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rbliche Krankheiten beruhen auf Mutationen der DNA, die über die Genera-
tionen weitergegeben werden können (Keimbahn-Mutationen). Die moleku-
largenetische Diagnostik (MD) dient in der medizinischen Genetik dem
Nachweis krankheitsverursachender Mutationen der DNA. Davon abzugrenzen
sind einerseits Veränderungen auf chromosomaler Ebene, die mit zytogenetischen
(Chromosomenanalyse) oder molekularzytogenetischen Techniken nachgewiesen
werden, und andererseits somatische Mutationen (zum Beispiel in Tumoren), die
nicht über die Keimbahn an nachfolgende Generationen weitergegeben werden,
also nicht erblich sind.
Die klinisch relevante MD wird fast ausschließlich bei den überwiegend seltenen,
monogen erblichen Krankheiten eingesetzt (Tabelle). Diese folgen den klassischen
Zertifizierte medizinische Fortbildung
Indikationen zur
molekulargenetischen
Diagnostik bei erblichen
Krankheiten
Stefan Aretz
1
, Peter Propping
1
, Markus M. Nöthen
2
Zusammenfassung
Die Molekulargenetik hat einen festen Platz bei der Aufklärung von Krankheitsursachen und ge-
winnt auch in der medizinischen Diagnostik immer mehr an Bedeutung. Sie unterscheidet sich in
wichtigen Aspekten von anderen Laboruntersuchungen und bedarf hinsichtlich Interpretation und
Befundvermittlung eines spezifisch humangenetischen Fachwissens. Hauptanwendungsgebiete der
molekulargenetischen Diagnostik in der medizinischen Genetik sind Differenzialdiagnostik, Hetero-
zygotendiagnostik, Pränataldiagnostik und prädiktive Diagnostik bei monogen erblichen Krankhei-
ten. Wie bei jeder anderen Laboruntersuchung muss der eine molekulargenetische Untersuchung
veranlassende Arzt eine klare Indikation stellen. Wegen der potenziell weit reichenden Konsequen-
zen eines genetischen Befundes sollte jede pränatale und prädiktive genetische Diagnostik nur nach
humangenetischer Beratung erfolgen. Bei multifaktoriellen Erkrankungen hat die molekulargeneti-
sche Diagnostik derzeit noch keine wesentliche praktische Bedeutung.
Schlüsselwörter: prädiktive Diagnostik, pränatale Diagnostik, Heterozygotendiagnostik, monogen
erbliche Erkrankungen, multifaktorielle Erkrankungen, humangenetische Beratung
Su
mmary
The indications for molecular genetic diagnosis in hereditary disorders
Molecular genetics has an established role in research into disease aetiology and has increasing rel-
evance for medical diagnostics. It differs from other laboratory analyses in important ways, how-
ever. Specialized knowledge of human genetics is important for the appropriate interpretation
and communication of results. The major applications of molecular genetic diagnostics are: diffe-
rential diagnosis, heterozygosity testing, prenatal diagnosis and predictive testing in monogenic
diseases. As with all investigations, a clear indication is required for any genetic test. Genetic coun-
selling is an essential component of all prenatal and predictive diagnostic procedures, as part of
helping patients understand and come to terms with possible implications. To date, molecular ge-
netic diagnosis has limited clinical relevance for complex genetic disorders.
Keywords: predictive testing, prenatal diagnosis, heterozygosity testing, monogenic diseases,
complex disorders, genetic counselling
Dieser Beitrag wurde von der Nordrheinischen
Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung
zertifiziert.
Eine Teilnahme an der zertifizierten medizinischen
Fortbildung im Deutschen Ärzteblatt ist nur im In-
ternet möglich:
www.aerzteblatt.de/cme
Ein Glossar der verwendeten Abkürzungen und
Begriffe findet man auf der nächsten Seite des
Beitrags.
Jede molekulargenetische Unter-
suchung mit medizinisch-genetischer
Fragestellung muss mit dem Angebot
einer humangenetischen Beratung
verbunden sein
.
1
Institut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. med. Peter
Propping), Universität Bonn
2
Abteilung für Genomik (Direktor: Prof. Dr. med. Markus
M. Nöthen), Forschungszentrum Life & Brain, Universität
Bonn
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Erbgängen und beruhen auf Mutationen in jeweils einem einzelnen Gen (Kasten 1)
(1–3). Die Interpretation molekulargenetischer Befunde ist oft schwierig und erfor-
dert humangenetisches Fachwissen; der klinisch tätige Arzt muss jedoch die Aussage-
kraft und die Grenzen dieser Diagnostik kennen,um eine rationale Indikation zur Un-
tersuchung stellen zu können.
Zu den Anwendungsbereichen der MD gehören die Überprüfung einer klini-
schen Verdachtsdiagnose (diagnostische Untersuchung), die Untersuchung auf He-
terozygotie bei autosomal-rezessiven oder X-chromosomal-rezessiven Erkrankun-
gen (Heterozygotentest), die molekulargenetische Pränataldiagnostik und die prä-
diktive (vorhersagende) genetische Testung.
Die Zahl bekannter, monogen vererbter („mendelnder“) Krankheiten wird derzeit
auf etwa 4 000 geschätzt, etwa die Hälfte von ihnen konnte bisher molekulargenetisch
aufgeklärt werden. Nur wenn bei einer bestimmten Krankheit das verantwortliche
Gen bekannt ist, kommt bei einem Patienten auch eine MD in Betracht (Kasten 2).
Übersichten zu Klinik, diagnostischen Kriterien, Molekulargenetik und Therapie mo-
nogener Krankheiten finden man bei „GeneReviews/GeneTests“ (alle Internetadres-
sen siehe: Kasten Weitere Informationen am Ende des Artikels). Das diagnostische
Leistungsspektrum für den deutschsprachigen und europäischen Raum findet man
ebenfalls im Internet.
Monogen erbliche Krankheiten
Phänotyp wird durch Mutationen in jeweils
einem Gen hervorgerufen
selten (Inzidenz meist 1:1 000 – 1:100 000)
Erbgänge
autosomal-dominant
autosomal-rezessiv
X-chromosomal
mitochondrial
Kasten 1
Allel: verschiedene Ausprägungsformen eines Gens; aufgrund des diploiden Chromosomensatzes haben al-
le autosomalen Gene zwei Allele
Compound-Heterozygotie: Patienten mit einer autosomal-rezessiven Krankheit, bei denen man zwei
verschiedene Mutationen in den beiden Allelen des Gens findet.
