Inhalt
1 Das Interesse an der Wortbildung
1.1 Vom Umgang mit komplexen Wörtern am Beispiel der Substantive....
1.1.1 Komposition: die Suche nach Zusammenhang......................................
1.1.2 Derivation: lauter Bekannte .................................................................. 2
1.1.3 Konversion: janusköpfige Lexeme und mehr ........................................ 7
1.1.4 Inkorporation: was zusammengehört.................................................... 15
1.1.5 Kurzwortbildung: to whom it may concern.......................................... 17
1.1.6 Zusammenschau.................................................................................... 18
1.2 Struktur und Funktion .......................................................................... 19
1.2.1 Strukturelle Analogien .......................................................................... 19
1.2.2 Erläuterung am Substantiv.................................................................... 22
1.3 Aufgaben der Wortbildungslehre........................................................... 25
1.4 Stellung der Wortbildung ...................................................................... 34
2 Wortarten und Wortbildungsarten
2.1 Vorbemerkung....................................................................................... 48
2.2 Generelle Verteilung.............................................................................. 52
2.3 Gründe für die Präferenzen ................................................................... 53
2.3.1 Die Lage beim Substantiv...................................................................... 54
2.3.2 Adjektivtypisches .................................................................................. 63
2.3.3 Ganz anders: das Verb .......................................................................... 84
3 Wortbildungsarten
3.1 Komposition........................................................................................... 98
3.1.1 Der Zusammenhang der Dinge: Determinativkomposita ...................... 98
3.1.1.1 Allgemeines............................................................................................ 98
3.1.1.2 Zum Substantiv...................................................................................... 101
3.1.2 With a little help: Rektionskomposita................................................... 103
3.1.3 Das Beste beider Welten: Zusammenbildung ........................................
3.1.4 Jedes Ding hat zwei Seiten: Kopulativkomposita...................................
3.2 Derivation .............................................................................................
3.2.1 Derivationen als Textwörter..................................................................
3.2.2 Zum Substantiv.....................................................................................
3.2.3 Zum Adjektiv........................................................................................
3.2.4 Zum Verb..............................................................................................
3.3 Inkorporation........................................................................................
3.3.1 Inkorporation beim Substantiv .............................................................
3.3.2 Inkorporation beim Adjektiv ................................................................
3.3.3 Inkorporation beim Verb ......................................................................
3.4 Konversion............................................................................................
3.4.1 Allgemeines ...........................................................................................
3.4.2 Zum Substantiv.....................................................................................
3.4.3 Zum Adjektiv........................................................................................
3.4.4 Zum Verb..............................................................................................
3.5 Kurzwortbildung...................................................................................
4 Wortartenausbau
4.1 Das Substantiv ......................................................................................
4.1.1 Damit man über alles reden kann: Setzung...........................................
4.1.2 Zentrale Strukturen: Differenzierung und Rollenzuweisung .................
4.2 Das Adjektiv .........................................................................................
4.2.1 Damit man alles charakterisieren kann: Junktion .................................
4.2.2 Überblick: Junktionale Differenzierung.................................................
4.3 Das Verb ...............................................................................................
4.3.1 Wie man von etwas redet: Relationierung ............................................
4.3.2 Übersicht..............................................................................................
5 Literatur
5.1 Belegtexte .............................................................................................. 90
5.2 Wissenschaftliche Literatur ................................................................... 91
1.1.2[16] Derivation: lauter Bekannte
Von anderer Art sind die Funktionen der anderen zentralen Wortbildungsart, nämlich der Derivation oder Ableitung. Bei ihr wird ein Lexem mit einem Element aus einer abgeschlossenen Menge von gebundenen Wortbildungsmorphemen verbunden. Diese Morpheme, die nur in der Kombination mit einem lexematischen Elementaktualisiert werden können, dienen zumindest im Falle des Substantivs der Wortartencharakteristik und einer klassematischen Grobgliederung innerhalb der Wortart. Diese Wortbildungsmorpheme, insofern sie als an die Basislexeme angehängte Elemente verstanden werden, heißen Affixe. Je nach Stellung relativ zum Stamm werden sie auch spezifischer als Präfixe, die vor das Basislexem treten und als Suffixe, die rechts an die Basis treten, benannt. Beim Substantiv ist das Suffix, durch das Wortart und klassematische Einordnung gesichert werden, der zentrale und typische Fall für diese Art von Wortbildung. Da es nur eine aufzählbare Menge solcher Derivationsmittel gibt und wegen ihres abstrakteren Charakters sind die so entstehenden komplexen Wörter (Ableitungen, Derivate) weniger unmittelbar auf die Schematisierung welthaltiger Konstellationen angelegt, sie sind daher im Normalfall auch weniger überraschend. Ihre Interpretation lässt bei weitem nicht so viele Möglichkeiten offen, wie das beim Kompositum der Fall sein kann.
TEXTSTEUERUNG Dennoch ist auch hier die textuelle Funktion entscheidend, allerdings operieren abgeleitete Wörter auf einer anderen Ebene. Sie beeinflussen die Aussagestruktur, akzentuieren bestimmte Sichtweisen. Da sie [17]
merklich in die Struktur der Texte eingreifen, ist ihre Verwendung in vielen Fällen auch deutlich textsortensensitiv.
Unser Beispieltext (4) von den Schießbudenbildern und ihrer Gestaltung kennt keine einzige solche Bildung, die ein Substantiv wäre, was vom stilistischen Charakter, der Textsortenbindung auch dieses Mittels spricht. Die auf jeden Fall in solchen Mitteln liegende Kraft der Abstraktion wird bei diesem Text nicht gebraucht. Dass es an der Textsorte liegt und nicht am individuellen Stil, zeigt ein `wissenschaftlicherer' Text desselben Autors, Walter Benjamins wohl berühmtester Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Schon die Formulierung des Titels mit einem komplexen Wort wie Reproduzierbarkeit deutet an, dass der Text mit der substantivischen Fassung verschiedener Aspekte von Vorgängen zu tun haben wird. Vorgänge aber sind eigentlich Inhalte, die unmarkiert als verbale Lexeme kodiert werden:
(5) Und wenn die Veränderungen im Medium der Wahrnehmung, deren Zeitgenossen wir sind, sich als Verfall der Aura begreifen lassen, so kann man dessen gesellschaftliche Bedingungen aufzeigen. (Benjamin 1996, S. 317)
Vier von sieben Substantiven — wobei zwei, Medium und Aura, noch als unanalysierte Simplizia aufgrund der Fremdheitssignale, die sie tragen, herausfallen - also eigentlich vier von fünf sind hier Derivative.
Wovon spricht der Text? Im Bereich der Medien, in denen Kunstwerke wahrgenommen würden, hätten sich verschiedene Dinge verändert. Das war das Thema des vorhergehenden Textteils, wo von den Folgen der Erfindung der Lithographie und der Photographie für die Frage nach der „Echtheit“[!] des Kunstwerks berichtet wird.
In dem Textteil, der unserem Ausschnitt vorhergeht, ist dieses Thema in aller Ausführlichkeit und mit Beispielen, in sprachlich gestreckter Form, in Strukturen also, die dem aggregativen Ende unserer Ausdrucksmittel zugehören, dargestellt. In dem Kapitel nun, zu dessen Beginn der zitierte Satz gehört, sollen Konsequenzen aus diesen Ausführungen gezogen werden. Da wäre es eine - mögliche, aber nicht nötige - Redundanz, das Fazit auch noch einmal in der gerade - in dem oben stehenden Kasten - zur besseren Information ausformulierten aggregativen Fassung zu präsentieren. Das geschieht aber in dem originalen Text nicht. In ihm werden die Inhalte gleich in einer Form präsentiert, die sie als Voraussetzung, als setzungsfähiges thematisches Element, einer folgenden Aussage geeignet erscheinen lassen. Dieser Zweck wird durch die Formulierung mit den Derivationen erreicht. Diese Wortbildungsart erlaubt es, die zusammenspielenden Elemente einer Szene in höchst integrierter Form darzustellen. Wenn man beispielhaft wie in (6) versucht, die Derivationen prädikativ zu expandieren, kann man sehen, was es heißt, es werde mit diesem Mittel in die Aussagestruktur eingegriffen.11 [18]
(6) Durch welche Medien Kunstwerke wahrgenommen werden, hat sich in letzter Zeit verändert. Deswegen verfällt ihre Aura. Das ist gesellschaftlich bedingt, was sich aufzeigen lässt.
Es wird in dem originalen Text im Gegensatz zu der propositionalen Entfaltung in (6) klar geschieden, was als thematische Voraussetzung und was als rhematische Aussage gelten soll. Gleichzeitig wird durch die Wahl der nominalen Formulierung jeweiligen ein griffiger Name für das besprochene Phänomen geschaffen, der Text ist so übersichtlicher (vgl. Heringer 1989, S. 140-143).
Zudem ermöglicht die Nominalisierung als Kern einer Nominalgruppe in den vorhandenen Junktoren, den Präpositionen bzw. dem Anschluss mit dem Genitiv12 gewisse Modifikationen. Hier wählt der Autor bei der Fügung Veränderungen im Medium den Anschluss mit der Präposition in, das heißt inhaltlich, er wählt das Ungefähre des Anschlusses mit der Präposition in gegenüber dem auch denkbaren Genitiv, der das Objekt unmittelbar fokussieren würde: Veränderungen des Mediums. Von den Bildungstypen her wird der Text von dem Suffix -ung dominiert, davor allem in Sachtexten als beliebtestes Mittel genutzt wird, um zusammenfassend Namen für Vorgänge - mögen sie vorher im Text expliziert sein oder nicht - zu prägen, und so diese Inhalte der substantivischen Setzung zur Verfügung zu stellen. So etwas hat natürlich stark anaphorische Wirkung, mag es im Einzelnen nun auf den Text oder andere Wissensvoraussetzungen verweisen. Und tatsächlich steht der von uns zitierte Textteil am Ende eines Abschnitts, der folgendermaßen beginnt:
(7) Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Wahrnehmung (Benjamin 1996, S. 317)
Die Derivation Wahrnehmung ist an dieser Stelle schon eingeführt, Art und Weise wird im Verlauf des Textes noch in `Medium' übersetzt. So bleibt das verbale Lexem das dann mittels -ung zum Satznamen gemacht wird, das sich zum Subjekt und Thema des in (5) zitierten Schlusssatzes dieses Abschnitts eignet. Dass solch ein nominaler Kern dann durch links und rechts von ihm stehende Attribute näher bestimmt werden kann, erlaubt es, auch die anderen Mitspieler in die kondensierte Form mit aufzunehmen.
wortartfestlegung Das Suffix, das formal die Basis der Wortbildung und semantische darstellt, und somit auch generell die semantische Kategorisierung Klasse kennzeichnet (hier: `Vorgang'; nomen actionis), welcher das ganze Wort zugehört, ist funktional doch bloß ein aus einer überschaubaren Menge von Markierungen, die uns zeigen, in welcher seiner möglichen syntaktischen und subkategorialen Funktionen der Basisinhalt hier auftaucht. Dabei kann man bei deverbalen (`von verbalen Lexemen abgeleiteten Substantiven') die Bildung mit dem Suffix -ung als die Default-Option, den Normalfall dieser inhaltlichen Umsetzung, betrachten. Sie hebt lediglich die Bedeutung des verbalen Lexems ohne sonstige Veränderungen in den substantivischen Bereich. Dass es [19] sich hier um die Nulloption handelt, kann man unter anderem daran sehen, dass genau diese Funktion in einer bestimmten Zahl historisch fest gewordener Fälle durch jenen Akt einer historischen Transition (`Wortartwechsel ohne Addition eines Wortbildungsmorphems') zustande kam, den man meist implizite Ableitung nennt: Verfall ist ein Beispiel dafür. Der zentrale Status der Vorgangsbenennung im deverbalen Bereich erklärt die Beibehaltung dieses isolierten Typs bei zentralen Verben und ihre starke Stellung im System. Sie bringt es mit sich, dass das Vorhandensein der alten Wörter dieses Typs das jetzige Normalmuster mit -ung blockiert: *Verfallung ist genau deshalb nicht realisiert. Alle anderen Möglichkeiten dieser Umsetzung in dem Bereich der Vorgangs- und Handlungsbeteiligten - das müssen andere deverbale Derivationen ja dann sein - haben ein zusätzliches Merkmal, das ihre Univerbierung fördert und rechtfertigt, und sie merkmalhafter macht. Semantisches Korrelat dafür ist die häufig beobachtete Tatsache, dass die Züge des Usuellen, Regelmäßigen zum Bestandteil des Wortbildungsmusters gemacht werden. So wird der Name für den, der eine Handlung ausführt, an dem ein Vorgang abläuft oder der in einem Zustand ist, meist mit der Regelmäßigkeit, mit der er das tut bzw. ihm das geschieht, korreliert - in passenden Fällen wird eine Berufsbezeichnung oder eine Art von Berufsbezeichnung daraus: vom Gepäckträger zum Bedenkenträger, der nur als einer kritisierbar wird, dem das `Tragen von Bedenken' zur zweiten Natur geworden ist.
integrationstypeN In einem Text, der sich räsonierend und argumentie-
am beispiel rend hin- und herbewegt, mal aggregierend erzählt, mal integrierend Schlüsse zieht, ist es von Nutzen, Namen für alles mögliche zu haben, was in diesen Sätzen vorgekommen ist. Substantivische Derivationen sind das probate Mittel zur Erfüllung dieser textuellen Funktion - das zeigt sich an dem folgenden Ausschnitt aus Thomas Bernhards „Holzfällen. Eine Erregung“ besonders deutlich.13
(8) Aber ich hatte vor den Auersbergischen auf dem Graben so getan, als wüßte ich nichts vom Selbstmord der Joana und ich spielte ihnen meine totale Überraschung, gleichzeitig Erschütterung vor, obwohl ich um elf Uhr vormittag auf dem Graben von dem Unglück nicht mehr überrascht und auch nicht mehr erschüttert gewesen war, denn ich hatte davon schon um sieben Uhr früh erfahren gehabt und ich hatte tatsächlich den Selbstmord der Joana durch das mehrmalige Aufundabgehen auf dem Graben und der Kärtnerstraße schon ertragen können, aushalten können in der kalt-frischen Grabenluft. Tatsächlich wäre es besser gewesen, der auersbergischen Mitteilung vom Selbstmord der Joana die Wirkung der totalen Überraschung zu nehmen, indem ich nämlich gleich hätte sagen sollen, ich wisse längst, dass sich die Joana umgebracht habe, selbst wie sie sich umgebracht habe, die genauen Umstände, dachte ich, hätte ich ihnen sagen sollen und sie damit um ihren Mitteilungstriumph bringen, den sie tatsächlich auf die gemeinste Weise ausgenützt und also genossen haben, wie ich feststellte vor dem offenen Knizegeschäft; anstatt so zu tun, als wisse ich überhaupt nichts vom Tod der Joana, die Rolle des absolut Überraschten, Vorden[20]kopfgestoßenen, mit der grauenhaften Nachricht Überfallenen spielend, versetzte ich die Auersbergischen in die Verzückung plötzlicher Unheilsbringer, was gar nicht meine Absicht gewesen sein konnte naturgemäß, was ich aber durch Ungeschicklichkeit selbst verursacht hatte, indem ich vorgab, vom Selbstmord der Joana zu dem Zeitpunkt des Zusammentreffens mit den Auersbergischen nichts zu wissen, nicht das geringste; die Ahnungslosigkeit spielte ich die ganze Zeit […]. (Bernhard 1984, S. 16/17)
Dieser Text redet von Ereignissen und ihren Folgen, von ihrer mentalen Verarbeitung. Diese Abläufe werden, wie zu erwarten ist, in Verben gefasst, die solche mentalen Vorgänge bezeichnen wie überraschen oder erschüttern, allerdings hier auch schon, da es um die Konsequenzen auf der Ebene der erzählten Zeit geht, in Perfektformen. Textuell überraschend aber ist vielleicht, wenn auch die zeitliche Stufung dazu passt, dass bereits vor dieser verbalen Ausführung die Namen für diese Vorgänge, die entsprechenden Derivationen mit dem Suffix
-ung, auftauchen. Von der Überraschung und Erschütterung des Erzählers ist die Rede, noch bevor die Vorgänge in der entsprechenden Verbform ausgeführt worden wären. Außerdem sehen wir auf den ersten Blick, dass sich eine für einen erzählenden literarischen Text auffällige Häufung von Derivationen findet. Sie sind oben im Text fett gedruckt. Noch deutlicher ist der dadurch signalisierte Trend zur Nominalisierung, zu erkennen an der Häufung nominaler Verbformen, von Infinitiven und Partizipien. Sie sind im Text unterstrichen und wir werden auf sie später zurückkommen. Es ist offenkundig, dass die Wahl dieser Bildungen in dem zitierten Textausschnitt einen distanzierenden stilistischen Wert hat. Dabei ist eine Bildung wie Wirkung ein ganz gängiges, lexikalisiertes Wort. Dieses normale Wort wird jedoch bereits in Kombination mit dem Genitivattribut der totalen Überraschung stilistisch hervorgehoben. Diese Verdichtung in der Nominalgruppe scheint uns eher bestimmten fachlichen Diskursen, nicht einem erzählenden Text zuzugehören. So wird indirekt vorbereitet, dass wir die indem späteren Kompositum Mitteilungstriumph ausgedrückte Bewertung und ihre Geltungsbehauptung in einem Kompositum nicht mehr so überraschend finden. Allerdings sind in diesem Kompositum zwei stilistisch diskrepante Elemente miteinander kombiniert. Das prosaisch-fachliche Derivat Mitteilung wird mit dem hyperbolischen Gefühlswort Triumph zusammengebracht. Das dient als Brücke zu der Isotopieebene des Textes, der auch die Ableitung Verzückung zugehört. Das ist an sich schon ein herausgehobenes Lexem, und wird in diesem Fall noch gesteigert durch die unmittelbare Konfrontation mit dem Lexem Unheilsbringer, das seinen stilistischen Reiz nicht zuletzt der paradigmatischen Folie des lexikalisierten Heilsbringers verdankt, auf das es sich analogisch bezieht. Im deutlichen Gegensatz zur stilistischen Überhöhung der auersbergischen Mitteilung ist unser Erzähler dann noch als `ungeschickt' und `ahnungslos' gekennzeichnet, aber eigentlich nicht wirklich, sondern erwird sprachlich dargestellt als oder wie einer, der eben diese Rollen spielt. Und das wird nicht dadurch erreicht, dass die Handlungen erzählt würden, die das beweisen, sondern indem die entsprechenden Eigenschaften als zuordenbare Größen - in Form der zugehörigen deadjektivischen Derivation mit -keit - vor der Person her getragen werden. Dabei führt uns der Text am Ende in einer steigernden Folge von der Ungeschicklichkeit zur Ahnungslosigkeit.
Wortfamilien Derivationen, das können wir an diesen exemplarischen Verwendungen sehen, dienen besonders der Verknüpfung von im Text auf verschiedene Weise gegebenen Informationen. Dazu ist es nötig, dass man die lexe-matischen Kerne, von denen diese Informationen vermittelt werden, grammatisch möglichst vielfältig einsetzen kann. In diesem Sinn erlaubt die Wortbildungsart der Derivation auf einfache Weise den Wechsel zwischen Wortarten und semantischenKlassen. Am klarsten sieht man das an den Wortfamilien, die sich um verbale Lexeme sammeln.
|
|
schleifen |
nomen actionis |
Rechnung |
Schleifung |
nomen acti |
Rechnung |
Schliff |
nomen agentis |
Rechner |
Schleifer |
nomen instrumenti |
Rechner |
|
nomen actionis (neg.) |
Rechnerei |
Schleiferei |
nomen loci |
|
Schleiferei |
(nach Augst 1999, S. 1081 und 1203)
Was hier am Beispiel von zwei relativ beliebig ausgewählten verbalen Lexemen zusehen ist, gilt generell, es gibt einen systematischen Ausbau der Wortfamilien, die auf jeden Fall einfache Vorgangswörter, Ergebniswörter, Handelndenwörter, Werkzeugswörter, Wörter des Ortes und konnotativ angereicherte Möglichkeiten der Vorgangsbezeichnung umfassen.
An diesen Beispielen sieht man nochmals, dass klassematische Einordnung und Wortartwandel die zentralen Aufgaben dieser Bildungsart sind. Sie dient dazu, dass die vorhandenen lexikalischen Kerne in den verschiedenen denkbaren Funktionen angewendet werden können. Was unmittelbar der Prädikation dient, kann durch die klassematische Einordnung als substantivisches Verbalabstraktum der Setzung zugänglich gemacht werden, das Lexem kann so den Kern einer Nominalphrase ausmachen, über die erneut prädiziert werden kann. Aber, wie wir an den bewertenden Textfortsetzungen gesehen haben, können die Prädikationen auch als Handlungstypen benannt werden. Damit kann die Bewertung einer Prädikation in die nominalenElemente einer nachfolgenden Proposition eingehen - die Proposition wird als Element eines Typus benannt, etwa, wenn eine Äußerung im nächsten Satz als diese Verleumdung qualifiziert wird. Kennzeichnend ist aber, dass immer, und selbst in diesem letzten Fall, die lexematische Basis kaum Überraschungen bietet, und dass sich die Bedeutung durch die Endlichkeit des Suffixinventars wesentlich leichter errechnen lässt als bei der Komposition. So ist es denn auch nicht die Schaffung von neuen Konzepten, die hier dominiert, sondern die Einordnung in zentrale und als nützlich erachtete Klassen.
1.1.3 Konversion: janusköpfige Lexeme und mehr
Konversion heißt in der üblichen Terminologie der Wortbildungslehre zweierlei.Zum einen kann damit der Wortartwechsel generell gemeint sein: in diesem Sinne [22] dient zum Beispiel das Suffix -ung der Konversion von verbalen Lexemen zu Substantiven. In diesem Fall spricht man auch gern von Transposition. Der Gegenbegriff dazu wäre die Modifikation. Zum anderen ist damit nur jener Typ von Wortartwechsel gemeint, den man ausschließlich an der Verwendung des flexivischen Inventars der Wortart erkennt, die sich am Ende dieses Prozesses ergibt (der Zielwortart). Der Terminus Konversion (Transition) steht dann als Benennung für eine merkmalärmere Variante des Wortartwechsels neben dem der Derivation. In diesem zweiten Sinn soll diesesWort hier verstanden werden.
WORTBILDUNG Auch diese Art von Umsortierung von Lexemen lässt sich
AM RANDE DER gut am Substantiv aufzeigen, gilt doch die Substantivierung,
MORPHOLOGIE insbesondere die sogenannte Substantivierung von Infiniti-
ven und Partizipien als der klassische Fall der Wortbildungstechnik Konversion. Für diesen Typ bietet der auch schon für die Derivation herangezogene Text (8) eine Reihe von Beispielen, die zeigen, welche Funktion diese Art von Wortbildung, allgemeiner vielleicht: diese Technik der Umkategorisierung, hat. Wir haben oben schon darauf hingewiesen, dass es gegen Ende des Texts eine Reihe von Personenbezeichnungen gibt, die als Nominalisierungen verbaler Fügungen erscheinen. Überrascht, vor den Kopf gestoßen, überfallen ist unser erzählendes Ego. Und die Konversion einer Verbform zum Nomen erlaubt es, auch noch die aus dem verbalen Umfeld stammenden Modifikatoren (absolut, mit der grauenhaften Nachricht) mit aufzunehmen. Wie immer man die entsprechende Umsetzung des verbalen Lexems an die-ser Stelle beschreibt - wir werden darauf zurückkommen -, der Autor sagt uns eigentlich selbst, wozu er diese Art von Ausdrucksweise nutzt: er vergibt Namen für Rollen des Erzählers. Das ist in dem Text um so deutlicher, als das Erzähler-Ich ja selbst sagt, dass es gar nicht mehr überrascht, vor den Kopf gestoßen, überfallen war, sondern jemanden spielte, der solch einen Namen verdient. Und so sagt uns diese Formulierung, dass es nicht um das Überraschtsein, das Vor-den-Kopf-Gestoßen-Sein und das Überfallensein geht, sondern um einen Rollennamen für den davon Betroffenen.
An weiteren Beispielen kann man sehen, dass diese formal so unaufwendige Technik fast beliebige Möglichkeiten bietet, um einen Namen aus verschiedenen Teilen einer verbalen Szene zu destillieren. Partizip II und Infinitiv als die nominalen infiniten Formen mit guter Systemeinbindung im verbalen Bereich bieten sich hier als die ideale Schnittstelle zwischen der flexivischen und der lexikalischen Morphologie an. Hatten wir es bisher in den Beispielen von Namen für einen `Betroffenen' mit typischen Partizip-II-Fällen zu tun, so finden wir als Abstraktion einer Handlung, die ausgeführt wird, den Infinitiv, versehen mit den flexivischen Merkmalen des Substantivs14 als einen Vorgangsnamen. Diese Form eines nomen actionis, hat noch mehr von der Dynamik der verbalen Basis an sich als etwa entsprechende Ableitungen auf -ung. Das ist ganz deutlich sichtbar an einem Beleg wie das mehrmalige Aufundabgehen.
In dieser Verwendung des Verbalnomens Infinitiv liegt aber auch die Möglichkeit der Kategorienangleichung durch die verbale Semantik. So wird in unserem Text ein punktuelles Verb als explikatives Genitivattribut eines [23] punktuellen Nomens gewählt, das damit zum semantischen Zentrum der Nominalgruppe wird, mit der Betonung allerdings, dass es um den Punkt geht: zum Zeitpunkt des Zusammentreffens gegenüber denkbaren Formulierungen wie: beim Zusammentreffen.
Gleichzeitig wird in der Infinitivform inhaltlich die von uns zitierte Passage als ein Subtext zusammengefasst, in der uns in ausgebreiteter Weise ein Geschehnis erzählt wird, das am Schluss den Namen Zusammentreffen bekommt. Auch Reaktionen werden so qualifiziert: die Information, die ihm die Auersbergischen gaben, sollten einen Überraschten treffen. Und auch die vorgeführten oder prätendierten Eigenschaften des Autoren-Egos werden so besprechbar: Ahnungslosigkeit beziehungsweise Ungeschicklichkeit sind diese Eigenschaften - über ihre Rollenfunktion kann dann gesprochen werden.
KONVERSION UND Ein kurzer Text mag zeigen, dass die hier angedeuteten
DERIVATION Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Nutzung von Derivation und Konversion nicht dem durchaus markanten Individualstil des Autors Peter Handke angehören, sondern systematisch so angelegt sind;
(10) Ich lebte kaum mehr mit meiner Zeit, oder ging nicht mit, und da mir nichts je so zuwider war wie die Selbstzufriedenheit, wurde ich zunehmend gegen mich aufgebracht. Welch ein Mitgehen hatte sich zuvor ereignet, was für eine grundandere Begeisterung war das gewesen, in den Stadien, im Kino, auf einer Busfahrt unter Wildfremden. War das ein Daseinsgesetz: Kindliches Mitgehen, erwachsenes Alleingehen? (Handke 1987, S. 17)
Was sich ereignet, der Vorgang, heißt Mitgehen, ist also die Konversion aus der Nennform des Verbs, in der über mögliche Partner des gemeinsamen Gehens generalisiert wird. Es geht ja nicht jemand mit jemandem, vor allem die mögliche Subjektanbindung wird strukturell sehr viel tiefer angesetzt, am natürlichsten wohl als Possessivartikel. Die Suffixbildung dagegen, die ebenfalls ein verbales Lexem im substantivischen Rahmen verwendbar macht, tut mehr, und das schon vor der syntaktischen Realisierung. So wird gesagt, was etwas ist, was also in die .`Kiste' einer Vorgangskategorie gesteckt wird. So in unserem Text bei dem Wort Begeisterung, mit dem Suffix -ung. Mit dieser Wortbildungsart werden stärker nominal strukturierte Grenzen gesetzt.15 Und dennoch gibt auch die Konversion versuchsweise Namen, weil es sich aber um Versuche handelt, erscheinen sie uns oft weniger gewöhnlich. Das gilt sicherlich auch für die hier gebrauchten Formen Mitgehen und Alleingehen. Und was in einem Satz mit den entsprechenden Verben eine Art restriktive Adverbiale wäre: als Kind, als Erwachsener, erbt in der nominalen Fügung mit der Vagheit des attributiven Anschlusses außerdem zumindest einen Teil der wertenden Bedeutung, welche die Adjektive kindlich oder erwachsen neben ihrer Zugehörigkeitsbedeutung haben. Und auch in diesem Textstück zeigt sich, wie wichtig die Funktion der Text-organisation bei den Derivationen ist, nämlich bei der deadjektivischen Derivation Selbstzufriedenheit, die - selbst klassifizierend - vorausweist auf Elemente und Ver[24]haltensweisen, von denen dieser Zustand erzeugt wurde. In der Aufzählung all dessen, was nicht mehr ist, wird dieser Verweis kataphorisch ex negativo aufgelöst
FLEXION IN DER Konversion (Transition) ist wie gesagt eigentlich ein NaNOMINALGRUPPE me für zweierlei, einerseits für den Tatbestand, dass Lexeme durch Wortbildungstechniken die Wortart wechseln, andererseits für jene Technik, die das allein durch die Hinzufügung der entsprechenden Flexive leistet. In diesem zweiten Sinn ist sie bei dem Gang durch die zentralen Wortbildungsarten, auf dem wir uns befinden, von Belang. Die Konversion ist im Deutschen zweifellos Domäne des Substantivs16, Substantivierung ist der Hauptfall von Konversion. Substantivierung bedeutet praktisch, dass ein Artikel vor ein anderes Element gesetzt wird, das somit zum Kern einer Nominalgruppe erklärt wird, und dass an das Flexem aus einer anderen Wortart die nominalen Flexive treten. Dabei ist an zwei Stellen Wortartwechsel schon so in das morphologische System des Deutschen eingegangen, dass man eigentlich nur mit Mühe von Konversion im technischen Sinne der Bildung sprechen kann.
… und das Das ist zum einen, vielleicht nicht besonders überraschend, beim Adjektiv Adjektiv der Fall. Das Adjektiv in der Nominalgruppe, links vom Nomen, ist ja von seinem ganzen Kategorien- und Flexionssystem weit vom Substantiv entfernt. So kann man relativ problemlos annehmen, dass dasAdjektiv in dieser flektierten Form, wenn kein weiteres Nomen mehr folgt, die in ihm angelegte nominale Struktur voll nutzt. Neben der primären attributiven Verwendung hat das Adjektiv somit, zumindest in den zentralen Fällen der Wortart, sekundäre Verwendung als Substantiv, bei der einfach das ohnehin realisierte nominale Flexionsinventar in Verbindung mit dem Artikel genutzt wird. Die Genusvarianz des Adjektivs wird dabei sozusagen natürlich genutzt, indem die Maskulina und Feminina Personen des entsprechenden Geschlechts bezeichnen, ebenso wie der Plural, während das Neutrum ein Abstraktum bildet, das einen spezifischen Namen für die Eigenschaft bildet. Dessen Besonderheit zeigt sich schön an dem folgenden Beispiel, wo die substantivische Verwendung des flektierten Adjektivs neben eine formgleiche, aber bedeutungsverschiedene Derivation mit dem Suffix {-e} gestellt wird:
(11) Das Wort Chaos kommt aus dem Griechischen und bedeutet ursprünglich das Klaffende, weit Offenstehende, Leere des Weltraumes. In den antiken Kosmogonien, schon bei den Vorsokratikern, aber auch in der noch älteren Schöpfungsgeschichte der Bibel ist diese Wüste und Leere der Urgrund allen Werdens, aus dem schließlich der Kosmos hervorgehen kann. (Cramer 1994, S. 83)
Das Leere und die Leere, die Derivation mit dem -e-Suffix benennt den Tatbestand ,die Substantivierung des Adjektivs, was diesen Tatbestand qualitativ ausmacht.17 Für die entsprechenden Personenbezeichnungen stehe das folgende Zitat aus Bert Brechts „Geschichten vom Herrn Keuner“, in denen dieser zudem ebenso auffällig wie regelmäßig als der Denkende apostrophiert wird: [25]
(12) Die Neuen mußten sich alles neu berichten lassen, wodurch sie das Auffällige daran wahrnahmen. (Brecht 1967, S. 49)
Diese Beispiele von substantivischen Verwendungen adjektivischer Lexeme, aber auch von solchen, die als Partizipien erst dazu geworden sind, zeigt, wie nahe die beiden nominalen Wortarten beieinander stehen, so dass das Adjektiv, gerade in derVerteilung der Flexion, die das Deutsche heutzutage kennzeichnet, leicht als Substantiv auftreten kann, wenn sich rechts von ihm in der eröffneten nominalen Klammer kein weiterer Kandidat findet. Die Partizipien, die hier vorkommen, und von denen wir in den früher zitierten Texten schon weitere Beispiele gesehen haben, dokumentieren, dass es mit den sogenannten Nominalformen des Verbs Standardübergänge zwischen den schembar unvereinbaren Wortarten Substantiv und Verb gibt - wenn auch beim Partizip sozusagen auf dem Umweg über das Adjektiv.
… und der Klarer noch als bei den Partizipien ist das beim Infinitiv, den man Infinitiv als einen Namen für ein verbales Lexem verstehen kann. Als die infiniteste der infiniten Formen hat sie verschiedene Möglichkeiten der Annähe-rung an eine syntaktisch nominale Verwendung. So erscheint auch hier das Wort Konversion als ein fast zu grobes Etikett für einen mehrstufigen Übergang. Manchmal reicht es, einfach den Namen des Verbs zu zitieren, wie in Sprichwörtern der Art, dass Reden Silber, aber Schweigen Gold sei, wo eben weder die Infinitivkonstruktionen zu reden und zu schweigen als syntaktische Anschlüsse des Verbs gewählt werden, noch die vollen Substantivierungen mit dem Artikel: das Reden und das Schweigen. Bei der gerundartigen Aufrufung des Namens steht eine Art generischer Nennung im Vordergrund, sie ist aber überhaupt nur im Nominativ und Akkusativ möglich:
(13) Auch wenn Katzen vor seiner Tür jaulten, stand er auf vom Lager, selbst bei Kälte, und ließ sie in die Wärme ein. „Ihre Rechnung ist einfach“, sagte er, „wenn sie rufen, öffnet man ihnen. Wenn man ihnen nicht mehr öffnet, rufen sie nicht mehr. Rufen, das ist ein Fortschritt.“
Aber wo Geldhaben herrschen bedeutet, da ist herrschen nichts, was Geldstehlen entschuldigen kann. (Brecht 1967, S. 36, 73)
Am anderen Ende stehen Infinitive, die wie wirkliche Substantive behandelt werden. Das kann im Fall des Nominativs und Akkusativs, wo die jeweils andere Option besteht, zur Konkretisierung eines Einzelfalls dienen, ist ansonsten aber einfach auch den morphologischen Zwängen des Deutschen geschuldet:
(14) Eine Wissenschaft vom Werden ist im Entstehen. (Cramer 1994, S. 264)
Er sei bis ans Ende der Äste gekrochen, und die vielfältigen Bewegungen, das Um-sich- und Übersichgreifen müßten ihm gutgetan haben. (Brecht 1967, S. 70)
So ist es sicherlich übertrieben, wenn all diese Übergänge, die schon in der Nominalität der Form angelegt sind und nur in unterschiedlicher Weise entfaltet zu werden brauchen, gleichermaßen unter dem Begriff der Konversion laufen. [26]
… und Aus dem selben Grund gibt es auch in der umgekehrten Rich- umgekehrt? tung definitorische Schwierigkeiten. Wie sind die vielen desubstantivischen Verben zu beurteilen, die lediglich aus einer substantivis Basis und dem Element {-en} bestehen? Wir haben oben schon beiläufig darauf hingewiesen, dass es von der Behandlung dieses Problems ganz entscheidend abhängt, welche Schwerpunkte die Wortbildung des Verbs hat, genauer gesagt, ob die Drivation zu ihnen gehört oder nicht. Verben dieses strittigen Typs gibt es viele, und es lassen sich ohne weiteres auch neue Exemplare bilden:18
(15) [...] aber als er's treppauf muttern hörte, wußte er, dass er „Stairway to Heaven“ auch diesmal nicht komplett aufs Band kriegen würde.
[...] beim Seidenbody („Häkchen G. denk dran“) hausmeisterte ihnen allerdings Herr Scheuffele entgegen.
Der Junior-Jogi schlachtschüsselt in der Tiefe des Raumes.
Erst gegen Abend raffte Gregor sich auf, moltofillte K. s Dübellöcher. (Politycki 1997, S. 16, 242, 346, 364)
Die Mutter des pubertierenden Helden der Geschichte kommt die Treppe herauf; Herr Scheuffele ist in dem Roman als Prototyp des Hausmeisters gezeichnet, kann also sprachlich nicht anders, als dem Paar im dritten Teil der Geschichte als solcher entgegenzukommen; der Sohn des Metzgers bereitet eine Schlachtschüssel zu; von K., der Held in im letzten Teil des Romans, verlassen, füllt Gregor Wandlöcher der ehemals gemeinsamen Wohnung mit Moltofill. Was passiert hier?
Handelt es sich hier darum, dass die verbalen Flexionsmorpheme den Übertritt von der einen in die andere Wortart markieren, also um Konversion im technischen Sinn? Dafür spricht natürlich, dass im aktuellen Satz die verbalen finiten Endungen einfach den Infinitiv der Nennform ersetzen. Oder geht es darum, dass hier mittels eines Suffixes {-en} Ableitungen von substantivischen Basen gebildet wurden? Dafür spricht, dass dadurch ja nicht so sehr eine Verbform gebildet wird, sondern ein Name für ein verbales Lexem, wie wir oben formuliert haben. Vielleicht gibt es aber doch noch ein Drittes: vom Verb aus gesehen ist der Infinitiv eine verbale Form mit nominaler Charakteristik, und so könnte man vom Substantiv aus den Infinitiv eine substantivische Form verbalen Charakters nennen, wie das eindeutig bei jenen Typen der Fall ist, wo man nicht recht sagen kann, ob Substantiv oder Verb primär ist, das heißt bei Beispielen vom Typ Arbeit vs. arbeiten (vgl. Augst 1999, S. 40ff.). Wie man an den obigen Beispielen sieht, funktioniert dieser Wechsel in vielen Fällen, an die in man nie gedacht hätte. Diese Regelmäßigkeit, die ebenfalls von einer flexivischen Sekunddärverwendung zu sprechen erlaubte, wird lediglich bei nicht autochthonen Basen durch echte Ableitungen mit dem Element {-ier} durchkreuzt - wobei hier die Einschätzung in der Sprachgemeinschaft offenbar schwanken kann, wie das Nebenander von Formen wie filtern und filtrieren zeigt, oder auch die regional differente Verteilung von grillieren (in Österreich) und grillen.
Dazu gehört, dass auch die Basen dieser nichtautochthonen Bildungen häufig Besonderheiten zeigen. Zumeist handelt es sich um lediglich gebundene lexikalische [27] Morpheme, so genannte Konfixe, bei denen man im Unterschied zu den autochthonen Basen davon ausgehen kann, dass sie für den Benutzer des Deutschen nicht im selben Maße wortartenmäßig fixiert sind, und so immer ein Signal ihrer Realisierung als Substantiv, Adjektiv oder Verb brauchen. Man hat das in diesen Fällen mit dem Konzept der Suffixalternanz zu beschreiben versucht. Wir wollen dafür halten, dass sie um Unterschied zu den meisten autochthonen Lexemen so erst die Möglichkeit bekommen, überhaupt als ein Wort realisiert zu werden. Ein typisches Beispiel fürdiesen Fall sind Morpheme wie {mform(a[t])}, {demonstr(a[t])}, innov(a[t])} usw.:
(16) [...] er informierte sie, wer von den alten Bekannten […] geflohen […] war.[…] er blickte demonstrativ lange zur Mutter. (Hein 1997, S. 141, 179)
die letzten Innovationen
[...] die Herrschaft des Akademismus in Leben und Kunst.
Seltsam stagnatives, lasches Erörtern der Lage.
[...] und wurde Rigorist. Was vor Zeiten ein Rezitator war.
Wenn der Existenzialismus nach dem Krieg, den Menschen in die Freiheit stieß, so muß er heute gegen die frei-verfälschte Welt reexistenzialisiert werden. (Strauß 1997, S. 79, 117, 74, 77, 115/16)
Eine seltsam internationalistische Kompetenz wird für das Verständnis dieser und all der anderen Wörter verlangt, die zu denselben Elementen bildbar sind.19 An der lateinischen Wissenschaftssprache orientierte Bildungsmuster stellen die Grundlage für die Allomorphie im Basislexem dar. Bestärkend und modifizierend wirken einerseits Traditionen der französischen Weltsprachenposition, andererseits natürlich weitaus deutlicher die Überformungen durch die nunmehrige lingua franca der Bildungssprachlichkeit, das Englische.20 Die Auffaltung der in den obigen Beispielen angesprochenen lexemfähigen Einheiten möge erhellen, welche Ausbaumöglichkeiten so realisiert und welche Sprachbezüge dadurch aufgerufen werden. Erkennbar produktiv sind zum Beispiel folgende Typen, die typische Reihen von Umkategorisierung ausbilden: [27]
[…]
[29] Diese beispielhafte Aufzählung soll dokumentieren, dass sich hier doch auch ein Zusammenhang der Bildungsstrukturen rekonstruieren lässt, der von primären und sekundären Funktionen auch bei diesen Lexemen zu sprechen erlaubt. Die Ableitungsrichtungen sprechen davon, dass auch hier das Konzept des Wortartwechsels anzuwenden ist, und dass auch in diesen Fällen manche Übergänge eher angelegt sind als andere. Wo aber jede Wortart erst ihr Aktualisierungsmerkmal bekommt, um wortfähig zu werden, kann natürlich die Technik der eigentlichen Konversion nicht greifen.24
Die Konversion erscheint somit zwischen der Nutzung von Voraussetzungen ausder Flexionsmorphologie und der syntaktisch oder textuell angebundenen ad-hoc-Konversionen zu schwanken. Die wirklich häufigen und zentralen Fälle von Konver-sion sind eher Teile eines systematischen Wechselprozesses am Rande der flexions-morphologischen Kodierung an systematisch dafür vorgesehenen Übergangsstellenals vergleichsweise beliebige Wechselprozeduren im Rahmen einer lexikalisch zu ver-stehenden Wortbildung.25
… und andere [30]So sind denn die Produkte anderer Arten von Konversion
Formen auch immer vergleichsweise auffällig, seien es die Substantivierungen von anderen Wortarten wie das Ich, das Für und Wider, mein Ein und Alles, `Tomi, das Irgendwo'. (Ransmayr 1991, S. 9), aber auch Adjektivierungen die zue Tür (s. insges. Duden 1998, S. 427ff.). Wie schon das Beispiel für Adjektivierungen zeigt, erreichen diese Wörter häufig nur in einem gewissen Ausmaß bzw. erst in einem zeitlichen Verlauf alle Möglichkeiten der jeweiligen Zielwortart. Typisch ist das etwa bei den recht seltenen Konversionen von Substantiven in den Adjektivbereich, die zumindest zunächst nur zur Verwendung als Adkopula führen. In diesem Status scheinen derzeit drei lockere Bewertungswörter zu sein: etwas ist klasse, scheiße, spitze.
