist deine Existenz nicht unerhört, ist sie nicht der Rede wert. 

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Die von Platanen gesäumte provenzalische Landstraße. In 

Avignon die in den Fels gehauenen  steilen Gäßchen, der 

heulende Mistral und ein Hotel für Phäaken, das Mirande; auf 

dem Felsvorsprung vor der Kirche das gebieterisch aufragende, 

mächtige Kreuz, die kleine mittelalterliche Brücke über die 

Rhone, der unvermindert tobende Sturm. In Cannes 

Abendspaziergang unter den Palmen; in dieser Kitschwelt von 

Hotels, Springbrunnen und Meeresbrandung strecke ich dem 

sternenübersäten subtropischen Himmel die Zunge heraus… 

Doch hinter unserm Hotel laufen Straßen kreuz und quer über 

den Hügel, und ich stelle mir vor, daß man zwischen diesen 

lieblichen Kulissen im Grunde auch  leben,  wohnen, arbeiten, 

sich ergötzen und sterben könnte. Am Tag zuvor die roten 

Felsen an der Küstenstraße von St-Sebastien nach Cannes. Die 

Gespräche mit M. im Auto. Paris. Die Stadt ist mir  so 

«heimisch», daß ich – obwohl ich zum ersten Mal hier bin und 

kein Wort Französisch verstehe  – ohne weiteres zu unserm 

Hotel in der Nähe des Boulevard de Courcelles finden könnte, 

wenn M. die am Steuer sitzt, es nicht vorzöge, sich auf die 

zweifellos fundierteren Ortskenntnisse eines Taxichauffeurs zu 

verlassen. 

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Als wir am Stadtrand von Avignon die Ausfallstraße suchten, 

gerieten wir mit unserm Mietauto mit deutschem 

Nummernschild in eine enge Straße, wo vermutlich Fahrverbot 

herrschte; plötzlich schlug etwas hart aufs Wagendach, und 

jemand schrie mit furchtbar haßerfüllter Stimme und stark 

französischem Akzent: «Weg von hier!»

 Nach dem Schrecken 

begreife ich: ein schlichtes Mißverständnis, die Stimme war 

die eines französischen Germanophoben, der mich, den 

hergelaufenen Budapester Juden, als vermeintlichen Deutschen 

am liebsten in ein von ihm ausgedachtes französisches Inferno 

verbannt hätte. Aus einem verfolgten Juden wurde ich also 

innerhalb von Sekunden zu einem verfolgten Deutschen  – so 

ist diese Welt, sie rächt sich immer an sich selbst, wenn sie 

sich rächt. 

Im Hotel in Paris fragt M. wie lange Frühstück serviert 

werde. «Den ganzen Tag, Madame!» lautet die Antwort, und 

plötzlich glauben wir uns in den Pariser Romanen von 

Szomory oder, besser noch, Vaszary. 

Vesper im Tal von Chamonix. Es wurde Abend, die Luft war 

scharf… und würzig. Inmitten der einsamen Wälder, Täler und 

Bergrücken ein seltsamer runder Glasbau, irgendein Museum. 

                                                        

 Im Original deutsch 

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Sonst niemand, nichts. An einem Steintisch aßen wir Brie und 

Kekse vom Vortag und tranken hiesigen Rose dazu. Ich fror. 

M. gab mir ihren Pullover, sie genoß die Kühle, ihr Gesicht 

strahlte. Beim Essen überlegten wir, wie weit wir noch fahren 

müßten und wo wir übernachten könnten. Die Schatten wurden 

düster  und nahmen immer dunklere Farben an, während oben 

auf dem Berg die Bäume noch besonnt waren. Ich dachte nicht 

darüber nach, aber ich glaube, ich war glücklich. Hier am Fuß 

des Montblanc spürte ich, daß meine sechzigjährige Isolation 

und Häftlingsexistenz durch eine solche Reise eher vollendet 

als in Frage gestellt wurde. An der Schwelle zu einer andern 

Daseinsform begriff ich die Schärfe der Trennlinie zwischen 

Damals und Heute, begriff ich, daß der Abgrund zwischen mir 

und mir so tief ist, daß er sich nur  mit größter Anstrengung 

überbrücken läßt. Als stünde ich am Rande eines verheerenden 

Waldbrandes und müßte den Schaden, den Gewinn abschätzen; 

abschätzen, was ich bislang erreicht habe und wo ich fortan die 

kreativen Energien herholen soll. Ich weiß, daß mich 

Trivialitäten in Versuchung führen werden, vielleicht auch die 

Sorglosigkeit des Rausches, der so leicht mit Glück zu 

verwechseln ist, und vielleicht werde ich vom Leben 

fortgerissen werden, wie ein kielloses Segelboot von den 

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Fluten. Ich begriff, daß  das Glück  –  mein Glück  – das 

Gegenteil von Leichtigkeit ist. Das Glück  – mein Glück  – ist 

die Leichtigkeit der  Last, der Rausch des Rausches, wenn für 

einen flüchtigen Moment die bestürzende Tatsache des Seins 

auf die Bilder des Lebens übergreift und diese mit den wahren 

Farben färbt. 

Die Bilder des verflossenen Sommers… 

Es ist kalt geworden. 

In der kühlen Oktobersonne bin ich die Straße nach Zugliget 

hinuntergegangen. Eine alte Frau stand auf dem Gehsteig, mit 

strahlendem hebephrenem Lächeln, als wartete sie auf mich. 

Auch ich lächelte ihr zu, sie hatte winzige, lebhafte blaue 

Augen. «Wie heißen Sie?» fragte sie. Ich spürte, daß es mir 

peinlich war, meinen Namen auszusprechen, als würde ich 

etwas Unschickliches aus der Tasche hervorziehen. «Kennen 

Sie mich vielleicht?» fragte ich. Sie nickte lebhaft, lächelte und 

sah auf meine Hände. «Die Handschuhe», sagte sie. «Brauchen 

Sie die?» Ich glaubte zu verstehen, was sie wollte, zog meine 

Handschuhe aus und berührte sie, nahm für einen Augenblick 

ihre Hand in meine. Ihr Gesicht strahlte vor Freude. Dann ging 

ich leicht beschämt davon, wie ein Guru, der gerade jemanden 

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vom ewigen Leben überzeugt hat, obwohl er weiß, daß in 

seinem Körper der Tod nistet. 

«Verstehen wir je, was wir denken?» (Jung) 

Verstehe ich  je mein  Leben? Kann ich es verstehen? Alles 

spricht dagegen: das in mir wurzelnde fremde Ich, der sich 

selbst rechtfertigende Moralist, der lügnerische 

Fabelproduzent. 

Hannah Arendt behauptet, die einzige Motivation für ihr 

Schreiben sei: etwas zu verstehen. 

Doch überläßt sie uns dem Dämmer des Wortes «verstehen». 

Verstehen heißt in Wirklichkeit soviel wie: in Besitz nehmen 

(sonst wäre es nicht so wichtig). 

