19 Religióse Kunst in Bulgarien 45
Gegeniiber anderen kiinstleriscben Sujets wird das Ex libris haufig ais eine Randerscheinung bildnerischen Schaffens bewertet, die mehr dem angewandten Bereich zuzuordnen isL Daraus erklart es sich, dafi zahlreiche Bucheignerzeicben von der Hand bulgarischer Kiinstler abseits von den offiziellen Forderungen den ureigensten Anliegen dieser Kleingraphiken mit der Charakterisierung ihrer Besitzer entsprechend religióse oder religionsgeschichtliche Motive aufweisen. Sie lassen damit in besonderer Weise erkennen, daB im bulgarischen Volk der glaubensmafiige Bereich bis heruber zur Gegenwart ais Bestandteil von Geschichte und Tradition verstanden wird und deshalb in den vergangenen 45 Jahren ebensowenig auszurotten war wie in fiinf Jahrhunderten osmanischer Fremdherrschaft. Gerade diese kleingraphischen Blattchen erlauben so interessante Schliisse, da sieja sinnbildhaft etwas wesentliches iiber den Auftraggeber aussagen sollen. Doch berichten sie damit nicht weniger iiber den ausfiihrenden Kiinstler, der sie gestaltet hat. Auf diesem Gebiet hat in der Fortsetzung der wegbereitenden Arbeiten von Vasil Zachariev6S neben dem Altmeister Preslav Karsoyski66 und neben Georgi Penćev67 vor allem Penćo Kulekov ein fruchtbares Tatigkeitsfeld gefunden68. An das Schaffen von Zachariev ankniipfend weisen seine Linolschnitte volkskunsthafle Ziige auf, die dennoch an der eigenen Zeit nicht voriibergehen. Neben Ex libris mit den Heiligen Kyrill und Method oder dem HI. Kliment Ochridski scheint vor allem ein Bucheignerzeichen bemerkenswert, das er fur sich selbst geschaffen hat. Dort hat Kulekov ais unmifiverstandlichen Hinweis auf die eigene Einstellung und Haltung einen Maler festgehalten, der die Gottesmutter malt69.
Derartige kiinstlerische Selbstbekenntnisse sind allerdings innerhalb des
Gesamtbildes der bulgarischen Gegenwartskunst erst voll verstandlich, wenn man dereń
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Entwicklung in den vergangenen 45 Jahren mit der schrittweisen Uberwindung der dogmatischen Lehren des sozialistischen Realismus Stalin-Shdanovscher Definition mit beriicksichtigt. Die entscheidende Óffnung, die individuellen formalen und inhaltlichen Sichtweisen - und damit auch dem religios betonten Schaffen - weiten Spielraum zubilligte, vollzog sich erst mit der von Svetlin Rusev vertretenen Neuformulierung und inhaltlichen wie formalen Erweiterung des Begriffes “Sozialistischer Realismus”, mit der die Voraussetzungen fur eine lebendige Weiterentwicklung der bulgarischen Kunst geschaffen wurden70.
Mit diesem Schritt war die Aktivierung und Freilegung schopferischer Krafte verbunden, die inhaltlich und formal eine Bereicherung des gegenwartigen bulgarischen Kunstschaffens bedeuten. Das zeigt sich an der sehr frei aufgefaBten
45 E. Tomov, Ekslibris. Sofija 1977, S. 67/68; F. Ficker, Vasil Zachariev und das bulgarische Exlibris. In: Mitt. der Deutschen Exlibris-Ges. e.V. 1994, 2, S. 20-22.
^Petar Velićkov, Sto balgarski ekslibrisa. Sofija 1985; F. Ficker, Prestav Karśovski -Nestor des bulgarischen Exlibris. In: Exlibris-kunst und Graphik, Jahrbuch 1993, S. 11-14.
67 F. Ficker, Georgi Pentschev - Grafiker und Exlibris-Gestalter. Zum 60. Geburtstag des Kiinstlers. In: Mitt. der Deutschen Exlibris-Ges. e.V. 1985, 1, S. 8.
“ Ausst.-Kat. Pentscho Koulekov, Graphik, Handzeichnungen (Slg. F. Ficker). Miinchen 1984; F. Ficker, Der bulgarische Graphiker und Exlibriskunstler Pentscho I^oulekov. In: Exlibriskunst und Graphik, Jahrbuch 1981, S. 51-54; P. T§uchovski, PenĆo Kulekov. Sofija 1978.
69 Slg. F. Ficker.
70 Bulgarische Bildende Kunst der Gegenwart Sofia 1982, Einfuhrung.