erst spat hinzugehen, dies hatte mir auch Hermine empfoh-len.
Den „Stahlhelm", meine einstige Zuflucht, wo die ent-tauschten Manner ihre Abende versaften, ihren Wein sogen und Junggesellen spielten, hatte ich in letzter Zeit selten tnehr besucht, er pafite nicht mehr zum Stil meines jetzigen Lebens. Aber heut abend zog es mich ganz von selbst wie-der dorthin; in jener bangfrohen Stimmung von Schicksal und Abschied, die mich zur Zeit beherrschte, gewannen aLle Stationen und Gedenkorte meines Lebens noch einmal jenen schmerzlich schónen Glanz des Vergangenen, und so auch die kleine rauchige Kneipe, wo ich vor kurzem noch zu den Stammgastcn^gehórt, wo vor kurzem noch das pri-mitive Bctaubungsmittel einer Flasche Landwein mir ge-niigt hatte, um wieder fur eine Nacht in mein einsames Bett gehen, um wieder fur einen Tag das Leben ertragen zu kón-nen. Andre Mittel, heftigere Reize hatte ich seither geko-stet, sufiere Gifte geschliirft. Lachelnd betrat ich die alte Budę, vom Grufi der Wirtin und vom Nicken der schweig-samen Stammgaste empfangen. Ein gcbratenes Hahnlein wurde mir empfohlen und gebracht, ins baurische dicke Glas flofi heli der jungę Elsasser Wein, freundlich sahen die saubercn weifien Holztische, das alte gelbe Getafel mich an. Und wahrend ich afi und trank, steigene sich in mir dies Gefiihl des Abwelkens und Abschiedfeierns, dies sufie und schmerzlich-innige Gefiihl einer nie ganz gelósten, nun aber zur Losung reif werdenden Verwachsenheit mit all den Schauplatzen und Dingen meines friiheren Lebens. Der „moderne" Mensch nennt dies Sentimentalitat; er liebt die Dinge nicht mehr, nicht einmal sein Heiligstes, sein Automobil, das er baldmóglichst gegen eine bessere Markę hofft tauschen zu kónnen. Dieser moderne Mensch ist schneidig, tuchtig, gesund, kiihl und straff, ein vortrefflicher Typ, er wird sich im nachsten Krieg fabelhaft bewahren. Mir lag nichts daran, ich war kein moderner Mensch noch auch ein aitmodischer, ich war aus der Zeit herausgefallen und trieb dahin, dem Tode nah, zum Tod gewillt. Ich hatte nichts gegen Sentimentalitaten, ich war froh und dankbar, in mei-nem verbrannten Herzen nur noch irgend etwas wie Ge-fiihle zu spiiren. So gab ich mich den Erinnerungen der alten Kneipe, meiner Anhanglichkeit an die alten klobigen
Stiihle, gab mich dem Duft von Rauch und Wein, dem Schimmer von Gewohnheit, von Warme, von Heimatahn lichkeit hin, den das alles fiir mich hatte. Abschiednehmcn ist schón, es stimmt sanft. Lieb war mir mein harter Sit/., mein baurisches Glas, lieb der kiihle fruchtige Geschmack des Elsassers, lieb meine Vertrautheit mit allem und jedem in diesem Raum, lieb die Gesichter der traumerisch hocken-den Trinker, der Enttauschten, dereń Bmder ich lang gewe-sen war. Biirgerliche Sentimentalitaten waren es, die ich hier empfand, leicht gewtirzt mit einem Duft von altmodi-scher Wirtshausromantik aus der Knabenzeit her, wo Wirts-haus, Wein und Zigarre noch verbotene, fremde, herrliche Dinge waren. Aber kein Steppenwolf erhob sich, um die Zahne zu fletschen und mir meine Sentimentalitaten zu Fetzen zu reifien. Friedlich safi ich, angegliiht von der Ver-gangenheit, von der schwachen Strahlung eines inzwischen untergegangenen Gestirns.
Es kam ein Strallenhandler mit gebratenen Kastanien, und ich kaufte ihm eine Handvoll ab. Es kam eine alte Frau mit Blumen, ich kaufte ein paar Nelken von ihr und schenkte sie der Wirtin. Erst ais ich zahlen wollte und vergebens nach der gewohnten Rocktasche griff, merkte ich wieder, dafi ich im Frack war. Maskenball! Hermine!
Aber es war noch reichlich friih, ich konnte mich nicht ent-schlieGen, schon jetzt in die Globussale zu gehen. Auch spurte ich, wie es mir bei all diesen Vergniigungen in letz-ter Zeit ergangen war, mancherlei Widerstande und Hem-mungen, eine Abneigung gegen das Eintreten in grofie, iiberfullte, gerauschvolle Raume, eine schulerhafte Schuch-ternheit vor der fremden Atmosphare, vor der Welt der Le-bemanner, vor dem Tanzen.
Im Schlendern kam ich an einem Kino voriiber, sah Licht-hundel und farbige Riesenplakate aufglanzen, ging ein paar Schritte weiter, kehrte wieder um und ging hinein. Da konnte ich bis gegen elf Uhr hiibsch ruhig im Dunkeln sit-zen. Vom Boy mit der Blendlaterne gefiihrt, stolpene ich durch die Vorhange in den finstern Saal, fand einen Platz und war plótzlich mitten im Alten Testament. Der Film war einer von jenen, welche angeblich nicht des Geldverdie-nens wegen, sondern um edler und heiliger Ziele willen mit groCem Aufwand und Raffinement hergestellt worden sind
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