Gibt es eine Art des Verstehens, bei der ich nicht besitzen, 

nicht mich bemächtigen will? Zum Beispiel: indem ich mich in 

eine Erzählung hineinbegebe, dort in einen Hinterhalt gerate 

und gefangengenommen werde… 

Ist mein Leben nicht eine solche Erzählung? Wie könnte ich 

diese Erzählung zum Reden bringen? Nur als  erzählbare 

Wirklichkeit; als Wirklichkeit keineswegs, es sei denn, ich 

finde ihren geheimen Sinn, die Triebfeder des 

Marionettenspiels. Diese Erzählung würde dann von jenem 

ständigen Kampf handeln, der einst unmerklich, wie ein sich 

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entfaltender Urkeim, von mir Besitz ergriff, damit ich aus den 

bodenlosen Tiefen des Seins an die Oberfläche des 

Bewußtseins gelangte und mit diesem neuen Bewußtsein das 

Sein (mein Dasein) annähme. Ganz klar: das Erreichen dieses 

kritischen Punktes, wo das durch mich existierende 

Bewußtsein und das von mir aufrechterhaltene Sein 

zusammenfallen, bedeutet für mich, den ewig 

Kampfversehrten, poetisch gesprochen ein ständiges 

Unterwegssein zu den immerfort in der Ferne blauenden 

Gipfeln; doch wenn ich einmal glauben sollte, ich hätte das 

Ziel erreicht, würde mein Bewußtsein wie mein Sein vor dieser 

schrecklichen Harmonie vergehen. Mit andern Worten: Mein 

Leben ist ein harter Kampf um den Tod, und in diesem Kampf 

schone ich sichtlich weder mich noch die andern. Alles 

Weitere sind Details, ich kann anfangen, wo ich will; es reicht, 

wenn  ich Notizen mache zu den Notizen zu einem künftigen 

Roman, Merkzeichen für ein alleiniges Gedächtnis – das meine 

–, das im Augenblick noch nicht bereit ist, sich dem 

versteinerten und universalen Gedächtnis zu öffnen: der Form. 

Im Sommer, als wir aus Österreich zurückkamen, wollten wir 

den Ort besichtigen, wo mein Vater starb: M. bestand noch 

mehr darauf als ich. Wir passierten Sopron, dann kam zur 

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Linken Sopronkóhida, eine nicht enden wollende 

Gefängnisstadt, grau, bedrückend, unvergänglich. Schließlich 

gelangten wir an einen Ort, wo weißer Staub in der Luft lag 

und die Menschen in elenden Buden Bier tranken. Hier begann 

eine Steinwelt, weiße Kiesel, weiße Steine, weiße Felsen im 

harten Licht des Sommerabends. Auf einem Plakat war eine 

Operette angekündigt. Hinter dem Eingang, auf einer 

Kiesfläche, parkten burgenländische Touristenbusse, schwere, 

schlurfende Schritte wirbelten trockenen Staub auf, eilten zum 

Eingang des Höhlentheaters, aus dem schon das Stimmen des 

Orchesters drang. Eine Art Platzanweiser bat uns um unsere 

Eintrittskarten. Wir fragten ihn, ob es hier irgendwo eine 

Gedenktafel gebe. Er war verblüfft: Eine Gedenktafel? Doch 

versuchte er, uns behilflich zu sein:  Eine Gedenktafel an 

neunzehnhundertsechsundfünfzig? Nein, an neunzehnhundert-

fünfundvierzig. Da kam ein junger Polizist. Ja, er wisse von 

einer Gedenktafel, habe sie auch gesehen, doch wo genau, das 

habe er vergessen. 

Auch er fragte, um welches Ereignis es sich handle. Um 

Massenmord, sagten wir vorsichtig. Ja, aber wann? wollte er 

wissen. In den fünfziger Jahren? Oder 

neunzehnhundertsechsundfünfzig? Oder später? Nein, 

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neunzehnhundertfünfundvierzig. Nun war er völlig sprachlos: 

Neunzehnhundertfünfundvierzig?!  – als würden wir nach 

irgendwelchen altpersischen Überresten suchen. Wir machten 

uns auf den Weg in die öde Steinwüste; in der Theatergrotte 

schmetterte gerade die Ouvertüre los. Vor uns Steinhaufen, 

Geröllflächen und etwas weiter ein von steilen Felswänden 

umgebener Kessel. Wir verstummten, denn wir begriffen, daß 

wir am gesuchten Ort waren. Auf dem beschwerlichen Marsch 

nach Österreich – möglicherweise auf derselben Straße, auf der 

wir aus der umgekehrten Richtung, aus einem Heilbad 

kommend, hierhergelangt waren  –, wurden die Todeszüge in 

dieses natürliche Felsenverlies, vermutlich ihr letztes 

ungarisches Quartier, getrieben, bevor man sie den Deutschen 

übergab; von hier aus ging es dann weiter in die 

Konzentrationslager auf österreichischem Gebiet. Tausende, 

Zehntausende dürften hier im Winter und Vorfrühling 1945, 

zwischen den Steinen, in bitterer Kälte haltgemacht haben. 

Wer am Morgen nicht weiterkonnte – oder wollte –, wurde in 

den Höhlen erschossen. Wir sprachen kein Wort, der trostlose 

Schauplatz verriet alles. Nur hier konnte es geschehen sein, der 

Genius dieses Ortes war die Salve, die Folter, der Mord. Eine 

Zeitlang noch suchten wir zögernd nach einem Zeichen, einer 

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Erinnerung, einem Relikt oder wer weiß wonach; wir 

stolperten zwischen den Felsen, rutschten auf dem Geröll 

herum. Dann gaben wir es auf und schlenderten wortlos, Hand 

in Hand, zum Parkplatz zurück, wo uns die schrille 

Operettenmusik einholte. 

 

 

 

_____Englische Farben im Varosmajor. Ein nebliger 

Dezembermorgen, von der Promenade sieht man hinunter auf 

den tiefer liegenden braun-rot gelben Park, wo zwischen den 

kahlen Bäumen große, hellbraune Setter durch das braune 

Laub rennen, flink, graziös, stumm. 

Man wird das Gefühl nicht los, daß das Leben nicht primär 

eine organisch zusammenhanglose Masse von Phänomenen ist, 

wie es den Anschein macht, sondern daß es eine Transzendenz 

hat. 

Lies den  Baumeister Solness,  um zu sehen, was aus den 

Symbolen geworden ist. Der Kirchenbau ist kein Symbol 

mehr. 

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Gibt es noch gültige Sinnbilder? Die moderne Mythologie 

beginnt mit einem gigantischen Negativum: Gott hat die Welt 

erschaffen, der Mensch hat Auschwitz erschaffen. 

Ich stelle mir eine Theologie vor, die sämtliche schlechten 

Erfahrungen der Schöpfung zu einer 

Wissenschaft 

zusammenfaßt, deren Sprache jedoch von einem  göttlichen 

Stil,  von einem metaphysischen Kontrapunkt geprägt ist, aber 

nur rhetorisch, nicht argumentativ. 

Was sollen wir mit dem «Vorwurf» anfangen, die Juden 

hätten sich nicht gegen ihre Deportation nach Auschwitz 

gewehrt? Auch Christus hat sich weder gegen seine Geißelung 

noch gegen seine Kreuzigung gewehrt. Es mußte geschehen, 

und weil es geschehen ist, vergeht es nicht. In diesem Sinne 

glaube ich, daß weder das Kreuz noch Auschwitz vergänglich 

sind. 

Ist das «aufklärerisches» Denken? Ich weiß es nicht, doch für 

den Künstler ist es fruchtbar, weil es ihm die Perspektive eines 

guten Stils eröffnet. 

Nur der Glaube ist Wirklichkeit. (Auch der Irrglaube.) Nur 

der Glaube erschafft Wirklichkeit. (Auch der Irrglaube.) 

«Es herrschte solch höllische Hitze, daß in den Gärten das 

Wehklagen der Blumen zu hören war und die Männer 

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schwanger wurden. Einer von ihnen gebar Adolf Hitler» 

(Kazimierz Brandys:  Charaktere und Schriften).  Aus 

demselben Buch: «Anfang des 17. Jahrhunderts versammelten 

sich in Wilna mehrere Dutzend der bekanntesten 

aschkenasischen Rabbis, Weise der Initiation und Erforscher 

der Kabbala. (…) Die Rabbis berieten sich dreißig Monate 

lang, dann fanden sie die Antwort. Sie war verblüffend:  ‹Es 

besteht nicht der geringste Zweifel daran, daß es besser wäre, 

wenn die wirkliche Welt, von deren Existenz wir Kenntnis 

haben, nie erschaffen worden wäre. Und ohne Zweifel wäre es 

für die Menschheit am besten, sie würde aussterben und sich 

im Unendlichen auflösen.›» – Diese Antwort gleicht auffallend 

derjenigen von Silenos, die König Midas von ihm erpreßt hat: 

«… am besten wäre es für dich, nie geboren worden zu sein, 

nichts und niemand zu sein. Am zweitbesten aber wäre es für 

dich – möglichst bald zu sterben.» 