(21) Im Lied „Raus“ geht es darum, wie aus Liebe Hass werden kann. Die Alte ist scheiße und muss raus. (jetzt 41, 1999, S. 8).
Mehr noch gilt die Bewertung als auffällig für jene Bildungen, die wohl systematisch hierher gehören, traditionell aber unter der Sonderbezeichnung Zusammenrückungen laufen. Bei ihnen handelt es sich um Nominalisierungen von praktisch beliebigen Einheiten, die so zitierbar gemacht werden. Motsch (1999, S. 326) prägt für die Ergebnisse dieser Umsetzungen den Terminus `Verbalphrasennominalisierungen'. Es geht um Bildungen wie Den-Teufel-an-die-Wand-malen. In diesem Umfeld kommen auch lexikalisierte Bildungen mit Eigennamencharakter vor: der Gottseibeiuns ist ein Name für den Teufel, das Vergissmeinnicht einer für eine Blume. In der erwähnten Terminologie müssten das nicht nur Satznominalisierungen, sondern sogar Äußerungsnominalisierungen sein. Außerdem lässt sich das Muster zumindest spielerisch auch auf andere Einheiten ausweiten. Die beiden zuletzt genannten Phänomene zeigen, dass wir uns nunmehr im nicht so strikt geregelten Randbereich der Wortbildung befinden. Entsprechend lassen sich diese Mittel mit stilistischem Sonderwert nutzen, wie das folgende Beispiel unschwer zeigt:
(22) Der Gingganz
Ein Stiefel wandern und sein Knecht
von Knickebühl nach Entenbrecht
Urplötzlich auf dem Felde drauß
begehrt der Stiefel: „Zieh mich aus!“
Der Knecht darauf: „Es ist nicht an dem,
doch sagt mir, lieber Herre, -! wem?“
Dem Stiefel gibt es einen Ruck:
“Fürwahr, beim heiligen Nepomuck,
Ich GING GANZ in Gedanken hin …
Du weißt, dass ich ein andrer bin,
seitdem ich meinen Herrn verlor …“
Der Knecht wirft beide Arm empor, [31]
als wollt er sagen: „Laß doch, laß!“
Und weiter zieht das Paar fürbaß.
(Christian Morgenstern: »Galgenlieder«)26
1.1.4 Inkorporation: was zusammengehört
So sind wir denn mit den zuletzt diskutierten Sonderfällen der Konversion [Transition], die man Zusammenrückungen nennen könnte, und auch mit jenem Bildungstyp, der Zusammenbildung genannt wird, bei jenen Arten der Wortbildung, die als allmähliche Univerbierung in der syntagmatischen Abfolge des Satzes nebeneinanderstehender Elemente verstanden werden können. Wir haben dafür, in lockerer Anlehnung an einige neue terminologische Vorschläge den Begriff der Inkorporation gewählt. Er überdeckt als ein leitendes Prinzip eine Reihe von Wortbildungsarten, die sich vom zentralen Bereich der Komposition und Derivation in Richtung auf das syntaktische Ende der Wortbildung hin erstrecken. […]
RelationeN Es gibt aber eine Vielzahl vom komplexen Wörtern, die sich
ohnE eines derivationellen Suffixes bedienen, um zum Substantiv zu RelatoreN werden, sich in der lexikalischen Basis aber nur annäherungsweise auf sonst auch syntaktisch oder phraseologisch ausgeführte Verbindungen beziehen. Das muss so kompliziert formuliert werden, da sie sich ja auf solche Fügungen in einer Weise beziehen, die gerade die spezifisch syntaktischen Verbindungsmittel beiseite lässt. Das klassische Zentrum dieser Bildungen - beim Substantiv - sind die Fälle, wo eine Wortgruppe, der aber genau das an Bindungsmitteln fehlt, was die syntaktische Wortgruppe aktualisiert und zusammenbindet, mittels eines Suffixes abgeleitet wird. Es handelt sich um Wörter wie Dreiachser `Lastwagen mit drei Achsen'. Häufig ist die Analyse etwas ambivalent: ist ein Gepäckträger `ein Träger von / für Gepäck', also technisch gesprochen ein Kompositum oder `jemand, der das Gepäck trägt', und damit ein lexikalischer Typ von Inkorporation. Eindeutig ist die [32] zweite Lesart, wenn die lexikalische Basis ihrerseits bereits einen Phraseologismus darstellt. Der Bedenkenträger ist zweifellos kein `Träger von etwas', sondern `jemand, der Bedenken trägt'.
und das Erbe In einem weiteren Sinne gehören zu einer solcherart verstandevon Rektion nen Kategorie der Inkorporation all jene Bildungstypen, welche die vor allem in verbalen Lexemen angelegten Komplemente und - zum Teil - Supplemente in entsprechender, d.h. lexikalisch geformter Weise in sich aufnehmen. Das sind zuvorderst die sogenannten Rektionskomposita. Das beginnt dann logischerweise schon da, wo in als nominal gekennzeichnete verbale Lexeme - `Substantivierungen' von Infinitiv oder Partizip - Elemente aus dem syntakto-semantischen Umfeld dieses Lexems eingebaut werden. Das können einfache syntaktisch rekonstruierbare Beispiele sein wie oben in (13) und (14): bei Geldhaben oder Geldstehlen wird einfach das Objekt integriert. In diesem Fall, da es sich semantisch bei Geld um ein Kontinutativum handelt, auch formal völlig unauffällig. Bei Umsich- und Übersichgreifen ist der syntaxnahe Part dieser Inkorporation ganz deutlich - und das unabhängig davon, wie man dieses Problem orthographisch gerne gelöst hätte. Aber es gibt auch die stärker integrierten, unmittelbar auf semantische Schematisierung zurückgreifenden Inkorporationen.
(23) Gefrorene Windstriche an jedem Zweig, das Papierklirren der Rauhreifbäume … (Botho Strauß: »Die Fehler des Kopisten«. München 1997, S. 187)
Auch hier scheint es aber naheliegender, nicht das Papierklirren von anderen Arten des Klirrens zu scheiden, sondern das Ganze als eine nominale Fassung der Proposition, dass Raureifbäume wie Papier klirren, zu verstehen.
Dieses Modell der Univerbierung lässt sich natürlich noch unterschiedlich akzentuieren, wenn Wortbildungsmorpheme weitere Informationen liefern, als nur den nominalen Charakter des verbalen Lexems zu betonen.
(24) Der Dichter als Durcheinanderwerfer, als Prophet des selbstgefertigten Eschatons, der Ja-Sager zu Zerstörung und Entropie. (Strauß 1997, S. 83)
Auch hier haben wir es logischerweise nicht mit einer Klassifikation von Werfern zu tun, sondern einer agensorientierten Nominalisierung eines verbalen Lexems mit seiner direktionalen Bestimmung.
(25) […] diesem stumpfsinnigen, ordinären, erzkatholischen Kunstmißbraucher, der seit vielen Jahrzehnten der größte aller kulturellen Umweltverschmutzer in diesem Lande ist. (Thomas Bernhard: »Holzfällen. Eine Erregung«. Frankfurt/M. 1984, S. 258)
Von ähnlichem Typ ist Kunstmißbraucher, eine ad-hoc-Nominalisierung mit einer verbalen Basis (mißbraucht) ohne Folie eines lexikalisierten Wortes Mißbraucher. Dagegen neigt Umweltverschmutzer eher zu einer Klassifikation der Verschmutzer, d.h. zu einer Interpretation als Kompositum, in einer anderen Sicht - von der musterprägenden Kraft von [Umwelt + [kritisch zu sehende Handlung]nomen agentis - auch zu einer analog ausgebauten Klassifikation der Umweltsünder.27[33]
(26) Sowohl der Machtunterworfene als auch der Machthaber können leicht grobe „Fehler“ begehen. (Albert Martin / Volker Drees: »Vertrackte Beziehungen. Die versteckte Logik sozialen Verhaltens«. Darmstadt 1999, S. 84)
Mit lexikalischen Konversen auf verbaler Basis `die Macht haben', `der Macht unterworfen sein' wird hier ein Paar aufeinanderbezogener Personenbezeichnungen gebildet, die beide auf dem Prinzip der Inkorporation beruhen, allerdings in unterschiedlicher Weise in die Üblichkeiten der Wortbildung eingebaut sind Nutzt Machthaber das gängige Muster der nomina agentis auf -er, um so die angedeutete Fügung lexikalisch zu integrieren, so wird in Machtunterworfener die sekundäre substantivische Verwendung des adjektivischen Lexems genutzt, um einerseits das Äquivalent eines syntaktischen Dativs (der Macht) zu integrieren, und andererseits des substantivischen Charakter zu sichern.
Es ist ganz offenkundig, dass wir uns damit ganz nahe an der Nominalgruppensyntax befinden, wo dependentielle Strukturen des adjektivischen Bereichs entweder, wie gerade angedeutet, übernommen werden oder sich in syntaktisch gesteuerten Attributionen wie den genitivi subiectivi oder obiectivi niederschlagen.
1.1.4 Kurzwortbildung: to whom it may concern
Wir hatten es bisher mit Techniken der Wortbildung zu tun, die uns durch die Kombination von einfacheren Zeichen bzw. zumindest durch die flexivische Vereindeutigung beim Verstehen helfen: wir haben ja auch bisher versucht, die relative Motivation, die in den einzelnen Bildungstypen liegt, etwas auszuleuchten. Manchmal wird einem die Genauigkeit und Explizitheit dabei etwas zuviel. Das kann mindestens drei Gründe haben. Entweder sind an der Kommunikation über einen bestimmten Sachverhalt ausschließlich Spezialisten beteiligt, die der dauernden expliziten Erinnerung nicht bedürfen oder die Kommunikation findet in einer zusammengehörigen Gruppe statt, die ihre Zusammengehörigkeit über ein Verständnis auch nicht voll explizierter Zusammenhänge signalisiert. Zum dritten gibt es Anforderungen einer womöglich textsortenspezifischen Ökonomie, die es geraten erscheinen lassen, nicht die höchste mögliche Explizitheit zu wählen, aber sich dennoch an bestimmten inhaltlichen Stellen nicht einfach auf formale Mittel der Referenzsicherung wie Pronominalisierung zu verlassen.
Das Umfeld dieser drei Gründe ist der Boden für das Aufkommen oder eine verstärkte Verwendung von Kurzwörtern, bei hinreichender praktischer Relevanz für die Allgemeinheit können solche Kurzformen auch in die normalsprachliche Ebene eindringen.
So kann man denn die Verwendung von Kurzwörtern insgesamt als eine Folge des Ökonomieprinzips ansehen, dem die Sprecher folgen. Da bekanntlich das Ökonomieprinzip am besten funktioniert, je näher es an der Grenze zum Zusammenbruch der Kommunikation ist, sind Kurzwörter an sich schlechter zu verstehende Varianten [34] bereits existierender Lexeme, die in einer auf Sprechbarkeit hin orientierten formalen Reduktion nur eine mehr oder minder starke Erinnerung an die Vollform bewahren. Gelegentlich kann die Vollform dahinter verschwinden, so dass die alte Kurzform die einzige, das heißt die neue Vollform wird. In gewisser Weise haben so Kurzwörter mehr vom Phraseologismus als von der eigentlichen Wortbildung - das Kurzwort ist eine Art Metapher der Ausdrucksform. Manchmal hat diese Form hohen emblematischen Wert. So verwundert es auch nicht, dass andererseits wieder viele dieser Bildungen eine Art Ikonismus auf anderer Ebene suchen.
1.1.5 Zusammenschau
Wir haben von dem grundlegenden Inventar der Wortbildung gesprochen, und davon, wie und in welcher Funktion sie uns in unserem sprachlichen Leben begegnet. Wir haben das der Einfachheit halber - die Bedeutungen von Substantiven lassen sich am einfachsten isolieren - am Beispiel der Substantive behandelt.
Funktion Dabei hat sich eine dreifache funktionale Schichtung ergeben. Den Kern dessen, was der Wortbildung eigen ist, finden wir in den Techniken der Komposition und der Derivation wieder. Diese Techniken werden funktional abgerundet durch Arten der Wortbildung, die dann bruchlos in Bereiche der flexivischen Morphologie hinüberführen. Sie werden üblicherweise unter dem Oberbegriff der Konversion geführt. Analog dazu führen andere Arten ohne klaren Schnitt bis hin zur Univerbierung syntaktisch einander benachbarter Elemente: hierher gehören Rektionskomposita und Zusammenbildungen.
und Technik Was die einzelnen Wortbildungsarten angeht, so hilft die Komposition neue Objekte der Setzung zu konstituieren. indem dem Leser oder Hörer schemageleitete und textunterstützte Modifikationen bereits vorhandener Wortkonzepte abverlangt werden. Die Derivation mit dem festen Inventar ihrer Suffixe verhilft zu einer groben klassematischen Einordnung und zur Akzentuierung bestimmter Sehweisen in Verbindung mit bestimmten Basislexemen. Zumeist dient die Derivation der Überschreitung von klassematischen und von Wortartgrenzen. Das Überschreiten der Wortartgrenzen, das die Derivation prägt, ist für die drei großen Wortarten des Deutschen ohnehin schon im flexivischen Raume angelegt. Adjektivische Lexeme sind sekundär auch zur substantivischen Verwendung geeignet, das Substantiv zur verbalen und das Verb zur adjektivischen und zur substantivischen. das macht den Kern dessen aus, was man gerne Konversion nennt. auf dem Gebiet der Modifikation, die wir von Kompositum kennen, gibt es Taktiken der Univerbierung, die sich an semantische Strukturen anlehnen, denen auch bestimmte syntaktische Hierarchisierungen entsprechen. Traditionell haben die Techniken aus diesem Bereich verschiedene Namen: wir wollen sie unter dem Begriff der Inkorporation zusammenfassen. [35]
1.2 Struktur und Funktion
1.2.1 Strukturelle Analogien
Die strukturalistisch orientierte synchronische Wortbildungsforschung, welche sich in den letzten Jahrzehnten mit dem Deutschen beschäftigte, hat besonderen Wert gelegt auf die strukturale Analogie in Konstruktionen, die dem naiven Blick als unterschiedlich erscheinen. Das betraf zunächst längere Zeit vor allem die Parallelen zwischen den verschiedenen Arten von Wortbildung, dann mehr das Herrschen derselben Strukturierungsprinzipien bei syntaktischen Konstruktionen und der Konstruktion komplexer Lexeme.
OPERATOR- Ein wesentlicher Punkt war dabei und ist es weiterhin noch, OPERAND- dass hierarchische Binarität und eine Operator-Operand-Struk-BEZIEHUNGEN tur bzw. Rechtsvererbung zumindest die zentralen Bereiche der deutschen Wortbildung prägten. Nun ist dieses Modell zunächst entwickelt und am schlagendsten ausgeführt worden im Bereich der Komposition.
Lexem-Lexem Dabei gilt als Paradefall des Kompositums das Determinativ-
Beziehungen kompositum. Bei ihm handelt es sich um eine Struktur aus zwei Elementen mit lexikalischer Bedeutung, die in vielen Fällen auch als eigenständige Lexeme auftreten können. Der Binarität der formalen Struktur entspricht eine inhaltliche Determinationsbeziehung, die der klassischen Unterscheidung von genus proximum und differentia specifica nachmodelliert ist. So ist denn auch das Zweitglied, das Determinatum, zuständig für die klassematische Kategorisierung, die Erstelemente, Determinantia genannt, schränken die so eröffnete Klasse auf eine Subklasse ein. Der Erfolg eines neuen Kompositums beruht nun darauf, inwieweit - zumindest im Zusammenhang des jeweiligen Textes - diese Subklassifikation als eine dem Zweitelement inhärente Eigenschaft aufgefasst werden kann. Kontingente Eigenschaften werden in der Nominalgruppe tendenziell nicht so eng mit dem lexikalischen Kern der Nominalgruppe verbunden. So ist logischerweise das Zweitelement, das bestimmte Wort, das Determinatum, ein Element, das selbständig auch als Substantiv auftreten kann, sei es ein primäres Substantiv, sei es, dass es durch einen ,reinen' Konversionsprozess oder einen Derivationsvorgang zu einem Substantiv geworden ist. Das Erstelement unterliegt in dieser Hinsicht keinen grundsätzli- chen Beschränkungen, allerdings deutlichen statistischen Unterschieden. Bei weitem am häufigsten sind ebenfalls substantivische Erstglieder, mit großem Abstand folgen verbale Erstelemente, fast eine Randgruppe stellen die Bildungen mit adjektivischen Erstelementen dar. Andere Erstelemente tauchen lediglich vereinzelt auf. Im Folgen- den sind die Typen mit Substantiv, Verb, Adjektiv, Adverb, Präposition und Pronomen beispielhaft aufgeführt:
(27) [...] und er sang hoch [...] seine Tamino-Arie. Die Mähdrescher fahren über die Hügel. [...] wie die Herkunft seines Schwachsinns. [...] niemals vom Einstweh überwältigt zu werden. Soviel Vorgeschmack auf die Hölle. So wenig Nachgeschmack vom Paradies.
[...] aus denen niemals schöne Gleichgültige, nachdenkliche Selbstbetrügerwerden. (Strauß 1997, S. 9, 17, 22, 64, 107, 16)
Die auftauchenden komplexen Wörter folgen Wortbildungsmustern, welche die Interpretation erleichtern: dabei ist es am leichtesten, wenn das Zweitelement, aber auch das Erstelement gewisse Relationen bereits formal anbieten. Das betrifft verbale, adjektivische, aber auch bestimmte relationale substantivische Elemente, die bestimmte Relationen wahrscheinlicher erscheinen lassen als andere.
(28) ⇒ Für zwei Tage Sommer im April. Hitzevorschuß. (Strauß 1997, S. 10)
⇒ Sah zur Franzi, als hinge er an ihren unentwegt Klugsätze formulierenden Lippen, [...]. (Politycki 1997, S. 167)
⇒ Flieder und Spiräen zeigen am baren Weiß die ersten Schmutzränder des Welkens. (Strauß 1997, S. 16)
⇒ Ausstellungen, die den Gewaltregimen des Jahrhunderts gewidmet sind. (Strauß 1997, S. 1076)
So bietet in dem ersten Beispiel, einem Rektionskompositum, die Rektion des des verbalen Nomens, Vorschuss an etwas, den Hinweis auf die naheliegendste Interpretation, die auch vom Kontext gestärkt wird.28 Beim zweiten Beispiel wird die attribu tive Beziehung ins Prinzipielle hypostasiert, prinzipiell kluge Sätze, im dritten Fa hilft uns der Kontext mit den weißen Blumen, die relationale Instruktion des Won Rand nicht als ,Rand von' sondern als ,Rand bestehend aus' zu lesen. Dagegen sin wir im letzten Fall, bei dem die Substantive Regime und Gewalt miteinander verbur den sind, gezwungen, Gewalt als eine Art charakteristischer Eigenschaft mit Regirr in Verbindung zu bringen. Bei diesen Komposita mit zwei substantivischen Glieder und nicht relationalem Zweitglied wird eine Reihe von Relationen abgeprüft und m den klassematischen Verhältnissen im komplexen Wort verrechnet. Das geht häuf] auf dem Wege eines analogischen Verfahrens, das nach einer Reihe von Bildunge oder nach einem besonders prägnanten Muster Deutungen oder die Schaffung neuer Bildungen erlaubt. Die groben Muster sind nicht unähnlich den in der Satzsemant mit einer gewissen Präferenz kodierten Beziehungen, es gibt subjektsorientierte Relationen wie agentische Subjektsbeziehungen, nichtagentische Subjektsbeziehungen wie bei Vorgangs- und Zustandssubjekten sowie instrumentale und kausale Urheberbeziehungen, wie in den folgenden Beispielen; in diesen wird dabei nicht zwischen den eigentlichen Komposita und dem Inkorporationstyp des Rektionskompositums geschieden:
(29) ⇒ Marotten von Berühmtheiten, Studentenstreiche. (Rehmann 1999, S. l7) `subj-ag' - Die Studenten machen Streiche
⇒ Wie ein durch die Wolken brechender Sonnenschein, (ebd. S. 8) `subj-ag' - Die Sonne scheint
⇒ [...] für ein Arbeitsgeräusch hält wie Computerklappern oder Maschinensurren `subj-ag - Computer klappern, Maschinen surren [37]
⇒ Von Zeit zu Zeit dröhnt eine unverständliche Lautsprecherstimme durch den Waggon (ebd. S. 8) `caus' - Vom Lautsprecher geht eine Stimme aus ⇐ der Lautsprecher lässt seine Stimme erschallen
⇒ wechselt ständig Stand- und Spielbein (ebd. S. 7) `instr' - mit dem Bein steht man ⇐ Das Bein steht
Daneben finden sich objekts-orientierte Beziehungen wie objeff objaff, pat, fin, cons:
(30) ⇒ dass das keine Liebeserklärung ist (ebd. S. 8) objaff - (jmd.) erklärt seine Liebe
⇒ dann greift sie nach der Reisetasche (ebd. S. 7) fin - die Tasche ist für die Reise
Und es treten adverbiale Relationen wie `Vergleich', `Entsprechung', mod, loc, temp auf:
(31) ⇒ Ihre Kleidung gibt keine Auskunft über das Herkunftsland (ebd. S. 7) ,loc'
⇒ eine […] ganz der Belehrung hingegebene Altersstimme (ebd. S. 17) `Entsprechung'
Daneben hat man aber auch mit spezifischen lexikalischen Bezügen bzw. Bezügen zu tun, die eher bei den attributiven Techniken der Syntax wiederzufinden sind, wie `Teil von'oder `Bestehen aus', `Haben', `Identität', `Bereich':
(32) ⇒ Abseits vom abfließenden Menschenstrom setzt sie die Tasche hin (ebd. S. 7) `Bestehen aus' - Strom der/von Menschen
⇒ ein in Pastellfarben zwischen Blau und Türkis getöntes Seidentuch (ebd. S. 7) `Bestehen aus' - Tuch aus Seide
⇒ Jeder England-Erfahrene weiß (ebd. S. 8) `Bereich' - mit England Erfahrene
Die Komposita mit adjektivischem Erstglied benennen häufig einen namenfähigen Teil der Beziehung, die in der Attribution (implizite Prädikation) bzw. einer ursprünglich adverbialen Beziehung (mod) schon angedeutet war.
(33) mit engem geschlitzten Rock und lockerem Oberteil (ebd. S. 7) - oberes Teil
So ähnlich ist das mit entsprechenden fast nur gebunden vorkommenden Elementen (s.o. Pastellfarben).
Gleiches gilt für die sonstigen Typen, die ja häufig irgendwie adverbial angebunden sind:
(34) ⇒ Junge Frau oder ältere Dame - irgendwo im ungenauen Zwischenfeld (ebd. S. 8) `loc/mod'
⇒ Sie empfindet die Nichtreaktion (ebd. S. 9) `mod/neg'
Lexem-Suffix- Was die Form angeht, lässt sich das binäre Schema mit der Spe-Beziehungen zifizierung von links nach rechts auch auf die Suffixderivation noch einigermaßen problemlos anwenden. Auch die Suffixe bestimmen ja semantische Klasse und formale Eigenschaften wie Genus und Flexionstyp. Allerdings handelt es sich bei den auf dieser Ebene gegebenen semantischen Instruktionen nicht so sehr um lexikalische Bedeutungsangaben, als vielmehr um Instruktionen zur Aktualisierung eines bestimmten klassematischen Aspekts der in der lexikalischen Basis angelegten Bedeutung. Im Suffix werden hyperklassematische Relationen thematisiert, wie sie beim Kompositum die beiden Teile desselben verbinden. Darauf spielen ja schon die klassischen Bezeichnungen nomen actionis `Name für die Handlung', nomen agentis `Name für den Handelnden', nomen acti `Name für das Ergebnis' und nomen instrumenti `Name für das Mittel' an, mit denen die suffixalen Umsetzungsmöglichkeiten verbaler Lexeme durch Nominalsuffixe beschrieben werden.
(35) [...] breitet sich in ihrem Körper die Vorstellung aus […] als Hüter und Beschützer […] liest die Anweisungen (Rehmann 1999, S. 8, 40, 9)
Zu erheblichen Schwierigkeiten auf formaler wie inhaltlicher Ebene führt die Anwendung des Binaritäts- wie des Determinationsprinzips bei allen konversionsähnlichen Bildungen sowie dem stark präfigierungsorientierten Bereich der verbalen Wortbildung, d.h. in jenen Bereichen, wo das Muster der Inkorporierung vorherrscht. Offenkundig wachsen die Schwierigkeiten, je stärker bestimmte Mittel der Transposition dienen, und sinken, sofern Modifikation den zentralen Punkt darstellt. In einer funktionalen Sicht, der die vorgeführten Deutungen entstammen, lassen sich diese Unterschiede zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzen.
1.2.2 Erläuterung am Substantiv
Wir wollen das an der Wortart Substantiv erläutern, über die sich am leichtesten in einigermaßen uneingebundener Verwendung reden lässt. Beim Substantiv ist es die Funktion der Setzung, welche die Einheitlichkeit dessen sichert, was hier in der Wortbildung geschieht. Im Wesentlichen hat dieser Bezug auf die Setzungsfähigkeit zwei Seiten:
MODFIKATION Entweder hat die Basis eines komplexen Worts allein schon UND substantivische Merkmale, dann können die Wortbildungs- TRANSPOSITION mittel die so gegebene Vorgabe nur in der einen oder anderen Weise beeinflussen: man spricht in diesen Fällen von Modifikation. Oder die Basis allein ist noch nicht als Substantiv bestimmt, dann wird sie in der einen oder anderen Weise in diese Rolle überführt: in diesem Fall spricht die Wortbildungslehre von Transposition.
reine Modifikation Die Komposition ist die typische Struktur für die Modifikation. Komposita bleiben in der Wortart des am rechten Ende stehenden Grundworts. Diese Wortbildungsart kann auf dieser Ebene nichts ändern, sie differenziert vorhandene Setzungen, indem auf Schemata verwiesen wird, die uns im Text, in intertextuellen und sonstigen Wissensbezügen angedeutet werden. Das Wiedererkennen formaler und struktureller Analogien in Reihen von Bildungen erleichtert uns zweifellos das Verstehen. Beides, das Formale wie das Inhaltliche haben wir an einem Beispiel wie Ölfarbe gesehen. Schon Farbe allein ist ein Substantiv, dessen Bedeutungsumfang durch die Voransetzung des determinierenden Elements Öl auf eine Subklasse eingeschränkt wird: etwas über Hundert solcherart mit dem Determinatum/Zweitglied Farbe gebildeter Komposita, die Hyponyme dieses Oberbegriffs benennen, verzeichnet das rückläufige Wörterbuch von Gustav Muthmann (1988, [39] S. 187). neben der hier vorliegenden Kategorie `in der Farbe enthaltendes Element' gibt es eine Reihe von anderen Subtypen, die unser lebensweltliches Interesse an solchen Subklassifikationen erkennen lassen:
(36) Enthaltensein: Anilin-, Blei-, Bronze-, Eisenoxid-, Emaille-, Kalk-, Kasein-, Latex-, Leim-, Tempera-, Wasserfarbe usw.
Objekt: Aluminium-, Eier-, Eisen-, Metall-, Ofen-, Plakat-, Stoff-, Teigfarbe usw.
Subjekt/Instrument: Maler-, Fingerfarbe
Vergleich/Typ: Eierschalen-, Erd-, Fleisch-, Leucht-, Meer-, Perlmutt(er)-, Regenbogen-, Rosen-, Scharlach-, Mode-, Popfarbe
Wirkung/Zweck: Fluroszenz-, Interferenz-, Kenn-, Kontrast-, Schock-, Signal-, Warnfarbe
Art und Weise: Gegen-, Grud-, Komplementär-, Lieblings-, Misch-, Pastell-, Spektral-, Standard-, Voll-, Zwischenfarbe
u.a.m.
Wortartwechsel Am anderen Ende der Wortbildungsarten steht die Konversion als Mittel des formal unaufwendigsten Wechsels der Wortart. Ein lexikalisches Element aus einer anderen Wortart - logischerweise mit einer anderen Funktion - wird durch flexivische Markierung als Substantiv ausgezeichnet, und so als setzungsfähig markiert. Prädestiniert zu diesem Zweck erscheinen aus leicht erkennbaren Gründen die infiniten Formen des Verbs, die nicht zu Unrecht Nominalformen des Verbs genannten Infinitive und Partizipien. Es werden bei ihnen eben nicht nur die lexikalischen Kerne, sondern auch Merkmale der ursprünglichen Flexionsform in die neue Wortart mit herübergenommen. Man kann gerade am Infinitiv schön sehen, wie die funktionalen Übergänge durch entsprechende Aktualisierungsmarker kenntlich gemacht werden. Man sieht an diesen zentralen Fällen aber auch, dass bei den von uns zu behandelnden zentralen Wortarten diese Möglichkeit der Umkategorisierung bereits eingebaut ist, so dass hier die flexivischen Möglichkeit bruchlos in die Wortbildung übergehen. Dennoch hat auch der Übergang in den zentralen Fällen seine graduierende Abstufung, wie man das anhand eines oben schon angesprochenen Beispiels zeigen kann:
(37) Welch ein Mitgehen
FORM |
KONSTRUKTIONSTYP |
Ich werde mit den Anderen mitgehen: Lass mich mitgehen! Mit Anderen mitzugehen ist schön Mit Anderen Mitgehen ist schön Das Mitgehen mit Anderen Der gemeinsame Gang mit Anderen |
Komplexes Prädikat `Modalitäts'-Konstruktion zu-Junktion Syntaktische Isolierung / Gerund Substantivierung Derviationelle Hypostasierung |
Man sieht den Übergang, man sieht aber auch den Schritt, der mit der Substantivierung gemacht wird, wenn auch der Infinitiv als Nominalform eine Graduierung dieses Übergangs erlaubt. Der wird auch dadurch klar gemacht, dass eine ganze Reihe [40] dieser Bildungen einen von der Verbhandlung mehr oder minder abgehobenen selbständigen Platz in unserem Lexikon gefunden haben; so verzeichnet wiederum Muthmann (1988, S. 566ff.) nebeneinander die folgenden Verben und Substantive:
(38) baden - Baden; beben - Beben; behagen - Behagen; bestreben - Bestreben; leben - Leben; leiden - Leiden; s. befinden - Befinden; schreiben - Schreiben; sterben - Sterben; treffen - Treffen; treiben - Treiben; vorhaben - Vorhaben
… und Kategorisierung Dagegen bieten die Suffixe der ebenfalls weithin als
Transposition dienenden Suffixableitung bereits eine Sortierung in relevante Grobkategorien an. Gemeinsam mit der Transposition haben die Suffixbildungen allerdings, dass der semantische Kern, das, worum es geht, in der Basis, in diesem Fall im linken Element der Bildung liegt. Im Unterschied zur Transposition wird aber auf die lexikalische Bedeutung der Basis, und nicht auf bestimmte formale Merkmale Bezug genommen.
Etwas komplizierter liegt der Fall bei den Präfixbildungen, die im nominalen Bereich eher der Modifikation dienen, während sie beim Verbum eine ähnlich die Wortart bestimmende und semantisch kategorisierende Funktion haben wie die meisten Suffixe beim Nomen.
Die Ausbildung von Wortfamilien mit Hilfe deverbaler Ableitungen bei den Substantiven zeigt in typischer Weise die Leistung der Derivation beim Nomen: Prüfer - Prüfling - Prüfung - Prüferei erlauben es, unterschiedliche Aspekte der von dem Lexem {prüf}29 aufgerufenen Handlungszusammenhänge in dem komplexen Wort zu aktualisieren und so aus der Prädizierbarkeit in dem jeweiligen Satz zu nehmen.
MODIFIKATION UND An der Grenze hin zu Funktion der Komposita liegen in
GENERALISIERUNG dieser Hinsicht eine Reihe von Bildungen, die zunächst wie `normale' Komposita aussehen, bei denen aber eigentlich nicht durch Modifikation aus einer Klasse eine Subklasse ausgesondert wird, sondern wo aus klassifikatorischen Gründen der ebenfalls links im Wort befindliche semantische Schwerpunkt ein eine Oberkategorie eingeordnet wird. Hierher gehört eine Reihe von Fach- und Wissenschaftskomposita, welche einen Spezialfall der fachlich relevanten Oberklasse zuordnen; so werden spezifische Vorgänge durch entsprechende Komposita (z.B. Bearbeitungsprozess) in die Klasse der -prozesse eingeordnet.30
1.3 Aufgaben der Wortbildungslehre
Wortbildung hilft uns, wenn uns die Wörter fehlen. Sei es, dass wir in einem Text Zusammenhänge aufzeigen wollen, sei es, dass die Sprechergemeinschaft das Gefühl hat, im Lexikon ihrer Sprache sei eine interessante Stelle nicht gefüllt. Diese beiden Sichtweisen, die textuelle und die lexikalische, führen auch zu entsprechenden [41] Akzentsetzungen in der Wortbildungsforschung; so beschäftigt sich vom Lexikon her kommend die analytische Wortbildungsforschung eher mit der Frage, wie existierende Wortbildungen strukturiert sind, die synthetische Wortbildungsforschung, die es mit Syntax oder Text zu tun hat, eher mit der Produktivität von Wortbildungsmitteln und -mustern.
Welche Alternativen hätte man, wenn man den angedeuteten Benennungsproblemen nicht mit Mitteln der Wortbildung zu Leibe rücken würde? Man könnte es mit Wortschöpfung, also der Schaffung neuer Simplizia aus dem Inventar phonotaktisch möglicher Kombinationen des Deutschen versuchen. Das scheint am ehesten zu funktionieren, wenn in irgendeiner Weise entweder ikonische Wiedererkennbarkeit oder der Anschluss an sprachlich Verwandtes gesichert ist. Im ersten Fall handelt es sich um onomatopoetische oder lautsymbolische Anschlüsse: vielleicht könnte man die Benennung einer zwergenähnlichen Kunstfigur als Schlumpf hierher rechnen. Für den zweiten Fall könnte man das meistzitierte Beispiel für Wortschöpfung, die Bildung von Gas in Anlehnung an griechisch χαoς heranziehen. Mit dieser Erinnerung an das Wort einer Bildungssprache sind wir ganz in der Nähe einer weiteren Möglichkeit, uns aus der Benennungsnot zu helfen: durch verschiedene Modelle der Entlehnung in sprachlichen Kontaktsituationen. Dabei muss man die Bedeutung entweder im Entlehnungsprozess lernen oder festlegen - im alltagssprachlichen Kontext dürfte ein Wort wie Prion hierher gehören. Manche Strukturen werden aber in der entlehnenden Sprache, in unserem Fall dem Deutschen, produktiv. Man denke an Bildungsmittel wie -itis: Rederitis, aber auch lexematische Kerne wie techn-, die in mancherlei wiedererkennbaren Verbindungen vorkommen, so dass eine offenbar im deutschsprachigen Raum entstandene Musikmode Techno heißt. Dass hier eigenständige Bildungsmuster stehen, dafür mag die Bildung Handy für den Typ von tragbaren Telefonen stehen, die im angelsächsischen Raum cellular oder mobile phones heißen.
MOTIVIERTHEIT Was hier kurz zu den Alternativen - Wortschöpfung und Entlehnung - gesagt wurde, spricht implizit schon vom Vorzug, den die Wortbildung gegenüber diesen Formen, wenn sie in Reinkultur auftreten, hat. Denn nur die Wortbildungen erinnern uns in ihrer Form an sprachliche Elemente, die wir schon kennen und helfen uns so, die Bedeutung aus unserem Wissen über diese Bestandteile und bestimmte strukturelle Regeln in mehr oder minder hohem Ausmaß zu errechnen. Wortbildungen appellieren an unser sprachliches Gedächtnis, fordern uns auf, sie an unsere Erfahrungen und Schemata, die wir mit den bekannten Elementen verbinden, anzuschließen, und sie auf diese Weise sinnvoll in neue Schemata einzufügen.
… und Text Kontextuelle und intertextuelle Bezüge helfen uns, den Sinn in den neuen Wörtern zu finden. Das ist es, was man die Motiviertheit der Wortbildungen nennt. Am unmittelbarsten ist ihr Effekt an Bildungen zu zeigen, die wir noch nicht kennen und die nicht einem gängigen Muster folgen. Das kann man an dem Wort Isolirschemel aus der folgenden Notiz Jean Pauls sehen, das den Weg ins deutsche Lexikon nicht geschafft hat:
(39) Sein Studierstuhl ist ein Isolirschemel, auf dem er sich mit Wiz für jeden der ihn angreift vollädt. (Jean Paul 1996, S. 256) [42]
Mit Hilfe des Kontextes und unseres Wissens um das Ende des 18. Jahrhunderts modische Reden von Elektrizität und Elektrisiermaschinen können wir die Motivation dieser Bildung rekonstruieren, die wohl auch für unseren damaligen Autor als ad-hoc-Bildung gelten muss. Tatsächlich kennen wir aber viele komplexe ,wortgebildete Wörter schon aus dem Zusammenhang des Lexikons. Sie sind lexikalisiert, was häufig mit der Annahme zusätzlicher mehr oder minder regelhafter Bedeutungsmerkmale einhergeht. Ihr Motivationsgrad sinkt, sie werden demotiviert, nähern sich dem Pol der Idiomatisierung an. Bestes Beispiel dafür sind vielleicht die volksetymologischen Re-Etymologisierungen solcherart nur mehr durchsichtiger Wörter, wie des Substantivs Windhund, das aus einer Koppelung zur Verdeutlichung des alten Wortes Wind zu einer andeutenden Rassebezeichnung mit dem Merkmal `schnell wie der Wind' wurde.
Man sieht hier, wie die beiden Elemente des neuen Wortes sich gegenseitig Kontext sind, so dass wir versuchen, sie sinnvoll in ein einziges Schema kognitiver Deutung zu bringen. Wir vergessen dabei die anderen Optionen der Wörter. Gerade wenn die Lexikalisierung relativ deutliche Präferenzen vorgeprägt hat, kann eine Um-Kontextualisierung zu verblüffenden Konsequenzen führen. Man denke an die brotlosen Berufe des Zeichners Paul Flora, von denen hier nur der Kaiserjäger genannt sein soll:
Dass das auch bei weniger institutionalisierten Bildungen funktioniert, mag wiederum ein Jean-Paulscher Aphorismus verdeutlichen:
(41) Von der Strickleiter behält der Dieb am Ende nur den Strick und die Leiter. (Jean Paul 1996, S.258)
Die lexikalisierte Benennung Strickleiter vor unserem Auge, treffen wir auf das Wort Dieb und interpretieren das Bild nach dem Schema des diebischen Einsteigens, während uns das Auseinandernehmen der Teile des komplexen Worts zu der Funktion der gemeinten Gegenstände im Script des gerichtsmäßigen Hängens führt. [43]
… und Lexikon haben mit der Art der Beispiele, die wir bisher zur Illustration gewählt haben, implizit einen Schritt getan, der meistens gemacht wird, wenn man davon spricht, es gehe bei der Wortbildung um das Ausfüllen von Benennungslücken.31 Man denkt dabei zunächst an den zumindest im Deutschen spektakulärsten Fall, die Komposition, genauer gesagt, den Fall des substantivischen Determinativkompositums. Es handelt sich hierbei um das zweifellos eindrucksvollste Mittel zur benennungsschaffenden Verdichtung. Diese Struktur sagt uns im Prinzip in der extremsten Form nur, dass zwei lexemfähige Bedeutungen miteinander verknüpft werden. Das rechte, das Zweitelement, bestimmt Wortart, grammatische Kategorien und semantische Klasse, das linke, das Erstelement, schränkt die Bedeutung der Bildung auf einen Spezialfall ein. Dabei helfen uns, wie andeutungsweise gezeigt, strukturelle Kenntnisse und unsere sonstigen intertextuellen Erfahrungen, die vorhandenen Hinweise zur Beziehung zwischen den beiden Elementen aufzulösen. Bei Komposita, die wir schon kennen, gibt es zudem häufig eine oder eine überschaubare Anzahl präferierter Lesarten, die uns in den Sinn kommen, wenn ein Wort ohne Kontext auftaucht. So sehen die Wörter Holzhaus und Stoffhaus nicht nur auf den ersten Blick völlig gleich aus. Dennoch tendieren muttersprachliche Sprecher des Deutschen dazu, ohne Kontext Holzhaus als ein aus Holz gefertigtes Haus, also im Sinne einer Material-Relation zu verstehen, Stoffhaus dagegen als ein Kaufhaus für Stoffe, also als Exemplar eines anderen häufigen Musters, in dem eine Zweck-Relation vorherrscht. Wir ordnen also diese Bildungen auf den ersten Blick verschiedenen paradigmatisch ausgebauten Mustern zu, wir können diesen Unterschied auch durch systematisch verschiedene syntaktische Umschreibungen, durch Paraphrasen, verdeutlichen. Das Wort Holzhaus gehört so in eine Reihe mit Ziegelhaus, Blechhütte, Holzkiste, Holzschrank usw., alles in allem also in ein wohlausgebautes, da praktisch nützliches Muster von Benennungen von Artefakten, deren spezifischer Unter- schied bzw. auch deren klassifikatorische Gemeinsamkeit in der Materialangabe liegt. Diese Lesart ist naheliegend und oft lexikalisiert in Fällen, wo diese Beziehung einen hohen Grad an kultureller Erwartbarkeit hat. Ein Wort wie Holzhaus scheint für solch eine Benennungstiefe kulturell fast ideal eingebettet: Holz gehört - und gehörte - zwar im Umfeld unserer Kultur und ihrer Geschichte zu den erwartbaren Hausbau-Materialien, ist aber doch nicht der häufig nicht erwähnenswerte Normalfall des aus Ziegeln oder Ähnlichem gebauten Hauses, so dass sich dieses Wort gut dazu eignet, kulturell geprägte Erfahrungen aufzurufen: sei es der seit einigen Jahren wieder aufkommende Trend zu natürlichem Bauen, der sich in der Holzbauweise niederschlägt, sei es ein Teil der eigenen regionalen Geschichte, die durch bäuerliche Wohnbauten, die aus Holz gefertigt waren, bis zur Mitte unseres Jahrhunderts geprägt war, seien es prägende Geschichten aus Holzbaukulturen wie der skandinavischen. Holzhaus ist daher ein gutes komplexes Lexikonwort und nicht nur ein ad-hoc-Wort, weil es im Alltag unserer Lebenswelt einen sinnvollen Namen ergibt. So würden wir ein Wort wie Lebkuchenhaus m der Bedeutung eines Hauses, das aus [44] Lebkuchen besteht, am ehesten in die mögliche Welt der Märchen setzen, prototypisch in eine Hänsel-und-Gretel-Welt.
