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John Montana
Leg die Hände in mein Blut
Apache Cochise
Band Nr. 22
Version 1.0
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Prolog
Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder.
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.
Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von
Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten
Rasse führten.
Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner
waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer
hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers
glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer
eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen
Apachen-Skalp.
Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer
mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«?
Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und
mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer
»Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den
Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den
Indianern fühlten.
Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer-
und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von
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vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung
abgetan wird.
Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden
Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung
trieb, nicht mit ansehen muß.
Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die
Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft,
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen
Arizonas.
Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet?
Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa,
Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden.
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum
Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen
die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich
das große graue Leichentuch über die Stämme und
Sippenverbände.
Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren
möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments
gegen die rote Rasse gewesen wäre.
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Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten
Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu
ihrem Recht zu verhelfen.
Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu
richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es
womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der
damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten
und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer
rauhen Umwelt.
Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen
Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter
authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in
Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur
in Kurzform gebracht wurde.
Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen
und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und
geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch
makabren Hintergrund.
Ihr Martin Kelter Verlag.
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***
Cochise zügelte seinen Mustang. Während er warnend die
Hand hob, trat ein angespannter Zug in sein Antlitz.
Wyatt Earp, der den Jefe seit einiger Zeit begleitete, reagierte
sofort. Ein harter Schenkeldruck brachte seinen Pinto zum
Stehen. Instinktiv blickte er ins flache Hügelland, wo sein
Begleiter irgend etwas Verdächtiges bemerkt haben mußte.
Aber Earp sah nur Wildnis, überwuchert mit Beifußbüschen,
Zepotesträuchern, Feigenkakteen und mächtigen
Kerzenkakteen, die sich über die Hänge erstreckten.
Ein Stück Arizona.
Earp wandte den Kopf, um Cochise eine Frage zu stellen.
Doch der Häuptling legte warnend eine Hand auf die Lippen
und glitt vom Pferderücken. Seine kräftige Hand strich über
das struppige Fell des Wüstenmustangs, ehe er behend, mit
lautlosen Schritten, in den Buschgürtel eindrang. Für eine
Weile sah Earp den roten Mann noch, dann hatten ihn die
Schatten der Wildnis aufgenommen.
Er stieg vom Pferd und warf die Zügel lose über einen
Kaktuskandelaber.
Taranteln und andere Kriechtiere bewegten sich im groben
Sand.
Als Earps Schritte eine Sandviper aufscheuchten, die sich
steil und angriffslustig aufrichtete, zuckte die Hand des
Mannes zur Hüfte. Aber er dachte an Cochises Warnung. Seine
Hand glitt am Halfter entlang zum Gurt. Als er sich vorgebeugt
hatte, blitzte für Sekunden der kalte Stahl seines
vorschnellenden Bowies im grellen Sonnenlicht. Dann wand
die Sandviper sich im Todeskampf.
Noch während Wyatt Earp überlegte, wie kurz und
übergangslos der Weg vom Leben zum Tode war, schlug sein
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Pinto nervös mit den Hufen. Ein Schatten fiel über den
einsamen Mann. Als er herumwirbelte, sah er einen
halbnackten sehnigen Burschen, der ihn mit erhobenem
Wurfbeil anging.
Sicher hätte der Tomahawk ihn tödlich getroffen, wäre nicht
wie aus dem Nichts kommend, die Kampflanze eines
Chiricahuakrieger gefahren, die, einem Blitzschlag gleich, den
Körper, des Angreifers durchschlug und ihn niederriß.
Noch während der Indianer zu Fall kam, tauchte Häuptling
Cochise aus dem dichten Gestrüpp auf. Stumm riß er die Lanze
aus dem toten Körper und Earp spürte die Verachtung, die der
Chief für den fremden Artgenossen empfand.
»Ein Feind von dir?« fragte Earp mit belegter Stimme. Die
Schrecksekunde saß ihm noch in den Knochen.
»Ein Wichita. Komm.« Cochise hob die Hand.
Ein Wichita, dachte Earp erstaunt, während er dem Häuptling
folgte, denn er wußte, daß die Wichitas jenseits des Rio Grande
zu Hause waren. Wie die Cheyennes, die Arapahoes und die
Caddos, die als östliche Nachbarn an der Grenze des
Apachenlandes lebten.
Was suchte ein Wichita im Lande der Chiricahuas?
Earp blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Cochise
kniete plötzlich nieder und blickte zornig über die Schulter.
»Du schleichst wie ein alter täppischer Bär durch die Büsche.
Ein Apachenohr würde dich auf tausend Yard wahrnehmen.«
Earp kauerte lächelnd nieder. Cochise war ein erfahrener
Wildnisgänger. Verwegen und von Apachenschlaue geprägt. Er
erinnerte sich der Begegnung mit Wania-taka, dem Häuptling
der Cheyenne, die die Sternträger aus Tombstone angegriffen
hatten, die auf seiner, Earps, Spur ritten, um ihn wegen Mordes
zu verhaften, dabei war es Notwehr gewesen.
»Cheyenne, Arapahoes, Caddos und Wichitas. Fremde
Stämme aus dem Osten«, Earp schüttelte den Kopf. »Ich
verstehe nicht, was sie im Apachenland suchen.«
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Cochise lächelte einen Augenblick. »Dein weißes Auge sieht
nichts, dein Ohr ist taub. Deine Gedanken sind so kurz wie das
Licht eines Blitzes, sonst hättest du Wania-takas Worte nicht
vergessen. Nun komm, und halte die Augen offen, sonst wird
dein Tag so kurz wie das Leben einer Eintagsfliege sein. Der
Wichita war nicht allein.«
Cochise kroch gewandt und lautlos wie eine Sandviper durch
das Dickicht. Earp hatte Mühe, ihm zu folgen.
Nach etwa dreihundert Yard fiel der Hügel in eine flache
Talschlucht. Earp, der Cochise erreichte, blickte erstaunt auf
die kleine Gruppe Rothäute, die sich bei den Zedrachbäumen
versammelt hatte und ein Palaver abhielt.
Wichitas, dachte er kopfschüttelnd. »Wie hast du sie
entdeckt, Jefe?« flüsterte Earp.
Cochise lächelte hart. Was wußte ein Weißauge vom
Jagdinstinkt des roten Mannes. »Ich habe ihr Feuer gerochen.«
»Obwohl es keinen Rauch zeigte?«
Cochises Lächeln wurde stärker. »Das beweist mir, daß es
das Feuer des roten Mannes ist.«
»Und der Wichita, der mich angriff?« wollte Earp wissen.
»Zeigt mir, daß sie Feinde sind. Sie haben nichts mit Wania-
takas Orakel zu tun, denn sie verbreiten nicht den Frieden,
sondern den Tod.«
Während Cochise lautlos durch sandiges Geröll in die Tiefe
glitt, dachte Earp an jene Bewegung im Lager Wania-takas, die
sich Geistertanz-Kult nannte und, von Osten kommend, den
Westen mit der Verkündung eines Messias überschwemmte,
daß alle Roten bald vereint, ihre Toten auferstehen und die
weißen Eindringlinge in ihrem Land bald verjagt sein würden.
Earp dachte an Gefahr, denn er erlebte von Woche zu Woche
stärker, wie weiße Einwanderer vom Apachenland Besitz
ergriffen, ihre Familien um Grund und Boden betrogen und
sich ausbreiteten wie Herrenmenschen, für die eine Rothaut nur
eine armselige Kreatur war.
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Cochise kauerte keine fünf Yard vom Lagerfeuer der
Wichitas entfernt und schien ihr Gespräch zu belauschen.
Earp nahm sein Glas zur Hand.
Sie waren junge Burschen von kräftigem Körperbau. Ihre
Gesichter waren mit kräftigen Farben bemalt, die zweifellos
erkennen ließen, daß sie in wenig friedlicher Absicht
Apachenland durchstreiften. Sie trugen weiche Mokassins, die
bis zu den Schenkeln reichten, Wildleder- oder
Musselinhemden, in denen eingefärbte Zeichen ihres Stammes
sichtbar waren. Sie trugen Mausergewehre, Kriegslanzen und
am Gurt den Tomahawk.
Einer von ihnen, er schien ihr Anführer zu sein, hatte am
Leibgurt einen langhaarigen blonden Skalp baumeln, der Wyatt
Earp entfernt an Betty Longdales prächtiges Haar erinnerte, die
mit ihrem Vater an der Basis der Chiricahua Mountains einen
kleinen Handelsposten unterhielt und mit den Apachen in
Frieden lebte. Vielleicht auch täuschte ihn die Farbe des
Haares.
Earp zählte ihre Pferde, in deren Richtung Cochise sich
bewegte. Es waren acht zähe Mustangs, doch was ihn störte,
war das rote Mal auf der Hinterhand der Gäule, das an einen
Farbklecks oder eine rote Hand erinnerte.
Noch ehe er sich weitere Gedanken machen konnte, begann
drunten ein Höllenlärm.
Cochise hatte die Seilkoppel durchschnitten, war blitzschnell
auf einen Mustang gesprungen und trieb die Tiere mit
gellendem Geschrei mitten durch die Wichitagruppe in die
offene Mesa.
Staub und Rauch wirbelte auf. Die Roten sprangen in die
Höhe und griffen nach ihren Waffen. Die unhandlichen
Mausergewehre donnerten nur einmal, dann war ihr Pulver
verschossen. Lanzen und Pfeile durchschnitten die Luft und
folgten dem Apachen, ohne daß sie ihr Ziel erreichten.
Wieselflink, mit drohendem Geschrei, durchbrachen
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Wichitakrieger das Gesträuch. Doch sie erkannten bald, daß
der Pferdedieb ihnen voraus und die Gäule schneller als ihre
Beine waren.
Wyatt Earp löste sich grinsend von seinem
Beobachtungsstand und kroch tiefer ins Gesträuch. Er hatte
Cochises Verwegenheit erlebt, die ihm wieder einmal zeigte,
mit welch vorzüglichem Zeitgenossen er ritt.
Es würde sich wohl bald ändern, denn in den nächsten Tagen
trennten sich ihre Wege. Während Cochise seine Apachenburg
in den Chiricahua Mountains aufsuchen wollte, führte sein
Weg nach San Manuel, wo er mit einem neuen Partner
verabredet war.
Als Earp die Pferde erreichte, sah er die mächtigen
Kuttengeier, die flügelschlagend die Hügelkuppe umstreiften
und sicher bald niederstürzen und den toten Indianer
zerfleischen würden. Vielleicht auch würden seine
Stammesbrüder versuchen, es zu verhindern.
Earp löste die Zügel vom Kakteenkandelaber und führte
seinen Pinto zu Cochises Gaul hinüber, der, abseits stehen
gelassen, dürres Gras zupfte, nun aber den Kopf hob und
bleckend die Zähne zeigte, so, als wolle er das Weißauge
bedrohen. Earp hörte leise Geräusche im Rücken. Wie ein Blitz
fuhr er herum, seine Rechte sprang zum offenen Halfter am
Schenkel. Während er die Waffe herausriß, hetzte er
blitzschnell in den Schlagschatten seines Pintos.
Er hörte das Heranzucken eines Pfeiles und mußte erkennen,
daß der Pinto steil in die Höhe stieg, ehe er mit schlagenden
Vorderhufen um die Achse fuhr. Earp wich den Huftritten aus.
Drüben spannten zwei der Wichitabanditen ihre kurzen
Kriegspfeile auf die Sehnen ihrer Bogen. Earp schoß ohne
Überlegung auf einen der bemalten Indianer, als sein
weidwundgeschossener Pinto kraftlos umkippte und seinen
Herrn unter der Last begrub.
Earp kam so unglücklich zu Fall, daß der Sattel des Pintos
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sein Bein einklemmte. Trotz aller Mühe gelang es ihm nicht,
sich aus dieser Lage zu befreien. Zu allem Übel war ihm beim
Fall der Colt entglitten, der nun außer Reichweite im Sand lag.
Zwar hatte er einen der Angreifer erwischt, doch der Zweite
schien Earps Lage erkannt zu haben. Böse grinsend trat er
näher und hob den schweren Colt auf.
Aus der Ferne erklangen Rufe. Strauchwerk brach, und Earp
wußte, daß die Wichitakrieger, von seinem Schuß angelockt,
bald erscheinen würden. Seine Arme fuhren kraftlos zum
Scabbard, um die Henry zu erwischen. Aber der Weg dorthin
war zu weit.
Der Rote spannte den Hammer der Waffe. Er schien
zufrieden mit seiner Beute, und Earp spürte, wie nahe der Tod
war. Dieses kalte, scheußlich bemalte Gesicht, in dem zwei
haßleuchtende dunkle Lichter funkelten, zeigte ihm die
Zukunft.
Wütend zerrte Earp am Sattelhorn, als der Krieger nähertrat.
Aber sein Bein hing fest, als sei es in die Wangen eines
Schraubstockes gespannt. Aus der Ferne war ihm, als dränge
polternder Hufschlag den Hügel hoch.
Earp sah, wie der Rote den Kopf hob, den Revolver
schwenkte und einen Schuß abfeuerte. Im zuckenden
Flammenblitz erkannte Earp die gefederte Lanze, die den
Krieger durchbohrt hatte.
Cochise, fuhr es ihm in den Sinn. Da spürte er auch schon
zwei kräftige Fäuste unter den Armen.
»Stemme deine Füße gegen die Sattelmulde«, hörte er
Cochises klare Stimme, »oder möchtest du der Fraß der Geier
werden?«
Earp bemühte sich verzweifelt. Nach mehrmaligen
vergeblichen Versuchen gelang es schließlich, freizukommen.
Als Earp sein Bein unter dem Sattel hervorgezogen hatte,
spürte er einen lähmenden Schmerz, der von der Stiefelspitze
bis zur Hüfte zog. Schmerzhaft verzog er das Gesicht, als
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Cochise ihn aufhob.
»Nimm das Pferd«, rief Cochise, während er bereits seine
Lanze holte und dann auf den Rücken seines Mustangs sprang.
Er erkannte die Hilflosigkeit seines Begleiters, trieb den
Mustang zum buntfarbigen Wichitaschecken, der ihn zum
Hügel geführt hatte, und erfaßte die Hügel.
Obwohl ihre Gegner im filzigen Gesträuch sichtbar nahe
aufgerückt waren, verlor Cochise nicht die Beherrschung. Er
führte den Schecken heran und reichte Earp die Hand.
»Versuche es«, sagte er, »sonst wird es dein Tod sein.« Es
war eine zwingende Forderung, die mit einer Mahnung endete,
die Earp erkennen ließ, wie groß die Gefahr war. Seinen
Schmerz verbeißend, ergriff er die dargebotene Hand.
Kaum war er auf dem Rücken des Schecken, da zog Cochise
schon seinen Mustang herum, ritt bis zum toten Indianer und
beugte sich tief über die Flanke. Er erwischte Earps schweren
Revolver, jagte mehrere Kugeln ins Dickicht und schaffte so
einige Sekunden Luft vor den angreifenden Wichitas. Noch
einmal beugte er sich vor, angelte die kostbare Henry vom
Sattel des toten Pinto und winkte seinem Begleiter zu.
»Vorwärts, Freund, reite, als säße ein böser Geist in deinem
Nacken.«
Cochise schoß noch zwei Kugeln in die Luft, die den
Schecken zur schnelleren Gangart antrieben.
Als Earp unterhalb des Hanges in die Mesa vorstieß, tauchte
Cochise an seiner Seite auf. »Wichitas sind feige wie Crows«,
sagte er verächtlich. »Sie schmücken sich mit Weiberskalps
und prahlen mit ihren Heldentaten.«
Earp schwieg eine Weile, ehe er den Kopf wandte. »Einer
von ihnen trug einen hellen Skalp. Gehört er der weißäugigen
Frau vom Handelsposten?«
Cochise nickte finster. »Sie haben die Station überfallen und
in Brand gesteckt. Der Einarm in Tucson wird es den
Chiricahuas anlasten, wie viele Verbrechen, die in letzter Zeit
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geschehen sind. Ich weiß mir keinen Rat.«
Earp trieb den Schecken näher, der sich erstaunlich gut
führen ließ. »Hol dir einen Rat bei John Haggerty.«
Cochise hob den Kopf.
»Der Falke?«
»Er ist dein Freund und kann dir sicher helfen.«
Cochise schwieg. Er blickte den Weg zurück, den sie geritten
waren. Am Horizont stand eine schwache Staubwolke, die ihn
erkennen ließ, daß die Wichitas ihre Pferde eingefangen hatten
und nun voller Zorn auf ihrer Fährte saßen.
»Wir wollen wachsam sein«, sagte Cochise, indem er in die
Richtung der Indianer deutete. »Wichitas sind heimtückisch
wie Kojoten. Sie reichen dir zum Frieden die Hand und treiben
dir zugleich ihr Jagdmesser zwischen die Schulter.«
»Hast du ihre Absichten erfahren können, Chief? Oder etwas
über dieses Zeichen?« Earp deutete auf den blutigen
Handabdruck im Fell des Schecken.
»Sie reiten nach Süden, um sich mit irgendwelchen
Weißaugen zu treffen. Wann und wo konnte ich nicht erfahren.
Dieses Zeichen im Fell ihrer Pferde wird ein Symbol sein, ihr
Taime vielleicht, ihr Glücksfetisch.« Der Häuptling zuckte die
Achseln und schwenkte nach Norden, um dem mächtigen
Organosfeld auszuweichen, das ihren Weg versperrte.
*
Am Abend rasteten sie an einem versteckten Wasserloch, und
Cochise bestimmte, daß sie kein Feuer entzündeten.
»Das Land ist flach wie eine ausgebreitete Santillodecke. Ein
offenes Feuer würde unsere Gegner wie Motten ans Licht
locken. Ich möchte einen weiteren Kampf vermeiden.«
Cochise schien zu lächeln, als sein Begleiter überrascht den
Kopf hob. »Nicht, daß Cochise feige wäre. Er denkt nur an
seine Familien.«
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»Und an den Messias aus dem glücklichen Reich der toten
Apachen?«
Cochise nickte. »Ich denke oft an Wania-takas Worte.«
»Erzähle davon«, forderte Earp. Er war mit Cochise im
Lager der Cheyenne gewesen. Er hatte dem offenen Gespräch
der beiden großen Häuptlinge beigewohnt, aber ihre
Athabaskensprache hatte in Earps Wissen große Lücken
hinterlassen, er hatte nur Bruchstücke der Unterredung
zwischen den Stammeshäuptlingen verstehen können.
Cochise hatte seine Decke ausgebreitet. Er lag auf dem
Rücken und blickte ins aufkommende Nachtlicht. Es dauerte
lange, bis er zu reden begann. »Man spricht von der
Offenbarung, die der Glaubenstanz Kult uns bringt. Ihr Orakel
spricht, alle roten Brüder werden eins. Nie wieder wird es
zwischen ihnen zu Kämpfen kommen und die Weißaugen
werden unser Land verlassen. Die Jagdgründe werden den
roten Jägern gehören. Der Büffel wird wiederkehren und das
Grasland füllen. Es wird weder Not noch Elend in unseren
Dörfern einkehren und unsere toten Brüder kehren aus dem
Reiche Manitus zurück.«
Cochise hatte die Augen geschlossen. Er schien noch immer
tief beeindruckt von der Botschaft Wania-takas und fühlte sich
den Göttern sehr nahe.
»Ich werden Shoschuli wiedersehen, meine erste Frau.
Naretana, meinen Bruder, und dessen Söhne Yadalanh und
Giannahtah, die eines grausamen Todes sterben mußten. Den
größten Führer unserer Stämme, Mangas Coloradas.« Cochises
Augen standen nun weit offen. Es schien, als suche er im
funkelnden Glanz der Sterne die Brücke ins Reich der Toten.
Wyatt Earp spürte erschreckt die tiefe Verbindung seines
Glaubens und zugleich die Unsinnigkeit des Orakels.
»Wenn sie alle wiederkehren, Häuptling, gibt es da nicht ein
mächtiges Gedränge auf der Erde?« fragte er lächelnd.
Cochises Gedanken waren weit weg von der Gegenwart, als
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er antwortete. »Unser Land ist unermeßlich in seiner Größe. Es
beginnt im Osten, wo das strahlende Licht Holos den Tag
ankündet, und endet im Westen, wo Holos ins Dunkel des
Totenreiches untertaucht.«
Earp schwieg. Er war ein nüchtern denkender Mensch, der
alles Reale ins Auge faßte. Ihn verband nichts mit der Religion,
und der Gedanke an die Auferstehung des Menschen lag so
fern wie das Glück, das er suchte.
Er lauschte in die Nacht, die von fremden Geräuschen gefüllt
war. Der Ruf des Kojoten, dem Flug der Nachtschwalbe, die
über ihr Lager strich.
Dem gurrenden Ruf des Bus, der Eule, die im Glauben der
Rothäute den nahen Tod verkündet.
Unbewußt umspannte seine Faust das Gewehr, und er suchte
in der Dunkelheit den Feind, der um ihr Lager schlich.
»Nichts wird den roten Mann vereinen, Chief«, flüsterte er
Cochise zu, »eure Sprache, euer Glauben, selbst eure Götter
sind so verschieden, wie eure Lebensauffassung. Wache auf
aus deinen Träumen, Häuptling. Der Tod schleicht um unser
Lager. Wichitabanden. Sie halten nichts von der großen
Offenbarung. Sie wollen unsere Skalps.«
»Die Zeit ist noch nicht gereift. Aber sie wird kommen.«
Cochise schien zu lächeln, als er sich umdrehte und die Nacht
durchforschte. »Es sind sechs«, flüsterte er nach einer Weile.
»Jene, die auf unserer Fährte reiten.«
Cochise nickte. »Bleib bei den Pferden. Sie sind wichtig für
uns.« Der Häuptling richtete sich lautlos auf und glitt zu den
Tumbleweeds, die der Wind durch das offene Land trieb.
»Nimm wenigstens meinen Colt«, rief Earp leise, als er sah,
daß Cochise, nur mit dem Jagdmesser bewaffnet, in der
Dunkelheit untertauchte. Aber Cochise schien seinen Ruf nicht
zu hören.
Earp kroch näher zu den Pferden. Er richtete sich auf, erfaßte
die Zügel und starrte in die Nacht, hoffend, Cochise oder einen
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der Gegner zu entdecken.
Zäh verrann die Zeit. In der Ferne bellte ein Kojote und
irgendwo in dem flachen, von Strauchwuchs durchzogenen
Land, schrie ein Wüstenfuchs. Ein anderes Tier antwortete.
An Earps Händen klebte der Schweiß. Seine Achtung vor
dem Apachenhäuptling wuchs immer noch um eine Stufe, und
es erschreckte ihn der Gedanke, allein gegen sechs wilde
Wichitakrieger kämpfen zu müssen.
Aus dem Bewuchs kam ein unterdrückter Schrei.
Zwei Schüsse fielen. Ihr Echo verrollte, als ein weiterer
Schrei die Nacht aufriß.
Der Ruf der Füchse verstummte. Leiser Hufschlag klang auf,
der bald in der Weite des Landes verebbte. Es dauerte noch
einige Minuten, ehe Earp den aufrechtschreitenden Cochise
erkannte.
Der Häuptling trat ans Lager und stieß mehrere Male sein
Jagdmesser in die Erde. Er sprach kein Wort, aber Earp wußte,
er hatte zwei seiner Gegner erwischt und der Rest war aus
Furcht geflohen. Cochise setzte sich nieder und legte eine
bunte Decke um seine Schultern. Er folgte seinen
unterbrochenen Gedankengängen.
*
Am nächsten Morgen weckte sie die Sonne. Sie füllten den
Wasserbeutel, den Cochise mitführte, und bestiegen ihre
Pferde.
Gegen Mittag stießen sie auf die Karawanenstraße, die das
Land von Ost nach West durchschnitt. Die mächtigen
Bergrücken der Chiricahua Mountains waren so nahe, daß Earp
die breite Talsenke erkannte, die zum Apachenpaß und Fort
Bowie hinaufführte.
Der Augenblick ihres Abschieds war gekommen.
Earps Weg führte nach Süden zum San Pedro River, während
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Cochise in seine Bergapacheria zurückkehren würde.
»Haben deine Götter dich mit der Erkenntnis der Weisheit
gefüllt?« fragte Earp zum Abschied.
Cochise lächelte schwach. »Sie waren stumm und meine
Gedanken blieben ohne Antwort. Ich werde die Häuptlinge
zusammenrufen und mit ihnen die Dinge besprechen, die wie
der Wind von Osten her in unser Land wehen. Wenn wir keine
Einigkeit finden, werde ich einen Boten zum Falken senden. Er
ist ein kluger Mann, der sicher einen Rat weiß.«
Cochise zog seinen Mustang herum und trabte den Schatten
der Berge entgegen. Wyatt Earp schwenkte nach Süden. Seine
Gedanken waren bereits in San Manuel, einer Spielerstadt vom
Rufe Tombstones. Glenn Morgan würde schon auf ihn warten.
Nur einen Augenblick verschwendete Earp einen Gedanken
an Tombstone. Dort durfte er sich wohl nie wieder blicken
lassen, denn Marshal Marley hatte den Ruf eines zähen Jägers,
der nichts unversucht lassen würde, ihn, Wyatt Earp, wegen
Mordes an den Galgen zu bringen.
Als Earp die Zügel lockerte, schwenkte sein Blick nach
Osten. Weit voraus in den Ausläufern des Gebirges ritt Cochise
einer Ungewissen Zukunft entgegen.
»Go on!« rief Earp ungeduldig und kitzelte den Schecken mit
den Sporen, »San Manuel ist unsere Zukunft, denn ich kenne
keine Stadt, in der der Dollar so locker sitzt wie in diesem
Settlement.«
*
Glenn Morgan legte bedächtig die Spielkarten auf den Tisch,
als Marshal Marley und seine beiden Deputys auf müden
Gäulen in Tombstone am Bird-Cage-Theatre vorbeizogen.
Neugierig trat er ans Fenster, von wo aus er erkennen konnte,
daß Marley und seine Leute zum Office ritten.
McLynn, irischer Abstammung, gemein und verschlagen, trat
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grinsend an Morgans Seite. »Ich wette, der Spieler hat ihnen
Paroli geboten, Boß«, sagte er mit hämischem Lachen. »Dieser
Earp ist aus hartem Holz geschnitzt.«
Morgan dachte an die letzte Unterredung mit Earp im Bird-
Cage, ehe Earp nach der Schießerei fliehen mußte, und nickte.
»Er wäre ein brauchbares Mitglied unserer ehrenwerten
Gesellschaft, McLynn. Earp hat einen klaren Kopf, die Nerven
eines Zockers und eine schnelle und sichere Schußhand, um
gefährliche Situationen zu bereinigen. Außerdem ist er ein
vagabundierender Abenteurer wie wir. Sattelt die Pferde, wir
brechen bald auf nach San Manuel.«
Morgan ging am Tisch vorbei, strich sein Geld ein und betrat
die Straße. Sein Weg führte ihn zum Sheriff-Office.
Als er über die Schwelle trat, streifte Marley gerade die
staubigen Stiefel von den Füßen und griff dann nach der
Brandyflasche. Er verzog sauer das Gesicht, als er den Spieler
wahrnahm, der unaufgefordert nähertrat und sich vor dem
Schreibtisch aufbaute.
»Sie wollen sich wohl nach dem Bastard erkundigen,
Morgan?« knurrte der Marshal mißmutig.
Morgan grinste offen in das Stoppelbärtige Gesicht Marleys.