Der Augenblick, der offenbar  jeden Sterbenden ereilt: wenn 

auf seinem Gesicht plötzlich ein jähes Staunen erscheint. 

Anwesende sehen es zwar, können das Staunen jedoch kaum 

verstehen, das den Sterbenden in fast bewußtlosem Zustand 

überrascht. Er scheint etwas zu erfahren  – etwas 

Nichtwiedergutzumachendes, etwas Furchtbares, dem 

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gegenüber er machtlos ist, womit er sich vier-fünf-sechs-

sieben-acht Jahrzehnte, sein ganzes Leben lang betrogen hat. 

Dies  dürfte der Schrecken des Todes sein, diese Bestürzung, 

wenn der Mensch seiner ganzen Verlorenheit inne wird – und 

nicht der Tod selbst, der ihn schließlich auslöscht, zusammen 

mit seiner Angst. 

Man müßte jenes Gefühl der «Dunkelheit» analysieren, 

welches uns das Leben als Flamme erscheinen läßt (eine der 

ältesten Metaphern): Denken wir an das Dunkel der Toten und 

der Ungeborenen? Oder handelt es sich dabei bloß um 

Analogie, ein Vergleichssystem der Lebenden, um schiere 

Psychologie, um Todesangst, Bewußtseinstrübung, 

Umnachtung, Sinnestäuschung? Jedes dieser Worte verweist 

auf eine andere Welt. «Sinnestäuschung»? Eine Täuschung in 

bezug auf was? Was ist das für eine Substanz, die von unsern 

Sinnen falsch wahrgenommen wird? Die Sprache verweist auf 

etwas, was die Erkenntnis nicht nachzuvollziehen vermag. Ist 

die Sprache also auch Sinnestäuschung? Seltsam: in meiner 

Jugend konnte ich die radikale Erkenntnis, daß ich von 

nirgendwo komme und nach nirgendwo gehe, ohne weiteres 

akzeptieren. Aber je länger ich lebe, desto unzulänglicher 

erscheint mir dieser Radikalismus. Je länger ich lebe, desto 

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deutlicher sehe ich, daß dieser Radikalismus nur eine mögliche 

Lebensform  ist und daß noch zahllose  andere  Lebensformen 

denkbar wären. Indes betrachte ich es als Tatsache, daß wir in 

einem System leben, und dieses System betrachte ich als 

System der Analogien, als Labyrinth, als ein Labyrinth freilich, 

das letztlich geplant wurde. Und auch wenn es nicht unbedingt 

von jemandem geplant wurde, kommt es mir doch geplant vor 

(obwohl ich die Entwürfe nicht kenne, sowenig wie mich 

selbst). Und nun können wir unsere bereitstehenden Begriffe 

hervorholen: Gott, das Absurde, die Katastrophe, die 

allgemeine Relativität, wie es beliebt… Für den Menschen  – 

nein: für mich ist dies aber, solange ich lebe, ein Wertproblem, 

im Sinne einer Auf- oder Abwertung meines Lebens, genauer 

einer Wertdefinition, von der ich dann abhängig mache, was 

ich mit diesem Irrlicht, meinem Leben, anfangen soll. Ich 

erinnere mich noch genau, ich war acht oder neun Jahre alt, als 

ich mir zu Weihnachten (vielleicht auch zum Geburtstag) ein 

Tagebuch wünschte: etwas prickelte in mir, und ich glaubte es 

nur durch eine systematische, minuziöse Tätigkeit ableiten zu 

können. Meine vage Unruhe rief eine vage Bilderfolge hervor: 

ich trödle mit etwas langwierig herum, zum Beispiel mit einem 

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Schreibwerkzeug auf dem Papier, und diese einsame Operation 

beruhigt mich schließlich. 

Doch welche Erregung trieb mich um? 

Ich bin im Nichts aufgewachsen und habe es von Kindheit an 

gelernt, mich mit klarem – oder besser praktischem – Verstand 

ans Nichts anzupassen, mich im Nichts zu bewegen und zu 

orientieren, als wäre dieses Nichts mein Leben, in dem ich 

mich zurechtfinden muß, und das fiel mir nicht schwerer als 

einem Kind das Erlernen der Sprache. Wäre mein kindlicher 

Glaube an ursprüngliche  –  dem Ursprung verhaftete  – Werte 

nicht intakt geblieben, ich hätte wohl nie etwas zustande 

gebracht. Woher aber kannte ich diese Werte, die von meiner 

Umgebung geleugnet wurden, warum vertraute ich diesen 

Werten, die im praktischen Leben widerlegt wurden? Mit 

Vertrauen meine ich hier, daß man auf diese Werte sein Leben 

baut und dann allein bleibt mit ihnen, wie der Häftling in 

Einzelhaft, der nicht auf die Gerichtsverhandlung, sondern nur 

noch auf das Urteil wartet, wobei ein günstiges Urteil 

schlichtweg die Widerlegung seiner Bemühungen bedeuten 

kann. 

Es bedarf eines äußerst scharfen Auges und eines äußerst 

flexiblen Geistes, um im Leben irgendwelche 

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Gesetzmäßigkeiten auszumachen; kommt noch leiser Starrsinn 

hinzu, in dem sich Scharfblick und Blindheit in einem Maße 

mischen, daß daraus das Spezifische der Begabung entsteht, so 

entdeckt man diese Gesetzmäßigkeiten. 

Erzieht uns das Leben womöglich zur radikalen Erkenntnis, 

daß es sich nicht weiterzuleben lohnt? Ja, so scheint es. Unser 

Leben ist sinnlos, aber offenbar nur dem Anschein nach, gibt 

es doch zwischen Leben und Sinn keinen Zusammenhang. Es 

sei denn, wir selbst sind dieser Zusammenhang. Wir sind 

Vermittler, die Leben und Sinn verknüpfen, und obwohl wir 

praktisch auf beiden Gebieten versagen, bedeutet das nichts im 

Vergleich zu jener außergewöhnlichen Dimension, die von 

einem jeden Menschenleben verkörpert wird. Vielleicht 

verwirklichen wir just dann ein Ziel, wenn wir diese 

Verwirklichung 

– vor lauter Alltagsaktivitäten 

– 

geringschätzen oder gar nicht bemerken, so daß wir – während 

wir unser Lebensziel verwirklichen  – unser Leben für sinnlos 

halten. Doch was anderes sollten wir tun? Schließlich ist das 

«Leben» personengebunden; und auch wenn wir zur Einsicht 

gelangen, daß unser Dasein ein Irrtum ist, können wir  – 

zumindest was unsere Person betrifft – schwerlich im Tod eine 

würdige Korrektur dieses Irrtums sehen. 

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_____Neunzehnhundertfünfundneunzig, nasser, 

kalter 

Frühling. «No pasaran»  – warum nur kommt mir plötzlich 

dieser legendäre Wahlspruch in den Sinn? Die Lagerfeuer, die 

Lieder, die Gesichter der Führer, die eine große 

Entschlossenheit, eine heldenhafte Notwendigkeit ausstrahlen 

und die rechtzeitig von der Bühne verschwinden werden, um 

auf andern Bühnen, in neuen Rollen wiederaufzutauchen – und 

die vom Rausch benommenen Massengesichter, die bald schon 

Erde in ihre Augenhöhlen und Münder schaufeln werden. 