Gen: Abschnitt der DNA, der für ein funktionelles Produkt kodiert. Konservierte, funktionelle Informations-
einheit im Genom
Genom: Gesamtheit aller Erbanlagen eines Individuums
Genotyp: Kombination der beiden Allele eines Gens
Heterogenie: ein bestimmter Phänotyp kann durch Mutationen in verschiedenen Genen bedingt sein (Lo-
kus-Heterogenie)
Heterozygotie: „Mischerbigkeit“; zwei unterschiedliche Allele eines Gens (zum Beispiel Mutation/Wildtyp)
Homozygotie: „Reinerbigkeit“; zwei identische Allele eines Gens (zum Beispiel Mutation/Mutation oder
Wildtyp/Wildtyp)
Indexpatient: der Betroffene/Erkrankte, durch den eine Familie mit einer genetischen Krankheit identifi-
ziert wird
Keimbahn: die Keimzellen (Eizellen, Samenzellen) und ihre Vorläuferzellen im Gegensatz zu den übrigen
Körperzellen (somatische Zellen). Keimbahn-Mutationen werden nach den Gesetzmäßigkeiten der Mendel-
schen Erbgänge an die Nachkommen weitergegeben
Keimzellmosaik: nur ein Teil der Ei- oder Samenzellen trägt eine Mutation
Konduktorin: Anlageträgerin: heterozygote Überträgerin einer X-chromosomal-rezessiven Erkrankung
Kosegregation: Vererbung einer Mutation zusammen mit einem Phänotyp innerhalb einer Familie. Hilf-
reich zur Abklärung der pathogenen Relevanz einer unklaren genetischen Variante
Lokus: spezifische chromosomale Position, die ein einzelnes Gen oder eine bestimmte DNA-Sequenz enthält
monogen: durch Mutation eines einzelnen Gens hervorgerufene(s) Merkmal/Krankheit
Mosaik: Nebeneinander von normalen und genetisch veränderten Zellen beziehungsweise Zelllinien inner-
halb eines Individuums
multifaktoriell: durch Zusammenwirken von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen hervorgerufe-
ner Phänotyp
PCR: Polymerase-Kettenreaktion: Methode zur gezielten Vervielfältigung eines spezifischen DNA-Abschnitts
Penetranz: Anteil der Mutationsträger, bei dem sich die Mutation phänotypisch auswirkt
Phänokopie: Simulation einer genetisch bedingten Krankheit durch exogene Einflüsse
Phänotyp: (klinische/sichtbare) Ausprägung eines Genotyps
Polymorphismus: variable Stelle im Genom, die ohne (nennenswerte) phänotypische Auswirkung bleibt
Sequenzierung: Darstellung der Basenfolge der DNA oder RNA
SNP: „single nucleotide polymorphism“; variable Stelle im Genom, die durch den Austausch einer einzelnen
Base gekennzeichnet ist
Glossar
Voraussetzungen einer diagnostischen
molekulargenetischen Untersuchung
klinische Verdachtsdiagnose
Gen mit pathogenen Mutationen bekannt
keine große Lokus-Heterogenität
vertretbarer Aufwand
Kasten 2
Voraussetzungen einer indirekten Geno-
typdiagnostik (Kopplungsanalyse)
eindeutiger Phänotyp
keine Lokus-Heterogenie
Blutproben von mehreren betroffenen und
gesunden Familienangehörigen erhältlich
eindeutige Vaterschaft
Kasten 3
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Mutationstypen und ihr Nachweis
Ein Gen besteht aus kodierenden Abschnitten (Exons), dazwischen gelegenen nicht-
kodierenden Sequenzen (Introns) und regulatorischen Abschnitten (zum Beispiel
Promotorregion). Bestimmte Mutationstypen können als sicher krankheitsverursa-
chend eingestuft werden, andere lassen sich nicht immer eindeutig von Polymorphis-
men ohne Krankheitswert oder Varianten niedriger Penetranz abgrenzen.
Grundsätzlich lassen sich nur einzelne Gene gezielt molekulargenetisch untersu-
chen. Ein Screening aller bekannten Erbanlagen („Gen-check“) ist weder technisch,
finanziell und zeitlich realisierbar, noch ließen sich hierdurch sinnvolle Informationen
für den Untersuchten gewinnen. Zum Nachweis einer Mutation wird der relevante
Genabschnitt häufig mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) vervielfältigt und
dann entweder sequenziert oder mit einem anderen mutationsspezifischen Verfahren
analysiert. Bei der Mutationssuche werden Gene vielfach erst mit Suchmethoden
durchgemustert.Auffällige Abschnitte können dann zum Mutationsnachweis sequen-
ziert werden. Gelingt die Identifikation einer Mutation nicht, kann in geeigneten Fa-
milien eine indirekte Genotypdiagnostik (Kopplungsanalyse) durchgeführt werden
(Kasten 3).
Mutationen können bei einem Patienten beziehungsweise in den Keimzellen seiner
gesunden Eltern neu aufgetreten sein (Neumutation). Liegt eine Neumutation als so-
matisches Mosaik vor, dann ist sie unter Umständen nicht in allen Geweben – eventu-
ell auch nicht im Blut – nachweisbar.Wenn eine Person in einer Familie als einzige von
einer autosomal-dominanten Erkrankung betroffen ist (sporadischer Erkrankungs-
fall, beispielsweise Achondroplasie) (Grafik 1), dann liegt höchstwahrscheinlich eine
´
Tabelle
´
Erkrankungsrisiko (Penetranz) und Zeitpunkt der klinischen Manifestation bei ver-
schiedenen, genetisch (mit-)bedingten Krankheiten
Erkrankung/
Gen
Erkrankungsrisiko/Pene-
Beginn klinsche
Disposition
(Genotyp)
tranz bei Anlageträgern*
1
Manifestation (LJ)*
4
Morbus Alzheimer
APOE (e4/e4)
30 %*
2
50–70
Hämochromatose
HFE (C282Y/C282Y)
10–50 % (?)
30–60
Thromboserisiko bei Faktor-V-
FV (G1691A)
5–8fach erhöht
jedes Alter
Leiden-Mutation (heterozygot)
Thromboserisiko bei Faktor-V-
FV (G1691A)
50–80fach erhöht
jedes Alter
Leiden-Mutation (homozygot)
Erblicher Eierstockkrebs
BRCA1, BRCA2
30–40 %
> 25
Erblicher Brustkrebs
BRCA1, BRCA2
40–80 %
> 25
Erblicher Darmkrebs (HNPCC)
MLH1, MSH2, MSH6
70–80 %
> 25
Klassisches adrenogenitales
Syndrom (AGS)
CYP21
> 95 %
Geburt – > 20
Spinale Muskelatrophie (SMA)
SMN1
> 95 %
Geburt – > 30
Muskeldystrophie Duchenne (DMD)
DMD
100 %
frühe Kindheit
Tuberöse Sklerose
TSC1, TSC2
100 %
Kindheit
Achondroplasie
FGFR3
100 %
Geburt
Fragiles-X-Syndrom
FMR1
100 %*
3
1
(männliche Anlageträger)
Huntingtonsche Erkrankung (HD)
HD
100 %
40–50
Spinozerebelläre Ataxie
ATXN1
100 %*
3
5–65
Typ 1 (SCA1)
*
1
Lebenszeitrisiken bei unbehandelten Anlageträ-
gern; bei spätmanifesten Krankheiten sind die al-
tersspezifischen Erkrankungsrisiken in jüngeren
Jahren entsprechend niedriger.
*
2
geschätzte Penetranz bis zum 73. Lebensjahr
(Frauen circa 45 %, Männer circa 25 %) (Breitner
et al., Neurology 1999; 53:321).
*
3
abhängig von Repeat-Expansion
*
4
LJ, Lebensjahr
Sporadisches Auftreten einer autosomal-domi-
nant erblichen Krankheit (zum Beispiel Achon-
droplasie) als Folge einer Neumutation
Die Eltern und Großeltern des betroffenen Jun-
gen (III:1) sind gesund. Für ein zukünftiges Kind
(III:2) der Eltern besteht aufgrund des nie auszu-
schließenden Keimzellmosaiks ein leicht erhöh-
tes Wiederholungsrisiko.
