Autor dises Artikels zu tiefst anregt, ist der folgende: man kann nicht in der ideenhaft-theoretischen Unbestimmheit oder Zerstreutheit im Bezug auf einige wesentliche Fragen der gesellschaftlichen Bewegung verharren, in einem Moment, da diese Unbestimmtheit an Unverant-wortlichkeit grenzt (oder an ein Abschieben aller Verantwortung fiir das, was geschieht), da das mógliche ideehafte Vakuum - und dies ist schon eine bekannte historische Tatasache - fiir jede, und deshalb auch fiir unsere gesellschaftliche Gemeinschaft vernichtend ist. Daher stammt auch die grundlegende Anregung zum Schreiben dieser Zei-len. Denn einige Dinge konnten bisher nicht artikuliert werden, so dafi sie in ihrer, wenn auch nicht wesentlichen, so doch anderen oder un-terschiedlichen Beleuchtung erkannt werden. Wir wollen dies wenigs-tens versuchen, haben keine andere Absicht.
Es besteht dennoch eine Absicht: diese unsere Betrachtung soli sich auf der Basis einiger Erkenntnisse und Standpunkte von Marx be-finden, da wir nicht der Ansicht sind, dafi diese veraltet sind.
Wir haben gleich zu Beginn gesagt, daft hier die Rede von der Mit-telklasse unserer Gesellschaft ist, die auf die Biihne tritt und sich immer mehr ais grundlegende Kraft des gesellschaftlichen Ereignens bei uns aufdrangt. Die Mittelklasse, oder um in der Terminologie von Marx zu bleiben: die biirgerłiche Klasse ist eine bekannte historische Kategorie unserer Zeit. Sie wurde zur dominierenden Kraft und ihre Ideologie zur fiihrenden Ideologie der zeitgenóssischen Gesellschaft und der Welt im ganzen. Deshalb beziehen sich ihre wesentlichen Bestimmungen und Charakteristika, auch auf unsere Mittelklasse im Aufstieg, obwohl auch hier einige, vielleicht wesentliche Besonderhei-ten bestehen. Sie liegen nicht darin, dafi sie sich erst bildet und kon-solidiert und auf diesem Weg »ihre wahre Seele« sucht. Dieses Stadium ihrer Formung ist aus der Geschichte schon geniigend bekannt. Ihre Besonderheit liegt in etwas anderem. Nun, ohne Riicksicht da-rauf, im Allęemeinen betrachtet, ist die besagte »Hilfe« zum Ver-standnis der eigenen Situation und des Strebens dieser Klasse deshalb notwendig, da sie durch ihre Natur, ihre historische Rolle und Lagę, also philosophisch gesprochen, durch ihr Sein notwendig sich selbst und den anderen die eigenen wesentlichen Interessen und Beziehungen mystifiziert, sie in eine bestimmte ideologische Bemantelung steckt, sie anders darstellt, ais sie wirklich sind. Dies kommt von der Wider-spruchlichkeit ihrer Natur. Da ihre eigene geschichtliche Position we-sentlich unwahr ist (woriiber es schon genug Literatur gibt, aber die Praxis ist noch eindriicklicher), kann sie, wenn sie sich selbst treu sein will, nicht danach streben, die Wahrheit zu entdecken, weder die Wahrheit der eigenen, noch der fremden Position. Dies ist ihre »all-gemeine Bestimmung«.
Was nun die jugoslawische Mittel-(biirgerłiche)klasse im besonde-ren angeht, in ihrem eigentlichen Aufstieg (nach dem zweiten Welt-krieg), so hatte sie neben allem anderen das »Pech« (und darin liegt die angefiihrte Besonderheit, obwohl sie darin weder die einzige, noch einsam ist), daft sie durch historische Bedingungen dazu veranlafit, vóllig paradoxal und bis zuletzt widerspriichlich, mit einer ihr we-sentlich gegensatzlichen, ja sogar feindlichen Ideologie, namlich der
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