Auf die dumme Frage, ob ich «einen Unterschied zwischen 

Faschismus und Kommunismus sehe», könnte ich folgende 

knappe Antwort geben: Der Kommunismus ist Utopie, der 

Faschismus Praxis – Parteiwesen und Macht verbinden beide, 

wobei auch der Kommunismus von Faschisten in Praxis 

umgesetzt wird. 

Abends, als ich den alptraumhaften Moszkva-Platz 

überquerte, hörte ich von den schlecht beleuchteten 

Straßenbahnschienen her einen Plumps: ein schwerer Körper 

schlug zu Boden, der Mann warf die Arme komisch und abrupt 

in die Höhe, fiel hin und rollte dann mühsam auf den Rücken. 

Mehrere Personen eilten ihm zu Hilfe (auch ich), von seinem 

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Nasenrücken strömte Blut (auch auf meinen Handschuh). Man 

half ihm auf die Beine, ich ging weiter Richtung 

Straßenbahnhaltestelle, doch als ich mich nochmals umdrehte, 

sah ich, daß der Mann schon wieder auf dem Straßenpflaster 

lag. Nun beugten sich mehrere über ihn, bald war er ganz 

umringt, größtenteils von schlecht oder sogar lumpig 

gekleideten Menschen, und selbst aus der Ferne richteten sich 

Blicke auf das Opfer, gierig funkelnde Hyänenblicke. Eine 

dieser hyänenartigen Gestalten, mit dem kräftigen Körperbau 

eines Raubtiers, das an ausdauernde  Verfolgungsjagden 

gewöhnt ist, mit nach vorne hängenden Schultern und 

unverhältnismäßig langen Armen, hatte die Ereignisse bisher 

nur aus der Distanz beobachtet und ging gerade in dem 

Moment auf die ameisenhaft wimmelnde Menge zu, als ich in 

die Straßenbahn stieg. – In meinem Büro in der Tórók-Straße, 

in diesen verhängnisvollen 28 Quadratmetern, die A. und mir 

während 35 Jahren als Wohnung dienten, untersuchte ich 

meinen Handschuh, auf dessen linkem Daumen tatsächlich ein 

verschmierter Blutfleck zu sehen war. Noch im Mantel 

versuchte ich, diesen über dem Lavabo mit kaltem Wasser und 

einem Schwamm zu entfernen. Was war wohl inzwischen mit 

dem Opfer passiert? Lag es, völlig ausgeraubt und entkleidet, 

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auf dem Moszkva-Platz? Oder hatte man ihm auf die Beine 

geholfen und es in eine Straßenbahn gesetzt, wo es dann das 

Fehlen seiner Geldbörse bemerkte? War es bei Bewußtsein? 

Wußte es, was mit ihm geschah? Weiß es, daß ich seine 

Geschichte aufschreibe? Weiß ich, wie egal ihm das ist? 

Wissen wir um die Absurdität unseres Schicksals, unseres 

Lebens, um seine schändliche Zufälligkeit, um die schändliche 

Zufälligkeit eines jeden Augenblicks, an dem wir so 

schändlich und schwächlich hängen, weil diese absurde Folge 

von Augenblicken unser Leben ausmacht? Gibt es hier ein 

seriöses, fundiertes Gegenargument? Ich finde kein einziges… 

 

 

Im Mai wieder in Berlin. Filmaufnahmen. Über der 

Gedenkstätte der nazistischen Bücherverbrennung  werden 

meine Bücher aufgebaut und gefilmt. Ich müßte Triumph 

verspüren. Verspüre keinen. 

Münster. Am Turm der wunderbaren Sankt-Lamberti-Kirche 

hängen merkwürdige Käfige. Es wird mir erklärt, in diesen 

Käfigen hätte man einst die aufrührerischen protestantischen 

Ketzer gefangengehalten und gefoltert. 

 

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Heidelberg. Mein Gastgeber, ein sympathischer jüngerer 

Universitätsprofessor, schildert bei Tisch ausführlich den 

qualvollen Weg der Tiertransporte vom Balkan hierher, nach 

Norden. Wenn die Rinder schließlich zur Schlachtbank geführt 

würden, brächen sie unter dem Fleischerbeil (oder dem 

entsprechenden modernen Mordwerkzeug) von selbst in die 

Knie, weil sie ihr Los begriffen hätten.  («Das Urteil kommt 

nicht mit einemmal, das Verfahren geht allmählich ins Urteil 

über.»)

 

Hamburg: Ich lese meinen Vortragstext, danach tritt aus dem 

nicht sehr zahlreichen Publikum ein weißhaariger, strahlender 

Mann in Pullover auf mich zu. Er stellt sich vor: György 

Ligeti. Für einen Moment versagt mir die Stimme. 

Bei Kälte und strömendem Regen fliege ich am nächsten Tag 

von Hamburg nach Frankfurt; hier irre ich endlos per Bus und 

zu Fuß auf dem Flughafenareal herum, bis ich schließlich in 

einen engen, gespenstisch beleuchteten, unheimlichen Korridor 

gelange, wo zu beiden Seiten Soldaten und Soldatinnen  – 

hübsche blonde Mädchen  – kaum einen Meter voneinander in 

einer Reihe stehen, mit gleichgültigem Gesicht, Waffe und 

Blick nach vorne gerichtet. Es folgt ein trostloser Raum, wo 

                                                        

 Im Original deutsch 

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ich aus meinem Koffer jedes einzelne Kleidungsstück 

herausnehmen und hastig wieder einpacken muß. Verstört, 

entwürdigt und ergeben mache ich mich zum nächsten Raum 

auf, wie die Rinder des Heidelberger Professors. 

Tel Aviv: vertraute, sozusagen seit ewig bekannte Fremdheit. 

Doch ist es endlich warm. Das Meer. An der Ecke der Mair 

Dizengoff und der Rehov Frischmann Street esse ich zu 

Abend. Der Wirt winkt mich einfach herein. Mit einladender 

Geste zeigt er auf einen Stuhl auf der Terrasse: «S’il vous plaît, 

monsieur.» Er versucht französisch mit mir zu sprechen. Das 

ist schmeichelhaft, aber leider kann ich kein Französisch. Zum 

Huhn wird die ganze Pracht des Südostens aufgetischt: grüne 

und schwarze Oliven, Tomaten, Obst, Gewürze, kunterbunter 

Salat. Beim Anblick einzelner dunkelhäutiger Frauen 

verschlägt es mir fast den Atem. Orthodoxe Juden, mittel- und 

osteuropäische Keinerlei-Juden gehen vorbei. Ich versuche zu 

begreifen, daß hier alle Juden sind, mein afrikanisch 

aussehender Wirt, das nordisch hochgewachsene rotblonde 

Mädchen, der alte Mann mit Bart und Peies, der schlurfend des 

Weges kommt. Schließlich sehe ich nur noch den lärmigen 

Nachtverkehr, als wäre ich in Italien. Oder in Budapest. 

Merkwürdige kubische Häuser, Balkone mit Sonnendach, alles 

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ein bißchen schäbig, manchmal erinnert es geradewegs an 

Ujlipótvóros. 

Ich biege in eine elegante Seitenstraße ein. Palmen, 

phantastische Pflanzen, schön gebaute Villen, verwahrloste 

Innenhöfe – alles in bunter Mischung, diese Stadt lebt und läßt 

leben. Doch das Erlebnis der «Heimkehr» bleibt aus. Im 

Grunde bleiben im voraus kalkulierte Erlebnisse immer aus. 