Bei der Bildung Stoffhaus - auch wenn es in Kinderwelten Häuser aus Stoff gibt - ist die erste Wahl wohl jenes Verständnis, bei dem [-haus] im Sinne von Kaufhaus verstanden wird, und wo im ersten Teil des Worts jene Dinge genannt werden, die dort gehandelt werden: Stoffe eben, oder Schuhe im Schuhhaus, Autos im Autohaus, was auch immer sprachlich genau im Elektrohaus oder im Sanitätshaus. Die schnodderige Verallgemeinerung des letzten Halbsatzes soll nicht die Schwierigkeiten der Paraphrase verschleiern, vielmehr liegen Charme und Nutzen dieser Art von Wortbildung gerade darin, dass die Beziehungen nicht expliziert werden müssen, sondern dass man sich darauf verlassen kann, dass der Text, unsere intertextuell vermittelte Weltkenntnis und die Kenntnis vorhandener Muster und häufiger Relationen uns beim Verstehen solcher Bildungen helfen. Dieser musterhafte Zusammenhalt, der als Versuch einer Namengebung verstanden werden kann, stellt auch einen deutlichen Schritt über nahe verwandte syntaktische Formen hinaus dar. So ist die beschreibende Wirkung entsprechender adjektivischer Attributbildungen, z.B. beim Materialtyp deutlich höher als beim Kompositum, wiewohl man sich links vom Nomen noch im durchaus verwandten Raum der Determination befindet. Wenn so Hans-Magnus Enzensberger (1987, S. 16) von den „riesigen Backstein-, Granit- und Sandsteinbergen des Ostermalen“ als „den steingewordenen Monumenten der schwedischen Bourgeoise“ schreibt, so ruft er in den Komposita, deren Erstglieder Steinarten bezeichnen, eine Klassifikation steingewordener Monumentalität auf. Wenn er einige Seiten weiter ein landsitzartiges früheres Eisenwerk darstellt, und dabei „der hölzerne Turm, dessen Glocke die ganze Gemeinde zur Arbeit rief“ (S. 36), erwähnt wird, so wird dem Turm mit dem Adjektivattribut hölzern eine individuelle Qualität zugesprochen, wie das mit einem Kompositum Holzturm nicht in gleicher Weise möglich wäre. Dieser klassifikatorische Charakter der Komposita gegenüber dem eigenschaftszuordnenden Charakter der Links-Attribution ist es auch, was es so mühsam erscheinen ließ, die relative Natürlichkeit von ad-hoc-Remotivierungen lexikalisierter Komposita völlig ernst zu nehmen: eine Tasse aus Milch - tiefgefroren - eine Milchtasse zu nennen, bedarf intensiver textueller Stützung.32 Dieser isolierte Charakter der Komposition wird am klarsten bei Beispielen wie den gerade diskutierten, in denen substantivische Lexeme miteinander kombiniert werden, die in sich keinen eindeutigen Hinweis darauf tragen, welche Beziehungen von ihnen ausgehen könnten.
und relationale Wenn eins der beiden Elemente - denn auch längere Bildun- Elemente gen sind in der Regel binär segmentierbar - jedoch solch einen Hinweis gibt, ist die Interpretation gleich viel leichter, die Auswahl ist eingeschränkt. Durch die grammatische Anbindbarkeit werden uns bestimmte Optionen der Interpretation nahegelegt. Der typische Fall dafür sind bestimmte ver[45]bal geprägte Elemente, bei denen die szenenschaffende Kraft dieser Wortart in Verbindung mit der lexikalischen Vernetzung der beiden Teile unser Verstehen steuert. So geht in die eine Zeit lang heftig diskutierten Komposita vom Typ Putzfrau das handelnde Subjekt gemeinsam mit der potentiell prädizierten Handlung ein: `Frau, die putzt', in das Substantiv Putzlappen das Prädikat mit einer instrumentalen Bestimmung, wie sie bei einem Verb wie putzen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist: `Lappen, mit dem man putzt'. Aber auch hier scheint das typische Merkmal von Komposita in der zusätzlichen Kategorisierungsleistung zu liegen, die man traditionell mit dem Terminus der Übersummativität zu fassen versucht; in unserem Fall betrifft das jenen Bedeutungsüberhang, der die Komposita als Namen für Typisches oder Professionelles erscheinen lässt: nicht jede Frau, die putzt, ist eine Putzfrau, sondern nur eine, die beruflich durch diese Handlung kategorisierbar wird. Und auch, dass Sätze möglich sind wie: er hat ein altes Hemd als Putzlappen benutzt, zeigt, dass Putzlappen eine funktionale Gesamtcharakteristik besitzt. Besonders deutlich ist dieser Effekt bei substantivischen Komposita mit einem adjektivischen Erstglied, deren syntaktische Erläuterung eigentlich auch kein Problem darstellt. Ein Wort wie Rotlicht kann in verschiedene Kontexte gehören, vom wärmenden niederspektralen Licht der Medizin, über das zum Halten mahnende Licht der Verkehrsampel, rote Warnlampen an Geräten, bis hin zur Markierung von Prostitution durch ein rotes Licht. Das alles zeigt nur, dass wir mit diesem Kompositum nur bestimmten konventionellen Verwendungen roten Lichts einen Namen geben. Nicht jedes rote Licht ist ein Rotlicht, Je spezieller nun diese Bedeutungen sind und je weniger wir sie in eine einfache und sinnfällige Beziehung zu den Teilen bringen können, desto demotivierter oder idiomatisierter nennen wir sie (vgl. Bergmann 1988). Der Grad dieser Idiomatisierung, dieser Bedeutungsidiosynkrasien mag in ganz eigenwilliger Weise variieren. So bedeuten die Substantive Holzhaus und Holztisch systematisch dasselbe, sie erlauben uns, von Häusern oder Tischen zu sprechen, die aus dem Baumaterial Holz hergestellt sind. Dennoch scheint uns eine Spezifikation wie Hartholztisch viel `normaler' als *Hartholzhaus; d.h. Holzhaus scheint noch um eine Stufe typisierter zu sein.
Mit diesem ersten Gang durch typische Bereiche der Wortbildung sind wir der Frage etwas nähergetreten, was es eigentlich heißt, Wortbildungen dienten zur Auffüllung von Benennungslückcn im Text und im Lexikon. Wir haben versucht, den spezifischen Platz der Wortbildung im Gegensatz zu denkbaren anderen Optionen, der Wortschöpfung und der Entlehnung, zu charakterisieren. Wir haben auch gesehen, was sie von syntaktischen Fügungen mit analogem lexikalischen Material trennt. Wir haben den Vorteil und die Grenze dessen beleuchtet, was man Motiviertheit nennt, und wir haben an Beispielen diskutiert, wie man aus textueller und aus lexikalischer Perspektive die Produktivität der Wortbildungsprozeduren beschreiben kann.
Ganz nebenher haben wir bei der exemplarischen Diskussion einer Reihe von substantivischen Determinativkomposita gesehen, was die Sprachwissenschaft an der Wortbildung interessiert und auf welchen Ebenen und mit welchen Methoden sie dabei die Untersuchungen in diesem Bereich angeht. Ausgangspunkt ist dabei immer, dass in der Wortbildung eine sprachliche Möglichkeit betrachtet wird, welche ein [46] Stück weit die Nachteile der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens für das Gedächtnis aufhebt. In den nach den Mustern und Modellen der Wortbildung entstnadenen und entstehenden Wörtern finden wir im Bezug auf bekannte Teile und Prozeduren eine relative Motiviertheit, die den einfachen Wörtern, den Simplizia fehlt. Dieser Rekurs auf Bekanntes erleichtert das Verstehen, selbst wenn auch bei diesen komplexen Lexemen gleich wieder die Konventionalisierung zuschlägt.
... und morphologische Diese relative Motivation lässt sich aus verschiedenen Rekonstruktion Richtungen beleuchten. Der klassische strukturalisti-sche Ansatz zielt auf die Segmentation in Konstituenten bei komplexeren Bildungen auf die Erstellung einer Hierarchie in der Regel binär organisierter unmittelbarer Konstituenten sowie der sich anschließend ergebenden Klassifikation der Teile, aber auch der Kombinationsmuster. Wie auf anderen Beschreibungsebenen sind Stammbaumdarstellungcn bzw. entsprechende Klammerungssysteme die typischen Darstellungsmittel dieses Ansatzes. Wie eine beispielhafte Darstellung bisher besprochener Exempel zeigt, wird hier eine an den Wortarten orientierte Darstellung angeboten, deren Kombinationsmuster - in den Bäumen augenfällig - Grundtypen mit einer rechtsvererbenden Struktur erkennen lassen:
(42) |
Isolier- -haus |
Wind- -hund |
Kaiser- jäg- -er |
[…]
Auf die genauere Ausfährung sei hier noch verzichtet, auch auf die Diskussion ambivalenter Fälle:
(43)
N
N/Adj/V? Fuge N
Elektr- -o- haus …
[47]Auf die genauere Ausführung sei hier noch verzichtet, auch auf die Diskussion ambivalenter Fälle:
Ungeachtet dieser Vorläufigkeit wird hier jener Grundtyp der Organisation sichtbar, den gewisse Schulen Rechtsvererbung nennen, und der in der morphologisch orientierten Diskussion als die im Deutschen weithin vorherrschende Determinans-Determinatum-Struktur beschrieben wird ist. Das rechte Element bestimmt wesentliche Merkmale der Gesamtkonstruktion. Nicht immer sind allerdings die Analysen eindeutig:
Manchmal wird das zu mehr oder minder guten Scherzen genutzt:
(45)
[48]
Hierbei hat die untere Variante glücklicherweise die höhere kulturelle Wahrscheinlichkeit für sich.
Nur andeutend sei darauf hingewiesen, dass dieses generelle Muster bei bestimmten Arten der Wortbildung, die sich nicht als Morphemaddition beschreiben lassen, zu Problemen führt: Besuch zu besuchen oder das Essen zu essen. Das führt bei der morphologischen Analyse gerne zu Lösungen mit Nullmorphemen:
(46) N N
V N V N
{besuch-} {ø} {essen} {ø}
Woran sich natürlich die Diskussion anschließt, wann und wie hier der Unterschied zwischen Null und Nichts zu bestimmen sei.
Noch problematischer ist in dieser Hinsicht das `Elementen-Zooming' bei der Kurzwortbildung, die sich ja nicht einmal immer auf Morpheme bezieht, wie man am Element fö des folgenden Beispiels gut sehen kann:
(47) B a fö g
Bundes ausbildungs förderungs gesetz
Wegen der so grundlegenden Andersartigkeit kann man sich natürlich fragen, wo hier die Grenzen der Wortbildung hin zu anderen, bisher noch nicht recht beschriebenen Techniken ökonomischen Sprachgebrauchs liegen.
Man möchte dabei sowohl an terminologische Festschreibungen der verschiedensten Art denken, die uns eine Art indexikalische Stütze geben, so wenn der Vater dei Valenzgrammatik, Lucien Tesnière, seine Wortarten gemäß den entsprechenden Endungen im Esperanto benennt: O für Substantive, E für Adjektive, I für Verben, wenn die Einheit für den elektrischen Widerstand in der Physik in honorifizierender Weise Ohm gesprochen und Ω geschrieben wird, wenn internationalistische Kürzungen Langformen quasi übersetzen: Sauerstoff = O = Oxygen, Handelsmarke = ™ = trade mark, wenn piktographische Siglen ihre knappe Nachricht an uns richten, wie das im politischen Bereich das A im Kreis der Anti-Atomkraftbewegung tut, als auch an jene ikonisierenden Übersetzungen in das Buchstabensystem wie T-Profil, S-Linie, U-Profil mit derzeit seriös wohl noch nicht genutzten Mustern wie 8ung o.ä.. Viel wissen wir dazu noch nicht, klar ist allerdings, dass jene letztgenannten Typen ikonisch eine Art absoluter Motivation suchen - eine Art Onomatopoetica der Graphie -, die normalen Wortbildungstypen die Erhöhung des Grades relativer Motivation, und die anderen genannten Typen von den Kurzwörtern anfangend eine Art indexikalischer Motivation, welche die Eingeweihtheit in die Art des Hinweises verlangt, wenn er wirksam sein soll. [49]
Kritisch, weil zweifellos eine Erscheinung, die innerhalb der Wortbildung zu lösen ist, sind Problemfälle aus zentralen Bereichen der Bildung komplexer Verben. Wenn die Infinitiv-Endung -en ein Flexiv ist und daher bei Wortbildungsanalysen als wort- formbildend in der Regel ausgeschieden wird, ist zwar ein Verb wie aufessen kein Problem:
(48)
V
Präf V
auf- -essen
Präfixe gelten nicht als wortartdeterminierend. Ein Problem sind sie aber in den Fällen, wo sich ein nichtverbales Lexem als Basis findet, das auch nicht vorher in ein entsprechendes verbales Simplex eingegangen ist. Ein solcher Fall ist zum Beispiel das Verb aufgabeln, das man in etwa folgendermaßen zu analysieren hätte:
(49) V
NP[?] V
Präf N
auf- -gabel- ø
Damit stehen wir vor vielfältigen Problemen. Neben der Verschärfung des ø-Morphem-Dilemmas haben wir auch noch mit dem virtuellen Charakter der restlichen Einheit zu kämpfen. Wenn wir aber, wie es hier in den oben aufgeführten ø-Morphem-Fällen sinnvoll ist, annehmen, dass das Auftreten des entsprechenden Flexivinventars - im vorliegenden Beispiel also der Infinitivendung in der Nennform - die Wortart klarmacht, kommt man kaum umhin, den Tatbestand, dass das Element -gabel- hier im verbalen Umfeld auftaucht, mit dem Präfix auf- in Verbindung zu bringen, da man ja sonst in das Problem der angedeuteten Vertikalität der obigen Struktur gerät. Da Elemente wie auf- hochgradig typisch für das Verb und dort reihenbildend sind, ist das nicht prinzipiell abwegig, führt aber gerade im verbalen Bereich zu einer auffälligen Verkehrung des üblichen Strukturmusters. Ein Verb wie aufgabeln ist dann ja nicht zu erläutern als ein Fall von *gabeln durch auf-; vielmehr handelt es sich um den Aufruf eines bestimmten Untertyps des auf-Musters, in dem Gabel als ein sinnvolles Schemaelement auftauchen kann. Wir können davon ausgehen, daß im Lexikon des Sprechers ein `Transporttypus' gespeichert ist, der sich um das zentrale Verb aufladen anordnet, und bei dem eine der typischen Untergruppen die ist, bei der das Instrument genannt wird, das zum Aufladen genutzt wird. Solch ein Verb steht also als ein insgesamt reproduzierbares und analog weiterbildbares Muster zur Verfügung. Und morphologisch funktioniert das auf der Basis, dass hier das Präfix für die Sicherung der Wortartzugehörigkeit zuständig ist. Gerade bei den Verben lassen sich solche Prozeduren logischerweise mit den Beziehungen korrelieren, die von der verbalen Valenz bzw. weiteren Abhängigkeitsrelationen ausgespannt [50] werden. Die entsprechenden Verhältnisse sind in Eichinger (1989) mit vielleicht etwas eindeutiger Syntaxlastigkeit dargestellt. […]
1.4 Stellung der Wortbildung [56]
Wir haben bisher an verschiedenen Stellen gesehen, dass die Wortbildungslehre die Mittel der Morphologie nutzt, um Einheiten zu schaffen, die im Räume der Äußerungen als ganze Elemente einen Platz finden können. Dieser Raum der Äußerungen ist strukturell von der Syntax beherrscht, die dann wiederum von Grundstrukturen der Aussageintention, die sich in so etwas wie Thema-Rhema-Strukturen niederschlagen, überlagert wird.
Wörter iN In diesem Raum textuell überlagerter syntaktischer Struktu-SATZ UND TEXT ren müssen die Wortbildungen eingebaut werden, in ihm sind sie aber auch als etwas Spezifisches zu erkennen. Das führt natürlich dazu, dass Strategien und Weisen der Kodierung gewählt werden, die nicht gänzlich different sind von dem, was auf den anderen Ebenen passiert, die aber trotzdem die Eigenleistung dieses Bereichs zeigen. Zudem haben, wie bereits angedeutet, die verschiedenen Arten von Wortbildung einen unterschiedlichen Sinn - das schlägt sich dann natürlich in einer unterschiedlichen Nähe oder Ferne zu anderen linguistischen Ebenen nieder, die gänzlich anderen oder vergleichbaren Funktionen dienen. Wie sich diese Nähe und Ferne, diese Ähnlichkeit und relative Eigenständigkeit niederschlagen, hat zudem unmittelbar damit zu tun, welche Optionen das Deutsche bei seinem typologisch-strukturellen Charakter zur Verfügung stellt.
Man kann das anhand zentraler Wortbildungsmöglichkeiten der wichtigsten Wortarten andeuten. Die Wortbildung des Substantivs betrifft gemäß der syntaktischen Verwendbarkeit dieser Wortart Möglichkeiten, den lexikalischen Kern der Nominalgruppe auszubauen, Information in ihm zu kondensieren bzw. zu modifizieren oder lexikalische Einheiten überhaupt erst für den Gebrauch als lexikalischer Kern der Nominalgruppe geeignet zu machen. Die sich ergebenden Konstruktionen müssen also als spezifische Möglichkeiten erkennbar sein, diesen Platz in deutschen Sätzen einzunehmen. Der Einfachheit der Argumentation halber wird hier nur auf die Gesetzmäßigkeiten der geschriebenen deutschen Standardsprache eingegangen, die gegebenenfalls nötigen Modifikationen im Hinblick auf andere subsystemische Varietäten werden nicht berücksichtigt.34 [57]
Zum Beispiel: Die Analyse substantivischer Wortbildung hat mit den grund-Der Kern der sätzlichen Gesetzmäßigkeiten der deutschen Nominalgruppe Nominalgruppe zu rechnen. Was gehört zu dieser Prägung durch den Sprachtyp? Bei der syntaktischen Realisierung eines Substantivs als Kern einer Nominalgruppe spielt das Verhältnis zwischen diesem zentralen Substantiv und dem Artikel bzw. verwandten determinierenden Elementen eine zentrale strukturierende Rolle. Zwischen diesen beiden Elementen oder Positionen in der Nominalgruppe besteht eine Korrelation, die man mit dem Begriff der Nominalklammer zu erfassen versucht. Für unseren Zweck ist die wichtigste Eigenheit dieser Klammer, dass nur in ihrem Bereich die nominale Flexion und die durch Kongruenz gesteuerten Zusammenhänge zwischen den beteiligten Elementen auftauchen und strukturierend wirksam werden. Artikel und Substantiv spielen bei der Zuordnung der verschiedenen flexivischen Kategorien eine Rolle, auch das Paradeattribut dieses Bereichs, das attributive Adjektiv, ist auf jeden Fall immer flektiert und im Einzelnen in verschiedener Weise in das Kongruenzsystem eingebunden. Diese unterschiedlichen Weisen, die sich in der Wahl der schwachen (nominalen) oder starken (pronominalen) Endungssätze niederschlagen, sollen jetzt nicht genauer erläutert werden. Wesentlich ist, dass die Erweiterungen links vom Kernsubstantiv bis hin zu diesem im Bereich der Flexion und Kongruenz liegen. Zudem ist die Beziehung zum Adjektivattribut von einer eigentümlichen Ambivalenz gekennzeichnet. Wenn das Adjektiv, wie man an den Kongruenzbeziehungen schon sieht, auch auf jeden Fall formal abhängig ist vom Auftreten und den Eigenheiten der Artikel-Substantiv-Gruppe, so handelt es sich strukturell wie semantisch doch um eine freie Hinzufügung, umgekehrt sättigt eigentlich das Substantiv eine Leerstelle des Adjektivs. Ein Adjektiv wie gut eröffnet eine Leerstelle für die Bezeichnung von jemandem oder etwas, von dem angenommen werden soll, dass er oder es diese Eigenschaft hat. Wesentlich offener und formal anders strukturiert ist die rechte Hälfte der Nominalgruppe. Erstens ist hier kein klammerndes Ende abzusehen. Zum zweiten sind es nicht Flexion und Kongruenz, welche an dieser Stelle die Zusammenhänge in der Nominalgruppe klar machen, sondern verschiedene Arten von Abhängigkeit, deren Abstufung durch verschiedene Arten von Junktoren klargemacht wird. Dabei führen rektionsähnliche Beziehungen zu einer Signalisierung der Abhängigkeit durch Genitive und feste Präpositionalverbindungen, freiere Beziehungen nutzen Präpositionen oder konjunktionale Gleichsetzungsoperationen. Und je weiter man nach rechts kommt, desto aussagehaltiger, ,satzförmiger' werden die Formen, auf die wir treffen. Eine solche Beschreibung der Struktur der deutschen Nominalgruppe nimmt den typologischen Status des Deutschen ernst, der gegenüber den europäischen Nachbarsprachen durch eine eigenwillige Verknüpfung zweier Typen von Information gekennzeichnet ist. Im Deutschen wirken Informationen aus der Serialisierung auf eine zum Teil ergänzende, zum Teil gegenseitig unterstützende Weise mit Informationen aus der Morphologie zusammen.
…und die drei Wege hat die Wortbildungslehre hier drei Möglichkeiten, um
der Wortbildung mit ihren Mitteln anzugreifen. Sie kann Elemente durch das Zusammenwirken adjektivischer und nominaler Flexion am rechten Ende der Klammer als Substantive kennzeichnen, sie kann Wörter als Ganze [58] in ihrer semantischen Klasse, ihrem Genus und Flexionstyp usw. kennzeichnen. Diese Art von Information wird im Deutschen ja prinzipiell rechts vom Nomen kodiert. Links vom Nomen kann die Wortbildung Informationen, die in der Syntax mehr oder minder explizit zu geben wären, als bereits behauptete Eigenschaften an dem Platz, der dafür gedacht ist, einbauen. Dieser Platz ist eindeutig links vom Nomen, wir haben ja andeutungsweise gesehen, dass dem adjektivischen Attribut solche Eigenschaften zukommen. Klar ist, dass hiermit zumindest in den jeweiligen Übergangsbereichen das Problem auftaucht, wo einerseits, bei der Attribution, die Syntax endet und die Wortbildung beginnt, andererseits, bei der Wortart- und Wortklassenkennzeichnung, die flexivische Morphologie endet und die Wortbildung beginnt. Um klarzumachen, wo hier die Unterschiede liegen und wo Abgrenzungsprobleme auftreten, sollen die eben angedeuteten Verhältnisse noch an einigen Beispielen verdeutlicht werden.
Den Standardweg zur intensionalen Anreicherung und extensionalen Beschränkung der Reichweite von substantivischen Lexemen stellt zweifellos die Bildung substantivischer Determinativkomposita dar. Die übliche Analyse dieses Bildungstyps durch geordnete syntaktische Paraphrasen zeigt schon, dass dieser Typ von Komposition dazu dient, verschiedene Arten von Relationen zu integrieren. Beim typischsten Fall, der sogenannten N+N-Komposition, handelt es sich um Relationen, die, zum Teil in selbständigen syntaktischen Beziehungen, zum Teil in attributiven Fügungen, mit den diesen Ebenen entsprechenden Mitteln ausgedrückt werden können. Wenn wir zum Beispiel den folgenden Beleg haben,
(58) Amselpaarhüpfzeit (im Zug vor Augsburg, 1. April) (Handke 1998, S. 39)
dann heißt das Folgendes: Wenn man die Verhältnisse syntaktisch zu analysieren versucht, könnte man sagen, dass im Kern ein Lexem {hüpf} steht, an das in Subjektsrelation das Lexem {paar} angebunden wird und in temporaler Relation das Lexem {zeit}. Wenn man so will, ist hier die Proposition, dass es sich um ein Paar von Amseln handle, impliziert. Paraphrasierend könnte man sagen: `Zeit, zu der die Amselpaare hüpfen'. Integriert in eine attributive Struktur wäre anzusetzen: `Zeit der hüpfenden Paare von Amseln'. Die Wortbildungsstruktur ebnet die hierarchischen Strukturen der verschiedenen Arten von syntaktischer Verdichtung ein, und signalisiert durch Unselbständigkeitsmerkmale das Tiefergehen auf den Stufen der Wortbildungshierarchie. Dabei wird bei {hüpf} die Abhängigkeit durch deutliche Merkmale der nicht-selbständigen Realisierung gekennzeichnet - traditionell sagt man, es handle sich um den Verbstamm. Weniger deutlich ist das bei Amselpaar, wo lediglich das Fehlen jeglicher Aktualisierungsmerkmale die Abhängigkeit signalisiert. Aufgrund der Ungewöhnlichkeit der Wortbildung kann man zudem über die genaue Hierarchie an dieser Stelle im Unklaren sein. Ist der April die Paarhüpfzeit für Amseln, was eine ganz nette Interpretation wäre, oder die Hüpfzeit für Amselpaare. Nachdem es nicht mehr Kontext gibt als den oben angegebenen, ist die Sache nicht endgültig entscheidbar, es hängt eigentlich damit zusammen, ob wir der Einheit Paarhüpfzeit einen einheitlichen Sinn geben können und wollen. Was wir daraus für Komposita insgesamt ablesen können, ist, dass sie unsere Dekodierungsstrategien in ganz spezifischer Weise instruieren. [59]
Was geschieht im Deutschen, wenn wir im Text auf ein Kompositum treffen? Auf die Erstelemente von Komposita stoßen wir, nachdem wir die Nominalklammerpraktisch ganz durchlaufen haben. Diese Strecke der Nominalgruppe ist durch Kongruenz und ihren Ausdruck in flexivischen Elementen gekennzeichnet. Wir wissen, was wir dabei zu erwarten haben, in der Reihenfolge von pronominaler und nominaler Flexion, von verschiedenen Bedeutungsgruppen von Adjektiven und dergleichen mehr. So gesehen begegnen wir mit dem ersten Element eines Kompositums einer Insel der Nichtaktualisierung. Dort werden die Abhängigkeiten und hierarchischen Beziehungen auf eine vergleichsweise wenig explizite Weise signalisiert - und auf jeden Fall nicht mit den Aktualisierungsmerkmalen der jeweiligen Wortart. Mit diesen Techniken können an dieser Stelle Elemente in den Kern der Nominalgruppe, das substantivische Lexem integriert werden, die in ihrer syntaktischen Realisierung der linken und der rechten Hälfte der Nominalgruppe zugehören können. Die Elemente, die attributiv rechts vom Nomen angeschlossen werden, werden dabei spiegelbildlich links vom Kernnomen angefügt, und geraten so aus dem Bereich hinzugefügter neuer Information in den Bereich links vom Nomen, wo wir mit bereits erwartbarer Information rechnen.
(59) Sie werden, wenn Sie durch die Dörfer dieser Leute gehen, deren Frauen ausschließlich mit Bundesbahnwaggonvorhängen und -überzügen umwickelt gekleidet herumgehen sehen und die Hüften aller Männer ausschließlich mit Bundesbahnwaggonfenstergurtgürteln umschnallt! (Jonke 1979, S. 176)
a) Bundesbahnwaggonvorhänge vs. Vorhänge aus den Waggons der Bundesbahn
3 2 1 1 2 3
b) Bundesbahnwaggonfenstergurtgürtel vs. Gürtel aus Gurten der Fenster von Waggons
5 4 3 2 3 1 2 3 4
der Bundesbahn
5
Diese relativ strikte Abgrenzung von Wortbildung gegenüber syntaktischen Konstruktionen verdankt das Deutsche der Kombination von Stellungsordnung und Verteilung flexivischer Strukturen in der Nominalgruppe. Das betrifft zum Beispiel die Integration adjektivischer Erstglieder, die im Deutschen flexionsfrei erfolgt und auf relativ wenige Adjektive beschränkt ist. Die folgenden Beispiele sollen auch darauf hindeuten, dass hier wie auch sonst in der Wortbildung, die Akzeptabilitätsgrenze für solche Bildungen nicht eindeutig festliegt (vgl. Motsch 1999, S. 380):
(60) Wo seine „Bekannte" zu einer bedenklichen Hochform auflief in puncto Laufend-Blödsätze-des-Tages-ablassen-und-es-nicht-Merken, wo sie sich in ihren abgerissenen Jeans zwar als höchst langbeinig erwies, vornehmlich aber als doofbeinig. Sah zur Franzi, als hinge er an ihren unentwegt Klugsätze formulierenden Lippen, […]. (Politycki 1997, S. 167, 169)
An anderer Stelle setzt die Suffixderivation an, nämlich unmittelbar am Ende des flexivischen Bereichs, vor der Flexion des Kernnomens. Dort wird in quasimorphologischer Art eine generelle Klärung über die substantivischen Paradigmenkategorien gesucht.
(61) die entfesselten Erinnerer, die unter Ausschaltung des umwälzenden Herzens […] niemals vergessen können. (Strauß 1997, S. 56)
In diesem Polster sind sie sicher vor den Härten und Schärfen des Tages. [60]
Bei der leisesten Ungenauigkeit bricht er ab und korrigiert. Sein musikalisches Gedächtnis ist unfehlbar, sein Pfeifen virtuos. Wie in allen Dingen, so strebt er auch hier nach Perfektion.
[…] die Hinterlassenschaft geordnet (Rehmann 1999, S.78, 95, 164)
Die Suffixe dienen, wie in den Beispielen angezeigt, primär der Veränderung der Wortart, beziehungsweise der Festlegung der Wortart Substantiv. Sie sind in dieser Funktion auch weithin spezialisiert. Deverbal sind eine ganze Reihe von Bildungen, hier vertreten durch das nomen agentis Erinnerer und das nomen actionis Ausschaltung. Die Suffixe {-e}, {-heit/-keit/-igkeit} und {-ion} leiten deadjektivische Bildungen ab, in denen die jeweilige Eigenschaft benannt wird. Die von Partizipia II herzuleitenden Bildungen auf {-nis} und {-schaft} sind nomina acti, die hierzu verwendeten Suffixe stehen eher am Rande der heute produktiven Muster.
Dass wir hier nahe an der Flexionsmorphologie sind, zeigt sich daran, dass an dieser Stelle im Bereich der Movierung Doppelungen der klassematischen Information auftreten können, die es schwer machen, zu entscheiden, wo die Grenze zwischen Flexions- und Wortbildungsmorphologie liegt. Sofern aber in solchen Fällen nur das jeweils am weitesten rechts stehende Element in einen paradigmatischen morphologischen Wandel eingebunden ist, halten wir diese Unterscheidung für nützlich. So ist {-in} ein Wortbildungsmorphem, ebenso wie dann beim Adjektiv die Steigerungsmorphologie:
(62) Wenn die Zahnarzthelferinnen hier alle so schöne Löcher im Kleid haben (Politycki 1997,S. 165)
Aber die schlimmste Krankheit […] ein verzehrendes Heimweh nach den Marschen und den versunkenen Wäldern Frieslands. (Ransmayr 1991, S. 38)
Die Suffixe leisten auf explizite Weise, was wir bei Simplizia aus der Nominalsemantik direkt ablesen müssen, nämlich die Einordnung in Subklassen, die uns bei der grammatischen Sortierung helfen. Als zusätzlichen Nutzen bringen sie mit sich, dass die Paradigmenkategorie Genus durch die Suffixe ziemlich eindeutig determiniert wird.
Die dritte grundlegende Möglichkeit ist die einfache Integration in die Wortart Substantiv. Sie nutzt die strikte Begrenzung nominaler Flexion auf den Raum links von N auf die Weise, dass man ein praktisch beliebiges Element mit substantivischer Flexion versehen, an die äußerste rechte Grenze der Nominalklammer bringt - was dort steht, ist das Kernsubstantiv der Nominalgruppe. Das ist natürlich am leichtesten bei einem Element, das ohnehin schon flektiert im Rahmen der Nominalgruppe vorkommt. Das ist der Fall beim attributiven Adjektiv. Hier scheint es übertrieben, bei der Substantivierung von einem echten Wortartwechsel auszugehen, das Adjektiv verändert, wenn es an den rechten Rand der Nominalgruppe tritt, seine Flexion gar nicht. Man kann somit die substantivische Verwendung dieses Typs für eine sekundäre Verwendung der Wortart Adjektiv halten, wobei sich zeigt, welche Wörter zum Kernbereich dieser Wortart gehören, denn nur sie erlauben solch eine Verwendung. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass mit diesen Adjektiven das, was man Konversion nennt, deutlich in der wortartspezifischen Morphologie fundiert ist, sodass man hier eigentlich nicht von Konversion, sondern von Umkategorisierung reden sollte: [61]
(63) Der Alte griff mit einer raschen Handbewegung nach dem Fähnchen.
Das Tiefrote hier, über den Faltenwurf der Plane Verspritzte, das Leuchtende, das sei alles Jägerblut. (Ransmayr »Die letzte Welt«. Frankfurt/M. 1991, S. 16/17, 23)
In gewisser Weise in eine andere Richtung weisen die Bildungstypen, die wir hier unter dem Oberbegriff „Inkorporation“ zusammengefasst haben, also Bildungen, wo die semanto-syntaktische Nachbarschaft zur allmählichen Univerbierung der Bildungen führt. Sie setzen grundsätzlich an den Beziehungen an, die im Zweitelement, der rechten Konstituente, angelegt sind. Bevorzugt ist das natürlich bei Determinativa der Fall, in die ein verbales Lexem mit seiner Bildungsfähigkeit eingegangen ist. Diesen univerbierenden Wortbildungen und den Schemata, die sich in den Valenzbeziehungen der Syntax niederschlagen, liegen somit die gleichen Strukturen zu Grunde. Es sind die Kodierungstechniken von Syntax und von Wortbildung, die dann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
(64) Ich prüfe nochmals: der frische Augenglitzer auf dem Foto (Strauß 1997, S. 141) vs. die Augen glitzern frisch
Ein Übermaß an Fratzenschneiderei (Strauß 1997, S. 115) vs. jmd. schneidet Fratzen
eine durch die in ein paar Stunden anbrechende Finsternis rollende gewälzt zischende Chorkonzertunterhaltung (Jonke 1979, S. 237) vs. man wird durch ein Chorkonzert unterhalten
als fröhlich bunte Volksfesterinnerung (Jonke 1979, S. 237) vs. man erinnert sich an das Volksfest
Was an dieser Stelle bei der Ableitung der Wortbildung aus den notgedrungen expliziten syntaktischen Fügungen als merkwürdige Restriktion erscheint, ist eigentlich ein einigermaßen perzeptiv ökonomischer Umgang mit den in der Lexembildung möglichen Kodierungstechniken. In ihnen ist die Umsetzung von nur semantisch rekonstruierbaren präpositionalen Fügungen im Prinzip nicht vorgesehen, daher sind auch all jene Dinge nur schwer auf diese Weise zu kodieren, die im Bereich der substantivischen Attribute durch freie Präpositionalphrasen ausgedrückt werden. Das heißt, leicht zu kodieren sind all jene regierten Relationen, die in der weniger integrierten Form der Attribution unverändert als präpositionale Phrasen mit erwartbarer Präposition oder als Genitivattribut kodiert werden - und natürlich als Adjektivattribute, was aber das angesprochene Problem nicht betrifft. Damit wären das - indirekte - Dativobjekt und bestimmte adverbiale Beziehungen am schwersten so zu kodieren.
Einen doppelten Platz hat die Präfixbildung in diesem Spiel. Sie hat von der Struktur her natürlich Ähnlichkeiten mit der Derivation mit Suffixen, auch hier tritt an ein lexematisches Element ein lediglich der Wortbildung dienendes gebundenes Wortbildungsmorphem. Andererseits modifizieren diese Präfixe - zumindest im nominalen Bereich - die Basis in einer Weise, die eher an die Komposition erinnert:
(65) […] das von Fama vorausgesagte Unheil zu bannen. (Ransmayr: »Die letzte Welt«. Frankfurt/M. 1991, S. 113)
Was heißt das für den Platz der Wortbildung im Gefüge der Ebenen linguistischer Beschreibung? Es heißt eigentlich, dass sie Techniken entwickelt hat, die es erlauben, an alle verschiedenen als benachbart zu denkenden Bereiche anzuschließen. So erscheint denn der Übergang zur Komposition im Licht ihres oben geschilderten Platzes in der Nominalgruppe als das Umkippen der Linie syntaktischer Verdichtungstypen, die vom Satz bis zur attributiven Fügung reichen, in den Bereich des Lexikons hinein. Die Derivation systematisiert den Platz vor der Flexion, die Konversion setzt an Übergängen an, die in der Flexionsmorphologie bereits vorgearbeitet sind und die Inkorporation erlaubt den unmittelbaren Zugriff auf lexikalische Einheiten, die einer Generalisierung bestimmter syntaktischer Fügungen entsprechen. Auf diese Art und Weise erscheint die Wortbildung des Substantivs umfassend ausgebaut.
Wir das bei den anderen Wortarten genau aussieht, wwird in den folgenden Kapiteln darzustellen sein.
… und Text-Ökonomie Worauf wir beim Substantiv noch nicht eingegangen sind, ist ein Spezifikum dieser Wortart, nämlich die Kurzwortbildung. Eigentlich handelt es sich bei dieser Reduktionstechnik mehr um ein Verfahren mit einer Intention, die den üblichen Interessen der Wortbildung zuwiderläuft. Wo diese eigentlich Verständnis durch relative Motivation aufzubauen versucht, erinnert die Kurzwortbildung allenfalls noch an Grundstrukturen, ist ökonomisch auf Kosten der Explizitheit.
(66) `All these Initials', says Philip,
`It's supposed to save paper und typing time'' says Pamela. `We had a memoround about it. Acrowhatsits to be used whenever possible in University correspondence.' (David Lodge (1988): Nice Works. London, S. 84)
Dieses Zitat aus englischen Verhältnissen, das sich aber problemlos auf die deutschenübertragen lässt, hebt auf die Akronyme ab, also Bildungen, die eine ausgeführte Kurzwortklassifikation unter die Initialkurzwörter rechnet, einen Fall der Kopfformen, der in weiten schriftsprachlichen Kommunikationsbereichen prägend ist.
