Dan Roberts
Die Angst der Einsamen
Apache Cochise
Band Nr. 9
Version 1.0
Prolog
Als die weißen Amerikaner Mitte des 19. Jahrhunderts den
Südwesten der USA zu besiedeln begannen, stießen sie auf ein
indianisches Volk, das bereits die Spanier und Mexikaner hatte
teuer dafür bezahlen lassen, daß sie unbefugt in ihre
Jagdgründe eingedrungen waren.
Die etwa ein Dutzend umfassenden Apachen-Gruppen und
Großsippen, am gefürchtetsten die Chiricahua-Apachen,
widersetzten sich der Niederwerfung durch die Weißen mit
allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Sie überfielen zunächst Postkutschen, Frachtwagenzüge,
Armeepatrouillen, Farmen, abseits gelegene Ranches und
kehrten anschließend wieder zu ihren Stützpunkten in den
Bergen zurück, den sogenannten »Apacherias«, die bei den
Weißen der damaligen Zeit als uneinnehmbar galten.
Der Widerstand flammte zum blutigsten und grausamsten
Grenzkrieg der Indianergeschichte auf, als Cochise von
Mangas Colorados die Führung der Stämme übernahm.
Cochises Weitblick ließ ihn letztlich erkennen, daß der
Untergang der roten Rasse eine von den Weißen beschlossene
Sache war, die Anspruch erhoben auf alles Land zwischen den
Dragoon Mountains im Südosten, dem Mogollon-Rim im
Westen und der Gran Desierto im Süden.
Cochises Chiricahuas, die Kerntruppe seiner Streitmacht,
blieb im Angesicht der unaufhaltsamen Flut weißer Siedler,
Goldgräber und Desperados nur noch eine Devise: Raube,
ohne erwischt zu werden, töte, ohne getötet zu werden. Ein
Kampf ohne Erbarmen entflammte in den Canyons, Tälern und
Wüsten. Ein Kampf, dessen Schilderung in dieser Serie nicht
die ganze Brutalität wiedergeben kann, wie sie uns die
Geschichte überliefert hat.
1871 gelang es Cochise, die meisten Stämme der Apachen zu
einer einzigen Widerstandsfront gegen die Eindringlinge aus
Nord und Süd, Weiße und Mexikaner, zu vereinen. Die
blutigsten Massaker auf beiden Seiten waren die Folge.
Auf ihren flinken Ponys überfielen die Krieger in kleinen
Gruppen Wagenzüge und Posthaltereien im Norden, um am
nächsten Tag schon Farmer und Goldgräber im Süden oder
eine Patrouille der Army im Westen anzugreifen.
Militär und Siedler waren macht- und hilflos und ohne eine
Möglichkeit gezielten Widerstandes den ständigen
Apachenangriffen ausgesetzt.
Wenn 1870 General Sherman nach Washington schrieb:
»Wir führten einen Krieg gegen Mexiko, um Arizona zu
bekommen, wir sollten jetzt einen Krieg führen, um dieses Land
wieder loszuwerden«, so kennzeichnen diese Worte die
verzweifelte Hilflosigkeit des Militärs.
Diese nach authentischen Überlieferungen verfaßte Serie soll
dem größten aller indianischen Führer ein Denkmal setzen:
Cochise.
Dem Wirken dieses Mannes und seinem Weitblick für
politische Veränderungen ist es zu verdanken, daß diese Story
mit ihrer ganzen Dramatik wahrheitsnah niedergeschrieben
werden kann.
Unsere Autoren fühlen sich verpflichtet, neben der
Herausstellung der abenteuerlichen Charaktere, die in jener
Zeit Geschichte machten, auch der historischen Wahrheit die
Ehre zu geben.
Nichts soll verschwiegen, nichts hinzugefügt oder entstellt
werden.
Ihr Martin Kelter Verlag
***
Slim Jackson rutschte nervös auf dem harten Sitzbrett der
Kutsche hin und her. Der Begleiter fingerte an der Winchester
herum, spannte den Hahn, ließ ihn wieder zurückgleiten und
sah sich immer wieder unruhig um. Slims Haltung erinnerte an
eine gespannte Bogensehne. Er war auf alles vorbereitet und
wartete wohl nur darauf, daß es losging.
»Was beißt dich, Partner?« fragte Biff Kelford grinsend.
»Hast du dir in Lorrys Haus der roten Laterne Flöhe geholt?«
Jackson schnaubte verächtlich. Allmählich reichten ihm die
Anspielungen. Ein einziges Mal war er bei Lorry gewesen.
Aber er hatte sich keines der Girls ausgesucht, um sich damit
im Zimmer zu amüsieren. Nein, Biff wußte, daß es bei Lorry
immer etwas zu essen gab. Doch sooft er seinen Bekannten
erklärte, daß er nur wegen eines Stews dorthin gegangen war,
weil die anderen Speisehäuser schon alle geschlossen waren,
brachen die verdammten Kerle in brüllendes Gelächter aus.
»Gestern habe ich bei McMurray gegessen«, sagte Slim
wütend. »Und wenn sich Flöhe auf mir tummeln, dann
stammen sie von dir, Mensch.«
Biff merkte, daß sein Wächter keine Lust hatte, auf den Spaß
einzugehen.
»Was hast du denn?« fragte der Fahrer.
»Indianer«, antwortete Jackson. »Ich spüre sie, Mann. Sie
sind in der Nähe, Biff. Verdammt, wenn ich sie doch nur sehen
könnte.«
Kelford fuhr sich mit der flachen Hand über das stoppelige
Kinn.
»Du weißt ja«, sagte er, »wenn du 'nen Apachen siehst, rollt
dir im nächsten Moment auch schon der Kopf vor die Füße.
Die roten Brüder verstehen was von Tarnung.«
»Du machst mir richtig Mut«, sagte Jackson mißmutig. »Ich
ahne, daß sie uns beobachten, und du redest von rollenden
Köpfen.«
»Wir haben nur noch die Steigung vor uns«, sagte Biff
Kelford gelassen. »In einer halben Stunde stehen wir an
Jeffords' Station. Thomas und seine Leute halten die Augen
offen. Wenn Apachen angreifen, bekommen wir Hilfe.«
Slim schwieg sich aus. Er beobachtete die Umgebung,
musterte die Ausläufer der Chiricahua Mountains und glaubte,
hinter jedem Felsbrocken Dutzende von Apachen zu sehen.
Kelford hob die Peitsche. Das Schnurende knallte zwischen
den beiden vorderen Deichseltieren. Sofort legten sich die
Pferde stärker in die Geschirre. Die Concord rumpelte und
ächzte. Noch verlief die Steigung sanft, und jeder Schwung
erleichterte den Tieren den Weg nach oben.
»Da sind sie!« stieß Jackson aufgeregt hervor und riß die
Winchester an die Schulter.
Biff fuhr herum und fluchte.
Slim hatte recht. Zwischen den Felsbrocken und
Geröllhalden galoppierten mindestens zehn Pferde heraus.
»Fahr langsamer, dann erwische ich zwei oder drei«, sagte
Slim.
Aber Biff dachte nicht daran, die Geschwindigkeit zu
verringern. Jede Wagenlänge mehr zur Paßstation brachte sie
der Sicherheit und Hilfe näher.
Ein Schrei drang aus der Kutsche.
»Verdammt, sie haben die Burschen gesehen«, sagte Biff.
»Indianer!« kreischte eine Frau. »Sie verfolgen uns. Wir
werden alle sterben. Mein Gott…«
»Halt den Mund!« rief Jackson. »Dreh bloß nicht durch, du
dämliche alte Schachtel.«
Das Geschrei steigerte sich zu einer wahren Flut von
Schimpfworten, die selbst einen abgebrühten Maultiertreiber
verblüfft hätten.
»Ich kann verstehen, daß der Kerl sich in die Büsche
geschlagen hat«, sagte Biff leise zu Jackson. »Wenn diese Frau
richtig loslegt, macht sie ganz allein eine harte Mannschaft
fertig.«
Die nicht mehr junge Frau war vor zwei Wochen nach
Tombstone gekommen, weil sie ihren Mann suchte. Sie wußte
nur, daß er irgendwo Gold schürfen wollte. Da sie von ihrem
besten Stück schon seit einem halben Jahr nichts mehr gehört
hatte, wollte sie selbst nach ihm sehen.
Wie ein Ungewitter war die resolute Dame über Tombstone
hereingebrochen. Sie hatte einen Riesenwirbel gemacht, aber
irgendein wohlmeinender Zeitgenosse hatte ihrem Mann einen
Tip gegeben. Der hielt sich wohlweislich in der Wildnis
versteckt und wartete darauf, daß seine bessere Hälfte die
Suche aufgab.
Und nun transportierten Biff Kelford und Slim Jackson die
streitbare, schwergewichtige Frau zurück nach Osten.
»Sie halten den Abstand«, meldete Slim verwundert. »Was
bedeutet das?«
»Vielleicht wollen die Krieger uns erst kurz vor der Station
die Haut abziehen«, antwortete Biff so laut, daß die Passagiere
seine Worte hören mußten.
Grinsend wartete Kelford auf die Reaktion aus dem Kasten.
»Kutscher!« kreischte die Frau. »Ich verlange, daß Sie sofort
etwas unternehmen! Ich habe meine Fahrkarte bezahlt. Sie sind
dafür verantwortlich, daß ich heil und gesund ankomme.«
»Wir schmeißen sie einfach raus, wenn die Apachen näher
kommen«, schlug Slim vor. »Sie schafft bestimmt acht Krieger
allein mit ihrem Mundwerk.«
Kelford zog eine verächtliche Miene. Er hatte genug damit
zu tun, die sechs Zugpferde so zu lenken, daß sie in den
Kurven der Paßstraße keine Kraft verschwendeten.
»Ich glaube, es sind Chiricahuas«, sagte Slim. »Verstehst du
das, Partner? Hat der große Häuptling angeordnet, daß jede
Kutsche überwacht wird?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Biff Kelford.
Er dachte daran, daß Cochise und seine Krieger erst vor
wenigen Tagen eine Concord der Butterfield Line vor einem
Schwarm Tonto-Apachen gerettet hatten.
»Wie weit liegen sie zurück?« fragte der Fahrer.
»Sie halten den Abstand«, antwortete Slim. »Ich glaube nicht
mehr, daß sie es auf uns abgesehen haben. Sieht wirklich wie
'ne Eskorte aus. Hoffentlich kann uns Jeffords erklären, was
das bedeutet.«
Jackson kniete auf dem Sitzbrett. Die Winchester lag auf den
Gepäckstücken der Passagiere und tanzte im schwankenden
Rhythmus der Kutsche. Es war unmöglich, auch nur einen
Apachen zu verwunden, wenn Biff diese Geschwindigkeit
beibehielt.
Aber Slim Jackson brauchte sich nicht auf einen Kampf
vorzubereiten. Inzwischen glaubte er selbst nicht mehr an einen
Überfall, sondern eher an Begleitschutz durch die Krieger.
Der Weg stieg steiler an. Immer langsamer wurden die
Pferde. Nach weiteren 120 Yards fielen sie in Schritt zurück.
Gespannt blickte Slim zu den Verfolgern. Sie trieben gerade
ihre Ponys an.
Slim preßte die Lippen zusammen und atmete tief durch.
Nun entschied sich, ob sie weiterleben durften oder kämpfend
sterben mußten.
»Noch fünf Minuten ungefähr«, sagte Biff.
Seine Finger krampften sich um die Zügel. Immer wieder
hob er die Peitsche. Aber es war sinnlos, auf die Pferde
einzuschlagen. Schneller konnten sie nicht werden.
»He, Kutscher, wann holt ihr endlich ein paar der roten
Stinker von den Pferden?« fragte ein Mann aus dem
Wagenkasten.
»Wenn sie angreifen«, erwiderte Jackson mit stahlhartem
Unterton in der Stimme, »und keinen Moment früher, Mister.
Und wenn Sie feuern, ziehe ich Ihnen den Scheitel mit dem
Coltlauf nach, kapiert?«
»Ihr seid wahrhaftig verrückt«, rief der Mann. »In wenigen
Minuten haben uns die Kerle eingeholt, und dann haben wir
keine Chance mehr.«
Slim kniff die Lider etwas zusammen. Der vorderste Reiter
machte eine weit ausholende Handbewegung.
»Cochise!« rief Jackson erleichtert. »Biff, der Jefe ist hinter
uns. Fahr zur Seite, er will vorbei.«
Sekunden später trabten die zähen Ponys neben der Concord.
Der Häuptling hob kurz die Rechte. Biff und Slim legten die
Hände an die Krempen ihrer Stetsons.
Nur an den funkelnden Augen erkannten die beiden Männer
auf dem Bock, daß der Jefe die furchtsamen Blicke der
Passagiere genoß, als er mit seinem Sohn Naiche und zehn
Kriegern vorbeizog.
Jackson entspannte das Gewehr und stellte es in die
Halterung zurück.
»Mann, Mann«, seufzte der Wächter, »der große Chief hat
'ne merkwürdige Ansicht von Humor. Er muß doch gewußt
haben, daß uns allen die Kopfhaut juckte, als er die Verfolgung
begann.«
»Das wollte er sicher«, sagte Biff. »Er will zeigen, daß er
immer noch der Boß in diesem Land ist, daß er uns Weiße nur
duldet, Slim. Glaub mir, wenn er es will, lebt im Südwesten
innerhalb von drei Tagen nicht mal mehr 'ne weiße Katze.«
Slim krauste seine Stirn. Er wußte, daß Kelford recht hatte.
Aber er wußte auch, daß Cochise inzwischen die Macht der
Weißen kannte. Es war sinnlos, in einem großen Schlag alle
Eindringlinge zu vernichten. Die Armee war in der Übermacht,
und der Kampf flammte dann so heftig auf, daß er sich zu
einem wilden Feuerbrand ausbreiten mußte, der alle Apachen
in die ewigen Jagdgründe schickte.
Cochise verhielt sein Pferd auf dem freien Platz vor der
Station.
Thomas Jeffords ging auf den Häuptling zu. Walker und
Kelly, die beiden Posthelfer, blickten den Chief mißtrauisch an.
Sie musterten die Krieger, die mit ausdruckslosen Gesichtern
auf den Pferden saßen. Die zehn Kämpfer bildeten die
Ehrengarde des Jefe.
»Hellauge, heute ist der Tag, an dem wir reiten werden«,
sagte der Häuptling zu Jeffords.
»Ja, Jefe«, sagte Thomas, »ich bin bereit. Vorher möchte ich
nur gern die Kutsche noch abfertigen. War es nötig, den Leuten
Angst zu machen?«
Für Sekunden umspielte ein stolzes Lächeln die Lippen des
Häuptlings.
»Warum fürchten sie sich vor ein paar Apachen?« fragte
Cochise. »Die Männer in der Kutsche besitzen doch Gewehre,
die viele Male den Tod hintereinander ausspucken. Sie haben
Revolver, die sechs Krieger töten können.«
Jeffords hörte den Spott aus diesen Worten heraus, aber er
war so klug, nicht darauf zu reagieren. Er ließ dem Jefe die
kleine Genugtuung, daß die meisten Bleichgesichter vor der
Macht der Apachen zitterten.
Aber gerade diese Einstellung schürte immer wieder die
Auseinandersetzungen zwischen den beiden Rassen.
Mittlerweile war es so, daß die meisten Weißen sofort feuerten,
sobald sie auch nur ein Stückchen roter Haut entdeckten.
Die Concord rollte an den Indianern vorbei. Gleichmütig
starrten die auf den Wagen.
»Ladies and Gentlemen«, rief Biff lauthals, »Apache-Pass-
Station! Sie können sich die Füße vertreten, Kaffee oder
härtere Sachen trinken und etwas essen.«
»Ich bin doch nicht verrückt«, rief die Frau. »Da stehen die
Rothäute. Sie warten doch nur darauf, daß wir rauskommen.
Die ziehen uns sofort den Skalp ab. O nein, ich bleibe in der
Kutsche.«
Thomas verdrehte die Augen und hob beide Hände halb
hoch. So was fehlte ihm gerade noch, ausgerechnet in
Gegenwart von Cochise.
Aber der Jefe grinste nur. Sicher genoß er die Angst der
Frau.
»Madam, rücken Sie bitte ein wenig zur Seite«, sagte ein
Mann. »Ich möchte raus und einen Kaffee trinken.«
Die Concord schwankte leicht, aber schließlich öffnete sich
die Tür, und ein schlanker Typ stieg aus. Er schaute sich nur
kurz um, ehe er zum Stationsgebäude ging.
Die anderen vier Passagiere stiegen ebenfalls aus. Und dann
blickte die verängstigte Lady aus der Türöffnung.
Thomas zwang sich, woanders hinzusehen, denn dieses
weibliche Wesen wog sicher mehr als 200 Pfund und schien
nicht größer als fünfeinhalb Fuß zu sein. Ächzend machte sich
die letzte Passagierin daran, auszusteigen. Irgendwie ging das
schief. Sie blieb mit den flammend roten Haaren an der
Türklinke des Wagenschlags hängen und stieß einen spitzen
Schrei aus. In der nächsten Sekunde vergaßen die Apachen
ihren zur Schau gestellten Gleichmut. Verblüfft starrten sie auf
die rote Perücke, die an der Klinke hing.
Der Kopf der dicken Lady schimmerte wie eine polierte
Kugel. Nur einige graue, dünne Haarsträhnen zierten das
Haupt.
Mit beiden Händen riß die Frau ihre Perücke an sich, stülpte
sie auf den Schädel und rannte japsend zum Gebäude.
»Welch ein Skalp«, sagte Cochise beeindruckt. Er sagte es
auf Englisch und wußte genau, daß die Frau ihn hörte.
Sie schrie, hüpfte wie ein Gummiball ins Haus und
schmetterte die Tür hinter sich zu.
*
Thomas Jeffords blickte den Chief lächelnd an und sagte:
»Reiten wir alle? Oder bleiben wir beide allein, Jefe?«
Cochise löste seinen Blick von der Tür des Stationshauses
und antwortete: »Wir reiten allein, Hellauge. Nur Naiche weiß,
worum es geht. Er wird die Krieger während meiner
Abwesenheit führen.«
Cochises Sohn war seinem Vater wie aus dem Gesicht
geschnitten. Wie der Häuptling besaß der zu dieser Zeit
Achtzehnjährige einen mächtigen Oberkörper und die dunklen,
funkelnden Augen und die Adlernase, die kühn vorsprang. Wie
Cochise war Naiche groß, ein wahrer Riese unter den
Apachenkriegern.
Der Sohn des Jefe preßte seinem Pony die Fersen in die
Seiten. Das Pferd kam bis auf einen Schritt an Jeffords heran.
Thomas hielt dem ernsten, prüfenden Blick des jungen
Mannes stand. Der Postmeister wußte, daß Naiche seinen Vater
liebte und sich um ihn sorgte. Vielleicht war es ihm gar nicht
recht, daß der Führer der Chiricahuas, der Oberhäuptling aller
Apachenstämme, allein mit einem Bleichgesicht in die Wildnis
der Dragoon Mountains eindringen wollte. Aber Naiche hatte
schon mehrmals in der Vergangenheit bewiesen, daß er fair
und gerecht war.
»Ich wünsche mir, daß ihr dieses Gerücht aus der Welt
schaffen könnt«, sagte der junge Krieger. »Unser Stamm wird
sich gegen alle weißen Eindringlinge zur Wehr setzen. Kein
Bleichgesicht hat in den Bergen der Chiricahuas etwas zu
suchen. Der weiße Soldatenhäuptling gab sein Wort. Vergiß
nicht dieses Wort, Thomas Jeffords.«
Nach kurzem Überlegen entgegnete der Postmeister: »Genau
darum reiten dein Vater und ich, Naiche. Ich will helfen, die
Kämpfe zwischen unseren beiden Völkern zu beenden. Du
weißt, daß ich eure Lebensweise respektiere. Aber leider
denken nicht alle Weißen so.«
Freimütig hatte Jeffords zugegeben, daß auch unter den
Eindringlingen unterschiedliche Meinungen herrschten.
Genauso war es bei den Apachen.
Victorio, der Anführer der Mimbrenjos, wollte gnadenlos
jeden Weißen töten. Für ihn waren die Bleichgesichter nichts
als Ungeziefer, das den Apachen Land und Nahrung stahl, das
Wasser der Flüsse umleitete und so den wandernden Sippen die
Lebensgrundlage entzog. Victorio war der wildeste Anführer
aller Stämme. Er begriff nicht, daß die Zeit des freien
Umherschweifens vorbei war. Er klammerte sich erbittert an
die hergebrachte Lebensweise und brachte den
Bleichgesichtern Brand und Tod, nur Unheil.
Naiche blickte seinen Vater an. Cochise nickte und sagte in
der Sprache der Chiricahuas: »Geht zurück, reitet voraus, wir
folgen euch! Doch unser Weg ist nicht der eure.«
Die Indianer zogen an den Zügeln, drehten ihre Pferde und
ritten an. In langer Reihe verließen die Apachen den Paß der
Quellen. Als letzter drückte Naiche seinem Pferd die Hacken in
die Weichen.
Thomas spürte, daß der junge Krieger mit dem Entschluß
seines Vaters nicht einverstanden war. Fragend sah der
Postmeister den Jefe an.
Lächelnd sagte Cochise: »Naiche hat heißes Blut, Hellauge.
Er ist wie alle jungen Männer. Zudem ist er mein Sohn und
weiß, wie ich denke. Er kennt meine Entschlüsse und
Vorstellungen. Er möchte mit uns reiten und die Taten eines
Kriegers vollbringen.«
Jeffords nickte. Er verstand, was in dem jungen Apachen
vorging. Aber bei diesem Unternehmen waren Besonnenheit
und Überlegung mehr wert als jeder kämpferische Einsatz.
Es ging darum, die Legende über eine riesige Goldader, eine
richtige Bonanza, zu zerstören. Denn diese Ader sollte mitten
in den Dragoon Mountains liegen. Und dort lebten Cochise und
seine Chiricahuas in ihrer Apacheria.
Jeffords kannte die Gier der meisten Menschen nach dem
gelben Metall. Er wußte, daß bei vielen von ihnen das
vernünftige Denken aussetzte, wenn es um Gold ging.
Ein Run auf die Dragoons mußte in den
Auseinandersetzungen im Südwesten wie eine Kanne Kerosin
in einem Feuer wirken: explosiv.
Norbert Walker, der Posthelfer, führte die Schimmelstute am
Zügel heran. Er hielt respektvollen Abstand vom Maul des
Tieres, achtete nicht auf Cochise und Jeffords, doch dafür
blickte Norbert immer wieder zu den gelben, kräftigen Zähnen
der Stute.
Er kannte dieses Teufelsbiest inzwischen ganz gut. Vor dem
Gebiß der Stute war kaum ein Kleidungsfetzen sicher. Sie fraß
genußvoll Hemden, Armeeunterwäsche, Stetsons und sogar
verschwitzte Halstücher.
Biff Kelford und Slim Jackson bugsierten die letzten beiden
Zugpferde vor die Kutsche und spannten sie in die Geschirre.
Die beiden Fahrer hatten von Norbert gehört, daß Jeffords mit
Cochise zu einem gefährlichen Abenteuer aufbrach und
kümmerten sich selbst um den Pferdewechsel.
Burt Kelly versorgte die Passagiere in der Station. Walker
hoffte nur, daß die zahlenden Kunden der Butterfield Line erst
dann Magenkrämpfe bekamen, wenn sie schon drei oder vier
Wechselstationen weiter waren. Norbert hielt nicht viel von
Kellys Kochkünsten und behauptete, Burt könnte sogar Wasser
beim Kochen anbrennen lassen.
Aber das war maßlos übertrieben. Doch die Tatsache blieb
bestehen, daß Kelly einmal eine Kanne Kaffee auf die eiserne
Herdplatte gesetzt und vergessen hatte. Die Schweinerei war
groß gewesen. Die ganze Platte war mit verschmortem
Kaffeemehl bedeckt gewesen, und der Gestank hatte sich erst
nach tagelangem Lüften verflüchtigt.
»Alle Passagiere einsteigen!« brüllte Biff Kelford und
kletterte auf den Kutschbock. »Wir fahren in einer Minute.«
Es dauerte nicht lange, bis die Reisenden aus dem
Stationsgebäude kamen. Die sogenannten Gentlemen
benahmen sich wie vorher beim Aussteigen. Sie ließen der
dicken Lady keine Chance.
Und das beschwor die Katastrophe herauf.
Schnaufend walzte die korpulente Frau auf die Concord zu.
Sie starrte geradeaus. Cochises Mundwinkel zuckten, als er
interessiert die flammend roten Haare beäugte, die inzwischen
wieder den Kopf der Dicken bedeckten.
Jeffords schwang sich in den Sattel. Norbert Walker reichte
seinem Boß die Zügel, und für eine Sekunde spürte die
Schimmelstute nicht den hemmenden Druck der Trense in den
Winkeln ihres Maules. Sofort ging das Tier an, legte den Kopf
schief und zog die Lippen zurück.
Der Häuptling stieß einen lauten Ruf aus, aber da war es
schon geschehen.
Blitzschnell schnappte das Pferd zu und erwischte die roten
Haare, zog den Kopf zurück und schlenkerte ihn hin und her.
Das Gezeter der Lady schien das Tier überhaupt nicht zu
kümmern. Und als die schwergewichtige Frau mit beiden
Fäusten auf den Kopf der Schimmelstute einhieb,
verschwanden gerade die letzten feurig schimmernden Reste
der Perücke hinter den gelben Zähnen des Pferdes.
»Los, wir reiten!« rief Jeffords und trieb die Stute mit lauten
Zurufen an.
Cochise folgte seinem weißen Freund sofort.
»He, Boß, was sollen wir jetzt machen?« rief Walker und
wich der Frau aus, die wild um sich schlug.
»Gebt ihr ein Kopftuch«, antwortete Jeffords, »ersetzt den
Schaden, zahlt, was sie verlangt. Klar?«
»Okay, Thomas.«
Jeffords atmete auf, als sein Pferd die erste Biegung der
Paßstraße erreichte. Der Postmeister wandte sich im Sattel um.
Von der Station konnte er nichts mehr erkennen. Dafür sah er
Cochises breites Grinsen.
»Hellauge, dein Pferd ist ein großer Skalpjäger«, sagte der
Häuptling und lachte amüsiert. »Warum trägt die weiße Frau
fremde Haare auf ihrem Kopf, mein Freund?«
Thomas tat sich einigermaßen schwer mit seiner Erklärung.
Aber auch bei den Apachensquaws gab es vereinzelt Fälle von
Eitelkeit, so daß Cochise die Antworten seines Freundes
begriff.
Bald hatten die Reiter die Paßstraße hinter sich gebracht. Der
Weg führte durch flaches Land, das von der Sonne
ausgetrocknet war. Der Wind trieb Staubwolken hoch und nach
Südwesten. Vereinzelt wucherten Mesquitebüsche und
Ocotillos, die ihre Blätter schon abgeworfen hatten. Seit dem
letzten Regen waren Wochen vergangen. Diese Büsche warfen
die Blätter ab, aber sie überlebten.
Endlich erreichten Cochise und Jeffords die Dragoon
Mountains. Der Jefe übernahm die Führung. Er ritt eine andere
Strecke als Thomas vor kurzer Zeit. Links und rechts ragten
brüchige Gesteinssäulen auf. Geröllberge versperrten wie
massive Felswände den Trail, doch immer wieder fand Cochise
einen Pfad hindurch.
Nach mehr als einer Stunde zügelte der Häuptling sein Pferd
und blickte zu einer Hochebene hinüber, die von zahllosen
Gesteinstrümmern übersät war.
Jeffords parierte seinen Schimmel neben Cochises Pony und
kniff die Lider zusammen. Die Sonne blendete den
Postmeister, trotzdem entdeckte er die vier Reiter, die quer
über das Plateau kamen.
»Ihre Pferde sind müde«, sagte Cochise. »Am Rand der
Mesa gibt es Wasser. Selbst wenn die Männer die Quelle nicht
finden, die Tiere wittern sie. Sie werden rasten, Hellauge.«
Der Häuptling funkelte Thomas an und fragte:
»Kommst du mit? Ich will hören, was die Bleichgesichter in
meinem Land suchen.«
Jeffords runzelte die Stirn. Er hielt Cochises Vorschlag für
ein unnötiges Risiko. Ihr Weg lag doch klar vor ihnen, genauso
klar wie die Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hatten.