Bin ich also doch kein Jude? Aber was bin ich dann? In 

Deutschland war ich natürlich noch weniger zu Hause, «zu 

Hause», in Ungarn aber ist meine Fremdheit deklariert. Die 

Abreise aus Frankfurt, die wiederholten Durchsuchungen, die 

um den Flugsteig herum konzentrierten Sicherheitskräfte. Bei 

der Paßkontrolle gibt es nun schon eine klare Trennung: EU-

Bürger nach rechts, Bürger anderer Staaten nach links. Fast 

durfte ich nicht nach Berlin fliegen, weil sie mein 

Rückflugticket nicht fanden. Erst als die Bestätigung kam, daß 

ich das Land via Israel verlasse  – mit Sicherheit verlasse  –, 

durfte ich in Budapest das Flugzeug besteigen. 

Neben meinem Judentum erfahre ich jetzt auch eine 

Diskriminierung als Ungar; mit ersterem habe ich keine 

Probleme, das hat sozusagen Stil; letzteres aber empfinde ich 

als ungerecht. Es verletzt nicht mein Ungarntum, sondern mein 

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strapaziertes Judentum, weil mich jede Diskriminierung 

ausschließlich in meiner Eigenschaft als Jude trifft. Vielleicht 

wird das Identität genannt? Vielleicht bin ich doch ein Jude? 

Vollmond in Tel Aviv. Hinter den Hochhäusern des Marriott, 

Hilton, Sheraton ein einfacher alter Wellenbrecher aus Stein, 

von dem die Gischt seidig auf mich zueilt und sich an meine 

Füße schmiegt, wie die Tel Aviver Katzen. 

Am nächsten Vormittag in der Schule. Meine Lektorin liest 

den israelischen Schülern aus dem hebräischen  Roman eines 

Schicksallosen vor. Ist auch das nicht…?  O doch. Obwohl die 

Sprachschwierigkeiten und meine  – wie soll ich sagen  – 

jüdische Hemmung vor der Unverdorbenheit die ganze Sache 

erschweren.  – Dann nach Beer Sheva. Sanfte, etwas kahle 

Gegend. Doch ein göttlicher Lichtstrahl, der vielleicht von 

einem Renaissancebild auf die Landschaft fällt, hüllt alles ein, 

überzieht es wie mit feinem Lack. 

Jerusalem; die arabische Altstadt. Die Farben. Der Ölberg. 

Die Klagemauer. Flüchtig blicke ich auf ein Straßenschild, die 

Straße heißt: Via Dolorosa. In der sephardischen Synagoge, 

dann an der Klagemauer erfaßt mich plötzlich das Gefühl eines 

großen Bruchs. Das lebhafte Memento an eine  – in andern 

Weltgegenden schon längst verblaßte  mythische Tragödie 

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schwebt hier sozusagen fühlbar in der goldenen Luft. Mit 

Christi Tod kam es zu einem schrecklichen Bruch im ethischen 

Gebäude, das – wenn man so sagen darf – der Stützpfeiler der 

menschlichen Seelengeschichte ist. Worin besteht dieser 

Bruch? Darin, daß die Väter das Kind zum Tode verurteilten. 

Das hat keiner jemals verschmerzt. Damit  dies jedoch zum 

Weltereignis werden konnte, bedurfte es natürlich der 

einzigartigen ethischen Genialität des jüdischen Volkes. Die 

Strafe, die schreckliche Strafe, die das jüdische Volk für 

immer auf sich lud, hat  durch diese Wende einen besonderen 

Sinn bekommen. Man könnte die Linie von Christus zu 

Auschwitz ziehen, doch darf man sich solcher Mystik nur für 

einen Augenblick hingeben, und nur, um die bodenlose Tiefe 

der menschlichen Geschichte zu ermessen, die 

außergewöhnliche Aktivität des Lebens, die sich als 

Wirklichkeit kaschiert, Kreativität und Destruktion, die 

pausenlos am Werk sind. Dieser Auffassung zufolge ist Jesus 

nicht der Sohn Gottes, sondern der Sohn des  Vaters.  Kafkas 

Erzählung Das Urteil weiß einiges über diese Beziehung… 

Am Nachmittag führt mich mein Schriftstellerfreund 

Appelfeld ins orthodoxe Viertel. Wir schauen in verschiedene 

Synagogen hinein. Es ist Samstag abend, eines der 

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Gebetshäuser ist mit Männern und Kindern überfüllt. Sie 

essen, beten, singen. Frauen haben hier keinen Zutritt. Ein 

Porträtmaler könnte schwelgen in diesen Gesichtern, Bärten, 

Gewändern. Eine Geruchskunst existiert nicht, doch könnte 

man auch auf diesem Gebiet etwas Interessantes hervorbringen 

– eine nostalgische Duftmischung, dominiert von Vanille und 

dem Geruch staubiger Gebetbücher. Appelfeld sitzt reserviert 

neben mir, auf einer Art Sitzbank, ohne jedoch sein tiefes 

Zugehörigkeitsgefühl zu verheimlichen. Freilich sitzt er in 

Hemdsärmeln da, mit glattrasiertem Gesicht und einer 

Hamburger Mütze, ich aber trage meinen weißen Leinenhut 

aus Venedig. Mehrere Blicke sind auf uns gerichtet. Ich bange 

ein wenig. Ein sehr hübscher und sehr mürrischer Mann, 

dessen pechschwarzer Bart schon ins Weißliche spielt und der 

mehrmals an unserm Platz vorbeiging, als würde er uns nicht 

bemerken, stellt uns plötzlich, fast grob, zwei Gläser Tee hin. 

Er sagt kein Wort, dreht sich wieder um und drückt uns rasch 

noch zwei Semmeln in die Hand. Wir sitzen da, sehen den 

Betenden, Redenden, Essenden zu. Verlassene, isolierte 

Menschen bewachen hier  – ich weiß nicht, was. Vielleicht 

wird eines Tages der säkularisierte jüdische Staat der jüdischen 

Lebensform, der archaischen, der  Galut,  der Lebensform des 

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mittelalterlichen europäischen Judentums, den Todesstoß 

versetzen. Appelfeld zeigt mir das Fenster jenes Zimmers, das 

er vor dreißig Jahren bewohnt hat: er war bei einer 

fünfköpfigen Familie eingemietet und kam so der orthodoxen 

Lebensform nahe  –  wohl eher der Lebensform als dem 

Glauben. Jedenfalls stelle ich mir das so vor, wissen kann ich 

es nicht. Ich höre ihm zu und bin verlegen. Ich spüre eine 

linkische Schüchternheit unter diesen Menschen  – nicht mehr 

und nicht weniger übrigens als sonst unter Menschen. Ich bin 

ein anderer Jude. Was für einer denn? Ein Keinerlei-Jude. 

Schon seit langem suche ich weder Heimat noch Identität. Ich 

bin anders als sie, anders als die andern, anders als ich. Bei den 

Orthodoxen waren nicht die Orthodoxen das Erlebnis, sondern 

Appelfeld. Appelfeld mit seiner kühlen Fremdenführerstimme, 

die manchmal jäh versagte, mit seiner Brille, deren Gläser sich 

von Zeit zu Zeit trübten, so daß er sie sorgfältig putzen 

mußte… Wir übten uns in Kameradschaft und wurden 

Freunde; so wie wir uns auch  mit Iris Murdoch und John 

Bailey befreundeten, diesem wunderbaren alten Paar, das 

einem Stück von Beckett entsprungen schien. Wir schlenderten 

zusammen auf der Festung Massada umher; Johnny mit seiner 

abgetragenen Stoffmütze, unter der sein Haar besenartig 

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abstand, in Strickweste und zerschlissenem Sakko, ging bei 37 

Grad Celsius unerschütterlich über die glühenden Felspfade, 

neben ihm die hitzegerötete Iris, die nur darauf wartete, daß sie 

ihr Badekleid aus der Tasche kramen und in irgendein Wasser 

springen konnte. Wir unterhielten uns über tiefsinnige Dinge, 

ohne daß wir gegenseitig auch nur ein Wort verstanden.  – 

Später wieder in Tel Aviv, dieser nunmehr vertrauten, 

aufregenden Stadt. Mittagessen und Kaffee auf einer Terrasse 

im Freien. Dann setze ich mich ans Meeresufer, das Meer ist 

meerfarben, heute etwas bewegt, weiße Schaumkronen eilen 

auf mich zu, am Horizont die düsterbedrohlichen Umrisse 

eines Schiffes, unweit davon ein munteres Segelboot. Morgen 

früh fliege ich nach Hause zurück, in Budapest ist angeblich 

acht Grad und strömender Regen. Es fällt mir schwer, die 

Sonne, das Meer, das Leben zurückzulassen. 