(67) Eine typische offene KW-Silbe kann also einer Silbe des BL nur dann entsprechen, wenn sie bereits dort eine offene Silbe ist [...]. In diesen Fällen kann nicht festgestellt werden, ob das SI-KW nach dem typischen Muster, also mit offenen KW-Silbengebildet wird, oder ob die Silbenstruktur des BL übernommen wird, da beide identisch sind. (Kobler-Trill 1994, S. 77) 36
Es sind das jene Wörter, wo die Anfangsbuchstaben oder -laute, so klar mag das hier nicht sein, zu einer neuen Bildung zusammentreten. Der vorstehende Text ist insofern typisch, als eine der Hauptfunktionen dieser Bildungen ist, fachliche Texte von unnötiger terminologischer Länge zu befreien. Dennoch, und das wird auch an diesem kurzen Text schon deutlich, in dem eigentlich nur drei Kurzwort-Typen vorkommen, hält sich die Leserfreundlichkeit solcherart systematisch komprimierter Texte in Grenzen. Das ist weniger der Fall, wenn die Kurzwörter zumindest in den einschlägigen Kreisen, eine gewisse Geläufigkeit haben. Dazu gehören Bildungen wie DaF für [63] Deutsch als Fremdsprache, und BDI für den Bundesverband der deutschen Industrie. Schon an diesen beiden relativ harmlos wirkenden Beispielen wird das Doppelgesicht auch der Bildung usueller Kurzwörter erkennbar. Natürlich sind die Bildungen kürzer, und in diesem Sinne bei textueller Rekurrenz zweifellos ökonomischer. Andererseits neigen diese Bildungen, zumindest bei den Kennern des jeweiligen Weltzusammenhangs zur Verselbständigung: Der Namensgebungsakt, der in der Verbindung zur langen Basisform liegt, wird textuell nicht mehr wiederholt, das Ganze bekommt terminologischen oder Namencharakter. Und wie es mit terminologisch geprägten Einheiten auch sonst geht, werden sie, außer als ein Mittel zur reibungslosen Spezialistenkommunikation auch zur Gruppenstabilisierung genutzt. Mehr noch als bei sachlichen Kürzungen spielt das bei Kürzungen eine Rolle, die im Gegensatz dazu typischerweise Gruppensprechsprachen zugehören. Viele dieser Bildungen gehören einem Bereich an, den man im Rahmen der Fachsprachenforschung als Werkzeugsprache bezeichnet hat. Das beginnt bei deiktisch bedingten Verkürzungen, wie sie für praktische Zusammenhänge typisch sind, wo denn eben in handwerklichen Zusammenhängen jede noch so kompliziert zu benennende Maschine auf den generischen Schluss reduziert wird - das ergibt dann elliptische Endformen. Jede noch so kompliziert zu benennende Bohrmaschine kann so auf den Bohrer zurückgefahren werden. Das ist eine funktionale Möglichkeit, die parallel ist etwa zu metonymischen Setzungen des Markennamens: der Bosch für den Kühlschrank - also eine Art Kopfform. Beide prinzipiell textuell und empraktisch eingebundenen Möglichkeiten tauchen an einzelnen Stellen in der Stabilität des Durchschnittssystems auf, von (Violon)cello bis (Fahr)rad, von Tempo(taschentücher) bis Tesa(film). Gerade bei dem letzten Typ ist die `prototypische' kulturspezifische Einbindung offenkundig: wenn schon im österreichischen Deutsch das bundesdeutsche Tempo aufgrund der anderen prädominanten Marke Scotch heißt. Mit den zunehmenden Akronymprägungen englischsprachig beeinflusster Bereiche der modernen Alltags- und Technikkultur gewinnt hier der Typ der Verselbständigung von Akronymen eine gewisse Bedeutung: bei den Computerleuten heißt der SCSI-Adapter mit einer gewissen phonetisch-phonotaktischen Erweiterung gern Skasi. Diese spezifische Bildung ist auch deshalb von Interesse, weil sie von einem anderen Zusammenhang der Dinge zeugt, der in den letzten Jahren in Tendenzbeschreibungen andeutungsweise angesprochen wird. Auf <i> endende Kurzwörter wechseln auf mehr oder minder deutliche Weise in den Bereich einer in verschiedenen Nischen ausgebauten, allerdings meist deutlich sprechsprachlichen, Ableitung mit {-i} hinüber - vielleicht könnte man sogar eine Allographie <i, y> annehmen. Von der echten Kopfform Uni(versität) zur i-Ableitung Profi ist an sich kein weiter Weg. Allerdings stellt sich der Ableitungsweg dieses Worts aufgrund der phonotaktischen Bedingungen, denen dieser Bildungstyp zu folgen scheint, etwas komplizierter dar. Bildungen auf {-i} scheinen zumindest präferiert zu einsilbigen, auf Konsonanten endenden Basen gebildet zu werden. Im Fall von Profi ist nun diese Basis eine Art Konfix, das sich als Kopfelement einer im Deutschen praktisch nur in der entlehnten Form Professional vorkommenden Basis erklären lässt. Solche Bildungen könnte man auch Lexemkernbildungen nennen: sie scheinen in diesem Bereich insbesondere dafür eine Rolle zu spielen, dass Basen mit entsprechender phonotaktischer Form entstehen. Softi wie Grufti, Blödi wie Hirni, [64] Spasti wie Evi, ja auch Knacki (`zu Gefängnis Verknackter') sind auf diese Weise zu erklären. Auch die regional verstärkten Sachbezeichnungen um Müsli, Rösti und dergleichen passen in diese Reihe. Hierbei sind zum Teil stark assoziativ zu deutende Bildungen möglich, so wenn zum Beispiel eine Unterwäschefirma einen Slip Sloggi nennt. Das {-i}-Muster bleibt erkennbar, zudem irgendwelche Assoziationen zwischen Slip und slim. Dass wir uns hier in einem interessanten, weil nur schwer entwirrbaren Zwischenbereich autochthoner und nichtautochthoner Wortbildung befinden, mag auch der Name TeVi einer Kette von Elektrogeschäften zeigen. Auf der graphischen Oberfläche - der Wahl der Groß- und Kleinbuchstaben - wird gan zoffenkundig auf den Internationalismus TV `Fernsehen' Bezug genommen, der im Deutschen im Unterschied zu den europäischen Nachbarsprachen eine ambivalente Stellung hat. Gesprochen wird er entweder mit den deutschen Buchstabennamen, oder in englischer Lautung mit Endbetonung. Der Name des Geschäfts scheint in dieser Hinsicht zu mischen, und bringt auf diese Weise jedenfalls `Stammbetonung' mit sich, wodurch das Ganze als eine {-i}-Bildung auf Basis eines solcherart rekonstruierten `Lexemstammes' des deutsch gesprochenen Initialworts interpretierbar wird. Auch die oben angedeutete Allographie zeigt, dass wir uns mit diesen Bildungen im sprachlichen Übergangsbereich befinden, so wenn etwa ein Müsliriegel Corny heißt. Aber auch an anderen Stellen des Kurzwortfeldes gibt es eigentümliche Übergangsphänome einer Art Pseudo-Suffigierung, wenn auch häufig in medialen, d.h. `gemachten' Zusammenhängen. Hier scheinen sich sozusagen zufällige Endungen systematisch auszuweiten. Dabei bildet sich eine Generalisierung über deutlichschriftlich geprägten Endformen aus, so etwa bei <x>, das ja zum Beispiel schon bei Fax eine lediglich graphisch bedingte Überschreitung gegenüber anderen Struktureigenschaften der anzusetzenden Basisform Faksimile darstellt.37 Dazu passen ins Deutsche gekommene englische Plurale, die graphisch zu <x> umgesetzt werden: man vergleiche die Firma Techtronics, die sich Tektronix schreibt. In ein solches Umfeld passt es dann, dass das <x> am Ende von Index zum klassenbildenden Endelement entsprechender Börsenverzeichnisse wurde: Dax (`Deutscher Aktienindex').Ähnlich mag es sein mit bestimmten Firmennamen, die am rechten Rand das Initialwort AG integriert haben, so wie in Dywidag oder Keramag oder ähnlichen Bildungen. Man könnte sich auch überlegen, ob das Zweitelement {-com} wie in Telekom, Intercom, Mobilcom einen gewissen Selbständigkeitscharakter gewinnt. Letztlich ist offenkundig, dass etwa das Element /-a/ zumindest als klassenmarkierendes Endelement bei Produkten des alltäglichen Ge-brauchs gewählt wird. Das mag, wie oben schon im Fall von /i/ gesehen, zum Teil in den Ausgangslexemen angelegt sein, zum Teil aber nicht: so steckt in Rama zweifellos noch Margarine (und der Rahm), aber auf keinen Fall findet sich so etwas in Nivea oder bei dem Kurzwort Exqisa, einer Quarkcreme.38 Eine weitere Margarinemarke, Sanella, lässt neben einer konfixartigen Basis gar eine Art Suffixerweiterung erkennen. Man kann sehen, dass hier in [65] Ansätzen Entwicklungen zu sehen sind, wie sie sich bei dem Element /i/ schon in weitergehendem Ausmaß finden.
Man kann dieser kurzen Diskussion entnehmen, dass die Kurzwortbildung zunächst einer eigenen Kodierungsstrategie folgt, die sich an verschiedenen Stellen an die normalen Gesetzmäßigkeiten der Wortbildung annähert. Gleichzeitig erweist sich, dass unter dem Oberbegriff der Kurzwortbildung technisch vergleichbare Dinge zusammengestellt werden, die aber in funktional ganz verschiedenen Subsystemen auftauchen. So hat das Initialkurzwort als Repräsentant jenes Bildungstyps, der seine Bestandteile aus mehreren Elementen des Ausgangsworts nimmt (`multisegmental'39) eine Domäne in schriftsprachlicher Sachkommunikation. Dazu gehören auch jene Bildungen, die nur ein Element kürzen und das andere - normalerweise das zweite - als Langform belassen (`partielle'). Die `Sprecheinheitenwörter', die ein Element durch Verkürzung einer längeren Form gewinnen (`unisegmental') - z.B. auch mit der Neigung zu den i-Endungen - gehören dagegen zentral zum Bereich gesprochener Substandardvarietäten des Deutschen. Eine vergleichsweise geringe Zahl solcher Bildungen hat den Status einer im geschriebenen Standard des Deutschen verankerten Bildung relativer stilistischer Unauffälligkeit gewonnen. In der einen oder anderen Weise kombiniert sich in beiden Verwendungsweisen verkürzende Darstellung mit gruppensoziologischen Signalisierungsstrategien. Daneben existieren empraktische Kürzungsstrategien, die sich zum Teil im lexikalischen System niedergeschlagen haben. Eine spezifische Anwendung der Kürzungsstrategien findet sich im medialen Umfeld, vor allem in der Namenbildung. So muss die Frage vorerst offen bleiben, inwieweit die derzeit übliche formale Subklassifikation auf diese Verhältnisse abzubilden ist. Eine durch die hier angedeuteten Zusammenhänge leicht modifizierte Untergliederung der Bildungstypen in diesem Bereich sollte darauf Rücksicht nehmen, dass von zentraler aktueller Produktivität offenbar die im schriftsprachlichen Bereich fundierten Bildungen sind, bei denen - zum Teil in Kombination mit Langelementen - bestimmte zum indexikalischen Verweis auf die Langform besonders geeignete Teilelemente zu einem `Kurzlexem' zusammengestellt werden. Wichtigste Anforderung formaler Art scheint zu sein, Elemente so zu kombinieren, dass in der Kurzform minimale Sprechbarkeitsanforderungen erfüllt werden, d.h. dass eine deutschen Silbenstrukturen entsprechende Konstruktion entsteht. Präferiert wird dabei eindeutig ein Muster mit der Silbenstruktur KV. Dazu verhilft, wenn es sonst nichts gibt, die Buchstabierform der Buchstaben unseres Alphabets. Was sich traditionell im Lexikon als Kürzung einer Langform niedergeschlagen hat, ist dagegen der festgewordene Fall einer grundsätzlich deiktisch-textuell gewordenen Kürzung: die dabei bleibenden Teile machen zumeist morphologischen Sinn, es ist eine Reduktion auf relevante Merkmale. Unter den neueren Kopfformen - d.h. Bildungen, bei denen der Anfang stehen bleibt - haben offenbar die besten Chancen die Strukturen, die über den Endvokalismus in eine Art klassifikatorisches System eintreten.40 Grob ergäbe sich daraus eine Klassifikation der Kurzlexeme wie die folgende: [66]
|
|
l KURZWÖRTER: Kombination lesbarer Kurzeinheiten
1.1 Vollkurzwörter
1.2 Teilkurzwörter (in Kombination 1.1.1 Akronyme
1.1.1.2 mit Silbenauffüllung 1.1.2 aus silbischen Elementen 1.1.2.1 Ausgangssilben 1.1.2.2 Zielsilben 1.1.2.3 Mischung 1.1.3 Mischformen |
2 GEKÜRZTE WÖRTER: Reste von Langeinheiten 2.1 Kopfform 2.1.1 Kürzung auf Morphem
2.1.2 Kürzung auf morphologische Teile 2.2 Endform 2.3 Rumpfform 2.4 Klammerform
|
1 Kurzwörter
1.1 Vollkurzwörter
1.1.1 Akronyme
1.1.1.1 BaföG [Bundesausbildungsförderungsgesetz], BUND [Bund für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland]; Dax [Deutscher Aktienindex]
1.1.1.2 EU [Europäische Union]; Kfz [Kraftfahrzeug]; ADAC [Allgemeiner deutscher Automobilclub]; Tbc [Tuberculose]
1.1.2 aus silbischen Elementen
1.1.2.1 Kripo [Kriminalpolizei]
1.1.2.2 Schiri [Schiedsrichter]
1.1.2.3 Juso [Jungsozialist], Gestapo [Geheime Staatspolizei]
1.1.3 Degussa [Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt]; taz [Tageszeitung]
2 Gekürzte Wörter
2.1 Kopfformen
Ober [Oberkellner]; Dia [Diapositiv]
Prof [Professor], Telekom [Telekommunikation]; Pulli [Pullover]
2.2 Endformen
2.2.1 Rad [Fahrrad]
2.2.2 Bus [Omnibus]
2.3 Rumpfformen
2.3.1 Lisa41
Klammerformen
2.4.1 Naturdoktor [Naturheildoktor]42
2. Wortarten und Wortbildungsarten [67]
2.1 Vorbemerkung
Die Wortbildung operiert größtenteils in den Hauptwortarten, deren Elemente lexikalische Bedeutung tragen. Wir werden also im Folgenden nur von der Wortbildung des Substantivs, des Adjektivs und des Verbs sprechen.43
Die Wortbildung als Technik des Wortschatzausbaus bzw. der textuellen Adaption von Lexemen ist nicht nur auf diese Wortarten beschränkt, vielmehr scheinen letztere auch von den Wortbildungstechniken unterschiedlich belastet zu sein. Während das Substantiv eine ganz erhebliche Breite der Möglichkeiten kennt, die auch der relativen Selbständigkeit dieser Wortart in ihrer syntaktischen Verwendung entspricht, wirkt schon die Wortbildung des Adjektivs anders akzentuiert und das Verb folgt bereits auf den ersten Blick seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Ebenfalls ohne große Schwierigkeiten kann man sehen, dass diese Unterschiede damit zu tun haben, in welchem Ausmaß das Verbleiben in der jeweiligen Wortart - Modifikation - und der Wechsel der Wortart - Transition - im Vordergrund der Wortbildungsaktivitäten stehen. Beim Substantiv spielt beides eine bedeutsame Rolle, bei den Adjektiven steht die Adjektivierung, mit ihren Techniken deutlich im Vordergrund. Beim Verb ist die Frage schwer zu beantworten: was wir hier Wortbildung nennen, hilft, die Szenen, die ein Verb aufruft, unterschiedlich zu arrangieren und zu organisieren: diese Operationen kennen gerade im zentralen und typischen Bereich (`trennbare Verben') Strukturen, deren Status durch die Trennbarkeit ebenso ambivalent bleibt wie die Informationsverteilung im Wort.
DURCH DIE So ist denn selbst die Behandlung desselben Wortbildungs- WORTARTEN: typs bei verschiedenen Wortarten nicht dasselbe. Substantive KOMPOSITA Adjektive und Verben werden syntaktisch so verschieden verwendet, dass manchmal die Benennung einer morphologisch definierten Wortbildungsstruktur mit demselben Terminus eher irreführend wirkt. So meint der Terminus Komposition beim Substantiv in zentraler Weise eine nicht von grammatischen Relationen direkt gesteuerte Lexemkombination, beim Verb dagegen ein Zusammenwachsen auch syntaktisch nebeneinander stehender Teile. Präfigierung ist im nominalen Bereich eindeutig nur modifikativ, beim Verb bestimmen die Präfixe semantischen Typ und Wortart wie das bei den nominalen Wortarten eher die Suffixableitung tut. [68]
… Beim Beim Substantiv ist das Kompositum, genauer das Determinativ-
Substantiv kompositum, ganz offenkundig ein gängiges Mittel differenzierender Benennung durch die systematische Bildung von Subklassen, wobei einem Erstelement (Determinans) die nähere Bestimmung beigebracht wird, durch die angezeigt wird, dass und wie eine Subklasse des im Zweitglied (Determinativ) Genannten abgegrenzt werden soll; um Typen von Feuern, Stätten, Winden geht zumindest in den folgenden Beispielen:
(69) und man roch das Holzfeuer der Herdstätten
die [...] anrückenden Flachhügel der kalabrischen Küste
die der augusteischen Hofhaltung ziemte
von einem leisen, kaum merklichen Gegenwind (alle Broch 1976, S. 11)
Durch Hinweise auf Schemata, die wir kennen, werden hier die mit Holz unterhaltenen Feuer von anderen geschieden, etwa Kohlefeuern, die flachen Hügel als ein 1 von anderen. Manchmal handelt es sich eher umgekehrt um eine Einordnung in e Grobklasse; eine solche wird hier am Beispiel des Herds vorgenommen, der als Exemplar einer Stätte wie die Heimstätte dargestellt wird. Manchmal gehen die Bildungen hinüber zu inkorporierenden Techniken: `wo man Hof hält', ist die Hofhaltung neben der aber immerhin bestärkend Lexeme stehen könnten wie die Haushaltung aber dann auch die Tierhaltung mit allerlei Anverwandten. Komposita fordern uns offenbar auf, aus der Beziehung zwischen ihren Elementen Sinn zu machen, ohne dass dieser in einfacher Weise syntaktisch erläutert werden könnte. Schon ein eigentlich harmloser Fall wie Holzfeuer mag das belegen, mehr noch der Gegenwind jenem Präpositionen-Erstglied, dem alles zu seiner Ergänzung fehlt.
… beim Auch bei den Adjektiven gibt es determinative Komposita, allerdings Adjektiv bei dieser Wortart der Rand dieses Bildungstyps größer, so dass man nicht recht weiß, ob man sein Zentrum noch ein Zentrum nennen soll.
(70) Stahlblau und leicht […] waren die Wellen […] entgegengeströmt
da war das Wasser beinahe spiegelglatt geworden
von der prunkvollen Bauart
längs der weißbespülten Ufer
goldglänzend sein bronzebeschlagener Bug (alle Broch 1976, S. 11)
Häufig ist bei Adjektiven, die Ergebnisse sinnlicher Wahrnehmung klassifizieren, hier bei dem Farbadjektiv blau, eine vergleichende Subklassifikation: `wie Stahl'. Aber obwohl es von diesen Bildungen eine ganze Menge gibt, haben wir nicht so ganz den Eindruck, als handle es sich um eine freie Kombination, sondern um kulturell präformierte Pseudo-Graduierungen über den Kategorien `Helligkeit' und `Färbsättigung'; ergänzt werden ja diese Typen durch den beim Adjektiv viel häufigeren des Kopulativkompositums wie blaugrau, der über die Abstufungen des Farbspektrums hinweg führt. In gewissem Sinn haben wir hier die sprachliche Graduier des Farbkontinuums in seinen drei Erstreckungen Farbton, Helligkeit und Sättigung Das Determinativkompositum dient hier - der häufig lexikalisierten und idiomatisierten - Graduierung in Bereichen, die über die einfache Steigerung hinausgehen. [69]
Dass die Komposition dieses Typs immer leicht geneigt ist, zur Graduierung überzugehen, sieht man an dem Beispiel spiegelglatt, dessen Bedeutung auch im DUDEN-Wörterbuch (S. 3170) als `äußerst glatt' umschrieben wird, nicht mit `sehr glatt', und das wohl zu Recht, ist doch spiegelglatt deutlich konnotativ angereichert gegenüber der normalen Graduierung. Ansonsten ist beim Adjektiv jener Typ weitaus weiter verbreitet, bei dem, wie bei prunkvoll einerseits die Nähe zur Inkorporation groß ist (`voll von Prunk'), wo aber gleichzeitig und wenn man so will, in gegenläufiger Entwicklungsrichtung, die Bedeutung der formalen Basis entleert wird. Eigentlich geht es nicht um einen Sonderfall von voll, sondern um eine `Vereigenschaftung' von Prunk; `Prunk aufweisend', paraphrasiert daher hier auch das DUDEN-Wörterbuch (S. 2649) etwas hilflos. Wenn durch die partizipiale Basis die Neigung zur Inkorporation noch erhöht ist, wird dieser Typ noch weiter, differenzierter ausgebaut. Auch weißbespült, goldglänzend, bronzebeschlagen haben ihren semantischen Kern in der ersten Hälfte, die Partizipien sagen eigentlich nur in verschiedener Differenzierung so etwas wie `versehen mit'. Bei aller Verschiedenheit im Einzelnen wird doch sichtbar, dass beim Adjektiv das eigentliche Determinativkompositum einerseits wegen des Sogs der präfigierenden Typen und andererseits wegen des Trends zur `semantischen Umkehr' des Musters, das die Zweitelemente zumindest in eine funktionale Reihe mit den Suffixen stellt, bei weitem nicht die Bedeutung hat wie beim Substantiv. Das hat unmittelbar mit den Spezifika der Wortart zu tun, der Neigung des Adjektivs zur Graduierung und Antonymenbildung, von der der Präfixbereich profitiert, einerseits, und dem Tatbestand andererseits, dass das Adjektiv, aufgrund seiner modifizierenden Stellung als Attribut, im Zweitelement eher die Verbindung zwischen dem im ersten Element auftretenden Lexem und dem modifizierten Substantiv betont und in gewisser Weise ausdifferenziert.44
Beim Verb Beim Verb, um auf die dritte der Wortarten nur noch kurz einzugehen, hat die Komposition eine gänzlich andere Position als bei den nominalen Wortarten, es ist eigentlich fraglich, ob man überhaupt davon reden kann.45 Das Problem liegt darin, dass es sich bei den möglicherweise einschlägigen Phänomenen insgesamt um Erscheinungen der Inkorporierung handelt, bei denen der Grad der Univerbierung schwankt. Das hat die Diskussion um die Rechtschreibreform an dieser Stelle recht deutlich gezeigt. Zudem handelt es sich auf jeden Fall um trennbare Verben, was die Vergleichbarkeit mit der nominalen Komposition noch weiter erschwert. So gibt es denn bei den Verben eine Reihe von Bildungen, wo nicht von vornherein feststeht, wie fest aneinander gebunden die Teile jeweils sind:
(71) Sie mußten sich, weil dieser Kasten wirklich klein war, eng aneinander pressen. Johann hatte das Gefühl, beide, Irmgard und er, hätten, solange sie so aneinandergedrängt standen […] nicht mehr geatmet. (Walser 1998, S. 39) [70]
Was macht den Unterschied zwischen den beiden so verwandten Fügungen mit i Element aneinander in diesem Text aus? Ist es der Unterschied zwischen syntaktischer Fügung und Komposition, oder ist es eigentlich gar keiner, wie die neue Re Schreibung festlegen würde? Ganz offenkundig will der Autor des Textes einen Unterschied signalisieren, der sich zum Beispiel auch in der Intonation niederschlägt. Wir wollen diese Frage später noch einmal aufgreifen. An unserem Beispiel kann \ zumindest schon sehen, dass viele dieser inkorporierenden Bildungen ohne Kenntnis des Kontextes und der Sprecherintention gar nicht sinnvoll daraufhin befragt werden können, wie `univerbiert' sie seien - man kann sich so oder so entscheiden. Aber stehen damit nicht nur zwischen Syntax und Wortbildung, sondern wegen der Kombinationsbeschränkungen, auch irgendwo zwischen Komposition und trennbaren Partikelverb. Wir können uns durchaus Peter Eisenberg (1998, S. 257) anschließend der davon spricht, wir befänden „uns hier in einem Übergangsbereich von Wort- und Satzgrammatik, der in seiner Systematik noch keineswegs verstanden ist”.
Diese hinführenden allgemeinen Bemerkungen sollten andeuten, warum die F nach Wortart und Wortbildung bedeutsam ist und sich nicht in der morphologischen Klassifikation der beteiligten Elemente erschöpft. Die Wortarten haben verschiedene Funktionen, die verwendeten Mittel der Wortbildung müssen im Hinblick diese Funktionen sinnvoll sein.
TECHNIKEN DER Akzentuieren kann man diese Aussage nicht zuletzt in
INKORPORATION Hinblick auf die Geltung der inkorporativen Techniken, die Aussagen über die relative Nähe zu syntaktischen Kodierungsweisen erlauben. Bei den Substantiven erscheint diese Beziehung weitgehend von der Syntax isoliert und systematisch an die Komposition (Rektionskomposita) oder an die Derivation (Zusammenbildung) angeschlossen. Bei den Adjektiven schlägt die Ambivalenz der Ausrichtung von semantischer und syntaktischer Abhängigkeit (Valenz und Potenz) in der Weise durch, dass die Elemente in den inkorporativen Techniken, denen in der syntaktischen Basis die Abhängigkeiten ausgegangen wären, als Junktoren zunehmender Spezifik (Halbaffixe, Partizipialkomposita) gedeutet werden, die an die Suffixderivation mit ihrer kategorisierenden Funktion anschließen. Im Falle des Verbs letztlich lässt sich bei den Zweifelsfällen nicht einfach und kontextlos feststellen, ob wir es mit `syntaktischer Inkorporation', die zu mehr oder minder festen syntaktischen Fügungen führt, oder mit `lexikalischer Inkorporation', die zur Univerbierung führt, zu tun haben: das Verb als Prädikat bietet beide Möglichkeiten an, die eben am Rande beide genutzt werden können.46 [71]
2.2 Generelle Verteilung
Man kann die Frage nach Wortart und Wortbildungsart natürlich auch umdrehen. Was sind die bedeutsamsten, auffälligsten und wirksamsten (produktivsten) Arten von Wortbildung? Was macht sie dazu? Inwieweit spielen hier die Anforderungen der verschiedenen Wortarten eine Rolle?
DIE ZENTRALE Als vielleicht zentralste Art der Wortbildung kennen wir STELLUNG DER die Komposition. In ihr werden prinzipiell lexemfähige Ele KOMPOSITION mente zu einer spezifischen Benennung zusammengefügt. Der Kompositionsprozess verändert die Wortart des Gesamtprodukts nicht - sie ist der Paradefall der Modifikation. Struktureller Kern und semantisch bestimmender Teil ist das am rechten Ende stehende Element dieser Operation. Der bei weitem häufigste Typ dieser Wortbildungsart, das Determinativkompositum, stellt sich somit als eine Technik der links-rechts-determinierenden Subklassifikation dar.
Diese Art der Zusammenfügung hat, wenn man so will, einen natürlichen Grund im Zusammenwachsen systematisch nebeneinander auftretender Elemente. Ihr anderer Grund ist die weitere Kondensation von Relationen, die auch auf der Ebene der Syntax - im Prädikations- und vor allem im Attributbereich - ihren Niederschlag gefunden haben. Die Komposition zeigt am deutlichsten den Charakter der Kondensation, welcher der Wortbildung generell eigen ist. Im extremsten Fall bleibt die Reihenfolge als einziges Mittel der formalen Struktur. Aus erklärlichen Gründen ist dieser extreme Fall am ehesten in der nominalen Wortbildung zu erreichen, und dort besonders bei den Substantiven, die ja keiner zusätzlichen Anbindung bedürfen, um in ihrer syntaktischen Rolle auftreten zu können. Jenes `reine' Ende der Zusammensetzung wird schon verlassen, wenn im Zweitelement bestimmte Relationen angelegt sind, welche die Interpretation des gesamten Kompositums steuern.
Bei den anderen beiden Hauptwortarten, dem Adjektiv und dem Verb ist die relationale Bindung der Normalfall, so dass hier die Komposition auch einen weniger herausragenden Fall darstellt, sondern gern in Richtung der Inkorporation geht.
DAS ANDERE Den Widerpart der Komposition, die ja der Modifikation inZENTRUM nerhalb einer Wortart dient, stellt die Derivation dar. Bei ihr DERIVATION wird eine lexem fähige Basis mit einem gebundenen Morphem verbunden, das ausschließlich der Wortbildung dient. In zentralen Teilen wird diese Wortbildungsart dazu genutzt, das Basislexem in eine andere Wortart zu transponieren. Beim Substantiv und beim Adjektiv wird diese Technik mit einer Vielzahl von Suffixen ausführlich und systematisch genutzt. Die Suffixe dominieren zwar strukturell und ordnen semantisch in grobe Kategorien ein, den semantischen Kern stellen aber die lexikalischen `linken' Elemente. Bei den Substantiven werden die kategorisierenden Möglichkeiten dieses Bildungstyps hauptsächlich dazu genutzt, beliebige Inhaltskerne unter verschiedenen Aspekten in Texten und Sätzen auftauchen zu lassen. Bei den Adjektiven dienen die großen Suffixgruppen der Signalisierung des Adjektivcharakters, der sich in der Attributionsfähigkeit am deutlichsten zeigt. Semantisch geht es einerseits um eine Erweiterung des Feldes der Eigenschaftsbezeichnungen aus dem Fundus nicht primär adjektivisch geprägter Inhalte heraus, andererseits [72] um die simple Charakterisierung als Attributivum, dem diese Positions- und Flexionsmöglichkeiten als fast einzige Adjektivmerkmale eignen.47 Verbalisierungssuffixe gibt es nicht sehr viele: hier wird das Feld weitaus mehr von Konversion auf der einen und Präfigierung auf der anderen Seite bestimmt. Die Präfigierung zeigt überhaupt ein merkwürdiges Doppelgesicht: beim Substantiv spielt sie eher eine marginale Rolle, beim Adjektiv dient sie im Wesentlichen der Füllung in der Wortart angelegter Typen von Modifikation wie Antonymenbildung oder Graduierung. Hoch bedeutsam ist sie beim Verb, wo sie eine der Suffigierung bei den anderen Wortarten vergleichbare Rolle spielt.
RICHTUNG SYNTAX: Beim Verb ist aufgrund der Gegebenheiten der Wort-
UniverbierunG art mit einer Kombinierbarkeit zu rechnen, die in Verbindung mit der zentralen Beziehungskraft des Verbs steht, wie sie sich in der Valenz niederschlägt. So erscheint die Wortbildung des Verbs auch formal als ganz eigenständig: es überwiegen bei weitem präfigierende Typen. Der für das Deutsche bezeichnendste Typ liegt wohl bei den trennbaren `Partikel'-Verben vor. Sie zeigen die lexikalische Systematisierung der Szenen, die sich in verbalen Prädikationen niederschlagen. Hier werden Partikel unterschiedlichen Generalisierungsgrades als Erstelemente bzw. rechte Klammerelemente gewählt, bis hin zu einer nicht unumstrittenen Art von Kompositabildung (kaltstellen), bei der die Eigenständigkeit des Worts, das aus einander benachbarten Elementen zusammengewachsen ist, in Frage steht.
Auch das Adjektiv bildet systematisch Typen aus, die von den rektionalen und dependentiellen Merkmalen des rechten, wortartprägenden Elements gekennzeichnet sind. Am offenkundigsten ist das bei jenen Bildungen mit einem Partizip als Zweitelement, wo die von der verbalen Basis ererbten Abhängigkeitsverhältnisse die grundlegende Interpretation steuern. Bemerkenswert ist aber, dass diese Möglichkeit nicht in erster Linie zur Bildung beliebiger Rektionskomposita genutzt wird, sondern zu einer spezifischeren Kennzeichnung der Junktion zwischen der Basis, dem Erstelement des Adjektivs und dem Bezugssubstantiv. In dieser doppelten Einbindung wird die entsprechende Doppelorientierung der das Adjektiv betreffenden Abhängigkeiten auf der Ebene der Wortbildung sinnvoll genutzt. Ähnliches, nur in gröberer Untergliederung, gilt auch für die sogenannten Halbaffixbildungen, bei denen adjektivische Zweitelemente in paradigmatische Reihen von Bildungen eingebunden werden, durch die wichtige Relationen zwischen Adjektivbasis und Bezugssubstantiv in einer Weise strukturiert werden, wie das mit Suffixen allein nicht möglich ist.
Beim Substantiv hat die Univerbierung einen nicht so festen Grund. In zentralen Bereichen wird sie überlagert von suffigierenden Typen der Wortartfestlegung (`Zusammenbildung' und auch `Rektionskompositum'), oder sie schlägt sich in nicht so zentralen Formen nieder. Dazu zu rechnen wären der Teil der Rektionskomposita, die nicht deverbale oder deadjektivische relationale Nomina als Zweitelement haben (Typ: Familienvater), die Komposita mit adjektivischem Erstglied und, als wirklich [73] marginaler Fall, die sogenannten Zusammenrückungen, bei denen man sich fragen kann, ob sie nicht besser bei der Konversion aufgehoben wären.
Welche Rolle die univerbierenden syntaxnahen Typen bei den verschiedenen Wortarten spielen, hängt erkennbar von den syntaktischen Rahmenbedingungen ab, die durch die Wortarten gesetzt sind. So kann das Verb seine Bindungsfähigkeit ausspielen, genau sie macht aber auch die Abgrenzung zur Syntax schwierig, das Adjektiv nutzt seine doppelte dependentielle Einbindung zu einer Systematisierung junktionaler Differenzen in der attributiven Verbindung und das Substantiv hat am ehesten Zugang zur Attributsyntax und zur Phrasenkonversion.
RICHTUNG Noch ausschließlicher der Transposition als die Derivation
MORPHOLOGIE: - und ohne die Möglichkeit der Akzentuierung durch die KONVERSION verschiedenen Derivationstypen - dient die Konversion (Transition), also der Wortartwechsel, der eine bestimmte Form einer Wortart betrifft, die durch die flexivische Einbettung in eine andere Wortart integriert wird. Sie wird in typischer Weise beim Substantiv und auch beim Verb realisiert -, dass hier Wortformenbildung und Lexembildung ineinander greifen, darauf wurde oben schon hingewiesen.
Reste In den letzten Jahren ist einiger Wert auf Erscheinungen gelegt worden, die zwischen diesen Formen angeordnet sind. Vor allem gibt es Elemente, die in der einen oder anderen Art zwischen Kompositionsgliedern und Affixen zu stehen scheinen: sie werden als Affixoide oder Halbaffixe bezeichnet. Als Erscheinung haben sie einen wichtigen Platz bei den Adjektiven, er wurde bei den univerbierenden Typen schon erläutert. In anderer Weise sind die neuerdings als Konfixe bezeichneten Elemente an derselben Übergangsstelle zu finden: mit lexematischer Bedeutung, aber nur gebunden vorkommend. Sie haben ihre Domäne in den nichtautochthonen oder internationalistischen, den europäischen Teilen unseres Wortbildungssystems. Seine Grundbestandteile sind morphologisch weniger leicht einsehbar, morphophonologisch spielen bildungssprachliche Muster, die an das Lateinische, das Französische und das Englische als internationale Sprachen erinnern, eine erhebliche strukturierende Rolle. Dennoch handelt es sich um ein systematisch an die autochthonen Regeln angeschlossenes Teilsystem der Wortbildung.
Marginal erscheinen weitere Typen: die sogenannte implizite Ableitung erscheint als eine Art historischer Sonderfall der Konversion. Nicht umsonst hat sie ihren Kern in Ableitungen von jenem kleinen Satz semantisch zentraler Verben, die ihre Zentralität dadurch belegen, dass sie in heutzutage unregelmäßiger `starker' Flexion gebeugt werden.
(72) Umso entrückter der Blick, desto näher das Erblickte. (Handke 1998, S. 120)
Relativ neu ist dagegen die sogenannte Kurzwortbildung: in ihr liegt allerdings im Unterschied zu den anderen Typen ein Muster vor, das die Motivation des Wortschatzes mindert, statt erhöht. Sie kommt außerdem nur beim Substantiv vor. So sind dem Einsatz dieses Mittels Grenzen natürliche funktionale gesetzt. [74]
2.3 Gründe für die Präferenzen
Wenn man diese Wortbildungsarten und die Präferenzen der Verteilung auf die verschiedenen Wortarten betrachtet, ergibt sich ein Bild, das deutliche Korrelation von formaler Explizitheit und funktionaler Einbettung erkennen lässt:
(73) |
Komposition Inkorporation Derivation Präfixbildung Konversion Kurzwortbildung |
Substantiv + + + + + + + + + + + + + + |
Adjektiv + + + + + + + + +
|
Verb + + + + + + + + + + +
|
Dabei kann man sehen, dass Komposition und Konversion den merkmallosen Typ von Modifikation beziehungsweise Transposition darstellen. Ihre Bedeutung wird durch die lexikalische Einbindung beziehungsweise die syntaktisch-flexivische Markierung bestimmt. In diesen beiden Möglichkeiten ist die kondensierende Kraft Wortbildung ohne sonstige Modifikationen realisiert.
In der Derivation werden verschiedene Aspekte vor allem der Transposition zentuiert.
Inkorporation und Präfixbildung zeigen je nach Wortart ein Doppelgesicht. Dient die Inkorporation bei Substantiv und Verb der Modifikation, so liegt beim Adjektiv eine inhaltlich spezifiziertere Transposition vor, als das bei der begrenzten Anzahl von Suffixen möglich wäre.
Die Präfixbildung spezifiziert beim Verb zumindest die Wortart und ist somit gentlich neutral gegenüber der Unterscheidung von Modifikation und Transposition Das gilt auch für Teile der Partikelverben. Dagegen dient die Präfixbildung in nominalen Wortbildung eindeutig der Modifikation, wobei diese Modifikation beim Adjektiv quasi-paradigmatisch eingebettet ist.
Man kann generell davon ausgehen, dass bei allen Wortarten Mittel der Modifikation und Mittel der Transposition existieren, welche logischerweise im Hinblick auf die Zielwortart spezifiziert sind und Merkmale der Herkunftswortart transportieren.
2.3.1 Die Lage beim Substantiv
Komposition, vorzüglich Determinativkomposition, und Derivation auf der einen, Konversion auf der anderen Seite gelten als die zentralen Wortbildungsarten des Deutschen. Dabei teilen Komposition und Derivation das Merkmal einer grammatisch vom rechten Element gesteuerten Konstituentenstruktur, bei der Konversion ist solch eine Segmentation nicht möglich - will man nicht extensiven Gebrauch vom Konzept des Nullmorphems machen. Um den Kern dieser drei Typen versammeln sich in den gängigen Darstellungen marginalere Bildungsweisen, die in der einen oder [76] anderen Weise zwischen diesen Kernen stehen: es sind vor allem Rektionskomposita, Zusammenbildungen und ähnliche kompositions- oder ableitungsnahe Bildungstypen, die wir hier unter dem Oberbegriff der Inkorporation zusammengefasst haben.
MODIFIKATION UND Dabei scheint diese formale Eineilung nach der Unter-
TRANSPOSITION gliederbarkeit, die - wie angedeutet - gängig ist, eher an der falschen Stelle in einem funktionalen Kontinuum zu trennen. Wenn man sich überlegt, wozu neue Komposita, neue Derivationen und die Ergebnisse von Konversion gut sind, liegt es nahe, die Trennungslinie eher zwischen der Konversion und der Derivation auf der einen und der Komposition auf der anderen Seite zu ziehen. Der Grund dafür ist, dass die Komposition prinzipiell der Modifikation innerhalb derselben Wortart dient, während schon die Derivation und noch eindeutiger die Konversion der Transposition, und das heißt der Wortartfixierung bzw. -veränderung dienen. So scheinen bei der Komposition und der Konversion Morphologie und Funktion parallel zu laufen, während zumindest auf den ersten Blick bei der Derivation die beiden Informationsebenen miteinander konfligieren. Tatsächlich lässt sich dieses Problem aber durch eine mehrschichtige Analyse lösen.
Hinweise auf Nun haben wir praktisch alle Behandlungen der Wortbildung Schemata bei den Substantiven begonnen, die aufgrund ihrer relativ großen Selbständigkeit besonders viele Optionen eröffnen. So ermöglichen die hohe Anzahl vorhandener Substantive - auch schon primärer Substantive - und die vielfältigen syntaktischen Positionen, in die Substantive als die lexikalischen Kerne von Nominalgruppen eingehen können, eine ganz verschiedene Einbettung in sprachliche Schemata, indem jeweils ein weiteres Element zur genaueren Spezifizierung hinzugefügt wird. Genau das macht ja die Komposition, die dadurch auch beim Substantiv eine herausgehobene Stellung hat. Die reinste Form der substantivischen Komposition ist zweifellos die, bei der zwei ihrerseits nicht unmittelbar relationale Elemente nebeneinandergestellt werden, von denen wir nur wissen, dass sie in einer Beziehung zueinander stehen, die sich im Sinne einer Einordnung in das durch das rechteste Element gegebenen Rahmen verstehen lässt. Die Bestandteile solcher komplexer Wörter werden damit als Elemente sprachlicher Schemata gelesen, mit denen uns unsere Sprache zu leben gelehrt hat. Das wäre vergleichsweise aufwendig, hätten wir nicht eine Stütze darin, dass uns Wortbildung auf dieser Ebene zunächst eine generelle Vorinformation ermöglichen soll, die dann im Einzeltext beliebig genau spezifiziert werden kann. Wie auch immer das im Einzelnen sein mag, klar ist, dass hier eine benennungsmäßig relevante Grobgliederung im Bereich der am rechten Ende stehenden Elemente intendiert ist. Diese Art von Wortbildung - der Typ des Determinativkompositums - stellt den zentralen Teil der Komposition dar.
Vorzug und Schwäche dieses Bildungsmittels liegt darin, dass uns bei diesem Bildungstyp häufig verschiedene Interpretationen offen stehen. Sprachscherze spielen gelegentlich damit, dass sie uns auf solchen Analogiegleisen in die Irre laufen lassen:
(74) Herbert sagt zu Inge: „Wir haben nun lange genug gearbeitet. Komm, wir gönnen uns eine Atempause.” Inge versteht das wörtlich und meint: „Aber bitte nicht zu lange. Das halte ich sonst nicht durch. (Grasso 1989, S. 79) [76]
Es schließen sich Bildungstypen an, welche dieses Muster funktional leicht verschieben, ohne formal seinen Bereich zu verlassen. Das beginnt schon, wenn ein verbales Element auftaucht, das die zentrale Relation wesentlich klarer steuert, und so eine gewisse Asymmetrie in das Klassifikationsmuster bringt. Denn die Verben benennen ja den Kern des Schemas (vgl. Holztrog vs. Backtrog), das damit zweifellos leichter eindeutig zu ermitteln ist, auch wenn die Interpretation auf den verbalen Relator zu und nicht von ihm weg läuft:
(75) Die Fenster im Erdgeschoß gehörten zur Backstube und waren sommers wie winters leicht geöffnet. Man hörte die Geräusche der Maschinen, den Knetarm der Backmulde, das elektrische Sieb und die Schlagmaschine, das metallene Klicken der Türen und des Gestänges vom Backofen. (Hein: »Von allem Anfang an«. 1997, S. 7)
Zum Kern Einen qualitativ anderen Fall stellt es dar, wenn der Kern des rechder Szenen ten Elements von einem verbalen Lexem gebildet wird. Durch die vorgängige Umwandlung dieses Lexems in ein Substantiv und die Anbindung des Erstelements wird hier die gemeinte verbale Szene schon mit recht deutlicher Rollenverteilung aufgerufen: und so benennt das Wort Goldsucher weniger eine Subklasse von Suchern, als die auf den Agens hin organisierte Szene, dass jemand etwas und in diesem Fall spezifischer Gold sucht, so wie Goldsuche die auf das Objekt hin organisierte Option darstellt. Wir wollen diesen Wortbildungstyp unter die Wortbildungstechnik der Inkorporation einordnen. Es gibt verschiedene Arten dieses syntaktischen Kondensierungstyps, vor allem Rektionskomposita und Zusammenbildungen:
(76) diesem stumpfsinnigen, ordinären, erzkatholischen Kunstmißbraucher, der seit vie len Jahrzehnten der größte aller kulturellen Umweltverschmutzer in diesem Land ist (Bernhard 1984, S. 258)
Ist hier bei einem Wort wie Umweltverschmutzer immerhin die reine Kompositionsanalyse formal noch möglich, so nicht mehr bei den meist für nicht so wichtig gehaltenen Zusammenbildungen wie Kunstmißbraucher. Hier werden Szenen in angedeuteter syntaktischer Vollständigkeit aufgerufen, es hängt dann vom Lexikalisierungsgrad des Zweitelements ab, wie weit man hier noch von Komposition oder von eine Art Phrasentransposition mittels Suffix ausgehen kann, die es erlaubt, ein Suffix, in unserem Falle das {-er} an verschiedenartigste Elemente (Wortgruppen usw.) anzuhängen. Ein Wort wie Bedenkenträger mag zeigen, wie dieser Bildungstyp analog ausgreift und zu reihenbildenden Mustern führt, vom Kulturträger, über den Bedarfsträger bis zum Funktionsträger (nach Muthmann 1988, S. 761). Die Zusammenbildung kann man also als Ableitung von einer Wortgruppe beschreiben.