Grafik 1
Die pathogene Relevanz einer
genetischen Variante lässt sich nicht
immer sicher beurteilen.
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Neumutation vor. Entsprechend ist das Wiederholungsrisiko bei zukünftigen Ge-
schwistern gering. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist es aber dennoch leicht
erhöht, weil bei einem Elternteil ein nie auszuschließendes Keimzellmosaik für die be-
treffende Mutation vorliegen kann.
Genetische Diagnostik bei einer klinischen
Verdachtsdiagnose
Eine MD ist medizinisch indiziert, wenn sich aus dem Ergebnis ein diagnostischer Zu-
gewinn beziehungsweise Konsequenzen ergeben. Die möglichen Konsequenzen müs-
sen mit dem Patienten (bei Minderjährigen mit dessen Eltern) vor der Untersuchung
besprochen werden. In vielen Fällen kann der Nachweis einer pathogenen Mutation
eine klinische Verdachtsdiagnose bestätigen oder bei der differenzialdiagnostischen
Abgrenzung eines Phänotyps helfen (zum Beispiel Huntingtonsche Erkrankung, ver-
schiedene Formen der geistigen Behinderung wie Fragiles-X-Syndrom oder Rett-
Syndrom). Bei bestimmten Krankheiten kann dem Patienten hierdurch eine invasive
Diagnostik (zum Beispiel Muskelbiopsie bei Verdacht auf Muskeldystrophie-Typ-
Duchenne/Becker) erspart bleiben. Einige monogen erbliche Krankheiten lassen sich
oft bereits aufgrund der klinischen Symptomatik eindeutig diagnostizieren (Kasten 4);
der Mutationsnachweis bei einem Patienten hat dann nur bestätigenden Charakter; er
ist allerdings nötig, wenn bei anderen Familienangehörigen eine prädiktive Diagno-
stik durchgeführt werden soll.
Die meisten klinischen Leitsymptome sind nicht spezifisch für eine bestimmte (mo-
nogene) Krankheit, ihnen können Mutationen in verschiedenen Genen zugrunde lie-
gen. Voraussetzung einer rationalen MD ist deshalb immer eine klare Fragestellung
auf der Basis einer fundierten klinischen Verdachtsdiagnose.Vage klinische Angaben
(„kolorektale Polypenerkrankung“, „unklare Muskelerkrankung“) sind als Voraus-
setzung einer MD ungeeignet.
Nicht für alle Erkrankungen mit identifizierbaren Mutationen ist derzeit auch eine
molekulargenetische Routinediagnostik verfügbar: Eine ausgesprochene Lokus-He-
terogenie (zum Beispiel bei Retinitis pigmentosa oder nichtsyndromaler Schwer-
hörigkeit) kann die Untersuchung erschweren oder aufgrund des unverhältnismäßig
großen Aufwandes beziehungsweise der geringen Rate positiver Befunde (derzeit)
unmöglich machen.
Der häufig gebrauchte Begriff „Gentest“ suggeriert, dass eine molekulargeneti-
sche Untersuchung einfach und der Befund immer diagnostisch oder gar progno-
stisch eindeutig ist. Bei einer klinisch diagnostizierten monogenen Erkrankung ge-
lingt der Mutationsnachweis allerdings nicht immer, die Detektionsraten schwanken
zwischen unter 10 und 100 Prozent. Dies kann methodenbedingt sein, auf einer un-
zutreffenden klinischen Diagnose oder auf genetischer Heterogenie beruhen. Durch
einen fehlenden Mutationsnachweis kann eine Verdachtsdiagnose deshalb prinzipi-
ell ebenso wenig ausgeschlossen werden, wie eine klinisch sicher diagnostizierte Er-
krankung in Zweifel gezogen werden muss. Der Untersuchungsauftrag in typisch
ärztlichem Jargon („Bitte um Ausschluss von…“) ist deshalb in der Regel nicht er-
füllbar. Eine klinische Verdachtsdiagnose kann allerdings unwahrscheinlicher wer-
den, wenn eine Mutation nicht nachweisbar ist, die bei der überwiegenden Mehrheit
der Erkrankten vorliegt.
Die Beziehungen zwischen einer genetischen Veränderung einerseits und der klini-
schen Ausprägung andererseits (Genotyp-Phänotyp-Beziehung) können durch ver-
schiedene Faktoren modifiziert werden (Kasten 5) und lassen sich nur begrenzt vor-
hersagen. Selbst bei Vorliegen des gleichen Genotyps kann das klinische Bild – sogar
intrafamiliär – variabel sein. Die Identifizierung einer Mutation erlaubt deshalb häu-
fig nur Aussagen über Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf Zeitpunkt und Ausmaß der
Krankheitsmanifestation (Tabelle), aber keine sichere prognostische Einschätzung
des Einzelfalls. Therapeutische Entscheidungen können sich deshalb in vielen Fällen
nicht allein an einem molekulargenetischen Ergebnis, sondern müssen sich an der Zu-
sammenschau aller Befunde orientieren.
Durch einen fehlenden
Mutationsnachweis kann eine
klinische Verdachtsdiagnose nicht
ausgeschlossen werden.
Der Phänotyp einer Mutation wird
beeinflusst durch:
Art der Mutation
genetischen Hintergrund
Mosaikstatus versus Keimbahnmutation
bei X-chromosomalem Gen:
Grad der X-Inaktivierung bei Frauen
exogene Faktoren
stochastische Ereignisse
Kasten 5
Beispiele für monogen erbliche Erkran-
kungen, die oft auch ohne molekularge-
netische Untersuchung mit anderen Me-
thoden diagnostiziert werden können
klinisch:
– okulokutanter Albinismus
– Neurofibromatose Typ 1
Bildgebung
– autosomal-dominant erbliche polyzystische
Nierenerkrankung
klinisch-histologisch
– familiäre adenomatöse Polyposis
biochemisch
– Smith-Lemli-Opitz-Syndrom
– Thalassämien
– Thrombophilien
Kasten 4
Voraussetzung einer diagnostischen
molekulargenetischen Untersuchung
ist eine konkrete klinische
Verdachtsdiagnose.
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Heterozygotendiagnostik
Autosomal-rezessive Erkrankungen manifestieren sich bei Homozygotie oder
Compound-Heterozygotie und treten in Verwandtenehen gehäuft auf. Beide El-
tern eines Erkrankten sind in der Regel heterozygote Anlageträger und das Wie-
derholungsrisiko für zukünftige Kinder beträgt 25 Prozent (Grafik 2). Ein „zur Si-
cherheit“ gewünschter Heterozygotentest ist hier bei den Eltern überflüssig.
Bei einem Heterozygotentest handelt es sich um die Untersuchung einer kli-
nisch gesunden Person auf eine Anlageträgerschaft für eine autosomal-rezessive
oder X-chromosomal-rezessive Erkrankung. Die Untersuchung auf Heterozygotie
kommt hauptsächlich bei frühmanifesten, schweren und nicht oder nur unzurei-
chend therapierbaren Krankheiten wie der Mukoviszidose oder spinalen Muskel-
atrophie in Betracht. Verwandte Familienangehörige der Eltern eines Erkrankten
sind häufig wegen des Wiederholungsrisikos bei zukünftigen Kindern besorgt. In
diesem Fall ist eine humangenetische Beratung indiziert, um das Risiko bei den
Nachkommen einzuschätzen. Die Heterozygotendiagnostik erfolgt meist schritt-
weise – erst bei der Person, die mit dem Betroffenen verwandt ist, dann bei dessen
Partner. Bei entfernter verwandten Familienangehörigen fällt das Risiko einer An-
lageträgerschaft rasch ab (Grafik 2).