»Warum zögerst du, Hellauge?« fragte der Jefe mit Spott in
der Stimme. »Ich zeige dir, wie sich ein Apache anschleicht.
Du brauchst mir nur zu folgen und dich so zu bewegen wie
ich.« Jeffords wiegte seinen Kopf. »Ich komme mit«,
antwortete er schließlich, »aber ich halte es trotzdem für
gefährlich.«
Cochise winkte verächtlich ab und sagte: »Dies ist mein
Land, dies sind meine Berge, und kein Bleichgesicht darf hier
ohne meine Erlaubnis umherziehen.«
Wenn ich dabei bin, und wir werden entdeckt, dachte
Thomas, kann ich vielleicht das Schlimmste verhindern. Denn
wenn die Weißen einen Indianer allein erwischen, fließt Blut.
Zwei Pferde drängten nach links. Die Reiter ließen den
Tieren ihren Willen. Wenig später warfen die beiden Männer
ihre Hüte hoch in die Luft und sprangen aus den Sätteln, die
anderen Weißen kurz darauf. Einige große Felsen, die wie die
Fingereiner Hand in die Luft zeigten, versperrten Cochise und
Jeffords die Sicht.
»Sie haben das Wasser gefunden«, stellte der Häuptling fest.
Er glitt vom Pferd und führte es am Zügel. Thomas saß
ebenfalls ab und folgte dem Jefe. Hinter einer flachen
Anhäufung von Steinen tat sich ein fast runder Kessel auf. Eine
Rampe, gerade so breit, daß ein Pferd darauf gehen konnte, war
dem Loch zugeneigt.
Nach wenigen Minuten standen Cochise und Jeffords wieder
auf der Mesa.
»Binde deinen Revolver fest«, forderte der Jefe.
Thomas legte die Lederschlaufe um den Hahn. Die Waffe
saß unverrückbar im Halfter.
Cochise duckte sich. Wie ein geschmeidiges Raubtier glitt er
vorwärts. Thomas wartete, bis der Häuptling hinter einem
Felskegel verharrte. Nachdenklich blickte der Postmeister auf
seine Reiterstiefel. Die hohen Absätze, die den Füßen in den
Steigbügeln Halt gaben, behinderten ihn diesmal.
Entschlossen zog Thomas die Stiefel aus und legte sie neben
eine flache Gesteinsplatte an den Rand des Kessels. Erst
danach folgte Jeffords dem Chief der Chiricahuas.
»Du solltest Klapperschlangen aus dem Weg gehen«, riet
Cochise und deutete auf die Socken des Postmeisters.
Der verzog das Gesicht und winkte ab. »Los, geh schon. Mit
den Stiefeln hätte ich uns verraten.«
Der Jefe glitt wieder vor. Nach ungefähr 100 Yards lagen die
Deckungen weiter voneinander entfernt. Cochise machte sich
flach. Geschickt wie eine Schlange wand er sich voran.
Thomas blickte ihm nach. Der Rücken des Häuptlings ragte
zwei Inches über den schützenden Stein hinaus. Aber das
hirschlederne Hemd besaß fast die gleiche graue Farbe wie der
Fels. Nur ein Indianer hätte den Unterschied bemerkt.
Langsam folgte Thomas dem Häuptling. Cochise legte zwei
Finger auf die Lippen, als der Weiße neben ihm zu Boden ging.
Jeffords nickte. Er spürte den Gluthauch im Nacken. Sie
durften nicht einmal mehr flüstern, denn der Wind trug jedes
Geräusch mit sich zum Rand der Mesa, dorthin, wo die vier
Weißen lagerten.
Stück für Stück arbeiteten sich Jeffords und Cochise an die
Gruppe heran. Sie waren den Männern schon so nahe
gekommen, daß sie die Stimmen unterscheiden konnten. Aber
noch vernahmen Thomas und der Häuptling die Worte der
Fremden nur als verschwommene Geräusche.
Cochise kroch zur Seite und winkte mit der Hand. Lautlos
schob sich Thomas an seine Seite. Er begriff sofort, was der
Apache erklären wollte. Ein schmales, ausgetrocknetes
Bachbett gabelte sich ungefähr drei Längen vor ihnen. Cochise
deutete auf Jeffords und auf den rechten Arroyo.
Vorsichtig kroch Thomas weiter, tastete mit den
Fingerspitzen den Boden vor sich ab und warf etwas Staub auf.
Fasziniert sah Thomas zu, wie der Wind den pulverfeinen
Dreck mitnahm und als graue Fahne vor sich hertrieb.
Jeffords wandte den Kopf, aber der Jefe war bereits
verschwunden. Thomas holte tief Luft und bewegte sich nur
ganz langsam vorwärts. Es gelang ihm, kaum Staub
aufzuwirbeln. Heiß brannte die Sonne auf seinen Rücken.
Schweiß rann ihm vom ungeschützten Nacken zu beiden Seiten
des Halses herab, und das Hemd klebte ihm am Leib.
Aber Thomas Jeffords gab nicht auf. Er arbeitete sich
robbend weiter. Aber plötzlich blieb er reglos liegen und starrte
die Spuren im Sand vor sich an. Im Bruchteil einer Sekunde
blitzte der richtige Gedanke in seinem Kopf auf.
Ohne lange zu überlegen wußte Thomas, was die
spiralförmigen Spuren bedeuteten.
Hier hatten sich Klapperschlangen gesonnt. Im heißen Sand
ließen sie die Wärme auf sich einwirken und harrten der Beute.
Unwillkürlich verstärkte sich Jeffords Schweißausbruch.
Zögernd fingerte Thomas nach dem Colt. Mit einem Seufzer
löste er die Hand vom Griff der Waffe.
Ein Schuß hätte ihn und Cochise unweigerlich verraten.
Hoffentlich kommt das Biest nicht gerade jetzt zurück,
dachte Jeffords besorgt und setzte sich wieder in Bewegung.
Doch als er mit dem Oberkörper auf der Spur lag, hörte er
das durchdringende Rasseln der Klapperschlange. Wie erstarrt
blieb Thomas liegen.
Behutsam wandte er den Kopf. Links von ihm glitt das Reptil
heran, richtete sich etwas auf und ließ die gespaltene Zunge im
Wind spielen.
Eine einzige Bewegung genügte, und die Schlange konnte
ihren armdicken Leib nach vorn schnellen und zustoßen.
Schweiß perlte Thomas in die Augen, brannte und ließ ihn
blinzeln. Er hoffte, daß der Schlange die winzigen
Bewegungen entgingen.
Da, was war das? Der Kopf des Tieres zuckte herum,
pendelte heftiger, und das Rasseln verstärkte sich noch.
Thomas sah eine verwischte Bewegung, eine Fächer aus
Federn, der plötzlich in die Luft steilte und erkannte, was da
heransauste: ein Rennkuckuck. Und der aufgestellte Schwanz
diente als Bremse. Dicht neben dem Kopf der Klapperschlange
kam der Vogel zum Stehen.
Als das Reptil vorschnellen wollte, hieb der Rennkuckuck
mit seinem starken Schnabel zu. Die Klapperschlange war tot,
lag zusammengerollt vor ihrem Feind, der sich über seine
Beute hermachte. Argwöhnisch hob der Vogel den Kopf hoch,
legte ihn schräg und beobachtete den Menschen, der in kurzer
Entfernung weiterkroch. Erst als Thomas mehr als drei Längen
zwischen sich und das Tier gebracht hatte, setzte es seine
Mahlzeit fort.
Es kam Jeffords so vor, als wäre die Luft feuchter geworden.
Flach atmete er dicht über dem Boden ein, bohrte einen Finger
in den Sand und stellte fest, daß er nicht mehr aufstob.
Jeffords war in die Nähe der Quelle gelangt. Nun unterschied
er auch die Stimmen der Goldsucher.
»Hoffentlich finden wir das Tal«, sagte ein Mann mit altem,
brüchig klingendem Organ. »Ich ziehe seit über zehn Jahren
durch diese Wildnis, aber von dem Canyon habe ich nie zuvor
was gehört.«
»Mann, Old Smoky«, sagte ein anderer, »du kannst doch
nicht jeden Stein kennen. Glaubst du, daß die Geschichte nicht
stimmt?«
»Es wird viel erzählt, wenn es um Gold geht«, antwortete der
Alte.
»Und es wird auch 'ne Menge Gold und Silber im Südwesten
gefunden«, mischte sich ein dritter Mann ein. »Wir müssen nur
aufpassen, daß uns niemand folgt. Sobald wir das versteckte
Tal gefunden haben, müssen zwei nach Tombstone reiten und
die Claims anmelden. Die beiden anderen bewachen das
Gebiet.«
»Du hast ja große Pläne«, sagte der vierte Mann, »noch
wissen wir nicht, ob das Ganze nicht doch nur ein Sattelgerücht
ist. Warum hat der alte Trapper denn niemals Gold
eingetauscht, he? Alle kennen ihn nur mit seinen Fellen. Da
stimmt doch was nicht.«
»Mike, der Schwarzseher«, spottete die helle Stimme eines
jungen Mannes. »Ich wette, du glaubst selbst dann nicht daran,
wenn wir den gelben Reichtum in den Händen halten.«
»Kannst schon recht haben, Kleiner. Immerhin müssen wir
anschließend noch heil und gesund nach Tombstone kommen,
um das Gold in Dollars zu verwandeln. Dabei kann uns 'ne
Menge zustoßen.«
»Indianer?« fragte ein anderer nach einer Weile.
»Die auch, aber ich denke eher an weißes Gesindel. Sobald
die Brüder Gold riechen, heften sie sich an unsere Fersen. Und
das bringt die Besitzer dieses Landes auf die Pferde. Dies hier
ist Apachenland, Freunde, vergeßt das nicht.«
Einen Moment schwiegen die Männer.
»Haben wir bisher nur Glück gehabt«, fragte der Oldtimer,
»oder sitzen uns die Rothäute schon im Nacken?«
»Das weiß kein Aas«, sagte der Bedächtige. »Soviel ich von
Apachen verstehe, können sie uns jetzt schon umzingelt haben
und warten nur darauf, uns die Skalps abzuziehen.«
Drei Revolver- oder Gewehrhähne klickten.
»Ihr Narren«, sagte der Mann, der vor Apachen gewarnt
hatte, »das nutzt euch einen feuchten Dreck. Einen Apachen
seht ihr erst, wenn er sich sehen lassen will. Und dann habt ihr
nicht viel Zeit, ihn zu studieren, denn in der nächsten Sekunde
seid ihr mausetot.«
»Verdammt, du machst uns richtig Mut«, höhnte der jüngere
Mann mit nervösem Unterton in der Stimme. »Ich sehe
überhaupt nichts, nur Steine und wabernde Hitzeschleier über
der Mesa. Warum sollten ausgerechnet hierher Apachen
kommen?«
»Wasser«, antwortete der erfahrene Goldsucher. »In dieser
Gegend ist das nasse Zeug sehr knapp. Und wo es Wasser gibt,
tauchen über kurz oder lang auch Apachen auf. Wir sollten hier
möglichst schnell abhauen. Laßt die Pferde noch mal trinken
und füllt alle Flaschen und Schläuche.«
Thomas hörte unterschiedliche Geräusche. Es dauerte nicht
lange, bis die Goldsucher zum Aufbruch bereit waren.
»Wohin jetzt?« fragte jemand.
»Wir halten uns westlich«, antwortete der Anführer der
Gruppe. »Dort durchziehen viele Canyons die Berge. Wir
können jahrelang suchen, so viele Schluchten gibt's hier.
Warum habe ich mich bloß auf diesen verrückten Ritt
eingelassen?«
Die Pferde gingen an. Deutlich hörte Thomas das Klirren der
Hufeisen auf dem Gestein. Er riskierte es und richtete sich
etwas auf.
Die vier Reiter waren schon ungefähr 15 Yards entfernt. Ihre
Pferde sahen kräftig und zäh aus, und die Ausrüstung war die
von erfahrenen Goldsuchern.
Langsam sank Jeffords in das trockene Bachbett zurück und
drehte sich vorsichtig um.
Verblüfft blickte er in Cochises dunkle Augen. Thomas hatte
nicht das Kommen gehört.
Der Apachenhäuptling stand auf und setzte sich auf den
Rand des Bachbetts.
»Sie suchen das Tal, Hellauge«, sagte der Jefe.
»Ich glaube nicht, daß sie es finden. Und wenn, so ist uns
eigentlich geholfen. Denn es gibt dort sicher kein Gold.«
Nun war es der Chief, der den Freund ermahnte: »Hast du
nicht selbst gesagt, daß ein Gerücht genügt, um die Gier der
Weißen anzustacheln? Wir müssen dorthin und suchen,
Hellauge. Wir müssen uns davon überzeugen, daß da kein
gelbes Metall zu finden ist. Erst dann kannst du diese
Bleichgesichter davon überzeugen. Wenn du erzählst, du
habest mit eigenen Augen gesehen, daß es kein Gold gibt,
glauben sie dir.«
»Ja, du hast recht, Cochise«, sagte Thomas. »Wir müssen zu
den Pferden zurück und weiterreiten. Wann erreichen wir den
Canyon der Seufzer?«
Der Jefe blickte zur Sonne und antwortete: »In zwei Stunden,
mein Freund. Und in noch einmal zwei Stunden wird es
dunkel.«
Cochise schritt aufrecht zu dem Felskessel, in dem ihre
Pferde standen. Wenige Minuten später saßen die Männer auf
den Tieren und ritten zur Quelle. Es war ein dünnes Rinnsal,
das in ein wannenförmiges Felsbecken mündete. Von dort floß
das Wasser langsam ab und sickerte dicht am Rand der Mesa in
den Boden.
Thomas beugte sich vor und sah saftige Kräuter und das
weißrindige Fettholz.
»Wir folgen einem anderen Weg«, sagte Cochise und deutete
nach Süden. »Dort zweigt ein Felsenpfad ab, der uns direkt in
den Canyon der Seufzer führt.«
Die Pferde trabten an. Der Häuptling warf einen Blick auf
die Überreste der toten Klapperschlange und schaute zu
Jeffords. Zufrieden registrierte der Jefe, daß der Postmeister
keine Miene verzog.
*
Jeffords saß entspannt im Sattel. Die Schimmelstute folgte
Cochises Hengst mit kleinen Schritten. Obwohl der Feisenpfad
schmal war, setzte das Pferd die Hufe traumwandlerisch sicher.
Thomas ließ die grandiose Umgebung auf sich einwirken.
Zahllose winzige, enge Schluchten, die kaum einem Menschen
Raum boten, durchzogen die Felsen der Dragoon Mountains.
Hier und da wucherten Kakteen, und zähe Büsche klammerten
sich mit ihren Wurzeln in Spalten fest, in die der Wind Erde
geweht hatte.
Gesteinssäulen ragten himmelhoch auf, warfen ihre Schatten
weit in die Schluchten und wirkten wie drohende, mahnende
Finger.
Endlich erreichten Cochise und Jeffords den Canyon der
Seufzer. Thomas lenkte sein Pferd neben das des Jefe.
Forschend blickte Jeffords den Häuptling der Chiricahuas an.
Er wirkte auffallend ernst. Cochise sah zur Seite und sagte: »Es
klingt in meiner Seele, Freund Hellauge. Dieses Tal ist nicht
gut für mich.«
Thomas dachte an die beiden Jesuitenpadres, die vor mehr
als 100 Jahren hier von Cochises Vorfahren grausam zu Tode
gemartert worden waren. Jeffords spürte, wie ihn Unbehagen
beschlich. Er wandte den Kopf, musterte jeden Felsen, jeden
Einschnitt und jeden Quadratyard des Bodens und rief sich
energisch zur Ordnung.
Er durfte sich nicht vom Aberglauben der Apachen anstecken
lassen. Selbst Cochise kämpfte gegen die mysteriösen Kräfte
seines Innern an, die auch in dem weitsichtigen, klardenkenden
Häuptling alles beherrschten, was mit dem Tod und dem
jenseitigen Reich zu tun hatte.
Cochise zügelte seinen Hengst vor der steilen Granitwand,
die Thomas bereits kannte und sprang zu Boden. Verwundert
sah der Jefe seinen weißen Freund an und fragte: »Warum
willst du gehen? Bleib im Sattel, der Hohlweg bietet Raum
genug.«
Stirnrunzelnd beobachtete Jeffords, wie sich Cochise etwas
nach vorn beugte und sein Pferd in den engen Spalt lenkte, der
links hinter der Felswand in das versteckte Tal führte.
Thomas saß wieder auf und klopfte der Stute den Hals. Sie
schnaubte leise und ging los. Instinktiv zog Thomas den Kopf
ein, als er durch den Hohlweg ritt. Aber Cochise hatte recht. Es
war nicht nötig, zu Fuß zu gehen.
Der Jefe erreichte den Ausgang und lenkte den Hengst zur
Seite. Thomas verhielt seinen Schimmel und blickte in das Tal.
»Wir sind allein«, sagte Cochise. »Reiten wir zur Hütte. Ich
kam von dort, als ich den Trapper fand.«
Der Häuptling deutete nach Nordwesten.
»Ich nahm den kürzesten Weg zu meinem Volk«, fuhr er
fort. »Aber ich stieß auf Bü, den Boten der Götterwelt. Und
zugleich vernahm ich das Klagen und Wimmern, mein
Freund.«
Cochise saß ruhig auf seinem Pferd. Aber Thomas spürte
deutlich, daß der Apache innerlich stark bewegt war.
»Ich entdeckte etwas Helles. Als ich näher gekommen war,
sah ich, daß dort ein Weißer lag. Seine Arme und Beine waren
weit zu den Seiten hin ausgestreckt. Hände und Füße des
Weißen hatten seine Feinde an Pflöcken befestigt. Ich befreite
den Mann und gab ihm Wasser. Er kam zu sich und sagte, daß
ihn fünf Mimbrenjos überfallen hatten. Ich brachte ihm aus
seiner Hütte Kleidung, aber er war zu schwach. Der
Fallensteller kannte mich. Sein Name ist Bill Mader. Er sagte,
die Mimbrenjos hätten mich kommen sehen und die Flucht
ergriffen. Sie fürchteten meinen Zorn, weil sie in meinen
Bergen gejagt hatten. Ich brachte Bill Mader in seine Hütte,
erlaubte ihm, weiterhin hier Fallen zu stellen. Als ich davonritt,
lebte er noch.«
Jeffords nickte bedächtig. Er glaubte Cochise, hatte keinen
Grund, an dessen Worten zu zweifeln. Und doch hatten
Thomas und der Rote Elch nur ein Skelett gefunden. Weder an
den Knochen noch am Schädel waren Verletzungen zu
erkennen gewesen.
»Wer hat ihn getötet?« fragte Jeffords. »Sind die Mimbrenjos
vielleicht zurückgekommen?«
Cochise schüttelte den Kopf und antwortete: »Bestimmt
nicht. Sie wußten, daß ich in der Nähe war.«
»Dann ist der Trapper an seinen Verletzungen gestorben«,
sagte Thomas.
Abermals schüttelte der Jefe den Kopf.
»Er war verletzt und geschwächt«, sagte Cochise. »Doch er
hätte es schaffen müssen, Hellauge. Ich glaube nicht, daß er an
den Verletzungen durch die Pflöcke starb.«
Thomas sah den Chief nachdenklich an und sagte:
»Natürlich, du hast recht. Nach dir hat der Alte noch mehr
Besuch gehabt. Wie sonst konnte es zu dem Gerücht der
großen Bonanza kommen?«
Der Häuptling überlegte und fragte: »Du glaubst, Weiße
haben Bill Mader gemartert, bis er von Gold redete?«
Jeffords lächelte grimmig. Seine hellen Augen wirkten auf
einmal kalt und hart.
»Weiße sind zu allem fähig, wenn sie Gold wittern«,
erwiderte er verächtlich. »Sie benehmen sich schlimmer als
wilde Tiere. Sie sehen nur noch den gelben Dreck, die ganz
große Chance vor sich, Cochise. Und nichts, gar nichts soll sie
von ihrem Ziel abhalten.«
»Suchen wir das Tal ab«, schlug der Apache vor. »Vielleicht
finden wir noch eine Spur.«
Der Anführer der Chiricahuas ritt nach links. Er ließ seinen
ungesattelten Hengst im Schritt weite Bögen gehen und suchte
den Boden ab.
Jeffords nahm sich die rechte Hälfte des fruchtbaren Tales
vor. Aber als sie wieder bei der Hütte zusammentrafen, hatten
sie nichts entdeckt.
»Merkwürdig«, überlegte Thomas laut, »als ich hier war,
fand ich noch eine Menge Felle. Sie lagen zum Abtransport
bereit. Warum haben die Kerle, die Bill Mader ermordeten,
diese Beute nicht mitgehen lassen?«
Cochise wußte keine Antwort. Er musterte die Felswände
und überlegte, wo es hier das begehrte Metall geben konnte.
»Suchen wir die Goldader«, sagte der Jefe dann. »Vielleicht
hatte der Fallensteller wirklich Glück, Hellauge.«
Jeffords war skeptisch. Soviel er von der Sache verstand, gab
es hier kein Geld. Die Felsenüberhänge sahen anders als die
Formationen aus, in denen Gold geschürft wurde.
Aber Thomas ritt seine Seite des Tales langsam ab und
suchte aufmerksam nach Spuren von Hämmern, Meißeln oder
Sprengungen.
»Nichts«, sagte er zu Cochise, als sie nach einer halben
Stunde wieder die Hütte erreichten. »Überhaupt nichts,
Cochise. Hier gibt es weder Gold noch Schürfspuren. Die
Legende von der reichen Ader ist wirklich nur eine Legende.«
Der Häuptling runzelte die Stirn.
»Aber dieses Gerücht lockt die Weißen an«, sagte er. »Sie
streifen durch meine Berge, Hellauge. Wie begegnen wir den
Eindringlingen?«
Thomas lächelte und antwortete: »Ich setze ein weiteres
Gerücht in die Welt. Das heißt, ich sage die Wahrheit. Ich
verbreite, daß ich den sagenhaften Canyon gefunden habe, was
ja auch stimmt. Und ich erzähle haargenau, was ich hier fand:
ein Skelett, eine halb verfallene Hütte mit kärglicher
Einrichtung und ein paar Stapel Felle und Fangeisen. Aber
keine Spur von Gold. Du wirst sehen, in zwei, drei Wochen
läßt das Interesse der goldhungrigen Weißen an diesem Tal
nach.«
»Hoffentlich«, sagte Cochise, »vielleicht glauben dir die
Männer nicht. Du sagst selbst, daß sie nicht mehr klar denken
können, wenn Gold im Spiel ist. Vielleicht wollen sie sich
selbst davon überzeugen, daß hier wirklich nichts ist.«
Thomas blickte den Jefe lange an.
»Das ist dein Land, Häuptling«, sagte der Postmeister, »das
Gebiet der Chiricahuas. General Howard hat euch garantiert,
daß ihr hier unbehelligt bleibt und nach der Art eurer
Vorfahren leben dürft.«
Mehr sagte Thomas nicht. Er wußte, daß Cochise ihn
verstand. Und Jeffords wußte auch, daß die Krieger jeden
Eindringling töten würden.
»Reiten wir zurück, Hellauge«, sagte der Häuptling. »Hier
finden wir nichts.«
Sie lenkten ihre Pferde in den Hohlweg und gelangten in das
Tal der Seufzer. Der große Canyon bot zahllose Verstecke und
Schlupfwinkel, denn das Gestein war verwittert und zerklüftet.
Plötzlich zügelte Cochise seinen Hengst. Sofort parierte auch
Jeffords seinen Schimmel und lauschte. Hufschlag näherte
sich.
»Wir sind weit genug weg vom kleinen Tal«, sagte Thomas.
»Außerdem gibt es hier viele Wege, die hinein und hinaus
führen. Was soll's also?«
Im Schritt ließen sie die Pferde weitergehen.
Sie ritten genau in der Mitte des Weges, der nach etwa 40
Yards eine Biegung beschrieb.
Thomas tastete nach seinem Revolver und löste die Schlinge
vom Hahnsporn. Der Hufschlag wurde lauter.
Fünf Reiter rissen zugleich an den Zügeln, als sie den
Weißen und den Indianer sahen. Auch Jeffords und Cochise
verhielten ihre Pferde. Die beiden Gruppen standen sich nicht
mehr als zehn Yards gegenüber.
*
Die Fremden wirkten nicht vertrauenerweckend. Sie waren
unrasiert, und ihre Kleidung hatte schon bessere Zeiten
gesehen.
Thomas blickte unauffällig zu den Waffen. Soweit er
feststellen konnte, waren Revolver und Gewehre gut gepflegt.
Aber auch das war noch kein Beweis dafür, daß die fünf
Männer auf der anderen Seite des Zaunes standen.
Denn dies war Apachenland, und jeder hielt seine Waffen in
Ordnung. Sie konnten ihm das Leben retten. Wasser diente
zuerst für Mensch und Tier als Durstlöscher. Ungepflegtes
Äußeres war in der Wildnis die Regel.
Doch Jeffords gefielen die Visagen der fünf nicht. Die Kerle
blickten sich an, schienen sich wortlos zu verständigen und
fingerten an den Colts herum.
»Na so was«, sagte einer von ihnen nach langen Sekunden
des Schweigens, »da denkt man, man ist ganz allein, und schon
trifft man einen Reiter.«
»He, Mister«, fragte ein untersetzter Typ heiser, »hast du
Schwierigkeiten mit der Rothaut? Hat er dich in der Klemme?
Ein Wort genügt, verstehst du?«
Jeffords drängte den Zorn, der plötzlich in ihm aufstieg,
zurück. Er zwang sich zu einem Lächeln, als er antwortete:
»Hallo, Gentlemen, ich bin genauso überrascht wie Sie. Mein
Fährtensucher scheint 'nen schlechten Tag zu haben. Wir
bekamen rein gar nichts vor die Mündung. Das Wild scheint
uns gewittert zu haben.«
»Ah, auf der Jagd?« fragte einer der fünf.
»Ja, Sie nicht?« antwortete Thomas gleichmütig.
Abermals sahen sich die Burschen an, als verständigten sie
sich.
»Sicher, Mann, sicher«, sagte der Stämmige. »Habt ihr
wirklich nichts gefunden?«
»Leider nicht«, erwiderte Jeffords.
Er bemerkte deutlich die mißtrauischen Blicke, die dem
Apachen Cochise galten.
»Vielleicht haben wir mehr Glück«, sagte einer der
Rauhbeinigen. »Wenn wir uns auch keine Rothaut als
Fährtensucher erlauben können, so sind wir doch entschlossen,
Beute zu machen.«
»He, Big Sloop«, rief der Reiter, der ganz links auf einem
Rappen saß, »was ist mit dem Indsman? Sieht mir verdammt
nach Apache aus. Aber er ist zu groß, denke ich. Machen wir
uns 'nen Spaß?«
Jeffords umklammerte den Griff seines Revolvers.
»Was soll das heißen?« fragte er lauernd.
Der Rothaarige kicherte. »Nur ein toter Indianer ist ein guter
Indianer. Kennst du den Spruch nicht?«
Aus den Augenwinkeln beobachtete Thomas den Jefe. Kein
Muskel regte sich in Cochises Gesicht. Er verstand die Sprache
der Weißen genausogut, wie er Spanisch und die
Stammessprache beherrschte.
»Mann, laßt meinen Scout in Ruhe«, sagte Thomas. »So
einen finde ich so schnell nicht wieder. Er kennt eine Menge
Wasserstellen. Der Mann ist nicht mit Gold aufzuwiegen.«
Drei der Fremden lachten laut und gemein auf.
»Mann?« echote einer. »Mister, das sind doch Tiere, rote
Stinker, für die 'ne Kugel schon zu teuer ist.«
»Tim, das ist nicht unsere Sache«, wies der Anführer der
Gruppe den Großmäuligen zurecht. »Wenn der Mister Spaß
daran hat, sich 'ne Rothaut zu halten, so ist das seine Sache,
klar?«
Die anderen nickten und machten verdrossene Gesichter.
Wahrscheinlich stand ein Indianer bei ihnen noch unter einem
Chinesen. Sie gehörten zu jener Sorte, die nur weiße Haut
akzeptierten, gleichgültig wie schlecht oder verdorben sie war.