»Ich sehe es Ihnen an, Marshal, wie es Earp geht. Ich wette, er
erfreut sich bester Gesundheit und ist irgendwo auf dem Weg
nach Norden. Ganz im Gegensatz zu Ihren Sternträgern, die
abgekämpft sind, weil ein Wolf seine Krallen zeigte.«
Marley dachte an die lange Jagd auf Earp und an diese
verdammte Arapahoehorde, die seinen Weg kreuzte und für
den Revolverhelden Schicksal spielte.
»Wollen Sie sich über mich lustig machen, Morgan?« grollte
er zornig, »dann haben Sie einen schlechten Tag erwischt.«
»Im Gegenteil, Marshal. Ich wollte mich von Ihnen und Ihrer
schönen Stadt verabschieden. Vielleicht wird Earp mir
irgendwo begegnen und ich kann ihm von Ihnen einen Gruß
bestellen«, sagte Morgan grinsend.
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Marley kniff die Augen zusammen. Er wußte, daß Morgan
und Earp sich in seiner Stadt nahegekommen waren. Er deutete
zur Tür. »Hauen Sie ab, Morgan, und lassen Sie sich nie wieder
in Tombstone blicken.«
»Verbieten Sie mir die Stadt, Marshal?«
»Nein, dazu fehlt mir die Handhabe. Aber einen guten Rat
gebe ich Ihnen. Es gehen Gerüchte in dieser Stadt um, daß Ihr
Glück nicht gepachtet ist. Man sagt, Sie helfen den Karten ein
wenig nach. Das wäre schon ein Grund, Sie eine Weile
einzubuchten. Und noch ein Rat, Morgan«, Marshal Marley
legte die Beine auf den Tisch und nahm einen tiefen Schluck
aus der Flasche, »reiten Sie nicht nach Norden. Dort oben braut
sich was zusammen. Cheyenne und Arapahoes laufen durch
Apachenland, als hätten sie es gepachtet. Longdales Station
haben streunende Bastarde niedergebrannt, die Besatzung
skalpiert. Überall stehen Rauchzeichen auf den Berghöhen, die
wenig Gutes verheißen. Es riecht nach einem Aufstand unter
den Roten, oder einen Krieg gegen das Militär und die
Siedler.«
Morgan hatte die Tür fast erreicht. Er stützte sich mit der
Linken am Türpfosten und blickte erstaunt zu dem Sprecher
hinüber. »Ihre Warnung klingt recht freundlich, Marshal. Sie
mögen mich wohl?«
»Ja, Morgan, wie die Blattern«, antwortete Marley bitter. Der
Spieler zog lachend davon. Vor dem Vogelkäfig-Theatre stand
McLynn.
»Wo sind die Pferde, McLynn?« fragte Morgan.
Lynn deutete zum Mietstall auf der anderen Straße. »Dieses
rothäutige Schlitzauge ist wieder da. Du weißt, wen ich
meine.«
»Tatsa-min?« Morgan kniff die Augen zusammen, während
sein Blick McLynns ausgestrecktem Arm folgte. »Jage ihn zum
Teufel, McLynn. Wir haben keine Gewehre zu verkaufen.
Nicht mal einen Vorderlader. Und schon gar nicht an eine
20
Rothaut.«
Der bärtige McLynn griff nun nachdenklich zum Kinn. Er
schien noch was loswerden zu wollen. »Tatsa-min faselte was
von Gold, mit dem sein Häuptling bezahlen wollte. Von einer
Mine.«
»Jede Rothaut hat eine Mine.« Morgan lachte trocken auf,
»die er für eine Handvoll Karabiner verkaufen möchte. Wir
reiten nach San Manuel und reißen unsere eigene Mine auf.«
Morgan hielt ein Kartenpäckchen in der Faust. »Das ist unser
Kapital.«
Er trat auf die Straße, als McLynn ihm nachrief: »Sie soll in
den Chiricahua Mountains liegen. An einem Seitenarm des
Bavispe.«
Ruckartig blieb Morgan stehen. Sein Kopf flog herum, und
seine Augenlider verengten sich. Er dachte an die vielen
Geschichten, die über den Bavispe im Umlauf waren. Es sollte
ein Goldland sein, in dem die Nuggets im ausgetrockneten
Flußbett lagen wie billige Kiesel. Legende und Wahrheit lagen
sehr nahe zusammen, denn es sollte Männer gegeben haben,
die dort Gold gefunden hatten. Aber sie hatten kein Glück,
denn der Bavispe und seine trockenen Nebenflüsse lagen im
Gebiet der Apachen an der Grenze von New Mexico und
Chiricahua.
»Das Anson City Gold?« fragte er lauernd.
McLynn zuckte mit den Achseln. »Tatsa-min ist nicht sehr
gesprächig.«
»Komm«, sagte Morgan entschlossen, überquerte die Straße
und betrat den Stall. McLynn aber blieb an der Tür stehen.
Der Caddo stand im Schatten einer Box, nahe seines
Mustangs. Ein kräftiger, junger Bursche, den Morgan noch aus
dem texanischen Grenzland kannte. Trotz des Dämmerlichtes
sah er den roten Fleck auf dem Widerrist des Gauls, und als er
ihn näher in Augenschein nahm, erkannte er in ihm den
blutigen Abdruck einer Hand.
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»Was soll das Theater, Tatsa-min?« fragte er und deutete auf
die Hinterhand des struppigen Mustangs.
Tatsa-min warf stolz den Kopf in den Nacken. »Es ist das
Zeichen der Wichita-Caddo-Allianz. Unsere Stämme haben
sich verbrüdert, um die schleichende Pest des Geistertanz-
Kultes zu bekämpfen.«
»Und wer sind diese Geistertänzer?« fragte Morgan lauernd.
»Sie reden vom Frieden des roten Mannes, dem Abzug der
weißen Siedler und den Pferdesoldaten, und von der
Wiedergeburt der Toten. Sie sind Schwächlinge, die wir
bekämpfen werden, weil ihre Worte unsere Götter verhöhnen.«
Der Spieler trat einen Schritt näher. Er sah Tapper, der beim
Sattelholm stand und McLynn, der wachsam am Eingang
lauerte. Er traute keinem Indianer.
»Wenn ihr genügend Gold habt, könnt ihr auch Waffen
kaufen.«
Tatsa-min schüttelte traurig den Kopf. »Kein Händler wird
uns Waffen verkaufen. Das Gesetz verbietet den Weißen, dem
roten Mann ein Gewehr zu verkaufen.«
»Und warum glaubt dein Jefe, ich würde ihm Waffen
liefern?«
Tatsa-min schob die Hand über den Pferderücken. Er sah
Morgan mit offenen Augen an. »Häuptling Guadalupe weiß es.
Dein Gewissen ist groß wie die Llanos Estacados. Deine
Gedanken sind schwarz wie das Dunkel der Unterwelt. Du bist
ein Mann, der Reichtum und Glück sucht, selbst wenn er durch
ein Meer von Blut waten müßte.«
Morgan riß verblüfft den Mund auf, ehe er zu grinsen
begann. »Mit anderen Worten, Tatsa-min, dein Häuptling hält
mich für ein verkommenes Subjekt.«
»So ist es.« Tatsa-min nickte. »Du und deine Freunde haben
den Jefe am großen Fluß schon einmal mit Waffen versorgt
und ihn betrogen, weil die Gewehre alt und das Pulver
unbrauchbar war. Häuptling Guadalupe hat dir verziehen, aber
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du wirst unseren Stämmen neue Waffen besorgen, und er wird
dich nicht betrügen. Das ist seine Botschaft.«
»Du meinst, er führt uns zur Goldader am Bavispe?«
»Er zahlt mit der Karte der Derroteros. Und dies ist der
Beweis, daß der Jefe nicht mit gespaltener Zunge spricht.«
Morgan fühlte einen groben faustgroßen Stein in der Faust,
den die Rothaut ihm zugesteckt hatte.
Er trat aus dem Schatten der Box in den Mittelgang und hielt
ihn ins Licht. Flacher Lichteinfall berührte den Stein, und
Morgan erkannte, daß es pures Gold war, das er in der Faust
hielt.
Derroteros, fuhr es durch seinen Sinn und ein Zug von Gier
trat in sein Gesicht, die Karte der spanischen Abenteurer. Sie
allein führte zum Eldorado des Glücks.
»Wie kann ich dem Chief berichten, Weißauge?« fragte nun
Tatsa-min.
Morgan atmete schwer. Er grinste McLynn an, der neugierig
nähergetreten war.
»Er bekommt die Gewehre, Tatsa-min. Dreißig Hinterlader
und zweihundert Schuß Munition.«
»Fünfzig Schnellfeuergewehre und tausend Schuß«,
erwiderte die Rothaut ruhig. »Das ist sein Preis.«
»Fünfzig Henry-Rifles?« McLynn fuhr erschreckt
zusammen.
»Halt's Maul«, knurrte Morgan grob. »Er bekommt fünfzig
Henrys. In einem Monat. Wo werde ich eurem Jefe
begegnen?«
»Er wird es dich wissen lassen. Sowie die Zeit gekommen
ist«, wich der Rote aus.
Tatsa-min führte seinen Mustang aus der Box, schwang sich
auf den Rücken und ritt an den Männern vorbei durch das Tor.
»Fünfzig Henry-Rifles gibt's in ganz Arizona nicht«, fluchte
McLynn los. »Wo willst du sie hernehmen?«
Morgan wog den Goldnugget in der Faust. Er lächelte
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überlegen. »In Yuma gibt es einen Mann, einen alten
Pferdedieb und Waffenschmuggler. Sam Allister kennt die
dunklen Kanäle, die zu den Waffen führen.«
Nun grinste auch McLynn. »Sam Allister hat noch dreißig
Jahre zu brummen und wenn er rauskommt, ist er ein
aufgebrauchter uralter Mann, den das Ungeziefer im Kerker
und die harte Arbeit in den Steinbrüchen zermürbt haben.«
»Dann werden wir der Zeit ein wenig nachhelfen, McLynn.«
Morgan deutete zu den Boxen. »Sattle die Pferde, wir reiten
nach Yuma.«
*
Victorio, Chato, Nana und Ulzana waren Cochises Ruf gefolgt
und zur Bergapacheria des Häuptlings geeilt. Rauchzeichen
hatten sie gerufen und Rauchzeichen, die über die steilen
Berghänge wehten, kündigten auch Chiricahuas und Locos
Kommen an.
Cochise war in Sorge, denn auf dem Weg über den
Apachenpaß war ihm ein gewaltiger Konvoi mit Planwagen
von Siedlern begegnet, und aus einem Gespräch, das er
belauschen konnte, erfuhr der Jefe, daß weitere Trecks
unterwegs nach Arizona waren.
Aber diese Tatsache allein war es nicht, die Cochises
Gedanken verdunkelten. Im Apachenland ritten Cheyennen,
wenn auch friedlich. Wichitas und Caddos. Von Naiche,
seinem Sohn, der vor einer Woche nach Osten geritten war, um
einen Vetter zu besuchen, erfuhr er von der
Geistertanzbewegung und ihrem Ursprung, der bis zur Küste
führte, und einer Gegenströmung, die sich Allianz nannte.
Wichita-Caddo-Allianz.
Zwischen ihnen und der friedlichen Bewegung der
Geistertänzer sollte es bei den Sioux, den erbittertsten Feinden
der Apachen, zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen
24
sein. Chihuahua und Loco kamen am Nachmittag. Trotz
zunehmender Dunkelheit berief Cochise den Rat der
Häuptlinge und den Rat der Alten des Dorfes ein.
Mit ernsten Worten berichtete er von seiner Begegnung mit
dem Cheyennehäuptling Wania-taka und dem ausführlichen
Gespräch über das Orakel. Er sprach bald von den weißen
Siedlertrecks, die immer stärker ins Apachenland einfielen und
schließlich berichtete er, was Naiche in Erfahrung bringen
konnte.
Cochise sah die leuchtenden Augen der Alten, die noch die
freie Jagdzeit in der Mesa und die gewaltigen Büffelherden
kannten, deren zottige Felle die Erde bedeckten, daß kein
Grashalm erkennbar war.
Aber er sah auch die ablehnende Haltung der jüngeren
Generation.
Victorio, der Wolf unter den Mimbrenjos, war erregt
aufgesprungen. Stolz blickte er über den Versammlungsplatz
hinweg, ehe er sich an Cochise wandte, der schweigend und
abwartend auf seiner Decke saß.
»Cheyenne, Arapahoes, Wichitas und Caddos tummeln sich
auf dem Apachenland, als wären es ihre Weidegründe. Ihre
Feuer leuchten nachts von den Bergen und am Tage geben sie
Rauchzeichen. Es wird nicht lange dauern, bis Caddos und
Wichitas über die Cheyenne herfallen, und ich stelle die Frage,
wann greifen sie Apachensiedlungen an?«
Finsteres Gemurmel ging um die Runde.
»Unsere Ahnen haben die Zunis einst von hier vertrieben, um
uns eine Zukunft zu geben. How. Wir sollten die Krieger
unserer Stämme vereinen und diese Steppenwölfe über den Rio
Grande jagen«, fuhr der Mimbrenjohäuptling heftig fort. »Das
eine wie das andere bedeutet nichts Gutes. Es wird uns Leid
und Unglück bringen.«
Jeder in der Runde wußte, daß Victorio von der
gegensätzlichen Bewegung sprach.
25
Und Loco sagte: »Eine Wiederkehr aus dem Reich der Toten
halte ich für ausgeschlossen, denn wie sagt unser Glaube?«
Locos Augen blitzten fast jungenhaft. »Erst jenseits unserer
Tage liegt das wahre Glück eines Apachen. Weshalb also sollte
jemand dieses Glück verlassen wollen, um auf diese traurige
Erde zurückzukehren?«
Victorio bekundete durch heftiges Kopfnicken seine
Zustimmung zu Locos Worten. »Das Ganze ist das Gaukelspiel
eines Verrückten«, rief er lautstark in die Nacht. »Und die, die
es beenden wollen, sind von der gleichen Bosheit befallen wie
die anderen. Tod unseren Feinden!« Victorio streckte die
geballte Hand hoch in den Himmel.
»Tod den Wichitas und Caddos«, rief Ulzana. »Meine
Krieger werden an der Spitze reiten, wenn wir diese Kojoten in
ihr Land zurückjagen. Es ist schon genug Unheil, wenn
Pferdesoldaten über unsere Zukunft bestimmen und helläugige
Siedler unser Land stehlen.« Hochaufgerichtet und stolz wie
ein edler Apache stand Ulzana am Feuer, und die lodernden
Flammen warfen ihren Schatten über seine Gestalt.
Cochise spürte die aufkeimende Unruhe unter den
Stammesfürsten. »Wir wollen keine unüberlegten Schritte tun,
Brüder«, warnte er. »Cheyenne und Arapahoes haben mich wie
Freunde bewirtet. Mit ihnen läßt sich reden. Und über das
Treiben der Wichitas und Caddos, wie auch über die
zunehmend starke Besiedlung unseres Landes, will ich mit dem
Falken reden.«
»Der Falke ist Soldat«, rief Loco heftig.
»Er tut, was der weiße Häuptling der Pferdesoldaten ihm
befiehlt«, schloß Victorio sich dem Protest Locos an, »ja, er
schützt diese Landräuber, die unsere Familien betrügen, indem
sie mit Feuerwasser das Land unserer Brüder kaufen.«
»Der Falke ist ein gerechter Mann.« Cochise stand auf.
Stumm und herausfordernd musterte er Victorio, von dem er
wußte, daß er ein Rebell war. Jähzornig und verschlagen.
26
Victorio sah die kalte Herausforderung in Cochises Augen.
Er fürchtete den Jefe nicht, aber er würde niemals mit ihm um
sein Leben kämpfen.
»Wir wollen in den Stunden der Not nicht einander
verfeinden, Chief«, sagte er nachgebend und setzte sich auf die
Decke nieder. »Rufe John Haggerty, den Falken, aber ich sage
dir, er kann weder dir noch unserem Volke helfen.«
»Wir wollen nicht die Hoffnung verlieren.« Cochise ließ
über seinen Vorschlag abstimmen, und als man ihm zustimmte,
wandte er sich an seinen Sohn. »Naiche«, sagte er ruhig, »ich
brauche einen zuverlässigen Boten, der den Weg zum Falken
findet.«
Naiche, das jüngere Ebenbild seines Vaters, verstand seine
Worte.
Er nickte lächelnd. »Ich werde in die Zeltstadt in der Wüste
reiten und den Falken in unsere Bergfestung bitten.«
Cochise sah das angespannte Gesicht Victorios, in dem eine
gewisse Verschlagenheit stand, und es erinnerte ihn an Old
Vics Auseinandersetzung mit John Haggerty am brennenden
Mormonendorf in der Gila, wo der Mimbrenjo eine
fürchterliche Abreibung bezog.
Um seine Lippen zog ein kluges Lächeln. »Ort und Zeit der
Begegnung werde ich später bestimmen, denn ich halte es nicht
für ratsam, daß der Falke unsere Apacheria betritt.«
»Du mißtraust dem Falken?« triumphierte der Mimbrenjo
auf.
»Nein«, erwiderte der Jefe klar, »der Falke hat schon einige
Male bewiesen, daß er ein Freund der Apachen ist. Aber
warum soll ich ihn mit fremdem Wissen belasten, wenn es
nicht nötig ist?« Cochise hob die Hände zum Feuer, was für
seinen Sohn ein Zeichen war, daß er die Versammlung
verlassen durfte.
Bis tief in die Nacht sprachen die Häuptlinge und die Alten
des Dorfes über Zukunft und Vergangenheit der Apachen und
27
es kam zu hitzigen Gesprächen.
*
Nach einem langen und anstrengenden Ritt erreichte die kleine
Gruppe Yuma. McLynn, der sich in der Gegend auskannte,
führte seine Freunde auf einen Steilhang, von wo aus die Stadt
und auch die Kerkeranlage erkennbar waren.
McLynn deutete grinsend in die Tiefe. »Das ist das
Zuchthaus von Yuma. Es ist so sicher wie ein Panzersafe. Nur
wen sie rauslassen wollen, der kommt heraus. Sam Allister
wird dort dreißig Jahre modern.«
Glenn Morgan saß schweigend auf seinem Gaul und
beobachtete durch das Fernrohr die flachen Bauten aus
gebrannten Ziegeln und die dahinterliegenden Steinbrüche,
deren Berüchtigkeit selbst in Texas bekannt war.
Als er das Glas absetzte, wandte er sich grinsend an McLynn.
»Wenn wir von außen nicht rankommen, dann von innen. Du
hast schon einmal in Yuma gesessen und kennst die Anlage.«
McLynn fuhr im Sattel hoch und betrachtete den Sprecher
mit entsetzten Augen.
»Hat die Sonne dein Gehirn ausgetrocknet, Boß? Oder willst
du nicht begreifen? Niemand kommt mit Gewalt aus diesem
Kerker, denn die Guards sind die übelsten Zeitgenossen der
Geschichte. Radikal und brutal. Wenn nur einer ein Wort sagt,
schlagen sie ihn zusammen. Sie haben ihr eigenes System, den
Menschen kirre zu machen. Verdammt, ich habe nur ein Jahr in
Yuma verbracht. Aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor.«
Morgan hörte sich das Gejammer an, ehe er seinen Gaul über
den Kahlschlag lenkte.
Er dachte an Guadalupes verlockendes Angebot und an den
einzigen Mann, der ihnen die Waffen besorgen konnte.
»Wir brauchen Verbindung zu Allister«, bestimmte Glenn
Morgan, als sie an den Palisaden des Forts vorbei in die
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Ortschaft ritten. »Du übernimmst den Job, McLynn, und setzt
dein Gottvertrauen auf Tapper und mich, die dich und Allister
holen werden.«
Damit war Morgans Entscheidung gefallen, und schon am
Nachmittag begann er gewissenhaft seine Vorbereitungen zu
treffen. Morgan wußte, daß viel auf dem Spiel stand, denn
wenn seine Pläne, Allister zur Flucht zu verhelfen, gelangen,
würde es die große Hetzjagd geben.
Im Mietstall kaufte er einen Gaul für Allister. Er wählte
einen breitbrüstigen Mustang, der für eine schnelle Flucht
geeignet schien. Später führte sein Weg zum Drugstore. Er gab
sich als Prospektor aus, kaufte eine Kiste Sprengpatronen und
das nötige Zubehör, und traf sich kurz vor Sonnenaufgang mit
seinen Kumpanen, um den weiteren Verlauf der Aktion
durchzusprechen.
Als McLynn kurze Zeit später mit gemischten Gefühlen die
Straße hoch an den massiven Mauern des Zuchthauses
entlangging, war ihm weiß Gott nicht wohl zumute, denn er
kannte die brutalen Wächter aus Yuma und ihre Prinzipien.
Sie werden nicht zimperlich sein, dachte er, trat auf den
Posten zu, der das Tor bewachte, und begann ihn zu
provozieren.
Glenn Morgan und Tapper beobachteten das Spiel aus
respektvoller Entfernung. Sie sahen, daß McLynn gewalttätig
wurde und einige muskulöse Burschen durch das offene
Seitentor stürmten und McLynn mit Schlagstöcken
niederknüppelten.
»Hoffentlich steht McLynn morgen wieder auf den Beinen«,
sagte Tapper grinsend, als die Guards den bewußtlosen Mann
in den Hof schleppten.
»McLynn ist zäh wie ein altes Stück Büffelleder. Weit
wichtiger ist es, daß er Allister trifft, und sie beide zur rechten
Zeit an der rechten Stelle sind«, erwiderte der Spieler ruhig und
kehrte in die Kneipe zurück.
29
Es stand viel auf dem Spiel. Glenn Morgan wußte es.
*
Wie ein Schatten, den die Nacht verdeckte, glitt Naiche durch
die Bodenwelle den hellen Zelten entgegen, die, im weiten
Karree geordnet, den großen Platz umstanden, auf dessen Mitte
ein großes Feuer brannte.
Ein langer Weg lag hinter ihm. Der beschwerliche Abstieg
aus den Bergen, der Gluthauch, der aus dem Gila-Desert wehte.
Die Einsamkeit der Mesa.
Er war Reiterkolonnen begegnet. Eine Patrouille
Langmesser, die das Land kontrollierten, und einem gewaltigen
Wagenzug, der sich westwärts durchs Apachenland bewegte.
Einmal sah er einen Reiter auf einer mächtigen
Schimmelstute, die im undurchsichtigen Gelände des Big Heart
untertauchte. Es war ein Kriegshäuptling der Caddos.
Naiche hatte die Schmuckhaube erkannt, die er trug, und
sicher wäre er dem Krieger gefolgt, hätte ihn der Vater nicht
mit einer wichtigeren Mission betraut.
Nun, nach vielen harten Tagesritten, stand er am Ziel. Der
Zeltstadt des Häuptlings der Pferdesoldaten.
Noch nie war er ihnen so nah, und noch nie hatte er sie in
dieser Größenordnung gesehen, denn trotz der Dunkelheit
erkannte Naiche die Vielzahl der Zelte und die Männer, die
dort lebten, und Naiche dachte, daß sie in ihrer Größe
zahlenmäßig den Chiricahuas und den Mimbrenjos ebenbürtig
waren, wenn nicht sogar überlegen.
Naiche brauchte nicht besonders vorsichtig zu sein, denn der
Lärm, der am Feuer herrschte, schluckte jedes fremde
Geräusch. Verächtlich verzog der junge Häuptling die Lippen,
wenn er an die Sitten des weißen und des roten Volkes dachte.
Naiche erreichte die äußere Begrenzung der Zeltstadt,
schlüpfte durch den natürlich gewachsenen Wall wilder
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Chapparells und verharrte eine Weile im Schatten eines
Gesträuchs, als in der Nähe Stiefelschritte eines Postens
aufhallten, der langsam näherkam. Naiches Hand fuhr zum
Jagdmesser. Er war nicht sicher, wie sich ein Weißauge
verhalten würde, wenn er unvermutet einem Apachen
gegenüberstand.
Die Schritte zogen an Naiche vorbei und verhallten in der
Nacht. Er richtete sich nun vorsichtig auf und faßte das größere
Zelt ins Auge. Der Falke war für ihn ein wichtiger Mann und
sicher hatte er auch hier seine Bedeutung, daß man ihm, wie
seinem Vater Cochise, den größten Jacale überließ.
Licht flackerte auf dem straffen Leinen der Zelte, als Naiche
aus dem Schatten des Strauchwerks trat, nur eine Sekunde
zögerte, und dann mit federnden Schritten auf das Großzelt
zuhetzte.
Irgendwer mußte ihn entdeckt haben, denn ein heller Ruf
forderte Naiche auf, stehenzubleiben. Als er dennoch
weitereilte; schoß der Rufer seinen Karabiner ab. Naiche hörte
das häßliche Heulen des Geschosses am Ohr.
Gleich darauf brüllte eine befehlsgewohnte Stimme lautstark:
»Überfall! Brämens, geben Sie Signal. Indianer sind ins Lager
eingefallen.«
Noch einmal fiel ein einzelner Schuß. Die Rundkugel
durchschlug das Großzelt, dessen Ausgangsluke aufgestoßen
wurde.
Verschlafen, vom Lärm erschreckt, nur spärlich bekleidet,
wollte General Howard ins Freie treten, als Naiche ihn
ansprang und ins Zelt zurückdrängte.
Das Licht der Lampe war zurückgeschraubt, so daß im
Dämmerlicht nur schwache Konturen erkennbar waren.
Dennoch sah Howard den blitzenden Dolch in der Faust des
Roten, der ungestüm näherdrängte, als draußen Befehle
aufhallten.
»Wo Falke?« zischte Naiche im nächsten Augenblick. Sein
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sehniger Arm schnellte vor, die Spitze des Dolches stieß
zwischen Howards offenstehende Feldbluse. »Den Falken
rufen«, forderte Naiche noch einmal.
Der Lärm draußen war bedrohlich nahegekommen. Trotz der
Dunkelheit glaubte General Howard diese Rothaut schon
einmal gesehen zu haben. Seine stolze, aufrechte Haltung,
seine Kühnheit erinnerten ihn an einen großen Apachen, den er
kannte, und unbewußt antwortete er: »Schickt dich der
Häuptling der Apachen, um den Falken in sein Dorf zu rufen?«
Ehe Naiche antworten konnte, schallte von draußen die
Stimme eines Soldaten herein: »Sir, ist Ihr Leben in Gefahr?«
Howard lächelte schwach, als er spürte, daß der Druck der
Dolchspitze sich vom Brustkorb löste.
»Nein, Tanner«, rief der General laut, um den Major zu
beruhigen, daß keine Gefahr für seine Person bestand. »Die
Rothaut ist der Sohn Cochises. Er ist ins Lager eingedrungen,
um John Haggerty zu sprechen. Holen Sie den Scout in mein
Zelt, Mr. Tanner. Ihre Begleiter sollen sich zum Lagerplatz
zurückziehen.«
Naiche lauschte mißtrauisch den sich entfernenden Schritten.
General Howard schraubte den Docht der Lampe höher. Die
Schatten flohen aus dem letzten Winkel des Zeltes. General
Howard erkannte den Apachen.
Auch Naiche schien den Offizier erkannt zu haben, der schon
einmal an der Seite seines Vaters gesessen und mit ihm einen
Vertrag ausgehandelt hatte, der längst gebrochen war.
»Du Häuptling Einarm«, sagte Naiche ruhig. Er schob seinen
Dolch in den Gurt zurück und blickte erwartungsvoll zum
Zeltausgang. Draußen hallten Schritte auf, die rasch
näherkamen. »Du großer Häuptling der Langmesser…«
Howard lächelte, denn er wußte, daß Langmesser der Name
seiner berittenen Einheiten war, die nach ihren
Kavalleriesäbeln benannt wurden.