Von unten In anderer Weise ist die Funktion der Komposita an einer Stelle nach oben berührt, die vor allem im fachlichen Deutsch eine vergleichsweise bemerkenswerte Rolle spielt. Häufig belächelt wird ja die Verwendung von Komposita vom Typ Entwicklungsprozess, wo ebenfalls syntaktisch nicht aus allen denkbaren Prozessen die entwicklungsartigen aussortiert werden, sondern wo die Konstituente Entwicklung explizit ihrem Oberbegriff zugeordnet wird, der implizit schon in ihm steckt. Vor allem im angelsächsischen Kontext wird hier gerne gespottet, das Deutsche sei die Sprache, die Selbstverständlichkeiten zweimal sage. Tatsächlich aber handelt es sich bei der Signalisierung dieser Abstraktionsleistung um ein starkes Fachlichkeitssignal. Mir scheint es nicht hinreichend, dies als einen Subtyp von verdeutlichenden Komposita48 zu betrachten, es handelt sich hier vielmehr um eine Art klassifikatorisch-explikativer Verwendung, vgl.:
(77) In der Zeitung heute das andere Wort für Waffen: „Rüstungsgut”. (Handke 1998,S.444)
Das Gelingen kommunikativen Handelns hängt, wie wir gesehen haben, von einem Interpretationsprozeß ab, in dem die Beteiligten im Bezugssystem der drei Welten zu einer gemeinsamen Situationsdefinition gelangen. (Habermas 1981, S. 173) Das Qualitätsprofil hochwertiger Dispersionsfarben unterscheidet sich im großen und ganzen nicht allzu viel. (wohnen 3/1995, S. 66)
Bei diesen Bildungen geht es zumindest vorrangig nicht um Güter, Prozesse, Systeme oder Profile, sondern um Rüstung, Interpretation, Bezüge, Qualität(en). Vielmehr wird ein in diesen linken Elementen bereits enthaltener Klassifikationszug als Kategorie herausgezogen, um so die dem jeweiligen Abstraktionsgrad entsprechende Benennungsschicht zu erreichen. So nähern sich diese Bildungen in unterschiedlichem Maße der Derivation mittels Suffixen an. Am weitesten geht das wohl in jenen Fällen, wo das rechte Element eigentlich mehr oder minder dazu dient, bestimmte Zähleinheiten zu benennen. Dazu gehört von den obigen Beispielen das offenkundig in sprachkritischer Absicht zitierte Wort Rüstungsgut, dazu gehören aber auch die im ersten Kapitel dieses Buches diskutierten Bildungen mit dem Element {-stück}, wie in Packstück, aber auch personenbezogene Neutralisierungen vom Typ Schreibkraft.
Aspekte der Zusammenfassend können wir sehen, dass der harte Kern der Modifikation Komposition, der sich relativ rein durch die Modifikation eines rechts stehenden Elements beschreiben und aus der Rekonstruktion von sprachlichen Schematisierungen erklären lässt, an Bildungen grenzt, die zwar noch viel mit dem Kompositum gemein haben, deren funktional-semantischer Kern aber nicht mehr so eindeutig auf dem rechten Element liegt. Im Falle der zusammenbildungsartigen, inkorporierenden Wörter ist der Weg zur transpositiven Derivation hin offenkundig, es werden hier, an syntaktische Fügungen angelehnt. Szenenaspekte in spezifischer Weise aufgerufen. Im anderen Fall geht es um eine textsortentypische Einordnung in Oberklassen, um Klassifikation, um die Akzentuierung eines implizit im Erstelement bereits enthaltenen Aspekts. Auch hier nähern wir uns in gewisser Weise der Derivation mit ihrer generalisierenden Funktion an. Vielleicht kann die Reihe bis in die Flexion hinein durchgeführt werden: es gibt auf jeden Fall einen funktionalen Zusammenhang von Plural, Kollektiva und Zählbarkeitsmarkern vom Typ Schneemassen, der ja gerne als eine Art Pluralisierung von Kontinuativa verstanden wird.
Hier bietet es sich vielleicht an, kurz über die Präfigierung beim Substantiv zu sprechen, steht sie doch zu Recht an der Stelle des Übergangs zwischen Komposition und Derivation. Die meisten im Zusammenhang damit genannten Präfixe - Erz-, [78] Haupt-, Hyper-, Un- und Ur- (vgl. Fleischer Barz 1995, S. 199ff.) - sind in Funktion und Form der Eigenschaftsmodifikation, der Graduierung und Antonymenbildung zuzuordnen. Dieser Typ von Präfigierung ist in Anlehnung an entsprechende Phänomene beim Adjektiv ausgebaut. So können zum Beispiel Eigenschaften bewertend gesteigert werden (Erzfeind), so kann aber auch eine Hierarchie graduiert werden (Erzbischof, Sekretär - Obersekretär - Hauptsekretär). Von ganz anderer Art ist das Präfix Ge-, - in Allomorphie mit Ge-…-e -, das einen Spezialfall substantivischer Derivation darstellt, desubstantivisch wohl nicht mehr produktiv ist, aber eine Reihe von noch durchsichtigen Kollektiva (Gebüsch, Gebirge) gebildet hat und deverbal seinen produktiven Kern in der Bildung meist negativ konnotierender Vorgangs- und Handlungsbezeichnungen hat (Geschimpfe, Geschrei).
Klassenbildung Die Derivation verbindet die transpositive Funktion mit einer sprachlich offenkundig bewährten Grobklassifikation. Wie man etwa an deverbalen Substantiven dieses Typs sehr schön sieht, bietet dieser Wortbildungstyp die Möglichkeit, eine lexematische Bedeutung im Substantivbereich handhabbar und so in diesem Fall den ursprünglichen Kern einer Verbszene von verschiedenen Seiten her zugänglich zu machen. Bedeutung und rollenbindende Kraft werden hier aus der Ursprungswortart übernommen.
Rollen in Nicht umsonst sind ja die Bildungen mit den Suffixen -er und Wortfamilien -ung bestausgebauten Muster im derivationellen Bereich; sie erlauben ja eine Subjekts-, Instrument-, Vorgangs/Handlungs- und Objektsakzentuierung. So ist es vergleichsweise wenig erhellend, auch hier die übliche formale und klassematische Steuerung durch das rechte Element festzustellen. Den eindeutigen semantischen Kern stellen die lexikalischen Basen dieser Ableitungen dar. Es handelt sich um Akzentuierungen des häufig verbalen lexematischen Kerns, wobei in das komplexe Lexem bestimmte zentrale Rollen der vom Verb geprägten Szene integriert sind. Die Klassifikation, die in den Suffixen aufscheint, ist eine von relevanten substantivischen Rollen.49 Sie erlauben vor allem eine systematisch variierende Einbettung in textuelle Zusammenhänge und dienen nicht zuletzt in schriftsprachlichfachlichen Diskursen einer verdichtenden Informationsführung, wie man das an dem ersten Beispiel [a)] unter (78) in relativ kondensierter Form sehen kann. Der hochgradig fachliche Eindruck, den dieser Textausschnitt macht, kommt daher, dass hier in der Wortbildung wie im attributiven Bereich satzsemantische Relationen in zunehmender Verdichtung miteinander verknüpft werden. Dabei zeigt sich die Absetzung der wortbildungsmäßigen Inkorporation von der Bezugnahme auf syntaktische Relationen darin, dass die Beziehungen zwischen den Elementen aufgehoben scheinen: das inkorporierende Zweitelement reicht dem Autor offenbar nicht als Bezugsgröße der Attribute: worauf beziehen sich die attributiven Adjektive ethisch und religiös genau?
Das zweite [b)] und das dritte [c)] Beispiel zeigen demgegenüber die Normalverwendung von Vorgangsnamen mit im Einzelnen unterschiedlicher Struktur. In dieser [79] Form können die primär verbal geprägten Lexeme als Namen für abgeschlossene Einheiten50 benutzt werden. Dies durchaus im Sinne einer fachlichen Syntax mit der Funktionalisierung der Verben (begünstigt, stellt dar) und Lexikalisierung der Substantive. Man kann an diesen beiden Beispielen noch zwei weitere Dinge sehen: zum einen das bruchlose Ineinandergreifen des indigenen (-ung) und des nichtindigen bildungssprachlichen (-tur) Bildungssystems. Zum anderen, wie das Muster der -ung-Ableitung, hier speziell in Form des bildungssprachlichen -(is)ierungs-Typs, selbsttätig analogisch weiterwirkt, auch wo eigentlich kein entsprechendes Verb existiert: ?individualisieren, *globalisieren. Vielmehr geht es hier um ein bewährtes Integrationsmuster für nicht indigene gebundene Lexeme, die sich mit diesen technischen Möglichkeiten an verschiedenen Stellen im grammatischen und lexikalischen System des Deutschen anlagern können, so zum Beispiel auch beim Partizip II: globalisiert, individualisiert.
Das Beispiel (78) d) spricht von den Grenzen der deverbalen Ableitung, nicht zufällig handelt es sich dabei nicht um den `unauffälligsten' Typ der ung-Ableitung, der recht wenige Beschränkungen zeigt, sondern um den nomen-agentis-Typ mit -er. Dieses Muster verlangt, wenn nicht ein spezifischer Fall thematisiert wird (die Zerstörer meines Lebens), dass die genannte Handlungsweise als Disposition einer Eigenschaft verstanden werden kann, als etwas, was seinen Träger kennzeichnet. Dazu kommt noch der substandardsprachliche Charakter des verbalen Lexems umbringen.
(78) a) Die Dialektik von Wissenschafts- und Religionsentwicklung soll, wie wir gesehen haben, die empirische Begründung dafür bieten, dass die ethischen Handlungsorientierungen infolge der Erschütterung religiöser Glaubensgewißheiten nicht mehr verläßlich reproduziert werden können. (Habermas 1981, S. 332)
b) Die Individualisierung begünstigt das Aufgeben oder die Neusetzung von sozialen Ligaturen. (Beck 1997, S. 281)
c) Globalisierung stellt mehr als die Ausdehnung der altbekannten Modernisierung dar. (Beck 1997, S. 288)
d) Du triffst deine grauenhaften Zerstörer und Umbringer auf dem Graben und bist einen Augenblick sentimental und läßt dich in die Gentzgasse einladen. (Bernhard 1984, S. 20/21)
Ererbterbte Einer weiteren Differenzierung dient letztlich die Konversion, scheidungen die Scheidungen durch flexivische Einbettung eine flektierte Form aus einer anderen Wortart als Substantiv übernimmt, und es so erlaubt, klassifikatorische Unterschiede aus dieser anderen Wortart im substantivischen Bereich zu nutzen. Der wohl häufigste Typ hierbei ist die Infinitivkonversion, die im Vergleich zu entsprechenden Bildungen auf -ung, die ja auch den Vorgang oder die Handlung benennen, viel deutlicher auf den Verlauf Bezug nehmen, wie denn der Infinitiv auch. Man sieht ja schon an der Form, dass hier eine im Verb ohnehin angelegte Option genutzt wird, die erst allmählich in die eigentliche Wortbildung hineinführt.
(79) Uns ist es längst peinlich geworden, körperliche Reaktionen au f das Erleben symbolischer Gebilde zu zeigen, […]. Wer weint noch beim Lesen? (Schön 1993, S. 87)
Wie man sieht, werden hier auch die Möglichkeiten der aspektuellen Modifikation genutzt, welche die verschiedenen Nominalformen des Verbs leisten - also neben dem Infinitiv auch Partizip I und II, mit der Möglichkeit zur Integration ans Verb angebundener syntaktischer Elemente. Dabei wird, wie an unseren Beispielen sichtbar, auch die Genusvariation der Verbaladjektive, wie auch der Adjektive überhaupt genutzt.
(80) Hoffnungshauendes Echo der Verheißung im Irdischen, rückhallend in der irdischen Zuversicht; empfangsbereit ist der Sterbliche, umgeben vom irdischen Sein. (Broch 1976, S. 98/99)
Man kann das gerade Ausgeführte tabellarisch folgendermaßen zusammenfassen: [81]
(81) Tabelle 1
SUBSTANTIVISCHE SETZUNG
TRANSPOSITION MODIFIKATION
Name
|
Wortartwechsel l: Umkatego-risierung |
Wortartwechsel II: Konversion |
Derivation
|
Inkorporation I: Zusammen-bildung |
Inkorporation II: Rektions-kompositum |
Komposition
|
Komposition
|
Präfigierung
|
Vorgang
|
Optionenwahl
|
Transponierung |
Strukturie-rung |
Strukturierung + Kondensierung |
Kondensie-rung |
Typisierung
|
Subklassi-fizierung |
Modifizierung |
Ausgang
|
Nominale Verbformen; Adjektive |
Wortformen; Phrasen |
Lexeme
|
Phrasale Einheiten |
regierendes Zweitglied |
Erstglied
|
Zweitglied
|
Substantiv
|
Ziel
|
Kern einer Nominalgruppe |
Kern einer Nominalgruppe |
Derivat |
Wortgrup-penderivat |
Nominali-sierung |
Kompositum
|
Kompositum
|
Derivat
|
Technik
|
Lexematische Merkmale der Basis
Nutzung des nominalen Inventars der Wort-arten Verb und Adjektiv |
Lexematische und formale Merkmale der Basis; sub-stantivische Flexion
Nutzung der Kodierungs-möglichkei-ten anderer Wortarten und Phrasen |
lexematische Merkmale der Basis; sortierende Suffixe der Zielwortart Substantiv Nutzung von Standardklas-sifikationen innerhalb der Wortart |
Relationen zw. Basisele-menten; for-male Trans-position des rechten Ba-siselements Nutzung von Relationen in der Basis zu spezifischen Klassifikatio-nen |
Relationales Zweitglied und von ihm ausgehende Abhängigkei-ten
Nutzung de-pendentieller Zusammen-hänge bei relationalen Nomina |
Extraktion von Hyperonymen aus dem Erst-glied; Set-zung als Zweitglied Nutzung der Hyponymierelation zur Subsumption unter Oberbegriffe |
Kombination von Elementen sprachlicher Schemata; Erstglied zeigt relevante Subklasse an Nutzung lexikalisch angedeuteter Schemata zur Spezifikation |
Lexemati-sche, kategoriale und formale Merkmale der Basis
Modifikation und klassematische Umorientierung
|
Funktion
|
Vereindeu-tigung |
Symboli-sierung |
Indizierung
|
Inszenierung
|
Kontextu-alisierung |
Explikation
|
Subklassifi-kation |
Schema-tisierung |
ERLÄUTERUNG [82] Es gibt also zwei Fälle, bei denen ein Lexem aus einer DER TYPEN anderen Wortart durch Einbindung in die substantivische Flexion substantiviert wird. Am leichtesten geht das, wenn diese Möglichkeit schon als sekundär in der Form angelegt ist. Im Fall der Substantivierung ist eine solche Umkategorisierung bei den Nominalformen des Verbs, dem Infinitiv und den Form der Partizipien I und II, und im Kernbereich der Adjektive möglich. Die Wahl der substantivischen Option in diesen Fällen zeigt sich in Belegen wie den Folgenden:
(82) Umkategorisierung
a) Das Schweigen als Tätigsem - das Stummsein als Leiden
b) Das Kind strich im Getragenwerden oberhalb des Ellbogens des Vaters entlang
c) Der lang, überlang Erwartete endlich heimkommend […], mit dem Geräusch der Schritte des endlich Ankommenden fängt das Seelenherz des Wartenden zu schlagen an.
d) Durch die Beschäftigung mit dem Benannten [...] versäume ich das Benennbare.
e) Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles enthüllt, sondern mit der Zeit erst finden diese suchend das Bessere. (Handke 1998, S. 118, 9, 128/29, 129, 112)
Die Konversion geht von den in den Hauptwortarten angelegten Übergängen aus, wie sie sich vom Verb her beim Infinitiv und vom Adjektiv her in dessen substantscher Verwendung finden; dabei hat das Verb mit dem Partizip ein weiteres Mittel, seine Bedeutung mit einer bestimmten Akzentuierung als Substantiv wirksam werden zu lassen. Manche dieser eigentlich auf flexivischem Wege erklärbaren Bildungen haben einen lexikalisierten Platz als selbständige Wortschatzeinheit gefunden; das gilt für Infinitivnomina wie das Schweigen oder das Leiden, aber auch für substantivisch verwendete Adjektive wie die Sterblichen. Wie dieser Typ von Wortartübergangen dazu dient, die verschiedenen Kategorien der Ausgangswortart nutzbar zu machen, sieht man an der passivischen Nominalisierung Getragenwerden ebenso an der Gesamtnominalisierung des Kopulaprädikats in Stummsein und Tätigkeit oder an der komparativischen Nominalisierung das Bessere. In dem Nebeneinander von das Benannte und das Benennbare wird sichtbar, dass hier durch die Nominalisierung deverbaler Adjektive die Möglichkeit geschaffen wird, Modalität in den Substantivbereich zu transportieren - in diesem Fall durchaus in Robert Musils klassischer Unterscheidung von Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn.
(83) Konversion
a) Eine Birke vor dem Sternenhimmel: ideales Gegenüber.
b) Das Glück der Augen des Gegenüber
c) Ein Nichts tief erleben (Handke 1998, S. 114, 129, 137)
In diesen weiteren Beispielen sieht man, dass das Benennbarmachen von Elementen weiterer Wortarten, hier Adverbien und Pronomina deutlich auffälliger ist. Hier werden Lexeme einer anderen Wortart - es können auch größere Einheiten sein - durch die Annahme der substantivischen Flexionsmorphologie zu setzungsfähigen Einheiten gemacht. Dieser Wortartwechsel auf der symbolischen Zeichenebene ist Konversion im eigentlichen Sinn. [83]
(84) Derivation
a) Für die meisten ist „Erzählung" immer noch das (grausige) Gewölle, das ein Verschlinger der Wirklichkeit nach vollbrachter Tat hervorwürgt, während ich, Erzähler - das Ich als Erzähler - an der Wirklichkeit schlucke, in Begeisterung und Trauer, in begeisterter Trauer.
b) der begeisterte Versäumer
c) Die höchste Erzählung ist nicht Beschreibung von Aktionen, Reflexionen, Reflexen, sondern die Wiedergabe einer Folge von Dingen; die Evokation einer ebenso unerhörten wie einleuchtenden Dingfolge, die Dinge, in einem einmaligen Zusammenhang wahrgenommen, der durch das Evozieren ein für allemal gilt.
d) angezogen von den Schweigern, von den Schweigenden
e) „Die Statue des Bedenkers“: Ja, im Be-Denken wurde man statuarisch, im Bedenken, in der Tat. (Handke1998,S.117,211,229, 247,332)
Hier sieht man in einer Reihe der Beispiele den Zusammenhang mit den bisher angesprochenen Techniken des Wortartwechsels, denn substantivische Derivation dient meistens ebenfalls der Transposition. Gerade die letzten beiden Beispiele mit dem Nebeneinander beider Möglichkeiten zeigen aber auch, dass wir uns mit der Suffixderivation in spezifischeren Arten der Umsetzung bewegen. Man sieht an den verschiedenen Belegen unter (84), wie die Suffixe die Möglichkeit bieten, eine der Relationen in dem dargestellten syntaktisch-semantischen Zusammenhang zu binden, zu thematisieren. In einem weiteren Schritt wird die Technik der Inkorporation dazu genutzt, weitere Elemente einzubinden, ohne dass das Zweitelement unmittelbar eine lexikalische Einheit sein müsste (Beispiele [85]). Im Beispiel b) kann man sehen, wie diese Möglichkeit sogar zu einer Art Reanalyse einer lexikalisierten Bildung (Bergsteiger) genutzt wird. Man sieht an diesen Beispielen auch, dass der Übergang zwischen den verschiedenen Techniken der Inkorporation fließend ist. Handelt es sichbei Bergbesteiger wohl um eine Zusammenbildung, so bei Sommergewitterankündigung eindeutig um ein Rektionskompositum.
(85) Inkorporation
a) Sommergewitterankündigung
b) Die Bergbesteiger sind unplatonisch.
c) Der Blechbieger gestern abend (Handke 1998, S. 165, 203, 343)
Die Beispiele unter (86) dokumentieren den vor allem in fachlichen Zusammenhängen wichtigen Typ der explikativen Komposition. Was den fachlichen Charakter angeht, so scheint es normalerweise so zu sein, dass das Erstelement auf der erwartbaren normalen semantischen Ebene zugreift, um dann im Zweitelement auf einegeneralisierende Abstraktionsebene geführt zu werden. Das literarische Beispiel c) spielt offenkundig mit diesem Effekt, in d) dient es der lexikalischen Einbettung einerMetapher:
(86) Kompositionexpl
a) den Auswirkungen des Modernisierungsprozesses schlechthin. „Modernisierung“
b) das Angebotsspektrum reicht vom `klassischen' Nachtwächter […] bis hin zum allenthalben boomenden Sicherheitsgewerbe. `das Angebot'; (Beck 1997, S. 176, 188) [84]
c) Jede Schreibaktion ,jedes Schreiben'
d) vor der bretonischen Waldwand `der bretonische Wald'; (Handke 1998, S. 396,385)
Nicht umsonst stammen die problemlosesten Beispiele für die substantivischen Determinativkomposita aus dem Bereich der Konkreta. Hier gibt es offenbar allerlei Benennungsbedarf, der durch die Herunterdifferenzierung von lexematisch festgelegten Konzepten geleistet wird, die semantisch auf der normalen Ebene der Benennung liegen. Komposita, die auf dieser semantischen Ebene einsteigen und eine nachvollziehbare Differenzierung leisten, wirken normalerweise vergleichsweise unauffällig. Das sieht man auch an den Beispielen unter (87): Riegel, Schlösser, Pfeifen, Sprays, Pistolen, etwas weniger spezifisch auch Kameras, sind Objekte, die eine normalsprachliche Orientierung in der Welt der Sicherungsmöglichkeiten entfalten, von denen dieser Text spricht. Erwartbar - und zum Teil lexikalisiert - ist, dass nach betroffenem Objekt (Tür), Zweck {vorleg-}, Art und Weise {triller-}, Mittel {Pfeffer; Tränengas}, Funktion
{Alarm; Überwachung} differenziert wird. Am Rande - zur Inkorporation - steht die Bildung mit Geber,51 das ansonsten dem Muster entspricht.Auffälliger, und daher mit einer zusätzlichen Instruktion versehen (`Ironiesignal') sind in diesem Kontext die funktionalen Abstraktionen über diesen aufgezählten Einzelobjekten: Mechanik, die zum (Ver)sperren, Elektronik, die zur Einfriedung dient. Auf derselben Ebene der semantischen Abstraktion liegen die Komposita Survival, Ausrüstung und Passiv-Bewaffnung; sie sind allerdings im Kontext auffällig, stammen sie doch aus martialischen Kontexten. Die formale Auffälligkeit der Bindestrich-Schreibung mag als zusätzliches Signal dafür gelten, daneben aber vor allem im ersten Fall auch der Kombination neuer Entlehnung mit indigenem Zweitelement geschuldet sein. Deutlich stilistisch ist der Gebrauch des Bindestrichs bei Großbürger-Villen und Kleinbürger-Quartiere, wo auch sonst alles - z.B. die Wahl der Basen, dergesuchte Parallelismus - den Wunsch erkennen lässt, diese Benennungen als Typisierungen verstanden haben zu wollen.
(87) Komposition
Türriegel, Vorlegeschlösser, Mehrfachsicherungen, Alarmgeber und Uberwachungskameras breiten sich von den Großbürger-Villen in die Kleinbürger-Quartiere aus: Wohnen hinter einem Wall von Sperrmechanik und Einfriedungselekronik. Trillerpfeifen, Pfeffersprays, Tränengaspistolen, Elektroschocker gehören für immer mehr Leute zur individuellen Survival-Ausrüstung: Noch scheint in Mitteleuropa die Passiv-Bewaffnung die Heimkehr mit heiler Haut hinreichend zu gewährleisten. (Beck 1997, S. 187) [85]
2.3.2 Adjektivtypisches
Gänzlich anders sind die Voraussetzungen beim Adjektiv. Das zeigt sich schon am Bestand von primären `einfachen' Adjektiven. Ihre Zahl liegt allenfalls bei einigen Hundert. Es handelt sich dabei um Wörter und oft auch um Paare wie in folgendem Beispiel:
(88) primäre Adjektive I
junge Frau und ältere Dame
sehr groß, ein langes lockeres Knochengestell (Rehmann 1999, S. 8, 14)
Von daher ergibt sich schon ein erhöhter Benennungsbedarf, der nicht nur aus Modifikationen bereits vorhandener Adjektive geleistet werden kann. Zum anderen zeigt die Wortart Adjektiv ein syntakto-semantisches Doppelgesicht, das sich in einer Vielzahl von Verwendungsbesonderheiten niederschlägt. Es gibt neben den eigentlichen Eigenschaftswörtern, den zentralen und prototypischen Adjektiven (Adjektiv I),
(89) komplexe Adjektive I
eine misstrauisch gewordene, menschenscheue Schönheit
eine […] stockfleckige Photographie (Ransmayr 1991, S. 131, 137)
eben auch die nur attributiv verwendbaren Zugehörigkeitsadjektive (Adjektiv II). Für diese Funktion des Attributivums gibt es überhaupt keine primären Lexeme, bei ihnen werden immer Lexeme einer anderen Wortart transponiert.
(90) Adjektive II und III
wo sie sich in der Nachbarschaft handwerklich oder künstlerisch betätigen (Rehmann 1999, S. 15)
ein handschriftliches Testament des Dichters (Ransmayr 1991, S. 136)
TRANSPOSITION Die hier angedeuteten Tatbestände führen dazu, dass Trans-KORPORATION position, also Wortartwechsel zum Adjektiv hin, die Produk- MODIFIKATION tivität und den Ausbau der verschiedenen Wortbildungsarten und Wortbildungsmuster entscheidend prägt. So nimmt die regelmäßigste Wortbildungsart mit dieser Funktion, die Derivation, beim Adjektiv die zentrale Stelle ein.
spezifische Zwei weitere Dinge kommen hinzu, durch die zumindest die Modifikations- zentralen Eigenschaftswörter unter den Adjektiven ausge- klassen zeichnet sind. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie gerne in antonymischen Paaren geordnet sind, wie das die obigen Beispiele schon zeigen. Bei den Zugehörigkeitsadjektiven mag dem entsprechen, dass auch sie Bereiche herausschneiden, in gewissem Sinn die Negation aller anderen Optionen darstellen, daher in ihrer Negation den Rest der Optionen benennen.52 [86]
(91) Wir werden da manchen Gruppen begegnen, die auf den ersten Blick sehr seltsamerscheinen, wie etwa „weißen Negern“, „nichtjüdischen Juden“. (Beck-Gernsheim 1999, S.13)
Verträge können in schriftlicher oder nichtschriftlicher Form geschlossen werden.“Nichtschriftliche“ Form meint nicht nur die mündliche Form. (Martin/Drees 1999, S. 148)
Zum anderen ist das Adjektiv ja als die Wortart gekennzeichnet, die graduiert, gesteigert werden kann. Das geschieht auf zwei Weisen, in der grammatischen Form der Steigerungsmorphologie mit Komparativ und Superlativ/Elativ, aber auch durch lexiko-grammatische Mittel. In beiden Fällen, der Antonymenbildung und der Steigerung, geht es um eine im Verhältnis zur Komposition mit ihren kombinierten Einzelbedeutungen abstraktere Art der Modifikation. Zu ihrer Domäne gehören modifizierende, d.h. linksdeterminierende Wortbildungsmorpheme. Die Präfixbildung ist an dieser Stelle und besonders mit diesen beiden Funktionen systematisch ausgebaut, aber auch bis in idiomatisierte Einzelbildungen verteilt.
(92) Es ist ein tollkühnes Beginnen (Hacks 1987, S. 81)
Daß seine Entfernung aus Rom [...] unumgänglich erscheinen mußte (Ransmayr 1991, S.121)
Wortartfestlegung Bei Wortartwechsel vom Substantiv her spielt, wie an-Wortartwechsel gedeutet, die Suffigierung die entscheidende Rolle. Sie ist auch vom Verb her möglich und bietet einige der schlagendsten Muster für eine ganz systematische Anwendung von Wortbildungsregeln. Hier ist allerdings auch noch ein weiter Bereich der Konversion, den wir nicht als der Wortbildung zugehörig betrachten wollen, sondern als nominale Option im Verb, nämlich die adjektivische Verwendung des Verbs im Partizip. Dabei dient das Partizip I heutzutage im Deutschen ausschließlich der Signalisierung einer sekundären Verwendung eines verbalen Lexems, es hat ja keinen Platz mehr in der verbalen Flexion. DasPartizip II ist in dieser Hinsicht ein kritischerer Fall. Wenn man die analytischenTempusformen und das Passiv als voll grammatikalisierte Formen des entsprechenden Verbs betrachtet, steht das Partizip II genau am Übergang zwischen flexivischerVerboption und Signalisierung nominaler Verwendung.53
Techniken der Aber es ist offenkundig, dass diese sekundären Verbverwen-Inkorporation dungen Möglichkeit in sich fassen, in ein solcherart neu geschaffenes Adjektiv Bindungen zu inkorporieren, die vom verbalen Lexem ausgehen. So spielt denn Inkorporierung bei verbalen und mehr als einwertigen adjektivischen Basen eine wichtige Rolle. Dabei kommt es dann durchaus vor, dass sich solche Muster über ihren eigentlichen Bereich analog weiter ausbreiten. Es ist das einer jener Bereiche, wo sich dann Reihen von Bildungen mit demselben Zweitelement finden, die gegenüber dem selbständigen Vorkommen dieses Elements gewisse [87] Besonderheiten, vor allem eine bestimmte semantische Entleerung zeigen und zum Teil auch die syntaktische Normalverwendung wie einen stilistischen Sonderfall aussehen lassen. Diesem Übergangsbereich versucht man mit dem Begriff des Affixoids, hier spezieller des Suffixoides oder Halbaffixes beizukommen. Die Verwendung dieses Terminus tritt in neueren Arbeiten wegen seines prinzipiell diachronen Charakters aber eher wieder zurück. Man betont jetzt eher den Zusammenhang zwischenden beiden Typen und spricht von einer speziellen Art der Komposition oder der Derivation. Sie gehört zweifellos unter den Oberbegriff der Inkorporation wie wir ihn hier verstehen.
Komposition Durch die genannten Faktoren ist aber der Bereich der eigentlichen Komposition, insbesondere der Determinativkomposition deutlich eingeschränkt. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die am Rande der satzsyntaktischen Kodierbarkcit stehenden Relationen. Das sind einerseits Grund-Folge-Beziehungen, andererseits die Relation der Bereichsrestriktion; dabei sind schon gewisse konsekutive Bildungen und vor allem das produktivste der Muster, die Vergleichsbildung, immer in `Gefahr', zu lexikalisierten Graduierungspräfixen zu werden.
Dagegen hat bei den Adjektiven, da es ohne weiteres möglich ist, sich eine additive Kombination zweier Eigenschaften zu einem neuen Ganzen vorzustellen, das Kopulativkompositum einen wesentlich größeren Raum als beim Substantiv, von dreizehn über süßsauer bis schwarzweiß:
(93) Dies dreistnaive, sehnenwendige Kuriosum mit der verschmollten Schnute und den unrasierten Unterschenkeln'. (Politycki 1997, S. 284)
Auch beim Adjektiv lässt sich also zeigen, dass die Wortbildung ein Kontinuum im Spannungsfeld zwischen Transposition und Modifikation zur Verfügung stellt. Beim Adjektiv stellt sich zudem heraus, dass die morphologisch orientierten Beschreibungsmuster, die normalerweise relativ unmodifiziert von der Beschreibung des Substantivs übernommen werden, hier im Hinblick auf die funktionale Belastung der verschiedenen Bildungstypen eine deutliche Schiefsicht zur Folge haben. Das wird schon durch zwei Phänomene nahegelegt, die überall konstatiert werden. Zum einen liegt die Anzahl primärer Adjektive weit unter der von Substantiven, zum anderen sind die Adjektive durch Negierbarkeit bzw. Gegensatzbildung gekennzeichnet, was sich in einem deutlichen Gewicht auf präfixartigen Ausdrucksmitteln niederschlägt, die diesem Zweck dienen. Beides zusammen schwächt den beim Substantiv zentralen Typ der modifizierenden Wortbildung, die Komposition. Auch das andere Ende, das man hier fast nicht Transposition nennen will, ist ganz anders ausgestattet, ist durch den quasi-flexivischen Übergang zwischen Verben und Adjektiven im Bereich der Partizipien geprägt.
(94) [...] nach einem zwei Tage und Nächte tobenden Gewitter […] am darauffolgenden TagAn der Mole versammelte sich eine verstörte Menge […] einen goldenen, zerrissenen Schleier
[…] unter dem schweißüberströmten Gewicht eines durchreisendem Mineurs (Ransmayr 1991, S. 121, 149, 120, 121, 124) [88]
Derivation Wenn man zudem die Verwendung von Adjektiven in Betracht zieht, die ja erst im Kontakt mit einem Bezugselement - prototypisch mit einem Nomen bei der attributiven Verwendung - ihren eigentlichen Sinn erhalten, stellt sich neben dem flexivischen Übergang bei den Partizipien die Transposition durch Suffixe als der zentrale Teil der adjektivischen Wortbildung dar. Diese Suffixe zeigen zunächst, dass es sich um Adjektive handelt, d.h. sie stellen Junktoren zwischen den Basislexemen und den Bezugssubstantiven dar. Diese Funktion lässt sich recht schön an den mengenmäßig bedeutendsten drei Suffixen,
-ig, -lich und -isch sehen. Wenn sie auch generell signalisieren, dass das jeweilige Basislexem zum Adjektiv gemacht wurde, akzentuieren die verschiedenen Suffixe denn doch Unterschiedliches. Während das Suffix -ig über Vergleich (eine tiefe, pelzig angerauhte Stimme [Rehmann 1999, S. 8]), (übermäßiges) Vorhandensein (war er an den frostigen Rand geraten [ebd. S. 12]) oder Dispositionsangabe (in ihrer unauffälligen Behendigkeit [ebd. S. 14]) unmittelbar Eigenschaftswörter produziert,54 funktioniert das Suffix-isch im Wesentlichen auf dem Weg der Klassenzuordnung (Statements über die richtigen Standpunkte, moralisch und politisch [ebd.S. 30]) und deren prototypische Wertung (Sie empfiehlt sie aber auch nicht als moralische oder ökologische Haltung eines „einfachen Lebens“ [ebd. S. 19]), das Suffix -lich läßt im Kern noch seine Herkunft aus dem adverbialen Bereich erkennen (dass er augenblicklich gesunden würde [ebd. S. 15]).
zentrale Suffixe Wenn diese Suffixe auf den ersten Blick nicht viel mehr sagen, als dass es sich bei den entstehenden Wörtern um Adjektivehandelt, so lassen sich doch durchgehend die erwähnten Tendenzen beobachten.Dabei kann man -isch und -lich gegenüber -ig dadurch zusammenfassen, dass sie dieEigenschaftsbestimmung über eine im Einzelnen unterschiedliche Art der Zuordnungleisten, wie z.B. bei den Adjektiven tänzerisch oder festlich, wo Typisches am Tanzoder einem Fest wahrgenommen wird. Dagegen leistet -ig die unmittelbare, allenfalls direkt durch einen Vergleich erzeugte Zuordnung eines Merkmals, bedeutet also eineArt `haben' oder `enthalten sein' oder ein `sein wie'. Und das vor allem, wenn die Basen Substantive sind wie etwa in einem Adjektiv wie einmotorig. Bei verbalen Basen, die allerdings seltener sind, nimmt das Adjektiv fast so etwas wie eine dauerhaft gewordene Partizipialbedeutung an, man denke an Adjektive wie auffällig, das ja soviel bedeutet wie auffallend. Die Bildungen mit -isch und -lich lassen sich voneinander nur dadurch unterscheiden, dass im -lich häufig die alte adverbiale Bereichsangabe lebendig ist. In mittelhochdeutscher Zeit bildete man bekanntlich Adverbien zum Teil durch Anhängen des Suffixes -liche. Bei vielen Bildungen ist nach wie vor deutlich, dass sie ursprünglich verbmodifizierend gedacht waren, so etwa das Adjektiv ordentlich in den folgenden Belegen:
(95) Ein Wirbelwind, in dem sich mit Laub und Papierfetzen eine vollständige Zeitung drehte und im Fliegen sogar ordentlich auf- und zuklappte.
Ihre Kinder waren dabei eher zufällig und eher Zeugen der Verbindung als ordentliche Familienangehörige. (Handke 1979, S. 104,108) [89]
Die grundlegende Verwendung des Adjektivs ordentlich ist die der Modifikation eines Handlungsverbs, nämlich das `etwas ordentlich zu tun' ist. Erst sekundär sind attributive Zuordnungen zu Substantiven, die nicht deverbal sind, wie hier bei Familienangehörige, wo eine sehr weitgehende Übertragung vorliegt, möglich. Die Bereichsangabe, die durch -lich geleistet wird, ist also im Kern adverbial. Dagegen leistet -isch bei muttersprachlichen Basen einfach eine Bereichszuordnung, wobei durch das Basissubstantiv der Bereich genannt wird, aus dem die Eigenschaft zu nehmen ist. Diese Zuordnung kann mehr oder minder klar sein. Man vergleiche das folgende Beispiel:
(96) [Er war] schnurstracks zu dem in irdischer Schönheit ihn grüßenden Giebelhaus gegangen. (Handke 1979, S. 89)
Das eigentlich lexikalisierte Adjektiv irdisch hat hier offenkundig eine andere Bedeutung. Es nimmt sie zweifellos in irgendeiner, allerdings nicht einfach nachzuvollziehenden, Weise von der Zuordnung zu dem Bereich Erde her. Die meisten Fälle sind aber klarer deutbar oder lexikalisiert, so dass wir über ihre Bedeutung aus Tradition Bescheid wissen:
(97) mochten sie in der Außenwelt einst auch zerstörerisch gewesen sein (und die Zerstörung immer noch fortsetzen). (Handke 1979, S. 12)
Es ist die Eigenschaft, immer zu zerstören oder zerstören zu wollen, auf die hier durch die Bereichsangabe (zerstört) in der Basis hingewiesen wird. Das wird an dieser Stelle auch durch den Textzusammenhang mit Zerstörung ganz deutlich gemacht.
Bei fremdsprachigen Basen ist das ein wenig anders. Von diesen lassen sich keine Adjektive mit -lich bilden, so dass hier -isch die ganze Breite der Möglichkeiten abdecken muß: man überlege sich, ob man ein Adjektiv wie ironisch in dem folgenden Beleg eher adverbial fundiert oder als bezogen auf eine Bereichsangabe Ironie verstehen will. Vermutlich liegt hier die erste Interpretation näher:
(98) Manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, ob er ein Argument ernst oder ironischmeint. (Enzensberger 1985, S. 28)
… und ihre So ließen sich denn die großen Bereiche, welche die drei wich- Aufgaben tigsten Adjektivsuffixe abdecken, mit folgenden Beispielen belegen.
(99) -ig
Eine bösartige Grimasse = `von böser Art'
Der Erdboden bucklig = `mit vielen Buckeln versehen'
rundschultriger, eifriger Volksbeamter = `runde Schultern / Eifer habend'
Die buschigen, hellen Schweife = `wie Büsche-
War Sorger [...] auffälliger als sonst = ,auffallender' (Handke 1979, S. 86, 86, 41,
20,107)
Ein Beleg wie rundschultrig zeigt zudem, dass das Haben oder Besitzen eines bestimmten Merkmals erwähnenswert sein muss, um zu einem neuen Adjektiv führen zu können. Dass Menschen Schultern haben, ist selbstverständlich und daher unwichtig, runde Schultern sind das Merkmal, das die Sache hier im Text interessant macht. Ähnliches könnte man von den folgenden Belegen sagen: [90]
(100) Die einmotorige Mietmaschine
gelbköpfige Kometenbüschel (Handke 1979, S. 73, 33).
Auch diese Adjektive geben jeweils eine spezifische Information im Unterschied zu anderen Optionen. Das bringt es auch mit sich, dass sehr häufig Bildungen auftreten wie eben einmotorig, wo ein Determinator wie ein mit dem Basissubstantiv Motor gemeinsam die Basis der Ableitung bildet. Diese Bildungstypen werden in den normalen Wortbildungslehren eher beiseite gelassen, da sie die übliche binäre Untergliederung vor erhebliche Schwierigkeiten stellen.
Zentrale Beispiele bei den --Adjektiven mit einheimischen Basen wären etwadie folgenden:
(101) -isch
Dieser begrüßt jetzt den ins Haus Tretenden mit einem wie schurkischen Blick der Überlegenheit.