 

 

 

_____Auf der Order stand: «Keiner kehrt lebend heim!» – Und 

statt diese Menschen mit Respekt und Anteilnahme zu 

behandeln, schlugen und stießen sie sie, waren grausam zu 

ihnen. 

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Ferenc Herczeg, einstmaliger Literaturpapst, über seinen 

Verleger (István Farkas, den Sohn von József Wolfner): «Nach 

dem Tod seines Vaters mußte István Farkas Paris, wo er als 

Maler ernsthaft Erfolg hatte, verlassen; er kehrte nach 

Budapest zurück und übernahm die Leitung des Verlags. 

Obwohl er sich gegen seinen Willen in den Direktorensessel 

setzte, entpuppte er sich zu aller Erstaunen als ausgezeichneter 

Verleger. Doch wurde ihm Budapest zum Verhängnis: zur Zeit 

der Pfeilkreuzler kamen er und seine Frau tragisch ums Leben. 

Wenn wir einbeziehen (sic!), daß ein Bruder  jung Selbstmord 

beging und die Mutter in einer Irrenanstalt starb, müssen wir 

feststellen, daß diese Familie recht eigentlich vom Schicksal 

verfolgt war» (Ferenc Herczeg:  Húvósvólgy,  S. 176). Mit 

«ernsthaft Erfolg hatte» ist gemeint, daß István Farkas eine der 

großen Gestalten der zeitgenössischen Malerei war; mit 

«tragisch ums Leben kam», daß er in Auschwitz ermordet 

wurde. (Im übrigen ist auch «die Zeit der Pfeilkreuzler» eine 

Verfälschung: István Farkas wurde angezeigt, interniert und im 

Juni 1944, also zur Zeit der deutschen Okkupation, doch unter 

der kontinuierlichen, legitimen ungarischen Regierung, nach 

Auschwitz deportiert – wie eine halbe Million weiterer Juden.) 

Man darf jedoch nicht vergessen, daß der Wolfner-Verlag mit 

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Vorliebe solch mittelmäßige, als politisches Sprachrohr 

dienende offizielle Autoren herausgab, wie F. H. einer war  – 

warum, das interpretiert Herczeg selbst folgendermaßen: 

«József Wolfner war ein einfaches Gemüt, doch gleichzeitig 

ein genialer Geschäftsmann, der ein ausgezeichnetes Gespür 

bei der Beurteilung literarischer Werke hatte. Er erriet immer, 

was das Publikum brauchte. Die Leser seiner Bücher und 

Zeitschriften rekrutierten sich aus den Kreisen der damals noch 

mächtigen christlichen Mittelschicht. Obwohl er selber Jude 

war,  gab er den christlichen Schriftstellern eindeutig den 

Vorzug»  (Húvósvólgy,  S. 175). Wäre der Verfasser  – Ferenc 

Herczeg  – nicht so unbedarft, könnte man aus diesem 

mörderisch dummen Lob das ganze sogenannte ungarische 

Verhängnis herauslesen, das eher als  radikaler Mangel an 

gesellschaftlicher Solidarität zu bezeichnen wäre. Wohin ist 

diese assimilierte jüdische obere Mittelschicht, die ihre eigene 

Vernichtung mit solch streberhaftem Eifer betrieb, 

verschwunden? Wolfner starb im eigenen Bett, doch seine 

Nachfahren wurden verfolgt oder umgebracht, die 

wunderbaren Bilder seines Sohnes István Farkas wurden später 

aus dem Kulturleben des ungarischen «Proletarierstaates» 

verbannt, so wie schließlich auch Ferenc Herczeg von der 

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sogenannten sozialistischen Kulturpolitik zum Schweigen 

gebracht wurde. Die Wahrheitsmaschinerie der Totalitarismen 

ist wie ein Fleischwolf ununterbrochen in Betrieb. Was Ferenc 

Herczeg, diese repräsentative Gestalt der sogenannten 

ungarischen christlichen Mittelschicht betrifft, so könnte seine 

heuchlerische Jovialität in bezug auf die Judenvernichtung in 

Ungarn für die Zukunft –  beziehungsweise für die Gegenwart 

– beispielhaft werden, zeigt sie doch den tölpelhaften 

Antisemiten, wie man das Thema Auschwitz in weißen 

Handschuhen und mit abgespreiztem kleinem Finger 

anzufassen hat… 

 

 

Große Dinge werden angemessen nur in großen Epochen 

erlebt; denn eine Epoche ist gerade dadurch groß, daß in ihr 

großer Stil herrscht. 

Der «moderne» Stil ist nicht jung, sondern alt. Nicht Anfang, 

sondern Ende. Nehmen wir zum Beispiel Duchamp, der vom 

perfekten Porträt zur perfekten Abstraktion gelangte und  – in 

seinem vorletzten Bild  – zur Synthese. Die Kunst ist 

diesbezüglich wie ein Embryo: bevor er zur Welt kommt, muß 

er sämtliche Entwicklungsstadien durchlaufen. 

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Mit den Visionen, großen Erkenntnissen und inneren 

Erlebnissen, wie sie mir noch vor vier, fünf Jahren zuteil 

wurden, ist es offenbar zu Ende; wenn jedoch der Verstand die 

Stelle des Seelenlebens einnimmt, beginnt jener Niedergang, 

dem schließlich auch der Verstand zum Opfer fällt. 

Nichts ist vollkommen, nicht einmal die Vollkommenheit 

selbst, weil ihre Verwirklichung nur mit unvollkommenen 

Mitteln erfolgen kann. 

Melancholie am Fenster: Ich sehe auf der Straße ein 

Gewimmel von behaarten, schmutzigen Wichten, die wie 

Giftpilze aus dem Boden schießen und sich, auf Beute lauernd, 

prekär bewegen, eigengesetzlich, unverständlich, wie die Flora 

und Fauna eines fremden Planeten. 

Frühmorgens ein leichter Anfall von Angina; aus 

körperlichen Gründen verläßt mich die Seele. 