Eine Mutationsdiagnostik sollte zuerst bei einem Betroffenen durchgeführt
werden, um die verantwortlichen Mutationen in einer Familie zu kennen. Sind die
Mutationen eines Indexpatienten nicht bekannt, verbleibt auch nach einem unauf-
fälligen Heterozygotentest bei verwandten Familienangehörigen der Eltern ein –
meist geringes – Erkrankungsrisiko für deren zukünftige Kinder. Die Berechnung
und verständliche Mitteilung von „Restrisiken“ und ihrer Konsequenzen ist wich-
tiger Bestandteil der humangenetischen Beratung.
Die Heterozygotendiagnostik bei X-chromosomal-rezessiven Erkrankungen
(zum Beispiel Muskeldystrophie Typ Duchenne/Becker, Hämophilie) dient der
Identifikation von möglichen weiblichen Anlageträgern (Konduktorinnen) unter
den Verwandten eines Patienten, denn Söhne von Konduktorinnen haben ein 50-
prozentiges Erkrankungsrisiko. Männliche Personen können eine Mutation nicht
an ihre Söhne weitergeben. Die Ausprägung klinischer Symptome bei Kondukto-
rinnen hängt vom Grad der Inaktivierung des betroffenen X-Chromosoms ab; sie ist
nicht vorhersagbar, meistens besteht aber keine oder nur eine milde Manifestation.
Ein Heterozygotentest wird in der Regel nur durchgeführt, wenn sich aus der Fa-
milienanamnese konkrete Hinweise auf eine molekulargenetisch diagnostizierba-
re rezessive Erkrankung ergeben. Ein Bevölkerungsscreening, zum Beispiel auf
Heterozygotie für Mukoviszidose, wurde in Deutschland angesichts vielfältiger
Probleme von der Bundesärztekammer und den Fachgesellschaften wiederholt ab-
gelehnt (4).
Pränataldiagnostik
Alle molekulargenetisch diagnostizierbaren monogenen Krankheiten lassen sich
prinzipiell auch pränatal feststellen. Voraussetzung einer pränatalen molekulargeneti-
schen Untersuchung ist der vorherige Nachweis der pathogenen Mutation bei einem
Elternteil oder einem anderen Verwandten (autosomal-dominanter, X-chromosoma-
ler Erbgang) oder bei beiden Elternteilen beziehungsweise bei einem betroffenen
Kind (autosomal-rezessiver Erbgang). Nur in diesem Fall ist eine pränatale Diagno-
stik sinnvoll. Die diagnostischen Voraussetzungen sollten deshalb bei einer geplanten
Pränataldiagnostik rechtzeitig vor Eintritt einer Schwangerschaft geklärt sein (5).
Eine pränatal gestellte klinische Verdachtsdiagnose bei leerer Familienanamne-
se erlaubt in der vorgeburtlichen Situation nur in seltenen Fällen eine molekular-
genetische Klärung. Aufgrund des meist fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadi-
ums ergibt sich außerdem kaum jemals eine Indikation zu einer MD. Der pränata-
le Ausschluss eines genetischen Syndroms ist in einem derartigen Fall prinzipiell
nicht möglich.
Grafik 2
Eine molekulargenetische
Pränataldiagnostik sollte immer
rechtzeitig geplant, zentral
koordiniert und nach
humangenetischer Beratung der
Eltern erfolgen.
Autosomal-rezessiv erbliche Erkrankung am
Beispiel der Mukoviszidose
Die Häufigkeit der Mukoviszidose in der All-
gemeinbevölkerung beträgt circa 1 : 2 500 (im
Stammbaum ist die Heterozygotie-Wahrschein-
lichkeit der miteinander verwandten Personen
angegeben). Die gesunden Eltern (II:1, II:2) des
betroffenen Mädchens (III:2) sind obligate Anla-
geträger (heterozygot). Für ein zukünftiges Kind
(III:3) besteht ein Erkrankungsrisiko von ¼ (25
%). Bei einer Heterozygotenfrequenz der Allge-
meinbevölkerung von circa
1
/
25
(4 %) errechnet
sich für ein zukünftiges Kind (III:4) von II:3 und
II:4 ein Erkrankungsrisiko von ½
1
/
25
¼ =
1
/
200
(0,5 %).
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Die Verfügbarkeit pränataler Untersuchungsmöglichkeiten hat eine veränderte
Wahrnehmung der Schwangerschaft und des heranwachsenden Kindes zur Folge
und verlangt von den Eltern heute in zunehmendem Maß Entscheidungen über
den diagnostischen Umfang und die Konsequenzen auffälliger Befunde (6). Aussa-
gekraft, Methoden und Konsequenzen einer molekulargenetischen PD sowie al-
ternative Entscheidungsmöglichkeiten müssen daher vor Untersuchungsbeginn
ausführlich erörtert werden. Eine invasive PD sollte deshalb nur im Rahmen einer
humangenetischen Beratung diskutiert werden.
Die Indikationsstellung zu einer molekulargenetischen PD ist in der Regel nur
dann gerechtfertigt, wenn es um eine schwere und frühmanifeste Krankheit geht und
aus dem Ergebnis der Untersuchung gegebenenfalls auch Konsequenzen gezogen
werden sollen. In einigen Fällen – zum Beispiel bei erhöhtem Risiko für ein adreno-
genitales Syndrom oder eine Rhesus-Inkompatibilität – kann der Befund einer prä-
natalen Genotypisierung Bedeutung für die pränatale Therapie und Überwachung
beziehungsweise das perinatale Management haben.
Die gebräuchlichen Methoden der Materialgewinnung differieren hinsichtlich
eingriffsbedingtem Risiko, diagnostischer Aussage und Untersuchungsdauer (Kasten
6), bei einer geplanten MD wird eine Chorionzottenbiopsie bevorzugt. Eine moleku-
largenetische PD stellt hohe Anforderungen an die Untersuchungslogistik, sie sollte
daher immer rechtzeitig geplant und zentral koordiniert werden.
Prädiktive Diagnostik
Unter prädiktiver Diagnostik versteht man die Untersuchung eines klinisch gesun-
den Menschen auf Anlagen (Mutationen), die zu Krankheiten im weiteren Leben
disponieren (7). Zielgruppe sind in erster Linie klinisch gesunde Verwandte (Risi-
kopersonen) von Patienten mit einer schweren, monogen erblichen und spätmani-
festen Krankheit. Voraussetzung einer sicheren prädiktiven MD von Risikoperso-
nen ist die Identifizierung einer pathogenen Mutation bei einem erkrankten Fami-
lienmitglied (Grafik 3) (8).
Prädiktive Diagnostik am Beispiel von erblichem Darmkrebs ohne Polyposis (HNPCC). Aufgrund
der familiären Häufung von Krebserkrankungen eines bestimmten Tumorspektrums (kolorek-
tale Karzinome, Endometriumkarzinome) besteht in der Familie klinisch Verdacht auf HNPCC.