Schrecklich verführerisch
Ein tragisches Geheimnis (Handke 1979, S. 73, 20, 22)
Dem Bereich der Schurken, der Verführer bzw. des Verführens oder der Tragik werden jene Eigenschaften zugeordnet, welche in den Adjektiven ausgedrückt werden sollen.
Wie schon erwähnt, steckt letztlich in -lich der alte modale Kern.
(102) -lich
Ein amerikanisches Weihnachtslied - nicht probiert, sondern wie absichtlich falsch gespielt.
Er glich ihnen nicht nur äußerlich.
Seine Sprache war das Spiel, in dem er wieder beweglich wurde.
Eine wie brüderlich wirkende Massigkeit. (Handke 1979, S. 68,104, 104, 23)
Es ist die Art und Weise der Modifikation, das `Wie', das die Einheit über diesen Bildungstyp liefert. Dem entspricht auch, dass bei deverbalen Bildungen nicht die aktivische Umsetzung des Verbinhalts wie etwa bei -ig vorherrscht,55 sondern eine Art der passiven Modalisierung, diese zudem in meist stark idiomatisierter Form:
(103) Daß diese Macht sich unwiderstehlich ausdehnt (Enzensberger 1985, S. 23).
Die Geschichte der unvergleichlich anderen Bewegungen (Handke 1979, S. 19)
Hier ist von etwas die Rede, dem `nicht widerstanden werden kann', mit dem `nichts anderes verglichen werden kann', und doch wäre ein Wort unwiderstehbar, wenn es das gäbe und nicht vergleichbar etwas anderes. Die Bildungen mit -lich haben über die passiv-modale Bedeutung `das kann getan werden bzw. kann nicht getan werden' eine Gesamtbedeutung erlangt, die ihnen im Lexikon als idiomatisierten Ausdrücken zukommt. [91]
… zusammen- Die drei großen Adjektivsuffixe des Deutschen, so könnte man gefasst man resümieren, leisten im Wesentlichen die Arbeit der Transposition von Inhalten, die primär in anderen Wortarten, vor allem dem Substantiv und dem Verb lexikalisiert sind. Die Suffixe -ig, -lich und -isch zeigen im Kern ihre ganz spezifische Weise dieses Umsetzungsvorganges - wenn es dann natürlich auch unklarere Fälle und Übergänge gibt.
Die -isch-Adjektive bezeichnen die Eigenschaften über eine Angabe des Bereichs,aus dem man die jeweiligen Eigenschaften deduzieren soll. Sie sind daher zentral vonSubstantiven gebildet und leiten uns an, nach stereotypen Eigenschaften zu suchen,die man mit einem Substantiv verbinden könnte. So bekommt gemäß dem altenScherz, dass das Schwein seinen Namen zu Recht trage, da es ein sehr unreinlichesTier sei, das Adjektiv schweinisch eine Bedeutung irgendwo im Bereich von `übel, unanständig'. Auch Bildungen, die inhaltlich eher auf die jeweiligen Verben zu beziehen sind, werden formal so ausgedrückt, als seien sie eine Bereichsangabe zu einem Substantiv; das kann man an dem oben bereits zitierten Beispiel sehen:
(104) Aus welchem schrecklich verführerisch […] der Sog […] kam.
Wenn wir auch inhaltlich hier eher die Tendenz haben, die Bedeutung von verführerisch unmittelbar in eine verbale Bedeutung wie `anlockend' umzusetzen, d.h. das Wort im Wesentlichen als `verführend' zu verstehen, ist hier immerhin noch eine formale Ableitung zu dem existierenden Substantiv Verführer möglich. Bei anderen solchen Bildungen wie etwa halsbrecherisch in einer Verwendung wie die halsbrecherische Klettertour lässt sich auch formal diese Herleitung nicht mehr halten, da es den *Halsbrecher nicht gibt. Man sieht, dass wir uns hier mit diesen -isch-Adjektiven in der Nähe der Adjektive auf -lich befinden.
Denn die Adjektive auf -lich leisten in ihrem Kern, wie gesagt, eine adverbiale Zuordnung der Art und Weise. Um auch das noch einmal an einem Beispiel auszuführen:
(105) Gegen den er sich tatsächlich einmal gerichtet hatte (Handke 1979, S. 22).
Die Modifikation der Art und Weise, die wir in tatsächlich finden, ist genau die Modifikation der Wirklichkeit, die der Satzmodus und die sogenannten Satzadverbien leisten. Auch restriktive adverbale Beziehungen werden so aus formal ganz verschiedenen Basen transponiert:
(106) das mit christlichen Grundsätzen inner- und zwischenstaatlicher Ordnung zu konkurrieren wagte (Koselleck 1992, S. 354).
In änderen Fällen ist es die Beziehung der Art und Weise, wie sie in Adjektiv-Adverbien enkodiert wird, von der die Basis der Bedeutung geliefert wird: eine glückliche Einheit (Handke 1979, S. 23). Auch synchron nicht mehr als desubstantivisch erkennbare Bildungen wie gewöhnlich funktionieren so. Da -lich, wie bereits erwähnt, nicht zu fremden Stämmen treten kann, wird die adverbiale Umsetzung bei Basen aus Fremdwörtern von -isch mit übernommen. Den zentralen deverbalen Teil der -isch-Adjektive bilden die oben diskutierten modal-passivischen Schemata. Es gibt allerdings auch seltener aktivische Bildungen vom Typ erfreulich `erfreuend'. [92]
Sind sich nun aber die Bildungen auf -isch und auf -lich insofern noch einig, als sie nicht unmittelbar die Zuordnung von Eigenschaften signalisieren, sondern über Bereichszuordnung (über den Typ Adjektiv II) bei -isch bzw. über Handlungsmodifikation (über den Typ Adjektiv III) bei -lich zur Benennung von Eigenschaften (zumAdjektiv I) kommen, signalisiert das Suffix -ig unmittelbar, dass es sich bei dem entstehenden Wort um ein Eigenschaftswort handelt. Das heißt auch, es gibt keine Zugehörigkeitsadjektive auf -ig, wenn man von den deadverbialen Bildungen vomTyp heutig, dortig absieht, deren Status unklar ist.56 Bei desubstantivischen Bildungen mit dem Suffix -ig wird die Eigenschaftszuordnung im Normalfall durch die Relation des Besitzens oder Anteilhabens (vgl. Adjektive wie waldig oder steinig) bzw. durch eine Vergleichsrelation `sein wie etwas' (vgl. Adjektive wie wollig) geleistet.
(107) Schwalben, von ihrem Schwarm verlassen, weißbäuchig, dicker und viel kleiner als anderswo. (Handke 1979, S. 51)
Das `Haben eines weißen Bauches' als ein spezifisches Charakteristikum, nicht ein zufälliges Merkmal für den Moment, das ist die Bedeutung, die durch Bildungen wie weißbäuchig signalisiert wird.
In den deverbalen Fällen ist die Bedeutung fast partizipial zu nennen (vgl. durchlässig, das fast etwas ist wie `durchlassend'). Nur wird beim Adjektiv die Handlung oder ihr Vorgang, die im Verb ausgedückt sind, zu einer Disposition, also auch zu etwas prinzipiell Dauerndem, gemacht:
(108) In einen dämmrig-sonnigen Raum (Handke 1979, S. 51)
Ein dämmriger Raum ist eben ein Raum, in dem es prinzipiell dämmert, der in gewissem Sinne zum Dämmern neigt.
Die drei bisher besprochenen Suffixe bieten zwar leicht verschiedene Möglichkeiten, zu neuen Eigenschaftswörtern zu kommen, prinzipiell liegt ihnen aber insofern noch ein relativ einfaches Muster zugrunde, als sie im Hinblick auf die auszudrückende Eigenschaft eine Ja-Nein-Entscheidung darstellen. Die Adjektive auf -isch, -lich und -ig drücken aus, dass eine bestimmte Eigenschaft vorhanden ist, allenfalls kann die Zuordnung negiert und solcherart eine antonymische Eigenschaft postuliert werden.
Zusätzliche Offenbar besteht aber im Bereich der Eigenschaften an be Differenzierung stimmten Stellen ein Differenzierungsbedarf, der durch die Suffixe nicht hinreichend gestillt wird. Dort werden Mittel entwickelt und ausgebaut, die in genauerer Weise signalisieren, von welcher Art die Beziehung zwischen der Basis des Adjektivs und dem Bezugssubstantiv ist. Dieser wird durch verschiedene Elemente mehr Relief verliehen.
Drei wichtige inhaltliche Bereiche, wo das offenkundig der Fall ist, sind erstens die Relation des Habens bzw. Vorhandenseins, dann die Vergleichsrelation, wie sie [93]
etwa in wollig vorliegt, und schließlich der Bereich der Modalisierung von Handlungen, d.h. grob gesagt des Könnens oder Wollens.
… durch Suffixe Zum Teil, allerdings zu einem geringeren Teil, hat das Suffixsystem der Adjektive selbst schon Möglichkeiten ausgebildet, um solche Lücken auszufüllen. Man denke etwa an ein Suffix wie -haft, das den Vergleichscharakter des Adjektivs gegenüber möglicherweise entsprechenden Bildungen auf -ig verdeutlicht.
(109) Das wannenhafte Plätschern; einen ruckhaften […] Taumel; wirkt er […] puppenhaft; mit einem tierhaften […] Geschnarch; ganz hamsterhaft (Handke 1979, S. 11, 19, 23, 26, 35).
mit riesigen, mausmakihaft aufgerißnen Augen (Politycki 1997, S. 19)
Das -haft in all diesen Bildungen fordert uns dazu auf, uns Gedanken über den Vergleich zu machen, der diesen Bildungen jeweils zugrunde liegt. Diese Aufgabe ist zweifellos ohne Kontext unterschiedlich schwierig, die Bildungen zeigen aber sehr schön, dass neue Adjektive, die man normalerweise in keinem Wörterbuch findet, der Stützung durch den Text bedürfen. Was immer man sich unter wannenhaftem Plätschern vorstellen kann, im Kontext wird es klar: diese Beschreibung wird im Gegensatz zu den wilden Wellen des Meeres für einen sanft heranplätschernden Fluss verwendet. Die Puppenhaftigkeit im nächsten Beispiel wird durch den Kontext auf eine mechanische Starrheit eingeschränkt. Diese Bedeutung ist nicht gänzlich unüblich, gibt es doch eine Reihe von Werken der deutschen Literatur, in denen die Marionette oder die Puppe als die mechanische Menschentsprechung aufgeführt werden. In den anderen Fällen sind der sammelnde Hamster und das großäugige Nachttier die einen Vergleich ermöglichenden typischen Eigenschaften.
…durch spezifi- Nun kann aber die einfache Instruktion, genauer auf das schere Junktoren `Wie' zu achten, in dem einen oder anderen Fall auch nicht ausreichen. Für diese Fälle hat die deutsche Sprache in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Mustern ausgebaut, die in den üblichen Wortbildungslehren als Halbaffixe geführt werden.
der Art und Weise erlauben eine genauere Signalisierung, wie zum Beispiel der Vergleich der Art und Weise zwischen der adjektivischen Basis und dem Bezugsnomen, um das es geht, zu verstehen ist. So hat sich z.B. ein Suffix -artig herausentwickelt. Wir haben oben schon das Adjektiv bösartig diskutiert. Ausgehend von solchen und ähnlichen Bildungen, hat sich das Element -artig mit der Bedeutung `nach Art von' in einer Weise verselbständigt, die es in vielen Fällen nicht mehr erlaubt, in der Beschreibung auf das Substantiv Art zurückzugreifen. Es sei hier nur der Beginn der langen Liste aus Muthmanns Rückläufigem Wörterbuch mit solchen Bildungen zitiert:
(110) Veranda-, zebra-, trieb-, sieb-, gold-, hemd-, sand-, gelatme-, grippe-, bronze-, trance-, creme-, pique-, see-, relief-, krampf-, schöpf-, kröpf-, scharf-, torf-, schlag-, teig-, talgartig (Muthmann 1988, S. 358) [94]
Und niemals einer von diesen ästhetischen Henkergesellen, die eine kalte Klinge im Auge haben, die Guillotine-Blicke auf dich werfen und fallbeilartig Urteile fällen. (Strauß 1997, S. 72)
Die Beispielliste bei Muthmann geht vier Spalten weiter. Man kann sich anhand von Beispielen, in denen beides, nämlich Suffixe und Halbaffixe möglich sind, fragen, was der Unterschied zwischen den Bildungen ist. So gibt es etwa triebhaft neben triebartig oder ruinenhaft neben ruinenartig. Nun ist aber -artig, wenn auch schon spezieller als die Suffixe, immer noch eine relativ allgemeine Modifikation der Art und Weise. Es bilden sich für besonders wichtige Relationen dann noch eigene Halbaffixe heraus. Für das menschliche Handeln besonders wichtig scheint offenbar die Form von bestimmten Dingen zu sein. Daher gibt es eine große Menge von Bildungen, die das zweite Element -förmig an sich tragen; auch hier seien nur die ersten Beispiele aus dem Rückläufigen Wörterbuch zitiert:
(111) delta-, stab-, sieb-, r ad-, schild-, band-, handförmig usw.
Ja, noch eine weitere Differenzierung ist systematisch ausgebaut, die den Vergleich des `Wie etwas sein' als Ähnlichkeit genauer bestimmt:
(112) sieb-, tweed-, gold-, hunde-, eheähnlich usw.
Es handelt sich bei diesen Bildungen aber nicht, wie es scheinen möchte, um relativ beliebige Komposita, ist doch der Bedeutungsschwerpunkt eher auf dem Erstglied, man versteht die Bildungen in (97) weniger als Spezialfälle von Ähnlichkeit, sondern mehr als Variationen von z.B. Sieb + `Art von' . Analog sind die Bildungen in (96) kaum Ableitungen zu Komposita vom Typ Siebform, sondern Spezifizierungen der Art-und-Weise-Modifikation im Hinblick auf die Kategorie `Form' .
Man kann hier die Abwandlungen nach `Art' ` .Form' und `Ähnlichkeit' als ein Paradigma betrachten, in das die Zuordnung nach der Art und Weise ausdifferenziert werden kann.
des Habens In ähnlicher Weise kann man sehen, dass in neuerer Zeit der Bereich des Habens oder Nichthabens mit den Abstufungen dazwischen, der, wie gesagt, durch die -ig-Adjektive nur pauschal in einer Ja-Nein-Entscheidung angesprochen wird, mit einer endlichen Reihe solcher Halbaffixbildungen ausdifferenziert werden kann. Vor allem gibt es in diesem Feld neuerdings eine Tendenz, genauer zu spezifizieren, ob bestimmte Stoffe, die wir haben wollen, oder die wir nicht haben wollen, in geringerer oder größerer Menge irgendwo enthalten sind: So gibt es, um das unnütze oder schädliche Fett zu meiden, fettarme Lebensmittel, d.h. solche, die wenig Fett enthalten, ja zum Beispiel sogar fettfreie Milch; will man neutral davon sprechen, könnte man von bestimmten Nahrungsmitteln, aber zum Beispiel auch von Crèmes sagen, sie seien fetthaltig, wenn irgendwo viel Fett enthalten ist, kann man das mit dem Adjektiv fettreich ausdrücken. Das heißt, wir haben hier mit einer festen Reihe von Bildungen mit den immer wiederkehrenden Zweitelementen -frei, -arm, -haltig, -reich die Möglichkeit, etwas, was Eigenschaftswörtern inhärent ist, nämlich die Fähigkeit, gesteigert zu werden, in einem lexikalischen Paradigma ausgebaut. [95]
der Modalität Auffällig ist der Ausbau solcher paradigmatischen Verhältnisse auch im Bereich der Modalitäten, also von Bildungen, die in irgendeiner Weise eine Modifikation von `können', `müssen', `wollen', oder `dürfen' ausdrücken. Wir haben gesehen, dass zumindest die Bedeutungsvariante `können + Passiv' (passivisch-modal) bei den -ig-Adjektiven eine gewisse Rolle spielt, nicht zuletzt in negierter Form: so wenn zum Beispiel jemand einen unverzeihlichen Fehler begangen hat. Wie man an dieses Beispiel gleich anhängen kann, gibt es ein eigenes Bildungsmittel speziell für dieses Muster, nämlich das Suffix -bar.57 Man kann praktisch zu jedem transitiven Verb solch ein Adjektiv bilden: essbar, trinkbar usw., so auch z.B. unverzeihbar. Wenn man dieses Wort gegen das formal verwandte unverzeihlich hält, sieht man, dass die -bar-Bildungen viel wörtlicher zu verstehen sind. Gegenüber diesen rein passiven Bildungen entwickelt sich eine große Menge von Bildungen mit dem Halbaffix -fähig, die eine aktivische Sicht oder zumindest eine Sicht implizieren, bei der das Subjekt stärker beteiligt ist. Auch hier zunächst einige Bildungen, wie sie das Wörterbuch - über Seiten hin - aufführt:
(113) erb-, schuld-, beihilfe-, ehe-, aufnahme-, reise-, see-, hoffähig
Diese Bildungen haben den Vorteil, zur Verkürzung auch viel komplexerer Verhältnisse gebraucht werden zu können. Dazu nutzen sie die inkorporierende Kraft der in {fähig zu} angelegten rektionalen Anbindung. Und wenn auch die Bedeutung von fähig zu einer allgemeineren Möglichkeitsvariante reduziert ist, so bleibt doch diese Bindungsfähigkeit der Kern dieser Bildungen. Wenn man etwa ein Wort wie beihilfefähig betrachtet, das gerne in Fügungen wie beihilfefähige Aufwendungen vorkommt, dann kann man sehen, dass es sich ungefähr auflösen lässt als: Aufwendungen, die von der Beihilfe anerkannt werden können. Niemand allerdings würde das so auflösen. Die kulturelle oder intertextuelle Kenntnis ermöglicht es, den Zusammenhang von Beihilfe und `können', der in dieser Bildung enthalten ist, aufzulösen, ohne die Einzelteile und ihren Zusammenhang genauer zu interpretieren. Als ein Beispiel der bewusst genutzten Ambivalenz in diesem Bereich mag der folgende Beleg dienen:
(114) […] machte ihn beziehungsfähig und wahlfähig, im zweifachen Sinn: er konnte wählen und gewählt werden. Von wem? Von wem auch immer; er wollte nur wählbar sein. (Handke 1979, S. 16)
Ansonsten können die Modalisierungen in gewissem Sinn ebenfalls graduell weiter ausdifferenziert werden. Dafür nur einige Beispiele [96]
(115) • WOLLEN
-willig: aussage-, ehe-, impf-, blüh-, lern-, opfer,
auch negiert: zahlungsunwillig
-freudig: rede-, geburten-, schalt-, drehfreudig
• KÖNNEN
-kräftig: heil-, deck-, zahlungskräftig
-trächtig: skandal-, zukunfts-, profitträchtig
• MÜSSEN
-pflichtig: maut-, rezeptpflichtig
• (NICHT) DÜRFEN
-widrig: ehe-, form-, rechtswidrig
Man kann sehen, dass es sich zum Teil um Steigerungen der Bereitschaft, des Grades der Beteiligung handelt, zum anderen {widrig} um den unmittelbaren Ausdruck negativer Eigenschaften, was etwas ist, das sich mit den normalen Suffixen nicht realisieren lässt.
Wir wollen die Aufzählung solcher Bildungen hier abbrechen. Man kann auf jeden Fall sehen, dass hier zu der Verbindung zwischen der Basis des Adjektivs und dem Bezugssubstantiv gegenüber den Suffixen, die nicht viel mehr als eine leicht spezifizierte Markierung der Tatsache bezeugen, dass es sich hier um Adjektive handelt, eine zusätzliche Information hinzukommt. Bestimmte kommunikativ relevante Kriterien für eine Einordnung werden in einer Reihe paradigmatisch aufeinander bezogener Bildungstypen in ein Raster grober generellerer Klassen eingeordnet.
…durch Szenen- Darüber hinaus finden sich bei den Adjektiven eine Viel-
indikatoren zahl von Bildungen, deren Zweitglied ein Partizip ist, das seinerseits das Erstglied syntaktisch und semantisch bestimmt. Das klingt so, als handle es sich hier um Komposita, und als Partizipialkomposita werden sie meistens in der Literatur geführt. Entgegen dem ersten Anschein handelt es sich aber auch hier funktional weniger um die Differenzierung einer partizipialen Basis, als um eine nochmals um eine Stufe genauere Einordnung des Verhältnisses zwischen dem Erstglied solcher Konstruktionen und dem Bezugssubstantiv. All diese Bildungen sollen als die zweite Art der adjektivischen Variante von Inkorporation verstanden werden. Das macht hinreichend klar, dass die Frage, ob es sich um Komposition oder - bei den sogenannten `Halbaffixen' - um Derivation handelt, eigentlich gar nicht richtig gestellt ist. Die in dem Junktor angelegte Leerstelle erfordert eine inkorporierende Füllung: davon spricht nicht zuletzt das Mitwirken der `Verbform' Partizip. Aber zurück zur den partizipialen Inkorporationen:
(116) • rückwärtsgerichteter Kindersitz (adac S. 12); eine Marketingstrategie, die Deutschland viel erlebnisorientierter vermarktet; unsere eher mentalitätsbedingten Probleme (adac S. 60)
• Sie reinigt es mit zitrusduftendem Olivenöl, die kakaogebutterte Haut, ein feuchtigkeitsspendendes Gel, keine benzingetriebenen Fahrzeuge, die männerdominierte Türkei (SZ, S. 13) [97]
• jahrhundertespiegelnde Tennendächer (Handke 1997, S. 152), die floskelbeschilderten Friedhöfe (Handke 1997, S. 157)
• Ein hermetisches, erhöhtes zeitentbundenes Erleben (Strauß 1997, S. 55)
Es geht in all diesen Fällen eigentlich um eine spezielle Art der Beziehung zwischen rückwärts und Kindersitz, Erlebnis und Vermarktung, Mentalität und Problemen, Zitrus(frucht) und Olivenöl, Kakaobutter und Haut, Feuchtigkeit und Gel, Benzin und Fahrzeug, Männern und Türkei, Jahrhunderten und Tennendach, Floskeln und Friedhöfen, Zeit und Erleben. Die denkbare Beziehung wird durch das Verbindungselement spezifiziert, manchmal in überraschender Weise spielerisch verfremdet. So z.B. bei die kakaogebutterte Haut: die allgemeine Beziehung des `Bestreichens' wird lexikalisch als bebuttern realisiert, was eigentlich nur bei Broten statthaft ist, aber möglich wird, da ein Sonnenschutz- und Bräunungsmittel Kakaobutter heißt. Ähnlich ließen sich die anderen Beispiele interpretieren. Das heißt, funktional geht es hier nicht um die Spezifizierung von beschildern durch `mit Floskeln', sondern um die Differenzierung der Beziehung zwischen Friedhof und Floskeln dadurch, dass `Floskeln' in die szenensetzende Kraft des Junktionselements in Form eines Partizips II eingebunden wird.
komposita In diese Kategorie gehören denn auch die Adjektivkomposita, die von der Relationalität des Zweitglieds leben. Sie sind der andere Typ von Inkorporation:
(117) Siliconharz-Fassaden färben wie etwa Amphisilan sind wasserverdünnbar, umweltschonend und geruchsarm. Sie sind in hohem Maße wasserabweisend und wetterbeständig nach VOB. Ferner sind sie nicht filmbildend und mikroporös, (wohnen S. 67)
Dagegen sind eigentliche Determinativkomposita, also solche mit einem nichtrelationalen Zweitelement eher selten und tendieren zu adjektivtypischer Uminterpretation. Es gibt sie aber:
(118) […] an die mannshohen Farne (Ransmayr 1991, S. 121)
Das Korngrün maidunkel und fett.
[…] eine kabeldicke Sehne schwillt an.
die eiskalten Mutanten der Mnemosyne (Strauss 1997, S. 12, 38, 56)
Vor allem modale Bildungen wie eiskalt rücken mit ihrer steigernden Bedeutung in die Nähe der bei den Adjektiven im Vergleich zum Substantiv deutlich stärker ausgebauten Präfixbildungen; zu ihnen wären sicher die folgenden Bildungen zu rechnen:
(119) Wie die blutjungen Troilus und Cressida
in hochzivilisierten Ländern
Die Äcker waren frischgepflügt, blitzsauber (Strauß 1997, S. 83, 138, 206)
Wie diese Bildungen funktionieren, lässt sich im Übergangsbereich gut zeigen:
(120) Aus dem Gepäck kramt er eine feuerrote, mit farbigen Blumen- und Tiermotiven geschmückte Robe aus Damast (Braunger 1995, S. 12) [98]
`Rot wie Feuer' ist die Robe: dennoch liegt auch in dieser Bildung schon der Kern zu einer anderen Deutung: bei Eigenschaftswörtern, hier einem Farbwort, können die verschiedenen Unterabteilungen wie die Grade einer Eigenschaft gelesen werden, gerade bei jenen häufig `absolut' genannten Eigenschaften, die der normalen morphologischen Steigerung nicht zugänglich sind. Was könnte `röter' sein als `feuerrot'? So ist denn auch jemand, der aschgrau im Gesicht ist, besonders grau, und jemand, der mausetot ist, ist sprachlich ganz besonders tot. So sieht man am Beispiel der Steigerung, wie sich hier lexematisch selbständige Elemente in ein Muster einbinden, welches adjektivtypischer Modifikation, spezifischer: der Steigerung dient. Ähnliches ließe sich auch für Negation und Antonymenbildung zeigen.
(121) der dem Fremden ein unheizbares […] Zimmer […] vermietete. (Ransmayr 1991, S. 8)
Bei der Bedeutung solch modifizierender Kategorien verwundert es denn nicht, dass die Präfixbildungen beim Adjektiv eine entscheidende Rolle spielen.
FUNKTION DER Hauptfunktion der adjektivischen Wortbildung ist also die ADJEKTIV- Junktion; die Suffixe zeigen mehr oder minder nur den Ad WORTBILDUNG jektivstatus und ganz grobe Zuordnungsregeln des Eigenschaftstyps an, in der Inkorporation bauen die sogenannten Halbaffixe kommunikativ relevante Grobkategorien paradigmatisch aus, sie bringen Relief in die Szene und die Partizipialbildungen erlauben es, die Besonderheit einzelner Beziehungen noch dadurch zu vertiefen, dass sie zur Verdeutlichung der Verbindung eine Verbszene aufrufen.
Das soll nicht weiter ausgeführt werden, vielmehr soll auch am Ende dieses Kapitels eine Übersicht zu den Funktionen der Wortbildung innerhalb der Wortart Adjektiv stehen. Als Konstante kann man immerhin feststellen, dass es einen Kernbereich der Wortbildung gibt, der durch Transposition geprägt ist und einen Kernbereich, der von Modifikation gekennzeichnet ist. Das sind beim Adjektiv die Suffixableitungen und die Präfixbildungen, während die Determinativkomposita dagegen an Bedeutung eher zurücktreten. Dem entspricht, dass auch der Teil der von uns behandelten Prozesse deutlich von den Verhältnissen beim Substantiv abweicht, den wir mit dem Oberbegriff der Inkorporation gekennzeichnet haben. Aufgrund der syntaktischen Relationalität und Aktualisierung nur mit einem Substantiv, dem es zugeordnet ist, haben Konstruktionen, die formal durch die Abhängigkeiten, die von Zweitelementen mit Adjektivcharakter ausgehen, geprägt sind, einen intermediären Status, sie verbinden die Basis mit dem Bezugsnomen. Im Sinne dieser abgestuften Junktion verschiebt sich somit der Bedeutungsschwerpunkt deutlich auf die linken Elemente. So ergibt sich eine funktionale Reihe vom Suffix über das sogenannte Halbaffix zum partizipialen Zweitglied. Sie stellen drei Stufen der Präzision dar, in der wir die Beziehungen zwischen adjektivischer Basis und Bezugsnomen variieren können. Auf der anderen Seite gibt es in der Bildung der Partizipialformen einen einfachen morphologischen Weg eines verbalen Lexems in die Verwendungsmöglichkeiten eines Adjektivs hinein. Wir wollen das als die Ausfüllung einer sekundären Funktion dieser Lexeme verstehen. Dagegen stellt die eigentliche Konversion beim Adjektiv keine bedeutsame Möglichkeit dar: sie macht zunächst auch Halt beim Übergang [99] in die unflektierten Möglichkeiten des Adjektivs rechts von N. So ergibt sich, bei scheinbar ganz ähnlichem Inventar, doch eine deutliche Verschiebung gegenüber den Verhältnissen beim Substantiv. Sie hat mit der unterschiedlichen syntaktischen Einbindung der beiden Wortarten zu tun.
… eine Beiseite gelassen haben wir einen Bereich, der sich allerdings for-Ergänzung mal nicht besonders auszeichnet, sondern eher zeigt, dass die Entstehung eines Adjektivs stärker semantisch betont sein kann als bei den bisher besprochenen Beispielen (Adjektiv I), aber auch mehr syntaktisch betont als bei den Zugehörigkeitsadjektiven (Adjektiv II). Sie ermöglichen einfach die attribuierende Relationierung von zwei Basen, ohne der Adjektivbasis den Charakter der Eigenschaft zu verleihen:
(122) Im gegenständlichen Fall habe der römische Bürger Publius Ovidius Naso die Residenz [...] verlassen. (Ransmayr 1991, S. 131)
Dazwischen stehen die eigentlich auf adverbale Modifikation zurückgehenden Bildungen (Adjektiv III):
(123) Über den vorliegenden Reiseantrag war daher spruchgemäß zu entscheiden. (Ransmayr 1991, S. 131)
… die Mittel Die Möglichkeiten adjektivischer Wortbildung reichen somit von der flexionsmorphologischen Enkodierung:
(124) von jenem verrußten Balkonzimmer
dieser Prozeß der fortschreitenden Sprachlosigkeit (Ransmayr 1991, S. 132, 134)
und punktuell anderen Formen der Konversion:
(125) Finden Sie das auch super?
zunächst bis zu den Suffixbildungen, die ebenfalls die Wortart fixieren, dann aber auch gewisse klassematische Unterscheidungen klarlegen:
(126) neben der halboffenen Tür zu einem spartanischen Bad […] der kolossale Schreibtisch in der Mitte, dahinter der hochlehnige, geschnitzte Arbeitsstuhl […] und am entfernten Ende eine spärliche Sitzecke (Rehmann 1999, S. 57)
Die Suffixe -al und -ig führen direkt zu Eigenschaftsbenennungen, -isch vergleicht über die Zugehörigkeit zu Sparta, und die Fügung von der spärlichen Sitzecke irritiert deswegen leicht, weil -lich eher auf die adverbialen Wurzeln verweist.
Dann kommt man, auf dem Weg hin zu wortbildungsmäßig expliziteren Wörtern, bei jenen Bildungen vorbei, die in unterschiedlicher Weise Nutzen ziehen aus den rektionalen und dependenriellen Anlagen von adjektivierenden Zweitelementen. Hier zeigt sich der syntaxnahe Teil der adjektivischen Wortbildungsarten.
(127) geheimnisvolle Andeutungen (Rehmann 1999, S. 56)
die ehrwürdige Tradition (Rehmann 1999, S. 57)
gekoppt mit der revolutionsprophylaktischen Empfehlung (Koselleck 1992, S. 355) [100]
Gegenüber der sonst bei der Modifikation dominanten Komposition fällt hier auf, dass semantische Kategorien, die in einem gewissen Bereich innerlexikalisch oder morphologisch gelöst werden - Negation und Graduierung - in verschiedene Typen von Präfigierung eingehen.
(128) Wo er doch eine urdeutsche Regung ist (Rehmann 1999, S. 55)
Bei der Komposition ist dafür auffällig, dass die Addition von Eigenschaften zu neuen abgewandelten Eigenschaften, also formal das Kopulativkompositum, einen stärkeren Stand hat:
(129) eher bürgerlich-demokratisch als ökonomisch-materialistisch akzentuiert (Koselleck 1992, S.378) [101]
(130) Tabelle 2
ADJEKTIVISCHE SETZUNG
TRANSPOSITION MODIFIKATION
Name |
Wortartwechsel l: Umkategori-sierung |
Wortartwechsel II: Konversion |
Derivation |
Inkorporation l: Derivation / Komposition |
Inkorporation II: Rektionskompo-situm |
Komposition / Präfixbildung
|
Präfixbildung |
Vorgang |
Optionenwahl
|
Transponierung |
Strukturierung |
Typisierung
|
Inkorporierung |
Subkategorisierung |
Variation |
Ausgang |
Nominale Verbformen |
einzelne Substantive |
Lexeme |
reihenbildendes regierendes Zweitglied |
regierendes Zweitglied
|
adjektivisches Zweitglied
|
adjektivische Basis
|
Ziel |
Partizip |
Adkopula |
Derivat |
Kompositoid |
Kondensat |
Kompositum / oid |
Präfixbildung |
Technik |
Lexematische und formale Merkmale der nominalen Formen der Wortart Verb |
Lexematische Merkmale der Ausgangswort-art; adjektivi-sche Distribu-tion |
Lexematische Merkmale der Basis; sortie-rende Affixe der Zielwortart |
Lexematische Merkmale des Erstelements; Paradigmatisie-rung der Zweitelemente |
Dependentielle Steuerung des Zweitelements; rektionale Ein-bindung des Erstelements |
Lexikalische Merkmale beider Konstituenten; Schemaeinbindung zur Kategorisierung u. Modifikation |
Lexikalische Merkmale der Basis; modifi-zierende Prä-fixe (adjektiv-typische Kate-gorien) |
Funktion |
Vereindeutigung |
Symbolisierung |
Indizierung |
Reliefbildung |
Inszenierung |
Schematisierung |
Modifizierung |
[115]
2.3.3 Ganz anders: das Verb
Schon von der Funktion her, die Verben im Satz einnehmen, zeigen die Mittel der Wortbildung, die hier zum Einsatz kommen, eine gänzlich andere Struktur, die Gesamtheit der Wortbildung beim Verb hat eine eigene Gestalt. Dabei bleibt die Fragestellung zunächst auch hier die gleiche: was macht die Wortbildung mit Lexemen, die schon verbalen Charakter haben, im Unterschied zu denen, aus denen sie erst Verben machen muss?
OPTIONEN DER Wenn etwas schon ein Verb ist, dann kann es modifiziert MODIFIKATION werden. Dazu dient beim Verb zuvorderst die Technik der Präfixbildung. Aber schon wenn man sich die deverbale Teilgruppe der Präfixverben ansieht, kann man feststellen, dass die Modifikation, von der wir sprechen, auf drei Ebenen angreift. Es kann natürlich um semantische Modifikation gehen, daneben, und im Falle der festen, nicht trennbaren Präfixe, noch davor, geht es um Modifikationen des Valenzmusters und um fast morphologische aspektuelle Modifizierungen. Vor allem diese zweite, die syntaktische und satzsemantische Stufe macht ganz deutlich, dass hier die Konzentration auf das verbale Lexem zu kurz greift, es geht um das verbale Lexem und seine satzsemantische Umgebung, die bei dieser Art von Wortbildung verhandelt wird.
Präfigierung Bedeutsam ist die Präfixbildung beim Verb, da sie praktisch die einzige Wortbildungsart bei dieser Wortart ist, bei der kein Zweifel am Wortcharakter der entstehenden Konstruktion herrscht. Hier einige Belege für die gängigsten Präfixe (be-, ent-, er-, miss-, ver-, zer-, durch- und über-):
(131) Cotta fühlte, dass Tomi ihn w beobachten, ja zu belauern begann
[…] und erfaßten als einzig ergiebige Neuigkeit nur ein Liebespaar
um der Apparatur der Wacht zu entgehen
Man misstraut mir.
Was die beiden verband, mußte also mehr sein
Zu welchen Mythen Nasos Schicksal unter den Schlägen der Politik auch immer zerfiel.
nach einem durchzechten Nachmittag
keine Spuren zu hinterlassen schien
Bemühungen, die Unüberwindlichkeit zu überwinden (Ransmayr 1991, S. 124,125, 123, 13, 123, 124, 128, 131)
KLAMMERBILDUNG Bei fast allen anderen Bildungen wird der Zweifel an der Festigkeit der Bindung schon dadurch genährt, dass diese Formen beim Eintreten in die Satzklammer voneinander getrennt und auf die beiden Klammerhälften verteilt werden. Vor allem die Erstelemente solcher Bildungen kommen dadurch an einen Platz, an dem auch entsprechende syntaktische Elemente stehen könnten.
Partikelverben Das Paradebeispiel für die Nutzung dieses Musters sind die so genannten Partikelverben, gelegentlich werden sie auch trennbare Präfixverben genannt. Auch bei ihnen handelt es sich um einen auf die Spezifika der [103] Wortart Verb ausgerichteten Fall von Inkorporation, der allerdings als lexikalische Analogieregel - mit entsprechenden Isolierungseffekten bei der Bedeutung - mehr oder minder fest geworden ist:
(132) […] der den Fahrplan abschrieb
Nun war er angekommen
[…] der gelegentlich mit einem Satz Angelruten auftauchte
Wer […] eine besondere Gnade des Imperators nicht ausschöpfe
[…] in das Naso sich eingeschlossen hatte
[…] bei der Behörde um die Erlaubnis einer Reise ans Ende der Welt nachgefragt den Arm noch vorgestreckt […]
die auf das Schiff zusprang (Ransmayr 1991, S. 9, 8, 12, 131, 18, 131, 15, 7)
Drittens sind hier die verbalen Komposita zu nennen: ob es diese überhaupt gibt, ist außerordentlich umstritten. Das kommt nicht zuletzt daher, dass es sich hier wieder um den Typus der Inkorporation handelt, der beim Verb in verschiedenen Stufen ablaufen kann.
Verben mit Einen ersten Grad stellen schon die sogenannten Doppel-Doppelpartikeln partikelverben dar, die räumliche Interpretation mit Bezug auf den Sprecherstandort kombinieren, und nicht immer ganz einheitlich zu beurteilen sind; vgl. die folgenden Belege mit analoger Form:
(133) Aber die Dünung hob […] das Schiff, hob die ganze Welt hoch über den salzigen Schaum der Route hinaus.
Wer hier zum Fischen hinausfuhr, der fluchte auf das leere Wasser.
[…] blickte dem langsam heranwehenden Staub ratlos entgegen. (Ransmayr 1991, S. 8, 9, 22)
Wie auch immer man das terminologisch fassen will, im zweiten Beispiel ist die inkorporierende Univerbierung zweifellos weiter fortgeschritten, auch semantisch: das Hinausfahren des Fischers stellt sich als eine feste Handlung dar, während wir im ersten Fall eher noch von einer syntaktischen Verdeutlichung der Szene durch ein adverbiales hinaus ausgehen würden. Auch das dritte Beispiel scheint eher ein gesamtes Wort zu präsentieren, auf das sich die adverbiale Modifikation durch das langsam Ununterschieden bezieht. So handelt es sich hier zweifellos um so etwas wie Rektionskomposita, allerdings ist der erreichte Grad an Univerbierung ganz unterschiedlich.
Komposita Die bisher genannten trennbaren Wortbildungstypen waren gemeinsam dadurch gekennzeichnet, dass ihre Erstelemente, die als zweite Klammerelemente auftauchen, sich im Kern auf ein direktionales und lokales Ordnungsprinzip beziehen, wie es durch die entsprechenden Adverbien und präpositionalen Phrasen aufgespannt wird. Hier sind wir offenkundig ganz in der Nähe der Syntax, im Falle der direktionalen Bestimmungen bei einer Kategorie, die auch in der Syntax durch eine außerordentlich hohe Nähe zum verbalen Lexem des jeweiligen Satzes gekennzeichnet ist. Das ist anders bei einer Reihe weiterer Bildungen, wo entweder weniger strikt syntaktisch angebundene adverbiale Relationen in stärker univerbierter Form integriert werden, oder abhängige Infinitive, oder bestimmte [105] nominale Elemente mit einer ungewissen Eigenständigkeit. Das sind die Kandidaten für das Determinativkompositum beim Verb:
(134) aus den Händen einer Krämerin in Tomi entgegengenommen
würde […] der Verbannte […] in seinen Metamorphoses heimkehren
Und die Unerfüllbarkeit seiner eigenen Sehnsüchte wiederzuerkennen
(Ransmayr 1991,S. 137, 130, 24)
(135) die im Leeren stehengebliebenen Torbögen (Ransmayr 1991, S. 14)
(136) Straßenjungen, die Lavendelsträuße feilboten
daß den Andächtigen […] die Lippen daran festfroren.
der habe seine verwandtschaftliche Nähe für immer preisgegeben.