Er nickte. »Ich bin der Häuptling dieser Soldaten hier und ein
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Freund Cochises.«
Naiche reckte stolz den Kopf in die Höhe. »Nur einem
Weißauge vertraut Cochise. Dem Falken…«
Die Zeltplane wurde zurückgeschlagen. Groß und kräftig,
mit federnden Schritten trat Howards Chiefscout über die
Schwelle.
Naiches Augen blitzten im Widerspiel des Lichtes, als er den
Mann erkannte, er dachte an ihre letzte Begegnung in der
Apacheria in den Dragoon Mountains als ein
Waffenschmuggler ihn als Geisel gefangenhielt, und der Falke
ihn unter Einsatz seines Lebens befreite.
Ihre Blicke berührten sich, und John Haggerty sah Naiches
Lächeln, das ihm zeigte, daß der Häuptlingssohn in friedlicher
Absicht die Zeltgarnison betreten hatte.
John grüßte lässig. »Es muß etwas Wichtiges sein, wenn
Cochise seinen Sohn mit der Mission betraut, Sir. Hat er Ihnen
bereits etwas erzählt?«
»Die Botschaft des Chiefs ist nur für das Ohr des Falken
bestimmt«, sagte Naiche.
Doch Haggerty deutete lächelnd auf den Offizier. »Er ist der
Häuptling der Blauröcke. Ihm liegt das Wohl der
Apachenstämme genauso wie mir am Herzen. Cochise weiß,
daß General Howard seine Freundschaft sucht, um einen Weg
zum Frieden zwischen Apachen und Weißaugen zu finden.
Also berichte, was der Jefe für eine Botschaft sendet.«
Naiche schwieg. John sah Trotz und Mißtrauen in seinen
dunklen Augen, und Howard, dem dies ebenfalls nicht
entgangen war, hob gelassen die Schultern. »Vielleicht ist es
besser, ich lasse euch beide vorab allein«, sagte er und wollte
zum Ausgang gehen.
Da erzählte Naiche: »Cochise, mein Vater, hat Sorgen, Falke.
Er braucht deinen Rat und deine Hilfe. Es sind fremde Stämme
im Apachenland. Cheyenne, Arapahoes, die von Frieden
sprechen. Wichitas und Caddos, deren Rauchsignale den Tod
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bedeuten. Es kommen Bleichgesichter auf hohen Wagen in
unser Land, die unsere Familien vertreiben und Besitz von
unserem Land ergreifen. Mein Vater braucht deinen Rat, Falke,
denn er weiß nicht, sind es die Cheyenne, die den
Auferstehungstanz loben oder die Caddos, die diese Bewegung
niederwerfen und Unfrieden unter den Apachenstämmen
verbreiten, denen er trauen kann. Deshalb braucht er deine
Hilfe.«
John Haggerty wechselte einen kurzen Blick mit dem
General. Sie beide wußten aus Berichten zurückkehrender
Indianerscouts von dieser Geistertanzbewegung, die
inzwischen Arizona erreicht hatte. Aber eine Gruppe, die sich
dieser Glaubensbewegung entgegenstellte, war ihnen
unbekannt.
John Haggerty spürte, daß hier eine Gefahr heraufwuchs, die
den Frieden im Lande gefährden konnte.
»Wo will der große Häuptling, dein Vater, mit mir sprechen,
Naiche?« wollte er wissen.
Naiche trat näher. Er blickte über Haggertys Schulter, und
John erkannte, daß der Häuptlingssohn dem General noch
immer nicht traute. »Ich werde dich führen und sicher zu
meinem Vater bringen.«
»In eure Bergfestung?«
»Zum zerstörten Kloster Santa Elfrida«, antwortete Naiche
leise.
John kannte das Kloster. Es lag tief im Süden, verborgen in
den Swisshelm Mountains. Eine Ruine, die seit vielen Jahren
verlassen war.
John blickte zu General Howard hinüber, der die letzten
Worte vernommen hatte. Er sah dessen zustimmendes Nicken.
»Na gut, Naiche«, sagte er deshalb entschlossen, »ich werde
zu den Klosterruinen reiten und mit deinem Vater sprechen.
Aber ich reite allein.«
In Naiches Augen trat Unmut. Er war jung und zu schnellem
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Aufbegehren bereit. Aber seine Stimme klang ruhig, als er
antwortete: »Es ist ein gefährlicher Weg, Falke. Caddos und
Wichitas haben ihre Haut mit Blut gefärbt und schmücken mit
dieser Farbe auch ihre Mustangs. Sie werden deine Weiße Haut
nicht schonen, wenn du ihren Weg kreuzt.«
»Eine Gefahr, die man kennt, bedeutet keine Gefahr mehr,
Naiche. Es ist ein Wort deines Vaters.« John lächelte. »Das
weise Wort eines klugen Mannes. Nun reite nach Hause,
Naiche, und halte deine Krieger bereit. Vielleicht werden wir
bald eure Hilfe brauchen.« John ging zum Ausgang und stieß
die Plane zurück.
Er sah ein halbes Dutzend Uniformierter in der Nähe, die
ihre Waffen schußbereit im Anschlag hielten. Sie schienen dem
nächtlichen Boten nicht zu trauen.
»How, Naiche«, sagte Haggerty, »ich werde dich zu deinem
Mustang begleiten.«
*
Eine Feuergarbe fuhr mit gewaltiger Explosion in den
sinkenden Tag und verdunkelte den Himmel. Noch ehe das
Echo verhallte, sprengten aus den nahen Manzanitas zwei
verwegene Reiter, die Handpferde mitführten, der
Explosionsstelle entgegen. Rücksichtslos trieben sie die Tiere
durch das stachlige Gesträuch, und als am Eingang des
Zuchthauses einige Wachen herausstürzten, eröffneten sie das
Feuer.
Morgan wußte, die nächsten Minuten würden das
Unternehmen entscheiden, denn wenn der Überraschungseffekt
abgeklungen war, hatten McLynn und Allister keine Chance,
aus diesem Kerker zu entkommen.
Einer der Uniformierten fiel steif in den Sand. »Haltet mir
die Kerle vom Hals«, schrie Morgan, griff nach Tappers
Handpferd und jagte auf die entstandene Lücke in der
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Steinmauer zu.
Der Wind hatte die Explosionswolke vertrieben. Aus dem
klaffenden Loch krochen zwei Männer in zerrissenen
Leinenanzügen, schwenkten winkend die Arme und eilten dann
dem Reiter entgegen, der die Pferde führte.
Tapper hatte seinen Karabiner verschossen und feuerte nun
mit dem Revolver.
Morgan war heran. Er grinste in McLynns verbeulte Visage,
die die Visitenkarte der Guards trug, und warf ihm wortlos die
Zügel zu.
Sam Allister tauchte neben Morgan auf, und der Spieler sah
das faltige Gesicht mit den tiefliegenden Augen, das nur
entfernt an Sam Allister erinnerte, so wie er ihn gekannt hatte.
Yuma hatte ihn bereits gezeichnet.
»Schwing dich auf den Mustang«, rief Glenn und zog seinen
Gaul herum. Er trieb ihn den Hügel hoch zu den Manzanita-
Sträuchern.
Noch ehe er den schützenden Strauchgürtel erreichte, fielen
von der Mauer her Schüsse. Die Geschosse flogen wie
Hornissen um ihre Ohren. Fast gleichzeitig knirschten die
mächtigen Torflügel des Zuchthauses, und, begleitet von
belferndem Hundegeplärr, sprengte eine Reitergruppe aus dem
Schatten des Mauerwerks.
Die Guards von Yuma!
»Sie sind flink wie die Windhunde«, fluchte Tapper, der
seitlich den Hang hochtrabte und während des Rittes schon den
leergeschossenen Colt auflud.
»Bastarde, gemein und brutal«, lispelte McLynn mit
blutunterlaufenem Gesicht. Er hielt sich an Morgans
Pferdeschwanz und dachte zornig an die vergangenen
vierundzwanzig Stunden in den Mauern des Zuchthauses.
Der rauhe Busch nahm sie auf. Das Gewehrfeuer war
verstummt. Nur das metallische Hämmern von Pferdehufen
und das Gebell abgerichteter Schweißhunde erinnerte an die
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tödliche Gefahr, die sie umgab.
Morgan, der Tappers Flüchen und McLynns Wutausbruch
erlebte, wandte sich an Allister, der schweigsam an seiner
Flanke ritt.
»Keinen Kommentar?« fragte er, und als Allister den Kopf
hob und in seinen Augen eine stumme Frage auftauchte, fügte
Morgan hinzu: »Über das Leben in Yuma.«
Allister verzog das Gesicht, und seine Lippen wurden schmal
wie zwei dünne Linien. »Die Hölle«, brach es dann aus ihm
heraus. »Sie nehmen dir dort deine Seele, und ich habe erlebt,
daß sie harte Burschen in einem Monat so weich machten, daß
sie ihnen aus der Hand fraßen. Sie brechen jeden Widerstand.
Mit Fäusten, Knüppeln und ihren scharfen Kötern.«
Morgan lauschte dem Gekläff der Bluthunde, während er
einen Weg aus dem Distelgesträuch suchte.
»Und wie lange hast du ihrer Willkür widerstanden?«
»Keinen Tag, Glenn.« Allister lachte hohl. »Ich war nicht so
blöd, den Helden zu spielen. Aber sie gaben dennoch keine
Ruhe. Du kannst dir den Grund denken.«
»Die Repetiergewehre.« Morgan dachte an vergangene
Zeiten, als er, Allister und ein paar Freunde mit Caddos und
auch Mexikanern Geschäfte machten.
Allister nickte, während er den Mustang zu einer schnelleren
Gangart bewegte.
»Einmal im Monat kamen Abgesandte der Regierung. Sie
wollten die Waffen, und sie wollten vor allem wissen, wer sie
uns geliefert hatte. Sie wußten von meinen Geschäften mit dem
Rio-Grande-Indianer und mexikanischen Rebellen. Sie waren
über alles aus meinem Leben informiert.« Er grinste plötzlich.
»Nur wußten sie nicht, woher die Karabiner kamen und wo sie
lagerten.«
»Sie haben Angst, daß die Schnellfeuergewehre in falsche
Hände fallen.«
Morgan grinste. Sie ritten die Steilhänge hoch, die zur
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Hochebene führten. »Hundert Henry-Rifles in den Händen der
Wilden könnten zu einem Aufstand führen. Die Regierung
weiß die Gefahr richtig einzuschätzen.«
Allister schwieg.
Ihr Weg führte in die Dunkelheit, und sie erkannten bald, daß
die Verfolger wie Bluthunde auf ihrer Fährte saßen und sich
nicht abschütteln ließen.
Am Morgen waren die Pferde von der schnellen Gangart
stark erschöpft, so daß Morgan eine kurze Rast bestimmte. Sie
stießen auf eine Quelle, die, aus dem Fels kommend, nach
wenigen Schritten im Fels auch wieder verschwand. Ein
glücklicher Umstand, der Morgans Gedanken anregte.
»Ihre Gäule werden fertig sein wie die unseren«, sagte er
nach einem kühlen Schluck Quellwasser, der die Lebensgeister
weckte. »Die Verfolger brauchen dieses Wasser hier und
werden jede Möglichkeit suchen, hier herauszukommen. Einer
von uns muß sie eine Weile aufhalten, damit unser Vorsprung
größer wird. Es sind zwei Tage bis zur Grenze, und einige
weitere Tage brauchen wir, um Sams Versteck zu erreichen.
Sam Allister ist unser wichtigster Mann. McLynn hat seinen
Anteil gegeben.« Der Sprecher grinste in McLynns
zerschlagenes Gesicht, ehe er sich an Tapper wandte.
»Die Wahl fällt auf einen von uns. Da ich der Boß bin und
die Verhandlungen mit den Caddos führe, bleibst eigentlich nur
du, den ich noch mit dieser wichtigen Aufgabe betrauen kann.«
John Tapper dachte an die scharfen Guards aus Yuma mit
ihren auf Menschen abgerichteten Hundebestien. Ein kalter
Schauer zog über seinen Rücken. Mißtrauen schlich sich ein.
»Willst du mich für die Sache opfern, Glenn?« fragte er
lauernd.
Doch Morgan winkte verächtlich ab. »Schieße ihre Köter
zusammen, John, dann haben wir das Spiel gewonnen.« Er
reichte Tapper seine Henry und lächelte. »Ich trenne mich von
meinem besten Stück, John. Du siehst also, daß ich es ehrlich
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meine. Wir treffen uns am Bougers Ground im Switch Aron
Basin.«
Tapper griff wortlos nach dem Karabiner.
Allister und McLynn saßen bereits im Sattel, als Morgan zu
seinem Pferd trat. Er winkte Tapper noch einmal zu, ehe er sich
in den Sattel zog und den anderen ein Zeichen gab.
»Er wird es nicht überleben«, meinte Sam Allister, als sie
dem Talkessel folgten, der tiefer in die Bergwelt führte.
»Tapper ist zäh«, erwiderte Morgan grinsend, »er hängt an
seinem Leben.«
Aus der Tiefe fielen in schneller Reihenfolge Schüsse, deren
Echo durch den Arroyo zog.
Morgan trieb sein Pferd zu einer schnelleren Gangart an.
»Sie sind näher als ich dachte«, rief er über die Schulter, und
nichts in seinem Pokerface verriet, was ihn bewegte.
*
Earp sah den drahtigen Burschen mit den krummen
Reiterbeinen und wußte sofort, der Kerl wollte was von ihm.
Am frühen Morgen, als er den San Pedro River durchquert
hatte, und die einzige Straße hinaufritt, die San Manuel von Ost
nach West durchschnitt, war ihm der Mann aufgefallen.
Nicht wegen seiner Größe oder den Krummbeinen, die er in
hochhackigen Röhrenstiefeln trug. Nein, es waren die beiden
großkalibrigen Revolver, die tief auf den Schenkeln saßen.
Ein Protzer, so hatte Earp gedacht, als er an dem Mann
vorbeigeritten war, einer von jener Sorte, die großspurig zwei
Revolver trugen und wohl damit nur dürftig umgehen konnten.
Am Mittag, als er San Manuels Kneipen nach Glenn Morgan
abklapperte, sah er ihn noch einmal aus der Ferne im Schatten
des Drugstores stehen.
Und nun stand er ihm acht Yards entfernt in einem Saloon
gegenüber. Unbewußt revidierte Wyatt Earp seine
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ursprüngliche Meinung von dem Burschen. Nur selten hatte er
solch harte, kalte Augen gesehen, in denen ein spöttisches
Feuer funkelte. Unwillkürlich glitt sein Blick an dem Mann
abwärts. Er trug ein doppelt geknöpftes schwarzes Hemd, wie
man es in Texas trug. Ein breiter Leibgurt mit
silberdollarbeschlagenen Riemen hielt seine Halfter. Die
Kolben seiner Waffen waren abgegriffen und deuteten klar
darauf hin, daß der Fremde sie oft benutzte. Earp bemerkte die
tiefen Kerben in den Coltschalen. Grabsteinen gleich, die an
irgendwelche Toten erinnerten, die ihm über den Weg gelaufen
waren.
Earp wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, auf
denen ein bitterer Geschmack lag. Er grub in seinen
Erinnerungen, denn irgendwann war er dem Fremden schon
einmal begegnet.
»Was willst du von mir?« fragte Earp schließlich
unfreundlich.
Der Fremde grinste und blieb auf Distanz.
»Du bist doch dieser Earp«, antwortete der Tex schließlich
im langgezogenen Texanerslang, »den der Marshal aus
Tombstone gejagt hat.« Er wippte mit dem Kopf und fügte wie
im Selbstgespräch hinzu: »Marley ist ein schlechter Jäger.«
»Das beantwortet nicht meine Frage«, rief Wyatt ungeduldig.
Er sah das Blitzen in den Augen des anderen Mannes, als seine
Rechte den Gurt berührte. »Sage, was du von mir willst, oder
verschwinde.«
Es waren nur wenige Gäste im Saloon. Sie saßen am
Farotisch oder beim Black Jack und hatten keinen Blick für die
Umgebung. Zwei junge Burschen, wohl Cowboys irgendeiner
Farm, stiegen Arm in Arm mit kichernden Mädchen die
Hühnerleiter hoch, die ins Obergeschoß führte.
Der Fremde trat nun einen Schritt vorwärts. Vielleicht war es
seine Schußdistanz, vielleicht auch Zufall.
»Ich habe nichts gegen dich persönlich, Earp. Aber
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Tombstone hat eine Prämie auf deinen Kopf gesetzt.
Zweihundert Dollar. Tot oder lebendig. Ich will sie mir
verdienen.«
Das klang so einfach, daß Earp erschrak. Und plötzlich
wurde ihm klar, wo er dem Mann schon einmal begegnet war.
Vor einigen Wochen war er in Tombstone eingezogen. Mit
einem Handpferd, über dessen Rücken ein Toter lag.
Ein Kopfgeldjäger. Einer jener üblen Sorte, die von der Not
anderer Menschen lebten. Ein kalter, erbarmungsloser Killer,
der das Leben nach dem Preis einschätzte. Es war das erste
Mal, daß Wyatt Earp einem solchen Mann gegenüberstand.
»Es ist kein Zufall, daß wir uns hier begegnen?« fragte Wyatt
zögernd. Er registrierte jede Bewegung des Fremden und war
bereit, den Revolvern die Entscheidung zu überlassen.
Der dürre Kopf wackelte auf dem mageren Hals. »Ich warte
seit zwei Wochen auf dich, denn ich wußte, ein Mann wie
Drew Marley ist dir unterlegen. Du findest eine Gelegenheit,
der Posse zu entwischen.«
»Und wie kommst du auf San Manuel?«
Der Fremde lachte eiskalt. »Glenn Morgan hat es erzählt.«
Zum zweitenmal erschrak Wyatt Earp. Morgan war der
Mann, mit dem er in diesem Drecksnest ein Geschäft aufbauen
wollte. Wie oft hatte er vom Glück und klingender Münze
geträumt. Von einem unschlagbaren Duett mit dem
Kartenkünstler Morgan. Hier sah er keinen Sinn in der
Begegnung mit diesem Killer.
»Hat Morgan dich geschickt?«
Wieder lachte der fremde Mann, während er etwas mit dem
Kopf wackelte.
»Er hat es nicht mir erzählt, sondern seinen Freunden. Ich
habe es im Saloon aufgeschnappt. Also, Earp, du hast die
Wahl. In Tombstone den Strick oder hier eine Kugel.«
Das war die Herausforderung.
»Keinen dritten Weg?«
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»Jeder Mensch hat seine Prinzipien.«
Die Hände des Kopfgeldjägers lagen nun zwei Zoll über den
Revolverschalen, aber Earp wußte, daß der Mann nur mit einer
Hand schießen würde, weil es einfacher und sicherer war.
»Wie wäre es dir am liebsten?«
»Wenn wir es hier austrügen, Earp. Weißt du«, sein Blick
wurde verschlagen, »nach Tombstone sind es einige Tagesritte.
Mit einem Toten im Sattel reitet es sich besser. Ich könnte in
den Nächten schlafen und brauchte nicht darauf zu lauern, daß
du mir fliehst.«
»Du hältst nicht viel von einem Menschenleben«, Earp
schürzte verächtlich die Lippen. Es war nicht das erste Mal,
daß ihn jemand forderte. Er dachte an den verrückten Spieler in
Tombstone, dessentwegen der dortige Marshal ihn jagte, und
nichts von Notwehr hielt, aber zum erstenmal war es ein
professioneller Killer, der vom Töten lebte.
Earps Lippen wurden schmal, sein Blick hart. Wieder einmal
stand er vor einem Meilenstein des Lebens.
Unmerklich veränderte Wyatt seine Haltung. Er stand nun
breitbeinig und leicht auf den Fußballen, bereit, sein Leben zu
verteidigen.
»Ist Morgan noch in Tombstone?« fragte er knapp.
»Er hat vor mir die Stadt verlassen.«
»Aber er ist nie in San Manuel angekommen.«
»So sieht es aus. Hast du sonst noch Fragen?« Der
Kopfgeldjäger bewegte die Finger wie ein Klavierspieler, um
ihre Geschmeidigkeit zu prüfen.
»Ja«, erwiderte Earp. »Sage deinen Namen. Es muß doch
etwas auf deinem Kreuz stehen, wenn du auf dem Stiefelhügel
liegst.«
Der Fremde blähte seine dürren Backentaschen. »Was
bedeutet ein Name. Soviel wie der Schall, der verweht.« Noch
während er sprach fuhr die linke Hand geschmeidig über die
Schalen seines Revolvers. Wie ein Blitz zuckte die Waffe
42
hoch. Aus der Mündung fächerte eine Flamme.
Earp spürte das heiße Blei, als es seinen Stetson durchschlug
und dicht über seine Schädeldecke fuhr. Noch ehe der Fremde
zum zweiten Schuß kam, warf er sich blitzschnell nieder, rollte
mit katzenhaften Bewegungen um die Achse und schoß.
Dumpf und hohl lag der Schuß unter der niederen Decke des
Saloons.
Die Spieler am Faro- und Black Jack-Tisch sprangen
erschreckt auf die Beine. Sie sahen einen Mann am Boden
liegen und den Dürren mit dem rauchenden Colt in der Faust.
Und nun, da sein Körper taumelnd in Bewegung kam,
entdeckten sie auch die kreisrunde Öffnung in seiner Stirn.
Earp sprang auf die Beine, als sein Gegner zu Boden fiel.
Seine Faust hielt den rauchenden Colt umklammert. Mit
wachem Lauern beobachtete er die Männer, die ihn feindlich
ansahen.
Hinter ihm klang die dunkle Stimme des Bartenders auf.
»Der Dürre hat zuerst gezogen«, rief der Barmann und deutete
auf den Toten. »Er wollte dem Fremden ans Leder. Das kann
ich vor dem Sheriff beschwören.«
Da beruhigten sich die Männer und setzten sich an den
Tischen nieder.
Tobby, der Barmann, rief zwei Gehilfen aus dem
Nebenzimmer. »Bringt ihn zum Sargmacher«, bestimmte er,
»die Kosten für sein Begräbnis hat er an den Gurt
geschmiedet.« Und zu Earp gewandt fügte er hinzu: »Trinken
Sie Ihr Bier aus, Fremder, und klemmen Sie sich Ihren Pinto
zwischen die Beine. Wenn unser Sheriff in die Stadt kommt,
wird er Ihnen einige peinliche Fragen stellen.«
Earp nickte und warf einen Dollar auf den Tresen. In San
Manuel hielt ihn nichts. Vielleicht würde er nach Tombstone
reiten, um zu erkunden, weshalb Morgan ihre Verabredung
nicht eingehalten hatte.
Earp trat aus dem Saloon auf die Straße. Auf der anderen
43
Seite schleppten die Clerks den Toten, von dem er nicht einmal
den Namen wußte, in einen Schuppen. Es gab viele Narren auf
der Welt, der dort war einer von ihnen.
Earp ritt die Straße hoch, die zur Furt des San Pedro Rivers
führte. Irgendwo dort draußen in dem hitzeflimmernden Glast
des Tages, begannen die Gila Deserts. Apachenland. Und für
einen Augenblick streiften Earps Gedanken den großen
Häuptling der Chiricahuas.
*
Naiche folgte der dunklen Rauchfahne, die fast senkrecht in
den windstillen Tag stieg. Vor einer Stunde, als er den
richtigen Weg durch die Mesa gesucht hatte, war ihm gewesen,
als habe er kurzes, heftiges Gewehrfeuer vernommen, dann
hatte er die Rauchfahne entdeckt.
Sein Herz war von Unruhe gefüllt. Er wußte, daß fremde
Stämme ihr Land durchstreiften und jedes Vergehen an
Weißaugen den Apachenmännern zugeschoben wurde, und
konsequente Folgen durch Soldaten hatte.
Naiche trieb sein Pony in schneller Gangart durch das
wellige Hügelland, und je näher er seinem Ziel kam, um so
bewußter wurde ihm, daß dort, wo die Rauchwolke stand, die
Overlandstraße lag, die, vom Apachenpaß führend, Tucson
streifte.
Die Sonne stand senkrecht über der Mesa, daß selbst die
mächtigen Riesenkandelaber, die ihre Arme in den Himmel
streckten, keinen Schatten warfen.
Nach etwa zwei Meilen stieß er auf eine Fährte. Er glitt von
seinem Pony. Der lose Sand verwischte die Abdrücke.
Dennoch erkannte Naiche, daß es sich um unbeschlagene
Pferde handelte, die hier vor einiger Zeit vorbeigezogen waren.
Ihre Fährte führte direkt zwischen die Hügel.
Naiche schwang sich erneut auf den Rücken seines Ponys
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und trieb das Tier an.
Nur noch ein dünner Rauchfaden stieg in den Himmel.
Naiche schwenkte nach Osten und umritt ein mächtiges
Distelfeld, das den direkten Weg zum Ziel versperrte. Und nun
erreichte er die flache Kuppe eines Hügels, von wo aus der
Blick ins Tal frei war.
Ein brauner Streifen durchschnitt das weite Feld der Mesa.
Die Überlandstraße. Keine zweihundert Yard entfernt erkannte
er die niedergetrampelten Trümmer einer Überlandkutsche,
und als er sich vorsichtig näherte, sah er drei Tote am Rande
des Trümmerfeldes liegen. Vermutlich der Kutscher, sein
Begleitmann und ein Passagier.
Vergebens hielt Naiche nach den Zugpferden Ausschau.
Aber er erkannte eine tiefe Spur, die zwischen zwei flachen
Hügeln auslief.
Naiche stieg vom Pferd und ließ dem Tier freien Lauf. Er
war wachsam und voller Mißtrauen, als er sich den Toten
näherte. Verstreut umher lagen Kisten und Kasten und aus
einer erbrochenen Kiste schillerten im Sonnenlicht buntfarbene
Geldscheine und blanke Goldstücke, die bei den Angreifern
wenig Beachtung gefunden hatten.
Die Männer lagen dicht beieinander mit verrenkten Gliedern,
nahe dem ausgebrannten Gefährt. Ein halbes Dutzend
kurzschaftige Kriegspfeile hatten ihre Körper durchbohrt.
Naiche erkannte, daß er hier nicht mehr helfen konnte.
Haß und tiefer Groll stiegen in Naiche auf, denn er wußte,
diesen Überfall würde man den Apachen anhängen und erneut
würden Pferdesoldaten ihre Familien jagen.
Naiche dachte an den Vertrag, den sein Vater Cochise mit
dem einarmigen Häuptling geschlossen hatte, in dem er sein
Wort verpfändete, Postkutschen unbehelligt durch sein Land
ziehen zu lassen. Bald würde es heißen, der Chief spräche mit
der gespaltenen Zunge einer Viper.
Der junge Häuptlingssohn richtete sich auf. Aus den flachen
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Hügeln sprengten zwei Reiter. Sie ritten auf ungesattelten
Pferden und trugen aschfarbene Musselinhemden. Unbewußt
fuhr seine Hand zum Gurt, wo sein Schlagbeil steckte.
Er pfiff sein Pony heran und erfaßte die gefiederte
Kriegslanze.
Zwei Gegner fürchtete er nicht. Seine Augen blitzten, als er
Caddokrieger erkannte.
Doch nun sah er eine Bewegung seitlich im Collasfeld. Eine
zweite Reitergruppe kam aus dem Dickicht, und eine dritte
tauchte bei den Hügeln im Süden auf.