Alle erstgradig verwandten Personen eines Erkrank-
ten sind Risikopersonen und sollten in ein intensi-
viertes Früherkennungsprogramm aufgenommen
werden. Bei einer erkrankten Person (III:3) konnte
die verantwortliche Mutation im
MLH1-Gen identifi-
ziert werden. Daraufhin haben sich einige Risiko-
personen prädiktiv testen lassen: bei drei Personen
wurde die Mutation dadurch ausgeschlossen; sie
(und ihre Kinder) können aus dem Früherkennungs-
programm entlassen werden. Bei IV:6 wurde eine
Anlageträgerschaft nachgewiesen; CRC, kolorekta-
les Karzinom
Methoden invasiver Pränataldiagnostik
Amniozentese (AC)
15.–17. SSW
eingriffsbedingtes Abortrisiko 0,5–1 Prozent
Befund nach circa 3 Wochen
Chorionzottenbiopsie (CVS)
10.–12. SSW
eingriffsbedingtes Abortrisiko: 1–2 Prozent
Befund nach wenigen Tagen bis 1 Woche
Kasten 6
Eine prädiktive Untersuchung
sollte immer in ein mehrstufiges
Beratungskonzept
(Beratung – Testung – Beratung)
eingebettet sein.
Grafik 3
Voraussetzung einer direkten
molekulargenetischen
Pränataldiagnostik ist der vorherige
Nachweis einer sicher pathogenen
Mutation in der Familie.
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Lässt sich bei einer Risikoperson die in der Familie bekannte Mutation aus-
schließen, dann hat die untersuchte Person im Vergleich zur Allgemeinbevölke-
rung kein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Anlageträger werden die Krankheit hin-
gegen mit einer von der Mutation abhängigen Wahrscheinlichkeit (Penetranz)
entwickeln (Tabelle). Der prädiktive Wert (Vorhersagewert) einer Mutation kann
dabei extrem variieren. Aussagen über das Manifestationsalter oder den Krank-
heitsverlauf sind bestenfalls statistischer Natur.
Die prädiktive MD unterscheidet sich qualitativ von einer genetischen Untersu-
chung zur differenzialdiagnostischen Einordnung einer bereits manifesten Erkran-
kung. Das Wissen um ein erhöhtes Erkrankungsrisiko berührt Kernbereiche der
Privatsphäre und Lebensplanung. Prädiktive Diagnostik kann von Sorgen befrei-
en, für den Einzelnen und dessen Familie aber auch mit psychosozialen Belastun-
gen verbunden sein und betrifft ebenso versicherungs- wie datenschutzrechtliche
Problemfelder (7, 9). Jede Person hat nach dem Grundsatz der informationellen
Selbstbestimmung das Recht, die eigene genetische Konstitution zu kennen, aber
auch ein Recht auf Nichtwissen (Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 GG) (10). Prä-
diktive Diagnostik ist deshalb in der Regel volljährigen Personen mit deren schrift-
lichem Einverständnis vorbehalten. Sie sollte nur auf freiwilliger Basis, nach um-
sichtiger und nichtdirektiver humangenetischer Beratung entsprechend den Richt-
linien der Bundesärztekammer durchgeführt werden. Als paradigmatisch können
die hohen Anforderungen bei der Huntingtonschen Erkrankung gelten (Kasten 7),
die auf der Basis internationaler Richtlinien geregelt sind (11). Viele weitere, spät-
manifeste und nicht therapierbare neurodegenerative Erkrankungen sollten
gleichsinnig behandelt werden (Kasten 8).
Trotz der vielfach formulierten Standards besteht zum Teil eine große Diskrepanz
zur Wirklichkeit. Nur ein Bruchteil der durchgeführten prädiktiven Untersuchungen
wird von einer humangenetischen Beratung begleitet. Insbesondere ein Screening
auf Varianten niedriger Penetranz beziehungsweise Polymorphismen mit umstritte-
nen präventiven Konsequenzen kann mehr zur Verunsicherung der Patienten als
zum medizinischen Nutzen beitragen. Prädiktive Diagnostik sollte nur auf der
Grundlage validierter Daten und fachkompetenter Aufklärung erfolgen (12, 13).
Arzt und Patient müssen sich über die eventuellen Konsequenzen im Klaren sein.
Auch die unkritische Durchführung prädiktiver Diagnostik bei Minderjährigen stellt
ein Problem dar. Sie ist nur geboten, wenn sich aus dem Ergebnis unmittelbare
präventive oder therapeutische Konsequenzen ergeben (Kasten 9) (7, 14, 15).
Präventive Aspekte molekulargenetischer Diagnostik
Die prädiktive MD hilft zunehmend bei der Charakterisierung von Risikogruppen,
die dann gezielt risikoadaptierten Vorsorgemaßnahmen zugeführt werden können.
In diesem Zusammenhang kommt den erblichen Tumordispositionssyndromen eine
besondere Bedeutung zu (Tabelle). Typisch für diese erblichen Formen sind ein
junges Manifestationsalter, die syn- oder metachrone Tumormanifestation und die
familiäre Häufung eines syndromtypischen Tumorspektrums (Grafik 3) (6, 15).Auf-
grund der hohen Erkrankungswahrscheinlichkeit (Penetranz) bei Anlageträgern
einerseits und den guten Heilungschancen vieler Tumoren bei frühzeitiger Erken-
nung andererseits, sind Maßnahmen zur Krebsprävention hier oft sehr effektiv (16).
Mithilfe der prädiktiven Diagnostik können Früherkennungsmaßnahmen auf die
tatsächlichen Anlageträger begrenzt werden (17). Die MD ist allerdings nur aus-
sichtsreich, wenn die klinischen Kriterien eines erblichen Tumorsyndroms erfüllt
sind. Entscheidend für den Erfolg präventiver Konzepte ist die gezielte Erfassung
möglicher Risikofamilien durch die an der Basisversorgung beteiligten Ärzte (Fa-
milienanamnese). Die MD und Koordination der Früherkennung sollte dann durch
spezialisierte interdisziplinäre Zentren erfolgen.
Ein Hämochromatose-Populationsscreening wird zum Teil als präventivmedizi-
nisch sinnvoll und ethisch vertretbar angesehen, aber kontrovers diskutiert (18, 19).
Ohne adäquate Aufklärung (zum Beispiel über die geringe Penetranz pathogener
Procedere der prädiktiven Diagnostik bei
der Huntingtonschen Erkrankung
Volljährigkeit
humangenetische Beratung
mindestens vier Wochen Bedenkzeit
psychologisches Gespräch
schriftliches Einverständnis
auf Wunsch Blutentnahme und prädiktive
Testung
persönliche Befundmitteilung bei gleichzeitiger
Anwesenheit eines Humangenetikers, eines
Psychotherapeuten und einer Vertrauensperson
gegebenenfalls psychosoziale Betreuung
Kasten 7
Zeitpunkt einer
prädiktiven Untersuchung
Neugeborene
Phenylketonurie
Kindes-/Jugendalter
medulläres Schilddrüsenkarzinom
als Teilmanifestation einer
multiplen endokrinen Neoplasie Typ 2a
(MEN2a)
familiäre adenomatöse Polyposis (FAP)
von-Hippel-Lindau-Syndrom
Erwachsene
erblicher Darmkrebs (HNPCC)
erblicher Brust- und Eierstockkrebs
Huntingtonsche Erkrankung etc.