(Ransmayr 1991, S. 19, 26, 131)
IM ZENTRUM: Der klassische Fall, der auch die Wortbildung des deut- PARTIKELVERBEN schen Verbs entscheidend prägt, ist die Bildung mit den trennbaren Präfixen: sie bilden ja auch den Kern der Erscheinung, die man Lexikalklammer nennt. Selbst die Rechtschreibreform, die ja z.B. in dem Bereich, den man Verbalkomposition nennt, deutlich aufgeräumt hat,58 rechnet diese Fälle eindeutig zu den komplexen Wörtern, bei denen die Zusammenschreibung bleibt. Die Duden-Grammatik (1998) versucht, ihre Zwischenstellung aus erkennbarer Verwandtschaft mit adverbialen oder präpositionalen Fügungen und präfixartigen Wortteilen im Konzept des Halbaffixes aufzufangen. Das ist rein synchron nicht ganz glücklich. Vielmehr zeigt sich bei einem genaueren Blick, dass es sich um eine spezifisch lexikalische Verdichtung von Szenenzusammenhängen handelt, die als solche auch logischerweise mit der Wortart Verb verbunden sind. Wie die bisherige Beschreibung schon zeigt, handelt es sich um die ganz typische Art von Inkorporation, da Elemente integriert werden, die in ähnlicher Weise syntaktisch angeschlossen werden könnten, die aber normalerweise eben nicht genau so anschließen, bzw. eigentlich noch eine ganz spezifische Art der Ergänzung des inkorporierten adverbialen Elements erwarten lassen- so dass im Verhältnis zur Syntax häufig genau der für die Wortbildung interessante Bedeutungsbestandteil nicht explizit auftaucht. Die Nähe zur Syntax und auch die Distanz zeigen fast alle Verwendungen dieser Verben, die man findet, so auch in dem folgenden Textstück:
(137) Die Mähdrescher fahren über die Hügel, vorwärts und rückwärts, auf und ab. Und ein anderer mit rotem Traktor kommt nach und sammelt ein. Mit dem Motorenschall spielen die Lüfte, mal dämpfen sie, mal wehen sie ihn auf. Das Wasser wippt ganz flach im Wind, und Noppen breiten sich statt Wellen aus. (Strauß 1997, S. 17)
Natürlich kommt der Traktor nach den Mähdreschern, aber das sagt das Verb nachkommen hier nicht exakt, sondern dass er (auch funktional) hinterdreinkommt. Und natürlich ist ein einsammeln ein `in ein Aufbewahrungsobjekt hineinsammeln', aber das ist nur eine Rekonstruktion ohne jeden Gebrauchswert, ja von sehr fraglicher Akzeptabilität. Unklar ist, wie man den aufgewehten Motorenschall hier unter[105]bringt: zwar hängt auch aufwehen, wie bei den Adverbien herauf/hinauf mit der Bedeutung `nach oben' zusammen, aber dieser Zusammenhang wird eben genau nicht syntaktisch rekonstruiert, sondern durch syntaktische Inkorporation zusammengebracht. Noch klarer ist das bei dem letzten Verb aus unserem Beleg: wohl geht die Ausbreitung von einem Kern aus und kommt, wenn man so will, irgendwo heraus - aber auch das ist weder Blickrichtung noch Konstruktionsweise des Partikelverbs, vielmehr ist es eine Bedeutung des `Ausfallens', die eine ganze Reihe von Bildungen mit aus- kennzeichnet. Noch dazu haben die beiden letztgenannten Bildungen mit auf- und aus- jeweils eine deutlich inchoative Komponente, die diesen Wortbildungsmustern wesentlich eigen ist, und die auch nicht mit entsprechenden syntaktischen Konstruktionen in Beziehung zu bringen ist. Auch hier liegt also wieder eine lexemspezifische Integrationsleistung lexikalischer Art vor, wobei natürlich beim Verb die Nähe zu Strukturen der Verbalgruppe, wie sie durch die Anhängigkeiten des Verbs gesteuert werden, die Grenzen zwischen Wortbildung und Syntax oft nahe aneinander treten lässt. Auch das mag man an dem obigen Beispiel sehen, wenn es im ersten Satz heißt, die Mähdrescher führen vorwärts und rückwärts - Richtungsergänzungen in Form von Adverbien - und dann auf und ab, `hin und her'. Mit dieser Partikelkombination befinden wir uns im Bereich einer phraseologischen Syntax. Aber insgesamt ist die lexikalische Eigenständigkeit dieser Bildungen doch so hoch, dass ihr Status als Bestandteil einer inkorporierenden Wortbildung unstrittig ist.
WO MAN DIE WAHL HAT Das ist anders bei jenen Bildungen, die man häu-DOPPPELPARTIKELVERBEN fig unter dem Terminus Doppelpartikelverben behandelt findet. Hier befinden wir uns offenbar genau an einer Stelle, wo Univerbierung eintreten kann oder nicht, so dass die entsprechenden Fügungen normalerweise als „feste Wortverbindungen” (Duden 1998, S. 796), die allerdings in gewissem Umfang zur Idiomatisierung neigen, gewertet werden. Motsch (1999, S. 51) spricht bei Fügungen wie hinaufsteigen, aber auch heraus fordern gleichermaßen von lexikalisierten syntaktischen Fügungen. Klassischerweise werden diese Bildungen im Bereich der Komposition behandelt (s. Fleischer/Barz 1995, S. 301-303). Wegen des deutlich relationalen Charakters des Zweitelements scheint es sinnvoll, auch diesen Bildungstyp im Bereich der Inkorporation anzusiedeln, was ja, da die Inkorporationstypen unterschiedlich syntaxnah sind, erlauben würde, zu erklären, dass wir uns hier in einem im Einzelnen schwer abgrenzbaren Übergangsbereich zwischen usualisierter Syntax und mehr oder minder locker inkorporierender Wortbildung befinden. Das hat natürlich mit dem ohnehin schwierigen Charakter von direktionalen Bestimmungen zu tun, die ja größtenteils in diesen Konstruktionen auftauchen, und die ja auch sonst die Syntax oft mehr prägen als die Verben, zu denen sie treten, sind sie doch syntaktisch praktisch immer unverzichtbar59. Die Festigkeit der Einbindung in den Satz bzw. der Bindung an das verbale Lexem sind in den folgenden Beispielen wohl verschieden: [106]
(138) a) But I'm not British, hat Vera vom Fenster heruntergerufen, not the way your Pearls are - nicht echt!
b) und stöckelt auf hohen Absätzen aus dem Gewimmel hinaus
c) Als eine neue Welle Reisender heranrollt […]
d) wenn die Stimme nicht schon den zweiten Teil des Wortes von der prekären Höhe herunterholen […] würde
e) während sie unwiderstehlich ins nächste Stimmungstief hinabgleitet
f) einen Holzstuhl, der Mr. Pears vorbehalten ist, wenn er auf seinen schweren Schuhen hereintapst
g) wo sie sich […] handwerklich oder künstlerisch betätigen, bis es sie wieder hinaustreibt
h) der träumend zum Fenster hinausschaut (Rehmann 1999, S. 108, 7, 8, 10, 11, 14, 15, 129)
Hier geht es von Bildungen, wo die Doppelpartikel wie in b) oder e) eine eher beliebige adverbiale Differenzierung darstellt, über Fälle, wo die syntaktische Konstruktion vom Verb mit der Partikel bestimmt wird wie in a), d), h) und ganz besonders f), wo keine Chance zu einer adverbialen Auflösung besteht, hin zu Fällen, wo es sich um von der Autorin deutlich als semantisch von entsprechenden syntaktischen Fügungen abgesetzte Bildungen handelt, wie, eher metaphorisch, in c) und abhängiger in g). Diese Befunde lassen es als sinnvoll erscheinen, diese Bildungen als einen Übergangsbereich in die inkorporierende Wortbildung hinein zu verstehen.60
AM RANDE: Noch kritischer ist beim Verb die Frage, ob hier überhaupt KOMPOSITA Komposita existieren; sie lässt sich nicht völlig unabhängig von dem gewählten Beschreibungsmodell beantworten. Wenn man von der Existenz verschiedener Typen einer Wortart Inkorporation ausgeht, wird man aufgrund des Charakters der Wortart Verb prinzipiell annehmen, dass es sich hier praktisch ausschließlich um Inkorporationen handelt. Diese Aussage betrifft natürlich nur determinative Verhältnisse, die Existenz einzelner kopulativer Bildungen sei damit nicht bestritten. Ihre systematische Bedeutung ist nicht besonders hoch. Häufig werden fachsprachliche oder literarische Beispiele - diese mit hoher stilistischer Auffälligkeit - genannt:
(139) Tschilpen, trillern, schirken, quietschen, zwitschern und flötzwitschern, alles mit überschärftem Klang, steht nah und doppelt erregt, weil kein Wind geht. (Strauß 1997, S.52)
Der Nutzen solch eines Bildungsmusters in der alltäglichen Kommunikation ist nicht besonders groß. Das ist auch logisch, hat doch das Verb zwar die Möglichkeit, alle Elemente, die es auch im Satz an sich binden kann, graduell in den Bereich der Univerbierung hineinzuziehen, allerdings sind andere Verben offenbar nur durch syntaktische Konstruktionen anzubinden. Gegebenenfalls werden Konstruktionen gebildet, in denen das eine der beiden Elemente in seinem verbalen Charakter verändert wird. [107]
ZWISCHEN: Dabei haben sich eine Reihe von Konstruktionen entwickelt, WORTBILDUNG die im Randbereich zwischen Prädikatsmorphologie, Syntax UND SYNTAX und Lexikon befinden. Daher ergeben sich gerade im Bereich des Verbs eine Reihe von Phänomenen, die von vornherein nicht eindeutig zuzuordnen sind, zum Teil ist ihre Zuordnung dem jeweiligen Sprecher oder Schreiber überlassen. Es handelt sich hier zweifellos um eine Zone im grammatisch-lexikalischen System des Deutschen, die sich nicht allein mit Mitteln der Wortbildung erklären lässt. Am einen Ende finden sich hier die Phänomene, die man neuerdings mit dem Konzept der Grammatikalisierung zu fassen versucht. Grammatikalisiert werden Konstruktionen, die in der Lage sind, in einer entsprechenden Konstellation die beiden Hälften der Satzklammer zu bilden. In den Bereich der engeren Verbalmorphologie fallen dabei sicherlich Konstruktionen wie das seit einiger Zeit viel diskutierte kriegen-Passiv, bei dem die Selbständigkeit dieses verbalen Elements im Sinne einer Auxiliarisierung herabgestuft wird. Es finden sich aber daneben durchaus fossilisierte Elemente, die man in die Nähe von Konstruktionen stellen kann, die in Sprachen anderer Sprachfamilien systematisch genutzt werden, und dort dann serielle Verben heißen, hierzu kann man Konstruktionen vom Typ er kommt gegangen zählen, die ein marginales syntaktisches Phänomen darstellen.61 Weiter in den Bereich des Lexikons kommt man hinein mit einer Reihe von Infinitiv-Verbindungen, bei denen sich die Finitum-Infinitiv-Verbindung mit einer finalen Interpretation verbindet. Das ist der Typ baden gehen, der daher auch schon in der Rechtschreibungsdiskussion eine Rolle gespielt hat. Für die Übergänge zwischen Syntax und Wortbildung sind vor allem die Verbindungen mit einer Infinitivform interessant, schließen sie doch unmittelbar an grammatische Möglichkeiten wie das Futur oder die Kombination mit Modalverben an. So erscheinen diese Konstruktionen zunächst durch die Form des Nachverbs wie eine der typischen Besetzungen der Grammatikalklammer (Futurklammer). Wie sehen in diesem Fall die Instruktionen aus, die uns in die Wortbildung hineinführen? Zunächst ist es offenkundig, dass in diesem Fall tatsächlich syntaktische Fügungen zusammenwachsen: laut Weinrich (1993, S. 1051) handelt es sich bei diesen Bildungen um die Verfestigung von Grammatikalklammern.
Verfestigung und Was kann hier Verfestigung heißen, woran merkt man sie, Univerbierung und wozu wird sie genutzt? Wichtig ist, dass hier nur bestimmte Vorverben, also Besetzungen des linken Klammerteils, in Frage kommen.
V + V-Typen Wenn diese Frage in Grammatiken behandelt wird, wird regelmäßig daraufhingewiesen, dass hier die Basis-/Vorverben bleiben und lassen die zentrale Rolle spielen, dann wird noch - allerdings nicht von allen - gehen und mit gewissem Abstand lernen genannt, letzterem aber offenbar nur die folgenden komplexen Verben und Verbfügungen bzw. eine Auswahl davon. [108]
(140) lerne: kennen, schätzen, lieben, fürchten
Nicht umsonst gehören diese Verben zu den in der Debatte um die Rechtschreibreform umstrittensten Fällen. Es gibt offenbar einen Weg von freien syntaktischen Fügungen wie schwimmen lernen zu den oben genannten Verbindungen, gleichzeitig aber verliert gerade in kennenlernen, das man als eine Art Archiverb über den anderen ansehen kann, das Lexem lernen etwas von seiner Vorgangsbezogenheit, die lexikalische Fügung verfestigt sich, und nimmt die genannten Kohyponyme mit sich aus dem Raum der Syntax heraus.
Am offenkundigsten ist der vorgefallene Wandel vielleicht bei lassen, das ja auch in seinen eindeutig der Syntax zuzurechnenden Verwendungen Besonderheiten zeigt. Schon diese und mehr noch die Neigung zur Inkorporation hängen ja zweifellos damit zusammen, dass lassen in einer Reihe von Fügungen seine Handlungseinbettung des `Bewirkens durch Befehlen oder durch Zulassen' so weit verlässt, bzw. dass dieser Kern beim Benutzer so weit in den Hintergrund tritt, dass nicht viel mehr als eine beiläufig agensbezogene Kausativität übrigbleibt, die dann in einzelnen Mustern oder Nischen in unterschiedliche Lexikalisierungsrichtungen ausläuft. Beiläufig agensbezogen heißt dann auch, dass vom Lassen immerhin auch noch ein Hauch des Zulassens bleibt - viele der Verben prägen Muster von Unachtsamkeit aus, das heißt, sie bilden Nischen der Idiomatisierung, ein Phänomen, das für Wortbildung typisch ist. Weinrich (1993, S. 1052) nennt folgende zweiteilige Verben mit lassen:
(141) lasse: sitzen, stehen, liegen, stecken, laufen, bleiben, mich gehen
Alle diese Bildungen sind durchsichtig, aber lassen hat jene Reduktion mitgemacht, die es systematisch für den ersten Platz in der Klammer geeignet macht - mit reduzierter lexikalischer, aber ausgebauter grammatischer Funktion, die man als einen spezifischen Fall von Kausativierung mit einer zulassenden Instanz ansehen kann.
Die Neigung, solche Verbindungen nur so zu sehen (und ggf. zusammenzuschreiben) oder einmal so und einmal so, variiert verständlicherweise von Lexem zu Lexem. Während die lexematische Lesart bei Fällen wie sich gehenlasscn dominiert, da hier der verbale Charakter des Erstelements durch den Typ der Reflexivierung ebenso reduziert ist wie bei bleibenlassen durch die Anordnung der Partizipanten, gibt man durch die Wahl der Einwortlesart von laufenlassen z.B. die Instruktion, eine spezifische Lesart des Erstelements laufen zu wählen, die selbständig nicht vorkommt. Dadurch wird ebenfalls, wenn man so will, der Verbalitätsgrad dieses Elements gesenkt, es wird zum typischen zweiten Klammerelement, das die Bedeutung der Gesamtkonstruktion erst schließt und seine übliche syntaktische Anbindung aufgibt. Man kann die ,festen' Formen also verstehen als den lexeminternen Ausbau einer spezifischen „kausativen Diathese” (Raible 1992, S. 269).62 Beidseitig akzentuierbar sind zweifellos die anderen Fälle, man kann sich entscheiden, ob man etwas an einem bestimmten Platz liegen lässt, oder ob man es dort liegengelassen d.h. `liegend gelassen' hat. [109]
Damit wären wir auch schon bei den Fällen mit bleiben; auch hier ein paar Beispiele:
(142) bleibe: sitzen, stehen, stecken, hängen, kleben, bestehen (Weinrich 1993, S. 1052)
Hier gibt es bessere Möglichkeiten der Beschreibung, als die Infinitivintegration syntaktisch-wörtlich zu nehmen. Schon aufgrund der Parallelität von bleiben, werden und sein liegt es nahe, hier den Infinitiv als eine im Finitheitsgrad abgestufte infinite Form zu sehen, die damit für etwas `Uneigentliches' frei wird. Das folgt Überlegungen von Talmy Givon (1990, S. 854/55), der auf der Ebene der verbalen Formkategorien folgende Abstufung nach Graden der Finitheit vornimmt:63
(143) most finite ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ least finite
indicative subjunctive participial infinitive nominal
⇒ ⇒ ⇒ ⇒
Normal und syntaktisch erwartbar wäre auch hier vielleicht das Partizip, also eine infinite Form mit höherem Finitheitsgrad. Was also bei der Verbindung von werden mit dem Infinitiv historisch zur Grammatikalisierung geführt hat, nämlich der Weg von der Kombination mit einem Partizip Präsens zu der mit einem Infinitiv, führt bei bleiben zu einer Art serieller Interpretation. Alle die zugeordneten ,Infinitive' sind ja Zustandsverben, bei denen in der Kombination mit bleiben die Dauer des Zustandes akzentuiert wird. Wegen der Kompatibilität der beiden Teile auf der Ebene des Zustandes ändert sich durch diese Kombinationen die Valenz nicht.
Etwas uneinheitlicher ist das Bild bei den Kombinationen mitgehen, wo Weinrich die folgenden aufzählt:
(144) gehe: verloren, holen, einkaufen, spazieren, baden, schwimmen, stiften64
Als der normale Fall können hier die Bildungen gelten, bei denen gehen als eine Art Archiverb für Bewegung gelesen werden kann. Gleichzeitig wird aber durch die infinite Konstruktion im Vergleich mit denkbaren präpositionalen Paraphrasen (zum Baden} die Akzentuierung des unmittelbar bevorstehenden Beginns dieser Handlung angedeutet. Es ist ja bekannt, dass gehen weltweit eines der geläufigsten Verben ist, um Fügungen zu konstruieren, mit denen ein Bezug auf die unmittelbare Zukunft kodiert wird (vgl. das englische going to).65 So weit ist das Deutsche nicht gegangen, es hat sich hier mit einer Stufe der Integration begnügt, bei der durch die spezifische Art der Reduktion der Finitheit des zweiten Klammerelements gezeigt wird, dass wir uns nicht mehr in der normalen Syntax befinden, sondern in einem Bereich, den man bei Sprachen, die so etwas systematisch machen (z.B. Kreolsprachen) serielle Verben [110] nennen würde. Sie bilden im Deutschen, wie oben schon angedeutet, zweifellos einen marginalen Bereich.
Man kann an diesen Typen der Verfestigung von Konstruktionen, die aus Verben mit Infinitiven bestehen, sehen, dass der Grad an Inkorporation häufig nicht eindeutig feststeht, so dass man das Schwanken zwischen dem Bereich der Syntax und dem der Wortbildung als Entsprechung der unterschiedlich zu interpretierenden Bindungsfestigkeit des Verbs betrachten kann.
N + V-Typen In ähnlicher Weise gilt das auch für Bildungen, bei denen Elemente ursprünglich nominalen Charakters als zweites Klammerelement integriert werden. Auch hier ist auf jeden Fall auffällig, dass die Menge der beteiligten verbalen Basen, d.h. ersten Klammerelemente, wenige allgemeine und zentrale Verben beschränkt ist. Mit Bezug auf die Zweiteiligkeit der Verben insgesamt gilt schon das Folgende:
(145) Am stärksten ist die Eignung zur lexikalischen Zweiteiligkeit bei Verben ausgeprägt, die Grundformen des menschlichen Verhaltens und Handelns ausdrücken, wie etwa mache, halte, führe, trage, bringe, gebe, nehme, setze, stelle, lege, sitze, stehe, liege, gehe, komme. (Weinrich 1993, S. 1033)
Und noch deutlicher wird die Tendenz, wenn man sich nur auf Bildungen mit nominalen Erstgliedern bezieht. Den Kern dieser Gruppe von Verben stellen jene Bildungen dar, die mit einem Element als zweitem Klammerteil verbunden werden, das nicht erweiterbar ist und zumindest in der Nähe dessen steht, was man inneres Objekt nennt (s. Weinrich 1993, S. 1053). So verhalten sich die Verben fahren (auto, rad, ski) und spielen, daneben aber wohl auch noch das schreiben in Maschine schreiben und womöglich weitere Fälle. Auffällig ist zudem die bei Weinrich ohne weiteren Kommentar angegebene Korrelation, dass hier auch die Vorverben geben, nehmen oder halten besonders produktiv seien.
(146) halte: hof, maß, stand, Schritt, Wort
gebe: kund, preis, statt, acht, Obacht
nehme: teil, Platz, Maß, Abschied, Abstand
Diese Basisverben sind nun nicht irgendwelche beliebigen allgemeinen Verben, vielmehr werden in ihnen die verschiedenen Aspekte oder Abschnitte von Übermittlungshandlungen sprachlich gefasst. Es werden durch sie drei Aspekte der damit gegebenen Konstellation herausgelöst. Dabei ist die Szene des Übertragens von etwas in ihre drei wesentlichen Schritte unterteilt, und von dem handelnden Subjekt her dargestellt. Bei halten haben wir ein Subjekt, von dem gesagt wird, dass es etwas festhält, nicht loslässt.66 Damit wird die Voraussetzung für das Handlungsschema, das in den anderen beiden Verben in Bewegung gesetzt wird, gegeben. Wenn man das [111] Subjekt beibehält, geht die Handlung, die in dem Verb nehmen gefasst wird, dem Vorgang des Haltens voraus, nachdem etwas ergriffen und genommen wurde, kann es gehalten werden. Die Handlung des Gebens schließt sich dann als letzte Teilhandlung an, sofern man das Subjekt gleich hält. Zudem bringen geben und nehmen in diesen Kontext ihre Dreiwertigkeit, d.h. einen systematischen Bezug auf alle denkbaren Handlungsrollen ein. Es handelt sich offenbar um relativ grundlegende Beziehungen, die es erlauben, sie in abstrakteren Ordnungsschemata zu verwenden. Wolfgang Raible (1992, S. 268) hat sich in seinem Buch über Junktion Gedanken gemacht, wie gerade diese Verben in der Spannung zwischen aggregativen und integrativen Ausdrucksmitteln zu einer Kondensation auf noch relativ aggregativer Basis genutzt werden. Dabei kann man grob gesagt Techniken der Aggregation als gestreckte, prädikative und Techniken der Integration als verdichtete, benennende begreifen. Auf einer noch kaum grammatikalisierten Stufe werden durch Zusammenrückung bestimmter verbaler Fügungen Handlungs-Konzepte stärker integriert:
(147) Daß hier gerade die Verben des Gebens und Nehmens für die „Serialisierung” von Handlungs-Konzepten wichtig sind, hat generell mit dem […] Paar `Voraussetzung und Folge' zu tun: Nehmen bzw. Greifen schafft die Voraussetzung, Geben stellt die Folge dar.
Dies ist keine schlechte Beschreibung der Verhältnisse von Verben wie teilnehmen mit seiner Patiens-Orientierung, die mit dem Vorverb nehme angekündigt wird, um in {teil} dann in spezifischer Weise gefüllt zu werden - ein Verb, das daher zu Recht unter keinen Bedingungen anders denn als eine einzige Benennungseinheit behandelt wird. Seine Zusammenschreibung steht daher außer Zweifel. Das gilt aber auch für ein Verb wie preisgeben, bei dem ebenfalls durch das Lexem geben einerseits das Ausgehen vom Subjekt, andererseits aber auch das seiner Dreiwertigkeit inhärente Zugewendetsein auf eine Person angedeutet wird, ebenso wie das betroffene Objekt, das in {preis} in voll lexikalisierter Form eingebunden wird. In diesem Prozess wird auf lexikalischer Ebene eine ähnliche Abstraktion vollzogen wie bei den Passiv-Verwandten in der Syntax, z.B. dem kriegen-Passiv. Wie dort wird auch bei den jetzt besprochenen Verben in der Kombination mit besonders infiniten Elementen, die aber auch nicht die Charakteristika ausgebauter Nominalität zeigen, eine konzeptuelle Abstraktion vollzogen - die Entsprechung von Grammatikalisierung auf lexikalischer Ebene. So spricht denn auch Raible (1992, S. 269) davon, Verben wie nehmen seien die idealen Kandidaten zur Entwicklung einer Art „finaler Diathese”, durch die typischerweise der aktanzielle Rahmen erweitert werde.
Analog zu der Darstellung bei Substantiv und Adjektiv ließen sich die Verhältnisse beim Verb folgendermaßen untergliedern. Dabei wird die Schwerpunktverschiebung auf den ersten Blick sichtbar: [112]
(148) Tabelle 3
VERBALE RELATIONIERUNG
TRANSPOSITION MODIFIKATION
Name |
Wortartwechsel l: Umkategorisierung |
Wortartwechsel II: Derivation l: Suffixbildung |
Derivation II: Präfixbildung |
Inkorporation l: Partikelverb |
Inkorporation II: Doppelpartikelverb |
Inkorporation III: Rektionskompositum |
Komposition
|
Vorgang |
Transponierung |
Transponierung |
Strukturierung |
Typisierung |
Lokale / direktionale Modifikation |
Variation |
Modifikation |
Ausgang |
substantivische und adjektivische Lexeme |
Lexeme (spez. Gruppen) |
Verben und andere Szenenelemente |
Verben und andere Szenenelemente |
Verben (oder Szenenelemente |
Verben + Szenenelemente |
Verben
|
Ziel |
Verbformen |
Derivat |
Derivat |
Kondensat |
Kompositoid |
Integrat |
Kompositum |
Technik |
Nennform der Ausgangswortart, Flexion der Zielwortart |
Lexematische Merkmale der Basis; Affixe der Zielwortart |
Lexematische Merkmale der Basis; systematisierende wortartspezifische Präfixe |
Lexematische Merkmale der Basis; Musterprägung durch generalisierte adverbiale Einbindung des (Erst-)elements |
Lexematische Merkmale der Basis; Modifikation durch direktionale (und andere lokale) Erstelemente |
Lexikalische Merkmale der Basis; rektionale Einbindung des Erstelements
|
Lexematische Merkmale der Basis; Überformung durch Adjektivprädikate |
Funktion
|
Symbolisierung |
Symbolisierung |
Reliefbildung |
Inszenierung |
Schematisierung |
Univerbierung |
Konversion |
[113]
ERLÄUTERUNG Bemerkenswert an der verbalen Wortbildung ist etwas, was DER TYPEN durch den Versuch einer Übersicht wie in (148) fast verdeckt wird. Verbale Wortbildung dient offenbar dazu, sprachlich verarbeitete Szenen und Schemata von verschiedenen beteiligten Sichtweisen und damit auch Elementen her dazustellen. Das kann einerseits dadurch geschehen, dass ein neues Verb aus dem Inventar der Substantive und (selten) Adjektive geschaffen wird, und zwar lediglich auf flexivischer Grundlage (s. Beispiele [149]) oder mithilfe von Infixen und Suffixen (s. Beispiele [150]). Dies betrifft die beiden Spalten Wortartwechsel I und II unseres Schemas.
(149) ihre Stempel spiegeln das Himmelblau (Strauß 1997, S. 17)
[…] ferkelte gleich noch mit ihrer feudeligen Zungenspitze über seine Zähne. (Politycki 1997,5.419)
am Boden ihrer Schlafkammer knieend oder hockend (Rehmann 1999, S. 83) und die Stille brennt und bleicht das hohe Gras am Hang (Strauß 1997, S. 22)
(150) die sie trösten wollten (Ransmayr 1991, S. 216)
schien sich allein vor […] dem Schein seiner Lampe nach und nach zu öffnen (Ransmayr 1991, S. 48)
[…] am Mittwoch also, während der Professor vom Podium tirilierte und tschilpte und tremolierte, und auch draußen ein richtig südlicher Tag aufzwitscherte am Himmel. (Politycki 1997, S. 101)
In den anschließenden Spalten - von der Präfixbildung bis hin zur Komposition überlagern sich die transpositionellen und modifikatorischen Typen bei den einzelnen Bildungsmitteln. Das ist das formale Korrelat dafür, dass in all diesen Wortbildungstypen verschiedene Teile des aufgerufenen sprachlichen Schemas als Basis der jeweiligen Bildung auftreten können. Natürlich sind am häufigsten und einfachsten die deverbalen Typen:
(151) deverbal
der […] einem Matrosen die Sehnen zerriß
des Schlachters, der selbst die Tiere überbrüllte
Als […], schlief er ein.
Die Geröllhalden, die […] aus den Wolken herabflossen
Schäumte ein Sturzbach über die Bordtreppe ins Dunkel des Zwischendeckes hinab
Die er wiedererkannte
Wer in den Nächten wachlag (Ransmayr 1991, S. 7, 12, 9, 10, 31, 12, 10)
Substantivische Basen rufen ein anderes signifikantes Element der geschilderten Szene auf:
(152) desubstantivisch
Während Gregors Vater wortlos, mienenlos seine Zeit zergabelte (Politycki 1997, S. 13)
zwischen verkrusteten Töpfen, Teegläsern und Brotresten
in einem verkohlten Packen Papier
Sie sahen die Liebenden einander umarmen
während Cyparis die Falben ausschirrte (Ransmayr 1991, S. 16, 19, 28, 23)
auf den nächstbesten Tisch sprang, daß es runterscherbte (Politycki 1997, S. 269) [114]
Adjektive sind die Basen von Kausativa und Rezessiva:
(153) deadjektivisch
den Ekel zu betäuben
Wenn der Projektor das Antlitz eines Helden ins Riesenhafte vergrößerte
durchquerte den Hof
die Gluthitze […] kühlte auch in einem ringsum blühenden Jahr nicht ab
hatte sich dann ausgebreitet (Ransmayr 1991, S. 30, 24, 16, 122 11)
Wie Katarinas Blick erblaute! (Politycki 1997, S. 255)
Eine Reihe von Basen lässt sich morphologisch nur schwer deuten; hier wird die musterschaffende Kraft der Präfixe besonders deutlich:
(154) diffuse Basis
um eine Neuigkeit zu verbrämen
zerknüllte es
mit […] ausgestattetes Zimmer (Ransmayr 1991, S. 11 17 9)
Das betrifft alle oben bereits ausführlich angesprochenen Typen der verbalen Integration. Was die Determinativkomposita angeht, so sind sie dadurch gekennzeichnet, dass sie von der Syntax her gesehen marginale Relationen zu einer textuellen oder systematischen Univerbierung nutzen, wobei die Grenzen zwischen einer markierten Syntax und einer markierten Wortbildung häufig nicht systematisch, sondern aus dem Kontext zu ziehen sind.67
3.1 Komposition
3.1.1 Der Zusammenhang der Dinge: Determinativkomposita
(155) In dem Alter, wo man noch alle Schneider- und Barbierangelegenheiten wichtig nimmt und gerne in den Spiegel blickt, stellt man sich oft auch einen Ort vor, wo man sein Leben zubringen möchte, oder wenigstens einen Ort, wo es Stil hat, zu verweilen, selbst wenn man fühlt, dass man für seine Person nicht gerade gern dort wäre. Eine solche Zwangsvorstellung ist nun schon seit langem eine Art überamerikanische Stadt, wo alles mit der Stoppuhr in der Hand eilt oder stillsteht. Luft und Erde bilden einen Ameisenbau, von den Stockwerken der Verkehrsstraßen durchzogen. Luftzüge, Erdzüge, Untererdzüge, Rohrpostmenschensendungen, Kraftwagenketten rasen horizontal, Schnellaufzüge pumpen vertikal Menschmassen von einer Verkehrsebene in die andere, wird von den Knotenpunkten von einem Bewegungsapparat in den andern, wird von deren Rhythmus, der zwischen zwei losdonnernden Geschwindigkeiten eine Synkope, eine Pause, eine kleine Kluft von zwanzig Sekunden macht, ohne Übergang angesaugt und hineingerissen, spricht hastig in den Intervallen dieses allgemeinen Rhythmus miteinander ein paar Worte. (Robert Musil: »Der Mann ohne Eigenschaften«. Bd. 1, Reinbek 1978, S. 31)
3.1.1.1 Allgemeines
Bei der Komposition werden zwei Einheiten mit lexematischer Bedeutung zu einem neuen Text- oder Lexikonwort zusammengefügt. Die dazu benutzten Elemente sind häufig selbst, gegebenenfalls um entsprechende Flexive ergänzt, als selbständige Wörter verwendbar. So ist das etwa in den folgenden Beispielen:
(156) ⇒ [Ameise]subst + n + [Bau]subst
⇒ [Erd(e)]subst + [Zug]subst
Aber während natürlich das zweite Elemente immer ein Substantiv ist, da sonst die ganze Konstruktion kein Substantiv sein könnte, kommen an der ersten Stelle nicht nur Substantive vor, obwohl dieser Kombinationstyp laut Aussagen der Duden-Grammatik 80% der Substantivkomposita ausmacht, sondern auch Lexeme anderer Wortarten, vor allem Verben (zu 8%), aber auch Adjektive (zu 5%):
(157) ⇒ [Stopp]verb + [Uhr]subst
⇒ [schnell]adj + [Aufzug]subst
In weniger systematischem Umfang finden sich auch weitere Wortarten, vor allem Pronomina und Typen von Partikeln: |
(158) ⇒ Aufgehalten im [Niemand]pron + s [land]subst
⇒ dass sie [Selbst]pron + [Gespräche]subst führt
⇒ von einem Nebel aus [Hinter]präp/adv [Gedanken] subst
⇒ gleitet sie in den [Halb]adj [Schlaf]subst
(Ruth Rehmann: »Fremd in Cambridge«. München/Wien 1999, S. 9, 61, 62, 67)
⇒ aus einem blassen [Blanko]adkop[Gesicht]subst
Die dazu benutzten lexematischen Einheiten können ihrerseits morphologisch einfach oder komplex sein. Beide Teile der obersten Teilungsstufe können Simplizia, aber auch komplexere Konstruktionen sein - das gilt natürlich insbesondere bei substantivischem Erstglied. Dabei sind relativ häufig linksverzweigende Konstruktionen, bei denen also das Erstelement der Komposition wiederum hierarchisch untergliedert ist.
(159) in sanftem (((Spät)adv(sommer)subst)(licht)subst (Ruth Rehmann: »Fremd in Cambridge«. München/Wien 1999, S. 96)
N
N N
Adj N
spät Sommer Licht
Aber natürlich gibt es auch Rechtsverzweigungen:
(160) der Dichter als ((Medien)(wurm(fortsatz))) (Botho Strauß: »Die Fehler des Kopisten«. München/Wien 1997, S. 83)
Bald sind beide Teile gleich komplex:
(161) ((Rohr(post))(menschen(sendung)))
Die Biene im ((Löwen(zahn))(blüten(staub))) (Peter Handke: »Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982-1987)«. Salzburg 1998, S. 52)
Auch noch komplexere Zusammenhänge sind natürlich denkbar:
(162) ((Düsen(jäger))(kondens(streifen))(fransen) (ebd., S. 167) [117]
So baut sich eine hierarchische Struktur auf, bei der auch Konstituenten tieferer Ebenen in der Form von Komposita auftreten können. Zum Teil unterliegen dabei die lexematischen Einheiten, die so verknüpft werden, formalen Bedingungen, die nur für die Verwendung in dieser gebundenen Form gelten, es gibt eine spezifische Allomorphie.
(163) Pornoslang und die Optik des Videoclips (Botho Strauß: »Die Fehler des Kopisten«. München/Wien 1997, S. 120)
Das erste Kompositum in diesem Beispiel hat in dem Elemente [porno] eine wortbildungstypische Kurzform des Lexems Pornographie, wie sie gerne als Konfix bezeichnet wird - eine nur gebunden vorkommende Form mit lexikalischem Inhalt. Bei Video ist es ein wenig anders, hier existiert diese Kurzform auch selbständigen Gebrauch mit derselben Bedeutung. Das Kompositum Untererdzüge aus unserem Einleitungstext hingegen zeigt, wie überhaupt lexikalische Verkürzungen von auch in der Syntax üblichen Verbindungen einen Platz in komplexen Wörtern einnehmen können. Letztlich lassen sich an der ersten Stelle beliebig komplexe integrierte Zitatformen finden.
Wir haben jetzt immer schon Beispiele aus dem Bereich der Determinativkomposita gewählt, weil dieser Typ vor allem beim Substantiv bei weitem am häufigsten ist. Ja, man bezweifelt nachgerade, ob es den anderen Typ, das sogenannte Kopulativkompositum in stabiler Form eigentlich gibt.
KOPULATIV- Die Elemente, die sich solcherart zu einem Wort verbinden, KOMPOSITUM können in der Struktur des Kompositums einander gleichgeordnet sein. Sie müssen einander in gewissem Maße gleichsetzbar sein, so dass sie beide an die rechte Stelle des Wortes treten können, um so Genus, Wortart und semantische Grobklasse zu bestimmen. Wir sprechen in diesem Fall von Kopulativkomposita. Sie sind zumindest beim Substantiv selten.
DETERMINATIV- Die große Menge und den funktional zentralen Typ dagegen KOMPOSITUM bilden die sogenannten Determinativkomposita, Bildungen, bei denen das Erstelement, das Determinans, dem Zweitelement, dem Determinatum, untergeordnet ist. Das Determinatum, auch Grundglied genannt, bestimmt Wortart, Genus und semantische Klasse, Das Determinans, auch Bestimmungsglied, schränkt die Bedeutung gegenüber derjenigen des Wortes auf eine Subklasse ein. So werden in dem Musil-Text die Verkehrsmittel jener modernen Stadt auch durch Komposita klassifiziert und in verwandte Untergruppen zerteilt. Von einer ganzen Reihe von Zügen ist die Rede, die danach klassifiziert werden, wo sie fahren. Es gibt Luftzüge, Erdzüge und Untererdzüge. Zug ist also das Grundwort und der jeweilige Weg das Bestimmungsort. Bei den Erstelementen [Erd] und [Untererd] sieht man auch, was gemeint war, wenn wir oben festgestellt haben, dass bestimmte gebundene Varianten von Morphemen bzw. Morphemgefügen ihren lexikalischen Gehalt in einer Form einbringen, die im selbständigen syntaktischen Gebrauch nicht üblich ist. Man sieht auch, dass es die Frage kommunikativer Relevant ist, welche zur Verwendung dieser vorher wie nachher ungebläufigen Bildungen führt und nicht ein irgendwie gearteter unabhängiger Bedarf der Benennung von etwas Neuem. Uns wird eine allseits belebte Stadt vor Augen geführt, deren Realitätsgehalt [118] (Luftzüge) und nicht weiter zu bekümmern braucht, da es um eine erkennbare Dreier-Sortierung nach Bewegungsebene geht: über, auf, unter der Erde. Eigentlich sind ja die Züge unserer Normalsprache `Erdzüge' im Sinne dieses Textes, und an sich nicht explikationsbedürftig: man sieht aber, dass die Wortbildung dem textuellen Bedürfnis nachkommen kann, mit nötiger Genauigkeit zu differenzieren. So sind auch unmittelbar nicht so naheliegende Konzepte in rekonstruierbarer Weise zu verdeutlichen: Rohrpostmenschensendung als die quasi postalische Sendung von Menschen und in unterschiedlichem Maße motiviert. Die Zug-Wörter lassen sich aus ihren Teilen und die Stützung durch die paradigmatische Reihe der drei Bildungen erklären, die komplexe Bildung Rohrpostmenschensendungen spielt mit der Idiomatisierung von Rohrpost und Postsendung ebenso, wie dem überraschenden Bruch, den die Kombination mit dem Lexem Mensch in diesem Umfeld darstellt - so dass wir gar nicht so recht wissen, wie wir diese Bildung analysieren sollen.
3.1.1.2 Zum Substantiv
Wie oben bereits angedeutet, kann man als zentrale Funktion von Substantiven die Setzung ansehen: die Modifikation im Kompositum betrifft keine Änderung auf dieser Ebene, vielmehr werden bereits vorhandene setzungsfähige Lexeme intensional modifiziert, d.h. mit zusätzlichen semantischen Merkmalen angereichert. Dies führt zu einer Subklassifikation, die `namenfähige' Einheiten ergibt. Was eine relevante Untergliederung in diesem Sinne ist, muss entweder formal deutlich gemacht werden oder mit einem hohen Grad an kultureller Erwartbarkeit rechnen können. Man versucht in der Wortbildungslehre daher seit längerem schon, ein Inventar an Relationen zu erstellen, die zugleich allgemein und spezifisch genug sind, um diese Erwartung zu erfüllen. Dabei findet sich ein Inventar von in etwa zehn Relationen, das seine Verwandtschaft mit allen klassischen Kategorientafeln nicht leugnen kann, und das sich unter Einbezug der Bedeutung der jeweiligen Bestandteile und Texteinbettungen fast beliebig spezifizieren lässt.68
Relationen bei Das beginnt mit jenen Relationen, welche man oberhalb der N + N-Komposita Bedeutung der Einzelszene, die mit den verbundenen lexikalischen Elementen aufgerufen wird, als Subjekts- und Objektsrelationen bezeichnen kann. Darunter sind dann Agens- und Experiencer-Typen auf der einen Seite, Patiens- und Objective-Muster auf der anderen Seite gemeint. Der hier ebenfalls einzuordnende Typ des Themas oder auch derjenige einer allgemeinen Bereichszuordnung sind demgegenüber eher marginal. Unmittelbar anschließen lassen sich die kausalen Relationen, mit der Urheberschaft in der Nähe der Subjektstypen und den Ziel- und Zweck-Angaben in der Nähe der Objekts-Typen. Dem Zweck nahe steht die Kategorie des Mittels, die uns dann zu den `adverbialen' Typen der Zeit und des Ortes hinüberführt. In gewissem Sinn einen Ausbau der Subjekts- [119] und Objekts-Bezüge stellen verschiedene Teil-Ganzes-, Besitz- und Enthaltenseins-Relationen dar. Schließlich findet sich die Vergleichsrelation, welche Analogien und Ähnlichkeiten handhabbar macht, und auch gelegentlich eine identifizierende Angabe.