Er zählte zwölf Reiter, die schnell näherritten, und dabei
ausscherten, um einen Ring zu bilden. Es waren also noch
mehr dieser räuberischen Caddos in dieser Gegend, als er an
den Spuren hatte lesen können.
Ihre Absichten waren unverkennbar und zwangen Naiche
zum Handeln. Er schwang sich auf sein Pony, erfaßte die Zügel
und schwenkte in die offene Ebene.
Fern im Dunstschleier der Hitzeglocke standen die
Chiricahua Mountains. Zu weit, um sie in einem Tage zu
erreichen.
Seine weichen Mokassinstiefel stießen in die Flanke des
Ponys, und während er das Zügelband lockerte, umspannte
seine Faust die Lanze.
Tödliche Entschlossenheit zeichnete sein Antlitz, als er den
Reitern entgegensprengte, deren helles Geheul die Stille der
Landschaft aufriß.
Kampfgewandt und mutig, an seinen Vater erinnernd, ging er
die Reiter an.
Er sprengte in vollem Galopp auf seine Gegner zu, und seine
Lanze durchbohrte die Brust eines Caddo. Die Lanze
entschlüpfte seiner Faust, als der Mann von der Wucht des
Anpralls vom Pferd geschleudert wurde. Aber Naiches Hand
fuhr bereits zum Gurt. Die Sonne funkelte auf der Breitseite
der gefährlichen Waffe, als sein Tomahawk auf den nächsten
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Gegner niederfuhr und eine fürchterliche Wunde schlug.
Zorniges Geheul war die Antwort auf seine mutige Attacke.
Der Kreis engte sich ein. Flach auf den Rücken ihrer
struppigen Mustangs liegend, stürmten sie den Gegner an, der,
sein Pony im Kreise drehend, seinerseits mit hellem
Kriegsgeschrei antwortete.
Zwei bellende Abschüsse übertönten das Getümmel. Naiche
spürte die Rundkugel, die seinen Hüftgurt streifte und wußte
nun, daß dieses räuberische Gesindel von Caddos sich der
Waffen bedienten, die sie bei der Postkutsche erbeutet hatten.
Er änderte seine Taktik, trieb die Hacken in die Flanken des
Ponys und durchbrach mit wilden Galoppsprüngen seines
Pferdes den Ring seiner Feinde.
Auf dem Hügel tauchte eine weitere Reitergruppe auf, die
seinen Fluchtweg abriegelten und ihn ins offene Gilaland
drängten.
Naiche zählte nun fast zwanzig Gegner, die wie eine gierige
Meute Bluthunde auf seiner Fährte saßen, um ihn zu Tode zu
hetzen.
Zu viele, um sich ihrer zu erwehren.
*
Schuß um Schuß jagte John Tapper aus dem Lauf des
Gewehres. Er sah die anrennenden Schatten der auf Menschen
abgerichteten Hunde, hörte ihr heiseres Gebell und feuerte
kaltblütig auf jede Bewegung zwischen Mesquites und
Wacholderstauden. Drei der Bestien hatte er bald erwischt, eine
vierte strich durch das filzige Gesträuch.
Aus der Tiefe der Schlucht schallten wütende Befehle, die
wohl den Männern galten, die in respektvoller Entfernung von
Tappers Rifle von den Pferden abgestiegen waren und
Deckung suchten.
Tapper schoß auch in diese Richtung, obwohl er wenig
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Hoffnung hatte, einen der Verfolger zu treffen. Er dachte an
seine Kumpane, die inzwischen sicher den Paßweg erreicht
hatten, und er fragte sich, ob sich das alles lohnte.
Er kroch zwischen Büschen und Sträuchern den Hang hoch
zum schmalen Arroyo, wo er sein Pferd zurückgelassen hatte,
als er in der Nähe den hechelnden Atem der Bestie hörte, die
das Tohuwabohu überstanden hatte. Im nächsten Augenblick
flog ein langgestreckter grauer Schatten auf ihn zu.
Tapper hechtete zur Seite, um dem Angriff zu entgehen.
Doch im gleichen Augenblick prallte die Bestie mit ihm
zusammen. Er spürte einen heftigen Schmerz, als sich die
gewaltigen Fangzähne in seine Schulter gruben. Instinktiv ließ
Tapper den Karabiner fahren. Seine freie Rechte schnellte zur
Kehle der Bestie und die Linke fuhr zum Hüftgurt, wo sein
Bowie steckte. Seine rechte Hand verkrallte sich verzweifelt in
den feuchten Lefzen des Hundes, um weitere Angriffe zu
verhindern. Mit einiger Mühe erwischte Tapper das schwere
Messer, und unter Aufbietung aller Kraftreserven stieß er die
Klinge mehrmals ins Fell der Bestie.
Gemeinsam rollten sie ins dichte Gesträuch. Tapper spürte
bald, daß die Kräfte des Hundes nachließen. Seine Hand lag
nun tief im Kiefer des Hundes, so daß er nicht mehr zubeißen
konnte. In dem Moment, als er sich lösen konnte, rammte er
dem Hund die Breitklinge in die Kehle.
Noch während er taumelnd, keuchend nach Atem ringend,
auf die Beine kam, fielen in der Tiefe einige Schüsse.
Die Bißwunde schmerzte, aber die Gefahr ließ ihn den
Schmerz vergessen. Tapper hob den Karabiner auf und lief in
geduckter Haltung weiter. Nun, da die Bestien tot waren, sah er
einen Hoffnungsschimmer, den Häschern zu entkommen, denn
ohne ihre Fährtensucher würde es den Guards schwerfallen, auf
hartem Fels seine Spur zu entdecken.
Tapper erreichte die Höhe, suchte nach einer passenden
Auflage für sein Gewehr und jagte zielstrebig ein halbes
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Dutzend Kugeln aus dem Lauf.
Erst nun wandte er sich seinem Pferd zu und schwang in den
Sattel. Von weither kam das enttäuschte Geschrei der
Verfolger, die Tappers Flucht bemerkten.
Schüsse fielen. Ihr Echo rollte durch den Arroyo. Kugeln
prallten auf die harten Steilwände und fuhren schrill heulend
als Querschläger davon, ohne daß sie Tapper ernstlich
gefährden konnten.
Tappers Herz frohlockte, und seine Gedanken beschäftigten
sich mit der Gegenwart, die ihm nun ihre positive Seite zeigte.
Aber sein Jubel kam zu früh.
Er ritt zwar bis tief in die Nacht durch die Berge, doch als er
am nächsten Tag einen breiten Talkessel durchquerte, sah er
die Verfolger wieder, die kaum drei Meilen entfernt auf seiner
Fährte klebten.
»Bastarde, verdammte«, fluchte Tapper und beschleunigte
die Gangart seines Gaules.
Seine Lage hatte sich also um keinen Deut gebessert. Sein
Blick ging nach Westen.
Über einen flachen Bergrücken schob sich das buschige Grün
eines Organosfeldes, aus dem drohend, wie aufgereckte Arme,
die mächtigen Auswüchse von Riesenkandelabern ragten.
Dahinter reckte sich, im flammenden Lichtspiel der Sonne
rotfunkelnd, ein Bergrücken.
Irgendwo dort mußte Arizona liegen.
Aber Tapper bezweifelte, daß seine Verfolger eine Grenze
aufhalten konnte, denn der Eifer, den sie bisher an den Tag
gelegt hatten, ließ erkennen, daß sie ihre Aufgabe sehr ernst
nahmen.
Weiter. Tapper beruhigte seinen erschöpften Gaul, als
unvermutet zwischen Stein und Geröll eine Klapperschlange
hochschnellte und zornig ihre Rasseln betätigte.
Nach einer Stunde erkannte Tapper, der immer wieder den
Weg zurückblickte, daß seine Verfolger aufgeschlossen hatten.
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Keine zwei Meilen mehr trennten sie voneinander. Tapper
ahnte, daß sie ihn noch vor Sonnenaufgang erreichen würden.
Aber er war bereit, seine Haut so teuer wie möglich zu
verkaufen.
Er war nun direkt vor dem Kakteenfeld und erkannte mit
Schrecken, daß der Bewuchs so dicht war, daß kein
Durchschlupf möglich war.
Wie eine feindliche Welt stand ihm der wildwuchernde
Urwuchs der Natur gegenüber.
Tapper schwenkte nach Süden, hoffte, auf irgendeine Lücke
zu stoßen, die ihn aufnehmen konnte. Die Verfolger, die dies
erkannten, schwenkten ihre Pferde und verkürzten den Winkel.
Sie waren nun keine Meile mehr von ihm entfernt.
Schon wollte Tapper aufgeben und sich seinen vier Gegnern
stellen, als er einen schmalen, dornenreichen Pfad entdeckte,
der ins Gesträuch führte. Für einen Augenblick zügelte er den
Gaul.
Da klang aus dem Grün eine bekannte Stimme:
»Gib mir meinen Karabiner, John, und reite weiter«, rief
Glenn Morgan und gab sich durch ein Handzeichen zu
erkennen. »Wir übernehmen diese Zuchthausgeier.«
Als Tapper den Blick senkte, erkannte er seinen alten Freund
Morgan, McLynn und Sam Allister, die halb in der Erde
vergraben unter blühenden Yuccastauden lagen.
Der Spieler reckte ihm den Arm entgegen.
Tapper erinnerte sich daran, daß er Glenns Henry hatte. Er
löste die Waffe vom Sattelhorn und ließ sie einfach fallen.
Nur einen Augenblick zögerte Tapper, ehe er den erschöpften
Pinto ins wuchernde Grün trieb. Als er nun, in sicherer
Deckung harrend, aus dem Sattel glitt, hörte er die heftigen
Detonationen der Abschüsse, und im Unterbewußtsein spürte
John Tapper, daß eine lange Jagd zu Ende war.
Die Auseinandersetzung dauerte nur wenige Minuten. Als
Glenn Morgan am Lager auftauchte, das sie sich im
50
Kakteenhain eingerichtet hatten, sah Tapper an Morgans
Grinsen, daß er zufrieden war.
»Alles klar?« fragte John Tapper.
»Sie sind im Himmel, hm, meinetwegen auch in der Hölle.
Allister und McLynn sammeln ihre Gäule ein. Wir werden mit
ihnen die Waffen transportieren.«
»Und die Toten?« fragte Tapper. Er beugte sich über den
klaren Wassertümpel einer Quelle, die hier im Verborgenen
sprießte. Er sah Morgans Spiegelbild und seinen hochgereckten
Arm.
»Die Natur hat ihre eigenen Gesetze, John. Die Totengräber
sind schon unterwegs.«
Als Tapper den Kopf hob, sah er zwei große Greifvögel, die
mit mächtigen Flügelschlägen das Organosfeld umkreisten.
*
Cochise wartete mit der angeborenen Geduld eines Apachen
auf Naiches Nachricht, die ihm Gewißheit bringen sollte, daß
der Falke sein Verhandlungsangebot angenommen hatte.
Er zählte die Tage an den Nächten, und es waren bald zwei
Wochen vergangen, daß Naiche die Apacheria verlassen hatte.
Zugleich aber meldeten seine Späher fremde Bewegungen in
der offenen Mesa.
Wichitas und Caddos schienen im heftigen Streit mit
Cheyenne und Arapahoes zu leben, denn seine ausgesandten
Krieger berichteten von blutigen Auseinandersetzungen
zwischen diesen Stämmen, deren Ausmaß das Department
veranlaßt haben sollte, Militär aus Fort Buchanan, aus Fort
Bowie und Fort Apache in Bewegung zu setzen, um diesem
blutigen Glaubenskrieg ein Ende zu bereiten.
So wie Wania-taka, der Häuptling der Cheyenne,
vorausgesagt hatte, berichteten auch seine Krieger von
Friedensbewegungen der Nordoststämme, ihrem
51
Glaubensbekenntnis, der zum Geisterkult und somit zur
friedlichen Auseinandersetzung ihrer Völker führen sollte, und
ihren schärfsten Gegnern, die sich »Leg die Hände in mein
Blut« nannte, ihre Kleidung mit brandroter Farbe beschmierten
und das Fell ihrer Pferde mit einem blutigen Handabdruck
zeichneten.
»Die Caddos fallen wie Heuschreckenschwärme über unsere
befreundeten Stämme her«, erzählte Snawe-wich, ein
Apachenkrieger, am Feuer den Dorfältesten, die Cochise
schnell zusammengerufen hatte. »Sie töten mit grausamer Lust
alle jene Brüder, die sich zum Frieden bekennen und von der
Wiedergeburt sprechen.«
Cochise erkannte an Snawe-wichs Aussage die Dringlichkeit
einer Begegnung mit dem weißen Scout. Er fragte Snawe-wich
nach seinem Sohn Naiche.
Aber Snawe-wich und seine drei Krieger, die ihn während
des Streifzuges durch die offene Mesa begleitet hatten, wußten
über Naiches Verbleib nichts zu berichten.
Cochise erhob sich schließlich. Die lodernde Glut der
Flammen umschloß seinen Körper. Er hob nachdenklich den
Kopf, und seine Gedanken flohen in die Nacht.
»Es füllt mich mit Sorge«, sagte er nach langem Schweigen,
und sein Blick streifte die greisen Alten des Rates, »daß
Caddos und Wichitas Apachenland zu ihrem Schlachtfeld
wählen. Ich will noch zwei Nächte auf die Rückkehr meines
Sohnes warten, dann aber zum alten Kloster Santa Elfrida
reiten, und die Lage der Dinge mit dem Falken besprechen. Ich
hoffe, der Falke hat inzwischen meine Botschaft erhalten.«
Kein Wort kam über Cochises Lippen, das seine Sorge über
das Verschwinden seines Sohnes zum Ausdruck brachte. Aber
Loco, der bei Cochises Familie als Gast weilte, sah die Trauer
in den Augen des Jefe.
»Cochise hat Sorgen um seinen Sohn. Naiche bleibt der
Apacheria zu lange fern, obwohl er die Wichtigkeit seiner
52
Botschaft kennt. Er wird seine Gründe haben, Chief. Es ist
nicht leicht, ins Lager der Pferdesoldaten einzudringen.
Vielleicht reitet der Falke im Auftrag seines Häuptlings auch
durch die Berge.«
»Naiche kommt bestimmt zurück, Häuptling«, sagte Snawe-
wich.
Vielleicht wollen mir die Götter eine Prüfung auferlegen,
dachte Cochise, während er sich erhob und schweigend in die
Dunkelheit schritt.
Sein Weg führte ihn zu Tla-ina, die als unverheiratete
Schwester ihren Platz im Häuptlingszelt hatte. Vielerlei
Gerüche berührten Cochise, als er die Zeltdecke zurückschlug.
Tla-ina saß nahe des Feuers und kochte bunte Herbstkräuter,
die an den Steilhängen der Berge wuchsen, zu einem Sud.
Cochise wußte um ihre Kunst, aus diesen Kräutern Salben und
Säfte zu fertigen, die für vielerart von Wunden nutzbar waren.
Sie lächelte ihm schweigend entgegen, als er sich auf der
Felldecke niederließ und zur Pfeife griff. Umständlich füllte er
den fast faustgroßen Kopf aus hartem Wurzelholz mit Kinikik,
schmauchte daran einige Züge und wandte sich dann an seine
Schwester.
»Ich werde bald den Falken treffen«, sagte er ruhig und
schien zufrieden, als Tla-ina leicht errötete. Er wußte von ihren
Gefühlen zu dem weißen Mann und dessen Zuneigung zu Tla-
ina, und mit der List und der Schläue, die dem Apachen
angeboren, fügte er hinzu: »Es ist lange her, daß Tla-ina den
Falken mit freundlichen Worten und klopfendem Herzen
begrüßt hat.«
Ein Schatten von Trauer drang in ihre großen
ausdrucksvollen Augen. »Seit der letzte Schnee verging und
die Chiricahuas ihre Apacheria tiefer in die Berge verlegten,
hat der Falke den Weg verloren, der in unser Dorf führt«,
erwiderte Tla-ina ruhig. »Denn sicher hätte in dieser Zeit seine
Fährte das Lager der Chiricahuas gestreift. Doch warum
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erwähnst du das, Cochise? Möchtest du, daß ich dich
begleite?«
Cochise lächelte. »Meine Gedanken bleiben dir nicht
verborgen, Tla-ina.«
»Deine Gedanken haben noch einen zweiten, Bruder, die der
weiße Mann einen Hintergedanken nennt. Wohin führt er?«
Tla-ina nahm eine Schale mit gemahlenen Kräutern, die sie in
den dampfenden Kessel kippte.
Tausendart Wohlgerüche verdrängten den scharfen Duft des
Hartriegels, der Cochises Pfeife entströmte.
»Ich bin in Sorge und brauche den Rat des Falken. Es
geschehen Dinge im Apachenland, die zu einer Gefahr
heranwachsen. Stämme aus dem Osten durchziehen
Apachenland und hinterlassen eine blutige Spur. Wenn der
Falke nicht auf meine Worte hört, vielleicht dann den Worten
Tla-inas. Sein Volk und das unsere suchen seit vielen Monden
einen Weg zum Frieden. Er könnte gefährdet sein durch das
Treiben der Wichitas und der Caddos, und den einarmigen
General im Lager der Pferdesoldaten veranlassen, weitere
Soldaten bei seinem großen Häuptling in Washington
anzufordern.«
Tla-ina hatte sich erhoben. Sie war schlank und grazil in
ihren Bewegungen und trug ein langes Musselinkleid mit
bunten Stickereien. »Du meinst, die Worte Tla-inas könnten
den Falken mehr überzeugen als die Worte des großen
Häuptlings Cochise?«
»Sein Herz ist mit deinem Herzen verbunden.«
»Sein Herz schlägt für jeden unserer Stammesbrüder. Du
weißt, wie der Falke für den Frieden unserer Völker kämpft. Es
soll Leute in seinem Stamm geben, die ihn einen Verräter
nennen, weil er sich oft auf die Seite der Apachen stellt.«
»Es gibt immer Menschen, die dem anderen nicht
wohlgesonnen sind«, widersprach Cochise.
»So ist es auch in unseren Stämmen«, antwortete Tla-ina und
54
dachte wohl an Geronimo oder Victorio.
Cochise schwieg eine Weile. Er spürte den Sinn ihrer Worte.
»Du spricht von Victorio?« fragte er dann.
»Von ihm, von Ulzana, von Goghlayeh.«
Cochise nickte. »Geronimo ist jung und unbeherrscht, aber
ein kluger Häuptling.«
»Der die Weißaugen haßt wie die Gelbgesichter aus dem
Süden. Er bringt Unfrieden über unsere Stämme, weil in ihm
die Ungeduld der Jugend lebt.«
»Geronimo wird bald erkennen, daß es einen weit stärkeren
Feind gibt. Sie nennen sich Wichita-Caddo-Allianz oder ›Leg
die Hände in mein Blut‹. Wie wird meine Schwester sich
entscheiden?«
Tla-ina blickte den Sprecher mit ihren großen Augen an.
»Mein Bruder ist in tiefer Sorge um sein Volk. Tla-ina hat sich
bereits entschieden.«
»Dann treffe deine Vorbereitungen. Am Morgen, wenn
Holos ihr Lächeln zeigt, brechen wir auf.«
Cochise schlug den verbrannten Tabak ins Feuer und richtete
sich auf. Er lächelte. »Cochise hat eine kluge Schwester.« Als
Tla-ina schwieg, schlug er die Felldecke zurück und trat in die
Nacht hinaus.
Von Norden her wehte ein kalter Wind. Der Blue Northers,
der die eisige Winterluft von Kanada durch die Rocky
Mountains nach Süden führte.
Es wurde Herbst.
Cochise spürte, daß ihm ein harter Winter folgte.
*
Wyatt Earp hielt das Fernrohr ans Auge und beobachtete die
Staubwolke, die hinter den Hügeln hochwehte, und er hatte
sich die höchste Erhebung gesucht, um die Ursache näher ins
Auge zu fassen.
55
Als er den Standort erreicht hatte, sah er einen einzelnen
Reiter auf scheckigem Gaul, der zwischen den Hängen
hervorpreschte, als säßen ihm tausend Teufel im Nacken.
Eine Rothaut auf der Flucht. Ein Apache, wie Wyatt zu
erkennen glaubte, sicher auf der Flucht vor weißen Siedlern,
die er hatte bestehlen wollen.
Der Reiter sprengte direkt auf den Hügel zu, der Earp als
Standort diente.
Und nun stoben Reiter aus der Talsenke, und Earp hörte ihr
wildes Angriffsgeschrei, das ihm unverständlich erschien, weil
die Verfolger des Roten zur gleichen Rasse gehörten.
Für einen Augenblick zog spöttisches Grinsen über sein
braungebranntes Gesicht.
Nun bekämpfen die Bastarde sich schon untereinander,
dachte er, und drängte seinen Pinto zwischen mächtige
Collasstauden, um die Auseinandersetzung ungestört verfolgen
zu können. Vorsichtshalber zog er seine Henry aus dem
Futteral und spannte den Bügel.
Sicher war sicher…
Einzelne Schüsse fielen, die den stillen Beobachter erkennen
ließen, daß die Verfolger Schußwaffen mitführten.
Der einzelne Reiter hatte den halben Hang erreicht, und Earp
dachte: Verdammt, Junge, suche dir eine andere Richtung, als
der gescheckte Gaul mit den Vorderläufen einbrach und der
Reiter im weiten Bogen aus dem Sattel stürzte.
Wie eine Feder schnellte die Rothaut durch die Luft, landete
mit katzenhafter Geschmeidigkeit auf den Beinen, sprang hoch
und jagte mit Riesenschritten direkt dem Collasgesträuch
entgegen, das Earp als Deckung diente.
Earp hielt noch immer das Glas vor Augen. Seine Gedanken
beschäftigten sich mit Rückzug, denn gegen diese Übermacht
anzukämpfen hielt er für glatten Wahnsinn, als das Sonnenlicht
das Antlitz des Flüchtenden streifte…
Ein junges, gehetztes, schweißnasses Gesicht, das Earp an
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einen großen Mann erinnerte, mit dem er vor einiger Zeit
geritten war.
Cochise, dachte er, und schüttelte im gleichen Augenblick
den Kopf. Der Bursche dort war beweglicher. Seine Schritte
dynamischer, von der federnden Ausdauer eines jungen
Menschen, der trotz der Hetzjagd noch lange nicht am Ende
war.
Unbewußt, gegen seinen Willen, drängte Wyatt Earp seinen
Pinto aus der sicheren Deckung, trieb ihm die Sporen in die
Flanken und sprengte den Hang hinunter, dem jungen Indianer
entgegen, den seine Verfolger fast erreicht hatten.
Earp führte den Pinto mit den Schenkeln. An seiner Schulter
war die Henry, und schnelle Feuerstöße schlugen eine Lücke in
die Angreifer, die sofort seitlich ausschwenkten und am Fuße
des Hügels entlang sprengten.
Earp schob den Karabiner ins Futteral, beugte den
Oberkörper seitlich über den Hals des Pintos und erfaßte die
schleifenden Zügel. Drei Schritte vor der Rothaut brachte er
den Gaul zum Stehen.
Er hörte das zornige Geschrei der Angreifer, die sich aufs
Neue formierten, und streckte dem Mann den Arm entgegen.
»Komm«, rief er fordernd.
Naiche verharrte auf der Stelle. Sein Atem ging schwer vom
schnellen Lauf, in seine dunklen Augen sprang ein Funke von
Mißtrauen. Seine Faust umspannte das Jagdmesser.
Er zögerte…
Sand und Staub wehte vor Naiches Füßen auf. Die Verfolger
schwenkten ihre Pferde und griffen nun von zwei Seiten an.
Wyatt Earp sah die Gefahr. »Dann nicht«, sagte er knapp und
wandte sein Pferd.
Naiche zögerte einen Augenblick. Er suchte eine Antwort auf
die Frage, warum ein Weißauge einem roten Mann helfen
wollte. So etwas kannte er nicht. Doch dann setzte er sich in
Bewegung und schnellte wie eine Feder auf die Hinterhand des
57
Pintos.
Earp spürte den schweißnassen Körper im Rücken, und ihm
war, als presse der Chiricahua ihm die Klinge des Jagdmessers
in die Flanke.
Er trieb dem Pinto die Sporen in die Flanken und griff zum
Scabbard. Er reichte die Henry über die Schulter.
»Kannst du damit umgehen?« Er sah, daß Naiche nickte und
fluchte:
»Dann schieße schon und halte uns das Gesindel vom Hals,
bis wir die Kuppe des Hügels erreicht haben.«
Der Apache begriff sehr schnell.
Earp hörte die berstenden Detonationen und sah, wie zwei
der Angreifer von ihren struppigen Gäulen fielen. Sie waren
auf dreißig Yards heran. Earp sah die reiterlosen Gäule, und
mit einem Reflex nahm er wahr, daß ihre Hinterhand mit dem
blutigen Abdruck einer Hand gezeichnet war. Er zog mit der
freien Linken den Revolver und jagte einige Schüsse aus der
Trommel.
Wieder wichen die Angreifer aus, schwenkten nach Süden
und verschwanden hinter dem Hügel. Die zweite, im Norden
operierende Gruppe, zügelte ihre Pferde. Die heftige
Gegenwehr schien sie zu ernüchtern.
Nun hatten sie die Kuppe erreicht.
Earp drängte den Gaul ins Collasfeld. Als er aus dem Sattel
sprang, kauerte der Apache bereits zwischen den Stauden und
beobachtete die Bewegung am Fuße des Hügels.
Earp warf die Zügel über einen Kandelaberarm und glitt
näher.
»Wer sind sie? Und weshalb wollen sie dir ans Leder? Sie
tragen die gleiche Hautfarbe wie du und haben wohl die
gleichen Sorgen.«
Der Angesprochene wandte den Kopf.
Earp sah die großen dunklen Augen, die ihn an Cochise
erinnerten. Die starken Wangenknochen und den mächtigen
58
Nasensattel. »Du bist ein Chiricahua?« fragte er, »ein Krieger
aus Cochises Familie?«
»Ich bin der Sohn des Chiefs«, erwiderte der andere ruhig.
»Weshalb hilfst du einem roten Mann?«
»Naiche?« Earp erinnerte sich, daß Cochise auf ihrem
gemeinsamen Weg vom Lager der Cheyennen in die Wüste
von seinem Sohn gesprochen hatte. »Ich denke, du bist in eurer
Bergfestung?«
»Wer gab dir diesen Gedanken?« fragte Naiche mißtrauisch.
»Dein Vater.«
»Und wer bist du?«
»Wyatt Earp.«
»How«, Naiche schien überrascht, »Cochise sprach lobende
Worte über deine Tapferkeit. Auch darüber, daß weiße Männer
dich jagen.«
»Ein verrückter Marshal und ein paar noch verrücktere
Deputys.« Earp lachte bissig, als er die Hand ausstreckte.
»Gib mir meine Henry zurück. Wer weiß, wie lange sie noch
mir gehört.« Dabei deutete er zum Fuße des Hanges, wo die
Rothäute sich in breiter Angriffsfront formierten.
Naiche folgte seinem Blick. »Sie werden die Nacht abwarten,
denn sie haben die Feuerkraft deines Gewehres erkannt.«
Naiche reichte nur zögernd Earp die Waffe. »Es ist ein
schnelles Gewehr. Wir brauchen viele dieser Gewehre.«
»Um die Siedler von ihrer Scholle zu vertreiben, oder
Pferdesoldaten anzugreifen? Oder Goldsucher und Jäger zu
erschießen?«
Naiches dunkle Augen berührten ihn. »Ich denke, du bist ein
Freund der Chiricahuas?«
»Ich bin ein Freund Cochises«, revidierte Earp seine Worte.