 

 

Jetzt kommen mir die apokalyptischen Regenfälle dieses 

Frühjahrs in den Sinn. Jener bestimmte Punkt auf der 

Autobahn zwischen Venedig und Mailand, wo uns, wie ein 

schicksalhaftes Rendezvous, täglich ein Wolkenbruch 

erwartete. Die Sintflut auf dem Klagenfurter Ring, die 

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biblische Dunkelheit am Mittag; hinter der regennassen 

Windschutzscheibe M.s ungläubiges, konzentriertes Gesicht, 

auf dem sich das rote Bremslicht des dinosauriergroßen 

Lastwagens vor uns widerspiegelte. Und jene Wassermasse, 

die nicht  in Schauern, sondern in zusammenhängenden 

Strähnen niederging, in einer reglosen Nebelnacht bei 

Nickelsdorf, wo uns der österreichische Zollbeamte 

aufforderte, aus dem Schutz des Autos in die strömende Flut 

hinauszutreten, nur weil M. einige Meter über die Zollstation 

hinausgefahren war. Er selbst stand unter dem Dach derselben, 

wippte auf den Stiefelabsätzen, schrie und versperrte uns den 

Weg, damit wir möglichst viel Regen abbekamen. Später  – 

oder vorher? – in Basel, ich renne zur Straßenbahn, der Regen 

rinnt mir über den Nacken in die Kleider, in meinen Schuhen 

gluckert  das Wasser.  – Das überwältigend reiche Basler 

Kunstmuseum; vor dem Theater ein Brunnen mit Mobile, 

kataton oder manisch sich bewegende wasserspeiende, 

wasserschluckende, wassermessende, wassergießende, im 

Wasser sich drehende Apparate, ein niederschmetternder 

Anblick; das Restaurant mit Rheinterrasse, der geschickt 

kaschierte Hedonismus, der bedrohliche Reichtum. Dieser 

Reichtum  – das sieht man auf Schritt und Tritt  – wird sich 

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verteidigen. Die kunterbunte rempelnde Menschenmenge um 

mich herum wird ihn verteidigen, weil sie nur so in den Genuß 

der von ihm fallen gelassenen Brosamen kommen kann  – 

herbeigeströmte Nomaden, deren Präsenz in dieser 

zurückhaltend-eleganten Stadt unterschwellig überall spürbar 

ist, wie die von Algen unter einem glitzernden Wasserspiegel. 

Ein Brief von Cioran an Dieter Schlesak gerät mir in die 

Hände: «Für den Westen ist der Tag unvermeidlich, da seine 

Fremdarbeiter über ihn herrschen werden. Die Zukunft gehört 

immer den Sklaven und den Einwanderern…» Ganz 

Westeuropa hat sich auf Verteidigung eingestellt, mit seinen 

nach Osten vorgeschobenen Wachposten, den Österreichern. 

Aber nie taucht die Frage auf, was es denn außer Geld noch zu 

verteidigen gebe (etwa die westliche Kultur, die schon lange 

nicht mehr existiert?); auch schaden die Methoden der 

Verteidigung den Überresten der westlichen Demokratie mehr, 

als daß sie ihr wirksamen Schutz bieten. Westeuropas 

klaustrophobische Angst läßt Adolf Hitler wiederauferstehen, 

mithin den Superioritätswahn der Inferioren. Wieder werden 

die Besitzer von Geld und Macht, um zu retten, was es zu 

retten gibt, die vollkommene Zerstörung der Gesellschaft 

billigen und schließlich um den Preis eines neuen 

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Totalitarismus sowie neuer gesellschaftlicher Katastrophen 

davonkommen; doch was für ein Davonkommen, was für ein 

Totalitarismus wird das sein? Wer wird behaupten können, 

diese drohenden Ideologien verfügten über ein Ideal, über 

etwas, das nicht bereits ausprobiert, nicht bereits durchgespielt 

worden wäre? Es fällt mir eine (diesmal trockene und milde) 

Nacht in Solothurn ein, die zufällige Begegnung mit einem 

Schweizer Schriftsteller; er führte mich über einen 

märchenhaften Platz in eine märchenhafte Kneipe und erklärte 

mir in dieser märchenhaften Sieben-Zwerge-Umgebung mit 

vor Beschwipstheit leicht schiefem Mund und mit 

angsterfüllten Augen, daß bald der Faschismus siegen und 

überall regieren würde, doch käme er diesmal nicht aus 

Deutschland… Etwa eine halbe Stunde lang sprach er so, tief 

verbittert, und ich teilte seine Meinung voll und ganz. Dann 

machten wir, eine Gruppe von vier nomadischen 

Schriftstellern, einen ausgedehnten Spaziergang in der lauen 

Nacht, zwischen Solothurns unwahrscheinlichen Kulissen, was 

den Schweizer endgültig aufbrachte: Hinter den Fassaden 

dieser mittelalterlichen, barocken und Rokoko-Häuschen 

wohne niemand, erklärte er, weil die Wohnungen unbezahlbar 

seien, hier gebe es nur Büros, Banken, Vertretungen von 

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millionenschweren Firmen… Ich hatte den Eindruck, die Welt 

sieche bereits in Lüge dahin, sie warte nur noch auf den 

Gnadenstoß, den sie jedoch durch Bestechung mittels 

gigantischer Geldwäsche und durch verworrene Gesten und 

Reden im letzten Augenblick abgewendet habe 

beziehungsweise ständig hinauszögere. Aber wenn sie einmal, 

ein einziges Mal nicht mehr zahlen kann… 

 

 

K. der Schriftsteller, sagt folgendes: «Wovon bin ich 

ausgegangen? Ich weiß es nicht. Unsere Existenz ist eine solch 

gravierende Tatsache, daß wir ihr nicht nur nicht ins Auge 

sehen wollen, sondern vermutlich auch nicht können. Mal 

respektvoll, mal lachend, mal erschüttert, mal  – ich gestehe es 

– leicht verständnislos bewundere ich unsere Unwissenheit, 

Zerbrechlichkeit, Hinfälligkeit sowie unseren unbegreiflichen 

Mut (oder ist es Ohnmacht?), uns überhaupt zum Leben zu 

erkühnen…» 

Nach kurzer Überlegung fügte er hinzu: «Mein Leben, meine 

sogenannte  ‹Laufbahn› funktionierten nur beziehungsweise 

kamen nur in Schwung, indem ich mich zu einem andern 

machte, als ich bin (obwohl ich natürlich nicht weiß, wer ich 

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bin  –  und statt  ‹obwohl› müßte hier eher  weil  stehen). Nie 

vermochte ich mit meiner Lage, mit meinem wirklichen Leben 

identisch zu sein  – und hier wäre hinter  ‹wirklich› ein großes 

Fragezeichen zu setzen, denn die Tatsache, daß ich mich zu 

einem andern machte, mithin meine Phantasie und meine 

Kreativität ja ebenfalls ‹wirklich› waren, ‹wirklicher› sogar als 

die Wirklichkeit, schufen sie doch ihrerseits Wirklichkeit.» 

Hier machte er wieder eine Pause, bevor er so schloß: «Ja, 

mein Freiheitsdrang erwies sich oft als stärker als die 

sogenannten realen Verhältnisse, und daß er schließlich die 

Oberhand gewann, ist natürlich vor allem glücklichen 

Umständen, doch nicht minder dem Wesen dieser Verhältnisse 

zuzuschreiben: es scheint, daß Energien wie der Freiheitsdrang 

nicht weniger Realien sind als die ihnen gegenüberstehende 

Wirklichkeit selbst.» 

Jetzt verstummte er, sichtlich erfüllt von dem, was er am 

Anfang «die gravierende Tatsache unserer Existenz» genannt 

hatte, so daß ich ihn diesmal nicht mit Einwänden belästigen 

wollte (obwohl ich einige parat habe). 

 

 

 

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_____«In einem Tag kann man die Schrecken der  Hölle 

erleben; es ist reichlich Zeit dazu.» (Wittgenstein) 

Ich habe sie in einer halben Stunde erlebt. 

Und A., meine arme Frau? 

Wir saßen im Vorraum des «Computertomographie-Labors». 

Es war der 1. August, schreckliche Hitze. Wir warteten 

stundenlang, und ich versuchte unter Aufbietung all meiner 

körperlichen und seelischen Kräfte, an diesem 

außergewöhnlichen Ort, in dessen dicker Luft das Unglück 

gleichsam zu greifen war, eine gewisse Alltäglichkeit oder 

beruhigende Banalität herzustellen und aufrechtzuerhalten. 

Nachdem man A. zur Schädeldurchleuchtung zitiert hatte, 

mußten wir nicht einmal zehn Minuten auf das Urteil warten. 

In einem verdächtigen Nebenzimmer teilte mir ein  junger 

blonder Arzt mit Brille, über ein Papier gebeugt, furchtbare 

Dinge mit – eilig, sachlich, unwiderruflich. 