»Bleiben Sie in der Gegend?« fragte der Anführer der
Gruppe etwas zu gleichgültig, wie Thomas fand.
»Wenn wir eine gute Fährte finden, vielleicht«, antwortete
der Postmeister. »Aber wahrscheinlich ist das Wild auf und
davon.«
Der Rothaarige ließ sein Pferd einen Schritt weitergehen.
Zornig starrte er Jeffords an.
»Willst du damit sagen, daß wir das Wild verjagt haben?«
fragte der Kerl wütend.
Thomas kannte die Sorte, zu der dieser Bursche gehörte. Er
war auf einen Streit aus. Und wenn er sich genügend in Rage
gebracht hatte, hielt ihn nicht mal mehr sein Anführer zurück.
Dann knallte es, dann floß Blut. Und das alles nur, weil dieser
rothaarige Narr verrückt nach einem Kampf war.
Jeffords schüttelte den Kopf und zwang sich ein Lächeln ab.
»Mister, wir sind schon seit Tagesanbruch unterwegs. Bisher
haben wir nicht mal 'ne Klapperschlange zu sehen bekommen.«
»Red, zurück!« befahl der Stämmige scharf. »Wir sind nicht
hier, um Ärger zu suchen. Das weißt du genau.«
Thomas war klar, daß die fünf Kerle den Jefe nicht
erkannten. Vielleicht war das gut so. Denn Burschen von ihrer
Art hätten bestimmt zu den Colts gegriffen, wenn sie gewußt
hätten, daß sie vor Cochise standen.
»Walt, mir gefallen die beiden nicht«, hetzte Red. »Wie kann
sich ein weißer Mann nur mit 'ne Rothaut abgeben? Da stimmt
doch was nicht. Ich will wissen, woher sie kommen, was sie
hier suchen.«
Cochises dunkle Augen funkelten zornig. Thomas erkannte,
daß der Stolz des Jefe bald stärker als die Beherrschung wurde.
In der Sprache der Chiricahuas sagte Thomas leise: »Ich bitte
dich, laß dich zu nichts hinreißen, Freund. Ich möchte
feststellen, was die Kerle hier suchen.«
Der Häuptling nickte. Er verstand, was Jeffords wollte.
»He, Red, hör zu«, sagte der Postmeister mit einem harten
Unterton in der Stimme, »es geht dich einen Dreck an, was ich
hier mache. Es geht dich noch weniger an, warum ich den
Indianer bei mir habe. Begreifst du das, Freundchen?«
Der Rothaarige grinste breit. In seinem Gesicht stand die
Genugtuung geschrieben, daß er nun einen Grund hatte, diesen
fremden Kerl herauszufordern.
Aber bevor der Schießer loslegen konnte, drängte der
Stämmige sein Pferd hinüber. Als Red zum Revolver griff,
packte der Anführer des Rudels blitzschnell zu.
»Verdammt, Big Sloop, was soll das? Glaubst du, ich ließe
mich von 'nem hergelaufenen Indianerfreund beleidigen?
Nimm die Hand weg, los! Ich verpasse dem Kerl 'ne Kugel.«
Thomas zog ganz gemächlich seinen Revolver und spannte
den Hahn.
»In Ordnung, Mister, laß ihn nur los«, sagte Jeffords kalt.
»Na, wo ist dein großes Maul jetzt, Red?«
Der Rothaarige kochte vor Wut. Aber er hatte den Hahn noch
nicht gespannt, und zum anderen hielt Big Sloop Reds
Handgelenk in eisernem Griff.
Der Stämmige sagte zu Thomas: »Mister, er ist ziemlich
hitzig. Wir sind schon 'ne ganze Weile unterwegs, und Red ist
immer sehr nervös, wenn ihm was begegnet, mit dem er nicht
gerechnet hat. Ich möchte keinen Ärger, wahrhaftig nicht, und
ich will Ihnen auch keinen Befehl geben. Aber ich denke, Sie
sollten jetzt besser weiterreiten. Sie verstehen mich?«
Jefford nickte. O ja, er verstand sehr gut. Er begriff sogar
mehr, als der Stämmige ahnte. Denn diese fünf Burschen
hatten einen besonderen Auftrag, sonst hätten sie sich nicht so
benommen. Und wenn es kein Auftrag war, so folgten sie doch
einem bestimmten Plan. Der Anführer wollte keinen Stunk.
Sicher dachte er an den Indianer. Wenn der entkam, konnte es
für die fünf Weißen schlimm werden.
»Sie sollten ihn am kurzen Zügel halten«, sagte Jeffords.
»Sonst stopft ihm eines Tages jemand sein großes Maul mit
Blei.«
Thomas preßte seiner Stute die Hacken in die Flanken.
Cochises Hengst ging zur gleichen Zeit an. Die beiden Pferde
fielen in Trab. Jeffords spürte, daß Schweiß in seinen Nacken
lief. Der Postmeister wartete auf das Krachen eines Schusses,
doch nichts geschah. Die Fremden ließen ihn und Cochise
ungehindert weiterreiten.
Sie erreichten die Biegung, umrundeten sie und blickten kurz
zurück. Kein Reiter folgte ihnen. Aber die fünf Männer hatten
ihren Tieren ebenfalls die Zügel freigegeben.
»Ich möchte wissen, wohin die Halunken wollen«, sagte
Thomas zu Cochise. »Am liebsten würde ich sie verfolgen.«
Der Jefe lächelte und wiegte den Kopf: »Du glaubst, daß sie
Bill Maders Mörder sind?«
»Ja.«
»Du willst wissen, ob sie das kleine Tal kennen«, sagte
Cochise. »Gut, folge mir, Hellauge. Der Canyon der Seufzer
hat viele Verstecke. Wir können die Pferde nicht mitnehmen.«
Der Jefe lenkte seinen Hengst zwischen halbhohe
Felsklippen und war wie vom Erboden verschwunden. Thomas
zupfte am Zügel. Die Stute folgte willig. Nach etwa 20 Yards
parierte der Postmeister den Schimmel, denn Cochise war
abgesessen.
»Wir müssen die Pferde führen«, erklärte der Häuptling.
»Wir bringen sie in ein Versteck, das nur die Apachen
kennen.«
Cochise sah Thomas ernst an.
»Ich respektiere eure Geheimnisse«, sagte Jeffords. »Ich
werde sie nur ausnutzen, wenn es nicht anders geht. Das
verspreche ich dir.«
Der Jefe nickte, setzte sich in Bewegung und hielt seinen
Hengst kurz am Zügel. Der Pfad war so schmal, daß eigentlich
nur Bergziegen sicheren Halt finden konnten. Thomas blickte
nicht nach rechts. Dort gähnte der Abgrund.
Ein einziger Fehltritt des Pferdes, und es war um das Tier
geschehen. Und dann riß es auch seinen Herrn mit in die Tiefe.
Doch die Schimmelstute setzte sicher Huf vor Huf.
Cochise bog auf einmal scharf nach links ab. Beinahe wäre
Thomas weitergegangen, denn die Felsspalte war kaum zu
sehen. Er führte sein Pferd hinein. Die Luft war feucht.
Im Halbdunkel schimmerte ein Teich. Tropfen fielen von der
Decke der Höhle, und an der Rückwand rann Wasser herab.
»Hier sind die Tiere sicher«, sagte Cochise. »Sie haben
genug zu trinken. Allein werden sie nicht hinausgehen. Komm,
Hellauge, ich führe dich durch den Canyon der Seufzer, aber
auf den Pfaden der Chiricahuas. Laß dein Gewehr hier. Es
behindert dich nur.«
Thomas klopfte seiner Stute den Hals, warf ihr die Zügel
über den Kopf und folgte Cochise, der lautlos zum Ausgang
glitt.
*
Der Häuptling ging den Felspfad weiter bergauf, der vor mehr
als einer mannshohen Geröllbarriere kaum fußbreit endete.
Zweifelnd blickte Thomas den Jefe an, als der zielsicher auf
die Sperre zuging.
Nach dem ersten Schritt rutscht das Gestein nach und
verschüttet uns, dachte Jeffords.
Cochise kletterte ohne Zögern über die Halde, und nicht mal
ein Felssplitter löste sich unter seinen Füßen. Als der Jefe auf
dem Kamm stehenblieb und zurückblickte, lächelte er über
Jeffords verblüfften Gesichtsausdruck.
»Komm, Hellauge, aber weiche nicht von dem Weg ab, den
ich nahm«, sagte der Häuptling.
Nur unwillig kam Thomas der Aufforderung nach. Einmal
wankte ein Stein unter ihm, aber als der Postmeister behutsam
sein Gewicht verlagerte, gewann er festen Halt.
»Das ist unglaublich«, sagte er, als er auf der Kuppe der
Barriere neben Cochise war. »Niemand vermutet einen
sicheren Weg in diesem steinigen Gelände. Für einen Verfolger
verschwindest du spurlos, wenn du einen kleinen Vorsprung
hast.«
Cochise lächelte, als er sagte: »Wir nutzen nur das aus, was
die Natur geschaffen hat. Aber die Bleichgesichter sind blind
und taub, die meisten wenigstens. Mein Freund Falke sieht
mehr als die übrigen Bleichgesichter, aber auch er ist noch
lange kein Apache.«
Falke – so nannte Cochise den Scout John Haggerty. General
Oliver O. Howard hatte ihn zum Lieutenant gemacht und neben
Al Sieber zum Chiefscout ernannt. Nur Haggerty war es zu
verdanken gewesen, daß Cochise in einer elftägigen
Verhandlung mit Howard sechs Monate Frieden zugesichert
hatte.
Aber obwohl der große Jefe als oberster Führer aller
Apachen galt, hielten sich doch nur seine Chiricahuas an die
Befehle. Die anderen Jefes, Victorio von den Mimbrenjos und
Santana von den Tontos, blieben erbitterte Feinde aller Weißen
im Südwesten. Zudem war Victorio der größte Rivale im
Machtkampf um die Oberherrschaft. Cochises Vorgänger
Mangas Coloradas war ein Mimbrenjo gewesen. Und Victorio
vertrat die Ansicht, daß wieder ein Mimbrenjo alle Stämme
führen sollte.
Aber Cochise kannte die Macht der Weißen. Ihm war längst
klargeworden, daß die Apachen einen verzweifelten Kampf
führten. Er ahnte, daß der Untergang seines Volkes nur noch
eine Frage der Zeit war.
Oft sagte Cochise: »Wir töten hundert Bleichgesichter, aber
tausend folgen ihnen in dieses Land, das uns gehört.«
Die angestammte Lebensweise der Apachen war dem
Untergang geweiht.
Cochise wollte nur, daß die Stämme mit möglichst wenig
Verlusten diese Vertreibung überstanden. Vielleicht träumte er
davon, daß der Große Geist eines Tages alle Weißen
hinwegfegte und das weite Land seinen roten Kindern
zurückgab. Wer wußte das schon.
»Siehst du den Pfad?« fragte der Jefe.
Jeffords kniff die Lider etwas zusammen. Sie standen hoch in
den zerklüfteten Randfelsen des Canyons. Wie ein gewaltiger
Buckel wölbte sich ein blanker Felsrücken und versperrte die
Sicht in das Tal der Seufzer.
Thomas deutete zu diesem Rücken und sagte: »Dort, am
Fuße der Wölbung, denke ich.«
Cochise nickte zufrieden. Auch Hellauge gehörte zu den
Weißen, die mit offenen Augen durch die Welt zogen.
Mit federnden Schritten ging der Häuptling voran. Als er
plötzlich verschwand, runzelte Jeffords die Stirn. Aber er
kannte inzwischen die Tricks und hielt nach einer Felsspalte
Ausschau. Er fand eine glatte, wie poliert wirkende Rinne, die
sich durch den gewölbten Gesteinsrücken wie eine tiefe Furche
zog. Cochise lag auf dem Bauch und wartete.
Als er hörte, daß sein weißer Freund hinter ihm zu Boden
ging, kroch der Jefe los. Er bewegte sich geschmeidig wie eine
Schlange voran und hob sich nie so weit vom Boden, daß Kopf
oder Schultern über die Ränder der Rinne ragten.
Thomas' Muskeln verkrampften sich, als er die halbe Strecke
zurückgelegt hatte. Er zischelte. Sofort blieb Cochise reglos
liegen.
»Du kannst sprechen, aber leise«, raunte er.
»Ich muß ein paar Minuten warten«, sagte Jeffords und
verwünschte seine Schwäche.
Aber es war nicht jedermanns Sache, sich wie eine Schlange
oder Schildkröte kriechend zu bewegen.
Cochise gab Thomas etwa fünf Minuten, ehe er weiterglitt.
Thomas holte tief Luft und folgte dem Häuptling.
Endlich hatten sie das Felsengebiet durchquert und gelangten
in eine Steinformation, die unüberwindlich schien.
Nadelscharfe Felsspitzen ragten wie die Splitter einer Flasche
dicht nebeneinander auf. Einzelne Kegel erreichten die Höhe
eines ausgewachsenen Mannes.
Cochise wartete, bis Thomas hinter ihm stehenblieb und
sagte: »Du mußt deine Füße genau in meine Spur setzen,
Hellauge, sonst bist du verloren.«
Langsam ging der Apache voran. Jeffords war froh, nicht
mehr auf dem Bauch kriechen zu müssen. Er blieb dicht hinter
Cochise. Obwohl er sich bemühte, genau auf dieselben Stellen
wie der Jefe zu treten, spürte er doch ab und zu, daß sich die
scharfen Spitzen in seine Stiefelsohlen bohrten.
»Jetzt wird es leichter«, raunte der Häuptling, als sie das
Hindernis hinter sich gebracht hatten.
Vorbei an hausgroßen Felsen arbeiteten sich die beiden
Männer weiter vor. Thomas wandte sich um und erkannte, daß
sie dicht am Rand des Tales sein mußten.
»Dort hinten, siehst du die drei Steinsäulen?« fragte Cochise
und wies mit der Hand auf eine Gruppe hoch aufragender
Felsen. »Dort ist das Ende des Tales.«
Minuten später sank der Jefe zu Boden und schob sich dicht
an den Rand des Abgrundes. Thomas rutschte neben Cochise
und hielt sekundenlang den Atem an. Von seinem Standort aus
überblickte er fast das ganze letzte Drittel des Canyons der
Seufzer. Die steile Felsplatte, die scheinbar den Abschluß des
Tales bildete, schien zum Greifen nahe zusein.
»Die Bleichgesichter sind noch nicht vorbeigeritten«, sagte
Cochise.
Sie brauchten nicht lange zu warten. Nach wenigen Minuten
hörten sie Hufschlag. Im Schritt gingen die Pferde der fünf
Kerle genau in der Mitte des Tales.
»Ich denke, das sind die Mörder des Trappers«, flüsterte
Thomas Cochise zu. »Was suchen die Burschen hier?«
Der Jefe antwortete nicht.
Gespannt beobachteten er und Jeffords, wie die Reiter ihre
Pferde auf die linke Seite der Felsspalte zulenkten und in dem
Hohlweg verschwanden, der im kleineren Tal des Trappers
endete.
»Du hast recht, Hellauge«, sagte Cochise. »Komm, folgen
wir den Männern. Oder willst du nicht wissen, was sie zu
finden hoffen?«
Thomas runzelte die Stirn und sah sich um. Nirgendwo
entdeckte er einen gangbaren Weg, über den sie in das
fruchtbare Tal hätten gelangen können.
Aber der Jefe glitt bereits im rechten Winkel vom Rand des
Canyons und kletterte zwischen den Felsen umher. Als Thomas
ihn eingeholt hatte, fragte er: »Ich denke, der Hohlweg ist der
einzige Zugang, mein Freund?«
»Der einzige, der Platz genug für ein Pferd bietet«,
antwortete der Häuptling. »Für einen Apachen gibt es zahllose
andere Wege.«
Hoffentlich vergißt er nicht, daß ich kein Apache bin, dachte
Thomas besorgt und fürchtete ein erneutes Kriechen.
Aber Cochise führte seinen weißen Freund über halbwegs
gute Pfade zum Ziel. Als der Jefe irgendwann stehenblieb,
deutete er mit der Rechten nach unten und fragte: »Noch näher,
Hellauge?«
Thomas schob sich vor und blickte in das grüne Tal hinab,
das Bill Maders Heimat gewesen war.
»Wir sollten versuchen, runterzukommen«, sagte Jeffords
nachdenklich. »Die Halunken haben den Eingang gekannt,
Cochise. Sie sind schnurstracks hinter die Felsplatte geritten.
Ich möchte rausfinden, was sie hier suchen.«
Der Häuptling winkte kurz und ging auf eine Kerbe im
Gestein zu. Als Thomas neben den Jefe trat, bekam er
unwillkürlich eine Gänsehaut. Die Kerbe war eine schmale und
sehr tiefe Spalte. Beinahe senkrecht fielen die Wände bis fast
zum Talgrund ab.
Cochise lächelte, als er in den Schacht kletterte. Der Apache
stemmte sich mit Rücken und Füßen gegen die Wände und
arbeitete sich so langsam abwärts. Jeffords ließ Cochise
genügend Vorsprung, bis er selbst auf die gleiche Art hinterher
kletterte.
Unten schlich der Jefe lautlos zur Seite. Thomas folgte ihm
und gelangte in eine Höhle, die so groß wie ein Tanzsaal in
Tombstone war. Unbehagen befiel Thomas Jeffords, als er sich
aufrichten wollte und mit dem Kopf an die Decke stieß.
Durch einen Spalt fiel so viel Licht in die Höhle, daß Thomas
den gewachsenen Fels erkennen konnte. Er kämpfte seine
Platzangst nieder und ging dicht neben dem Jefe zu Boden.
Sie konnten das ganze Tal übersehen.
Die fünf Reiter stiegen neben der halb verfallenen Blockhütte
aus den Sätteln und lösten die Gurte. Kurz darauf brannte ein
rauchloses Feuer. Einer der Männer holte Wasser von der
Quelle hinter dem Haus, ein anderer stapelte Steine im offenen
Viereck und setzte die Pfanne über die Flammen.
Kein Zweifel, die Leute kannten sich aus.
»Bill Mader starb nicht an den Folgen der Folterung«, sagte
Thomas zu Cochise. »Da siehst du seine Mörder, Jefe. Ich muß
feststellen, was sie hier wollen. Sobald es dunkel genug ist,
schleiche ich mich an und werde sie belauschen. Vielleicht
erfahre ich genug, um handeln zu können.«
Der Apachen-Häuptling legte Jeffords eine Hand auf den
Unterarm und lächelte: »Laß mich gehen, Hellauge. Ich kenne
mich aus. Du begibst dich in unnötige Gefahr.«
Thomas winkte ab. »Nein, Freund, das ist meine Sache.
Wenn die Sache schiefgeht und du geschnappt wirst, schneiden
die Lumpen dir die Kehle durch. Vergiß nicht, du bist für sie
nur ein Indianer. Du hast doch vorhin gemerkt, wie sie darauf
reagieren. Ich dagegen kann mich rausreden, wenn sie mich
erwischen.«
Cochise schwieg. Er hatte seinen Vorschlag gemacht und
drang nicht weiter in Jeffords, obwohl er eine böse Vorahnung
hatte. Doch er akzeptierte die Entscheidung seines Freundes.
*
Die Sonne versank im Westen. Für Minuten tauchte sie den
Rand des kleinen Tales in rotgoldenes Licht. Zwielicht
verzerrte im Canyon alle Dinge zu grotesken Gebilden.
Die Flammen in der Feuerstelle loderten höher auf.
Unbekümmert lagen die Kerle im hellen Schein, als gäbe es
keine Apachen. Die fünf fühlten sich sicher.
Thomas machte sich bereit.
Lautlos kroch er durch die Spalte, glitt die zwei Yards über
die schräge Steinfläche und gelangte in das saftige Gras, das
kniehoch wuchs. Unendlich vorsichtig arbeitete sich Thomas
vor. Während seiner Zeit als Scout im Bürgerkrieg hatte er
gelernt, wie man sich einem Feind nähert.
Immer wieder verharrte er und lauschte. Die Stimmen
wurden deutlicher, aber noch konnte Thomas die Worte nicht
unterscheiden. Er mußte näher heran. Ein dicht wucherndes
Gebüsch war sein nächstes Ziel. Ungesehen erreichte er die
belaubten Zweige und wartete. Ab und zu verstand Jeffords
Bruchstücke, einen halben Satz. Nicht genug, um
Zusammenhänge herauszufinden.
Thomas schaute zum Himmel. Der Widerschein der Sonne
tauchte das weite Firmament in ein Rotgold. Schaudernd
dachte Jeffords, daß dieser Schein ein Omen sein konnte.
Er umrundete den Busch, kroch weg von der Feuerstelle und
näherte sich in weitem Bogen dem zerfallenen Blockhaus.
Links von der Hütte, neben dem Pfad, der zur Quelle führte,
blieb Thomas liegen.
»Hoffentlich kommt der Boß bald«, sagte einer der Männer.
»Er kommt, verlaß dich drauf«, behauptete Big Sloop mit
rauher Stimme.
»He, hat keiner 'nen Schluck Whisky?« fragte ein anderer.
Jeffords erkannte den Rothaarigen an der Stimme.
»Laß das Saufen, Red«, sagte jemand. »Wer weiß, was uns
heute nacht noch bevorsteht. Du solltest einen klaren Kopf
behalten. Vergiß nicht, wir sind mitten im Apachenland.«
»Pah, rote Stinker«, entgegnete Red verächtlich, »laß sie nur
kommen. Wir schicken sie mit blutigen Köpfen zurück. Und
ich schieße mit Whisky im Bauch immer noch besser als ihr
nüchtern.«
Die Kumpane lachten lauthals, und einer rief: »Dein Maul
müssen wir noch extra totschlagen, wenn du mal zur Hölle
fährst, Red. Ich wette, du machst des Teufels Großmutter mit
deinem Gequatsche besoffen.«
»Mann, hör auf«, sagte Red, »rück lieber 'ne Flasche raus.«
»Okay, okay, aber dafür holst du Wasser. Ich habe Durst auf
Kaffee.«
»Pfui Teufel! Das Zeug kann ich nur trinken, wenn es mit
Schnaps gemixt ist.«
Zwei Männer standen auf. Ihre Konturen hoben sich deutlich
im Feuerschein vom dunklen Hintergrund des Tales ab. Einer
der Kerle ging zu den Pferden, die etwas abseits standen. Als er
zurückkam, schimmerte das Glas einer flachen Flasche im
Licht der Flammen.
Sekunden später hörte Jeffords, wie der Korken gezogen
wurde und sah, wie Red die Flasche an die Lippen setzte.
»He, wie ist das mit meinem Wasser?« fragte der andere
Bursche.
»Okay, ich gehe ja schon«, murrte Red und verschloß die
Flasche sorgfältig.
Er nahm die Kanne und latschte zum Blockhaus.
Jeffords duckte sich tiefer, schmiegte sich ins Gras und
hoffte, von Red nicht gesehen zu werden.
Doch entweder war es der Whisky oder der Instinkt des
Revolverhelden, denn der Kerl blieb genau neben Thomas
stehen. Nach unendlich lang erscheinenden Sekunden rülpste
Red gewaltig. Der Alkohol wirkte schon. Als der Bursche sich
wieder in Bewegung setzte, trat er vom Weg nach links und
stolperte über Jeffords.
»He, verdammt, was ist das denn?« entfuhr es Red.
Thomas schnellte hoch, riß den Revolver aus dem Halfter
und schlug zu. Katzengewandt drehte sich der Rothaarige zur
Seite, pendelte vor und ließ von unten die Blechkanne
hochsausen. Sie traf mit hellem, metallischen Klang den Colt.
»Was ist los?« rief einer seiner Kumpane.
Jeffords' Chance war so dünn wie die eines Schneeballes in
der Hölle.
Er sprang zurück, zielte, wollte abdrücken, aber Red
schnellte sich panthergleich vor, ließ die Kanne fallen,
umklammerte Jeffords mit beiden Armen und riß ihn zu Boden.
Schmerzhaft prallte Thomas mit dem Handgelenk auf einen
Stein und ließ den Revolvergriff los.
Red schickte einen Schwinger auf die Reise. Im letzten
Moment drehte der Postmeister den Kopf zur Seite. Aber der
Schlag erwischte ihn doch noch an der Schläfe und ließ tausend
bunte Sterne vor seinen Augen explodieren.
Undeutlich vernahm Thomas Schritte, fühlte sich
hochgerissen und davongezerrt. Die züngelnden Flammen
tanzten zwischen den bunten Lichtem, und ein dumpfer
Schmerz breitete sich von der Schläfe her über den ganzen
Kopf aus.
»Na so was, der Jäger«, höhnte ein Mann. »Hast du uns etwa
mit 'nem fetten Bock verwechselt?«
»Oder denkst du, wir wären ein Rudel Wölfe?« fragte ein
anderer. »Da könntest du nämlich richtig liegen, Mister.«
»Schluß damit!« fauchte der untersetzte Big Sloop. »Fesselt
ihn, aber richtig! Hände auf den Rücken, Beine binden und ein
Strick zu den Füßen. Zieht ihn so straff an, daß er krumm liegt
und keinen Unsinn machen kann.«
Jeffords wurde herumgedreht, und das Mühlrad in seinem
Kopf knirschte und dröhnte immer unerträglicher.
Ein jäher Schmerz zuckte von seinen Rippen quer durch den
Leib, als ihn die Halunken unweit vom Feuer zu Boden warfen.
»Laß ihn mir, Big Sloop«, rief Red aufgeregt, »ich mache ihn
fertig. Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. Dieser
großmäulige Hundesohn, ich zahle ihm seine Beleidigungen
heim.«
»Mann, was suchst du hier?« fragte Big Sloop, der turmhoch
neben dem Gefangenen aufragte. »Warum bist du uns gefolgt,
he?«
Jeffords preßte die Lippen zusammen und schwieg.
Er stöhnte qualvoll, als ihn die Stiefelspitze des Halunken in
die Seite traf.
»Los, mach das Maul auf, wir können auch anders!« drohte
Big Sloop.
»Verdammt, ich wollte nur wissen, was ihr hier sucht«, stieß
Thomas mühsam hervor, »weiter nichts.«
»Neugierig bist du gar nicht, wie?« fragte einer von ihnen
spöttisch. »Wolltest du sehen, ob wir mehr Glück auf der Jagd
haben als du?«
Seine Gefährten lachten gemein und scheppernd.
»Wo hast du denn deine Rothaut gelassen?« wollte Big
Sloop wissen. »Hockt der Bastard irgendwo in der Nähe? Hat
er uns vor dem Lauf? Los, rück schon mit der Sprache raus!«
Jeffords sagte kein Wort. Er ging gegen den Schmerz an, und
abermals traf ihn ein Tritt zwischen die Rippen.
»Mann, spiel nur nicht den Helden«, krächzte Red. »Wir
holen alles aus dir raus, was wir wissen wollen. Wir können
genauso freundlich wie die Apachen sein.«
Thomas preßte die Zähne zusammen, daß sie schmerzten.
Cochise war seine einzige Hoffnung. Der Jefe befreite ihn
bestimmt, sobald sich eine günstige Gelegenheit ergab, dessen
war sich Thomas sicher. Aber wenn er verriet, daß der Apache
in der Nähe war, mußte Thomas mit dem Schlimmsten
rechnen.
»Was ist das überhaupt für ein Wesen?« wollte Red wissen.
»Für 'nen Apachen ist der Kerl doch zu groß. Wie kommt es,
daß ihn die Rothäute nicht schon erwischt haben?«
»Hat keinen Sinn«, sagte einer der anderen, »der Bursche
hält sich für besonders hart. Nimm ihn dir richtig vor, Big
Sloop.«
»He, ich will mir endlich mal wieder 'nen Spaß gönnen«,
maulte Red.
»Nein, du nicht«, rief der andere, »du schlägst ihn tot. Dann
erfahren wir nichts mehr. Big Sloop weiß, wann er aufhören
muß.«
Thomas blinzelte und sah hoch. Der stämmige Typ grinste
satanisch. In seinem Gesicht stand die Vorfreude, und er ließ
Jeffords wieder die Stiefelspitze spüren. Er stöhnte laut und
versuchte, sich herumzuwälzen, aber die Stricke ließen keine
Bewegungen seines gekrümmten Körpers zu.
»Sieh mal, wie ein Skorpion im Feuerring«, hetzte einer der
Halunken.
»Er krümmt sich gleich noch mehr«, versprach Big Sloop.