»Das ist das gleiche«, Naiche schüttelte den Kopf. »Warum
sprichst du solch feindliche Worte?«
»Weil ich die Toten kenne, die auf Apachenfährten liegen.«
»Wir haben einen stärkeren Feind, der in unser Land
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eingebrochen ist. Wichitas und Caddos. Sie bekämpfen den
Frieden, den Cheyenne, Arapahoes und Barawunenas
verkünden. Sie wählen als Schlachtfeld Apachenland…«
Earp erinnerte sich der Unterhaltung Cochises mit Wania-
taka, dem Cheyennehäuptling. »Aber du bist Apache.«
Naiche hob seine kräftigen Schultern. »Apachen und
Cheyenne sind brüderlich verbunden. Es gibt kein Band der
Feindschaft zwischen ihnen und uns.«
Earp schwieg. Aufmerksam beobachtete er den Hang.
»Sie sind verschwunden«, sagte er schließlich.
»Sie sind in unserer Nähe. Die Nacht wird es zeigen«,
antwortete Naiche. Wachsamkeit lag in seinen dunklen Augen.
Jeden Strauch, jede Regung im Vorfeld schien er aufzunehmen.
»Sie sind feige wie die Crows und kämpfen nur in der
Überzahl. Wenn du mir dein Gewehr gibst, zeige ich dir, daß
die Caddos auch wie Kojoten laufen.«
Obwohl in der Wildnis erfahren, entdeckte Earp nichts
Verdächtiges. Er reichte dennoch dem jungen Häuptlingssohn
seine Henry.
Naiche schob wortlos die Waffe über eine Yuccastaude.
Zweimal bellte sie auf.
Zwischen stachligen Manzanitas und kugelrunden
Collaskakteen entstand eine Bewegung. Humpelnd und
schreiend flohen zwei Rothäute den Hang hinunter.
»Du hast scharfe Augen wie ein Adler«, sagte Earp
anerkennend.
Naiche reichte lächelnd die Waffe zurück. »Aber ich
brauchte die Augen eines Bus. Die Nacht wird entscheiden, ob
meine Botschaft Cochise erreicht.«
»Eine wichtige Botschaft?« fragte Wyatt Earp.
Naiche nickte ernst. »Es geht um das Schicksal unserer
Stämme. Denn so wie sich die Botschaft des Friedens
ausbreitet, so überschwemmt der Haß der Caddos unser Land.
Sie bringen den Apachen Tod und Verderben und sehen
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Apachenland als ihre Jagdgründe an. Cochise hat es erkannt
und will mit dem Falken verhandeln.«
»John Haggerty?« Earp horchte auf.
»So nennen ihn die Weißen.«
»Wird Haggerty dem Ruf deines Vaters folgen?«
Naiche zuckte mit den Achseln. »Er ist ein Freund der
Apachen. Er wird zum Treffpunkt kommen. Vielleicht
rechtzeitig, vielleicht zu spät. Still jetzt.« Er wandte den Kopf.
Aus dem sinkenden Tag kam der heulende Ruf eines
Präriefuchses, der sich fortpflanzte und den ganzen Hügel
umstrich.
»Sie haben uns eingeschlossen«, flüsterte Wyatt Earp und
spürte, wie Angst seinen Rücken hochkroch. Fest umspannte er
den Karabiner und dachte darüber nach, wie locker sein Skalp
auf der Kopfhaut saß.
*
Während Cochise seine Vorbereitungen zum Aufbruch traf,
und John Haggerty letzte Instruktionen von General Howard
erhielt, lag Glenn Morgan und seine Bande verborgen in einem
Talkessel der Swisshelm Mountains, keine dreißig Meilen von
Allisters geheimem Waffenarsenal entfernt, und beobachtete
die Geschehnisse, die sich drunten im Tal abspielten.
Aus dem Schatten der Felsen krochen unbemerkt zwei
Dutzend Rothäute, die sich dem großen Lagerfeuer inmitten
der Schluchtsohle näherten, an dem sich wiederum eine
größere Gruppe Rothäute zur Zusammenkunft eingefunden
hatte.
Tanzend, mit grotesken Körperbewegungen, bewegten sie
sich um die lodernden Flammen. Der dumpfe Ton einiger
Baumtrommeln begleitete die Monotonie ihres Gesangs.
Angefeuert von den Rufen ihres Vorbeters, der auf dem
erhöhten Podest eines Felsbrockens stand, formierten sie sich
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in dichter Reihe und tanzten langsam und mit erhobenen
Händen, an ihrem Anam vorüber.
»Was bedeutet der Zirkus?« fragte McLynn mit heiserer
Stimme.
»Es sieht wie ein Ritual aus«, erwiderte Tapper leise.
Glenn Morgan schwieg. Er dachte an die Begegnung mit
Tatsa-min in San Manuel und den vielen Gerüchten, die durch
das Frontierland liefen.
»Geistertänzer«, flüsterte Sam Allister. »Selbst in der
Abgeschiedenheit des Zuchthauses Yuma spricht man von
dieser Bewegung, die den Frieden sucht und inständig hofft,
daß die weißen Eindringlinge bald ihr Land verlassen.«
»Blödsinn«, brummte Tapper, »kein Tanz und kein Gesang
kann unsere Truppen oder die Siedler bewegen, Indianerland
zu verlassen.«
»Wo sind die anderen Indianer?« wollte Lynn wissen.
Fasziniert blickte er in die Tiefe. Die Schatten waren bei den
Zelten verschwunden.
»Eine Gegenbewegung, die zum Kampf auffordert, und allen
Friedensstiftern den Tod ankündigt. Sie nennt sich ›Leg die
Hände in mein Blut‹ oder auch ›Rote Hand‹.«
»Tatsa-min«, entschlüpfte es McLynn.
Sam Allister kroch näher. »Wer ist das?«
»Der Unterhändler von Locking Bear. Er will die Waffen für
seinen Stamm.«
»Mein Gott«, rief Allister erschreckt.
Morgan fluchte. »Haltet eure Schnauzen!«
Die nächsten Augenblicke hielten sie in Atem und
verdrängten selbst Allisters erschreckte Gedanken.
Aus der Tiefe der Schlucht drang trommelnder Wirbelschlag
galoppierender Pferde. Zwischen den Zelten drängten Schatten
hervor und stürzten mit wildem Geheul auf die
Menschengruppe am Feuer zu.
Keulen und Schlagmesser durchfuhren die Luft, erreichten
62
treffsicher ihr Ziel und streckten die Menschen nieder. Lanzen
und Pfeile, von den Reitern geschleudert, durchschlugen ihre
Körper.
Jene, die sich zur Flucht wandten, wurden von den Pferden
niedergetrampelt und von Keulen erschlagen. Nur Minuten
dauerte das grausame Gemetzel, bis auch der letzte Mann
getötet war.
Die nun folgende geisterhafte Stille füllte der Siegesruf der
Angreifer, die über die Toten herfielen und sie massakrierten.
Zelte brannten wie Fackeln, loderten als Siegesfanal gegen den
Himmel und begleiteten den Abzug der Mörder.
McLynn lag wie betäubt auf dem Bauch. Er war ein
abgefeimter, gewissenloser Schurke, den es nicht störte, wenn
jemand ins Jenseits fuhr. Aber dies hier überstieg jegliche
Phantasie.
»Bestien«, murmelte er unablässig. »Bestien.«
Morgan stieß ihm fast heftig die Faust in die Seite. »Nimm
dich endlich zusammen. Es sind Rothäute, die sie massakriert
haben, und keine weißen Siedler. Es ist nur ein Haufen Dreck,
nicht wert, darüber zu jammern. Holt eure Decken und legt
euch auf den Sack. Es ist zu spät für den Abstieg. Aber morgen
müssen wir an ihnen vorbei.«
Morgan betrat die Höhle, wo ihre Pferde untergebracht
waren, und suchte seinen Mantelsack. Er hatte die Nerven
eines Spielers.
In der Nacht schloß keiner von ihnen ein Auge.
McLynn und Tapper dachten an den Weg, der vor ihnen lag,
und Sam Allister hatte einen Platz abseits der anderen
Kumpane unter einem Felsband gefunden.
Am Morgen zogen sie über die schmale Serpentine, die an
der Steilwand des Felsens klebte, talwärts.
Der Kampfplatz wirkte schrecklich. Überall lagen
verstümmelte Menschenleiber herum. Sie zogen wortlos
vorüber. Aber das Bild saß tief in ihrer Erinnerung.
63
Sam Allister hatte lange Zeit über das grausige Geschehen
nachzudenken. Er war verkommen und vergammelt, und
handelte seit Jahren mit Waffen. Aber noch nie hatte er sich
Gedanken darüber gemacht, was mit diesen Waffen geschah.
Am Abend fanden sie eine Höhle für die Nacht. Tapper
suchte trockenes Distelzeug und entzündete ein Feuer.
Allister setzte sich nachdenklich an Morgans Seite. »Es ist
ein Fehler, diese Bestien mit Repetierwaffen auszurüsten«,
sagte er düster. »Die Caddos sind mordgierig und schrecken
vor nichts zurück. Wir haben es mit eigenen Augen erlebt.«
Morgan hob den Blick. Er schien Allisters Gedanken zu
erraten. »Denke an dich und nicht an andere. Du hast ein Jahr
lang die Hölle erlebt und nun liegt dir ein Paradies zu Füßen.
Die Anson-Mine birgt ein Vermögen. Ein alter Freund von mir
hat sie einmal gesucht und nicht gefunden. Wir aber haben alle
Möglichkeiten, den Reichtum der Mine auszuschöpfen.«
»Die Caddos…«
»Sie tragen ihre Stammesfehden aus«, unterbrach Morgan
heftig. »Cheyenne und Arapahoes sind ihre Feinde.«
»Und wenn sie sie getötet haben?« stieß Allister aus. »Wer
wird ihr nächster Gegner sein?«
Morgans Blick irrte zu McLynn, der verlegen auf einem
trockenen Bisquit kaute, zu Tapper, der schweigend in die
Flammen starrte, und wanderte zu Allister hinüber, der an
seiner Seite saß. »Wirst du etwa weich, Sam? Regt sich dein
Gewissen? Dann denke an das Übel, das dir in Yuma
widerfahren ist.«
Sam Allister schwieg. Aber seine Gedanken waren in
hektischer Bewegung.
*
Die Nacht war gefüllt mit fremden Geräuschen.
Das helle Zirpen klang wie das Lied der Nachtschwalbe. Das
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Bellen des Rotfuchses war täuschend echt. Aber Naiche wußte,
es waren Caddos, die sich miteinander verständigten.
Seine Rechte hielt den schweren Revolver, den Earp ihm in
der Stunde der Gefahr überlassen hatte, und die Linke
umspannte das Taime, den Glücksbringer, den er am Hals trug.
Er konnte Glück gebrauchen.
Als irgendwo in der Nähe das zornige Rasseln einer
Klapperschlange aufklang, hob Naiche den Kopf. Er schien die
Richtung zu suchen, aus der die Laute kamen. Schließlich
reichte er Earp den Revolver und führte die Hand an die
Lippen.
»Er ist in der Nähe. Bleibe wachsam«, sagte Naiche mit
kaum vernehmbarer Stimme.
Lautlos wie ein Luchs, der die Beute beschlich, tauchte
Naiche in der Dunkelheit unter und folgte den verräterischen
Zeichen, die in seiner Nachtruhe aufgescheuchtes Reptil
erzeugte.
Earp lauschte vergebens den enteilenden Schritten seines
Kampfgefährten, den die Nacht aufgenommen hatte.
Minuten vergingen in stummer Erwartung. Earps Sinne
vereinten sich mit den fremden Geräuschen der Umgebung.
Plötzlich stand Naiche an seiner Seite, ohne daß er sein
Kommen bemerkt hatte.
»Er wird uns nicht mehr schaden, komm«, flüsterte der junge
Häuptling, »wir wollen tiefer in die Wildnis. Die Caddos
greifen bald an.«
Earp spürte Naiches starke Hand, die ihn führte, und war
bemüht, sich mit der gleichen Lautlosigkeit wie sein Begleiter
zu bewegen. Es gelang nur zum Teil.
Irgendwann verharrte Naiche auf der Stelle. Seine Hand löste
sich von Earps Arm, und der hörte ein fremdes Geräusch. Im
gleichen Augenblick stürzte ein Körper schwer zu Boden.
Earp sah nur einen Schatten und riß den Revolver hoch. Da
hörte er Naiches warnendes Zischen und wußte, der Gegner
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brauchte keine Kugel mehr.
Er hat die Augen eines Bus oder einer Katze, dachte Earp
bewundernd und die Gefährlichkeit eines Pumas.
Earp hatte Cochise mit den Mördern seiner Familie kämpfen
sehen. Nun aber kam er zu der Überzeugung, daß der Sohn
dem Vater an List und Schläue ebenbürtig war.
»Hier«, Naiche drückte den Begleiter nieder und Earp spürte
weichen losen Sand zwischen den Fingern. »Graben wir uns
unter den Collas ein. Vielleicht werden sie über uns
hinweglaufen wie blinde Schneehühner.«
Earp hörte schabende Geräusche, als Naiche die Erde
aufgrub. Er begann selbst zu schaufeln und legte sich in die
Mulde. Nur Kopf und Brust ragten aus dem losen Sand, als in
der Nähe höllisches Geschrei aufhallte, dem das ängstliche
Wiehern eines Pferdes folgte.
»Mein Pinto«, flüsterte Earp.
Naiche schien in der Dunkelheit zu nicken. »Dein Bronco hat
unsere Stellung verraten. Nun verhalte dich still. Sie wollen
nicht dein Pferd, sondern dein schnelles Gewehr.«
»Und wenn sie uns entdecken?«
»Werden wir kämpfen wie Männer und sterben wie
Männer.«
Earp faßte die Henry fester und lauschte in die Nacht. Sie
war gefüllt mit Geräuschen. Erregte Stimmen klangen in der
Nähe auf, weiche Mokassins streiften den Sandhaufen, der
Earps Körper bedeckte. Sie waren so nahe, daß er nur
zuzugreifen brauchte. Aber er verhielt sich still, weil auch
Naiche sich nicht regte.
Endlich entfernten sich die Schritte.
Naiche bewegte sich. »Sie sind dumm wie Raben und
können nicht begreifen, daß wir verschwunden sind. Sie
werden den Tag abwarten und die Suche fortsetzen. Wir wollen
die Zeit nutzen.«
»Und wie?«
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Naiche lachte verhalten. »Wir werden dort sein, wo sie uns
nicht vermuten, bei ihren Mustangs.«
Earp erschrak über die Verwegenheit des jungen Häuptlings,
doch nach den Erfahrungen, die er mit Naiche in den letzten
Stunden gesammelt hatte, schenkte er ihm blindes Vertrauen.
Vorsichtig erhob er sich aus dem Sand und ließ sich von
Naiche durch die Nacht führen.
Sie strichen in westlicher Richtung am Rande des
Collasdickichts entlang.
Am Himmel standen nun Sterne, die ihr fahles Geisterlicht
über dem Badsland ausbreiteten. Die Rufe des Präriefuchses
waren verstummt, aber Earp wußte, die Bestien lauerten
verborgen in der Nacht.
Naiche ging nun zu Boden. Er lag flach zwischen dürftigen
Grasnarben und gab seinem Begleiter ein stummes Zeichen.
Earp kroch zu Naiche hinüber und dieser deutete den
abfallenden Hang hinab, wo dichtes Buschwerk in eine Senke
hineinwuchs.
»Dort sind ihre Pferde«, flüsterte Naiche bestimmt.
Wyatt Earp blickte in die angegebene Richtung, ohne das
geringste zu erkennen. Er sah nur Mesquitesträucher und
hochwachsenden Wacholder und spürte, wie der frische
Nachtwind ihm den herbsüßlichen Geruch von Sagebrush
herüberwehte.
Ehe Earp eine Antwort geben konnte, ging der junge
Häuptlingssohn verhalten wie ein jagender Puma zwischen
Grasnarben hindurch, sein Ziel an. Earp blieb keine Wahl, als
seinem Beispiel zu folgen. Er konnte Naiche weder sehen noch
hören, aber er strebte dem angegebenen Ziel entgegen, hoffend,
daß Naiche recht behielt und dort die Pferde der Caddos
untergebracht waren.
Zu irgendeinem Zeitpunkt, er hatte das wildwuchernde
Gesträuch fast erreicht, tauchte Naiche an seiner Seite auf. Er
kauerte im Schatten einer mächtigen Wacholderstaude. Mit den
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Händen gab Naiche kund, daß sie von zwei Seiten in den
Busch eindringen wollten.
»Es muß schnell gehen«, flüsterte er dabei. »Die Wächter
dürfen keine Zeit finden, Alarm zu schlagen.« Naiche
schüttelte abweisend den Kopf, als Earp ihm den Colt reichte
und streckte ihm sein Jagdmesser entgegen, als Zeichen, daß er
die Art der Kampfwaffen gewählt hatte.
Fast gleichzeitig drangen sie in den Busch ein. Earp
konzentrierte sich auf die nähere Umgebung. Nach etwa
zwanzig Yards stieß er auf eine kleine Lichtung, wo ein flaches
rauchloses Feuer brannte.
Zwei Caddo-Krieger saßen leise palavernd im Gras. Sie
trugen lange Musselinhemden, weiche Wildlederhosen und
kurze Mokassins. In den Fäusten hielten sie kurzschäftige
Kriegslanzen, deren Federschmuck den Apachenlanzen
ähnelte.
Im Lichtfeld des Feuers erkannte Earp den Seilcorral, in dem
die Pferde grasten, und auf den ersten Blick entdeckte er seinen
Pinto. Er trug noch Sattel und Zaumzeug.
Die Krieger unterbrachen ihr Gespräch und hoben
mißtrauisch die Köpfe. Sie blickten in eine bestimmte
Richtung. Einer sprang schließlich heftig auf und senkte
angriffsbereit seine Lanze. Etwas hatte ihn argwöhnisch
gemacht. Gleitend schritt er vorwärts. Doch nach zwei
Schritten funkelte helles Metall im Widerspiel des Lichtes. Die
Schneide eines Jagdmessers drang in die Brust des Caddo-
Indianers und brachte ihn zu Fall. Das war für den lauernden
Earp das Zeichen zum Eingreifen, denn er wußte, daß Naiche
nur sein Jagdmesser als Kampfwaffe mitführte.
Er schnellte, das Gewehr am Lauf erfassend, aus dem
schützenden Dickicht, jagte mit kräftigen Sprüngen zu dem
zweiten Indianer, der nun wie ein Blitz hochfuhr. Earp
schwang seine Waffe wie eine Keule und schlug
erbarmungslos zu.
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Noch während der Indianer stürzte, tauchte Naiche am Feuer
auf. Er riß sein Messer aus der Brust des toten Caddo und eilte
zum Seilcorral. Als die dünnen Lederriemen fielen, war auch
Earp zur Stelle. Schweigend sprang er in den Sattel seines
Pintos.
Naiche saß bereits auf seinem Schecken und stieß wilde
Schreie aus, die die Ponys der Caddos aufscheuchten und in
alle Winde trieben.
Ihre Gegner waren auf die Vorgänge aufmerksam geworden,
denn irgendwo aus der Finsternis schallte ein heller Ruf, der
von mehreren Stellen beantwortet wurde.
»Reiten wir, Freund«, rief Naiche und drängte den Schecken
an Earps Seite, »die Schakale werden Stunden brauchen, um
ihre Mustangs zu finden.«
Earp sah das triumphierende Lächeln in Naiches Gesicht,
und er spürte, daß der junge Häuptling stolz war, die Caddobrut
überlistet zu haben.
Seite an Seite sprengten sie in die offene Ebene hinaus,
verfolgt vom wütenden Geschrei ihrer Gegner.
*
Caddo-Häuptling Guadalupe blickte stolz, mit leuchtenden
Augen, zu seinen Unterhäuptlingen jenseits des Feuers, die, vor
einigen Stunden ins Berglager zurückgekehrt, nun von ihren
ruhmreichen Taten berichteten.
Er hörte Wash-pics wortschmückenden Bericht, wie sie auf
dem Wege von Rio Grande kommend, in den Swisshelm
Mountains auf eine Gruppe Geistertänzer des
Cheyennestammes gestoßen waren, die sie angegriffen und
vernichtet hatten.
»Sie waren zahm wie Krähen, ohne Kraft und kämpferischen
Willen, der den roten Kriegern von Natur angeboren ist. Sie
verkriechen sich hinter dem falschen Orakel eines Schamanen
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und suchen die Welt mit Worten zu verbessern. Wir aber, die
Caddos, und unsere Brüder, die Wichitas, vertrauen unseren
Waffen. Denn nur mit ihnen kann man seine Feinde besiegen.
Die Cheyenne haben es am eigenen Leib erfahren. Leider ist
keiner lebend zurückgeblieben, um unseren ruhmreichen Sieg
in ihrem Lager zu verkünden.«
Häuptling Guadalupe nickte zustimmend. Er hatte Wash-pic
aus dem Tal am Rio Grande rufen lassen, um seine Streitmacht
zu verstärken. Und Wash-pic wußte gleich von einer
Ruhmestat zu berichten.
Auch Ilione sprach von Kämpfen mit Weißen. Er hatte am
Fuße der Chiricahua Mountains eine Station überfallen und die
Menschen dort niedergemacht. Stolz zeigte er den blonden
Skalp.
»Wir stießen auf einen Chiricahua, der aus der Zeltsiedlung
der Langmesser kam. Wir waren ihm nahe auf der Spur, als ein
Bleichgesicht ihm zu Hilfe kam. Der Apache war listig und
klug. Wir Caddos haben ihn unterschätzt. Er legte uns einen
Hinterhalt und verschwand mit seinem weißen Freund in der
Nacht.«
»Apachen sind keine Crows«, Guadalupe nickte ernst. »Sie
werden bald unser gefährlichster Gegner sein, den wir
niederkämpfen müssen, ehe wir uns an den weißen
Eindringlingen rächen. Die Langmesser in Fort Bowie werden
bald unseren Mut und unsere Stärke erkennen.« Guadalupes
Augen leuchteten wie brennendes Feuer. »Wir wollen auf
Tatsa-mins Botschaft warten, die uns Waffen ankündigt, die
goldgierige Weißaugen den Caddos beschaffen wollen.«
»Tod den Cheyenne, Tod den Arapahoes und Barawunenas«,
rief Wash-pic.
»Tod den weißen Eindringlingen«, rief auch Ilione, und er
dachte an seine letzte Begegnung mit den Pferdesoldaten, zu
denen sich der Apache und sein Freund retten konnten.
»Wir werden wie Heuschreckenschwärme über sie herfallen,
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so heftig, daß nichts mehr an sie erinnern wird. Keine Soldaten
und keine Geistertänzer. Man wird in vielen Jahren noch von
den Caddos und ihrem Häuptling Guadalupe berichten.«
Guadalupes Augen glühten in fanatischem Eifer. Sein Haß
war deutlich zu spüren.
Seine Gedanken verweilten bei dem fremden Spieler, den er
noch vom großen Fluß her kannte. Er würde ihm die Macht in
die Hände spielen, die fehlte, um seine Gegner vernichtend zu
schlagen.
Fünfzig Gewehre, die schneller sprachen als der Mund eines
Caddos…
An diesem Tage, der Häuptling Guadalupe viele angenehme
Botschaften brachte, bestimmte er, einen Maulesel zu
schlachten und mit Tänzen und Gesang die Ankunft Wash-pics
gebührend zu feiern.
*
Um diese Zeit saßen Wyatt Earp und Naiche, geborgen im
Schutze einer Armeepatrouille, am Biwakfeuer einer
Dragonereinheit aus Fort Bowie.
Captain Roberts, der den Apachen tiefstes Mißtrauen
entgegenbrachte, weil er ihre tückische Kampfweise nicht
schätzte und einige schlechte Erfahrungen mit Chiricahua-
Apachen gemacht hatte, zeigte dem jungen Häuptling offen
seine Gefühle für den roten Krieger.
»Eine Rothaut ist für mich eine Rothaut. Vergleichbar mit
einem Tier, das erbarmungslos das Schwache jagt. Wir waren
in Hank Longdales Station, nachdem Wilde sie überfallen
hatten. Sie glauben nicht, wie es dort ausgesehen hat, Mr. Earp.
Longdale und sein Gehilfe wurden bestialisch gemartert und
massakriert. Betty Longdale wurde ebenfalls erschlagen und
skalpiert. Sie müssen verstehen, daß ich meine Leute erst
beruhigen mußte, als sie ihn sahen.« Roberts behandschuhte
71
Rechte deutete auf Naiche, der schweigend und wachsam
lauschend am Feuer saß und den Haßtiraden des Blaurocks
folgte.
Earp erinnerte sich an die kleine Revolte, die es bei ihrer
Ankunft gegeben hatte. Aber er erinnerte sich auch, daß Naiche
ein guter Kampfgefährte war, dem er vielleicht sein Leben
verdankte.
»In jedem Volk gibt es Spreu und Weizen, Captain. Auch
unter dem weißen Volk. Wir nehmen den Apachen, den
Arapahoes nebst den vielen anderen Stämmen ihr Land, als
wäre es selbstverständlich, und wundern uns, daß diese
Menschen uns voller Haß gegenüberstehen.«
»Sie reden wie Haggerty.« Captain Roberts winkte
verächtlich ab. »Sehen Sie zu, daß Ihr Freund morgen vor
Sonnenaufgang verschwunden ist. Ich garantiere nicht für sein
Leben, denn was in Longdales Handelsstation geschehen ist,
haben meine Leute nicht vergessen.«
»Es waren keine Apachen«, schimpfte Earp, der sich an
Betty Longdales Skalp erinnerte. »Es waren Wichitas und
Caddos. Feinde der Apachen. Sie wissen auch, daß General
Howard sich bemüht, einen Frieden zwischen Apachen und
dem weißen Volk zu erreichen, damit dieses Gemetzel endlich
ein Ende nimmt und die Lebensformen im Lande normal
werden. Mit Ihrer dekadenten Auffassung werden wir dies nie
erreichen, Captain. Naiche ist der Sohn des großen Häuptlings
der Apachenstämme. Er hat jedes Ihrer Worte verstanden und
wird Ihre Meinung sicher seinem Vater übermitteln. Glauben
Sie, daß dies eine Brücke zum Frieden schlägt?«
Captain Roberts verfärbte sich ob der scharfen Rüge des
Zivilisten, die einer Beleidigung gleichkam. Zornig sprang er
auf die Beine. »Sie sind Gast an unserem Feuer und reden wie
ein Indianerfreund, oder wie eine langröckige Squaw.«
Wyatt Earps Rechte zuckte zur Hüfte, als Naiches Hand ihn
mahnend berührte.
72
In seinen dunklen Augen lag ein trauriges Lächeln. »Nicht
jedes Weißauge spricht mit zorniger Zunge über die Taten der
Apachen. Cochise weiß, daß er auch Freunde unter den
Bleichgesichtern hat. Ich werde in der Nacht aufbrechen und
meinem Vater die Botschaft des Falken überbringen. Ich habe
schon viel Zeit verloren.«
»Und ich werde dem Falken entgegenreiten und ihn zur Eile
bewegen. Wir wissen, welche Gefahr uns umgibt. Suchen wir
uns einen anderen Lagerplatz.«
Earp hatte sich aufgerichtet und griff nach seiner Decke. Er
grinste den wütenden Offizier an. »Wir lagern außerhalb Ihres
Camps. Vielleicht beruhigt es Ihr Gewissen, Captain, daß Sie
nicht mit einem Wilden das Feuer teilen mußten.«
Roberts hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber
der junge Abenteurer und sein indianischer Kampfgefährte
traten bereits aus dem Lichtkreis des Lagerfeuers.