Kasten 9
Beispiele für monogen erbliche, spätmani-
feste neurodegenerative Erkrankungen
Huntingtonsche Erkrankung
autosomal-dominante amyotrophe Lateral-
sklerose
autosomal-dominanter Morbus Alzheimer
spinozerebelläre Ataxien
myotone Dystrophie
CADASIL
Kasten 8
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Mutationen im HFE-Gen) können solche Programme durch Fehlinterpretation
von Befunden zu einer erheblichen Verunsicherung der Untersuchten führen. Des-
halb muss für eine ausreichende humangenetische Beratungskapazität gesorgt
werden.
Multifaktorielle (genetisch komplexe) Krankheiten
In den industrialisierten Ländern sind die meisten häufigen Krankheiten des
Menschen („Volks-, Zivilisationskrankheiten“) multifaktoriell bedingt (Kasten
10). Die Merkmalsausprägung erfolgt somit erst im Zusammenwirken mehrerer
disponierender Genotypen mit im Einzelnen meist nicht exakt benennbaren
exogenen Noxen („Umweltfaktoren“). Bei den disponierenden genetischen Va-
rianten kommt dem Austausch einzelner Basen auf DNA-Ebene (den „single
nucleotide polymorphisms“ oder SNPs; sprich: snips) die größte Bedeutung zu.
Jeder Mensch dürfte mehrere solcher angeborenen Krankheitsdispositionen
(Suszeptibilitätsallele, „Risikogene“) tragen (20). Bei zunehmend mehr multi-
faktoriellen Erkrankungen werden SNPs in einzelnen Genen oder pathophysio-
logisch miteinander verknüpften Gengruppen mit einer erhöhten Krankheits-
disposition in Verbindung gebracht (21). Es besteht allerdings nur ein statisti-
scher Zusammenhang zwischen Variante und Phänotyp; bei den Trägern eines
krankheitsrelevanten Genotyps erhöht sich das Erkrankungsrisiko hierdurch
meist nur maximal um das Zwei- bis Fünffache.
Die Identifizierung von SNPs eilt deren funktioneller Charakterisierung und kli-
nischer Validierung derzeit weit voraus. Es ist möglich, dass eines Tages genetische
Risikoprofile für multifaktorielle Krankheitsdispositionen erstellt und zur geziel-
ten Prävention eingesetzt werden können. Beim gegenwärtig begrenzten Wissen
über die disponierenden Gene ist eine genetische Routinediagnostik bei multifak-
toriellen Erkrankungen allerdings nicht gerechtfertigt (22). Durch den Einfluss
nichtgenetischer Komponenten (exogene Noxen, Zufallsfaktoren) könnten Mani-
festationswahrscheinlichkeit und Schwere einer multifaktoriellen Erkrankung
selbst bei Kenntnis aller genetischen Ursachen nicht verlässlich vorhergesagt wer-
den (Kasten 11). Eine genetische Pränataldiagnostik multifaktorieller Erkrankun-
gen wird daher auch in Zukunft nicht indiziert sein.
Ungeachtet des fraglichen Nutzens ist derzeit eine Ausweitung des molekular-
genetischen Leistungsangebotes bei multifaktoriellen Erkrankungen zu beobach-
ten. Über das Internet werden SNP-basierte Tests zur vermeintlich gezielten Ab-
schätzung individueller Krankheitsrisiken angeboten (23, 24). Die suggerierte Aus-
sagekraft entbehrt meist einer wissenschaftlichen Grundlage und diskreditiert die
seriöse medizinische Diagnostik. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.
Humangenetische Beratung
Die Bedeutung einer angemessenen Patientenaufklärung im Zusammenhang mit ge-
netischen Untersuchungen ist unstrittig und Gegenstand von Richtlinien, Empfehlun-
gen und Positionspapieren von Fachgesellschaften und Bundesärztekammer (7). Jede
MD im Rahmen medizinisch indizierter Fragestellungen muss mit dem Angebot einer
humangenetischen Beratung verbunden sein (14), denn die informierte Entscheidung
für oder gegen eine genetische Untersuchung kann nur auf der Basis kompetenter,
nichtdirektiver Aufklärung über deren Aussagekraft und Konsequenzen erfolgen. Bei
prädiktiver Untersuchung, Heterozygotendiagnostik oder Pränataldiagnostik ist das
Recht auf persönliche und informationelle Selbstbestimmung besonders zu berück-
sichtigen. Diese Untersuchungen erfolgen freiwillig und sollten immer in ein – gün-
stigstenfalls mehrstufiges – Beratungskonzept (Beratung – Untersuchung – Beratung)
eingebettet sein (25). Die humangenetische Beratung ist eine reguläre kassenärztliche
Leistung, sie wird auf ärztliche Überweisung durchgeführt. Die Adressen aller Bera-
tungsstellen sind im Internet verfügbar.
Untersuchungsmaterial
EDTA-Blut
Speichel/Mundschleimhaut
Hautbiopsie
Haarwurzel
Fruchtwasser
Chorionzotten
Paraffineingebettetes Gewebe
Kasten 12
Beispiele für multifaktorielle
Erkrankungen
Diabetes mellitus Typ I
Diabetes mellitus Typ II
arterielle Hypertonie
Osteoporose
Adipositas
Sarkoidose
Atopie
chronisch entzündliche Darmerkrankungen
affektive und schizophrene Störungen
Kasten 10
Charakteristika multifaktorieller
Erkankungen
häufig (im Prozentbereich)
Phänotyp-Manifestation durch Zusammenwir-
ken (zahlreicher) genetischer Dispositionen und
exogener Faktoren
ätiologischer Beitrag aller genetischen Faktoren
zusammen maximal 50–70 Prozent
geringe Risikoerhöhung durch einzelne
Dispositionsallele (prädiktiver Wert
einzelner Dispositionsallele gering)
Kasten 11
Bei multifaktoriellen Erkrankungen
spielen genetische Faktoren keine
determinierende, sondern lediglich
eine disponierende Rolle.
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Anforderung/Untersuchungsauftrag
Zur postnatalen MD wird in der Regel DNA aus Leukozyten des peripheren Blutes (5
bis 10 mL EDTA-Blut) zur Untersuchung verwendet (Kasten 12). Der Versand sollte
bei Raumtemperatur, in bruchsicher verpackten, ausreichend beschrifteten und mit ei-
nem lesbaren Absender versehenen Proben erfolgen (Kasten 13). Unbeschriftete Blut-
proben dürfen wegen der Verwechslungsgefahr und der Tragweite einer genetischen
Untersuchung nicht bearbeitet werden. Zur Vermeidung von Rückfragen und über-
flüssigen Untersuchungen sollten der Anforderung neben einer klaren Indikationsstel-
lung ausreichende klinische Informationen über den Patienten und dessen Famili-
enanamnese beiliegen. Im Zweifel empfiehlt sich eine vorherige telefonische Klärung
von Indikation und spezifischen Anforderungen mit dem beauftragten Labor oder die
Vorstellung des Patienten in einer humangenetischen Beratungsstelle zur rationalen
Planung der Diagnostik. Bei prädiktiven Fragestellungen sollte ein schriftliches Ein-
verständnis der zu untersuchenden Person vorliegen.
Manuskript eingereicht: 30. 8. 2005, revidierte Fassung
angenommen: 4. 1. 2006
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im
Sinne der Richtlinien des International Committee of
Medical Journal Editors besteht.
❚
Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2006; 103(9) A 550–60
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Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Stefan Aretz
Institut für Humangenetik
Universitätsklinikum Bonn
Wilhelmstraße 31, 53111 Bonn
Leitlinien und Stellungnahmen
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V.