Langsam beugte sich der Untersetzte hinab, zeigte Jeffords
die mächtigen Hände und spreizte die Finger.
»Es macht mir überhaupt nichts aus, dir den Hals
zuzuhalten«, drohte der Bandit mit gleichmütiger Stimme. »Ich
kann dir auch die Zähne einzeln herausholen, bis du wie eine
Memme aussiehst. Und da gibt es noch ein paar feine Sachen,
die ich mit deinen Armen und Beinen anstellen kann. Na, wie
ist es, willst du nicht doch lieber reden?«
»Was habe ich davon?« fragte Thomas zurück und kämpfte
gegen die Übelkeit an. »Ihr bringt mich so oder so um. Warum
sollte ich vorher reden?«
Big Sloop lachte verkrampft. »Dann lasse ich dich vielleicht
schneller zur Hölle fahren, Mensch. Du bekommst 'ne Kugel in
den Wanst und hast deine Ruhe.«
Jeffords antwortete nicht. Er schloß die Augen, sehnte die
Ohnmacht herbei, aber instinktiv kämpfte er gleichzeitig
dagegen an.
Abermals bekam er einen Tritt in die Seite. Trotz der Fesseln
bäumte sich Thomas auf, während er den nächsten Tritt spürte
und übergab sich würgend.
»So ein Schwein«, meckerte einer der Halunken, »kotzt
unser Lager voll.«
»Sei ruhig, Elmer«, sagte Big Sloop, »ich wische den Dreck
mit dem Kerl auf, wenn ich fertig bin.«
Thomas atmete ganz flach. Von seiner linken Niere aus jagte
der peinigende Schmerz in Wellen durch seinen Leib.
Auf einmal roch Jeffords Alkohol. Er öffnete die Augen und
sah Reds Visage über sich.
»Mach's Maul auf, du sollst einen Schluck haben«, sagte der
Rothaarige.
»Laß das«, befahl Big Sloop, »er wird blau und spürt nichts
mehr.«
»Ach was, er ist so kaputt, daß ihn der Whisky richtig
fertigmacht. Laß mich nur, ich bringe ihn schon zum Reden.«
Thomas drehte den Kopf weg, aber Red packte seine Haare,
riß den Kopf wieder herum und drückte Jeffords den
Flaschenhals zwischen Lippen und Zähne.
Er schluckte schnell und fühlte, wie der scharfe Schnaps
seinen leeren Magen zu verbrennen schien.
Big Sloop hat recht, dachte Thomas verschwommen. Ich
habe lange nichts mehr gegessen. Noch zwei Schluck, und ich
bin sternhagelvoll.
Sein geschwächter Körper reagierte sofort auf den Alkohol.
Jeffords merkte nicht mehr, daß ihm der Whisky aus den
Mundwinkeln rann, als er die Augen schloß und in eine tiefe
Ohnmacht versank.
»Du verdammter Narr«, brüllte Big Sloop. »Du und dein
Scheißwhisky!«
Er riß Red die Flasche aus der Hand und warf sie im hohen
Bogen in die Dunkelheit. Irgendwo zerklirrte das Glas, und
Red schlich aus dem Lichtkreis des Feuers.
»Du hältst Wache. Verstanden?« herrschte Big Sloop ihn an.
»Die ganze Nacht. Und wenn du in Zukunft meine Befehle
wieder nicht befolgst, prügele ich dich durch. Bis der Boß da
ist, hört ihr auf mich.«
Red murmelte etwas Unverständliches, zog seine Winchester
aus dem Scabbard und baute sich seitlich vom Blockhaus auf.
Allmählich wurden die Banditen müde. Sie hatten das
Erscheinen des Fremden durchgesprochen und keine Erklärung
gefunden. Sie konnten nur abwarten, bis der wieder zu sich
kam.
*
Cochises Gesicht war unbewegt, als er die Mißhandlungen sah.
Für einen Chiricahua gehörten Schmerz und
Selbstbeherrschung zum Dasein. Natürlich bedauerte der Jefe,
Hellauge in der Gewalt der fünf Outlaws zu wissen.
Andererseits waren nun die Fronten geklärt.
Die Banditen kannten dieses Tal. Ein ganz bestimmter Grund
hatte sie hergeführt. Und sie fürchteten, daß Thomas Jeffords
diesen Grund ebenfalls kannte.
Der Häuptling wartete mit der Geduld, die seiner Rasse zu
eigen war. Aufmerksam beobachtete er die Männer, die ihre
Decken ausbreiteten und dicht an das verglommene Lagerfeuer
heranrückten. Eine Schnapsflasche machte die Runde. Ab und
zu kam der Rothaarige heran und blickte neidvoll seine
Kumpane an, wenn sie tranken.
Stunden vergingen. Thomas Jeffords lag noch immer reglos
am Boden. Die Kerle zogen sich die Decken fester um die
Schultern und benutzten die Sättel als Kopfstütze. Zwei
Banditen schnarchten laut.
Cochise beobachtete seinen Freund, der noch immer reglos
dalag. Der Jefe wartete auf ein Lebenszeichen, denn es war
sinnlos, Jeffords zu befreien, wenn er ihn tragen mußte.
Der Rothaarige marschierte in unregelmäßigen Abständen
um das Feuer, die Pferde und die Hütte. Anschließend lehnte er
sich jeweils an die Seitenwand des Blockhauses und rauchte.
Cochise staunte über so viel Unvernunft und Leichtsinn. Jeder
Apache konnte sich allein am Tabakrauch orientieren und den
sogenannten Wächter ausfindig machen.
Endlich bewegte sich Jeffords. Er wälzte sich etwas herum,
ließ sich jedoch sofort wieder in die alte Stellung sinken, als er
die Schritte des Postens hörte.
Red beugte sich über den Gefangenen und musterte ihn.
Cochise glitt wie eine Schlange aus dem Felsspalt. Yard für
Yard näherte er sich seinem gefesselten Freund. Geschickt
nutzte der Häuptling jeden Schatten, jedes Grasbüschel und
jeden Strauch als Deckung aus.
Als er nur noch vier Yards von Thomas entfernt war, begann
Red seine nächste Runde.
Cochise robbte weiter, erreichte die Hüttenwand und erhob
sich lautlos, drängte sich dicht an die Balken. Red kam zurück,
stellte die Winchester gegen die Wand und zog ein Päckchen
Tabak aus der Tasche.
Diesen Moment nutzte Cochise. Mit einem einzigen Hieb
gegen die Schläfe schickte er den Banditen ins Land der
Träume.
Als Red zusammenbrach, packte der Jefe zu und fing ihn auf.
Behutsam ließ der den schweren Körper zu Boden gleiten.
Sekunden später holte der Apache die leere Whiskyflasche, die
zwischen den Schläfern am Feuer lag. Der Jefe drehte sich um.
Jeffords blickte ihn grinsend an. Cochise huschte wie ein
Schatten zur Quelle und füllte die Flasche, denn sicherlich
hatte Thomas nach seinem unfreiwilligen Rausch großen Durst.
Einer der Outlaws murmelte im Schlaf, fuchtelte mit den
Händen in der Luft herum und rief gepreßt: »Dolores, nein,
nicht zu ihm.«
Cochise kauerte neben Jeffords. Der Apache war bereit, im
Bruchteil einer Sekunde aufzuspringen und den Kerl ins
Jenseits zu befördern. Aber der beruhigte sich wieder. Er
drehte sich zur Seite und stimmte in das Schnarchkonzert der
anderen mit ein.
Der Häuptling der Chiricahuas zerschnitt die Stricke.
Thomas preßte die Lippen zusammen, als das Blut wieder in
die bisher abgeschnürten Glieder schoß und wie tausend Feuer
brannte.
Er rieb sich die Handgelenke und die Füße und stand
taumelnd auf. Cochise packte zu, sonst wäre sein Freund
gefallen.
»Geht schon«, hauchte Thomas dicht am Ohr des Jefe.
Cochise nahm die Flasche auf und wartete, bis sich Jeffords
in Bewegung setzte. Mit jedem Schritt ging es besser. Als er
die halbe Strecke zum Versteck geschafft hatte, lief Thomas
wieder sicher und lautlos.
Er schlüpfte in die Höhle, rollte sich herum und blieb flach
ausgestreckt auf dem Rücken liegen.
»Schmerzen, Hellauge?« fragte Cochise leise, als er ebenfalls
ins Versteck glitt.
»Ein wenig«, antwortete Thomas, »aber mein Hals ist wie
ein Reibeisen. Das war kein Whisky, sondern
Klapperschlangengift, das reinste Lampenöl.«
Der Jefe drückte seinem weißen Freund die Flasche in die
Hand. Thomas trank einen Schluck, füllte den Mund und ließ
die kühle Feuchtigkeit überall eindringen. Wenig später war
das Gefühl der Trockenheit fast völlig geschwunden, und
Thomas trank in langen Zügen.
»Schaffst du den Aufstieg?« fragte Cochise. »Sonst warten
wir noch, wenn du dich zu schwach fühlst.«
Mit einem Ruck richtete sich Thomas auf, knallte mit dem
Kopf an die Höhlendecke und fluchte unterdrückt.
»Bist du verrückt?« fragte er Cochise. »Wir bleiben hier. Ich
möchte wissen, was die Lumpen wirklich suchen. Ich will
ihren Boß sehen.«
»Was nützt es?« fragte der Häuptling. »Wir wissen, daß es
hier kein Gold gibt. Du streust die entsprechenden Gerüchte
aus, und alles erledigt sich von selbst.«
»O nein, so geht das nicht«, wehrte Jeffords ab. »Freund, die
Kerle sind Halunken der übelsten Sorte. Sie gehören zum
Grenzgesindel. Ich wette, in den letzten Jahren hat keiner
dieser Brüder auch nur eine Stunde ehrliche Arbeit geleistet.
Das ist der Abschaum der Menschheit, Jefe.«
»Und was kümmert das die Chiricahuas?« fragte der Chief
neugierig.
Jeffords seufzte.
»Mann, sie rauben und morden, begehen Überfälle, und alles
wird auf das Konto der Apachen gerechnet. Die Dreckskerle
schmuggeln, machen jede Art von dunklem Geschäft, und die
Indianer sind wieder mal schuld. Was passiert? Die Feindschaft
zwischen Weißen und Roten wird erneut angeheizt, und jeder
Weiße macht Jagd auf euch. Ihr setzt euch zur Wehr, und dann
ist der Krieg da.«
Cochise wußte, daß sein Freund recht hatte. Aber wenige
Minuten nach der Rückkehr des Jefe in die Apacheria konnten
sich Krieger auf den Weg machen, um die Halunken in die
Hölle zu schicken.
Doch der Häuptling wußte, daß Thomas nicht viel von dieser
Art hielt. Da Weiße – wenn auch Gesindel – mit im Spiel
waren, hätte der Postmeister nicht aufgegeben.
»Gut, wir bleiben«, entschied der Jefe. »Sie finden uns nicht.
Wir haben keine Spuren hinterlassen.«
»Wie tief ist die Höhle?« fragte Thomas.
»Sie führt weit in den Berg hinein«, antwortete der Chief.
»Wenn die Männer reinkommen, ziehen wir uns zurück. Sie
geben schnell auf. Denn auch hier finden sie keine Spuren.«
Jeffords war zufrieden. Er kroch zum Ausgang und legte sich
auf den Bauch, denn er wollte um keinen Preis versäumen,
wenn der Rothaarige erwachte.
Wenige Minuten später war es soweit.
Lautes Stöhnen, gefolgt von einem wüsten Fluch.
Red taumelte auf die Feuerstelle zu. Er hielt sich den Kopf
mit beiden Händen. Der Bandit stolperte über einen der
Schläfer, fiel und prallte auf zwei andere. Innerhalb von zwei
Sekunden entwickelte sich eine Schlägerei.
»Aufhören, verdammt, ich bin's, Red.«
Die Männer ließen voneinander ab. Sie standen auf, hielten
die Revolver in den Händen und sahen sich um.
»Verdammt, der Kerl ist weg!« brüllte Big Sloop und rannte
zu den zerschnittenen Stricken. »Red, du bist ja ein schöner
Posten. Verdammt, bald reicht es mir.«
»Hör bloß auf«, wehrte der Rothaarige ab. »Irgend jemand
hat mich niedergeschlagen. Ich wette, der verdammte Indianer
war in der Nähe und hat den Hurensohn rausgeholt.«
Die Banditen liefen hin und her. Einer fachte das Feuer an,
daß die Flammen hochschlugen und prasselten.
»Bist du übergeschnappt?« fauchte Big Sloop. »Tim, weg
vom Licht. Wir stehen wie die Zielscheiben hier.«
»Reg dich doch nicht auf. Wenn der Indianer sich
anschleichen konnte, hätte er uns auch die Hälse abschneiden
können.«
Der Anführer des wilden Rudels knurrte etwas
Unverständliches.
Gereizt sagte er: »Wir bleiben wach. Jeder bezieht woanders
Posten. Beim geringsten Geräusch schießt ihr, klar? Und
sobald es hell ist, suchen wir das Tal ab. Der Kerl kann doch
nicht verschwunden sein.«
»Sind unsere Gäule alle da?« fragte Tim Wheeler.
Sofort rannte Big Sloop hinter die Hütte und lachte
zufrieden, als er ihre Pferde vollzählig sah.
»Okay, einer geht zum Hohlweg«, befahl der Untersetzte und
teilte die anderen ein.
Cochise und Thomas behielten die Banditen im Auge. In der
Nähe des Felsspalts ließ sich niemand sehen.
»Ich schlafe eine Runde«, sagte Jeffords und rollte sich
zusammen.
Der Häuptling lehnte sich in der Nähe der Höhlenmündung
an die Wand und schloß die Augen. Das geringste fremde
Geräusch hätte ihn hellwach gemacht. Er war eben ein Mann
der Wildnis.
*
Als im Osten der graue Schein der Dämmerung über die Berge
zog, versammelten sich die fünf Banditen an der Feuerstelle.
»Okay, wir suchen das ganze Tal ab, jeden einzelnen
Quadradyard. Die Kerle können sich nicht in Luft aufgelöst
haben. Laßt sie nicht entwischen, wenn ihr sie seht. Kapiert?«
Die Burschen sattelten, und Big Sloop bezog Posten nahe
dem Zugang zum großen Canyon. Seine Männer ritten kreuz
und quer durch das Tal. Die Pferde trampelten Grasbüschel,
Sträucher und kleine Bäume nieder. Die Reiter beugten sich
aus den Sätteln, krochen unter vorragende Felsplatten und
kletterten in Spalten hinein.
Aber sie fanden keine Spur von ihrem Gefangenen und
seinem Befreier.
Cochise und Jeffords sahen interessiert zu.
»Sie sind blind wie eine Eule am Tag«, sagte der Jefe
verwundert. »Keiner von ihnen ist auch nur in die Nähe dieser
Höhle gekommen.«
Thomas sagte lächelnd: »Der Spalt liegt dicht über dem
Boden. Da keine Fährte vorhanden ist, glauben die Männer
einfach nicht daran, daß hier zwei Menschen reingekrochen
sind.«
»Da«, sagte Cochise und deutete auf Big Sloop.
Der Anführer der Banditen trieb sein Pferd zur Seite, verhielt
es neben der Mündung des Hohlweges und hob die Rechte mit
dem Colt. Matt schimmerte das Metall der Waffe im Schein
der ersten Sonnenstrahlen.
»Der Boß kommt«, flüsterte Thomas.
Er fieberte vor Erwartung, obwohl er den eigentlichen
Anführer der Halunken doch sicher nicht kannte.
Aber als der Mann den Stollen verlassen hatte und im hellen
Licht sein Pferd zügelte, stieß Jeffords den Atem aus.
Unwillkürlich hatte er die Luft angehalten.
»Claude Atkins!« stieß der Postmeister hervor, »der Mörder,
der während der Fiesta in Tombstone aus dem Jail geflohen
ist.«
Cochise musterte den Killer gelassen. Für den Apachen war
Atkins nur ein weiterer weißer Halunke.
»He, Boß, endlich!« rief Big Sloop und steckte seine Waffe
weg.
»Was ist los?« fragte Atkins scharf. »Was treibt ihr für
Spielchen?«
Big Sloop verzog das Gesicht und sah an dem Revolverheld
vorbei.
»Boß, wir erwischten einen Kerl, der uns belauschte«, sagte
der Untersetzte. »Am Nachmittag trafen wir den Burschen im
großen Canyon. Er hatte einen Indianer bei sich, einen großen
Typ mit 'nem Brustkasten, so mächtig wie ein Faß. Der
Bursche erzählte, daß er auf der Jagd gewesen wäre, aber
nichts geschossen hätte.«
»Moment«, sagte Atkins und hob die Rechte. »Wie sah der
Weiße aus?«
»Vielleicht knapp sechs Fuß groß, kräftig, stämmig, Boß«,
antwortete Big Sloop, »blonde Haare und blaue Augen.«
»Jeffords!« entfuhr es Atkins. »Dieser verfluchte Bastard von
einem Briefträger treibt sich hier rum. Und wenn er 'nen
riesigen Apachen mit 'ner Adlernase bei sich hatte, war das
Cochise. Und ihr Idioten habt den Dreckskerl laufen lassen. Ich
könnte euch zur Hölle schicken, ihr verdammten Narren.«
Thomas überlegte sich, wie Atkins in dieses Tal gekommen
war. Woher wußte der Outlaw überhaupt von der Existenz des
Canyons? Sorgfältig rief sich Thomas ins Gedächtnis zurück,
was er in der Paßstation gesagt hatte, als er Atkins in der
Kutsche entdeckt hatte. Vielleicht war es dem Mörder
gelungen, Jeffords und den Roten Elch zu belauschen, als sie
über das Tal und den Skelettfund gesprochen hatten.
Thomas schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht möglich.
Denn nachdem er Atkins erkannt hatte, war er überhaupt nicht
mehr mit dem Ute zusammengetroffen. Außerdem war der
Trapper schon lange tot gewesen, als Atkins im Südwesten
aufgetaucht war.
Aber es konnte sein, daß er nur wegen dieses Tales in diese
Gegend gekommen war.
»Los, sucht noch mal!« befahl der Mörder. »Dreht jeden
Stein um, nehmt euch Fackeln, leuchtet in jeden Felsspalt, und
wenn ihr das Ende nicht sehen könnt, werft den Feuerbrand
hinein. Ich will Jeffords. Und wenn wir noch Cochise
erwischen, gehört das Land uns, Leute.«
Die Banditen ritten zum Feuer, warfen harzige Äste in die
Glut und warteten, bis sie aufflammten. Mit den lodernden
Fackeln galoppierten die Kerle los. Zuerst suchten sie die
Einschnitte und Risse in den Felsen auf, leuchteten in die
Spalten hinein und warfen die brennenden Äste mit aller Kraft,
als sie nichts entdeckten.
»Zurück, Hellauge!« sagte der Jefe. »Dieser Mann übersieht
den Spalt nicht. Wir gehen bis hinter den Riß, der nach oben
führt. Dort zieht der Rauch der Fackel ab, und wir bekommen
Luft genug.«
Atkins trieb sein Pferd an, lenkte es direkt auf die Öffnung
zu, die zu Cochise und Jeffords führte.
»Was ist hiermit?« rief der Killer laut. »Wo bleibt eine
Fackel? Der Spalt ist für einen Menschen groß genug.«
»Boß, das ist was für Kaninchen«, gab Big Sloop zurück,
aber er eilte zum Feuer und brachte zwei brennende Äste.
Atkins stieg ab, ging geschmeidig auf den Spalt zu, zog den
Revolver, streckte die Linke aus, und Big Sloop legte ihm die
erste Fackel in die Hand.
Der Mörder ließ sich auf die Knie nieder. Sorgfältig leuchtete
er den Boden ab. Aber da es weder Staub noch lose Steine gab,
entdeckte er keine Spur.
»Die Flasche«, raunte Thomas entsetzt in Cochises Ohr.
»Wir haben die Whiskyflasche mit dem Rest Wasser
vergessen!«
Der Apache drückte ihm das Glas in die Finger. Erleichtert
atmete Jeffords auf. Cochises Umsicht hatte sie vor der
unmittelbaren Entdeckung gerettet.
Die Fackel loderte auf, als Atkins sie weit in die Höhle
schleuderte.
»Das ist ein verdammt tiefes Loch«, klang seine Stimme
dumpf auf. »Ich möchte wissen, ob es irgendwo einen zweiten
Ausgang gibt.«
Aber als die zweite Fackel weit hinter der ersten aufprallte
und mit ruhiger Flamme abbrannte, zog sich Atkins zurück.
Cochise und Thomas warteten, bis auch der letzte Rauch
verweht und das Glimmen erloschen war, ehe sie vorsichtig
zurückkrochen. Der Häuptling schob sich Stück für Stück vor.
Langsam hob er den Kopf und blickte ins Tal.
Die Banditen hockten am Feuer. Eine Blechkanne stand in
der Glut, und einer der Burschen hantierte mit der Pfanne.
Mit knurrendem Magen sah Jeffords zu, wie die Burschen
aßen und Kaffee tranken.
»Ich hole Proviant«, sagte der Apache nach einer Weile.
»Warte hier und beobachtete. Laß dich nicht wieder erwischen,
Hellauge.«
Bevor Thomas antworten konnte, war der Jefe
verschwunden. Erbost dachte Jeffords an Cochises Spott,
mußte aber schließlich grinsen. Denn der Apache hatte
eigentlich recht. Es war dumm von Thomas gewesen, sich so
nahe an die Kerle heranzuschleichen. In angemessener
Entfernung hätte er genausoviel erfahren.
Nachdem die Banditen gegessen hatten, teilte Atkins seine
fünf Leute ein. Auch Big Sloop mußte ein Stück des Tales
absuchen. Kopfschüttelnd verfolgte Jeffords die erneute
Aktion. Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Sie achteten nicht auf
Spuren, sondern nahmen das Gestein unter die Lupe und
hieben hier und da mit den Revolvergriffen lockere Brocken
aus den Felswänden.
Sie suchen die Goldader, dachte Thomas.
Aber sosehr die Banditen auch jedes Stück Felsen musterten
und den Boden umwühlten, ihre Suche war ergebnislos.
Atkins redete auf die Kumpane ein, gestikulierte wild und
zeigte auf die Gesteinsschichten in halber Höhe. Zögernd
machten sich seine Leute an die Arbeit. Sie fertigten aus Seilen
Strickleitern und kletterten in die Felsen. Hammerschläge
dröhnten durch das kleine Tal, als die Burschen Haken im
Gestein verankerten und wie übergroße Käfer oder Spinnen mit
Hilfe der Seile die Steilwände und Überhänge absuchten.
Jeffords drehte sich um und kroch zurück, als zwei der Kerle
vor der Felsspalte stehenblieben und sich unterhielten.
»Mensch, Elmer, der Boß spinnt wohl«, sagte einer der
Banditen. »Jagt uns die Wände hoch, als wären wir
Eidechsen.«
»Tim, wenn es wirklich 'ne große Ader gibt, haben wir für
alle Zeiten ausgesorgt«, gab Elmer zu bedenken. »Wir stopfen
uns die Taschen voll, beladen die Gäule und verschwinden.
Irgendwo in Kalifornien oder Montana gibt es auch für uns 'ne
Chance, ein vernünftiges Leben anzufangen.«
Elmer lachte spöttisch und fragte: »Sag bloß, dort hängen
deine Steckbriefe noch nicht aus?«
Tim Wheeler antwortete mit einem Fluch, lachte dann
ebenfalls und erwiderte: »Dann eben Kanada, was soll's. Mit
einem Haufen Dollars in den Taschen sind wir sicher. Kein
Hahn kräht danach, daß wir irgendwo gesucht werden.«
Elmer hämmerte einen Haken ins Gestein, schnaufte und
sagte: »Ich kenne mich doch. In ein paar Monaten habe ich den
ganzen Reichtum auf den Kopf gehauen. Mensch, Tim, weißt
du überhaupt, wie langweilig so ein ordentliches Leben ist?
Am Ende heiratest du noch und gehst jeden Sonntag in die
Kirche.«
»Man muß alles mal ausprobieren«, sagte Tim gelassen.
»Wenn's mir nicht paßt, reite ich wieder auf dem rauchigen
Trail.«
Thomas kroch vorsichtig rückwärts. Als er den senkrechten
Schacht erreichte, hörte er die Stimmen der zwei Banditen nur
noch als schwaches Gemurmel.
Er blickte nach oben und blinzelte. Die grellblaue Helligkeit
des Himmels stach in seine ans Dämmerlicht gewöhnten
Augen. Aber Thomas hatte Cochise gesehen, der sich langsam
herabarbeitete.
Als er unten ankam, reichte er seinem Freund getrocknetes
Fleisch und eine Wasserflasche.
Jeffords berichtete über die Suche der Kerle nach einer
Goldader, während er langsam das Fleisch kaute und mit einem
Schluck aus der Canteen nachspülte.
»Gut, warten wir hier, bis es dunkel ist«, sagte Cochise.
»Und dann belausche ich die weißen Halunken. Vergiß nicht,
mich loszuschneiden, wenn sie mich fangen, Hellauge.«
Thomas unterdrückte eine bissige Antwort und sagte: »Ich
glaube nicht, daß Atkins und dessen Strolche einen Apachen
fangen. Deshalb werde ich ganz ruhig schlafen, wenn du
unterwegs bist.«
Cochise und Jeffords schlossen die Augen und schliefen. Als
die Abenddämmerung über das Land glitt, erwachten die
Freunde und krochen wieder zum Ausgang der Höhle.
»Noch nicht«, sagte der Häuptling. »Atkins hat zwei Wächter
eingeteilt.«
Die beiden gingen ihre Runden um das Lager. Dicht neben
der Hüttenwand brannte ein Feuer. Atkins saß im Lichtschein.
Er ließ sich von den Kumpanen bedienen und nahm einen
Blechteller und einen Löffel an.
»Etwas später, wenn sie Kaffee und Whisky trinken«, sagte
der Jefe, »schleiche ich hinaus. Sie sind müde, haben den
ganzen Tag gearbeitet und achten nicht mehr auf ihre
Umgebung, wenn sie satt am Feuer liegen.«
Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis auch die Posten
abgelöst waren und gegessen hatten.
Atkins genehmigte eine Flasche Whisky und schenkte sich
zuerst die Blechtasse voll.
Aufmerksam beobachtete Jeffords die Szenerie. Die
Banditen gaben sich entspannt und sicher, als hockten sie in
Tombstone im Saloon und nicht inmitten der Dragoon
Mountains, dem Stammesgebiet der Chiricahuas.
Als Thomas zur Seite sah, war Cochise bereits weg.
Vollkommen lautlos hatte sich der Häuptling entfernt.
*
Cochise schmiegte sich dicht an den Boden. Da Cochise nicht
auf einen langsamen Weißen wie Jeffords warten mußte, glitt
er schnell wie eine von der Sonne aufgewärmte
Klapperschlange voran.
Der Häuptling blieb weit genug vom Feuer weg und
beobachtete die beiden Wächter. Sie patrouillierten in zwei
Kreisen um ein unterschiedlich großes Gebiet. Aber beide
Männer umrundeten jeweils die Hütte, das Feuer und die
Quelle hinter dem Blockhaus. Der Kerl, der den Innenkreis
abging, hielt ungefähr zehn Yards Abstand von der Hütte.
Cochise wartete, bis der Mann drei Längen entfernt war, und
schob sich zwischen das Wasser und die Rückwand des halb
zusammengefallenen Hauses. Nun hörte der Apache jedes
Wort, das am Feuer fiel.
»Wo ist Walt O'Nions?« fragte Atkins.
»Er geht die äußere Runde«, antwortete Elmer.
»Lös ihn ab«, befahl Atkins, »ich will mit ihm reden.«
Widerwillig latschte der Bandit davon. Wenig später kam
Walt zum Camp, setzte sich nach Cowboyart auf die Hacken
und fragte: »Was ist los, Claude?«
»Wir haben den ganzen verdammten Tag nach der Goldader
gesucht«, antwortete Atkins, »und nichts entdeckt. Walt, ich
will, daß du mir Wort für Wort wiederholst, was der alte
Knacker erzählte, als du ihn gefunden hattest. Vielleicht hast
du was vergessen, einen Hinweis, einen Tip. Wie bist du
überhaupt hierhergekommen? Fang doch noch mal ganz am
Anfang an.«
Cochise ließ sich kein Wort entgehen. Nun konnte er
erfahren, was Thomas Jeffords in der letzten Nacht mißlungen
war.