Zwischen Wacholderbüschen fanden sie eine geeignete
Mulde für die Nacht.
Lange lag Earp mit wachen Augen auf seiner Decke. Er
dachte verbittert, daß Offiziere wie Roberts Mühlsteine waren,
die die Friedensbemühungen des einarmigen Generals
zerstörten.
Aber er dachte auch wehmütig an die Zukunft. Seine Allianz
mit dem Spieler Glenn Morgan, von dem er sich einen
Ausbruch aus dem finanziellen Fiasko erhofft hatte. Es würde
noch eine Weile dauern, bis sich ihre Wege finden würden.
Und für einen Augenblick dachte Earp an den Makel, der
ihm seit Tombstone anhaftete. Marshal Marley würde die Jagd
nach ihm nicht aufgeben.
Mit diesem Gedanken schlief er ein.
Als er im Morgengrauen erwachte, erkannte er, daß Naiche
ohne Abschied gegangen war. Er rollte stumm seine Decke
zusammen und sattelte sein Pferd. Schweigend ritt er am Lager
der Soldaten vorbei nach Westen, hoffend, irgendwo dort
73
draußen in der Wildnis auf John Haggerty zu stoßen.
*
Cochises langer Weg zum vereinbarten Treffpunkt in den
Swisshelm Mountains führte durch verborgene Schluchten und
Täler der Chiricahua Mountains. Tla-ina, seine Schwester, die
ihn auf dem beschwerlichen Weg begleitete, war von Ausdauer
und ihm kein Hindernis, denn das Mädchen hatte eine
erstaunliche Kondition. Vielleicht auch gaben die Gedanken an
den Falken ihr die nötige Kraft.
Die rauhen Nächte im Hochland verbrachten sie in
schützenden Höhlen, oder bei verwandten Familien, deren Dorf
auf ihrem Wege lag. Er traf Chato in seiner Bergfestung und
Geronimo, der erkennen ließ, wie tief sein Haß auf die weißen
Eindringlinge war. Er streifte Ulzanas Dorf und mußte
erkennen, daß Ulzana vom gleichen Unfrieden wie Geronimo
beseelt war. Zum erstenmal hörte Cochise von den Gerüchten,
die schnell wie der Wind durch die Bergwelt liefen.
Verstärkte Militäreinheiten bewegten sich zwischen den
Tälern der Chiricahua und den Swisshelm Mountains. Sie
waren auf der Jagd nach rothäutigen Rebellen.
In den folgenden Tagen begegneten Cochise und seiner
Schwester zweimal Kavallerie-Patrouillen, denen er
vorsorglich aus dem Wege ging und sich im Verborgenen hielt,
bis sie vorübergezogen waren.
Erst Eskaminzin, der Häuptling der Aravaipa-Apachen,
wußte Näheres über die umlaufenden Gerüchte. Es war der
achte Tag ihres Aufbruchs aus der Bergapacheria, als sie auf
Eskaminzins Dorf stießen, und Cochise wunderte sich, wie tief
sich die Aravaipas in die unzugänglichen Schluchten der Berge
zurückgezogen hatten.
Eskaminzin berichtete von einer starken Caddoformation, die
im Tal der vier Winde ein blutiges Massaker unter
74
Cheyennefamilien angerichtet hatte und nun vom Militär des
nahen Forts verfolgt wurde.
Cochise erinnerte sich an die indianische Reitergruppe, die
seinen Weg gekreuzt hatte und auf dem Wege nach Norden
war. Er hatte sie als Caddos erkannt.
»Über fünfzig Menschen starben unter den Keulen und
Schlagmessern der Caddos. Und dies nur, weil sie an den
Frieden glaubten«, sagte Eskaminzin unmutig. »Auch wir
glauben an einen Frieden. Aber wir müssen wachsam sein, um
nicht das Schicksal der Cheyennefamilien zu teilen.«
Cochise nickte.
Er reichte Eskaminzin die Kalumet und sprach von seiner
Begegnung mit Wania-taka. »Ausgelöst durch diese
Friedenstanzbewegung sieht der Häuptling der Cheyenne eine
blutige Auseinandersetzung zwischen unserer Rasse voraus. Er
nennt die Caddos und Wichitas aufrührerische Rebellen, die
unseren Völkern Unheil bringen.«
Eskaminzin nahm drei tiefe Züge aus der langen Pfeife. »Sie
nennen sich ›Leg die Hände in mein Blut‹ oder ›Rote Hand‹
und kommen in Scharen aus dem Osten. Wania-taka hat ein
klares Auge, wenn er sagt, Caddos und Wichitas sind Rebellen,
die zum Krieg rüsten. Meine Späher wissen von vielen ihrer
Gruppen zu berichten, die durch die Berge ins Jagdland der
Apachen ziehen. Auch wir sollten unsere Stämme vereinen, um
gegen ihre Angriffe gerüstet zu sein.«
Cochise sprach nun von seiner Mission, die ihn mit dem
Falken zusammenführen sollte. Eskaminzin nahm es mit
freudigem Herzen auf.
Als Cochise und seine Schwester am folgenden Tage
aufbrachen, geleitete Eskaminzin sie bis weit vor die Tore
seiner Burg. »Wir sollten einen begrenzten Frieden mit den
Pferdesoldaten abschließen, und unsere eigenen Interessen
zurückstecken, bis Caddos und Wichitas aus dem Apachenland
vertrieben sind«, riet Eskaminzin.
75
Häuptling Cochise spürte, daß auch Eskaminzins Worte tiefe
Sorgen enthielten, aber auch der Gedanke, daß er niemals einen
dauerhaften Frieden mit dem weißen Mann suchte.
»Sende einen Boten zu Victorio und Loco. Wir treffen uns in
einem Mond beim Ältestenrat in meiner Apacheria. Ich werde
dann berichten, welche Pläne der Falke hat.«
Cochise und seine Schwester zogen weiter.
Nun wurden auch die Tage kühl. Rauhreif bedeckte morgens
Husachesträucher und Wacholderbüsche. Die Früchte der
Feigenkakteen verloren ihre leuchtende Farbe. Ein Zeichen,
daß der Winter nahe war.
An einem Abend, in dem sie Schutz vor der Kälte in einer
Berghöhle suchten, entdeckte der Chief im Talkessel ein Feuer.
Beunruhigt von seiner Entdeckung beschloß er, das Lager zu
beschleichen, um zu erkunden, wer nahe des frostigen Winters
in dieser Wildnis lebte.
Er war eine ganze Nacht unterwegs und kehrte erst am späten
Vormittag zurück. »Es sind vier weiße Männer«, berichtete er
Tla-ina und schien sichtlich beruhigt. »Sie graben wohl nach
dem gelben Sand, der für das Weißauge Glück und Erfüllung
bedeutet. Wir haben sie nicht zu fürchten.«
Tla-ina drängte zum Aufbruch. Sie spürte, daß der Falke in
der Nähe war. Ihr Herz schlug heftig, wenn sie an diese
Begegnung dachte. Cochise spürte ihre Ungeduld und lächelte
weise. »Die Nähe des Falken bedeutet dir Glück. Aber
irgendwann wird dieses Herz bluten, Tla-ina. Du vergißt, der
Falke trägt eine andere Hautfarbe als wir.«
Tla-ina stampfte zornig mit dem Fuß auf. »Der Falke ist
unser Freund.«
»Und mehr als Freundschaft wird uns nie mit ihm verbinden.
Der weiße Mann steckt voller Vorurteile, und er sieht es als
Schande, wenn sein Bruder sich mit einer Squaw belastet.«
Cochise bestieg seinen Mustang und drängte ihn nahe an den
Abgrund. Er sah die fremden Männer am Fuße eines
76
Steilhanges vor der dunklen Öffnung einer Höhle stehen. Er
wandte sich ab, und seine Gedanken eilten voraus zu den
Ruinen des alten spanischen Klosters, wo er den Falken zu
treffen hoffte.
Irgendwann fiel ein einzelner Schuß, dessen Echo durch die
einsame Bergwelt floh und in der Unendlichkeit verhallte.
Der Chief lächelte zufrieden. Er kannte die Macht des gelben
Metalls, und er wußte, daß es in den Händen weißer Männer
Unfrieden erzeugte.
Während sie über den schmalen Bergweg ritten, der oberhalb
der Schlucht entlangführte, ahnte Cochise nicht, daß er einem
Geheimnis sehr nahe gekommen war, das zu ergründen
vielleicht eine blutige Auseinandersetzung verhindert hätte.
Aber der Jefe war nicht allwissend…
*
Glenn Morgan hielt den rauchenden Revolver in der Faust.
Zornig blickte er auf den Mann herab, den er soeben
niedergeschossen hatte.
»Du bist ein Narr, Sam, wenn du glaubst, daß wir jetzt noch
zurückstecken. Wir haben dich aus dem Zuchthaus
herausgeholt. Wir sind viele Meilen durch die Wildnis geritten
und es werden noch weitere hundert Meilen sein, ehe wir unser
Ziel erreichen. Die Caddos wollen Waffen. Du kannst sie
liefern. Wir bieten dir die Partnerschaft, die aus dir einen
reichen Mann machen wird. Du siehst, es steht zuviel auf dem
Spiel, um einfach aufzugeben. Verbinde ihn, John, Allister
wird nicht daran krepieren.«
Sam Allister, der am Boden lag, starrte finster auf den
Schützen, der ihn mit einer Kugel niedergestreckt hatte.
Während Tapper ihm das Hemd an der Schulter aufriß und
grinsend feststellte, daß es nur eine Fleischwunde war, sagte
Allister: »Ich bin ausgekocht und abgebrüht bis in die
77
Stiefelsohlen. Mich kann so schnell nichts erschüttern. Aber
das Bild dieser massakrierten Menschen läuft mir nach. Was
glaubst du, was geschieht, wenn Caddos und Wichitas moderne
Repetiergewehre in den Fäusten halten? Sie tränken das Land
mit dem Blut unschuldiger Menschen. Sie überrollen die
starken Befestigungen der Armee in den Tälern. Ich habe mit
Guadalupe schon einige Geschäfte getätigt und weiß, wie tief
sein Haß sitzt.«
»In diesem Land rekrutieren sich sehr viele kampferprobte
Armeesoldaten. Was bedeuten schon fünfzig
Winchestergewehre in den ungeübten Händen roter Narren.«
Morgan lachte zynisch. »Die Langsäbel werden sie
wegschwemmen, wie der Regen fruchtbare Erde von den
Feldern schwemmt und Dürre hinterläßt.«
»Mit Enfield, Springfield oder Vorderlader, mit der die
Armee ausgerüstet ist.« Allister stieß Tapper, der ihm einen
Verband angelegt hatte, wütend beiseite und rappelte sich
hoch. »Nach dem ersten Schuß können sie ihre lächerlichen
Gewehre als Keulen benutzen und das nur solange, bis sie eine
Kugel erwischt. Eine Winchester in der Hand eines roten
Teufels bedeutet in der Feuerkraft gleichwohl dreizehn
Enfields, denn genauso viele Patronen stecken in ihrem Schaft.
Weiß Gott, willst du diese Schuld auf dich nehmen?«
Glenn Morgan schüttelte den Kopf. »Du sprichst wie ein
Mormonenpriester, Sam, und vergißt all das Leid, das dir die
Zivilisation angetan hat. Du kannst all das hinter dir lassen und
im sonnigen Kalifornien oder auf dem Boulevard Philadelphias
das Leben eines Grandseigneurs genießen, dem man Achtung
und Ehrerbietung schenkt, weil er ein reicher Mann ist. Sam«,
seine Stimme wurde beschwörend, »du hast nur zwei Wege.
Der eine führt uns zu den Karabinern, der andere ist dein Tod.«
Allister sah die Entschlossenheit im Gesicht des Spielers.
»Wer sagt dir, daß es diese Mine überhaupt gibt? Wie, wenn
Guadalupe dich betrügt und dir ein wertloses Papier andreht?«
78
Der Spieler schwieg einen Augenblick. »Ich weiß, daß es die
Pläne der Derroteros gibt, und von Askin kenne ich die
Merkmale, die ihre Echtheit beweisen«, trumpfte er dann auf.
»Askin hat die Karte nie in der Hand gehabt. Er hat auch
kein Gold gefunden. Aber er ist ein toter Mann. Glenn, fünfzig
Winchestergewehre sind ein Vermögen. Es gibt keine zehn
Waffen gleicher Güte im Territorium. Wir könnten sie für
teures Geld den Farmern und Siedlern in den Tälern verkaufen.
Das wäre ein gutes Geschäft, das wir mit unserem Gewissen
vereinbaren könnten.«
Glenn grinste den Sprecher an, als sähe er einen Verrückten.
»Vielleicht denkst du daran, sie der Armee zu verkaufen?«
fragte er dann lachend.
»Warum nicht?«
Glenn tippte sich an die Stirn. »Du bist nicht mehr echt hier
oben, Sam. Wie wolltest du der Armee erklären, woher die
Waffen stammen? Und die Siedler, by gosh, sie sind arme
Schweine. Selbst wenn sie hundert Dollar für eine Winchester
zahlen könnten, wäre es ein Trinkgeld für das, was Guadalupe
geboten hat.«
Allister schwieg. Ihm wurde bewußt, daß Morgan zehnmal
verkommener war als er.
McLynn, der die Berghänge im Auge behielt, rief
beunruhigt: »Indianer.« Dabei deutete er auf den
verschwiegenen Pfad, der am Abgrund der Schlucht
vorbeiführte.
Morgan fuhr hoch. Er hielt noch immer den rauchenden Colt
in der Faust. Er blickte in die angegebene Richtung, eilte zum
Pferd und kehrte mit dem Fernrohr zurück. Eine Weile
beobachtete er die einsamen Reiter in der Höhe, ehe er
grinsend das Fernglas absetzte.
»Ein einzelner Rothautbastard mit seiner Squaw. Ich wette,
sie suchen sich ein Liebesnest für den Winter.«
Und zu Allister gewandt fuhr er fort: »Wirst du nun
79
vernünftig, Sam?«
Sam Allister hob die verletzte Schulter. Er sah keinen
Ausweg. »Wir sind in der falschen Höhle, Glenn. Die
Karabiner liegen eine Meile weiter in einer Felsengrotte.«
»Na also.« Morgan lachte zufrieden. »Dann wollen wir
unsere Pferde satteln.« Er trat nahe an Allister heran und tippte
auf dessen verletzte Schulter. »Nichts für ungut, Sam, aber
daran warst du selbst schuld. Wir bleiben die alten Freunde, die
wir schon immer waren. Wenn es dich dennoch beruhigen
sollte, Sam: Guadalupe wird nur fünf Winchestergewehre
sehen, wenn wir den Handel machen. Ich möchte nicht, daß er
uns betrügt.«
Glenn trat zurück, bestieg sein Pferd und gab das Zeichen
zum Aufbruch. Sie zogen durch die schmale Felsenschlucht
und ahnten nicht, daß ihnen ein Schatten folgte.
Tatsa-min, Guadalupes Bote. Er hatte sie seit der letzten
Begegnung in San Manuel nie aus den Augen gelassen.
*
John Haggerty, der mit besonderen Vollmachten seines
Generals ausgerüstet war, um Cochise zu begegnen,
beobachtete aus ganz sicherem Versteck die Bewegungen im
welligen Wüstenland.
Starke Reitergruppen näherten sich dem Talkessel, der,
eingeengt von flachen Bergrücken, inmitten eines Dickichts
wildwachsender Wüstenvegetation lag, und ein sicheres
Versteck bot. Eine Ansammlung, die den erfahrenen Scout so
stark beunruhigte, daß er vom Falben stieg und ihn tiefer ins
Gesträuch führte.
Es waren Caddos und Wichitas, die er an den typischen
Merkmalen ihres Kopfschmucks erkannte. Stämme also, die
weit östlich hinter den Chiricahuas und Dragoon Mountains
lebten.
80
John erinnerte sich der Worte Naiches, als er ihm vor einer
Woche die besorgte Botschaft Cochises gebracht und die
fremden Stämme, die Apachenland durchstreiften, erwähnt
hatte.
Er dachte an die lange Unterredung mit General Howard,
dem von der geheimnisvollen Friedensbewegung und der
Gegenbewegung berichtet worden war, und den Gerüchten von
Greueltaten der Caddos, die in der Zeltstadt bei Tucson nur
schwachen Nährboden gefunden hatten, und dennoch ein Stück
Wahrheit enthalten mußten, weil erfahrungsgemäß in jedem
Gerücht ein Funke Wahrheit steckte.
Nachdem er sein Pferd an eine Collasstaude gebunden hatte,
kroch er den Weg zurück, um die Vorgänge weiter im Auge zu
behalten. Der General hatte ihn gebeten, die offene Plains im
Auge zu behalten. Aber dieses Befehls hätte es nicht bedurft,
denn ein erfahrener Armeescout, der Haggerty nun einmal war,
erkannte, daß hier etwas Schwerwiegendes entstand.
Das Land war wellig und von flachen Hügeln durchzogen.
Die Vegetation sproß besonders üppig und kam Haggertys
Neugierde zustatten, der fest entschlossen war, zum Kern des
Lagers vorzudringen.
Beweglich wie eine Schlange kroch er, jeden Strauch als
Deckung nutzend, durch den heißen Sand. Er erreichte bald die
Außenbasis des Dickichts. Als er ins dichte Grün eindrang,
sprengte über die Hügel eine neue Reitergruppe, geführt von
einem Häuptling, dessen bunte Adlerfedern in der
niedergehenden Sonne leuchteten.
John Haggerty zog sich unwillkürlich einen Schritt tiefer ins
Gesträuch zurück, als der kräftige Mann auf feurigem Mustang
mit seinen Kriegern an ihm vorüberzog und in der
Buschschneise untertauchte. Das breite Lederband, das seine
Brust umspannte, hatte den Häuptling verraten, denn es gab nur
wenige Kriegshäuptlinge, die die Würde der elitären
»Gesellschaft der Tapfersten« tragen durften.
81
Locking Bear war einer dieser Auserlesenen.
Sein Name war Legende, sein offener Widerstand und seine
Rebellion gegen weiße Eindringlinge bis in höchste
Regierungskreise gefürchtet. Keinem Militär war es je
gelungen, den schlauen und verwegenen Fuchs in die Enge zu
treiben oder gar zu arrestieren. Und dieser Wolf tauchte nun im
Apachenland auf.
Das war eine bedeutende Entdeckung, die General Howard
sicher beunruhigen und veranlassen würde, seine Truppen in
höchste Alarmbereitschaft zu versetzen.
Nun war Haggertys Neugierde endgültig geweckt.
Vorsichtig drang er ins Dickicht ein, immer bereit, auf einen
Wächter zu stoßen, den er umgehen oder beseitigen mußte.
John hatte sein schweres Jagdmesser in der Faust. Er war
gewarnt von den Vorgängen, die er entdeckt hatte.
Er spürte nicht die scharfen Stacheln des Manzanitas, die am
Leder seiner Kleidung zerrten, nahm nicht den herblich süßen
Duft des Sagebrush auf. Seine Sinne waren hellwach und
konzentrierten sich auf die nähere Umgebung.
So entdeckten seine scharfen Augen eine plötzliche
Bewegung im Strauch, keine fünf Yards von ihm entfernt. Es
war nur das verräterische Wippen eines Trapplewhitestrauches,
das ihm zeigte, daß dort ein Lebewesen umherstrich.
Für den scheuen Rotfuchs war der Busch zu unruhig, denn
John hörte fernes Stimmengewirr, mit dem die Ankunft
Locking Bears begrüßt wurde. Für ein Stachelschwein war die
Bewegung zu sanft und Buschhühner waren vor dem Trubel
längst geflohen.
Zoll für Zoll, fest an den Boden gepreßt, bewegte Haggerty
sich vorwärts. Sein Bowie lag fest in der Hand.
Wieder wippte der Strauch, ohne daß der Wind ihn strich.
Nun wußte John, daß dort ein Mensch lauerte. Ein Krieger oder
Wächter der Rothäute, die in der Tarnung unvergleichliche
Meister waren.
82
Der Trubel und Lärm auf der nahen Lichtung begünstigte
Johns Vorhaben. Sie schluckten jedes fremde Geräusch, das
trotz aller Vorsicht von ihm ausging.
Nun sah er die schwachen Konturen eines Menschen,
verdeckt durch den Strauch. Vorsichtig richtete er sich auf. Nur
eine Sekunde zögerte er, ehe er mit einem lautlosen Sprung den
Gegner anging.
Sein Kampfmesser blitzte in der sinkenden Sonne, fuhr wie
ein Schatten nieder, als der Indianer sich seitwärts drehte.
John hatte Mühe, die Flugkraft seines Armes zu bremsen, als
er das Gesicht erkannte. Fast lautlos fiel er neben dem Mann
nieder.
»Du?« fragte Haggerty verblüfft.
»Ja, ich bin es«, erwiderte Wyatt Earp, als auch er den
Freund erkannte. Er grinste ein wenig verzerrt, denn der
plötzliche Überfall saß ihm noch in den Knochen, »und wenn
du weiter so herumschreist, werden die Freunde der Roten
Hand uns an die Stacheln des nächsten Kandelabers kleben und
unser Sterben genießen.«
»Caddos«, flüsterte John nun, »ich dächte, es seien
Wichitas.«
»Caddos und Wichitas sind ein Verein«, Earp deutete ins
undurchdringliche Dickicht, wo helle Rufe laut wurden, »du
erlebst gerade ihre Verbrüderung.«
John lauschte in den sinkenden Tag. »Was weißt du von der
Roten Hand?« wollte er dann wissen.
»Nicht mehr oder weniger als jeder Apache. Sie sind in
Kriegslaune und wollen den Frieden zerstören. Cochise braucht
dringend deinen Rat.«
John nickte. »Ich habe seine Botschaft empfangen und bin
auf dem Wege zum vereinbarten Treffpunkt. Diese
Ansammlung habe ich rein zufällig entdeckt. Sie scheint für
meine weitere Handlungsweise von größter Wichtigkeit.
Versuchen wir näher an ihr Lager heranzukommen.«
83
Earp verzog das Gesicht. »Es sind wenigstens zweihundert
Krieger. Genügt es nicht, dies zu wissen und einen Boten zum
Hauptquartier zu senden?«
John Haggerty dachte an seine wichtige Mission, die ihn zu
dem Jefe führte. »Wirst du das denn übernehmen?«
»Ich bin kein Armeescout«, erwiderte Earp wütend.
»Aber ein freier Bürger unseres Landes, der Pflichten und
Verantwortung trägt.«
Earp grinste. »Ich dachte, du hältst mich für einen
Abenteurer und Halunken.«
»Diese Meinung werde ich wohl nie aufgeben. Vorwärts.«
Dämmerlicht zog über den Talkessel und verwischte die
Konturen der Umgebung.
Hautnah, einander im Auge behaltend, durchstrichen
Haggerty und Earp den Busch, bis sie die Basis des Dickichts
erreichten, hinter der sich eine weite Lichtung auftat.
Niedere rauchlose Feuer, von trockenem Distelwerk gespeist,
brannten auf der Lichtung. Primitive Jacuales, aus dem Geäst
von Zedrachbäumen und Agavenblättern geschlagen,
umstanden die Feuer. Auf einer Santillodecke saßen Locking
Bear und Guadalupe, an einem Holzspieß briet ein mächtiges
Stück Fleisch.
»Guadalupe hat zu Ehren Locking Bears einen Maulesel
schlachten lassen.« John Haggerty grinste, denn er wußte, es
gab für einen Indianer kein vergleichbares Stück Fleisch als
das saftige Fleisch eines Murros, und keinen besseren
Willkommensgruß als den, für den es geschlachtet wurde.
Zugleich aber sah er am fortgeschrittenen Zustand des
Festbratens, daß der Caddo-Häuptling Locking Bear erwartet
hatte.
Eine neue Reitergruppe trabte auf den Platz. Locking Bear
sprach mit dem jungen Unterhäuptling und die Krieger
verteilten sich an den Feuern.
Locking Bear setzte sich erneut auf die bunte Decke, um das
84
unterbrochene Palaver fortzuführen.
»Ich werde näher herankriechen«, bestimmte John nach
kurzer Überlegung, »ich muß wissen, was die beiden Gauner
aushecken.«
Earp schüttelte verwundert den Kopf. »Kannst du ihre
Sprache?«
»Sie sprechen im Athabaskendialekt, wie die meisten
Stämme im Mittelwesten. Ich werde so viel verstehen, wie es
nützlich ist. Halte mir den Rücken frei.«
»Mit einem Revolver«, Earp grinste. »Mehr als sechs werde
ich nicht in die Hölle schicken können.«
Auch John lächelte. »Es wäre doch schon eine ganz stattliche
Anzahl Begleiter, die uns dann ins Jenseits folgen.«
»Laß deine Scherze. Mir ist nicht danach zumute.«
»Mir gewiß auch nicht.«
Der Himmel hatte sich verdunkelt. Nur die Feuer
beleuchteten die nahe Umgebung.
Wyatt Earp wagte sich nicht zu bewegen. Er verfluchte den
Augenblick, in dem er sich in solch riskante Unternehmen
eingelassen hatte.
Glenn Morgan trug daran die Schuld, denn hätte er den
Spieler in San Manuel getroffen, säße er jetzt vielleicht mit ein
paar Karten im bequemen Stuhl eines Saloons und nicht mit
einem Revolver in der Faust inmitten der Wildnis. Vielleicht
auch wäre er gerade dabei, die Einnahmen des Tages zu zählen.
Blanke Silber- oder Gold-Bucks.
Earp starrte zum Lagerplatz hinüber. Beim Teufel und seiner
Großmutter, John Haggerty ließ sich verdammt lange Zeit mit
der Rückkehr. So, als wollte er seine, Earps Nerven,
strapazieren.
Die Feuer brannten langsam nieder. Die Rothäute
verschwanden in den primitiven Unterkünften oder hüllten sich
in der Nähe des wärmenden Feuers in ihre Decken.
Earps Blick wanderte verzweifelt zum Himmel, der von
85
matter Helligkeit gefüllt war. Er suchte den Polarstern und den
großen Wagen, der ihn umkreiste, um die Zeit bestimmen zu
können.
Irgendwann tauchte dann auch Haggerty auf.
»Komm«, sagte er leise und bewegte sich durch das
Gesträuch.
»Warum so schnell?« flüsterte Earp, der ihm folgte.
»Ich erzähle es dir später. Wo steckt dein Pferd?«
Wyatt deutete in die Finsternis. »Irgendwo draußen in der
Nacht.«
»Wir wollen es holen und dann verschwinden.«
»Wohin?«
»Es bleibt keine Zeit, Fragen zu stellen.«
Unbemerkt verschwanden sie aus dem Dickicht. Earp führte
den Freund zum Versteck seines Pferdes. Er zog es aus dem
Strauch und zwischen den Hügeln hindurch, um Johns Falben
aufzuspüren.
Nun, wo sie ihren Beritt hatten, schwenkte John Haggerty
nach Süden.
Sein Begleiter platzte fast vor Neugierde und konnte nicht
lange an sich halten.
»Wohin geht es?« fragte er nach einigen Meilen.
John schwieg. Er beschäftigte sich mit der erlauschten
Unterhaltung der Häuptlinge Guadalupe und Locking Bear, die
ihm so ungeheuerlich, ja, schreckhaft war, und wie ein
Gespenst vor seinen Augen stand.