(GfH)
www.gfhev.de/de/leitlinien/index.htm
Nationaler Ethikrat
www.ethikrat.org
Beschreibung monogen erblicher
Krankheitsbilder
OMIM (Online Mendelian Inheritance in Man)
www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?db=O
MIM
GeneReviews/GeneTests
www.geneclinics.org
Europäische Datenbank seltener Krankheiten
„Orphanet“
www.orpha.net
Humangenetische Beratungsstellen
www.gfhev.de/de/beratungsstellen/beratungs
stellen.php
Molekulargenetische Diagnostik im
deutschsprachigen und europäischen
Raum
Berufsverband Deutscher Humangenetiker e.V.
(BVDH)
www.bvmedgen.de/qs/aktumole.html
European Directory of DNA Diagnostic Laborato
ries (EDDNAL)
www.eddnal.com
Interdiszplinäre Zentren für erbliche
Tumorsyndrome
Deutsche Krebshilfe
www.deutsche-krebshilfe.de
(unter: Infoangebot – Themen – Familiärer
Krebs – Familiärer Brustkrebs)
Verbundprojekt der Deutschen Krebshilfe
„Familiärer Darmkrebs“
www.hnpcc.de
Weitere Informationen
Anforderung einer MD
EDTA-Blut
– gut beschriftet
– bruchsicher verpackt
– bei Raumtemperatur verschicken
begründete Verdachtsdiagnose
klinische Informationen über Patient
und Familie (zum Beispiel aussagekräftige
Arztbriefe)
gegebenenfalls Einverständniserklärung
Überweisungsschein
Kasten 13
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Frage 1:
Welches Material wird in der Regel für die DNA-Gewinnung zur nachfol-
genden molekulargenetischen Diagnostik verwendet?
a) Heparin-Vollblut
b) EDTA-Vollblut
c) Natriumzitrat-Vollblut
d) Serum
e) Vollblut ohne Zusatz
Frage 2:
Das erste Kind gesunder Eltern war von einer autosomal-rezessiv erbli-
chen spinalen Muskelatrophie betroffen. Die molekulargenetische Unter-
suchung ergab Homozygotie für die typische Deletion im SMN1-Gen. In
den beiden darauf folgenden Schwangerschaften wurde jeweils bei ei-
nem männlichen Fetus wieder eine homozygote Deletion nachgewiesen.
Beide Schwangerschaften wurden daraufhin abgebrochen. Jetzt ist die
Frau zum vierten Mal schwanger. Welche Aussage über das Erkrankungsri-
siko für eine spinale Muskelatrophie beim werdenden Kind trifft zu?
Das Risiko beträgt:
a)
1
/
8
(12,5 %)
b)
1
/
4
(25 %)
c)
1
/
2
(50 %)
d) 1 (100 %) für Kinder beiderlei Geschlechts
e) 100 % im männlichen und 0 % im weiblichen Geschlecht
Frage 3:
Welche Aussage zu Neumutationen bei autosomal-dominanten Erkran-
kungen trifft zu?
a) Bei Neumutationen handelt es sich fast immer um Mikrodeletionen.
b) Neumutationen können als Mosaik vorliegen und sind dann unter Umständen in ei-
nem bestimmten Gewebe – zum Beispiel einer Blutprobe – nicht nachweisbar.
c) Sind die Eltern eines Betroffenen klinisch gesund, liegt bei dem Betroffenen sicher
eine Neumutation vor, da die Krankheitsschwere (Phänotyp) innerhalb einer Familie
immer nahezu identisch ist.
d) Bei Vorliegen einer Neumutation besteht für Geschwister des Betroffenen kein Wie-
derholungsrisiko.
e) Neumutationen entstehen definitionsgemäß immer nur in somatischen Zellen und
werden deshalb nicht an nachfolgende Generationen weitergegeben.
Frage 4:
Welche Aussage zur prädiktiven Diagnostik trifft zu?
a) Ein humangenetisches Beratungsgespräch ist nur bei einem auffälligen Testergeb-
nis notwendig.
b) Bei Minderjährigen wird sie hinsichtlich spätmanifester Krankheiten in der Regel
durchgeführt, wenn die Eltern dies wünschen.
c) Voraussetzung ist meistens der vorherige Nachweis einer pathogenen Keimbahn-
mutation bei einer verwandten betroffenen Person.
d) Wird die in der Familie bekannte Mutation bei einer Risikoperson nicht nachgewie-
sen, ist keine Aussage über das Erkrankungsrisiko der Person möglich.
e) Sie kann bei einer volljährigen Risikoperson ärztlicherseits erzwungen werden,
wenn sich für Anlageträger klare therapeutische Optionen ergeben.
Frage 5:
Bei dem Vater einer Ratsuchenden wurde eine Huntingtonsche Erkran-
kung diagnostiziert. Die Ratsuchende ist klinisch gesund und hat Kinder-
wunsch. Sie wünscht nun eine prädiktive Diagnostik zur Klärung ihres
Wiederholungsrisikos für die bei ihrem Vater vorliegende Erkrankung.
Welche Aussage trifft zu ?
a) Eine prädiktive Untersuchung der Ratsuchenden ist möglich, ein Normalbefund
aber nur zuverlässig, wenn die Diagnose des Vaters zweifelsfrei gesichert ist.
b) Zwischen humangenetischer Beratung und Blutentnahme zur prädiktiven Dia-
gnostik sollten maximal drei Tage Bedenkzeit liegen.
c) Die Konsequenzen der Untersuchung (psychosozial, versicherungsrechtlich) sollten
auf keinen Fall vor dem Durchführen der Diagnostik, sondern erst nach Abschluss
der Diagnostik im Fall einer Anlageträgerschaft eingehend erörtert werden.
d) Ein unauffälliger Befund kann der Ratsuchenden telefonisch mitgeteilt werden.
e) Auch bei nachgewiesener Anlageträgerschaft beträgt das Erkrankungsrisiko für die
Ratsuchende weniger als 50 Prozent, weil die Huntingtonsche Erkrankung multi-
faktoriell vererbt wird.
Frage 6:
Der Versand einer zur molekulargenetischen Diagnostik abgenommenen
Blutprobe sollte folgendermaßen erfolgen:
a) bei Raumtemperatur
b) immer per Express
c) nur in Spezialbehältern des Labors
d) immer auf Trockeneis
e) Es sollte immer erst die DNA isoliert und die Probe danach verschickt werden.
Frage 7:
Welche Aussage zu erblichen Tumordispositionssyndromen trifft zu?
a) Circa 0,1 Prozent aller Tumorerkrankungen beruhen auf einer monogen erblichen
Disposition.
b) Zur genaueren Einordnung ist die Veranlassung einer molekulargenetischen Dia-
gnostik insbesondere dann sinnvoll, wenn die klinischen Kriterien für ein definiertes
Tumorsyndrom in einer Familie nicht erfüllt sind.
c) Typisch sind ein junges Manifestationsalter, synchrone/metachrone Tumoren und ei-
ne familiäre Häufung von Krebserkrankungen.
d) Kann bei einer Risikoperson die Anlageträgerschaft durch prädiktive Testung aus-
geschlossen werden, besteht bei dieser Person kein Risiko mehr für eine Krebs-
erkrankung.
e) Gesicherte Anlageträger haben bei allen bekannten hereditären Tumorsyndromen
ein Risiko von nahezu 100 Prozent, im Laufe des Lebens an mehreren unabhängigen
Karzinomen zu erkranken.
