51360 Obraz0 (28)

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Hatte ich in diesem Augenblick uber einen Wunschzaubei verfiigt, so hatte sich mir nun ein kleiner hubscher Saal dar-geboten, Stil Louis Seize, wo ein paar gute Musiker mii zwci, drei Stiicke von Handel und Mozart gespielt hatten, Dazu warc ich jetzt gestimmt gewesen und hatte die kiihle, edle Musik geschlurft, wie Gotter Nektar schlurfen. Oh, wenn ich jetzt einen Freund gehabt hatte, einen Freund in irgendeiner Dachkammer, der bei einer Kerze griibelt und die Violine danebenliegen hat! Wie hatte ich ihn in seinet Nachtstille beschlichen, ware lautlos durchs winklige Trep' penhaus emporgestiegen und hatte ihn iibcrrascht, und wit hatten mit Gesprach und Musik ein paar iibcrirdische Nachtstunden gefeiert! Oft hatte ich dies Gliick gekostet, einst, in vergangencn Jahren, aber auch dies hatte sich mit der Zeit von mir entfernt und losgelóst, verwelkte Jahre la gen zwischcn hier und dort.

Zógernd trat ich den Heimweg an, schlug den Mantelkra' \ gen hoch und stiefi den Stock aufs nasse Pflaster. Mochtc ich den Weg noch so langsam zuriicklegen, allzubald Wiirdc ich wieder in meiner Mansardę sitzen, in meiner kleiner Scheinheimat, die ich nicht liebte und doch nicht entbehreti konnte, denn die Zeit war fur mich voriiber, wo ich eint winterliche Regennacht laufend im Freien verbringer konnte. Nun, in Gottes Namen, ich wollte mir die gutt Abendiaune nicht verderben lassen, nicht vom Regen, nich von der Gicht, nicht von der Araukarie, und wenn keir Kammerorchester zu haben und auch kein einsamer Freunc mit einer Violine zu finden war, so klang jene holde Melo die doch in mir innen, und ich konnte sie, leise summenc im rhythmischen Atemholen, doch andeutend mir selbe: vorspielen. Sinnend schritt ich weiter. Nein, es ging aucl ohne die Kammermusik und ohne den Freund, und es wa lacherlich, sich in machtlosem Verlangen nach Warme zt verzehren. Einsamkcit ist Unabhiingigkeit, ich hatte sic mi gewiinscht und mir erworben in langen Jalircn. Sie war kalt o ja, sie war aber auch still, wunderbar still und grol? wie de kalte stille Raum, in dem die Sterne sich drehen.

Aus einem Tanzlokal, an dem ich voruber kam, scholl mit heifi und roh wie der Dampf von rohem Fleisch, eine hef tigc Jazzmusik entgegen. Ich blieb einen Augenblick ste hen; immer hatte diese An von Musik, so sehr ich sie verab

■i hcute, einen heimlichen Reiz fur mich. Jazz war mir zu-wider, aber sie war mir zehnmal lieber ais alle akademische Musik von heute, sie traf mit ihrer frohen rohen Wildheit ,iui h bei mir tief in die Triebwelt und atmete eine naive icdliche Sinnlichkeit.

li Ii stand einen Augenblick schnuppernd, roch an der bluti-i < n grellen Musik, witterte bose und liistern die Atmo-,|ili;ire dieser Sale. Die eine Halfte dieser Musik, die lyri-m be, war schmalzig, uberzuckert und troff von Sentimenta-lliat. die andre Halfte war wild, launisch und kraftvoll, und doch gingen beide Halften naiv und friedlich zusammen und gaben ein Ganzes. Untergangsmusik war es, im Rom der letzten Kaiser mufite es iihnlichc Musik gegeben haben. N.itiirlich war sie, mit Bach und Mozart und wirklicher Mu-ik verglichen, eine Schweinerei - aber das war all unsre Kunst, all unser Denken, all unsre Scheinkultur, sobald man mc mit wirklicher Kultur verglich. Und diese Musik hatte dcii Vorzug einer grofien Aufrichtigkeit, einer liebenswer-icn unverlogenen Negerhaftigkeit und einer frohen, kindli-■ hen Laune. Sie hatte etwas vom Neger und etwas vom Amerikaner, der uns Europaern in all seiner Starkę so kna-hcnhaft frisch und kindlich erscheint. Wiirde Europa auch u werden? War es schon auf dem Wege dazu? Waren wir iilten Kenner und Verehrer des einstigen Europas, der ein-•ilgen echten Musik, der ehemaligen echten Dichtung, wa-icn wir blofi eine kleine dumme Minoritat von komplizier-icn Neurotikern, die morgen vergessen und verlacht wiir-den? War das, was wir „Kultur", was wir Geist, was wir Secie, was wir schon, was wir hcilig nannten, war das blofi t in Gespenst, schon lange tot und nur von uns paar Narren itoch fur echt und lebendig gehalten? War es vielleicht uberhaupt hie echt und lebendig gewesen? War das, worum wir Narren uns miihten, schon immer vielleicht nur ein ('bantom gewesen?    .

I >.is alte Stadtviertel nahm mich auf, erloschen und unwirk-liih stand im Grau die kleine Kirche. Plótzlich fiel mir das I rlebnis vom Abend wieder ein, mit der ratselhaften Spitz-Imgentur, mit der ratselhaften Tafel dariiber, mit den spót-iisch tanzenden Lichtbuchstaben. Wie hatten ihre Inschrif-icn gelautet? „Eintritt nicht fur jedermann." Und: „Nur fiir Vcrruckte.“ Prufend blickte ich zu der alten Mauer hinuber.

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