»Na ja, Boß, ich sah aus der Ferne den Indianer«, begann
Walt O'Nions. »Er schien aus dem Nichts gekommen zu sein.
Ich wartete, bis der Kerl verschwunden war und folgte seiner
Spur. So kam ich an die Felsplatte. Es ging nicht weiter,
anscheinend, aber als ich absaß und suchte, fand ich den
Tunnel.«
»Hier, schmier dir die Kehle«, sagte Atkins und reichte Walt
die Whiskyflasche.
»Danke, das tut gut«, sagte Walt, als er getrunken hatte.
»Hm, ich packte meinen Gaul am Zügel und kroch in das Loch.
Denn wo eine Rothaut durchpaßte, war auch für mich Platz
genug. So kam ich in das Tal. Ich fand die Hütte nicht gleich.
Aber als ich lange genug gesucht hatte, stand ich plötzlich
davor. Ich hörte jemanden stöhnen. Natürlich dachte ich, daß
die Rothaut einen skalpiert hätte, doch dann fand ich die
angespitzten Pflöcke, und da wurde mir alles klar. Mit
gezogenem Colt schlich ich in die Hütte. Der Kerl auf dem
Fellhaufen konnte mir nicht gefährlich werden. Er hatte Fieber.
Der Schweiß rann ihm die Stirn runter. Und seine Hände und
Füße waren ziemlich übel zugerichtet. Die Indianer hatten ihn
mit den Pflöcken am Boden befestigt. Warum der andere
Indsman ihn befreit hatte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall redete
ich mit dem alten Knacker.«
»Langsam«, warf Atkins ein, »jetzt kommt's drauf an, Walt.
Jedes Wort kann wichtig sein. Wer redete zuerst, du oder der
Alte?«
»Ich«, antwortete O'Nions. »Ich fragte ihn, was er den
Indsmen denn getan hätte. >Nichts<, stöhnte er, >sie kamen
wie die Teufel über mich, Mister. Es waren fünf Mimbrenjos.
Aber Cochise hat mich befreit. Ich kann hier weiter Fallen
stellen. Der Jefe hat's versprochenen<.
Mann, du lebst doch nicht vom Fallenstellen, sagte ich.
Davon wirst du doch nicht reich.
>Ich komme aus<, antwortete der Alte. Er beobachtete mich
mißtrauisch, aber ich blieb ruhig neben seinem Lager stehen
und sah, daß ihn das Fieber immer stärker packte.
>Wasser, Mister, gib mir Wassers< sagte er. >Wenn du mir
Wasser holst, verrate ich dir ein Geheimnis.<
Ich war natürlich neugierig und holte ihm in einem Topf
Wasser. Er trank wie ein Muli, das vier Wochen durch den
Llano geirrt war.
>Gut, Mann, danke<, sagte er, >ich habe die Ader gesehen.
Es ist 'ne mächtige, eine richtige Bonanza, verstehst du. Wenn
ich wieder auf den Beinen bin, zeige sich sie dir. Du siehst sie
nur, wenn am Morgen die Sonne draufscheint, wenn sie gerade
im Osten über die Berge kommt. Fünf Minuten später ist es
wieder vorbei.<«
Walt O'Nions nahm noch einen Schluck aus der
Whiskyflasche und fuhr fort: »Okay, ich hatte also einiges
erfahren. Viele Möglichkeiten blieben ja nicht. Die Ader
konnte nur im Westen liegen. Also schleifte ich den Alten raus,
mitten zwischen die Büsche. Als er am Boden lag, merkte ich,
daß er seinen Geist aufgegeben hatte.«
Die Männer am Feuer grinsten hämisch. Sie gehörten nun
mal nicht zur Sorte, die zart besaitet war.
»Weiter, Walt! Wie lange hast du gesucht?« wollte Atkins
wissen.
»Vier lange Tage, Boß«, antwortete O'Nions, »aber ich fand
keine verdammte Spur von dieser Ader. Jeden Morgen stierte
ich mir die Augen aus dem Kopf. Es war noch dunkel, da stand
ich schon auf dem Posten. Mit dem Fernglas suchte ich alles
ab, ohne Erfolg. Den Rest weißt du. Ich gab dir Nachricht, und
du schicktest die Jungs voraus. Dich schnappte der dämliche
Postmeister. Aber jetzt bist du frei und es geht richtig zur
Sache.«
Walt trank noch einen Schluck und stellte die Flasche zu
Boden, um sich eine Zigarette zu drehen.
»Wäre der Alte nur am Leben geblieben«, sagte Tim
Wheeler. »Mit ihm hättest du nur durch zwei zu teilen
brauchen. Jetzt sieht es anders aus. Oder glaubst du, wir geben
uns mit 'nem Cowboylohn zufrieden?«
Walt lachte und antwortete: »Das ist doch schon ausgemacht,
Leute. Claude und ich bekommen je zwei Teile, und ihr jeder
einen. Wenn das wirklich 'ne armdicke Ader ist, haben wir bis
an unser Lebensende ausgesorgt.«
Claude Atkins räusperte sich, nahm die Flasche und trank.
Nachdenklich blickte der Boß der Bande Walt O'Nions an.
»Glaubst du«, fragte Atkins, »daß der Alte nur im Fieber
geschwafelt oder es ernst gemeint hat?«
»Dafür sprach er mir zu sicher«, warf Walt sofort ein. »Ja,
das Fieber hatte ihn ordentlich gepackt, aber er wußte, was er
sagte, meine ich.«
»Da sind 'ne Menge Kerle unterwegs, die nach einem
versteckten Tal mit einer mächtigen Goldader suchen«, sagte
Atkins nachdenklich. »Vielleicht beweist das etwas.
Möglicherweise hat der Alte auch noch zu anderen von seinem
Fund gesprochen.«
»Kann genausogut sein, daß mich jemand belauscht hat, als
ich mit Tim darüber redete«, sagte Walt. »Ist auch drin, daß
irgend jemand meinen Brief an dich aufgemacht und gelesen
hat. Du weißt selbst, wie schnell sich Gerüchte um Gold
bilden, und plötzlich weiß es jeder.«
Atkins überlegte eine Weile und kam zu dem Schluß, daß sie
mit ihren Mitteln versagen mußten.
»Vielleicht ist irgendwo 'ne Felsplatte abgerutscht und
verdeckt die Ader«, sagte er. »Wir brauchen Dynamit, Leute.
Dann sprengen wir Stück für Stück die Überhänge. Und es
müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir das Gold nicht
finden.«
»Mann, Boß, das zieht uns die lausigen Apachen auf den
Pelz«, wandte Big Sloop ein. »Die Sprengungen sind
meilenweit zu hören. Und 'ne Stunde später wimmelt es hier
von Rothäuten.«
»Dann empfangen wir sie mit heißem Blei«, sagte Atkins
gepreßt. »Meinst du, mich interessieren ein paar Dutzend rote
Stinker, wenn es um Hunderttausende, vielleicht sogar
Millionen geht? Wir schmeißen ein paar Stangen Dynamit
zwischen sie. Du wirst sehen, wie die Kerle laufen werden, Big
Sloop.«
Die Banditen lachten gezwungen. Sicher, mit ihren
modernen Waffen bildeten sie sich ein, den primitiven
Apachen überlegen zu sein. Und gegen Sprengstoff kamen die
Indsmen nicht an. Trotzdem blieb ein Rest Unbehagen bei den
Outlaws zurück. Sie hatten zuviel über die Apachen gehört, um
die Gefahr so leicht wie Atkins zu nehmen.
»Okay, Boys, Elmer Slade und Tim Wheeler machen sich im
Morgengrauen auf den Weg. Ihr reitet nach Santa Magdalena
und besorgt Dynamit und Proviant. Kommt nicht auf den
Gedanken, einen Abstecher nach Tombstone zu machen. Die
Stadt ist für uns im Moment zu heiß. Und noch was: bezahlt
den Kram, den ihr kauft, klar? Ich will nicht, daß euch hundert
goldhungrige Kerle oder ein wütender Storehalter folgen. Dies
hier ist unser Job.«
Der Häuptling hatte genug gehört. Lautlos kroch er im
rechten Winkel von der Hüttenwand weg, blieb reglos liegen,
um den Wächter passieren zu lassen, und glitt weiter.
Keiner der sechs Banditen ahnte, daß all ihre Pläne verraten
waren und Cochise, der Herr der Chiricahua Mountains, ihren
Tod beschlossen hatte.
*
Der Apache nutzte jeden Strauch, jeden Felsbrocken als
Deckung. Inzwischen stand der Mond hoch am Himmel und
beleuchtete schwach das kleine Tal. Wie ein Schatten glitt der
Jefe in die Stollenmündung, schob sich weiter und huschte
gebückt in die Finsternis.
»Du warst lange weg«, sagte Thomas Jeffords. »Hast du
mehr Erfolg als ich gestern gehabt?«
Cochise sog tief die Luft ein und stellte so fest, wo der
Weiße saß. Sekunden später hockte sich der Chief neben seinen
Freund, den er Hellauge nannte.
»Ein Mann Walt O'Nions hat den Fallensteller
wahrscheinlich umgebracht«, begann der Häuptling seinen
Bericht.
Er wiederholte alles, was er gehört hatte.
Jeffords wünschte Atkins und den Handlangern die Pest an
den Hals. Aber dieser unfromme Wunsch änderte nichts an der
Lage.
Ehe Thomas einen Vorschlag machen konnte, sprach
Cochise.
»Ich gehe, Hellauge«, sagte der Jefe ernst. »Morgen töten
meine Krieger die beiden Lumpen, die nach Santa Magdalena
reiten. In der Abenddämmerung werden die Bleichgesichter
hier im Tal sterben. Niemand wird sie finden. Meine Krieger
verbergen die Toten.«
Thomas schüttelte verzweifelt den Kopf und sagte: »Nein,
nein, Cochise, das ist der falsche Weg. Wie stehst du vor
deinen Männern, wenn du heute den Tod aller Weißen in
deinen Bergen befiehlst und morgen andere Weiße ziehen
läßt?«
»Ich bin Cochise«, entgegnete der Häuptling. »Mein Wort ist
Gesetz bei den Chiricahuas.«
»Es ist falsch«, beharrte Thomas auf seinem Standpunkt.
»Du hast auf der einen Seite recht: die Dragoons müssen frei
von Weißen bleiben. Nur solche, die deine Erlaubnis besitzen,
dürfen hier leben oder durchziehen. Aber andererseits gibst du
wieder die Jagd auf Menschen meiner Hautfarbe frei. Es
kommt zum großen Krieg, Cochise. Und du ahnst, du weißt,
daß du ihn verlieren wirst.«
»Wenn wir jedes Bleichgesicht töten, das unser Gebiet
betritt, ziehen die anderen bald weit entfernt vorbei«, sagte der
Jefe.
Thomas überlegte, wie er dem Häuptling das Denken der
Weißen verständlich machen konnte. Aber es fiel ihm schwer,
ein Beispiel zu finden. Doch plötzlich wußte er die Lösung.
»Hör mir zu, Jefe«, begann er. »Wenn deine Krieger von
einem Dutzend wunderschöner Pferde weit unten im Süden
hören, während sie das Land durchstreifen, was tun sie dann?«
Cochise lachte leise und erwiderte: »Sie reiten zu diesem Ort,
wo die Pferde sein sollen und suchen sie.«
»Gut, die Krieger finden die Pferde dort. Wie geht es
weiter?«
»Sie versuchen, sie zu stehlen«, antwortete der Häuptling,
»und sie werden es schaffen.«
»Wenn Weiße von Gold hören, daß in den Dragoon
Mountains zu finden sein soll, handeln sie wie deine Krieger,
die von ausgezeichneten Pferden erfahren, Cochise. Und verlaß
dich drauf, daß mehr goldgierige Weiße kommen, als es
Apachen gibt.«
»Wir töten sie alle«, versprach der Jefe grimmig.
»Dann holen sich die Goldsucher Hilfe«, sagte Thomas. »Sie
rufen nach der Armee, und General Howard kann sein Wort dir
gegenüber nicht mehr halten. Denn sein Befehl lautet, für Ruhe
und Ordnung in diesem Land zu sorgen. Er muß gegen dich
und dein Land marschieren, auch wenn er sein Wort gab, dies
nicht zu tun.«
Cochise lächelte. Sicher stellte er sich vor, wie die
schwitzenden Pferdesoldaten durch das karge Land ritten und
ihren General verfluchten.
»Wir töten auch die Soldaten, Hellauge«, erklärte der Chief.
»Dies ist unser Land, und es bleibt unser Land.«
»Es gibt eine Waffe, die hat sechs Gewehrläufe«, fuhr
Jeffords fort. »Ein Mann dreht an einer Kurbel, und diese sechs
Läufe spucken heißes Blei aus, solange der Mann dreht. Was
richten deine Pfeile gegen ein Dutzend solcher Gatling Guns
aus? Die Soldaten brauchen nicht mal zu zielen. Es genügt,
wenn sie einen Bleiregen auf euch niedergehen lassen, Jefe.«
»Wah«, sagte der Häuptling ungläubig, »so eine Maschine
muß sehr groß und schwer sein. Wie wollen die Pferdesoldaten
sie in die Dragoons tragen?«
»Es genügt, wenn sie hier sind«, antwortete Thomas Jeffords,
»an einem halben Dutzend Orte aufgebaut, ersetzen diese
Dinger ganze Schwadronen. Aber das will ich nicht, Cochise.
Ich will nicht, daß Chiricahuas sterben müssen. Ich will nicht,
daß Weiße umgebracht werden. Es ist wichtig, daß euer
Heimatgebiet frei von weißen Herumtreibern bleibt. Und das
gelingt nur, wenn es kein großes Gerede um das angebliche
Gold hier gibt. Denn wenn alle Weißen sterben, die
herkommen, glauben die anderen, daß an den Gerüchten etwas
Wahres ist und machen sich zu Tausenden auf den Weg.«
»Laß mich nachdenken, Hellauge«, bat Cochise. »Du
überfällst mich mit einem Schwall von Worten. Ich fühle deine
Besorgnis. Und ich glaube dir, daß du uns helfen willst. Aber
ich muß erst über deine Worte nachdenken.«
Thomas verdrängte seine Erregung. Die Apachen kannten
seit uralten Zeiten nur ein Mittel, um sich zu wehren,
Eindringlinge zu vertreiben: deren Tod. Doch die U.S.-
Soldaten waren andere Gegner als Mexikaner, Desperados oder
gar die Ritter der Spanischen Krone in der Vergangenheit.
Jeffords sah genau vor sich, wie der Krieg ablaufen würde,
wenn der Jefe wirklich jeden Weißen mit Gewalt aus seinen
Bergen vertreiben wollte: es mußte mit einer vernichtenden
Niederlage der Apachen enden. Und dann waren sie nicht mehr
in der Lage, gleichberechtigt zu verhandeln.
Cochise wußte genau, daß er gegenüber Victorio an Boden
verlor, wenn die Chiricahuas die sechs Banditen im kleinen Tal
umbrachten.
Der Häuptling der Mimbrenjos würde den Jefe beschuldigen,
mit zwei Zungen zu sprechen und flammende Reden gegen alle
Weißen halten. Hellauge hatte recht, der Krieg war dann
unvermeidlich.
Es blieb nur ein Ausweg.
»Wir müssen dafür sorgen, daß die Lage des Tals nicht
bekannt wird«, sagte Cochise. »Du und ich, Hellauge. Eines
Tages spricht niemand mehr von dem angeblichen Gold, und
die übrigen Weißen ziehen sich zurück.«
Erleichtert atmete Thomas auf. Der Jefe hatte die richtige
Schlußfolgerung gezogen.
Allerdings war dem Postmeister nicht ganz wohl bei der
Sache. Immerhin waren es doch Weiße, gegen die er kämpfen
mußte. Doch er sagte sich, daß solche Typen alle vom Gesetz
gesucht wurden. Es waren Banditen. Sie brachten für Dollars
Menschen um und verfluchten die Toten, weil sie nicht mehr
Geld bei sich gehabt hatten.
Thomas sah sich gezwungen, das Gesetz des Handelns in die
eigenen Hände zu nehmen, und das behagte ihm nicht. Denn
entkam einer der Hundesöhne, trieb er sofort andere Kumpane
auf, um erneut die geheimnisvolle Goldader zu suchen, die
überhaupt nicht existierte.
»Du hast richtig entschieden, Cochise«, sagte Jeffords.
»Warten wir, bis die beiden Männer nach Santa Magdalena
geritten sind?« fragte der Jefe.
Aber Thomas hatte eine andere Idee.
»Warten wir, bis die Kerle wieder zurück sind«, sagte er.
»Vielleicht hantieren sie so leichtfertig mit dem Dynamit, daß
sie sich selbst in die Luft jagen.«
Er ahnte nicht, wie nahe er mit seinem Wunsch dem
tatsächlichen Ende der Bande gekommen war.
Cochise war einverstanden. Er spürte Jeffords aufrichtigen
Wunsch, den Apachen zu helfen und für Frieden, für lang
andauernden Frieden, zu sorgen. Aber der Häuptling ahnte, daß
all diese Versuche zum Scheitern verurteilt waren. Denn auf
Männer wie Thomas Jeffords und John Haggerty, die das
Leben, die Riten und Sitten der Apachen respektierten, kamen
zehntausend andere, die in den Ureinwohnern nur lästige
Kreaturen sahen.
Unter den verschiedenen Stämmen war es genauso. Nicht nur
bei den Weißen gab es gute und böse Menschen, sondern auch
bei den Indianern.
So war Victorio, Cochises ewiger Gegenspieler, ein
erbarmungsloser Weißenhasser. Immer wieder umging der
Chief der Mimbrenjos die ausgehandelten Verträge und ließ
Weiße grausam martern und töten.
Cochise starrte in die Dunkelheit der Höhle. Er sah das Ende
vor seinem geistigen Auge.
Die Apachen würden zusammengepfercht in einer
Reservation leben, die schlechte Nahrung der Weißen essen
und all die überlieferten Tugenden vergessen. Der Häuptling
zweifelte daran, daß es in zwei oder drei Generationen noch
frei herumschweifende Apachen geben würde.
Und deshalb kämpfte er um so zäher um seine Heimat, die
Dragoon-Berge. Denn hier konnten die Kinder noch lernen,
was ein Apache zu wissen und zu können hatte.
Vielleicht fiel gerade mit dieser Generation die
Entscheidung, wer wußte das schon.
Thomas legte sich auf den Felsboden und fiel in unruhigen
Schlaf. Er träumte vom Ende allen Streites. Er sah im Traum,
daß nur noch solche Menschen in den Südwesten durften, die
John Haggerty und er ausgewählt hatten.
Aber das waren eben nur Träume.
*
Als die Morgendämmerung die Schwärze der Nacht zerfaserte,
sattelten Tim Wheeler und Elmer Slade bereits ihre Pferde. Die
Männer tranken heißen, starken Kaffee, den Big Sloop ihnen
gekocht hatte.
»Macht's gut, Jungs«, sagte der massige Unterführer der
Horde, »und laßt in Santa Magdalena die Finger von den Girls.
Wir warten auf euch, vergeßt das nicht.«
Tim und Elmer saßen auf, rückten sich die Waffengurte
zurecht und gaben ihren Pferden die Zügel frei. Sie trabten zum
Tunnel, der in den großen Canyon, ins Tal der Seufzer, führte.
»Hoffentlich denken die Burschen an ein paar Hacken und
Schaufeln«, sagte Big Sloop. »Es ist verdammt mühselig,
gesprengtes Geröll mit den Händen wegzuschaffen.«
Doch er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Tim und
Elrner wußten, was nötig war. Vor allem dachten sie an
Whisky, der ganz oben auf ihrer Proviantliste stand.
Nachdem die beiden Reiter den Tunnel hinter sich gelassen
hatten, ließen sie die Pferde durch das große Tal galoppieren.
Sie ritten in Richtung Westen, auf den San Pedro River zu, an
dessen Ufer die Minenstadt Santa Magdalena lag. Die Siedlung
bot den schwer schuftenden Bergarbeitern jede nur erdenkliche
Abwechslung. Und wie überall in ähnlichen Situationen,
machten die Saloonbesitzer und Kartenhaie das meiste Geld.
Sie lockten den zumeist simplen Gemütern mit schlechtem
Schnaps, Falschspiel und raffinierten Flittergirls die letzten
Cents aus den Taschen.
Kurz bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, ritten
die Banditen in Santa Magdalena ein. Sie saßen vorgebeugt in
den Sätteln, als wären sie wochenlang unterwegs gewesen.
Aber ein erfahrener Mann erkannte am Zustand der Pferde, daß
sie höchstens vier oder fünf Stunden in normalem Tempo
geritten worden waren.
Aus zwei Saloons drang lautes Gelächter, das sogar die
schrillen Töne der Orchestrions übertönte.
»He, nehmen wir 'nen Drink, Partner?« fragte Elmer.
»Später vielleicht«, antwortete Tim, »erst sollten wir zum
Store und einkaufen. Unsere Pferde stellen wir dann neben den
Saloon in den Schatten. So sehen wir gleich, ob sich jemand
für uns interessiert.«
»Was machen wir mit dem?« fragte Elmer Slade.
Tim Wheeler lachte hämisch und antwortete: »Du kannst
aber dämliche Fragen stellen.«
Elmer war zufrieden. Er hatte sich nur vergewissern wollen.
Denn immerhin befanden sie sich hier in einer richtigen Stadt.
Und vielleicht gab es sogar einen Sternträger.
Die Outlaws zügelten ihre Pferde vor dem Brettergebäude,
vor dessen Gehsteigdach ein Schild mit der Aufschrift
»General Store« pendelte. Die Bretter des Hauses waren
irgendwann mal weiß gestrichen gewesen. Doch im Laufe der
Zeit hatte die gnadenlose Hitze das Holz ausgedörrt, und die
Farbschicht war abgeblättert. Vereinzelt zogen sich noch
unregelmäßige Streifen weißer Farbe über die rissigen Planken.
»Leer«, stellte Tim lächelnd fest, als er über die Pendeltür in
den Laden blickte. »Also los, Partner.«
Wheeler stieß eine Türhälfte auf, machte einen Schritt vor –
und zuckte zusammen, als mit metallischem Scheppern ein
kleiner Stapel leerer Konservendosen umfiel.
»Großer Jason, was soll das denn?« fragte er entsetzt.
»Hihihi«, kicherte ein runzelgesichtiger Oldtimer, der
zwischen den Regalen auftauchte, »feine Sache, was? Ich lege
mich hin und schlafe 'ne Runde, wenn nichts los ist. Bei dem
Radau komme ich sofort auf die Beine, wenn sich ein Kunde in
den Laden verirrt.«
Elmer kreiselte mit dem Zeigefinger in der Nähe seiner Stirn
und sah Wheeler grinsend an.
»Nein, du junger Hüpfer«, krächzte der Alte entrüstet, »ich
bin noch lange nicht übergeschnappt.«
»Mann, du mußt doch jedesmal die Dosen wieder aufbauen«,
sagte Elmer. »Oder läßt du das deine Kunden machen, die
deine Ruhe zu stören wagten?«
Wieder kicherte der kauzige Alte. »Das dauert keine fünf
Sekunden. Paßt mal auf, ihr Grünschnäbel.«
Der Oldtimer zog an einem Seil. Auf einmal schwebten die
Dosen in der Luft. Sie waren alle mit Schnüren an diesem Seil
befestigt. Drei, vier Sekunden pendelten sie, und dann ließ der
Alte mit einem Ruck los. Die merkwürdige »Ladenklingel«
stand für den nächsten Kunden bereit.
»Das geht natürlich nur, wenn die Dosen nicht ganz leer
sind«, setzte der Alte zu einer weitschweifenden Erklärung an,
aber Tim unterbrach ihn.
»Schon gut, Mann, aber wir wollen dir deine Idee bestimmt
nicht abkaufen. Wo wir herkommen, können wir so was nicht
brauchen. Die Apachen fallen auf solche Dinge nicht herein.«
»Was soll's denn sein, Mister?« fragte der Alte und blinzelte
seine Kunden listig an.
»Zwei Kisten Dynamit, eine Rolle Zündschnur, ein Paket
Schwefelhölzer und fünf Schaufeln mit kurzen Stielen. Du
weißt schon, welche ich meine. Die, die man hinter den Sattel
schnallen kann. Dazu drei Pickel, wie sie die Bergleute
benutzen.«
Staunend blickte der Alte die beiden an und fragte: »Und das
alles soll gegen die Apachen gut sein?«
»Kommt drauf an, wie ihr hier über die Rothäute denkt«,
antwortete Tim. »Uns machen sie das Leben zur Hölle, Mister.
Wir haben inzwischen drei ihrer Verstecke gefunden. Die
sprengen wir zu.«
Der Alte schlurfte zwischen seine Regale und schleppte die
gewünschten Dinge ächzend zum Tresen. Mißtrauisch blickte
der Oldtimer auf die tief geschnallten Revolver. Sicher fragte
er sich, ob die Kerle mit Dollars oder Blei zahlten. Sie gehörten
nämlich zur ganz harten, zur falkengesichtigen Sorte, wie der
Storekeeper feststellte.
»So, jetzt Proviant«, sagte Tim. »Wir nehmen für acht Leute
Futter mit. Dazu fünf Pfund Kaffee und zehn Flaschen Whisky,
aber keine Pumaspucke, und zehn Päckchen Bull Durham
Tabak und genug Papier.«
Ein ansehnlicher Berg türmte sich auf dem Tresen. Von dem
kleinwüchsigen Alten war nichts mehr zu sehen.
»Alles, Gentlemen?« fragte er mit seiner kratzenden Stimme.
»Alles, Mister«, antwortete Tim. »Du kannst
zusammenrechnen, während mein Partner die Sachen schon
mal rausbringt.«
Ohne zu zögern zahlte Wheeler und nahm die 30 Cents
Wechselgeld in Empfang.
Der zerknitterte Storekeeper atmete erst auf, als die beiden
hartgesichtigen Fremden ihre Waren auf den Pferden verstaut
hatten und davonritten.
Ha, Apachen in die Luft sprengen, dachte der Oldtimer. Ich
wette, ihr habt 'ne Goldader entdeckt und rückt ihr nun mit
Dynamit zu Leibe. Aber mir soll's egal sein. Ich bin zu alt für
solche Spielchen.
Er war jedenfalls vorsichtiger als zwei andere Bürger der
Town.
*
Tim und Elmer lehnten im Saloon an der rechten Seite des
Tresens. Von hier aus hielten sie den gesamten Raum, den
Eingang und ihre Pferde unter Beobachtung, die sie durch ein
kleines Seitenfenster sahen.
Zwei abgerissen wirkende Typen gingen auf die Pferde zu.
Die beiden Zerlumpten berührten die Tiere nicht, aber sie
musterten eingehend die Lasten, die hinter den Sätteln
aufgeschnallt waren.
Deutlich sahen Elmer und Tim, daß die Burschen sich
grinsend zunickten und davongingen.
Wheeler knallte das Geld für die Drinks auf die Theke und
eilte mit langen Schritten zur Tür. Elmer folgte Sekunden
später. Er hatte nicht nur sein, sondern auch noch Tims Glas
ausgetrunken.
Wheeler deutete mit dem Kinn zur anderen Straßenseite.
Sofort stapfte Slade vom Gehsteig in den fußtiefen Staub und
überquerte das, was Santa Magdalenas Bürger stolz die Main
Street nannten.
Die beiden Zerlumpten wollten ganz schlau sein. Sie hatten
ihre Mulis nicht im Mietstall untergebracht, sondern auf einer
trockenen Weide am Nordostende der Ansiedlung. Die zwei
Maultiere waren angepflockt. Sie bockten, als ihre Reiter die
Sättel auflegten, doch nach einigen Flüchen und Hieben auf die
Kruppen wurden die Biester friedlich.
Slade und Wheeler blickten sich um. Das nächste Haus lag
weit hinter ihnen. Eine halb zusammengefallene Hütte stand
links von der dürren Weide.
Tim hatte eine großartige Idee.
»Hallo, Mister!« rief er und winkte.
Die beiden zerlumpten Kerle wirbelten herum und griffen zu
den Colts.