Frage 8:
Welche Aussage zur molekulargenetischen Pränataldiagnostik trifft zu?
a) Sie kann einer Schwangeren für jede beliebige erbliche Erkrankung angeboten wer-
den.
b) Sie muss in jedem Fall durchgeführt werden, wenn der Fetus aufgrund der Familien-
geschichte ein erhöhtes Erkrankungsrisiko hat.
FFrraag
geen
n zzu
urr zzeerrttiiffiizziieerrtteen
n FFo
orrttb
biilld
du
un
ng
g (nur eine Antwort pro Frage ist jeweils möglich,
zu suchen ist dabei die am ehesten zutreffende Antwort)
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c) Sie ist nur sinnvoll, wenn die der Erkrankung zugrunde liegende(n) Mutation(en)
vorher bei einem Familienangehörigen nachgewiesen werden konnte(n).
d) Eine begleitende humangenetische Beratung ist nur bei wenigen seltenen Krank-
heiten mit schlechter Prognose nötig.
e) Sie kann prinzipiell niemals Bedeutung für eine pränatale Therapie haben.
Frage 9:
Bei welcher der folgenden Krankheiten sollte bereits im Kindesalter eine
prädiktive molekulargenetische Diagnostik durchgeführt werden?
a) Huntingtonsche Erkrankung
b) erblicher Brustkrebs
c) amyotrophe Lateralsklerose
d) medulläres Schilddrüsenkarzinom als Teilmanifestation einer MEN 2a
e) arterieller Hypertonus
Frage 10:
Bei einem Kind nichtverwandter Eltern wird klinisch die Diagnose der au-
tosomal-rezessiv erblichen Mukoviszidose (Zystische Fibrose) gestellt. In
der daraufhin bei dem Kind veranlassten molekulargenetischen Diagno-
stik wird lediglich eine Mutation identifiziert.
Welche Aussage ist richtig?
a) Die Mukoviszidose kann nicht molekulargenetisch untersucht werden.
b) Da nur eine Mutation nachgewiesen wurde, ist die klinisch gestellte Diagnose
falsch.
c) Die Diagnose ist in jedem Fall anzuzweifeln, da eine Mukoviszidose nur bei Kindern
verwandter Eltern auftritt.
d) Der fehlende Nachweis einer zweiten Mutation schließt eine Mukoviszidose nicht
aus, da bei einer molekulargenetischen Diagnostik nicht immer jede Mutation ent-
deckt wird.
e) Durch die molekulargenetische Untersuchung der Eltern könnte auch die zweite
Mutation des Kindes identifiziert werden.
Wichtiger Hinweis
Die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung ist ausschließlich über das
Internet möglich: www.aerzteblatt.de/cme
Einsendeschluss ist der 14. April 2006
Einsendungen, die per Brief oder Fax erfolgen,
können nicht berücksichtigt werden.
Die Lösungen zu dieser cme-Einheit werden in Heft 17/2006
an dieser Stelle veröffentlicht.
Die cme-Einheit „Leitsymptom Diarrhö“
(Heft 5/2006) kann noch bis zum 17. März 2006 bearbeitet werden.
Für Heft 13/2006 ist das Thema „Der Oberbauchschmerz“ vorgesehen.
Lösungen zur cme-Einheit in Heft 1–2/2006
Willburger, R E, Müller K, Knorth H: Pharmakologische Therapie der rheumatoiden
Arthritis. 1a, 2e, 3b, 4e, 5c, 6e, 7c, 8e, 9e, 10a
Infliximab kann die Symptomatik von Psoriasis lindern. In einer
multizentrischen placebokontrollierten Studie hatten nach
zehnwöchiger Behandlung 80 Prozent (242 von 301 Patienten)
eine 75-prozentige Verbesserung des „psoriasis area and severi-
ty index“ (PASI 75). Bei 57 Prozent der Patienten besserte sich
die Schuppenflechte um mindestens 90 Prozent (PASI 90). In
der Placebogruppe traten entsprechende Verbesserungen ledig-
lich bei drei beziehungsweise einem Prozent der Fälle auf.
In der unter maßgeblicher Beteiligung der Firmen Centocor
und Schering-Plough initiierten Untersuchung waren die Ver-
um- und Kontrollgruppe unterschiedlich groß: 301 Patienten er-
hielten Infliximab, einen humanisierten Antikörper gegen Tu-
mornekrosefaktor
α, und 77 ein Placebo. Ab Woche 24 wurde
auch die ursprüngliche Kontrollgruppe mit Infliximab behan-
delt.
Im Lauf der Zeit sprachen immer weniger Patienten auf die
Therapie mit 5 mg/kg Infliximab an: In Woche 24 erreichten 82
Prozent PASI 75 und 58 Prozent PASI 90. In der 50. Untersu-
chungswoche diagnostizierten die Autoren noch bei 61 Prozent
PASI 75 und bei 45 Prozent PASI 90. Eine stabile Serumkon-
zentration von Infliximab war mit der klinischen Wirksamkeit
des Medikaments assoziiert. Ein Grund für ein Absinken des In-
fliximab-Spiegels sehen die Autoren in der Entwicklung von
Anti-Infliximab-Antikörpern. Beispielsweise blieb lediglich bei
39 Prozent der Patienten, bei denen in Woche 10 ein PASI 75
festgestellt wurde und die Anti-Infliximab-Antikörper gebildet
hatten, auch noch in Woche 50 diese klinische Verbesserung be-
stehen. Antikörper-negative Patienten oder solche mit unkla-
rem Antikörpertiter profitierten auch in Woche 50 in 81 bezie-
hungsweise 96 Prozent der Fälle unverändert von der Behand-
lung.
Zwischen der 46. und 66.Woche hatten etwa 20 Prozent aller
Studienteilnehmer Antikörper gegen Infliximab entwickelt.
Weil dieser Wert 20 Wochen lang stabil blieb, vermuten die Au-
toren unter der Leitung von Christopher Griffiths, Manchester,
England, dass bei einer Fortführung der Therapie nicht noch
mehr Patienten Infliximab-Antikörper bilden werden.
Ein Nagelbefall heilte während der Studie langsamer als die
Hautläsionen. Bis Woche 24 besserte sich die Nagelsymptoma-
tik bei 56 Prozent und war bis Woche 50 stabil.
In der Infliximab-Gruppe traten drei Neoplasien der Haut
auf (ein Prozent), wohingegen in der Placebogruppe im Unter-
suchungszeitraum kein Karzinom diagnostiziert wurde; die Dif-
ferenz war nicht signifikant.Ob im Langzeitverlauf der Therapie
mit Infliximab ein signifikantes Risiko für Neoplasien besteht,
kann aufgrund der zu kurzen Studiendauer nicht beantwortet
werden. Bei einigen Patienten in der Verumgruppe erhöhten
sich die Konzentrationen von Aspartataminotransferase und
Alaninaminotransferase. Infektionen waren in beiden Ver-
suchsarmen gleich häufig.
me
Reich K, Nestle FO, Papp K et al.: Infliximab induction and maintenance therapy for modera-
te-to-serve psoriasis: a phase III, multicentre, double-blind trial. Lancet 2005; 366: 1367–74.
E-Mail: christopher.griffiths@manchester.ac.uk
Infliximab bei
Psoriasis wirksam
Referiert