5 Religiose Kunst in Bulgarien 31
In der Kunst der orthodoxen Kirche tritt daneben bereits in der spatbyzantinischen Zeit ais Variante der ais “paphlagonischer Jiingling”16 oder ais “Jiingling aus Mytilene”17 gedeutete Knabe auf dem Riicken des Pferdes hinter dem Heiligen auf. Die haufig vorkommende Kanne in seiner Hand gilt ais Zeichen dafur, daB er nach der Uberlieferung gewaltsam entfuhrt wurde, in der Fremde ais Mundschenk dienen muBte, auf Bitten der Eltem vom Hl. Georg beffeit und wieder nach Hause gebracht wurde.
Wahrend die Darstellung der Knabenbefreiung in der russischen orthodoxen Kunst offenbar nur selten vorkommt18, tritt sie vor allem im 18. und 19. Jahrhundert in den osmanisch besetzten Gebieten Siidosteuropas mit auffallender Haufigkeit auf. So auch in der bulgarischen Kunst sowohl auf Ikonen ais auch auf Holzschnitten der Samokover Schule19. Es liegt nahe, bei der Zunahme dieses Motivs angesichts des wachsenden Widerstandes gegen die Fremdherrschaft einen Zusammenhang anzunehmen. Er ergibt sich iiber den urspriinglich in der Legende iiberlieferten Sinn hinaus in einer zweiten Bedeutungsschicht. Dort wird der Zusammenhang mit der osmanischen Knabenlese hergestellt und im Hl. Ritter Georg der Retter und Befreier der gewaltsam entfuhrten Kinder gesehen20, wie dies auch Leopold Kretzenbacher in seinen Untersuchungen iiberzeugend unternommen hat21. Fur diese neu hinzugekommene Sinndeutung im engen Zusammenhang mit dem nationalen Befireiungskampf spricht femer die Grundung des Georgsordens mit dem Ziel des Kampfes gegen die Osmanen. Einen nicht geringen Anteil an der Widerstandsbewegung hatten bekanntlich die niedere Geistlichkeit und die Monche in den Klostem.
Dem widerspricht andererseits nicht, daB in der Spatzeit der osmanischen Besetzung nach neuesten Forschungen Teile der unteijochten Bevólkerung sogar darum bemiiht waren, ihren Kindem iiber die Knabenlese den Zugang zum tiirkischen Janitscharenkorps ais einer Elitetruppe und damit ais Móglichkeit des persónlichen und wirtschaftlichen Aufstiegs zu verschaffen22. Gerade eine derart tiirkenfreundliche Haltung unter Teilen der Bevolkerung forderte vielfach die Kritik
17 Ibidem, Sp. 371.
11 Th. Raff nennt eine Ikonę des 16. Jahrhunderts in der Tretjakov-Galerie in Moskau; a.a.O., S. 116.
19 K. Paskaleva, Die bulgarische Ikonę, a.a.O., Nr. 78, mit Abb., Nr. 87, mit Abb.; dies., Ikoni ot strandźanskija krai, a.a.O., Abbn. 27, 28, 31, 82; V. Svintila, Ikoni ot samokovskata śkola, a.a.O., Abb. 84; L. Kojnova-Amaudova, Ikoni ot melniSkija krai. Sofija 1980, Abbn. 24, 70; A. Tschilingirov, Die Kunst des christlichen Mittelalters in Bulgarien. Miinchen 1979, Abbn. 262, 281; Kat. “1000 Jahre bulgarische Ikonen”, a.a.O., Nr. 151, mit Abb.; W. Sachariew, Graphische Arbeiten der Schule von Samokow. Dresden 1968, Abbn. 1, 29, 46, 51; E. Tomov, Bulgarische Ikonen, Holzschnitte und Metallstiche. Ramerding 1982, Abbn. 57, IX, XI; ders., 24 Bulgarische Holzschnitte und Metallstiche aus der WiedergeburtszeiL Sofia 1969, Abb. 16; ders., Estampes de la renaissance Bulgare. Sofia 1978, Abbn 68, 85; ders., Bułgarski vazroźdenski stampi. Sofija 1975, Abbn. 166, 167, 211, 219, 246, 248, 250, 251.
20 S. dazu B. D. Papoulia, Ursprung und wesen der “Knabenlese" im osmanischen Reich. Miinchen 1963 (Siidosteuropaische Arbeiten, Bd. 59).
21 L. Kretzenbacher, a.a.O.
22 Frdl. Mitt. von Prof. Dr. Matschke, Leipzig.