Nach einer halben Stunde trabten sie einen Hügel hoch, von
wo aus die Umgebung weithin sichtbar im fahlen Mondlicht zu
sehen war.
»Du brauchst nicht abzusatteln, Wyatt«, sagte John, als er
vom Pferd stieg. »Du wirst zum Hauptquartier reiten und
General Howard Bericht erstatten.«
»Was geht vor?« Earp spürte Johns Erregung, die sicher ihre
Bedeutung hatte.
86
Der Scout blickte nach Norden, wo, nur einige Meilen
entfernt, zwei Kriegshäuptlinge von jenseits des Rio Grande
über Krieg und Frieden im Apachenland bestimmten.
»Es ist der Anfang einer Ansammlung. Es werden noch viele
Krieger der Caddos und Wichitas über die Berge ziehen, um
sich hier in der Wüste zu vereinen. Die Wichita-Caddo-Allianz,
die vorgibt, den Geistertanz-Kult zu bekämpfen, ist nur ein
Deckmantel ihrer wahren Absichten. Sie stellen sich gegen das
Militär und ihre Bastionen im Frontierland. Sie zünden die
Brandfackel der Rebellionen, als allgemeiner Aufstand aller
roten Stämme im Mittelwesten. Wenn ihnen dies gelingt,
stehen Chiricahuas, Mimbrenjos, die Nedis, Yaquis und die
White-Mountains-Apachen vor der Alternative, sich ihnen
anzuschließen, oder aber von der Armee wie Hasen gehetzt zu
werden. Selbst die Cheyenne und Arapahoes haben keine
andere Wahl.«
Wyatt Earp schüttelte heftig den Kopf. »Es wäre reiner
Selbstmord, mit Steinschleudern, Bogen und Lanzen befestigte
Forts anzureiten. Sie würden im Bleihagel der Kartätschen
verbluten.«
John lächelte bitter. »Guadalupe erwartet eine Ladung von
fünfzig Repetiergewehren.« Als Earp betroffen schwieg, fuhr
John fort: »Winchester Carabins…«
»Verdammt!« entfuhr es Earp. Er dachte an die stillen
Wünsche einsamer Tage. Zu ihnen gehörte der
Vierundvierziger Schnellfeuerkarabiner, der aus einem
Schützen eine kleine Armee machen konnte. »Der Sechziger ist
nirgends im Handel.«
»Doch«, erwiderte John ernst. »Im Osten. Du siehst, wie
ernst die Lage ist. Wo fünfzig Winchestergewehre herkommen,
sind noch weitere hundert zu beschaffen. Wir müssen nur die
Quelle finden und sie zum Versiegen bringen.«
»Das wird wohl deine Aufgabe sein.«
John hob die Schultern. »Guadalupe wird bald mit diesen
87
Verbrechern in Verbindung treten, während Locking Bear in
aller Ruhe seine Streitmacht aufbaut.«
»Die zu zerschlagen wohl Aufgabe der Armee sein wird…«
Wieder nickte John. »Der General wird sich schnell
entscheiden müssen, denn ist diese Brut erst einmal in
Bewegung, wird sie so schnell nicht wieder aufzuspüren sein.
General Howard wird es sicher erkennen und seine
Abteilungen auf kürzestem Wege heranführen. Du wirst ihm
ein guter Scout sein.«
Earp grinste säuerlich. Er hielt nichts von der Armee. »Und
wo werde ich dich finden?«
»Im Süden, irgendwo in der Nähe von San Manuel.«
San Manuel, Earp schwenkte seinen Gaul. In San Manuel
liegen noch ein paar Träume von mir auf Eis, dachte er bissig
und sprengte in die Nacht hinaus.
John Haggerty bereitete sich auf eine längere Wartezeit vor,
denn er wußte, wieviel von seiner Aufgabe abhing. Was ihm
Sorgen machte, waren seine Wasservorräte.
Die kleine Quelle, die John von früheren Erkundungsritten
her kannte, lag im Nahbereich des Caddolagers und würde
sicherlich scharf bewacht werden.
*
Sam Allisters geheimes Waffenversteck lag in einer schier
unzugänglichen Felseinbuchtung eines Canyons, der den Berg
in vielen Windungen von Ost nach West durchschnitt.
Sie hatten Mühe, ihre Pferde über die ausgewaschenen,
terrassenförmig ansteigenden Felsen zu führen. Schließlich
erreichten sie ein flaches Plateau, an dessen Westseite,
unscheinbar auf den ersten Blick, der Eingang einer Höhle lag.
Wortlos ließ Sam Allister sein Pferd zurück und betrat die
Höhle. Eine Weile mußte er tief geduckt gehen, dann erweiterte
sich die Decke zu einer gewaltigen Kuppel.
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Als Glenn Morgan und seine Kumpane folgten, hatte Allister
zwei Fackeln entzündet, welche die Höhle unzureichend
erhellten.
»Da ist das Zeug«, mit dem ausgestreckten Arm deutete der
Sprecher auf eine Handvoll Kisten.
Morgan, der die flachen Holzkisten bereits erspäht hatte,
spürte die Bitterkeit in Allisters Worten.
»Du sprichst von unserem Glück, als hafte die Pest daran«,
sagte er und ging in die angegebene Richtung. Mit dem
schweren Bowie löste er einen der Deckel, schob das
ölgetränkte Papier beiseite und nahm eine der Waffen heraus,
die wohlgeordnet in Fünferreihen übereinander in der Kiste
verpackt waren.
Der Spieler wog die Waffe in der Hand und betätigte den
Mechanismus mit einer Fertigkeit, als wäre er mit ihr längst
vertraut. Seine Augen strahlten, und aus dem herben Mund
brach ein Lächeln.
»Sie ist perfekt in ihrer Ausführung und leicht zu führen wie
ein Kartenpaket. Eine Schande, das Rothautbastarde damit ihr
Kriegsspiel führen.«
»Sie ist perfekt im Töten, Glenn«, sagte Allister im
Hintergrund, »und für die Hand des weißen Mannes
geschaffen, der um seine Scholle kämpft. Du könntest deine
Pläne immer noch ändern.«
»Ein Siedler, der um seine Scholle kämpft, hat mitunter nicht
das Geld für die Saat. Guadalupe bietet für jedes einzelne
Gewehr ein Vermögen. Wir werden uns mit diesen Karabinern
bewaffnen und mit ihrem Gebrauch vertraut machen. Wir
werden dem Häuptling die Stärke der Winchester
demonstrieren und ihnen unsere Gewehre überlassen. Er soll
selbst entscheiden, ob sich ein Betrug lohnt.«
*
89
»Morgen ziehen wir weiter«, sagte Morgan am Abend, als
Tapper ein kleines Feuer in der Höhle entzündet hatte.
Seltsame Unruhe hatte ihn befallen, so als fürchte er, den
Caddohäuptling zu verpassen. Dabei wußte er noch nicht
einmal den genauen Ort und Zeitpunkt der Zusammenkunft.
Aber er rechnete mit Tatsa-min, Guadalupes Boten.
Tapper und McLynn beschäftigten sich mit den Karabinern,
und Tapper sagte einmal halblaut: »Sie werden mehr Blut
vergießen als Cochise in seiner wildesten Zeit.«
McLynn nickte. Er träumte von goldenen Bergen. Was
kümmerte ihn, was geschah. Nur die Kasse mußte stimmen.
Allister blieb ruhig. Sein Gewissen plagte ihn. Doch am
nächsten Morgen schien er sich entschieden zu haben. Als sie
ihre Pferde bestiegen und der beschwerliche Abstieg begann,
sagte er zu Morgan: »Du hast recht, Glenn, nur unser Glück
zählt. Alles andere interessiert nicht.«
Worauf der Spieler zufrieden nickte. »Na endlich, Sam, bist
du aufgewacht. Die Welt, die wir bald betreten, läßt die
Vergangenheit vergessen.«
Allister übernahm die Führung. Am zweiten Abend, sie
lagerten in den Ausläufern der Swisshelm Mountains, am Fuße
der endlosen Ebene, die sich bis zum Gila hinüber zu
erstrecken schien, sagte Allister zu Morgan: »Den ganzen Tag
schleicht etwas um uns herum, wie ein Schakal, der die Beute
wittert.«
Doch Morgan beschwichtigte Allisters Verdacht. »Es sind
deine Nerven, Sam. Die Gegend hier ist öde und leer. Selbst
ein Kojote würde keine Beute finden.«
Schon bald stießen sie auf eine flache, buschbewachsene
Mulde, die einer Oase gleich von schützendem Strauchwerk
umgeben war. Morgan beschloß, hier das Lager aufzuschlagen.
Sie sattelten die Pferde ab und banden die Tiere mit den
Zügeln zusammen. Unter den Büschen suchten sie einen Platz
für die Nacht.
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McLynn hatte die erste Wache.
Morgan war gerade eingeschlafen, als McLynn ihn weckte.
»Jemand schleicht um unser Lager. Da du behauptest, selbst
der Kojote finde hier keine Beute, ist es vielleicht ein Mensch.«
Morgan erinnerte sich Allisters Vermutung. Er griff zur
Winchester und deutete zu den Büschen. »Weck die anderen
beiden Männer. Vielleicht können wir die Treffsicherheit der
neuen Gewehre erkunden.«
Er sah, daß McLynn die Männer wachrüttelte und rief
halblaut: »Verteilt euch in der Senke nach den vier
Himmelsrichtungen. Gleichwohl wer draußen herumschleicht,
er findet bestimmt keinen Weg, uns zu überraschen.«
Von nun an wurde es still am Lagerplatz. Angespannt lagen
sie zwischen Sträuchern, blickten ins mondhelle Badsland und
suchten nach einer verdächtigen Bewegung.
Eine Stunde verging. Eine zweite. Die Zeit rann träge dahin.
Irgendwo bellte ein Präriehund, und Morgan dachte, es ist
der Ruf des Rotfuchses, mit dem die Caddos sich verständigen.
Wachsam, den Finger am Abzug der Winchester, blickte er in
die Nacht.
Es war wieder still. Nur der feine Wind raschelte in den
Sträuchern, und die Nachtkälte drang durch die Kleidung.
Glenn Morgan hob fröstelnd die Schultern, als eine Hand ihn
berührte.
»McLynn?« fragte er leise, obwohl er spürte, daß ein
Fremder in ihrem Lager war.
»Nein, Morgan. Tatsa-min ist gekommen, um dich zu
führen.«
Glenn Morgan fuhr herum. Er sah den Schatten, der sich
kaum von den Sträuchern abhob, obwohl er aufrecht stand. Die
Karabinermündung fuhr in diese Richtung.
»Tatsa-min?« fragte er zweifelnd, »wie hast du uns
gefunden?«
»Das Auge des Caddo ist scharf wie das Auge eines Adlers«,
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erwiderte der Rote ruhig. »Er findet selbst dort eine Fährte, wo
der Wind sie bereits verwischt hat«, erwiderte Tatsa-min ruhig
und trat einen Schritt zur Seite, so daß das fahle Licht des
Mondes seine Gestalt streifte.
Glenn Morgan betrachtete die Rothaut eine Weile
schweigend. Tatsa-min trug einen verwaschenen Chaparajos.
Sein Antlitz durchliefen dunkle Zeichen, die für ihn sicher eine
Bedeutung hatten.
Zögernd senkte Morgan die Waffe.
»Schickt dich dein Häuptling, Tatsa-min?«
Die Rothaut nickte gleichgültig. »Häuptling Guadalupe
drängt auf die Erfüllung des Vertrages. Aber ich sehe keine
fünfzig schnellen Gewehre. Nur jene, die ihr im Leder am
Sattel tragt.«
Glenn Morgan spürte, daß die Rothaut schon eine Weile auf
ihrer Spur geritten war. Deshalb fragte er: »Wie lange bist du
schon in unserer Nähe, Tatsa-min?«
Tatsa-min hob die Schultern. Sollte er sagen, seit Anbeginn
der Begegnung in San Manuel? Oder, ich bin eurer Spur bis
New Mexico gefolgt? Nein, das würde in den Herzen der
Bleichgesichter nur Mißtrauen erwecken.
»Gestern fand ich eure Spur und in einigen Tagen werden
wir auf Häuptling Guadalupe stoßen.« Einen Augenblick
schwieg Tatsa-min, ehe er fortfuhr: »Häuptling Guadalupe
erwartet nicht, daß die weißen Männer ihn betrügen.«
Morgan spürte die versteckte Drohung. Er grinste
verächtlich. »Wir haben Muster der schnellen Gewehre und
werden Häuptling Guadalupe ihre Feuerkraft demonstrieren.
Aber erst wenn ich die Pläne der Anson-Mine in den Händen
halte und aus ihren Zeichen die Echtheit der Derrotero-Pläne
erkenne, werde ich den großen Häuptling zum Versteck der
Waffen führen.«
»Sag es dem Häuptling, wenn du ihm gegenübertrittst«,
erwiderte der Rote mit unbeweglicher Miene. Nichts verriet
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seine Gedanken, die vieles erzählen konnten über die Zeit, die
zurücklag. »Er wird dir glauben oder nicht. Wenn es dir recht
ist, brechen wir bei Sonnenaufgang auf.«
Morgan nickte. Er hatte noch eine Frage auf der Zunge, aber
Tatsa-min war ebenso lautlos in der Nacht verschwunden, wie
er vor einigen Minuten aufgetaucht war.
Kein fremder Laut verriet Tatsa-mins Schritte, und Sam
Allister sagte, was sie alle wohl dachten: »Die Caddos sind
verschlagene Schakale, denen man nur vertrauen kann, solange
man das Weiße ihrer Augen sieht. Als Tatsa-mins Feinde
wären wir sicher morgen früh mit durchschnittener Kehle
aufgefunden worden. Er weiß mehr, als wir ahnen.«
*
Earps abgetriebener Pinto stand mit schäumenden Nüstern und
zitternden Flanken vor General Oliver O. Howards Stabszelt.
Der höllische Ritt quer durch die Mesa hatte ihn völlig
erschöpft.
Im Zelt selbst stand Earp, abgeschlafft wie sein Gaul, vom
Staub der Wüste gezeichnet, und übermittelte dem General
John Haggertys Botschaft, deren Tragweite von solch großer
Bedeutung war, daß ein beherrschter, disziplinierter Offizier
wie Howard die Kontrolle verlor und mächtig zu fluchen
begann.
Als Earp seinen Bericht beendet hatte, stampfte der General,
seinen gesunden Arm hinter dem Rücken verschränkt, den
Kopf zu Boden gesenkt, durch das enge Quadrat seines Zeltes.
Brunsh, die Ordonnanz, die Earp angemeldet hatte, flüsterte:
»Das haut den alten Recken um, Mr. Earp. Seine gesamten
Theorien über die Friedensbemühungen im Territorium sind
ein Schlag ins Wasser. Er wird es nur schwer verkraften.«
General Howards Schritte verstummten.
Er stand am offenen Zelteingang und blickte abwesend über
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den weiten Platz, den Dutzende von Flachzelten säumten, und
Earp erschien es, als stünden in Howards Augen Tränen.
»Wo steckt mein Scout jetzt?« hörte Wyatt Howards müde
Stimme.
»Er hält sich in der Nähe des Rebellenverstecks auf, General,
um Häuptling Guadalupe zu beschatten und, wenn es nötig ist,
ihm zum Treffpunkt der Waffenschmuggler zu folgen.«
»Wie viele Krieger haben Locking Bear und Guadalupe um
sich versammelt?« Howard wandte sich um und blickte Earp in
die Augen. Und Earp sah, daß er sich getäuscht hatte. Howard
weinte nicht.
»Etwa dreihundert. Doch der Falke – verzeihen Sie – John
Haggerty rechnet stark, daß die gleiche Anzahl Krieger dem
Ruf ihrer Häuptlinge folgen wird«, berichtete der Abenteurer,
»vielleicht auch mehr.«
Der General trat zum Plantisch und studierte die Karte des
Südwest-Territoriums.
Er winkte den Boten näher und deutete auf einen Punkt auf
der Karte. »Sie sprachen von einer Wasserstelle. Das kann nur
das Tonar Desert sein. Ein sehr einsamer, trockener Landstrich,
drei Tage von Tucson entfernt.«
»Die Entfernung stimmt«, bestätigte Wyatt Earp. »Ich kann
Sie führen, General.«
»Sergeant«, wandte sich Howard an seine Ordonnanz, »holen
Sie meine Offiziere und versetzen Sie die Truppe in höchste
Alarmbereitschaft!«
Brunsh grüßte und verschwand.
Als Howards Stab das Zelt betrat, schallten auf dem Vorplatz
die Signale des Hornisten, und durch den offenen Zelteingang
erkannte Earp das hektische Leben, das draußen erwachte.
Howard bat seine Offiziere an den Tisch und informierte mit
kurzen Worten seinen Stab. Zugleich entwickelte er den
strategischen Aufmarschplan, um die Rebellenansammlung im
Tonar Desert zu zerschlagen. Die Aufgabe schien ihm so
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wichtig, daß er neben Kavallerie und Dragonereinheiten zwei
Batterien Berghaubitzen in den Aufmarsch mit einbezog.
»Wir stehen vor einer wichtigen Entscheidung, die über
Krieg und Frieden bestimmen wird, meine Herren!« beendete
General Howard seine Ausführungen. »Sollte unser
Unternehmen aus irgendeinem Grunde ein Schlag ins Wasser
sein, dürfte es bald zu einer Revolte in Arizona kommen, deren
blutiges Drama wir uns nicht im entferntesten vorstellen
können. Wir stünden dann nicht vor einem neuen Anfang,
sondern vor dem Ende amerikanischer Herrschaft im
Territorium Arizonas. Gentlemen, Sie kennen Ihre Aufgaben.«
General Howard legte die Hand an die Stirn zum Zeichen,
daß die Besprechung beendet war. Seine Offiziere verließen
das Stabszelt, und bald darauf schallten ihre Befehle über den
weiten Platz.
General Howard wandte sich dem jungen Mann zu. Er
lächelte hart. »In zwei Stunden werden meine Abteilungen
abmarschbereit sein. Besorgen Sie sich vom Schirrmeister ein
frisches Pferd, und nehmen Sie eine Mütze Schlaf, Mr. Earp.
Uns stehen harte Tage bevor.«
Noch immer lächelnd nahm er eine halbvolle Brandyflasche
vom Regal und reichte sie Earp. »Nehmen Sie einen Schluck,
Mr. Earp. Sie haben ihn sich verdient.«
Kurz vor Sonnenuntergang standen die Abteilungen. An der
Spitze General Howard, der es sich nicht nehmen ließ, das
Expeditionscorps selbst zu führen, umgeben von seinen
Offizieren. Dahinter eine Abteilung Dragoner, an ihren roten
Hosenstreifen erkennbar. Dann die Kavallerie mit ihren typisch
gelben Halstüchern. Ihnen folgte die Artillerie, aufgeprotzt auf
die Munitionswagen, bespannt mit schweren Zuggäulen. Den
Abschluß bildeten zwei weitere Munitions-, der Furagewagen
und ein Sanitätsfahrzeug.
Ein gewaltiger Zug, den General Howard nun in Bewegung
setzte, und den aufrührerischen Rebellen entgegenführte.
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Wyatt Earp, der dies alles erkannte, ritt zur Spitze auf und
setzte sich an Major Tanners Seite. »Eine waffenstarrende
Armee, Major«, sagte er zuversichtlich, »mit ihr könnte man
noch einmal die Südstaaten in die Knie zwingen.«
Les Tanner, der Profos der »Siebten«, lächelte kühl und
schwieg. Er war ein erfahrener Offizier, der schon lange im
Frontierland diente. Er kannte die tückische Kampfart
indianischer Rebellen.
*
Der Scout lag, gedeckt von Husachesträuchern, auf der
höchsten Erhebung des Hügels und hielt das Lager der
Rebellen im Auge.
Vier Tage waren inzwischen vergangen, ohne daß sich
irgend etwas ereignet hätte. Trotz der unmittelbaren Gefahr
entdeckt zu werden, war John in der letzten Nacht noch einmal
zum Rebellenlager geschlichen und von dort aus zur Quelle,
wo er unter Einsatz seines Lebens Wasservorräte besorgte.
Niemand hatte ihn bemerkt.
Inzwischen waren weitere Gruppen Caddos und Wichitas ins
Lager gestoßen, und Haggerty schätzte, daß der Haufen nun
vierhundert Mann stark war.
Ständig waren Späher unterwegs. Mitunter ritten sie keine
hundert Yards an seinem Versteck vorbei.
John saß auf einem Pulverfaß und wohl zum hundertsten
Male sehnte er die Truppen aus Tucson herbei, oder aber daß
Häuptling Guadalupe sich regen möge, um den vereinbarten
Treffpunkt aufzusuchen.
An diesem Nachmittag, Späher kamen von Westen ins Lager
geritten, tat sich etwas.
Der Späher mußte eine wichtige Botschaft übermittelt haben,
denn die Rebellenarmee kam in Bewegung. Gruppen zwischen
zehn und dreißig Kriegern verließen das Versteck, ritten in die
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offenen Plains und sprengten in die verschiedensten
Richtungen auseinander. Nach einer Stunde schien das Nest
leer zu sein. Nur Locking Bear mit einigen Kriegern und
Guadalupe kamen aus dem Busch geritten. Sie sprachen eine
Weile miteinander, ehe die Wichitas nach Osten sprengten und
Guadalupe südwärts ins Hügelland zog.
Irgend etwas mußte diese Teufel aufgescheucht haben, und
nach reiflicher Überlegung kam John zu der Überzeugung, daß
Howards Truppen im Anmarsch waren. Zeitlich konnte es
stimmen.
Der Scout lächelte hart, als er seinen Falben sattelte. Der alte
Wichitafuchs Locking Bear witterte die Gefahr und hatte seine
Streitmacht in alle Winde verstreut.
Howard würde enttäuscht, nein, mehr verzweifelt sein. John
bestieg den Sattel. Weit voraus, etwa zwei Meilen entfernt, sah
der für kurze Zeit den weißen Apfelschimmel, der Guadalupe
südwärts trug. Er setzte seinen Falben in Bewegung, ritt nach
Westen, bis er eine einsame Fahrte berührte und schwenkte
ebenfalls nach Süden. Irgendwo dort unten im Green Valley
Desert lag sein Ziel.
John ließ sich Zeit, denn er wollte seine Mission nicht in
Gefahr bringen, indem er dem Halunken zu nahe auf die Pelle
rückte. Caddos waren listig und verschlagen wie Apachen. Und
diese kannte John schon eine ganze Weile.
Nur einen Augenblick lang galten Johns Gedanken Cochise,
der sicher um diese Zeit in den alten Klosterruinen von Santa
Elfrida sehnsüchtig seiner Ankunft harrte.
Doch das hatte nun Zeit, denn es gab wichtigere Dinge zu
tun, die, wie John glaubte, sicher mit den Nöten und Sorgen
des Apachenhäuptlings zusammenhingen.
Bei Anbruch der Dunkelheit verkroch sich John in dichtes
Gesträuch, um den neuen Tag abzuwarten. Er wagte kein Feuer
zu entzünden und begnügte sich mit einigen trocknen Bisquits
und dem lauwarmen Wasser aus seiner Canteen.
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Seine Gedanken beschäftigten sich mit Guadalupe und den
weißen Banditen, die ohne Hemmungen bereit waren, den
roten Teufeln moderne Waffen zu liefern. Aber dieses Gesindel
war überall und tauchte dort auf, wo für klingende Münze
Waffen gebraucht wurden.
Mit der aufgehenden Sonne, die verschwenderisch über die
Peaks der Chiricahua-Mountains in das weite Tal floß, war
John Haggerty auf den Beinen. Er prüfte die Fährte, die
schnurgerade nach Süden führte und wußte bald, daß
Guadalupe ihm zwei Stunden voraus war. Weit genug für eine
plötzliche Begegnung, die mit tödlichem Ausgang enden
konnte.
Als John in den neuen Tag hineinritt, spürte er ein Kribbeln
unter der Haut, das ihm zeigte, wie nahe die entscheidende
Auseinandersetzung lag. Unbewußt fiel seine Hand auf das
Halfter.
*
General Howards Aufmarsch im Tonar Desert endete mit
einem Fiasko, denn nachdem er den von Wyatt Earp
bezeichneten Buschgürtel umstellt hatte und seine berittene
Einheit das Nest der Guerillas anstürmte, mußte er erkennen,
daß seine Gegner rechtzeitig die Flucht ergriffen hatten.
Howards Hunkpapascouts, die er nach Kenntnis der Dinge
aussandte, stießen zwar im Wüstenland auf in verschiedene
Richtungen verlaufende Fährten, die sich jedoch, vom Winde
verweht, in den offenen Plains verloren.
»Es hat keinen Sinn, mit einer solch großen Einheit blind in
die Wüste vorzustoßen«, sagte er am Abend bei einer
Besprechung zu seinen Offizieren, »das Land ist unendlich
groß und hat tausend verborgene Schlupfwinkel. Es könnte
Wochen dauern, bis wir auf eine versprengte Gruppe Wichitas
oder Caddos stoßen. Dafür fehlen uns die Zeit und die nötigen
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Vorräte, um die Einheiten zu versorgen.«
Seine Stimme klang verbittert und ließ die Enttäuschung
erkennen, die dieser Tag Howard brachte, denn als
kommandierender General des Südwest-Territoriums hatte
Howard mit der Vernichtung der Gegner und einem Sieg seiner
Truppe gerechnet. Das war nun verpaßt.
»Wir werden eine Kavallerie-Abteilung im Desert
zurücklassen, die in ständiger Verbindung mit dem
Hauptquartier steht, und alle fremden Bewegungen in den
Plains registriert. Irgendwann werden die flüchtigen Horden
sich wieder vereinigen. Ich kenne Locking Bear und seine
Allergie auf weiße Haut. Er wird sein Ziel niemals aufgeben.«
General Howard ließ Earp rufen und sprach mit ihm über
Haggerty und dessen Pläne.
Earp seinerseits war bereit, dem Scout nach Süden zu folgen,
um sich irgendwo nahe San Manuel zu treffen. Als der General
ihm eine Gruppe Dragoner als Geleit zubilligen wollte, winkte
er ab.
»Ein einzelner Mann hat die größere Chance, ungesehen
durch das Badsland zu reiten, Sir. Außerdem haben Ihre
Dragoner zu blanke Knöpfe«, fügte er grinsend hinzu. »Man
kann sie auf Meilen ausmachen.«
General Howard verzog sein Gesicht, um ein Lächeln zu
verbergen. »Sie wissen, was Sie in der Wildnis erwartet, Mr.
Earp. Die Wichita-Caddo-Allianz hat sich in Luft aufgelöst,
aber das heißt nicht, sie sind aus dem Apachenland
verschwunden. Locking Bear wird unverändert sein Ziel
verfolgen, Arizona in ein Chaos zu stürzen. Ich wünsche ihnen
viel Glück und grüßen Sie mir meinen Scout.«
Während General Howard eine Abteilung bestimmte, die als
Art Feuerwehr in den Plains zurückblieb, ließ er die Jacuales
im Busch niederbrennen und traf die nötigen Vorbereitungen
zum Abzug der Truppen.
Am späten Nachmittag zog Earp los. Als er einmal
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zurückblickte, erkannte er, daß die »Siebte« sich in
Marschformation aufbaute.
Während Wyatt Earp einsam durch die Wüste zog, wußte er
nicht, wo und wann er auf Haggerty stoßen würde. Er kannte
nur die etwaige Marschrichtung, die südwärts nach San Manuel
führte.