Ich taumelte nach Hause, um zusammenzupacken, was ein 

Menschenwesen auf der letzten Etappe seines Erdenwandels 

braucht: Nachthemd, Zahnbürste, Pantoffeln… 

 

 

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In diesen Wochen mache ich ununterbrochen Notizen über die 

Verhältnisse, in denen ich lebe, wobei diese Notizen in keiner 

Weise den Verhältnissen gleichen, in denen ich lebe. 

Nie werde ich erfahren, wie ich das Grauen von A.s Agonie 

durchgestanden habe, so wie ich  – letzten Endes  – nie etwas 

Wesentliches über mich erfahren kann. Meine Gegenwart ist 

jetzt schon eine meinen Erinnerungen zugedachte Zeit, eine 

Zukunft, in der ich über meine gegenwärtige Gegenwart 

urteilen muß; also dringt offenbar  in all meine Gedanken und 

Taten, wie ein heimtückisches Gift, etwas Verfälschendes ein. 

Zu registrieren bleibt: der minütliche Verrat am Lebendigen, 

die wohlbekannte und unüberwindliche Schande der 

Selbsterhaltung. Früher oder später findet sich der Mensch in 

der Lage, daß er einen Kampf ums Überleben ficht, um ein 

Überleben, das vom  Chaos des Sterbenden verschlungen zu 

werden droht. Zuerst erfahren wir, die von uns geliebte Person 

sei todkrank, dann gewöhnen wir uns an den Gedanken, finden 

uns damit ab und überlassen sie den Fachleuten. In gewisser 

Weise werden wir zu Mördern, und nur wenigen gelingt es, 

dies zu vermeiden, vielleicht den Einsamen, den 

Alleinstehenden. Aber auch diese hatten vielleicht einmal 

einen Vater oder eine Mutter, die unter dem Mülleimerdeckel 

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hervor zu ihnen sprach. Hierzu ist zu sagen, daß Situationen, 

die eine solche Praxis, und eine Praxis, die solche Gedanken 

hervorbringt, typisch für die moderne Lebensweise sind. Der 

Tod  – genauer das Sterben  – waren auch früher ein Problem, 

doch ein sozusagen natürliches Problem. Die modernen Zeiten 

reimen sich irgendwie immer auf Auschwitz; immer ist 

Auschwitz in ihnen präsent. 

 

 

Eines Tages werde ich erkennen, daß dieser Tod auch der 

Anfang meines Todes war. Ich überquere eine Straße, die eher 

in die Szenerie der äußeren Ferencvaros passen würde, zufällig 

aber in der Umgebung der Oper liegt und die Andrássy- mit 

der Király-Straße verbindet: die Pál-Vasváry-Straße – dort, vor 

einem verwitterten, baufälligen Haus, das gleichsam aus allen 

Wunden seines vernachlässigten alten Körpers blutet, staut 

sich plötzlich die Zeit, kehren die Anfänge zurück… Oben im 

ersten Stock war jenes «überaus unwirtliche Untermietzimmer, 

das ein eiskalter Abort auf dem Außengang besonders 

denkwürdig machte»  –  wie ich achtunddreißig Jahre später, 

das heißt vor vier Jahren, in meiner Erzählung  Die englische 

Flagge schrieb. Es war Winter, der grausame Winter 1953/54. 

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Wie soll ich unser damaliges Leben charakterisieren, jene 

Stimmung, jenen Zustand allgemeinen Vertrauensverlustes? 

Jene vollkommen unwirkliche oder besser unwahrscheinliche 

Realität? Wir lernten uns am Abend des 14. September 1953 in 

einer Espresso-Bar kennen und verbrachten die Nacht in 

meinem Zimmer an der Logodi-Straße… Ich war 

vierundzwanzig, sie dreiunddreißig. Ich kam aus den 

nazistischen Konzentrationslagern, direkt von der 

«Endlösung»

,  und aus den trostlosen Tiefen der harten 

«fünfziger Jahre»  – und obwohl es nach außen nicht sichtbar 

war, wirkte das alles eher inspirierend als vernichtend auf 

mich. Auch sie kam aus dem Krieg, als Flüchtling, ihre 

Familie war ausgerottet, der Familienbesitz  – das Erbe  – 

zerstreut worden, sie mußte von vorne anfangen, ihr Mann 

wurde zu Beginn der Schauprozesse inhaftiert, sein Geld, seine 

Habe wurden beschlagnahmt, sie mußte  von vorne anfangen, 

schließlich wurde sie selber verhaftet, war ein Jahr lang in 

Gefängnissen und Internierungslagern  – das alles brach ihren 

Willen, höhlte ihr Selbstvertrauen aus. Jede Wahl, so auch ich, 

insbesondere ich, war für sie eine Selbstbestrafung wegen 

eines mystischen Vergehens, dessen sie sich nie schuldig 

                                                        

 Im Original deutsch 

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gemacht hatte. Unser Gefängnisleben setzten wir fort, doch 

nun  zu zweit, denn wir kannten nichts außer Gefängnissen, 

waren nur in Gefängnissen heimisch. Wir fanden und 

erkannten einander, wie dies in Gefängnissen geschieht: unsere 

Beziehung war eine Gefängnis-Solidarität, ein aussichtsloses, 

hart geprüftes Aufeinanderangewiesensein. Aber dies ist bloß 

Beschreibung, Formulierung, Deutung, und jede Deutung ist 

zwangsläufig  auf eine dritte Dimension ausgerichtet; das 

unaussprechliche Geheimnis zwischen zwei Menschen, deren 

einzigartige,  geschlossene  Welt entzieht sich ihr. Mit 

einemmal werde ich mir bewußt, daß diese Welt nicht mehr 

existiert, daß ich nur noch Erinnerungen an sie habe. Und diese 

Erinnerungen sind meine Erinnerungen, keine  zweite 

Dimension,  kein Beweis vermag sie zu bekräftigen: vielleicht 

stimmt es gar nicht, daß ich gelebt habe, vielleicht stimmt gar 

nichts. Sie ist gegangen und hat den größten Teil meines 

Lebens mitgenommen – die Zeit, als mein Schaffen anfing und 

sich erfüllte und wir uns  – in unserer unglücklichen Ehe – so 

innig liebten. Unsere Liebe war wie ein taubstummes Kind, 

das mit ausgebreiteten Armen und lachendem Gesicht 

dahinrennt, dessen Mund sich aber langsam zu einem Weinen 

verzieht, weil keiner es versteht und weil es kein Ziel sieht. 

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Mir wird fast schwindlig angesichts der Gewißheit, daß die 

Vergangenheit in einem einzigen Moment zu dem wird, was 

ihr Name besagt: vergangen, zu einem verlassenen Depot von 

alten Dingen, Erlebnissen, Klängen und Bildern, die längst 

losgelöst sind von ihrem lebendigen Ursprung, vom Leben, das 

sie einst hervorgebracht und eine Zeitlang intakt behalten hat. 

Meine Geschichte ist von mir abgefallen: mich erfaßt eine jähe 

Gleichgewichtsstörung, als hätte ich mich verirrt und wäre 

zwischen Vergangenheit und Zukunft aus der Zeit 

herausgeglitten. Irgendwann einmal werde ich mich von 

diesem Zusammenbruch erholen, werde der beharrlichen 

Stimme folgen, die mich hinter meinem grauen Nebel hervor 

zurück ins Leben ruft. Im Augenblick aber stehe ich, 

unwissend und verständnislos, gleichsam auf der Schwelle 

zwischen Leben und Tod, mein Körper strebt Richtung Tod, 

mein Kopf dreht sich zum Leben um, mein Fuß holt 

unschlüssig zu einem  Schritt aus. Einem Schritt wohin? Egal, 

denn wer den Schritt tut, bin schon nicht mehr ich, das ist ein 

anderer…