»Mann, seid ihr aber schreckhaft«, rief Elmer, »wir haben
nur 'ne Frage.«
Nun war Elmer Slade am Ende. Tim mußte wieder
übernehmen. Er äugte über die Schulter zurück, als wollte er
sich vergewissern, daß ihnen niemand gefolgt war.
»Diese Hütte da«, fragte Wheeler leise, »wissen Sie
vielleicht, wem sie gehört?«
Die zerlumpten Pilger sahen sich an und wandten zugleich
ihre Gesichter den Fremden zu.
»Warum?« fragte einer von ihnen zurück und zeigte
schwarzgelb verfärbte Zahnstummel.
»Wir brauchen für einige Tage einen Unterschlupf«,
antwortete Wheeler.
»Das geht in Ordnung«, sagte der andere Zerlumpte. »Die
Hütte gehört uns. Wir haben sie selbst gebaut. Für zwei Dollar
pro Mann und Tag, dann können Sie bleiben. Das ist nicht
zuviel, wenn Sie daran denken, daß Sie ungestört sind.«
»Mensch, Elmer, da haben wir aber mal Schwein gehabt«,
sagte Tim mit gespielter Begeisterung. »Komm, sehen wir uns
den Palast an.«
Wheeler wandte den Kopf und fragte: »Gehen Sie mit? Sie
haben doch sicher ein paar Sachen, die Sie wegräumen wollen,
oder?«
Es wirkte alles ganz natürlich. Die zerlumpten Typen gingen
grinsend hinter den dämlichen Fremden her, die für eine Art
Hühnerstall vier Dollar pro Tag ausgeben wollten und sicher
waren, eine Glücksträhne erwischt zu haben. Nun brauchten sie
nur noch den beiden Männern zu folgen, denen die schwer
bepackten Pferde am Saloon gehörten. He, sie würden es schon
schaffen, wieder zu Dollars zu kommen.
Tim marschierte mit eingezogenem Kopf unter dem schief
hängenden Türbalken durch und trat sofort zur Seite. Elmer
ließ den Besitzern dieses Stalles den Vortritt.
Aber das hatte weniger mit Höflichkeit zu tun, als mit seiner
Absicht, den zweiten Mann sofort und wirkungsvoll
unschädlich zu machen.
Tim hielt den Revolver in der Rechten und schlug zu. Slade
schickte den zweiten Mann mit dem Messer ins Jenseits.
»Das habt ihr euch so gedacht«, zischelte Wheeler böse.
»Hinter uns herreiten und abstauben oder uns die verdammten
Apachen auf den Hals hetzen.«
Elmer säuberte sein Messer, warf einen Blick auf den Toten
und fühlte nach dem Puls des anderen Mannes.
»Du hast fest zugeschlagen, Tim«, sagte er, »der Kerl atmet
nicht mehr.«
»Egal, los, hauen wir ab«, brummte Wheeler und steckte den
Kopf um den Türpfosten.
Alles lag genauso leer vor ihnen wie vor wenigen Sekunden.
Die beiden Mörder gingen, als wäre nichts geschehen, zu
ihren Pferden zurück und saßen auf. Um weitere Beobachter
irrezuführen, ritten sie genau südwärts. Immer wieder
verhielten die beiden Banditen ihre Pferde und blickten lange
auf die eigene Spur zurück.
Am späten Nachmittag waren sie sicher, daß ihnen niemand
folgte und bogen nach Osten ab. An diesem Tag erreichten sie
die Dragoon Mountains nicht mehr. Aber am folgenden
Nachmittag waren sie vermutlich wieder bei ihren Kumpanen
im kleinen Tal und konnten die ersten Sprengungen
vorbereiten. Es mußte doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie
nicht endlich die Goldader fanden, von der Walt erfahren hatte.
Etwa eine Stunde vor der Dämmerung parierte Elmer Slade
sein Pferd auf einer mit Sträuchern überwucherten Kuppe.
»Lagern wir?« fragte er seinen Partner.
Tim Wheeler nickte und stieg aus dem Sattel. Steifbeinig
führte der Bandit sein Pferd zwischen die Büsche und musterte
die Umgebung. Der Lagerplatz war ideal. Niemand entdeckte
sie hier, wenn sie kein Feuer machten, und kein Mensch hörte
sie, wenn nicht gerade ein Apache unterwegs war.
Wenig später hatten Tim und Slade abgesattelt. Sie wollten
auch den Pferden Erleichterung gönnen. Denn es lag noch eine
lange Strecke vor ihnen.
Eine halbe Stunde später lagen die Outlaws im Gras,
rauchten und blickten zum Himmel. Sie waren sicher, bald in
Gold und Dollars baden zu können. Denn sie hatten alles bei
sich, was sie im Tal brauchten.
Die Männer starrten auf die sinkende Sonne und dachten
darüber nach, was sie mit ihrem Reichtum anfangen konnten.
Um so unangenehmer wirkte das Knacken zweier
Revolverhähne, die metallisch einschnappten.
Jäh zuckten Tim Wheeler und Elmer Slade zusammen. Sie
griffen zu den Colts, aber jemand sagte in hart klingedem
Englisch:
»Amigos, ihr werdet doch nicht so dumm sein, oder?«
*
»Oh, verdammter Mist«, flüsterte Elmer voller Wut, während
er die Rechte vom Revolver löste.
Auch Wheeler hielt die Hände sorgfältig von seiner Waffe
weg. Gegen zwei Gegner, die in den Büschen hockten, hatten
die Outlaws keine Chance.
»Ihr seid brave Americanos«, lobte der Mexikaner.
Die Büsche rauschten. Ein mittelgroßer, pockennarbiger Typ
trat auf die Lichtung. Ein gewaltiger schwarzer Schnauzbart
verdeckte die Lippen des Desperados. Auf dem Kopf trug der
Mann einen Sombrero, der die Ausmaße eines Wagenrades zu
haben schien.
»Pepe, Jose, kommt raus!« rief der Anführer der drei
Wegelagerer mit seinem selbstgefälligen Unterton in der
Stimme.
Elmer und Tim wandten die Köpfe. Sie hatten es also mit
drei Gegnern zu tun, nicht nur mit zweien.
»Fesselt sie!« befahl der Schnauzbart. »Sie sollen nicht auf
dumme Gedanken kommen. Nehmt ihnen die Colts ab! Sie
brauchen keine Waffen mehr. Wir beschützen unsere zwei
Freunde vor allem, was ihnen zustoßen könnte.«
Pepe und Jose lachten roh. Geschickt traten sie hinter Slade
und Wheeler und zogen die Revolver aus den Halftern.
»Hände nach hinten«, sagte Pepe, »und keine Tricks, sonst
ziehe ich euch den Colt über den Schädel!«
Elmer verfügte über kräftige Unterarme und Gelenke. Er
spannte seine Muskeln mit aller Kraft an und drängte sich vor,
um als erster gefesselt zu werden.
Hoffentlich entdecken sie nicht mein Messer im
Stiefelschaft, dachte er.
Aber er hatte Pech. Als auch Tims Handgelenke
zusammengeschnürt waren, durchsuchten die Mexikaner ihre
Gefangenen gründlich und förderten die beiden Messer zutage.
»Na so was«, sagte der Pockennarbige erstaunt. »Was macht
ihr denn mit diesen Dingern, Amigos?«
Die Banditen antworteten nicht. Es hatte keinen Sinn, sich
mit diesen wilden Pistoleros zu streiten. Gefesselt und
unbewaffnet zogen die Gefangenen auf jeden Fall den
kürzeren.
Der Boß der Bande betrachtete die Vorräte, pfiff schrill
durch die Zähne, als er die Schaufeln, das Dynamit und die
Hacken sah, und wandte sich grinsend seinen Gefangenen zu.
»Jose hatte die besten Augen«, sagte er. »Er sah euch und
erzählte uns, was ihr für schöne Sachen hinter die Sättel
geschnallt habt. Das sieht ja ganz so aus, als wolltet ihr Gold
suchen. Stimmt das, Amigo?«
Der Pockennarbige stand einen halben Schritt von Slade
entfernt. Der starrte auf seine Stiefelspitzen.
Ansatzlos schlug der Mexikaner zu. Slade wurde völlig von
dem Hieb überrascht und verlor das Gleichgewicht. Schwer
prallte er zu Boden.
»Steh auf!« herrschte der Pistolero seinen Gefangenen an.
»Sieh mich an und antworte, wenn ich dich was frage,
Capito?«
Elmer rappelte sich hoch und sagte etwas, das nur äußerst
selten als Aufforderung verstanden wurde. Aber dafür kassierte
Slade einen zweiten Schlag. Diesmal war der Mörder
vorbereitet und pendelte mit dem Oberkörper die Wirkung des
Hiebes etwas aus.
»Paßt mal auf, ihr beiden Spaßmacher«, sagte der
Pockennarbige zischelnd. »Ich bin Alvarez, und so redet ihr
mich auch an. Klar? Wir holen schon aus euch raus, wo die
Goldmine liegt. So eine Bonanza kommt uns gerade recht.«
Wheeler sah Alvarez tückisch an.
»Du glaubst es wohl nicht, Amigo?« fragte der Kerl beinahe
sanft. »Du irrst dich. Jose, sieh ihn dir genau an. Er ist das
Andenken an einen Yaqui-Überfall auf ein mexikanisches
Dorf. Als er vier war, holten ihn die Yaquis in die Berge. Erst
mit vierzehn gelang ihm die Flucht. Aber da war er schon
versaut. Er kennt eine Menge feiner Tricks, die euch um
Erbarmen winseln lassen. Ihr werdet froh sein, wenn ich euch
zu sprechen erlaube. Glaubt mir ruhig, aber ihr könnt euch das
ersparen. Na, wie ist es?«
Elmer und Tim antworteten nicht.
Alvarez hob beide Arme zum Himmel und rief: »Die
Heiligen sind meine Zeugen, daß ich alles versucht habe. Aber
jetzt will ich erst essen. Euer Geschrei verdirbt mir sonst den
Appetit. Ihr bekommt keine weitere Chance von Alvarez.«
Eilfertig liefen Pepe und Jose zwischen die Büsche. Wenig
später kamen die Mexikaner mit drei unbeschlagenen Pferden
zurück, die prächtige, reich mit Silber verzierte Sättel trugen.
Den Outlaws quollen fast die Augen aus den Höhlen, als
Pepe und Jose ein helles Tuch auf dem Gras ausbreiteten und
aus den Satteltaschen drei Porzellanteller nahmen.
Kalter Braten, gekochte Eier, drei Stücke Kuchen und eine
Flasche Wein waren eine großartige Mahlzeit.
»Ihr habt eben keine Lebensart«, behauptete Alvarez. »Ihr
Americanos seid Barbaren, weiter nichts. Warum soll ich in der
Wildnis nicht die guten Seiten der Zivilisation genießen? Die
schlechten habe ich oft genug kennengelernt.«
Während der Anführer der Mexikaner genüßlich schmatzte
und sich das ehemals weiße Hemd mit Rotwein bespritzte, kam
er auf Jose zurück.
»Erzähl uns doch von deinen Künsten, Amigo«, sagte er.
Der Halbindianer blickte die Weißen aus kohlschwarzen
Augen an. Sie wirkten kalt und erbarmungslos.
»Ich fange mit den einfachen Sachen an«, sagte Jose
gelassen. »Zuerst schiebe ich euch angespitzte Holzspäne unter
die Fingernägel. Wahrscheinlich redet ihr dann schon. Kaum
ein Gringo hält das aus.«
Jose schwieg sekundenlang und studierte die Wirkung seiner
Worte auf die Americanos. Er registrierte zufrieden ihr
Zusammenzucken.
»Nutzt das nichts, mache ich mit den Ameisen weiter«, fuhr
das Halbblut fort. »Ich binde euch die Hosenbeine in der Mitte
der Oberschenkel fest zu und schütte ein paar Hände voll
Ameisen hinein. Allerdings werde ich euch vorher knebeln,
denn das Geschrei könnte ungebetene Zuschauer anlocken,
meine entfernten Vettern, die Chiricahuas.«
Tim lief es bei dem Gedanken daran kalt über den Rücken.
Er fragte lauernd: »Welche andere Möglichkeit haben wir?«
Erstaunt blickte Alvarez auf und antwortete: »Keine, ich
habe das doch schon gesagt.«
»Wir kannten Ihr ganzes Angebot aber noch nicht«,
protestierte Elmer wütend.
»Das ist mein Erfolgsgeheimnis«, prahlte der Boß. »Nur so
kommen wir zu etwas. Mach weiter, Jose!«
»Nutzt das mit den Ameisen auch nichts, bringen wir euch
Hautschnitte bei und reiben Salz hinein. Anschließend breche
ich ein paar Patronen auf, streue das Pulver über die Wunden
und zünde es an. Aber das erlebt ihr schon nicht mehr. Ihr seid
Americanos. Ihr schreit schon bei den angespitzten
Holzstäbchen euer Geheimnis hinaus.«
Alvarez lachte gemein und sagte: »Hoffentlich nicht, Jose.
Ich möchte wirklich sehen, wie sie sich über den Boden
wälzen, wenn ihnen die Ameisen …«
»Reden könnt ihr schwingen«, unterbrach Elmer Slade ihn.
»Wann fangt ihr endlich an?«
Verblüfft fixierten die Mexikaner den Gefangenen. Alvarez
sah zu Tim und fragte: »Sag mal, ist dein Freund nicht ganz
richtig im Kopf?«
Wheeler grinste, als er erwiderte: »Das nicht, aber er mag
Ameisen.«
»Schluß, ihr Narren!« fauchte der Anführer der Mexikaner.
»Jose, Pepe, knebelt sie und bindet ihnen die Fußgelenke
zusammen! Ich will heute nacht meine Ruhe haben. Und ihr
schlaft auch. Sobald die Sonne aufgeht, macht sich Jose an die
Arbeit.«
Wenige Minuten später lagen Tim und Elmer kunstgerecht
verschnürt und geknebelt weit voneinander entfernt.
Die Mexikaner lagen schnarchend mit den Köpfen auf ihren
Sätteln und dachten überhaupt nicht daran, einen Mann auf
Wache zu schicken.
Elmer dehnte mit aller Kraft die Stricke, die locker um seine
Gelenke hingen. Nach einem halben Dutzend Versuchen
rutschten die Fesseln weiter, so daß Slade mit den
Fingerspitzen den Knoten erreichte. Er brach sich die
Fingernägel ab, aber er schaffte es und löste den Knoten.
Behutsam schnürte Elmer die Beinfesseln auf und zog den
Knebel aus dem Mund. Lautlos erhob sich der Bandit, machte
einen Schritt, verharrte und sank wieder zu Boden. Sekunden
später hatte er die Stiefel von den Füßen gezogen und schlich
auf seinen löcherigen Socken zu den Mexen hinüber.
Jose trug einen unterarmlangen Dolch in einer Lederscheide.
Ganz vorsichtig zog Slade das Messer heraus und führte die
Klinge auf den Hals des Schlafenden zu.
Wenige Sekunden später befreite Elmer seinen Kumpan und
flüsterte: »Glück gehabt, was, Tim? Mach die Pferde fertig. Ich
durchsuche mal die Taschen und das Gepäck der
Lumpenhunde.«
Tim Wheeler machte sich an die Arbeit. Als beide Tiere
gesattelt und bepackt waren, kam Slade mit drei Leinenbeuteln,
in denen es verheißungsvoll klimperte.
Staunend betrachteten die Banditen die goldenen Pesos,
bevor sie teilten und anschließend aufsaßen.
»Wir müssen weiter«, sagte Tim, »und wenn wir über
Apachen fallen. Aber ich hoffe, sie kümmern sich zuerst um
die leichte Beute hier. Drei erstklassige Pferde, Sättel, Silber
und Waffen das ist doch schon was für eine Kriegerhorde. Los,
komm, Elmer!«
Die Banditen ritten an.
Der Mond erhellte die Nacht mit seinem kalten Licht und
beleuchtete den Weg zu den Dragoon Mountains.
*
Ab und zu segelte eine Eule als fast lautloser Schatten am
Nachthimmel vorbei. Tiere der Dunkelheit huschten zwischen
den Steinen hin und her und verursachten leise Geräusche, die
den beiden Weißen den Angstschweiß auf die Stirn trieben.
Sie vermuteten hinter jedem Busch, hinter jedem
Felsbrocken einen Apachen, der nur auf sie wartete.
Tatsächlich beobachtete ein Späher die zwei Weißen. Er
verhielt sein Pony schräg neben dem Weg der Pferde. Die
beschlagenen Hufe der anderen Tiere verursachten für die
Ohren des Indianers einen Heidenlärm in der Nacht.
Er hielt etwa 20 Yards Abstand und ritt parallel zu den
Bleichgesichtern, die es offensichtlich sehr eilig hatten.
Also besaßen die Hellaugen etwas, das wertvoll war, schloß
der Apache, denn sonst wären sie nicht derart durch die Nacht
gejagt.
Aber ob die Beute für einen Indianer einen Wert besaß,
wußte der Tonto noch nicht. Doch zwei gute Pferde, die
Ausrüstung und Waffen der Bleichgesichter waren schon eine
beachtliche Beute für einen einzelnen Krieger.
Der Tonto hatte keinerlei Bedenken, die Weißen allein
anzugreifen. Denn er befand sich in seinem Element und im
Gebiet der Apachen. Er kannte hier jeden Stein, jeden Strauch
und jede Wasserstelle.
Wie sollten ihm die Bleichgesichter entkommen?
Der Krieger beugte sich vor, flüsterte seinem Pferd etwas in
die aufgestellten Ohren, und es fiel plötzlich in Galopp. Mit
weit ausgreifenden Sätzen flog es förmlich dahin. Sanft
korrigierte der Tonto die Richtung, näherte sich dem Ort, an
dem er sich in den Hinterhalt legen wollte, und brachte sein
Pony zum Stehen.
Geschmeidig wie ein Raubtier glitt der Indianer vom
Pferderücken. Sekundenlang stand er reglos und lauschte. In
der Ferne klangen die metallbeschlagenen Hufe der Pferde auf,
die von den Bleichgesichtern geritten wurden.
Der Tonto lächelte, als er das alte Schrotgewehr aus den
Lederschlaufen löste. Die Flinte war seine erste Beute als
Krieger gewesen. Immer hatte er dafür gesorgt, daß genügend
Patronen für die alte Donnerbüchse vorhanden waren. Diesmal
sollte sie ihm zu weitaus größerer Beute verhelfen.
Geschickt wie ein Wiesel kletterte der Apache einen steil
aufragenden Felsen hoch. Seine Finger krallten sich in winzige
Spalten, und die Zehen in den geschmeidigen kniehohen
Mokassins stützten sich an kleinsten Vorsprüngen ab.
Mit dem letzten Schwung gelangte der Krieger auf das
brettflache Oberteil der mehr als mannshohen Säule. Er schob
die Flinte vor und spannte beide Hähne. Nun brauchten die
Bleichgesichter nur noch zu kommen. Es genügte, wenn er sie
aus den Sätteln holte. Die Pferde sollten nicht verwundet
werden. Hatten sie erst einmal die Metalleisen verloren, konnte
der Krieger vielleicht zwei gute Squaw-Pferde aus ihnen
machen.
Immer lauter tackten die metallenen Hufe auf dem Gestein
des Weges. Gelassen hob der Tonto die Flinte etwas an. Er
ahnte nicht, daß er damit seinen Tod besiegelte. Denn Elmer
Slade und Tim Wheeler hatten jenen Zustand der erregten
Aufmerksamkeit erreicht, in dem sie eine Schnecke hätten
husten hören können.
Jetzt!
Der Indianer zielte bedächtig. Er wußte, daß er nach dem
ersten harten Schlag gegen seine Schulter erneut zielen mußte.
Der linke Reiter war voll im Ziel.
Langsam krümmte der Tonto den Finger.
Zwei Feuerblumen blühten vor ihm orangerot auf. Zwei harte
Schläge warfen den Apachen zurück. Heiße Glut schien seinen
Oberkörper zu durchströmen. Er riß beide Abzüge durch.
Donnernd entlud sich die Flinte. Die Schrote jagten beinahe
senkrecht in den Nachthimmel, als sollten sie Mond und Sterne
vom Firmament holen.
»Wir haben ihn erwischt!« stieß Elmer begeistert hervor.
»Mann, Tim, jetzt kann uns nichts mehr passieren. Wir haben
einen verdammten Apachen zu Manitu geschickt.«
Wheeler hob die Linke. Mit der anderen Hand zügelte er das
Pferd. Eine Weile lauschte er. Schließlich nickte Tim und
sagte: »Er scheint in die Apachenhölle gefahren zu sein.
Machen wir, daß wir wegkommen, ehe seine Freunde
auftauchen und uns das Fell über die Ohren ziehen, Elmer.«
Ernüchtert lud Slade den Colt auf und rammte ihn ins
Halfter.
Anschließend preschten die beiden Banditen davon.
Sie blickten nicht zurück, entdeckten nicht den Krieger, der
sich mit beiden Händen aufstützte und seinen Todfeinden
nachsah.
Schwer fiel der Tonto auf den Felsen. In seiner Brust wühlte
ein wilder Schmerz, fraß sich weiter, tiefer, drohte das Leben
zu verscheuchen.
Der Krieger mußte seine Stammesbrüder auf die Fährte der
Bleichgesichter hetzen. Sie sollten sterben, die tausend Tode
erleiden, die Apachen für ihre Feinde bereithielten.
Der Tonto mißachtete den glühenden Schmerz, als er sich zur
Kante der Steinsäule schob. Er berührte das Gewehr.
Verächtlich stieß er die Waffe der Weißen, deren metallisches
Blinken ihn verraten hatte, über den Rand. Der Kolben der
Flinte zersplitterte, als die Waffe aufschlug.
Nur noch eine Chance sah der Krieger. Mit Todesverachtung
ließ er sich ebenfalls hinabfallen. Er schlug schwer auf und
verlor die Besinnung.
Als er wieder zu sich kam, streifte warmer Atem sein
Gesicht. Das Pony war zu seinem Herrn gekommen und
betastete ihn mit dem Maul.
Mit der flachen Hand wischte sich der Indianer über die
blutfeuchte Brust und verteilte sein verrinnendes Leben im Fell
des Pferdes.
Der Tonto wollte sprechen, aber nur ein heiseres Flüstern
kam über seine Lippen. Noch einmal nahm er alle Kraft
zusammen. Wie ein letzter Ausbruch gellte das Wort heraus.
Für eine Sekunde stand das Pony reglos wie aus Stein
gehauen. Aber dann warf es sich herum und jagte davon.
Der Tonto lächelte zufrieden. Das Pferd würde zu den
Stammesbrüdern galoppieren, und sie rochen den Tod in
seinem Haar.
Plötzlich fühlte sich der Apache leicht wie eine Feder. Der
Schmerz hatte auf wunderbare Weise nachgelassen. Langsam
holte der Indianer tief Luft. Klar und deutlich klangen die
Worte seines Sterbegesanges durch die Nacht.
Nach den letzten Worten brach der Krieger zusammen. Er
war tot. Aber er hatte bis zur letzten Sekunde seines Lebens für
den Stamm, für die Sache der Apachen gekämpft.
*
Takona richtete sich neben dem borkigen Stamm auf und
blickte in die Nacht. Seine Krieger lagen in guter Deckung.
Takona war ein erfahrener Unterführer der Tontos. Er machte
sich Hoffnungen, eines Tages vom Rat der Alten zum
Unterhäuptling gewählt zu werden. Wenn es nach seinen
Erfolgen bei den Kriegszügen ging, hätte er schon längst Jefe
sein müssen. Aber die Vertreter Santanas vergötterten den
Anführer der Tontos. Und Santana hörte zumeist auf Victorio,
den Mimbrenjo. Er war ein unversöhnlicher Weißenhasser und
hätte die Bleichgesichter am liebsten ausgerottet.
Zudem versuchte er ständig, Cochises Einfluß bei den
Stämmen zu untergraben. Das brachte ihm viele Sympathien
ein, denn den Kriegern ging es um Kampf und Beute.
Der Ruf eine Wüstenspottdrossel klang durch die Nacht.
Aufmerksam horchte Takona. Sekunden später wiederholte
sich der imitierte Ruf. Nur jeweils einmal schrie der Tagvogel,
also näherte sich ein Pferd.
Die Wüstenspottdrossel schlief nachts in ihren Verstecken.
Aber ihr Schrei war das Zeichen der Tontos, mit dem sie sich
verständigten.
Takona antwortete mit dem heiseren Fauchen des
Rotluchses.
Der Tonto trat drei Schritte vor. Er wollte sehen, wie seine
Männer mit dem Fremden fertig wurden.
Dann kam Hufschlag auf. Takona runzelte die Stirn. Das
Pferd schien keinen Reiter zu tragen.
Plötzlich ritten unterhalb des Anführers der Rotte vier
Krieger aus schmalen Einschnitten, die sich wie Kerben durch
die Felsenwildnis zogen. Die Apachen fingen den Mustang ab.
»Ein Apachenpony!« rief einer der Krieger.
»Es gehört Ratana«, sagte ein anderer. »Es riecht nach Blut,
Takona.«
Der Jefe der Gruppe kletterte geschickt wie ein Wiesel hinab.
Als er neben dem Mustang stand, sog Takona tief die Luft ein.
Ja, es roch nach Tod, nach Blut. Sorgfältig untersuchten die
Krieger das Pony, aber sie fanden keine Verletzungen.
»Wir folgen seiner Fährte zurück«, befahl der Anführer.
»Ratana ist im Land der endlosen Jagd. Und wir holen uns
seine Mörder.«
In diesem Augenblick löste sich vom höchsten Felsen eine
große Eule. Mit weit ausgebreiteten Schwingen segelte das
Tier über die Schlucht.
Bü, die Eule, war der Bote der Götter, der die Seelen der
Verstorbenen in die Ewigen Jagdgründe geleitete. In der
abergläubischen Vorstellungswelt der Apachen nahm dieser
Vogel einen ganz besonderen Platz ein.
Takona stieß dreimal den Pfiff einer Taschenratte aus.
Innerhalb weniger Sekunden versammelten sich die 30 Krieger
hinter ihrem Anführer. Einer brachte Takonas Pony. Er saß auf
und ritt voraus.
Im silbrigen Licht des Mondes folgte er der Fährte, die für
seine Augen deutlich vor ihm lag.
Nach einer Weile bog die Spur in einen breiteren Weg ein.
Ungeduldig drängte das blutbefleckte Pony an Takona vorbei
und trabte zu einer Steinsäule, vor der es verharrte.
Die Krieger rochen das Blut. Sie saßen ab, fanden Retanas
Leichnam und trugen ihn zu einer hochgelegenen Felsspalte.
Vorsichtig betteten sie ihren toten Stammesbruder in die
Öffnung und machten sich daran, sie mit Steinen und Geröll
fest zu verschließen.
Dumpfer Gesang schwang durch die Nacht, und einer der
Tontos hämmerte mit den Handballen auf eine kleine
Trommel, die mit der Haut getöteter Tiere bespannt war.
Als die Riten erfüllt waren, suchten vier Apachen den Boden
ab.
Wenig später kamen sie zu Takona und meldeten: »Zwei
Reiter mit beschlagenen Pferden kamen von dort und ritten im
breiten Tal weiter. Die Mustangs trugen schwere Last.«
Takona überlegte. Schließlich entschied er: »Wir folgen der
Spur in die Richtung, aus der die Bleichgesichter kamen.«
Sofort sprangen die Indianer auf die ungesattelten Ponys. Sie
wunderten sich nicht über diesen Befehl. Takona war der
Anführer. Er mußte wissen, was er tat.
In Wirklichkeit hatte der Apache nur ein vages Gefühl. Er
verließ sich auf seine Instinkte, die in langen Jahren immer
ausgeprägter geworden waren. Er witterte förmlich, daß sie
Beute finden würden. Und die beiden Bleichgesichter liefen
ihnen nicht davon. Denn sie hielten auf den Canyon der
Seufzer zu. Und die Tontos kannten andere Wege, die sie in
der halben Zeit in das weite Tal brachten.
Nach einer Weile zügelte Takona sein Pony und lauschte in
die Nacht.
»Pferde«, sagte er. »Sie sind unruhig. Dort, wir kreisen sie
ein.«
Der Tonto deutete mit der Hand nach links. Er wartete, bis
sich seine Krieger verteilt hatten und ließ ihnen einen
Vorsprung, bevor er selbst seinem Pony die Hacken in die
Flanken preßte.