*
Drei Tage war er nun schon unterwegs, zweimal begegneten
ihm Indianergruppen, die er aus der Ferne beobachtete. Ein
drittes Mal wäre er einem berittenen Trupp fast vor die Lanzen
gelaufen. Nur ein Zufall verhinderte dies Mißgeschick.
Aufgrund der vielen Begegnungen mit dem Feind wurde Earp
wachsam und blieb selbst nachts in Kampfbereitschaft.
Am Nachmittag des vierten Tages, er war nun tief nach
Süden vorgestoßen, entdeckte er auf einem fernen Hügel einen
einsamen Reiter, der stumm wie ein Monument verharrte.
Earp entschloß sich, sein Pferd zurückzulassen, um den
Mann näher ins Auge fassen zu können.
Er führte den Armeegaul hinter dem Hügel tief ins Gebüsch,
sattelte und schirrte ihn ab, stopfte die Taschen voll Patronen
und schulterte seine Henry. Lautlos bewegte er sich durch den
Busch. Nach einer Stunde etwa war er dem Reiter so nahe, daß
er die helle Farbe des Schimmels erkennen konnte. Der Größe
und der Figur nach war der Mann auf dem Rücken des
Schimmels Häuptling Guadalupe.
Wyatt Earp nickte zufrieden. Er spürte, wo Guadalupe
steckte, konnte sein Freund Haggerty nicht mehr weit sein.
Bis zum Anbruch der Dämmerung saß Guadalupe reglos auf
dem Pferd. Weder Hitze noch Ungeduld beherrschten den
Mann, der unentwegt in südöstlicher Richtung blickte, als
erwarte er von dort die entscheidende Begegnung.
Wyatt Earp, der zwichen Speerdorn und kugelrunden
100
Collaskakteen Stellung bezogen hatte, zog bedächtig sein
Okkular aus der Tasche, schraubte die Prismen auf Sehschärfe
und folgte der Blickrichtung des Häuptlings.
Fern, im braunen hitzeflimmernden Sand der Wüste, bewegte
sich eine Staubwolke, die sanft zum Zenit hochwehte und dort
zerfiel. Eine Reitergruppe, deren Stärke Wyatt nicht ausmachen
konnte, bewegte sich schnurgerade in nordwestlicher Richtung.
Unbewußt schwenkte der stille Beobachter sein Fernrohr zum
Hügel, wo Guadalupe auf seinem Pferd saß.
Der Häuptling war verschwunden.
Ein Schatten, aus dem Speerdorn kommend, fiel über ihn.
Instinktiv schlüpfte Earps Hand zur Hüfte, und im Niederfallen
fuhr er um die Achse. Der langläufige Vierundvierziger lag
leicht in seiner Faust. Doch nun, da er den Fremden erkannte,
senkte er verblüfft die Waffe.
»Du?« knurrte er wütend. »Du schleichst wie ein Indianer
durch den Wüstensand, John. Um ein Haar hätte ich dich
umgelegt.«
John Haggerty lächelte spöttisch. »Wäre ich eine Rothaut,
wärst du längst ein toter Mann, Wyatt. Du wirst noch viel
lernen müssen.«
Wyatt Earp schob den Colt ins Halfter zurück und richtete
sich auf. Während er den Staub aus der Kleidung klopfte,
deutete er zum nahen Hügel.
»Ich denke, du weißt bereits, daß Häuptling Guadalupe dort
oben weilt.«
John nickte. »Er saß auf seinem Gaul wie ein
Reitermonument in Philadelphia.«
»Er ist verschwunden.«
Wieder nickte Haggerty. »Wir finden ihn jenseits des Hügels
an der Quelle bei den roten Felsen. Er hat alles für den
Empfang seiner Geschäftspartner vorbereitet.«
»Sie kommen aus der Wüste.« Wyatt Earp deutete über die
Schulter.
101
»Vier Weiße und ein Roter, der sie führt. Hast du General
Howard informiert?«
»Howard hat eine ganze Armee auf die Beine gestellt«, Earp
grinste, »aber als wir Tonar Desert erreichten, waren die Vögel
ausgeflogen. Locking Bear hatte Lunte gerochen.«
»Locking Bear ist ein Fuchs, der sich nicht überraschen läßt.
Gehen wir, Wyatt. Ich bin neugierig auf die Visagen der
Halunken, die mit Guadalupe in Verbindung stehen.«
Wyatt hob sein Fernglas auf, das ihm bei der plötzlichen
Aktion entglitten war, und schob es in die Tasche. Die fremden
Reiter waren nun so nahe, daß der Hufschlag ihrer Pferde zu
hören war, und für einen Augenblick sahen sie den Trupp
zwischen den Hügeln auftauchen, ehe sie verschwanden.
Der Scout übernahm die Führung.
Seine sichere Art, die Beweglichkeit seines Körpers und die
Lautlosigkeit seiner Schritte erinnerten Wyatt an Cochise, als
sie zum erstenmal Wichitas begegnet waren, oder auch an
Naiche, als er allein gegen eine Horde Caddos kämpfte.
»In dir steckt ein halber Apache«, sagte Earp, als sie den von
Disteln bewachsenen Hügel angingen. »Es würde mich nicht
wundern, wenn in deinen Adern Indianerblut fließt.«
John verzögerte seine Schritte und wandte lächelnd den
Kopf. »Ich habe einiges von den Apachen gelernt. Zumindest,
wie sie ihre Feinde belauern und angreifen. Das kommt uns
nun zugute, denn wir sind zwei Kämpfer, die anderen Banditen
sechs.«
»Drei für jeden.« Earp hielt nun den Colt in der Faust. Doch
Haggerty winkte ab. »So einfach wird es nicht gehen. Wer
Indianern Waffen verkauft, ist ein Bastard. Und Bastarde sind
gemeingefährlich. Es wird kein Spaziergang sein, denn vier
Banditen tragen Revolver wie wir und dazu noch
Schnellfeuergewehre, von denen wir nur träumen.«
Sie erreichten die Kuppe des Hügels. Jenseits des Hügels, der
sanft in eine Senke abfiel, begann eine Felsbarriere, deren
102
rotleuchtende Kämme im sinkenden Abendlicht funkelten.
Umgeben von Sagebrush, stachligen Manzanitas und
sonstigem Wüstengewächs, entdeckten sie ein Wasserloch, an
dem Pferde tranken. Unweit davon, auf einer ausgebreiteten
Decke, saß Häuptling Guadalupe. An seiner Seite ein junger
Krieger, und ihnen gegenüber hockten vier Männer in
abgetragener Kleidung, auf der der Wüstensand haftete. Vor
ihnen auf der Decke lagen fünf kurzschäftige Karabiner.
Winchester Carabins 44…
Wyatt schob sein Glas ans Auge und richtete es auf den
Häuptling, der zornig wirkte und heftig gestikulierend auf die
Fremden einsprach.
»Sie sind sich nicht einig.« Wyatt lachte verhalten und
schwenkte das Okkular zu den Fremden. Die Burschen saßen
halb verdeckt mit den Rücken zum Busch. Doch als einer von
ihnen sich aufrichtete und einen der Karabiner hob, verwischte
ein harter Zug sein Lächeln. Ein unterdrückter Fluch sprang
von seinen Lippen.
John, der die Szene ebenfalls durch sein Glas beobachtete,
wandte den Kopf. »Kennst du ihn?«
»Und ob ich den Bastard kenne. Ich habe mich in Tombstone
mit Glenn Morgan angefreundet und war mit dem Falschspieler
und seinen Kumpanen in San Manuel verabredet. Nun weiß
ich, was ihn abgehalten hat.«
Der Scout schüttelte verwundert den Kopf. »Mit solchen
Leuten wolltest du Geschäfte machen, Wyatt? Du solltest dich
schämen.«
»Es wird so viel betrogen in den Saloons der Frontierstädte,
wie in keiner anderen Gegend. Warum sollte ich mich nicht an
dem Geschäft beteiligen? Geld stinkt nicht.« Earp fluchte leise.
Er sah, daß der Häuptling ein Pergament aufrollte und Morgan
an seine Seite trat. Der junge Krieger an Guadalupes Flanke
drängte ihm die Lanzenspitze entgegen und bremste so
Morgans Schritte. Doch Cuadalupe winkte ab und reichte
103
Morgan das vergilbte Papier. Morgan kniete nun nieder und
glättete das Papier im Sand. Er nickte mehrmals, wobei er
heftig auf den Häuptling einsprach.
Aber dann veränderte sich das friedliche Bild. Tatsa-min,
dessen Wachsamkeit außer Frage stand, fuhr wie ein Pfeil in
die Höhe. Seine Lanze deutete zum Hügel, auf dem John und
sein Freund in Deckung lagen. Er stieß einen schrillen Ruf aus
und fuchtelte mit der geschmückten Lanze.
Morgans Kumpane reagierten blitzschnell. Mit einem Satz
waren sie heran, faßten die Schnellfeuergewehre, und ehe John
die veränderte Situation erfaßte, durchschlug ein Kugelhagel
das Gesträuch und zwang die Freunde in Deckung.
Das harte Stakkato schlagender Hufe vermischte sich mit
berstenden Detonationen. Als John vorsichtig den Kopf hob,
verschwanden die Pferde zwischen den Felsen.
Auch Guadalupe und sein Krieger hatten sich in ein Nichts
aufgelöst.
Morgan und seine Kumpane zogen sich schießend zu den
Felsen zurück und ließen dabei erkennen, welche Feuerkraft in
ihren Karabinern steckte.
»Sie dürfen uns nicht entwischen«, fluchte John. Trotz der
umherschwirrenden Kugeln ergriff er seine Henry und schob
sie kaltblütig an die Schulter.
Eine Kugel traf John Tapper am Schenkel und ließ ihn
schreiend ins Gesträuch humpeln. Zu einem zweiten Schuß
fehlte Haggerty das Ziel.
»Los, Wyatt«, rief Haggerty, »wir nehmen das Gesindel von
zwei Seiten in die Zange. Wenn sie sich erst zwischen den
Felsen festsetzen, haben wir keine Chance, an sie
heranzukommen. Guadalupe ist ein verschlagener Kämpfer,
und sicher ist sein Begleiter ein auserwählter Krieger. Nimm
dich also in acht vor den Caddos. Ich nehme die rechte
Flanke.«
Wyatt Earp nickte. Er war von kalter Gelassenheit, als er
104
antwortete: »Ich halte Glenn Morgan für den gefährlichsten
Gegner. Morgan ist der Mann, der die Schweinerei ausgeheckt
und durchgeführt hat. Wir brauchen ihn lebend, damit er uns zu
seinem Waffenarsenal führt. Außerdem habe ich persönliches
Interesse an dem Mann. Morgan hat meine Auseinandersetzung
mit dem Spieler in Tombstone aus nächster Nähe gesehen. Er
wird mich vor Marshal Marley rehabilitieren!«
John warf dem Freund einen spöttischen Blick zu. »Keine
Zusammenarbeit mehr mit diesem Morgan?«
»Davon bin ich geheilt.« Earp faßte die Henry fester und gab
Haggerty ein Zeichen. »Viel Glück, John.«
»Viel Glück, Wyatt.«
Lautlos tauchten sie im Busch unter.
John schlug einen Bogen nach Norden, wo üppiger
Buschwuchs bis zu den roten Felsen führte. Einmal klangen
heftige Detonationen auf, die ihm zeigten, daß Wyatt bereits
Feindberührung hatte. Er kroch vorsichtig weiter.
Die Sonne stand nun schräg über der Felsbarriere. Ihr
gleißendes Licht blendete den Scout und hatte den Nachteil,
daß er die in den Schatten der Felsen lauernden Gegner nicht
erkennen konnte.
Nur so war es dann möglich, daß er den Caddokrieger erst
entdeckte, als dessen Lanze zwischen seinen Beinen einschlug.
John warf sich zu Boden. Noch in der Bewegung riß er seine
Henry an die Schulter und jagte einige Kugeln ins Gesträuch,
wo er seinen Gegner vermutete. Aber Tatsa-min hatte sich nach
dem heimtückischen Angriff blitzschnell zwischen die Felsen
zurückgezogen.
Aber John war nun gewarnt. Er schwenkte weiter nach
Norden, um das vorstehende Kap zu erreichen, in dessem
düsteren Grau er bessere Chancen zum Angriff sah.
Während John seinem Ziel entgegenstrebte, folgte ihm
heftiger Schußwechsel, dessen Echo zu ihm herüberwehte. Er
spürte an der schnellen Reihenfolge, in der die Schüsse
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abgefeuert wurden, daß die Feuerkraft der Karabiner ihrer
Henry weit überlegen war.
Nur einen Augenblick lang dachte Haggerty an seinen
Begleiter, dem das Gesindel mächtig einzuheizen schien. Dann
tauchte er in den Schatten der Felsen unter, kroch im Schutze
einer überhängenden Platte den Steinhang hinauf, hoffend, so
in die Flanke der Gegner zu gelangen, um Earp zu entlasten.
Nach etwa hundert Yards erreichte er die Kuppe eines
hochaufragenden Felsens, von wo aus das Felsterrain gut
einzusehen war. Dennoch sah er keine günstige Schußposition,
denn dort, von wo aus der Pulverrauch hochstieg, stand wie
eine natürliche Mauer eine Felsbarriere.
John huschte weiter. Er suchte einen Weg zu den Felsen, in
dem ihre Feinde in sicherer Deckung lagen und Wyatt unter
Beschuß hielten. Sprödes Gestein und Geröll löste sich unter
seinen Schritten, kollerten polternd in die Tiefe. Doch diese
Geräusche gingen im höllischen Spektakel unter.
John drängte vorwärts, denn irgendwann, das war ihm klar,
würde der vernichtende Hagel ihrer Repetiergewehre Wyatt
Earp aus den Stiefeln holen.
In seine Überlegungen hinein sah er, keine dreißig Yards
entfernt, das erschreckte Gesicht eines Mannes über die
Felsbrüstung starren. Der gleiche Mann, dem seine Kugel ins
Gesäß gefahren war.
Kalt und scheinbar ohne zu zielen, riß Haggerty die Waffe an
die Schulter und drückte ab. John sah noch, wie der Mann
hochruckte, hilflos mit den Armen ruderte und dann den
Steilhang hinunterstürzte.
John blieb keine Zeit zum Überlegen. Ein Pfeil surrte dicht
an seinem Kopf vorbei, klatschte gegen den Fels. John, der die
Waffe noch an der Schulter hielt, schwenkte den Lauf. Er sah
den Schatten eines Mannes auf der schräg oberhalb liegenden
Felsplatte und jagte zwei Schüsse aus dem Lauf. Ob er den
Caddo erwischt hatte, war ihm nicht klar, denn nun schienen
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die anderen Halunken auf ihn aufmerksam geworden zu sein.
Ein Hagel Blei fuhr über ihn hinweg, zerplatzte auf hartem
Gestein und fuhr heulend in die Tiefe.
John hatte sich niedergeworfen und lag nun in der
ausgewaschenen Mulde hinter einem flachen Felsbrocken.
Steinsplitter fielen auf ihn nieder, drangen schmerzhaft in die
Haut. Er wagte nicht, sich zu rühren. Aber er wußte, wenn
einer der Schützen seinen Standort wechselte, konnte er ihn
abschießen wie ein Kaninchen.
Dem Gedanken folgend, wandte John vorsichtig den Kopf.
Die Felswand fiel im steilen Winkel ab bis zum Gesträuch in
seinen Ausläufern. Loses, lockeres Gestein, das in Bewegung
geraten würde, wenn er dort hinunter wollte.
Das war zu gefährlich, denn das nachrutschende Geröll
konnte ihn unter sich begraben.
In seine Überlegung hinein schlug ein Pfeil in seine Hüfte,
der zwar nur das Leder seiner Revolvertasche durchdrang, ihn
dennoch zu einer schnellen Entscheidung zwang, denn
irgendwo über ihm lagen Guadalupe oder sein Kampfgefährte
und hatten seine hilflose Lage erkannt. Wieder streifte ihn der
Schaft eines Pfeils, riß eine tiefe Furche in den Oberarm.
John drehte sich vorsichtig auf den Rücken. Er sah nun die
beiden Rothäute hoch auf der Kuppe, angestrahlt vom
gleißenden Licht der untergehenden Sonne.
Tatsa-min spannte seinen Bogen.
Trotz der Gefahr, die von Süden kam, hob John das Gewehr
und schoß.
Tatsa-min ließ den Bogen fahren, und Guadalupe sprang
hinzu, um den fallenden Körper aufzufangen.
John rollte nach links auf den Abgrund zu, sprang
unvermutet hoch und eilte mit Riesenschritten die Moräne
hinunter.
Ein vernichtender Kugelhagel folgte ihm und zugleich
bemerkte er, wie lose Felsbrocken in Bewegung kamen und
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nachdrängten.
John beflügelte seine Schritte. Er sprang wie ein Hase mit
wilden Sätzen im schrägen Winkel über die Halde. Nun
erreichte er das erste Strauchwerk. Noch immer schoß das
Gewehr aus vollen Rohren.
Bevor er im rettenden Busch untertauchte, streifte glühender
Schmerz seine Stirn, eine zweite Rundkugel durchschlug seine
Schulter.
Er stürzte und spürte, wie Felsstücke über ihn hinwegrollten.
Aus weiter Ferne hörte er das wilde Triumphgeschrei der
Schützen, dann wurde es Nacht um ihn.
*
Wyatt Earp sah den Freund stürzen. Auch Glenn Morgan
erlebte es mit einer gewissen Genugtuung. Aber trotz des
Erfolges sagte er zu Allister: »Wir müssen verschwinden, Sam.
Ich habe den zweiten Burschen erkannt. Es ist dieser
verdammte Scharfschütze, Earp. Er hat auch McLynn
erwischt.«
Allister blickte zu den beiden Toten hinüber, die stumm, mit
ausgestreckten Armen, auf nacktem Fels lagen. Er preßte die
Lippen zusammen, als plötzlicher Hufschlag aufhallte, der über
den Felskamm wehte und sich entfernte.
»Guadalupe«, flüsterte er mit blassem Gesicht. »Der Bastard
ist auf der Flucht.«
»Ohne Waffen?« Morgan schüttelte bedächtig den Kopf.
»Für ihn steht zuviel auf dem Spiel. Ohne die
Winchestergewehre kann er keinen Krieg führen. Er braucht
sie, um sein Ziel zu erreichen.«
Allister schwieg eine Weile. Er dachte an die vergangenen
Tage und Wochen. »Tatsa-min kennt den Weg zur Höhle«,
sagte er dann zögernd.
»Haggerty hat den Roten erwischt!«
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»Weißt du, ob Tatsa-min tatsächlich tot ist?«
Glenn Morgan schwieg betroffen.
Aus den gegenüberliegenden Felsen peitschten Schüsse auf.
Die Geschosse fuhren harmlos über ihre Deckung hinweg, aber
sie zeigten, daß mit Earp zu rechnen war.
Der Hufschlag verklang polternd.
Morgan richtete sich vorsichtig auf. Es war nun fast dunkel.
Er überlegte nur kurz.
»Was wollen wir hier noch?« fragte er dann und klopfte auf
die Brust. »Wir haben die Pläne der Derroteros und somit den
Schlüssel zum Reichtum. Wir reiten nach Tombstone, Sam. Ich
habe dort Freunde, die sich einen Anteil am Gold verdienen
wollen. Soll Guadalupe die Gewehre holen. Solange er hier
oben seinen Krieg führt, haben wir im Südterritorium Ruhe.
Heizen wir Earp noch einmal tüchtig ein, dann verschwinden
wir!«
Erneut fuhr ein vernichtender Hagel Blei aus ihren Läufen,
und als die letzte Kugel verschossen war, krochen sie zu dem
verborgen liegenden Felspfad, der in die Tiefe führte. Sie
brauchten fast eine Stunde, ehe sie ihre Pferde fanden. Dann
flohen sie durch die Nacht.
*
Die kalte Feuchtigkeit, die sein Gesicht benetzte, brachte John
Haggerty in die Gegenwart zurück. Er sah das Feuer nahe der
Wasserstelle und seinen Freund Earp, der ihn gerade verband.
»Hast du sie erwischt?« fragte John.
Wyatt Earp spürte den tiefen Sinn der Frage und antwortete:
»Zwei von ihnen sind in der Hölle. Zwei von ihnen auf der
Flucht. Morgan ist mir entwischt, aber er wird eine breite Spur
im Wüstensand hinterlassen.«
»Und der Caddo-Häuptling?«
Earp zuckte die Achseln. »Guadalupe hat sich vorher
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abgesetzt. Ihm war wohl die Luft zu bleihaltig.«
»Er weiß, wo die Winchester zu finden sind.« John richtete
sich mühsam auf. Jeder Knochen im Leib schmerzte und
erinnerte ihn an den Steinschlag, der über ihn hinweggefahren
war, als er getroffen niederstürzte.
»Ich muß mit Cochise sprechen. Nur mit seiner Hilfe werden
wir Guadalupe wiedertreffen.«
»Du hast einen Streifschuß im Gesicht und in der Schulter
ein Loch, John«, grollte Wyatt Earp. »Du bist ein halber
Invalide und warst nahe daran, abzukratzen. By gosh, wann
denkst du einmal an dich? Du brauchst einen Doc, und ich
weiß nicht einmal, wo einer zu finden ist.«
John kam trotz Wyatts Protest auf die Beine. Er taumelte
leicht und mußte sich stützen. Doch dann hatte er das
Schwindelgefühl überwunden. »Von solchen Kratzern wird
kein Mann Invalide. Ich fühle mich stark und kräftig genug,
eine Woche durch die Wildnis zu reiten. Begreifst du nicht?
Der Frieden Arizonas steht auf dem Spiel. Versuche du,
Morgan zu erwischen. Er muß reden, bevor die Caddos an die
Waffen herankommen.«
Earp schüttelte heftig den Kopf. »Du bist ein
unverbesserlicher Narr. Was bedeuten fünfzig Karabiner?«
»In den falschen Händen Tod und Vernichtung«, stieß
Haggerty hervor. »Du hast erlebt, wie kampfstark eine
Winchester ist. Morgen früh nimmst du Morgans Fährte auf,
okay?«
»Und du?«
John deutete zur Wasserstelle, wo die Schatten ihrer Pferde
erkennbar waren. »Als Freund könntest du meinen Gaul
satteln, Wyatt, es wäre mir eine Erleichterung.« John schob den
verletzten Arm in die Gürtelschlaufe, die Earp ihm reichte.
»Du willst wirklich reiten?« Earps Blick streifte Johns
verletzte Schulter und er dachte, er ist ein verdammt harter
Bursche. Aber verrückt. Er kippt aus dem Sattel, noch ehe zwei
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Tage vergangen sind.
»Ja«, erwiderte John Haggerty, und Wyatt Earp spürte an der
harten Stimme des Freundes, daß sein Entschluß
unwiderruflich war.
»Dich werden die Geier in der Wüste holen«, fluchte er los
und stakste zur Wasserstelle hinüber, denn er wußte, John
Haggerty war nicht mehr aufzuhalten.
*
Guadalupes Augen blitzten, als er Locking Bear erkannte, der,
mit einigen Kriegern aus dem welligen Hügelland kommend,
ihm entgegenritt.
Er faßte die Zügel des Handpferdes fester, auf dessen Rücken
er den verletzten Tatsa-min mit Lederriemen gebunden hatte
und setzte seinen Schimmel mit leichtem Schenkeldruck in
Bewegung.
Nach wenigen Minuten stießen sie aufeinander.
Wichitakrieger bildeten einen Kordon um Guadalupe. Locking
Bear ritt schweigend in den Kreis. Er sah den verletzten
Caddokrieger, dessen Chaparajos blutdurchtränkt war, und
seine Augen berührten den Häuptling.
»Wo sind deine tapferen Krieger, Locking Bear?« fragte
Guadalupe nach kurzer Begrüßung befremdet. »Ich sehe nur
eine kleine Schar, die dich begleitet.«
Locking Bears nackter Arm schwenkte in die offene Plains.
»Sie sind verstreut wie der Sand in der Wüste und auf der
Suche nach den Lagern der Cheyenne, Arapahoes und den
Chiricahuas. Sie hoffen, wie wir alle, auf die schnellen
Gewehre der Weißaugen, die uns zum Siege führen werden.
Wo sind diese Gewehre, die du uns versprochen hast? Hat das
Weißauge dich betrogen?«
Guadalupe schüttelte den Kopf. »Wir liefen in einen
Hinterhalt der Bleichgesichter und mußten fliehen, ehe unser
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Handel zustande kam.«
Nichts in Locking Bears stolzem Antlitz verriet die
Gedanken, die ihn bewegten. Aber Guadalupe erkannte es.
Er deutete auf seinen verletzten Begleiter, der reglos im
Sattel hing. »Tatsa-min ritt seit Wochen auf ihrer Fährte. Er
kennt das Versteck der schnellen Gewehre. Wir wollen die
Götter anrufen und sie bitten, daß sie Tatsa-min ins Leben
zurückrufen.«
Locking Bears Blick streifte den verletzten Krieger, dessen
Chaparajos vom Blut getränkt war. Er schwenkte sein Pferd.
»Folge mir ins Lager, Guadalupe. Cha-wee, der Schamane
unseres Stammes, wird den Zauber finden, der deinen tapferen
Bruder zu neuer Kraft führt.«
Guadalupe lockerte die Zügel. Noch einmal streifte sein
Blick die Wildnis.
Sie waren von weit her über die Berge ins Apachenland
gekommen, um die Friedensbewegung der Cheyenne zu
bekämpfen. Nun aber glaubte er sich stark genug, alle
Apachenstämme zu unterwerfen, oder sie als Freunde zu
gewinnen im Kampf gegen die fremden Eindringlinge in ihrem
Land.
»Zastee«, murmelte Guadalupe, und wildes Feuer trat in
seine Augen. »Tod allen Weißaugen.«
Bedächtig setzte er den Schimmel in Bewegung.
*
Während Wyatt Earp die Spur der flüchtigen Banditen
aufnahm und John Haggerty Fort Fitzborn entgegenritt, um
sich vom Militärarzt ärztlich versorgen zu lassen, ehe er in die
Swisshelm Mountains ziehen würde, stand Cochise, eingehüllt
in einen weiten Fellmantel, schweigend zwischen den Ruinen
des Klosters Elfrida.
Tage waren vergangen, ohne daß der Falke ihn erreichte. Der
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Himmel war dunkel und wolkenverhangen, so, als wäre er der
Vorbote einer schlechten Nachricht. Zu seinen Füßen, tief
unten im Tal, tobte ein Sandsturm.
Cochise spürte die Kälte durch die Kleidung, und er wandte
lächelnd den Kopf, als Tla-ina an seiner Seite auftauchte.
»Der Winter wird früh in die Berge einziehen und Not und
Elend über unsere Dörfer bringen. Aber meine Gedanken sind
dunkel und spüren die Gefahr, die mit Wichitas und Caddos ins
Apachenland gekommen ist. Fast glaube ich, daß der Falke
einen Freund verlassen hat«, sagte der Häuptling.
Tla-inas Körper umhüllte eine wärmende Felldecke. Der
Wind strich durch ihr dunkles Haar. Ihr Blick verlor sich in der
kahlen Wildnis der Bergwelt.
»Der Falke wird kommen«, sagte sie zuversichtlich, »sehr
bald…«
Cochise spürte Sehnsucht und Hoffnung in Tla-inas Worten.
Fast zärtlich umschloß sein starker Arm ihre Schultern. Er
hoffte, daß ihre Worte Erfüllung finden würden.
ENDE