Wenig später parierte Takona sein Pferd vor den Büschen. Er
kannte die Stelle und wußte von der Lichtung.
Takona schnupperte. Auch hier roch es nach Blut und Tod.
Ohne auf das Rauschen der Sträucher zu achten, trieb er seinen
Mustang hindurch.
Das Mondlicht blinkte auf den Silberbeschlägen der Sättel.
Die Pferde standen weit von den drei Toten entfernt.
»Gelbhäutige«, sagte Takona und glitt von seinem Pony.
Er ging dicht an den Büschen vorbei und betrachtete
aufmerksam den Boden. Immer näher kam der Apache den
Toten und dem erloschenen Feuer. Als er neben den
Mexikanern stehenblieb, wußte er, was geschehen war. Zwei
andere Männer waren von den Gelbhäutigen
gefangengenommen worden. Aber diese beiden konnten sich
befreien und die Mexikaner umbringen.
Und diese zwei waren jene, die Retana getötet hatten.
»Akina, du bringst die Beute zu Santana!« befahl Takona.
»Nimm auch die Sättel mit. Im San Carlos-Reservat zahlen die
Bleichgesichter blankes Metall für einen solchen Sattel. Wir
anderen folgen den Weißen.«
Takona lenkte seinen Mustang herum, richtete sich steil auf
und rief plötzlich: »Zastee! Tötet!«
»Zastee!« gellten hinter ihm die Stimmen seiner Krieger.
Neidisch blickte Akina seinen Stammesbrüdern nach. Sie
folgten den Weißen, die ihre Pferde schwer bepackt hatten.
Vielleicht brachten sie Proviant zu anderen Bleichgesichtern.
Dies mußte für die Tontos unter Takona eine gute Nacht
werden, dachte Akina.
Die Ponys der anderen brachen durch die Büsche. Im Galopp
trieben die Krieger ihre Mustangs hinter den Feinden her.
*
Cochise und Thomas Jeffords schliefen unruhig. Die Pferde der
Atkins-Bande waren nervös und wieherten und zerrten an den
Halteseilen.
»Irgendwas geht vor«, flüsterte Thomas. »Ich möchte nur
wissen, was.«
Der Apachen-Häuptling kroch zum Ausgang der Höhle und
spähte zum Feuer der Banditen hinüber. Holz zerplatzte
knackend in der Glut, als einer der Kerle neue Äste ins Feuer
schob. Die Flammen schlugen hoch.
»Was ist los, Walt?« fragte Atkins.
Er lag neben der Hüttenwand in seine Decke gewickelt.
»Keine Ahnung, Boß«, antwortete der Kumpan, »aber ich
fühle mich verdammt unwohl in meiner Haut. Und ich habe
gelernt, daß ich mich auf dieses Gefühl verlassen kann.«
»Mach dir nicht in die Hose«, sagte der Revolverschwinger
spöttisch. »Was kann uns hier schon passieren? Das Tal ist wie
'ne Festung. Der einzige Zugang ist der Tunnel. Und den
können wir abriegeln. Dann kommt keine Maus mehr rein.«
Walt O'Nions schien Zweifel zu haben.
»Vielleicht kennen die Apachen noch einen anderen Weg«,
sagte er stirnrunzelnd. »Ich habe keine Lust, meinen Skalp an
die Rothäute zu verlieren.«
»Nur nicht nervös werden«, riet der Boß, »das Warten macht
dich verrückt. Ich wette, daß du dauernd an das Dynamit
denkst und daran, daß wir morgen die Goldader finden. Ist es
nicht so?«
Walt grinste und erwiderte: »Das wird's sein, Claude. Ich
kann es kaum erwarten, das gelbe Glitzern zu sehen.«
»Hol dir 'ne Flasche, Partner«, sagte Atkins großzügig, »trink
einen ordentlichen Schluck, dann wird dir besser.«
Cochise tippte an den Arm seines Freundes. Sie krochen
zurück, weit genug, daß ihre Worte in der stillen Nacht nicht
im Tal zu hören waren.
»Sie sind unruhig«, sagte der Jefe, »und spüren, daß es bald
zu Ende ist. Hellauge, wie gehen wir vor, wenn die anderen
beiden Männer wieder hier sind? Warum greifen wir nicht im
Morgengrauen an? Jetzt stehen wir nur vier Feinden
gegenüber. Kommen die anderen zurück, sind es sechs.«
Thomas schwieg. Er konnte dem Jefe einfach nicht
begreiflich machen, daß die Halunken eine Chance verdienten.
Sicher, sie waren gemeine Mörder. Sie gehörten zum
Abschaum der Menschheit, doch Thomas konnte sich nicht
dazu entschließen, sie einfach niederzuknallen. Er war zu
anständig, zu ehrenhaft und hatte das Gefühl, nicht besser als
die Killer zu sein, wenn er einfach drauflosfeuerte. Außerdem
wäre es Lynchjustiz gewesen.
Der Häuptling verstand den Weißen. Auch Cochise wußte,
daß kein Mensch aus seiner Haut konnte und respektierte die
Einstellung seines Freundes.
Natürlich erwartete er von Jeffords, daß auch er sich mit den
Sitten der Apachen abfand, mochten sie ihm noch so grausam
erscheinen.
»Ich kann nicht mehr schlafen«, sagte Thomas nach einer
Weile. »Ich lege mich vorn hin und beobachte.«
»Ich klettere hinauf und hole die Gewehre«, raunte Cochise.
»Wenn wir kämpfen, sind wir den Banditen sonst unterlegen.«
Thomas war einverstanden. Bis zur Dämmerung vergingen
noch zwei Stunden. Diese Zeit konnten sie nutzen.
»Ich gehe mit«, sagte er entschlossen. »Etwas Bewegung tut
mir gut. Ich bin schon steif vom Liegen und Hocken in der
Höhle.«
Cochise ließ seinem Freund den Vortritt. Der Postmeister
stemmte Rücken und Füße gegen die Wandung des Schachtes
und arbeitete sich in die Höhe. Es ging besser, als Thomas
gedacht hatte. Aber er hatte sich ja auch lange genug ausgeruht.
Erleichtert schwang er sich über die Kante und rollte zur Seite.
Cochise folgte wenige Sekunden später. Geschmeidig sprang
er auf die Füße und lief mit federnden Schritten los. Jeffords
folgte dem Häuptling und atmete tief durch.
Nach kurzer Zeit bog der Apache vom schmalen Felsweg ab
und huschte zwischen eine Ansammlung aus Steinsäulen und
einer fast senkrechten Felsplatte durch.
Thomas wurde schneller, holte den Jefe ein und fragte: »Das
ist doch nicht der richtige Weg, Cochise. Unsere Pferde stehen
viel weiter weg.«
Der Häuptling der Chiricahuas blieb stehen und sah Thomas
lächelnd an.
»Du kennst nicht alle Geheimnisse meiner Berge«, sagte
Cochise. »Ich habe die Pferde hierher gebracht, als ich die
Wasserflaschen holte.«
Verwundert sah sich Thomas um. Im silbernen Mondschein
sah er nur zerklüftete Gesteinsformationen, aufgetürmtes
Geröll und keinen Pfad, der Pferdehufen Halt gegeben hätte.
Cochise lächelte wieder. »Du findest den Pfad jetzt nicht,
Hellauge. Wenn wir reiten, wirst du ihn sehen. Er führt nicht in
den Canyon der Seufzer, sondern quer durch die Dragoons
nach Osten.«
Nach 30 Yards hörte Thomas Jeffords die Tiere. Sie witterten
die Menschen und schnaubten. Ein dünnes Rinnsal floß vor den
Pferden aus einer Steinspalte und versickerte kurz darauf im
Boden. Ein Grasfleck von ungefähr vier Yards Durchmesser,
durchsetzt mit Bergkräutern, bot den Pferden genügend
Nahrung.
Cochise nahm seinen Bogen, den Köcher, die Schleuder und
sein modernes Winchestergewehr. Thomas zog seine Büchse
aus dem Scabbard und holte aus der Satteltasche ein Päckchen
Patronen.
»Das reicht für einen Krieg«, sagte Cochise lächelnd. »Wenn
wir feuern, Hellauge, dann um zu treffen und zu töten. Oder
willst du, daß einer der weißen Banditen entkommt und die
Geschichte von der Goldader weiter verbreitet? Willst du, daß
er mit neuen Bleichgesichtern zurückkommt und wieder
Unruhe in meine Berge bringt?«
Ehe Jeffords antworten konnte, wandte der Häuptling den
Kopf. Lange lauschte er in die Dunkelheit. Als er Thomas
wieder ansah, war das Gesicht des Apachen ernst.
»Was ist?« fragte Jeffords. »Ich habe nichts gehört.«
»Der Ruf einer Wüstenspottdrossel«, erklärte Cochise.
»Apachen sind unterwegs. Komm, Hellauge, wir legen uns auf
die Lauer! Ich glaube, sie kommen durch den Canyon der
Seufzer.«
Thomas Jeffords wußte nicht, was er davon halten sollte.
Warum interessierte sich der Jefe plötzlich für seine
Stammesbrüder, die durch die Nacht ritten?
Jeffords fielen dann plötzlich die beiden Banditen ein, die
aus Santa Magdalena Vorräte und Sprengstoff holen sollten,
und nannte sich innerlich einen Narren. Wenn den Kerlen eine
Rotte Krieger auf den Fersen war, änderte sich alles. Denn
Jeffords wollte abwarten, wie die Outlaws mit dem Dynamit
umgingen. Einmal interessierte ihn, ob sie wirklich eine
Goldader fanden. Zum anderen hoffte er immer noch, nicht
töten zu müssen, hoffte, daß sich die Banditen beim Hantieren
mit dem Sprengstoff selbst in die Hölle beförderten.
Cochise war schon 20 Yards entfernt, als Thomas ihm folgte.
Lautlos wie zwei Pumas liefen die beiden Männer über Kanten
und Abhänge an der Seite des großen Canyons.
Der Jefe blieb stehen, als sie ungefähr eine Meile
zurückgelegt hatten.
»Hier ist der beste Platz«, sagte Cochise und deutete über
eine Art natürliche Brustwehr, die wie die Zinnen einer Burg
wirkten. Die Lücken waren breit genug, daß die Beobachter
ihre Köpfe hindurchstecken konnten.
Fast eine Stunde warteten der Jefe und sein weißer Freund.
Im Osten kroch ein grauer Streifen über den Horizont, wurde
allmählich heller und tauchte die Ränder des Canyons in
Zwielicht. Aber bald schob sich die Sonnenscheibe hoch. Die
Gipfel der Dragoon Mountains lagen im Schein des Morgens.
Der Canyon der Seufzer lag wie ein langer, dunkler Streifen
unter den Beobachtern.
»Hufschlag.« Cochise zeigte nach links. »Zwei Pferde mit
Eisen kommen näher.«
Sekunden später flüsterte der Jefe: »Sie werden verfolgt.
Mehr als zwanzig Indianerponys sind hinter ihnen. Aber noch
halten die Krieger ihre Tiere zurück.«
Thomas konnte sich vorstellen, wie die Apachen dachten. Sie
kannten den Canyon der Seufzer und wußten, daß er an der
großen Felsplatte endete. Dort wollten sie ihr Wild stellen, den
Bleichgesichtern zeigen, daß sie in der Falle saßen und
zuschlagen.
Die Dunkelheit im Tal lichtete sich allmählich. Lauter klang
der Hufschlag zum Rand des Canyons hinauf.
Deutlich erkannte Jeffords die zwei Banditen Slade und
Wheeler. Die hatten bemerkt, daß ihnen Apachen auf den
Fersen waren. Sie hieben ihren Pferden die Sporen in die
Seiten. Grell wieherten die Tiere auf, wollten dem peinigenden
Schmerz entkommen und galoppierten.
Elmer und Tim rissen die Revolver aus den Halftern. Hinter
den Weißen hämmerten die Hufe der Apachenmustangs auf
den steinigen Boden. Und dann bog der Schwarm um die
Kurve.
»Mindestens dreißig«, sagte Thomas Jeffords. »Die beiden
haben kaum eine Chance.«
»Tontos!« stieß Cochise hervor.
Seine schwarzen Augen glommen in zornigem Feuer, und
das Gesicht des Jefe wirkte wie aus Stein gemeißelt.
Die Tontos wagten es, im Herzen von Cochises Gebiet,
Weiße zu jagen.
Thomas blickte seinen Freund von der Seite her an und
schwieg. Er wußte, daß diese Sache ein Nachspiel haben
würde, doch das war nicht seine Angelegenheit. Dieses
Problem mußten die Apachen unter sich lösen.
Die Krieger stießen schrille Schreie aus, als sie ihre Beute so
nahe vor sich sahen. Drei, vier Tontos richteten sich steil auf
und schwangen die Ulmenholzbogen hoch. Als die Pfeile von
den Sehnen schnellten, wandten sich Slade und Wheeler gerade
um. Sofort rissen sie an den Zügeln. Die Pferde stürmten nach
rechts und links. Die Pfeile schwirrten ins Leere, rutschten über
den Fels.
Revolverschüsse wummerten dumpf im Canyon. Die
Detonationen brachen sich an den Steinwänden und hallten als
Echos zurück. Es hörte sich an, als feuerte dort unten eine
halbe Schwadron.
Es war verdammt schwierig, vom Sattel eines
galoppierenden Pferdes aus bewegliche Ziele zu treffen. Aber
der dichte Pulk der Tontos machte es den Banditen leicht.
Drei Apachen schwankten auf ihren Mustangs. Sofort brach
die Formation der Indianer auseinander. Sie lenkten ihre Pferde
zu den Seiten, und die restlichen Kugeln prallten auf Gestein
und jaulten davon.
Die kurze Atempause hatte den Banditen genügt. Sie
zügelten ihre Pferde vor der Felsplatte. Tim lenkte sein Pferd
nach links, zum Rand des großen Steins. Triumphierend
brüllten die Tontos auf. Sie sahen ihr »Wild« in der perfekten
Falle.
Aber Elmer hielt seine Winchester in der Hand und jagte
Kugel um Kugel aus dem Lauf. Ihm kam es nicht darauf an, die
Rothäute zu erwischen, er wollte sie wohl nur ein paar
Sekunden zurückdrängen.
Sein Pferd ging an, verschwand hinter der Platte, und die
Tontos saßen wie erstarrt auf ihren Ponys. Wutschreie waren
zu hören. Ein halbes Dutzend Krieger trieb die Mustangs an.
Ungeachtet der Gefahr sprangen die Apachen von den Pferden,
rollten sich dicht an die linke Seite der Felsplatte und
schnellten hoch.
Krachende Gewehrschüsse schlug die Krieger zurück.
Sie liefen zu ihren Mustangs, saßen auf und galoppierten zu
ihren Gefährten.
Ein langes Palaver begann.
»Komm, Hellauge«, sagte Cochise, »ich muß unsere Pferde
in Sicherheit bringen. Die Tontos geben nicht auf. Sie ahnen,
daß hinter der Sperre noch mehr Skalps zu erbeuten sind. Sie
werden wie wir durch die Berge laufen und angreifen. Aber
zuerst dürften sie versuchen, den Tunnel als Eingang zu
benutzen.«
Thomas lief hinter dem Häuptling her. Als sie die Pferde
erreicht hatten, gab Cochise seinem weißen Freund die Waffen
und führte die Tiere an den Zügeln weg. Es dauerte fast eine
halbe Stunde, bis er zurückkam.
»Die Tontos werden unsere Pferde auf jeden Fall finden«,
sagte Thomas düster. »Und wir marschieren dann zu Fuß durch
die Dragoons, wenn alles vorbei ist.«
»Nein, dieses Versteck betreten sie nicht«, entgegnete
Cochise. »Es ist ein heiliger Ort, der den Jefes und
Medizinmännern vorbehalten ist. Auch du darfst ihn nicht
sehen oder kennen, Hellauge. Doch komm jetzt. Wir klettern in
unser Versteck.«
Die Sonne brannte schon heiß am Himmel, als Thomas und
der Apache endlich den Schacht hinabstiegen und die niedrige
Höhle wieder erreichten. Vorsichtig krochen sie zum Ausgang
und blickten auf die wild durcheinanderbrüllenden Banditen.
*
»Big Sloop«, schrie Atkins, »schnapp dir 'ne Winchester und
bau dich am Tunnel auf! Knall jede Rothaut ab, die du siehst!
Los, lauf schon!«
»Boß, hier sind sechs Mann«, rief der Untersetzte. »Warum
soll ich allein die Stellung halten?«
»Weil ein Mann dafür genügt, du Trottel«, antwortete
Atkins. »Du kannst den Tunnel gegen 'ne ganze Armee halten,
wenn du genug Patronen hast.«
Big Sloop lief los. Er suchte sich eine Position 15 Yards von
der Mündung des Stollens entfernt und warf sich hinter ein
Büschel kniehohen Grases. Die Winchester legte er schußbereit
zwischen die Halme. Die Mündung deutete auf das Loch in den
Felsen.
Elmer Slade und Tim Wheeler luden ab, was sie in Santa
Magdalena eingekauft hatten. Atkins sah ihnen zu. Er schaute
auf die flachen Kisten mit den Dynamitpatronen, auf die Rolle
Zündschnur und grinste hämisch. Der Banditenboß glaubte
plötzlich die rettende Idee zu haben.
Auf einmal brüllte Big Sloop entsetzt. Er sah ein helles
Etwas im Stollen, das sich rasend schnell näherte.
Ein weißer Mustang preschte heran. Die Hufe hämmerten
über das glatte Gestein. Big Sloop schlug sein Gewehr an und
zielte zwei Handbreit über den Kopf des Pferdes.
Aber kein Indianer hockte auf dem Rücken des Tieres.
Verblüfft richtete sich der Bandit etwas auf. Ein brauner
Schatten schwang sich hoch, krallte sich an der Mähne des
Pferdes fest und stieß einen gellenden Kriegsschrei aus.
Der Tonto hatte sich am Schweif seines Mustangs durch den
Stollen schleifen lassen und war mit einem gewaltigen Satz auf
den Pferderücken gesprungen, als er das Tal sah.
Big Sloop feuerte. Der Apache wurde wie von einer
gewaltigen Faust nach hinten gestoßen und landete tot am
Boden. Der Mustang steilte, wieherte grell und ließ die
Vorderhufe wirbeln.
Big Sloop drückte ab. Er traf das Tier tödlich. Wie vom Blitz
gefällt brach es zusammen.
Aber der Bandit hatte keine Zeit, sich über seinen Erfolg zu
freuen. Die Apachen griffen an. Sie wußten, daß am Ende des
Stollens weiße Skalps zu erbeuten waren. Und die Tontos
wollten diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Ein zweites Pferd galoppierte heran. Big Sloop begriff, was
auf ihn zukam. Ruhig zielte und feuerte er. Zehn Yards vom
Eingang des Tunnels entfernt lagen Mustang und Krieger tot
am Boden.
Atkins lief zu seinem Kumpan und rief: »Denen werden wir's
geben.«
Big Sloop lachte laut und gemein. »Das ist wie beim Militär,
wenn sie den Rekruten das Schießen beibringen. Ich brauche
nicht mal hinzusehen. Es genügt, wenn ich abdrücke.«
»Laß noch zwei oder drei Rothäute durch«, befahl Atkins.
»Den nächsten mußt du dann im Tunnel erwischen. Die Kerle
machen uns zuviel Ärger. Wenn ein toter Gaul den Stollen
blockiert, kommen sie nicht mehr durch.«
Big Sloop riß die Augen weit auf. Donnerwetter, Atkins
besaß eine Menge Gehirnschmalz. Auf diese Weise schnitten
sie den Indianern den Zugang ab.
Aber die Tontos opferten keinen Mann mehr. Sie hatten
eingesehen, daß sie auf diese Weise nicht in das Tal gelangten.
Enttäuscht lag der Bandit hinter dem Grasbüschel und preßte
Patronen in die Ladeklappe der Winchester.
Er sah erst auf, als Atkins, Walt und Red ihn passierten.
»He, wollt ihr raus?« fragte Big Sloop und lachte verkrampft.
»Paßt nur schön auf eure Skalps auf. Da draußen lauern
nämlich zwei Dutzend Apachen.«
Atkins hob die Linke. Erstaunt blickte der Untersetzte auf
das Bündel Dynamitpatronen, das der Boß trug. Bald darauf
wurde Big Sloop einiges klar, und er lachte glucksend.
»Das wird ihnen den Appetit auf uns verderben«, sagte er.
»Ha, wenn Atkins den Zugang sprengt, werden die Rothäute
vor Wut platzen.«
Red und Walt O'Nions legten die Lunte aus. Atkins verband
die Dynamitstangen mit der Zündschnur und rollte sie bis zu
Big Sloop.
»Hast du ein Streichholz?« fragte der Boß grinsend seinen
Unterführer.
Sloop fingerte eins aus der Tasche, riß es am Gewehrlauf an
und hielt die kleine Flamme an die Lunte. Knisternd brannte
die mit Schwarzpulver durchsetzte Baumwolle ab.
»Lauf, sonst bekommst du 'ne Ladung Gestein auf den
Schädel!« rief Atkins und rannte los.
Big Sloop sprang wie von einer Tarantel gebissen auf und
sauste hinter seinem Boß her. Red und Walt standen bereits bei
den Pferden. Gespannt starrten die Halunken zum Tunnel
hinüber.
»Und wie kommen wir wieder raus?« wollte Elmer Slade
wissen.
Ehe Atkins antworten konnte, krachte es ohrenbetäubend. Es
donnerte, als drohte der Himmel einzustürzen. Eine mächtige
Staubwolke und Gesteinssplitter wurden aus dem Stollen
geschleudert. Ein Riß bildete sich im Felsen über der
Tunnelmündung, verbreiterte sich, klaffte schließlich weiter
auseinander und dann schien die Welt unterzugehen.
Unter gewaltigem Krachen und Getose rutschte ein Teil der
Steilwand nach hinten in das Tal.
Fasziniert verfolgte Big Sloop, wie sich eine mannshohe
Platte löste und über das Grasbüschel glitt, hinter dem Sloop
vor Minuten noch gelegen hatte.
Die letzte Sprengstoffpatrone detonierte inmitten der
rutschenden Felsen. Die Wolke, die zum Himmel aufwallte,
erinnerte an einen Vulkanausbruch. Sekunden später regnete es
Staub und Steine.
»Ich wünsche mir nur«, sagte Elmer Slade, »daß die
verdammten Rothäute zur Hölle gefahren sind.«
»Wenn sie nahe genug am anderen Ende des Stollens
gestanden haben, sind sie hin«, sagte Atkins. »Stell dir doch
mal vor, wie die Felsplatte auf der anderen Seite jetzt
aussieht.«
Aber der Bandenboß hatte Pech. Die Explosion hatte das
ganze Gefüge der Felsformation erschüttert und verändert.
Minuten nachdem sich der Staub gelegt hatte, grollte es
abermals.
»Was ist das?« fragte Tim. »Haben die Apachen auch
Dynamit?«
Niemand antwortete, aber alle starrten dorthin, wo vor kurzer
Zeit noch der Tunnel den einzigen Zugang zum Tal gebildet
hatte.
Felsbrocken rutschten, verschwanden auf einmal, als wären
sie vom Erdboden verschlungen worden, und die Barriere aus
massivem Gestein veränderte sich zu einem sanft verlaufenden
Hang.
Deutlich hörten die Banditen die gellenden Schreie der
Tontos. Da erreichten auch schon die ersten Ponys die Kuppe
der Sperre. Ohne die Tiere zu verhalten, oder das Gelände zu
betrachten, trieben die Apachen ihre Mustangs in das kleine
Tal.
Sekunden später bildeten die Angreifer einen weiten
Halbkreis und trieben die halbwilden Pferde auf die Banditen
zu.
»Nehmt das Dynamit!« brüllte Atkins. »Kurze Lunten.
Anzünden, los, macht schon! Mit den Gewehren halten wir sie
nie auf.«
In fieberhafter Eile fingerten die Männer an dem Sprengstoff
herum. Zündhölzer flammten auf, und dann flogen die ersten
Stangen durch die Luft. Mitten zwischen den Pferden der
Angreifer detonierten die Dynamitpatronen und warfen
gewaltige Dreckfontänen hoch, die beiden Parteien die Sicht
versperrte.
»Zurück, zum Ende des Tals!« schrie Atkins.
Er bückte sich, raffte Sprengstoff, Lunten und Vorräte
zusammen und schnürte alles mit schnellen Bewegungen hinter
den Sattel seines Pferdes. Er war schon aufgesessen, als die
anderen erst begriffen, was er gerufen hatte. Sie waren
abgebrühte, eiskalte Typen und wußten, daß ihr Boß recht
hatte. Hier, mitten im freien Tal, waren ihre Chancen gegen die
Apachen so groß wie die eines Fisches in der Sandwüste.
Aber die Dreckwolken senkten sich bereits. In wenigen
Sekunden hatten die Krieger wieder freie Sicht.
Atkins schnitt mit dem Messer kurze Stücke von der
Zündschnur ab und preßte sie in ein paar Dynamitstangen. Eine
weitere lange Lunte klemmte er zwischen die Zähne und
zündete sie an. Mit den Schenkeln dirigierte er sein Pferd
genau auf die Apachen zu. Als er die ersten Krieger sah,
brannte er das kurze Schnurstück einer Patrone an dem Ende
an, das zwischen seinen Zähnen sprühte, und warf den
Sprengstoff.
Wie ein rasender Teufel jagte Atkins an der Linie der Tontos
vorbei und warf Dynamit. Abermals nahm der aufgewirbelte
Staub den Kriegern die Sicht. Sie zögerten, in die Wolke
hineinzureiten, denn sie erwarteten wohl, hinter der Sperre
erneut mit Sprengstoff aufgehalten zu werden.
Aber Atkins und seine Kumpane trieben die Pferde an und
galoppierten davon. An der linken Seite des Tales boten einige
Felsspalten ausreichend Deckung. Auch die Pferde waren dort
in Sicherheit. Dutzende von großen Felstrümmern waren
irgendwann einmal aus der überhängenden Wand gebrochen
und bildeten eine Art natürliche Sperre gegen jeden Angreifer.
Zwei Einschnitte, die dicht nebeneinander lagen, nahmen die
Banditen auf.
Die Tontos zogen sich zum anderen Ende des Tales zurück
und hielten ein Palaver ab. Sicher überlegten sie, wie sie die
weißen Halunken überraschen konnten, ohne selbst allzu große
Verluste zu erleiden. Der Lage nach blieb den Apachen nur der
Frontalangriff. Aber dann gerieten sie in das mörderische Feuer
von sechs Winchestergewehren. In der Hand eines geübten
Schützen verwandelte sich ein solcher Unterhebelrepetierer in
eine kleine Todesfabrik, die pausenlos heißes Blei ausspuckte.
»Was nun, Boß?« fragte Big Sloop, der zusammen mit
Atkins und Walt in der linken Felsspalte hockte.
»Abwarten, mir fällt schon was ein«, antwortete Atkins.
»Erst muß ich wissen, was die Rothäute unternehmen. Danach
richtet sich alles andere.«
*
Cochise blickte angestrengt zum Eingang des kleinen Tales.
»Jetzt haben die weißen Hunde leichtes Spiel«, sagte der Jefe
grollend. »Jeder, der die Barriere sieht, reitet hinauf. Und von
oben entdeckt er das fruchtbare Tal.«
Thomas lächelte. »Laß sie doch. Dann sehen sie sich hier um
und stellen fest, daß es kein Gold gibt. Nach kurzer Zeit läßt
sich kein Mensch mehr hier blicken.«
Jeffords war mit der Situation ganz zufrieden. Bisher hatte er
auf keinen der Banditen zu feuern brauchen. Und vielleicht
nahmen ihm die Tontos sogar die ganze Arbeit ab.
Cochise seufzte und sagte: »Ich weiß doch, wie verrückt die
Bleichgesichter sind. Eines Tages kommt ein Mann hierher,
schaut sich um, und es gefällt ihm. Er holt seine Squaw, einen
großen Karren voll unnützen Krempel und baut das Blockhaus
wieder auf.«
»Mitten in deinen Bergen?« fragte Thomas ungläubig. »Jefe,
so verrückt ist nicht mal ein Weißer. Jedem in Arizona ist
bekannt, daß die Dragoons Chriricahua-Gebiet sind. Niemand
wird es wagen, hier zu siedeln.«
Der Häuptling wies mit einer Hand auf die Tontos.
»Sie wissen es ganz genau«, sagte er, »und trotzdem jagen
sie hier. Ich werde Santana zum Zweikampf herausfordern,
wenn er seine Krieger nicht im Zaum hält.«
Thomas zweifelte keinen Moment daran, daß Cochise der
Sieger eines solchen Kampfes bleiben würde, aber er hielt
trotzdem nichts von diesem Einfall.
»Wenn bekannt wird, daß sich die Apachen untereinander
nicht einig sind«, sagte er, »so geht ihr innerhalb der nächsten
zwei Jahre vollkommen unter. Immer mehr Menschen kommen
in dieses Land. Sie vertrauen darauf, daß ihr gegeneinander
Krieg führt. Und vergiß nicht, daß Victorio in diesem Moment
die Macht an sich reißen würde. Wenn die anderen Stämme auf
den Mimbrenjo hören, dann brennt Arizona.«
Cochise schwieg, schob sich ein kleines Stück weiter vor.
»Die Tontos greifen an«, sagte er dann gelassen. »Sie holen
sich blutige Köpfe, Hellauge.«
Sekunden später kamen die Mustangs herangeprescht.
Geduckt hockten die Krieger auf den Pferden, um ein
möglichst kleines Ziel zu bieten.
Als die Pferde die Mitte des Tales erreicht hatten, schossen
die Banditen aus allen Rohren. Sechs Angreifer rissen ihre
Ponys nach rechts. Die übrigen verteilten sich, trieben die
Pferde kreuz und quer durch den Talkessel und stürmten
urplötzlich wieder zurück. Die sechs Krieger, die zur Seite hin
ausgebrochen waren, erreichten unverletzt das Blockhaus und
brachten ihre Mustangs hinter den Balkenwänden in Sicherheit.
Grinsend sah Cochise seinen weißen Freund an und sagte:
»Sie haben die einzige Wasserstelle im Tal besetzt. Entweder
verdursten die Weißen, oder sie kämpfen um das Wasser,
Hellauge.«
Jeffords war beeindruckt. Mit einer einfachen Aktion, die
Atkins und seinen Lumpen nur Munition gekostet hatte,
brachten die Apachen die Banditen in die Klemme.
»Jetzt ist der Killer am Zug«, murmelte Thomas Jeffords.
»Ich möchte wissen, was er vorhat. Hoffentlich spielt er nicht
zuviel mit dem Sprengstoff herum.«
»Warum nicht?« fragte der Häuptling. »Wenn die Mörder
sich selbst töten, ist unser Problem gelöst.«
»Du siehst die Felsspalten, in denen die Halunken hocken?«
fragte Jeffords.
Cochise nickte.
»Schau nach oben«, sagte Thomas, »die Felsen hängen weit
über das Tal. Eine Sprengung löst wahrscheinlich eine
Katastrophe aus. Die vorspringende Platte sitzt in einer
Gesteinsschlucht, die nicht fest miteinander verbunden ist. Du
siehst die unterschiedlichen Farben. Jede Farbe bedeutet, daß
dieses Stück weicher oder härter als das andere ist. Und wenn
der Überhang abbricht, reißt er mindestens vier oder fünf Yards
der lockeren Schichten mit. Bei einer starken Explosion rutscht
der gesamte Hang in die Tiefe.«
Verwundert betrachtete Cochise das unterschiedlich gefärbte
Gestein und fragte nach einer Weile: »Woher weißt du das,
Hellauge? Lernt man das in den Schulen der Weißen?«
»Dort nicht gerade, aber wenn ein Junge gut in der Schule
war, kann er weiterlernen, in einer Universität. Dort werden
begabte Menschen zu Ärzten und Ingenieuren ausgebildet.«
Beide Berufe kannte der Apachen-Häuptling und konnte sich
etwas darunter vorstellen.
»Und manche lernen, wie man Felsen unterscheidet?« fragte
der Jefe. »Warum das, Hellauge? Welchen Nutzen, welchen
Sinn hat dies?«
Thomas überlegte, wie er es dem indianischen Freund
erklären sollte.
Schließlich hatte er einen Einfall und sagte: »Du kennst die
Ingenieure, die Eisenbahnen bauen. Nun will jemand die
Schienen über eine bestimmte Strecke im Gebirge führen oder
muß eine Brücke über eine Schlucht bauen. Aber der Geologe,
so heißt der Mann, der alles vom Gestein und dem Boden weiß,
sagt nein. Denn er kann nachweisen, daß der Untergrund nicht
fest genug ist und die Schienen oder Brücke zerstört würden.«
»Wah«, stieß Cochise hervor, »die Bleichgesichter
beschäftigen sich mit Dingen, die keinen Wert haben. Wenn du
deinen Fuß auf lockeres Gestein setzt, spürst du, wie es
nachgibt, und springst zurück. Warum mußt du dafür lange
Jahre lernen?«
»Auch ein Apachenkind muß dies erst lernen«, erwiderte
Jeffords gelassen. »Wenn es laufen kann, und der Boden gibt
über ihm nach, wird das Kind dies für ein Spiel halten. Ist es
so?«
Cochise gab Thomas recht, war aber nicht von der
Nutzlosigkeit einer Brücke abzubringen.
»Du kannst so lange gehen oder reiten«, sagte er, »bis du die
Schlucht hinter dir hast. Danach wendest du dein Pferd und
reitest dorthin, wohin du wolltest. Warum eine Brücke? Warum
Eisenbahnen? Unsere Brüder im Norden klagen, daß die
Bisonherden von Weißen aus den Waggons abgeschossen
werden. Die Kadaver verpesten die Luft, und in zwei oder drei
Wintern haben unsere Brüder im Norden keine Nahrung mehr.
Du siehst, daß eine Eisenbahn nicht nur nutzlos, sondern auch
gefährlich ist.«
Jeffords sagte: »Ja, sicher. Für die Indianer sind solche Dinge
vollkommen nutzlos. Aber die Weißen wollen immer weiter,
wollen wissen, wie das Land hinter dem nächsten Berg, am
anderen Ufer des Flusses aussieht. Und wenn sie das ganze
Land kennen, machen sie es urbar, pflanzen und ernten und
brauchen die Bahn, um die Ernte verfrachten zu können.«
»Warum bauen sie mehr an, als sie essen?« wollte der Jefe
wissen.
»Im Osten leben viele Menschen«, erklärte Thomas. »Sie
leben in Häusern, die größer als hundert Jacales sind. Dort gibt
es kaum noch Land, auf dem sie etwas anbauen können. Sie
kaufen die Ernten der Menschen im Westen.«
Cochise dachte nach und fragte listig: »Womit bezahlen sie
die Ernte? Was haben die Weißen im Osten, das die anderen
brauchen?«
»Gewehre, Munition, Wasserflaschen«, zählte Jeffords auf,
»Geräte für die Landarbeit und viele Dinge mehr. Du siehst,
die beiden Gruppen sind aufeinander angewiesen.«
»Ihr seid ein verrücktes Volk«, sagte der Häuptling. »Die
Indianer nehmen das, was die Natur ihnen schenkt. Damit
kommen sie aus und leben zufrieden. Ihr dagegen zerstört die
Natur und den Boden. Es gibt zu viele von euch. Müßtet ihr
euch beschränken wie wir, wäret ihr sicher nicht so zahlreich.«
Jeffords schwieg. Es hatte keinen Sinn, dem Häuptling zu
erklären, daß eigentlich hinter allem, was die Weißen taten, der
Wunsch nach Sicherheit und Geld stand. Daß einzelne so gierig
nach Dollars und Macht waren, daß sie an nichts anderes mehr
denken konnten.
»Da, die Tontos«, stieß Cochise hervor, »jetzt greifen sie
wirklich an!«
Aber es war nur eine Scheinattacke. Ein Dutzend Krieger
jagte die Mustangs bis über die Mitte des Tales und bog sofort
wieder ab.
»Sie wollen herausfinden, in welchen Spalten die Banditen
hocken«, vermutete Jeffords. »Und das wissen sie jetzt genau,
denn aus beiden Deckungen fielen Schüsse.«
Das Feuer ließ nicht nach. Die Outlaws schickten Kugel um
Kugel zu den wartenden Apachen hinüber.
Was hatte Atkins vor?
Wenn die Krieger ihre Pferde ständig in Bewegung hielten,
konnten sie höchstens durch Zufall getroffen werden.
»Also noch mal, paßt auf«, sagte der Anführer der Banditen.
»Ich verschwinde in Richtung Hütte und nehme genügend
Sprengstoff mit, um die sechs Krieger zur Hölle zu pusten.
Sobald es am Haus kracht, stellt ihr das Feuer ein.«
»Warum?« wollte Big Sloop wissen.
»Damit sie angreifen, du Narr«, antwortete Atkins gereizt.
»Sie sollen nachsehen, was passiert ist. Und wenn ihr nicht
feuert, wittern sie ihre Chance. Wartet, bis sie ganz nahe sind.
Dann werft ihr das Dynamit. Was sich nachher noch rührt,
erledigt ihr mit den Gewehren. Ich wette, daß sie aufgeben.«
»Wir dürfen keinen entkommen lassen«, sagte Walt O'Nions
nervös. »Sonst saust der rote Stinker zu seinem Chief und holt
Verstärkung. Das können wir nicht brauchen.«
»Ihr müßt eben gut zielen«, sagte Atkins. »Los jetzt! Feuert
aus den Läufen, was nur rausgeht.«
Er hatte laut genug gesprochen, daß auch die anderen in der
zweiten Spalte alles verstanden.
Die Schüsse peitschten. Claude Atkins schob sich, flach an
den Boden gepreßt, aus der Deckung.
»Nur weiter, Boß«, rief Walt, »die Kerle wissen nicht, was
sie davon halten sollen. Sie reiten kreuz und quer, um uns das
Zielen zu erschweren.«
Atkins kroch, erreichte einen dichten Strauch und blieb einen
Moment liegen. Vorsichtig richtete er sich etwas auf und bog
behutsam die Zweige auseinander. Von hier aus sah er die
Außenwand der Blockhütte, konnte aber weder einen Apachen
noch eines der Pferde entdecken.
Langsam robbte der Bandit weiter. Er blickte nicht zurück,
denn er wußte, daß seine Männer solange feuerten, bis sie die
Explosion hörten. Natürlich war es möglich, daß ein Teil der
Apachen zur Hütte stürmte, nachdem ihre Brüder in der Hölle
gelandet waren, aber für den Fall wollte Atkins ein paar
Stangen Dynamit aufbewahren.
Yard um Yard gelangte er näher an die grob zugerichteten
Balken, die halb zusammengefallen waren. Endlich spürte er
das rauhe, ausgedörrte Holz unter seinen Fingerspitzen und
richtete sich auf.
Das Krachen der Gewehrschüsse übertönte fast jedes andere
Geräusch. Atkins zog die zusammengeschnürten fünf
Dynamitpatronen aus dem Gürtel und fingerte mit der anderen
Hand ein Schwefelholz hervor. Es ratschte, als er den
Phosphorkopf über die rauhen Balken rieb. Zischend flammte
das Holz auf. Das Feuer fraß sich in die Lunte.
Atkins wartete bis zum letzten Moment. Dann holte er aus,
beugte sich nach hinten und warf das Bündel mit aller Kraft
über das Dach der Hütte.
Claude zog den Revolver und behielt den Daumen auf dem
Hahnsporn. Wenn einer der Apachen etwas gemerkt hatte, war
der Killer bereit, sofort zu feuern.
Plötzlich hörte er die erregten Stimmen von der anderen
Seite der Blockhütte und spannte den Hahn. Aber in diesem
Moment detonierte die Ladung bereits.
Ein bronzefarbener Körper flog um die Ecke. Der Krieger
prallte hart zu Boden, stemmte sich nach einigen Sekunden mit
den Händen hoch und schüttelte den Kopf, als wollte er wieder
klar denken können.
Er sah den Weißen, öffnete den Mund, doch da flammte es
auch schon orangerot vor der Coltmündung auf. Das Geschoß
tötete den Tonto sofort.
Der Killer lief mit langen Sätzen durch die Büsche zur
Quelle an der Rückseite und sah sich um. In weitem Bogen
hastete er um die andere Ecke der Hütte und blieb mit
schußbereitem Revolver stehen. Ein gemeines Grinsen verzog
das Gesicht des Banditen, als er die fünf toten Apachen sah.
Atkins ersetzte die verschossene Patrone, mit der er den
sechsten Mann erwischt hatte, und halfterte den Colt.
Mit beiden Händen umfaßte er den Rand des halb
eingebrochenen Dachs und zog sich hoch. Erst blieb er flach
liegen, um kein Ziel zu bieten, aber dann sah er, daß die
übrigen Krieger alle zur Felswand starrten.
Atkins schaute sich um und entdeckte die Pferde der toten
Tontos hinter der Quelle. Zufrieden rutschte er wieder herunter
und näherte sich den Tieren. Sie scheuten, wichen zurück vor
dem fremden Geruch des weißen Mannes. Aber ihre Reiter
hatten sie mit den Zügeln festgebunden.
Atkins prüfte die Knoten. Sie waren fest. Als er wieder zur
Hütte ging, stieß er mit dem Fuß gegen drei Canteens. Sie
ließen sich nur schwer aus dem Weg räumen. Also waren die
Blechflaschen mit Wasser gefüllt.
Claude Atkins zog sich wieder auf das Dach und bedauerte,
daß er keine Winchester bei sich hatte. Von dort aus hätte er
den Rothäuten in die Flanke fallen können, wenn sie auf die
Felsnischen zustürmten.
Hoffentlich kommen sie bald, dachte der Banditenboß und
legte sich bequem hin.
Nur wenige Sekunden waren vergangen, als die Apachen
angriffen. Sie schmiegten sich auf die Rücken ihrer Pferde und
stießen das Kriegsgeschrei aus, das auf die meisten Menschen
unheimlich wirkte. Aber die Kerle, die Atkins um sich
versammelt hatte, waren abgebrühte Burschen. Die hätten
selbst dem Teufel die Hörner verbogen, wenn es nötig gewesen
wäre.
»Wenn nur keiner nervös wird und zu früh schießt«, sagte
der Banditenboß, »dann schaffen wir's nicht. Aber auf jeden
Fall haben wir jetzt wieder Wasser.«
Er war sich darüber klar, daß ein Mann die Quelle um jeden
Preis halten mußte, wenn sein Plan nicht aufging. Doch
vorläufig brauchte er sich keine Sorgen zu machen, denn seine
Männer warteten noch immer. Die Apachen ließen ihre Pferde
in vollem Galopp auf die Felsen zustürmen.
Walt richtete sich auf, fuhr mit der Linken über das Gestein,
und Atkins bildete sich ein, die kleine Flamme des
Schwefelholzes zu sehen.
Dann bewegte sich Walt wieder, ging zwei Schritte weiter
vor.
Verdammt, was macht der Narr? Noch einen halben Schritt,
und er steht ohne jede Deckung da.
Und Walt O'Nions ging noch weiter. Sicher wollte er genau
sehen, wohin er den Sprengstoff werfen mußte. Er holte aus,
bog den Oberkörper nach hinten, wollte werfen, aber er kam
nicht mehr dazu.
Einer der Tontos hatte sich aufgerichtet, den
Maulbeerholzbogen gespannt und einen Pfeil von der Sehne
schnellen lassen.
Entsetzt starrte Big Sloop auf die eiserne Spitze, die aus dem
Rücken seines Kumpans ragte.
Walt flog zurück. Instinktiv wich Big Sloop aus. Mit weit
aufgerissenen Augen starrte er auf das winzige Stück Lunte,
auf den glimmenden Funken, der gerade in der roten Papphülse
verschwand.
Und das war das letzte, was der stämmige Mörder in seinem
Leben wahrnahm. Denn die Dynamitpatrone landete genau in
der Kiste, aus der Walt sie vor ein paar Minuten
rausgenommen hatte.
Eine ungeheure Detonation erschütterte die Felswand des
kleinen Tales. Steine flogen wie Kanonenkugeln aus der
Spalte. Von den beiden Männern und den Pferden konnte
nichts übriggeblieben sein.
Die Tontos rissen ihre Ponys herum und galoppierten zurück.
Aus sicherer Entfernung beobachteten sie, wie die trennende
Wand zwischen den beiden Spalten zusammenbrach und
zersplitterte.
Zwei Pferde galoppierten aus der anderen Deckung heraus.
Die Männer duckten sich hinter die Hälse der Tiere. Sie
wußten, daß sie eine winzige Chance hatten, wenn sie das
Blockhaus erreichten.
Doch ihre schnelle Reaktion nützte ihnen nichts.
Die Tontos brüllten auf und deuteten mit ausgestreckten
Armen nach oben.
Was Thomas Jeffords befürchtet hatte, trat ein. Die
überhängende Felsplatte löste sich. Unendlich langsam löste sie
sich aus ihrer Verankerung, neigte sich und rutschte schräg
nach unten. Immer schneller glitt das mächtige Stück Gestein
herab, polterte über Vorsprünge, zermalmte weiches Gestein
und zerquetschte Pflanzen und Kräuter zu schmierigem grünem
Brei.
Das Schichtgestein an der Oberkante gab nach. Brocken
brachen heraus, sausten wie riesige Bälle in das Tal und
zerplatzten, als sie gegen härtere Formationen prallten, in
tausend Stücke.
Schicht um Schicht brach ab. Kurz nach der Explosion
rutschte der halbe Hang in die Tiefe und vernichtete alles, was
im Weg war.
Die beiden Reiter entkamen der mächtigen Felsplatte, aber
die Steinlawine holte sie ein, riß die Pferde von den Beinen.
Die Angstschreie der beiden Männer klangen dünn und
kläglich, obwohl sie sicher mit aller Kraft ihre Todesfurcht
herausbrüllten.
Claude Atkins lag reglos auf dem Dach des Blockhauses. Er
starrte die zerstörte Seitenwand des Tales an und war nun
sicher, daß dort keine Goldader zu finden war.
Der Tod seiner Kumpane ließ ihn kalt. Für ihn war es kein
Problem, in jeder Stadt des Südwestens beinharte Burschen
anzuwerben, die für einen halben Dollar jeden Auftrag
bedenkenlos ausführten.
Endlich ließ das Donnergrollen nach. Nur vereinzelt
polterten noch Steine ins Tal.
Atkins sprang vom Dach und ging auf den mächtigen
Geröllhaufen zu.
»Boß«, röchelte jemand, »hilf mir! Ich sitze fest.«
Der Killer sah genauer hin und entdeckte Reds Kopf hinter
einem Stein. Das Gesicht des Rothaarigen war eine einzige
Grimasse des Schmerzes.
Atkins betrachtete den Geröllberg und wußte, daß er
mindestens einen Tag wie ein Verrückter schuften mußte,
wollte er Red rausholen. Denn wenn der Banditenboß an der
falschen Stelle Steine wegnahm, kam der gesamte Haufen
wieder ins Rutschen und begrub auch ihn.
»Ich kann mich kaum noch bewegen«, jammerte Red. »Die
Beine sind ganz taub. Mann, Claude, hol mich raus!«
Er hat das Rückgrat gebrochen, dachte Atkins, sonst wären
seine Beine nicht taub. Was soll ich mit diesem Krüppel
anfangen?
»Sicher, ich helfe dir«, sagte Atkins hämisch und ging
weiter. Er wollte und konnte dem Mann auch nicht helfen.
Außerdem war er dem Tod schon sehr nahe.
Atkins war ein vollkommen gefühlloser Mensch. Ein Leben
bedeutete ihm nichts.
Er musterte das Tal. Die Apachen hatten die Flucht ergriffen.
Sie glaubten wohl, die Bleichgesichter hätten den Zorn der
Götter heraufbeschworen und wären darum vernichtet worden.
Als der Killer mit seinen Blicken die übrige Geröllbarriere
absuchte, entdeckte er noch ein Lebenszeichen. Ein Unterarm
ragte ein Stück zwischen kleinem Gestein heraus, und die
Finger der Hand krümmten sich, als wollten sie etwas packen
und nie wieder loslassen. Aber zwei Sekunden später pendelte
die Hand schlaff herab.
Glück gehabt, alter Junge, gratulierte sich Claude Atkins. Du
mußt doch einen besonderen Schutzengel haben. Erst schaffst
du es, in Tombstone aus dem Jail zu verschwinden, dann
entkommst du diesem verdammten Postmeister in der Wüste.
Und jetzt hast du es wieder mal geschafft. Also, weg von hier.
Ich brauche neue Leute. Und dann suche ich Walts Goldader.
Atkins lief zu den Indianerpferden und schwang sich auf den
Rücken eines starkknochigen Ponys, nachdem er die drei
Wasserflaschen vom Boden aufgenommen hatte. Denn Wasser
war für ihn nun wichtiger als alles andere.
Mit einem Ruck öffnete Atkins den Knoten und drückte dem
Mustang die Stiefelabsätze in die Flanken. Das Pferd fiel in
Galopp und preschte in wilder Karriere durch das Tal.
*
»Jetzt!« sagte Cochise und riß das Gewehr an die Schulter.
Aber Jeffords schoß eine Sekunde früher. Seine Kugel sirrte
über Atkins' Schulter und riß einen Streifen Hemdenstoff ab,
der im Reitwind hochwirbelte.
Thomas stieß einen Wutschrei aus. Cochise drückte ab, aber
da hatte der Bandit das Pferd schon gezwungen, im Zickzack
zu laufen. Auch die Kugel des Jefe richtete nur geringen
Schaden an. Sie nahm einen Streifen Haare aus dem Fell des
Ponys mit.
»Hol die anderen Pferde!« sagte Jeffords aufgeregt. »Wir
müssen hinter dem Halunken her. Er darf nicht entkommen.«
Cochise rutschte aus dem Spalt, kam auf die Beine und
rannte zur Hütte. Wenig später galoppierte er auf dem Rücken
eines Mustangs zu Jeffords, der mit den Waffen vor der Höhle
wartete.
Das zweite Pferd scheute, als es den Weißen roch. Es war
kaum zu bändigen. Thomas verfluchte alle Apachenmustangs,
aber es half nichts. Er mußte Geduld haben und dem Tier Zeit
geben, sich an ihn zu gewöhnen.
Eigentlich ging es schnell. Es konnte kaum fünf Minuten
gedauert haben, bis das Pony nur noch die Augen wild rollte
und zuließ, daß Thomas auf seinen Rükken stieg.
Jeffords warf Cochise den Bogen, den Pfeilköcher und das
Gewehr zu.
»Fertig? Kommst du zurecht ohne Sattel?« fragte der Jefe
besorgt.
»Ich muß«, antwortete Jeffords. »Los, der Killer darf nicht
schon wieder entwischen. Schieß ihn aus dem Sattel, sobald du
ihn siehst, Jefe!«
Cochise trieb seinen Mustang an, drehte sich etwas und
erwiderte grinsend: »Atkins hat auch keinen Sattel, Hellauge.«
Thomas fluchte, und seine Verwünschungen steigerten sich
noch, als sein Sitzfleisch auf dem Pferderücken im Rhythmus
des Galopps hin und her rutschte.
Er umklammerte mit den Beinen den Leib des Pferdes, legte
seine ganze Kraft in diesen einzigen Halt, doch es war
vergebens.
Nachdem das Tier die schräge Barriere überwunden hatte,
die nunmehr die Sperre zum Canyon der Seufzer bildete,
preschte es in voller Karriere durch das Tal.
Cochises Vorsprung wurde immer größer. Der Jefe saß wie
angeschmiedet auf dem Mustang und machte jede Bewegung
des Pferdes mit, um ihm den Galopp zu erleichtern.
Jeffords preßte die Zähne zusammen und ließ sein Pferd
laufen.
Wenn das noch ein paar Meilen so geht, dachte er, kann ich
meinen Hintern wegwerfen.
Wir könnten Atkins erwischen, wenn die Tontos noch in der
Nähe sind, schoß es Thomas durch den Kopf. Aber die
Apachen haben sich bestimmt irgendwo verkrochen und zittern
davor, daß ihnen der Himmel auf den Kopf fällt.
Das Pony bog so scharf um einen herausragenden Felsen,
daß Jeffords die Winchester aus der Hand geschleudert wurde.
Er riß mit aller Gewalt an den einfachen Seilzügeln und brachte
das Pferd tatsächlich zum Stehen. Nach einigen vergeblichen
Versuchen drehte es und ging im Schritt zurück.
Thomas saß ab und rieb sich den schmerzenden
Allerwertesten. Als er sich bückte, um die Winchester
aufzuheben, mußte er die Seilzügel loslassen. Sofort stürmte
der Mustang davon.
Jeffords rannte hinter dem Pferd her, aber das fiel in Galopp
und zeigte dem Weißen die Hufe. Sicherlich war es froh, den
Reiter mit dem unangenehmen Geruch endlich los zu sein.
Thomas fluchte wie ein Maultierabhäuter und marschierte
durch den Canyon der Seufzer. Cochise war nun die einzige
Hoffnung des Postmeisters. Wenn der Jefe den Killer nicht
erwischte, ging alles wieder von vorn los. Denn Atkins gab
sicher nicht auf, solange er noch frei war. Er würde ein neues
Halunkenrudel um sich sammeln und sich wieder auf die Suche
nach der geheimnisvollen Goldader machen, die
wahrscheinlich nur in den Fieberphantasien des verwundeten
Trappers bestanden hatte.
Denn daß es in dem kleinen Tal hinter dem Canyon der
Seufzer Gold gab, erschien Thomas mehr als zweifelhaft. Die
Gesteinsschichten, in denen der gelbe Dreck zu finden war,
sahen ganz anders aus.
Thomas Jeffords blieb stehen und lauschte. Vor ihm klang
Hufschlag auf. Blitzschnell blickte sich Thomas um. In gut
sechs Fuß Höhe wuchs ein belaubter Strauch auf einem
schmalen Felsband.
Jeffords warf das Gewehr hinauf und zog sich hoch.
Langsam spannte er den Hahn und hielt die Mündung auf die
Mitte des Weges gerichtet.
Die Biegung war weit entfernt, und Thomas hatte Zeit genug
zum gründlichen Zielen, wenn Atkins dort kommen sollte.
Aber es war der Jefe, der seinen Mustang im Schritt gehen
ließ. Das Tier hinkte auf der linken Hinterhand und kam nur
langsam vorwärts.
Unmittelbar unter dem Strauch zügelte Cochise das Pferd,
bog den Kopf nach hinten und fragte grinsend: »Wo hast du
denn dein Pony versteckt, Hellauge? Auch dort oben? Sag mal,
wolltest du wirklich auf mich schießen?«
»Oh, verdammt«, stöhnte Thomas und sprang auf den Weg,
»das ging aber total daneben.«
Der Häuptling sagte nichts. Er erinnerte seinen Freund nicht
daran, daß Cochise schon vor zwei Tagen die Banditen töten
wollte. Dann hätte das Problem Atkins nicht mehr bestanden.
Aber der Chiricahua wußte, daß Hellauge nicht aufgab, wenn
es darum ging, dem Stamm die Dragoon Mountains als Heimat
zu erhalten.
»Ich weise alle Kutscher an, die Augen offenzuhalten«,
versprach der Postmeister. »Solange Atkins nicht tot oder
geschnappt ist, bleibt das Problem der Weißen in deinen
Bergen bestehen, Jefe.«
Cochise nickte.
»Gehen wir zu unseren Pferden«, sagte er. »Ich zeige dir
einen Weg, der dich schnell aus den Dragoons hinausführt.«
Forschend sah Jeffords den Apachenführer an und fragte:
»Und was machst du, Jefe?«
Cochise lächelte freudlos und hart, als er antwortete: »Vergiß
nicht, daß ich mit Santana von den Tontos noch etwas zu
besprechen habe. Keine Angst, Hellauge, ich fordere ihn nicht
zum Zweikampf heraus. Aber er soll noch lange daran denken,
daß seine Krieger im Gebiet der Chiricahuas Weiße gejagt
haben.«
Zwei Stunden später trennten sich die Freunde.
Jeffords blickte dem hochgewachsenen Häuptling nach, der
sein Pony in eine breite Lücke zwischen zwei Felsen lenkte
und zu seiner Apacheria ritt.
Der Postmeister mußte zur Station. Nur der Teufel wußte,
was inzwischen alles passiert sein mochte, denn er war länger
weggeblieben, als er vorgehabt hatte.
ENDE