(164)
Subjekt |
Agens |
Possessiv |
|
|
|
Prozessual |
Ornativ |
|
|
|
|
Partitiv/Adhäsiv |
Material/Konstitutional |
|
|
|
|
|
|
Objekt |
Objective |
Bereich |
|
|
|
Patiens |
Thema |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Instrumental |
|
|
|
|
Modal/Komparativ |
|
|
|
|
Identifikativ |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Lokal |
Statisch |
|
|
|
|
dynamisch+ |
|
|
|
|
dynamisch- |
|
|
|
Temporal |
|
Die Symbolisierung soll hier durchaus auch zeigen, dass die Position Possessiv, Ornativ und Partitiv/Adhäsiv als Repräsentation einer allgemeineren Relation des `Habens' verstanden werden können, ebenso Bereich und Thema als Ausbuchstabierungen von etwas wie `Bezug'. Wir wollen damit andeuten, dass die semantischen Relationen, welche in den Komposita realisiert sind, eine vergleichsweise grobe und daher schnelle Orientierung erlauben: schon ein erster Einbezug der Semantik der beteiligten Lexeme erlaubt zudem den Anschluss einer Reihe von Optionen bzw. eine Präferenz von gewissen Lesarten. Freilich kann die erste Erwartung vom weiteren Kontext bestätigt, aber auch konterkariert werden. Typische Bildungen für die aufgeführten Muster wären etwa die folgenden; alle Beispiele stammen aus Gert Jonkes Roman »Der ferne Klang«: [120]
(165)
Subjekt |
Höchstverwaltungssach-verständigengutachten |
Impresariostift |
Laubgeruch |
||
|
Pulsschlag |
Schranktür |
|
||
|
|
Stofffaser |
Papierfetzchen |
||
|
|
|
|
||
Objekt |
Suizidversuch |
Hausdetektiv |
Kleiderschrank |
||
|
Platzschwierigkeiten |
Heimatgefühle |
|
||
|
|
|
Schiffsreise |
||
|
|
|
Silberstreif |
||
|
|
|
Schnauzerhund |
||
|
|
|
|
||
|
|
|
Lok |
Fischerdorf |
|
|
|
|
|
Wohnungstür |
|
|
|
|
|
Wasserhahn |
|
|
|
|
Abendstunden |
Schon hier zeigt sich überdies, dass die gängige Ansicht, neue Wortbildungen seien dazu da, neue Dinge zu benennen, nicht das Wesentliche trifft. Vielmehr handelt es sich um Möglichkeiten zur verdichtenden Benennung, die einer mehr oder minder versuchsweisen Namengebung dienen. Die komplexen Namen können in unser Lexikon eingehen, oder sie können ihren Status als ad-hoc-Bildungen des Textes beibehalten. Alle diese Muster funktionieren durch die Modifikation eines vorhandenen Substantivs, durch eine Art Subklassenbildung, bei der der kompositionelle Charakter daraus resultiert, dass dem zugeordneten Merkmal eine gewisse Salienz und Evidenz zu eigen ist. So erlauben es diese Bildungen, ein feinziseliertes und doch aus typischen Objekten bestehenden Bild einer Textwelt zu umreißen. Sofern ihr typischer Charakter als konsensfähig gelten kann, verfestigen sich die Namen in Lexikalisierungen. Es ist nicht weiter überraschend, diesen Bildungstyp beim Substantiv in voller Ausbildung zu finden, bietet er doch die Möglichkeit, Benennungen beliebiger Spezifik als setzungsfähige Einheiten zu bilden, für die eine höhere Gültigkeit oder Dauer angenommen wird als für die syntaktischen Fügungen der Attribution. Man kann das gelegentlich auch an Verwendungen sehen, wo zwei solche Elemente unterschiedlicher Festigkeit nebeneinander auftreten:
(166) […] mit einem Heizungsraum und einem Zimmer fürs Klavier (Strauß 1997, S. 7)
Die Substantivkomposition lässt sich, wie in den bisherigen Ausführungen exemplarisch angedeutet, zunächst einmal von ihrer morphologischen Struktur her beschreiben. Auch dabei wollen wir vom leitenden Typ des Determinativkompositums ausgehen. Per definitionem ist das Zweitelement, das Determinatum oder Grundglied, wie es genannt wird, ebenfalls ein Substantiv. Als Erstglied, Determinans oder Bestimmungsglied sind verschiedene Dinge möglich: zentral sind die Typen, bei denen entweder ein weiteres Substantiv, ein Adjektiv oder ein Verb(stamm) diese Stelle einnehmen.
[…]
3.1.2 With a little help: Rektionskomposita [128]
3.1.2.1 Allgemeines
Mit den Rektionskomposita kommen wir in den Bereich der inkorporierenden Techniken, also zu Bildungen, bei denen das Determinatum strukturelle Anknüpfungspunkte für das determinierende Element vorgibt oder anbietet. Wir wollen hierbei nicht nur die strikt rektionalen Beziehungen gelten lassen, sondern auch andere vom Kern der Szene eröffnete Abhängigkeiten. Damit sind wir, das sieht man auch im Vergleich mit dem letzten Kapitel, nicht bei ganz andersartigen Relationen und auch die prinzipielle Lexemfähigkeit der beiden beteiligten Elemente bleibt ebenso unstrittig wie vielleicht vage im Feld der sogenannten Konfixe. Bemerkenswert anders ist der Status der Determinata. Sie sind relational. Das heißt bei den drei behandelten Wortarten jeweils etwas anderes und hat innerhalb der Wortarten einen verschiedenen Stellenwert. Das prototypische Substantiv ist ein für sich stehender Name für ein uneingebundenes Objekt, das prototypische Verb hat seine Bedeutung erst zusammen mit den Relationen, die es mit den es notwendig ergänzenden Elementen eingeht. Das hat Folgen für Status und Ausbau entsprechender Komposita.
3.1.2.2 Zum Substantiv
Substantive können Relationalität aus zwei Gründen haben. Der normale Fall ist, dass sich in den von ihnen ausgehenden Beziehungen Reflexe der in verbalen und adjektivischen Lexemen angelegten Abhängigkeiten wiederfinden. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass man in dieser Hinsicht die Wortbildungsarten, die einen Wortartwechsel bewirken, als Techniken verstehen kann, die mit den Mitteln einer prädizierenden Syntax am explizitesten und gestrecktesten (`aggregativsten') ausgedrückten Zusammenhänge impliziter und kondensierter (`integrativer') zu fassen. Dabei kommt es nicht nur zu formaler Reduktion der die Bindung anzeigenden Mittel und zu Clusterungen und Blockierungen, in denen sich Hierarchisierungen spiegeln, sondern auch zu funktionalen Verschiebungen. Wenn wir uns ein komplexes Wort ansehen, bei dem die Relationalität von einem Verbalen Lexem ausgeht, so erleben wir im nominalen Bereich die Integration vom Status des Satzglieds über den des adnominalen Attributs bis zum Element einer Wortbildung. Bei einer adjektivischen Basis kann man von der in der attributiven Verwendung vorliegenden mittleren Integrationsstufe als dem unmarkierten Fall ausgehen.
DEVERBALE Wenn wir uns die Rektionskomposita mit einem deverbalen NOMINA Zweitglied ansehen, so sind durch die binäre Struktur dieser Bildungen, die ja großenteils Derivationen mit Suffixen sind, bereits bestimmte mögliche Relationen gesättigt und damit für den weiteren Ausbau blockiert. Daher ist die Möglichkeit minimal, dass das verbale Lexem in seiner prädikativen Funktion der Benennung für den Vorgang, die Tätigkeit, die Handlung selbst, als Nomen gesetzt wird. Dies kann in drei wichtigen Formen geschehen, die dann jeweils durch entsprechende Erstglieder näher differenziert werden können:
(192) Umkategorisierung des Infinitivs:
das Kollegenverhalten ist durchsetzt vom stillen Tausch (Martin/Drees 1999, S. 125)
Uns interessiert hier nicht das Verdikt über das Romanelesen (Schön 1993, S. 276)
Das Tauschdenken lenkt das eigene Sozialverhalten (Martin/Drees 1999, S. 119)
Das Lautlesen ist auch der Gesundheit sehr heilsam (Schön 1993, S. 107)
Es geht um die Substantive (wie die Kollegen sich verhalten), die Objekte (die Romane liest man; an den Tausch denkt man), es geht um modale (laut) und restriktive (sozial) adverbiale Bestimmungen, deren Anbindung an das Zweitelement uns hier relativ deutlich vorgegeben wird.
(193) Derivation durch -ung/-ion usw.
der Wertminderung von Tauschgütern (Martin/Drees 1999, S. 129)
die Optimierung der eigenen Beitragsleistungen (Martin/Drees 1999, S. 119)
unsere Art der Kriegführung (Hacks 1987, S. 40)
in den Kooperationsbedürfnissen der sozialen Umwelt (Martin/Drees 1999, S. 108)
Beiträge zur „Lesesucht“-Diskussion (Schön 1993, S. 318)
mit einem Gedankenexperiment klarmachen (Martin/Drees 1999, S. 120)
um der Fee ihre Frühaufwartung abzustatten (Hacks 1987, S. 36)
Auch hier steht Subjektartiges (der Wert mindert sich) neben Objektartigem (man leistet Beiträge), das vielleicht eher ein Passivsubjekt ist, worauf die adjektivische Abstufung des Agens weist (eigen; Beiträge werden geleistet); ähnlich ist das nächste Beispiel, das Bedürfnis ist ein `Bedürfnis nach', ebenso wie die Lesesucht-Diskussion eine `Diskussion über' ist. Die letzten beiden Fälle weisen eine modale und eine temporale Relation aus.
(194) Implizite Ableitung
Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses
die Schieflage des Güteraustausches
den gemeinsamen Wochenendeinkauf (Martin/Drees 1999, S. 128, 133, 145)
Auch hier liegen ein Subjekt, ein Objekt und eine finale adverbiale Relation vor.
Deverbale Nomina, die das Ergebnis von Handlungen ausdrücken, bedienen sich ganz ähnlicher Mittel und zusätzlich einer Reihe weiterer Suffixe und Inkorporationselemente mittlerer Allgemeinheit:
(195) Suffixe
daß im Zivilisationsprozeß Affektäußerungen in körperlicher Aktion […] gedämpft werden (Schön 1993, S. 289)
daß sich Gerechtigkeitsvorstellungen nicht nur auf das Ergebnis […] beziehen
In einer Dienstbesprechung
z.B. in sogenannten Zielvereinbarungsgesprächen (Martin/Drees 1999, S. 135, 135, 124) [130]
(196) Sonstiges
nachhaltigere Auswirkungen als Unzufriedenheitsgefühle
eine besondere Form des Lustgewinns (Martin/Drees 1999, S. 135, 120)
Auch hier dominieren erkennbare Objektrelationen bzw. die damit nah verwandte Themen-Relation; auch bei Unzufriedenheitsgefühl wird das `Ergebnis des Fühlens der Unzufriedenheit', also eine Objektsbeziehung fokussiert.
Die klassische Technik, um die Beziehung für den Handelnden (nomen agentis) zu bilden, stellen verschiedene Affixe dar, deren prominentestes zweifellos -er darstellt; dazu treten eine Reihe von Fremdaffixen, substantivierte Adjektiv- und Partizipialformen:
(197) Affixe
Ich bitte den Herrn Versammlungsleiter […] (Hacks 1987, S. 25)
Es gibt ein Bild eines Rousseau-Lesers (Schön 1993, S. 134)
wenn einer der Rostbratenesser hinaus […] ging (Politycki 1997, S. 330)
jeden Gartenbewohner (Hacks 1987, S. 58)
einen erfolgreichen Werbetexter spielen oder Börsenmakler (Politycki 1997, S. 289)
Talkshowmoderator
(198) Partizipien/Adjektive
obwohl es von einem anderen Roman-Süchtigen […]
heißt das Verhalten von Lese-Dilettanten (Schön 1993, S. 237, 314)
Eigentlich nicht davon zu trennen sind bestimmte nomina instrumenti:
(199) bedrohte ihre Mutter den Anrufbeantworter (Politycki 1997, S. 327)
und der Knospenbrecher, das stilettspitz sich hervorwindende Blatt, erscheint (Strauß 1997, S. 11)
Auch in diesen Beispielen dominieren Objekts-Inkorporationen, die syntaktisch z.T. als Akkusativ-, z.T. als Präpositionalergänzung zu explizieren wären.
Die andere Seite thematisieren Ergebnis- und Objektsbenennungen:
(200) oder ein paar Aufenthaltserlaubnisse (Hacks 1987, S. 30)
Beschränkung des Marktzutritts
die Belohnungswirkung von Tauschgütern
seine Nutzenvorstellungen in eine Richtung zu lenken
Man verhandelt über […] Konventionalstrafen
den Wunsch nach der Gegengabe (Martin/Drees 1999, S. 125, 127, 129, 122, 119)
Auch hier sind weithin Objekts-Verhältnisse eingegangen, allerdings zum Teil gefiltert durch den stabilen lexikalisierten Charakter der Determinata (z.B. Zutritt zu,84 Vorstellung von); Konventionalstrafe realisiert ein modales Verhältnis, bei Gegengabe wird die intendierte Bedeutung durch Einbezug des zentralen Junktors verdeutlicht (ich gebe jemandem etwas gegen etwas).85 [131]
Was hier angedeutet werden sollte, war, dass Rektionskomposita mit deverbalen Determinata uns durch die solcherart ererbte Bindungsfähigkeit relativ eindeutig über die jeweils inkorporierte Relation instruieren. Rektionskomposita sind sie ja nur, insoweit entsprechende Ergänzungs- und adverbiale Angaberelationen86 aufgenommen werden. Im Rahmen dessen ist dann auffällig, dass trotz verschiedener Möglichkeiten,87 die bei den einzelnen Beispielen auch zu sehen waren, die Bildungen mit inkorporierter Objekts-Relation eindeutig dominieren. Auffällig ist dagegen die geringe Nutzung der Subjekts-Relation, die dafür häufig im Suffix auftaucht und so für die weitere Inkorporation blockiert ist.88 Systematisch entspricht das natürlich dem Tatbestand, dass es sich bei solchen Bildungen um generalisierbare Benennungen für rhematische Einheiten handelt. Solche Einheiten finden sich im unmarkierten Fall im Satz an das rechte Klammerelement, die infinite Verbform angelagert. Neben der Direktionalbestimmung, die dann auch zu entsprechenden Bildungen (Englandreise) führt, stehen Präpositional- und Akkusativergänzung positionell und semantisch dem Verblexem am nächsten.89 Sie sind als die `direkten' Anschlüsse auch mit den Mitteln der Wortbildung, die sich ja auf die Stellung reduzieren, am problemlosesten zu kodieren. Unter den Angaben können aufgrund ihres jeweiligen Skopus nur die verbmodifizierenden Typen als im hier verlangten Sinne relational angebunden verstanden werden.
Beim Substantiv ist das Kompositum, genauer das Determinativkompositum, ganz offenkundig ein gängiges Mittel differenzierender Benennung durch die systematische Bildung von Subklassen[benennungen], wobei in einem Erstelement (Determinans) die nähere Bestimmung beigebracht wird, durch die angezeigt wird, dass und wie eine Subklasse des im Zweitglied (Determinatum) Genannten abgegrenzt werden soll; um Typen von Feuern, Stätten, Winden geht es zumindest in folgenden Beispielen:
(69) und man roch das Holzfeuer der Herdstätten
die […] anrückenden Flachhügel der kalabrischen Küste
die der augusteischen Hofhaltung ziemte
von einem leisen, kaum merklichen Gegenwind (alle Hermann Broch: »Der Tod des Vergil«. Frankfurt 1976, S. 11)
(L.M. Eichinger: Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen 2000, 68)
5. Literatur169 [243]
5.1 Belegtexte
Applaus Heft Dezember 1998.
Beck, Ulrich (ed.)(1997): Kinder der Freiheit. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Beck-Gernsheim, Elisabeth (1999): Juden, Deutsche und andere Erinnerungslandschaften. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Benjamin, Walter (1996): Ein Lesebuch. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Bernhard, Thomas (1984): Holzfällen. Eine Erregung. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Brandstetter, Alois (1982): Über den grünen Klee der Kindheit. Salzburg: Residenz.
Braunger, Manfred (21992): Chicago & die Großen Seen. Köln: Du Mont.
Brecht, Bertolt (1967): Geschichten vom Herrn Keuner. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Broch, Hermann (1976): Der Tod des Vergil. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Cramer.
Friedrich (1994): Der Zeitbaum. Frankfurt/M./Leipzig: Insel.
Enzensberger, Hans-Magnus (1987): Ach Europa! Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Grasso, Mario (1989): Wörterschatz. Weinheim/Basel: Beltz.
Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Hacks, Peter (1987): Liebkind im Vogelnest. Würzburg: Arena.
Handke, Peter (1979): Langsame Heimkehr. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Handke, Peter (1987): Nachmittag eines Schriftstellers. Salzburg: Residenz.
Handke, Peter (1997): Mein Jahr in der Niemandsbucht. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Handke, Peter (1998): Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982-1987). Salzburg: Residenz.
Hein, Christoph (1997): Von allem Anfang an. Berlin: Aufbau.
Henscheid, Eckhard et al. (1985): Dummdeutsch. Ein satirisch polemisches Wörterbuch. Frankfurt/M.: Fischer.
jetzt: Süddeutsche Zeitung #41, Das Tagbuchheft, 11.10.1999.
jetzt: Süddeutsche Zeitung #07, 14. 02. 2000.
Koselleck, Reinhart (1992): Volk, Nation. In: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (eds.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 7: Verw - Z. Stuttgart.
Mann, Thomas (1986): Erzählungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Martin, Albert / Drees, Volker (1999): Vertrackte Beziehungen. Die versteckte Logik sozialen Verhaltens. Darmstadt: WBG.
Morgenstern, Christian (1965): Werke. München: Piper.
Musil, Robert (1978): Der Mann ohne Eigenschaften. Bd. 1. Reinbek: Rowohlt.
Paul, Jean (1996): Ideen-Gewimmel. Text & Aufzeichnungen aus dem unveröffentlichten Nachlaß herausgeg. v. Thomas Wirtz u. Kurt Wölfel. Frankfurt/M.: Eichborn. [244]
Politycki, Matthias (1998); Weiberroman. München: Luchterhand.
Ransmayr, Christoph (199l): Die letzte Welt. Frankfurt/M.: Fischer.
Rehmann, Ruth (1999): Fremd in Cambridge. München/Wien: Hanser.
Schön. Erich (1993): Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlungen des Lesers. Stuttgart: Klett-Cotta.
Strauß, Botho (1997): Die Fehler des Kopisten. München/Wien: Hanser.
Tönnies, Ferdinand (1991) [1935]): Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. Darmstadt: WBG.
Walser, Martin (1998): Ein springender Brunnen. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Wehler, Hans-Ulrich (1987); Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1815-1845/49. München: Beck.
5.2 Wissenschaftliche Literatur
Abramov, Boris (1994): Nochmals zur »reitenden Artilleriekaserne«. Ist semantisches Beziehen eines Attributs auf die desubstantivische Bestimmungskomponente des zusammengesetzten Substantives akzeptabel? In: Rudolf Grosse, Gotthard Lerchner, Marianne Schröder (eds.): Beiträge zur Phraseologie, Wortbildung, Lexikologie. Festschrift für Wolfgang Fleischer zum 70. Geburtstag. Frankfurt/M. usw.: Peter Lang, S. 133-140.
Ágel, Vilmos / Hessky, Regina (eds.): Offene Fragen - offene Antworten in der Sprachgermanistik [= Reihe Germanistische Linguistik 128]. Tübingen: Niemeyer.
Augst, Gerhard (1999): Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Niemeyer.
Ballmer, Thomas T, Brennenstuhl, Waltraud (1986): Deutsche Verben. Eine sprachanalytische Untersuchung des Verbwortschatzes [= Ergebnisse und Methoden moderner Sprachwissenschaft 19]. Tübingen: Narr.
Barz, Irmhild (1996): Komposition und Kollokation. In: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (eds.): Nomination - fachsprachlich und gemeinsprachlich. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 127-146.
Barz, Irmhild/Schröder, Marianne (eds.) (1997): Nominationsforschung im Deutschen. Festschrift für Wolfgang Fleischer zum 75. Geburtstag. Frankfurt/M. usw.: Peter Lang.
Becker, Thomas (1990): Analogie und morphologische Theorie. München: Fink.
Bellmann, Günter (1988): Motivation und Kommunikation. In: Munske et al. (1988), S. 3-23.
Bergmann, Rolf (1995): Europäismus und Internationalismus. In: Sprachwissenschaft 20, S. 239-277.
Bergmann, Rolf (1998): Autonomie und Isonomie der beiden Wortbildungssysteme im Deutschen. In: Sprachwissenschaft 23, S. 167-183.
Bobillon, Jean-Marc (1992): `Ja, ja, Fachmann bin ich schon, aber er nicht, der ist nur Fachknabe!': Zu Komposita auf -mann, -frau & Co. In: Cahiers d'Etudes Germaniques 23, S. 23-31.
Bresson, Daniel / Kubczak, Jacqueline (eds.) (1998): Abstrakte Nomina. Vorarbeiten zu ihrer Erfassung in einem zweisprachigen syntagmatischen Wörterbuch [= Studien zur deutschen Sprache 10]. Tübingen: Narr.
Bzdęga, Andrzej Z. (1999): Zusammenrückung, -setzung, -bildung. In: Andrzej Katny/Christoph Schatte (eds.): Das Deutsche von innen und von außen. Ulrich [245] Engel zum 70. Geburtstag [= Seria Filologia Germańska 44]. Poznań: Wydawnictwo Naukowe Uniwersytetu im. Adama Mickiewicza, S. 9-23.
Debus, Friedhelm (1 995): Von Möglichkeiten und Schwierigkeiten, Worte zu finden. In: Muttersprache 105, S. 347-359.
Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache:
1. Hauptteil: Kühnhold, Ingeburg/Wellmann, Hans (1973): Das Verb [= SdG 29]. Düsseldorf: Schwann.
2. Hauptteil: Wellmann, Hans (1975): Das Substantiv [= SdG 32]. Düsseldorf: Schwann.
3. Hauptteil: Kühnhold, Ingeburg et al. (1978); Das Adjektiv [= SdG 43]. Düsseldorf: Schwann.
4. Hauptteil: Ortner, Lorelies et al. (199l): Substantivkomposita [= SdG 79]. Berlin/ New York: de Gruyter
5. Hauptteil: Pümpel-Mader, Maria, et al. (1992]: Adjektivkomposita und Partizipialbildungen [= SdG 80]. Berlin - New York: de Gruyter.
Donalies Elke (1999): Das Kakaopulver im Moralkorsett des Ministerfreundes. Gibt es Substantivkomposita mit umgekehrtem Determinationsverhältnis? In: ZGL 27, S. 322-343 [= 1999a].
Donalies, Elke (1999): Können Wortbildungsaffixe semantische Kerne sein? Ein Diskussionsbeitrag zur Differenzierung der deutschen Affixe nach semantischen Kriterien. In: Deutsche Sprache 27, S. 195-208 [= 1999b].
Donalies, Elke (1999): Präfixverben, Halbpräfixverben, Partikelverben, Konstitutionsverben oder verbale Gefüge? - Ein Analyseproblem der deutschen Wortbildung. In: Studia Germanica Universitatis Vespremiensis 3, S. 127-143 [= 1999c].
Draeger, Kerstin (1996): Die semantische Leistung der suffixalen Wortbildungsmorpheme der Substantive in der deutschen Gegenwartssprache. Aachen: Shaker.
Dudenredaktion (ed.) (61998): Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Mannheim usw.: Dudenverlag.
Dudenredaktion (ed.) (1993ff.) Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in acht Bänden. Mannheim usw.: Dudenverlag.
Dudenredaktion (ed.) (1999): Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. Mannheim usw.: Dudenverlag.
Eichinger, Ludwig M. (1982): Syntaktische Transposition und semantische Derivation. Die Adjektive auf -isch im heutigen Deutsch [= Linguistische Arbeiten 113]. Tübingen: Niemeyer.
Eichinger, Ludwig M. (1989): Raum und Zeit im Verbwortschatz des Deutschen. Eine valenzgrammatische Studie [= Linguistische Arbeiten 224]. Tübingen: Niemeyer.
Eichinger, Ludwig M. (1994): Studienbibliographie Deutsche Wortbildung [= Studienbibliographien Sprachwissenschaft 10]. Heidelberg: Groos.
Eichinger, Ludwig M. (1995): Wegweiser durch Textwelten. Wozu komplexe Substantive gut sind. In: Metrich / Vuillaume (1995), S. 169-182.
Eichinger, Ludwig M. (1995): Unter anderem Abhängigkeiten. Texte, Sätze, Klammern und der Ort von Valenz und Dependenz in einer grammatischen Beschreibung des Deutschen. In: Jahrbuch DaF 21, S. 209-234 [= 1995b].
Eichinger, Ludwig M. (1997): Inszenierung auf verschiedenen Ebenen. Die Verwendung komplexer Verben. In: Barz / Schröder 1997, S. 361-374 [= 1997a]. [246]
Eichinger, Ludwig M. (1997): Weltansicht in Wörtern. Vom Zweck und Nutzen verbaler Wortbildung. In: Šimečková / Vachková 1997, S. 24-41 [= 1997b].
Eichinger, Ludwig M. (1997 [1998]): Vom Nutzen neuer Nomina. In: L.M. Eichinger, St. Pongö (eds.): Sprache und Literatur in Theorie und Lehre. Nitra: Universitätsverlag, S. 35-44.
Eisenberg, Peter (1997): Das Versagen orthographischer Regeln: Über den Umgang mit dem Kuckucksei. In: Eroms / Munske 1997, S. 47-50.
Eisenberg, Peter (1998): Grundriß der deutschen Grammatik. Bd. l: Das Wort. Stuttgart: Metzler, S. 200-285.
Erben, Johannes (42000): Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. Berlin: Erich Schmidt.
Erben, Johannes (1995): Wortbildung und Textbildung. In: Heidrun Popp (ed.): Deutsch als Fremdsprache. An den Quellen eines Faches. Festschrift für Gerhard Helbig zum 65. Geburtstag. München: iudicium, S. 545-552.
Eroms, Hans-Werner/Munske, Horst Halder (eds.) (1997): Die Rechtschreibreform. Pro und Kontra. Berlin: Erich Schmidt.
Eschenlohr, Stefanie (1999): Vom Nomen zum Verb: Konversion, Präfigierung und Rückbildung im Deutschen [= Germanistische Linguistik Monographien 3]. Hildesheim - Zürich - New York: Olms.
Fabricius-Hansen, Cathrine (1993): Nominalphrasen mit Kompositum als Kern. In: PBB 115, S. 193-243.
Fehlisch, Ulrike (1998): Zur Einordnung denominaler ein-Verben im deutschen Verbsystem. In: Olsen 1998, S. 149-247.
Fleischer, Wolfgang (1995): Konfixe. In: Inge Pohl, Horst Erhardt (eds.): Wort und Wortschatz. Beiträge zur Lexikologie. Tübingen: Narr, S. 61-68.
Fleischer, Wolfgang/Barz, Irmhild (21995): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Niemeyer.
Fuhrhop, Nanna (1996): Fugenelemente. In: Lang/Zifonun (1996), S. 525-550.
Fuhrhop, Nanna (1998): Grenzfälle morphologischer Einheiten [= Studien zur deutschen Grammatik 57]. Tübingen: Stauffenburg.
Gauger, Hans-Martin (1992): Zum richtigen Ansatz in der Wortbildung. In: Ágel / Hessky (1992), S. 45-52.
Gauger, Hans-Martin (1996): Sprache und Stil. München: Beck.
Gersbach, Bernhard/Graf, Rainer (1984/85): Wortbildung in gesprochener Sprache I und II [= Idiomatica 12 und 13]. Tübingen: Niemeyer.
Golonka, Joanna (1999): Vererbung verbaler Valenz in Nominalphrasen am Beispiel der Verben und Nomina des Meinens. In: Deutsch als Fremdsprache 36, S. 32-35.
Greule, Albrecht (1996): Reduktion als Wortbildungsprozeß in der deutschen Sprache. In: Muttersprache 106, S. 193-203.
Guelpa, Patrick (1995): Nominalkomposita (N+N) und Apposition im Deutschen. In: Sprachwissenschaft 20, S. 336-350.
Günther, Hartmut (198l): N+N. Untersuchungen zur Produktivität eines deutschen Wortbildungstyps. In: Leonhard Lipka, Hartmut Günther (eds.): Wortbildung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 258-280.
Günther, Hartmut (1997): Alles Getrennte findet sich wieder - Zur Beurteilung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. In: Eroms / Munske 1997, S. 81-94. [247]
Härtl, Holden / Witt, James (1998): Lokale Konzepte und Partikelverben in einem Modell der Sprachproduktion. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 17, S. 3-34.
Handler, Peter (1993): Wortbildung und Literatur. Panorama einer Stilistik des komplexen Wortes [= Europäische Hochschulschriften: Reihe 21, Linguistik 126]. Frankfurt/M. usw.: Peter Lang.
Harras, Gisela (1997): Fremdes in der deutschen Wortbildung. In: Wimmer / Berens (1997), S. 115-130.
Helbig, Gerhard (1997): „Grenzgänger” und „Einzelgänger” in der Grammatik. In: Barz / Schröder (1997), S. 325-334.
Heringer, Hans-Jürgen (1984): Wortbildung: Sinn aus dem Chaos. In: Deutsche Sprache 12, S. 1-13.
Heringer, Hans-Jürgen (1989): Grammatik und Stil. Praktische Grammatik des Deutschen. Frankfurt/M.: Cornelsen / Hirschgraben.
Heringer, Hans-Jürgen (1999): Das höchste der Gefühle. Empirische Studien zur distributiven Semantik. Tübingen: Stauffenburg.
Hundsnurscher, Franz (1968/1996): Das System der Partikelverben mit aus in der Gegenwartssprache [= BgS 11] Hamburg: Buske.
Joeres, Rolf (1995): Wortbildungen mit `-wacher' im Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und Neuhochdeutschen. Heidelberg: C. Winter.
Jürgens, Frank (1999): Auf dem Weg zu einer pragmatischen Syntax. Eine vergleichende Fallstudie zu Präferenzen in gesprochen und geschrieben realisierten Texten [= Reihe Germanistische Linguistik 207]. Tübingen: Niemeyer.
Kauffer, Maurice (1995): Die feindlichen Brüder der Wortbildung. In: René Metrich, Marcel Vuillaume (eds.): Rand und Band. Abgrenzung und Verknüpfung als Grundtendenzen des Deutschen. Festschrift für Eugène Faucher zum 60. Geburtstag [= Eurogermanistik 7]. Tübingen: Narr, S. 197-215.
Keller, Rudi (1995): Zeichentheorie: zu einer Theorie semiotischen Wissens. Tübingen -Basel: Francke.
Knobloch, Clemens (1997): Über Possessivkomposita im Deutschen. In: Barz / Schröder (1997), S. 249-263.
Kobler-Trill, Dorothea (1994): Das Kurzwort im Deutschen. Eine Untersuchung zur Definition, Typologie und Entwicklung [= Reihe germanistische Linguistik 149]. Tübingen: Niemeyer.
Korencsy, Ottó (1995): Präfixologie oder terminologische Vielfalt: eine Untersuchung der Wortbildungsterminologie in Hinsicht auf „trennbare Präfixverben” in 10 deutschen Gegenwartsgrammatiken. In: Vilmos Ágel, Rita Brdar-Szabo (eds.): Grammatik und deutsche Grammatiken [= Linguistische Arbeiten 330]. Tübingen: Niemeyer, S. 201-212.
Korhonen, Jarmo (ed.) (1992): Phraseologie und Wortbildung - Aspekte der Lexikonerweiterung [= Linguistische Arbeiten 284]. Tübingen: Niemeyer.
Kubczak, Jacqueline / Schumacher, Helmut (1998): Verbvalenz-Nominalvalenz. In: Bresson / Kubczak (1998), S. 273-286.
Lang, Ewald/Zifonun, Gisela (eds.) (1996): Deutsch - typologisch [= IDS Jahrbuch 1995] Berlin - New York: de Gruyter.
Lauterbach, Stefan (1993): Genitiv, Komposition und Präpositionalattribut - zum System nominaler Relationen im Deutschen [= Studien Deutsch 15]. München: ludicium. [248]
Lawrenz, Birgit (1997): Zu-spät-Kommer und Dumme-Fragen-Steller im Mann-von-Welt-Look. Phrasenkomposition und Phrasenderivation im Deutschunterricht. In: Wirkendes Wort 47, S. 112-136.
Lehmann, Christian (1992): Deutsche Prädikatsklassen in typologischer Sicht. In: Ludger Hoffmann (ed.): Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten [= Jahrbuch des IdS 1991]. Berlin - New York: de Gruyter, S. 155-185.
Lenz, Barbara (1993): Probleme der Kategorisierung deutscher Partizipien. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 12, S. 39-76.
Lenz, Barbara (1995): `un'-Affigierung. Unrealisierbare Argumente, unausweichliche Fragen, nicht plausible Antworten [= Studien zur deutschen Grammatik 50]. Tübingen: Narr.
Lepenies, Wulf (1985): Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft. München: Hanser.
Matussek, Magdalene (1994): Wortneubildung im Text [= Beiträge zur germanistischen Sprachwissenschaft 7]. Hamburg: Buske.
Meibauer, Jörg (1995): Wortbildung und Kognition: Überlegungen zum deutschen -er-Suffix. In: Deutsche Sprache 23, S. 97-123.
Meineke, Eckhard (1996): Das Substantiv in der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg: C. Winter.
Metrich, René / Vuillaume, Marcel (eds.) (1995): Rand und Band. [= Eurogermanistik 7]. Tübingen: Narr.
Meyer, Ralf (1993): Composition and Comprehension in Isolation and in Context. The Contribution of Conceptual and Discourse Knowledge to the Comprehension of German Novel Noun-Noun-Compounds [= Linguistische Arbeiten 299]. Tübingen: Niemeyer.
Motsch, Wolfgang (1999): Deutsche Wortbildung in Grundzügen [= Schriften des IDS 8]. Berlin - New York: de Gruyter.
Munske, Horst Haider (1988): „Ist das Deutsche eine Mischsprache?” Zur Stellung der Fremdwörter im deutschen Sprachsystem. In: Munske et al. (1988), S. 46-74.
Munske, Horst Haider, et al. (eds.) (1988): Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien. Ludwig Erich Schmitt zum 80. Geburtstag von seinen Marburger Schülern. Berlin - New York: de Gruyter.
Muthmann, Gustav (1988): Rückläufiges Wörterbuch. Tübingen: Niemeyer.
Naumann, Bernd (21986): Einführung in die Wortbildungslehre des Deutschen. Tübingen: Niemeyer.
Naumann, Bernd (1992): Das Wort und seine Bausteine. In: Vilmos Agel, Regina Hessky (eds.): Offene Fragen - offene Antworten in der Sprachgermanistik [= Reihe Germanistische Linguistik 128]. Tübingen: Niemeyer, 95-109.
Olsen, Susan (1986): Wortbildung im Deutschen: eine Einführung in die Theorie der Wortstruktur. Stuttgart: Kröner.
Olsen, Susan (l 990): Konversion als kombinatorischer Wortbildungsprozeß. In: Linguistische Berichte 127, S. 185-216.
Olsen, Susan (1996): Partikelverben im deutsch-englischen Vergleich. In: Ewald Lang, Gisela Zifonun (eds.): Deutsch - typologisch [= IdS-Jahrbuch 1995). Berlin - New York: de Gruyter, S. 261-288.
Olsen, Susan (ed.) (1998): Semantische und konzeptuelle Aspekte der Partikelverbbildung mit ein- [= Studien zur deutschen Grammatik 57]. Tübingen: Stauffenburg.
Ortner, Lorelies (1997): Zur angemessenen Berücksichtigung der Semantik im Bereich der deutschen Kompositaforschung. Am Beispiel der Komposita mit `Haben'-Relation. In: Wimmer/Berens (1997), S. 25-44. [249]
Pörksen, Uwe (1986): Deutsche Naturwissenschaftssprachen. Historische und kritische Studien [= Forum für Fachsprachenforschung 2]. Tübingen: Narr.
Polenz, Peter von (1972): Neue Ziele und Methoden der Wortbildungslehre. In: PBB 84, S. 204-225 und 398-428.
Pons, Andrea (1998): Erstellung eines Modells zur Analyse abstrakter nominaler Komposita im Deutschen. In: Bresson / Kubczak (1998), S. 227-252.
Putschke, Wolfgang (1988): Skizze eines semantischen Wortbildungsmodells. In: Munske et al. (1988), S. 75-91.
Raible, Wolfgang (1992): Junktion. Eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration. Heidelberg: C. Winter.
Rapp, Irene (1997): Parizipien und semantische Struktur. Zu passivischen Konstruktionen mit dem 3. Status [= Studien zur deutschen Grammatik 54]. Tübingen: Stauffenburg.
Redder, Angelika (ed.) (1999): Grammatik und mentale Prozesse. Tübingen: Stauffenburg.
Rickheit, Mechthild (1993): Wortbildung. Grundlagen einer kognitiven Wortsemantik. Opla-den: Westdeutscher Verlag.
Rivet, Anne (1999): Rektionskomposita und Inkorporationstheorie. In: Linguistische Berichte 179, S. 307-342.
Ruf, Birgit (1996): Augmentativbildungen mit Lehnpräfixen. Eine Untersuchung zur Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Heidelberg: C. Winter.
Schaeder, Burkhard (1997): Wortbildung und Orthographie: Getrennt- und Zusammenschreibung. In: Barz/Schröder (1997), S. 285-296.
Schmidt, Rosemarie (1996): Zur „Entübelung” von Wortstrukturproblemen - Zum Head-Status von Präfixen im Deutschen und Schwedischen. In: DaF 33, S. 86-91.
Schmitt, Christian (1995): Affinitäten und Konvergenzen in der Entwicklung der westeuro-päischen Sprachen: Für eine soziokulturell ausgerichtete Wortbildungslehre in den romanischen Nationalsprachen und des Deutschen. In: Andreas Gardt, Klaus J.Mattheier, Oskar Reichmann (eds.): Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Tübingen: Niemeyer, S. 413-437.
Schröter, Ulrich (1999): `Akademie' und seine Wortverbindungen. Zur Etymologie eines Internationalismus und zur Geschichte seiner Semantik sowie seinen Syntagmen speziell im Deutschen. In: Leuvense Bijdragen 88, S. 113-131.
Schumacher, Helmut (ed.) (1986): Verben in Feldern. Valenzwörterbuch zur Syntax und Semantik deutscher Verben [= Schriften des IDS 1]. Berlin - New York: de Gruyter.
Siebert, Susann (1999): Wortbildung und Grammatik. Syntaktische Restriktionen in der Struktur komplexer Wörter [= Linguistische Arbeiten 408). Tübingen: Niemeyer.
Šimečková, Alena/Vachková, Marie (ed.) (1997): Wortbildung - Theorie und Anwendung. Praha: Karolinum.
Simoska, Silvana (1999): Die morphologische und semantische Vielfalt des Adjektiv+Nomen-Kompositums. In: Deutsche Sprache 27, S. 156-187.
Stiebeis, Barbara (1996): Lexikalische Argumente und Adjunkte. Zum semantischen Beitrag von verbalen Präfixen und Partikeln [= studia grammatica 39]. Berlin: Akademie.
Vandermeeren, Sonja (1999): Semantische Analyse deutscher Substantivkomposita. Drei Untersuchungsmethoden im Vergleich. In: Leuvense Bijdragen 88, S. 69-94.
Vogel, Petra Maria (1996): Wortarten und Wortartenwechsel. Zu Konversion und verwandten Erscheinungen im Deutschen und anderen Sprachen [= Studia Linguistica Germanica 39]. Berlin - New York: de Gruyter. [250]
Volmert, Johannes (1990): Interlexikologie - theoretische und methodische Überlegungen zu einem neuen Arbeitsfeld. In: Peter Braun, Burkhard Schaeder, Johannes Volmert (eds.): Internationalismen. Studien zur interlingualen Lexikologie und Lexikographie [= Reihe Germanistische Linguistik 102]. Tübingen: Niemeyer, S. 47-62.
Weinrich, Harald (1985): Sprache und Wissenschaft. In: Harald Weinrich: Wege der Sprachkultur. Stuttgart: dva, S. 43-60.
Weinrich, Harald (1993): Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim usw.: Dudenverlag.
Welke, Klaus (1995): Wortbildung und Valenz. In: Der Gingkobaum 13, S. 228-236.
Wellmann, Hans (1993): Die Bedeutungen der Nominalkomposita. In: Hans Wellmann (ed.): Synchrone und diachrone Aspekte der Wortbildung im Deutschen. Heidelberg: C. Winter, S. 147-168.
Wilmanns, Wilhelm (1896); Deutsche Grammatik. 2. Abteilung: Wortbildung. Straßburg: Trübner, 21899.
Wilss, Wolfram (1999): `inter-'. Zur Wortbildung in der deutschen Gegenwartssprache. In: Muttersprache 109, S. 124-135.
Wimmer, Rainer/Berens, Franz-Josef (eds.) (1997): Wortbildung und Phraseologie [= Studien zur deutschen Sprache 9]. Tübingen: Narr.
Wolf, Norbert Richard (1996): Wortbildung und Text. In: Sprachwissenschaft 21, S. 241261.
Zifonun, Gisela (1999): Wenn mit alleine im Mittelfeld erscheint: Verbpartikeln und ihre Doppelgänger im Deutschen und Englischen. In: Wegener, Heide (ed.): Deutsch kontrastiv: typologisch-vergleichende Untersuchungen zur deutschen Grammatik [= Studien zur deutschen Grammatik 59]. Tübingen: Stauffenburg, S. 211-235.
Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger / Strecker, Bruno et al. (1997): Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. [= Schriften des IDS 7.1-3). Berlin - New York: de Gruyter.
Zimmermann, Gerhard (1995): Die deutschen trennbaren Verben. Grammatisches und Literarisches zum historischen und heutigen Gebrauch. In: Sprachdienst 39, S. 81-89.
Zimmermann, Ilse (1988): Die substantivische Verwendung von Adjektiven und Partizipien. In: Manfred Bierwisch, Wolfgang Motsch, Ilse Zimmermann (eds.): Syntax, Semantik und Lexikon. Berlin: Akademie, S. 279-311.
11 Die Terminologie aggregativ `gestreckt', grammatisch explizit - integrativ `kondensiert', `implizit' bezieht sich auf Raible (1992).
12 Den man mit Weinrich (1993) sogar zu den Präpositionen zählen könnte.
13 Die vorkommenden Komposita, werden, da von der Funktion dieser Wortbildungsart oben schon die Rede war, im Folgenden ignoriert.
14 Also als das, was man gemäß der lateinischen Grammatik ein Gerund nennen würde.
15 Zu einer Beschreibung dieser Zusammenhänge s. Eichinger (1995a, S. 178-189).
16 Und des Verbs, wenn man es so handhabt, wie wir das tun werden.
17 Zudem bestätigt die Verwendung des Worts Wüste hier, was wir oben zu seiner semantischen Ambivalenz gesagt haben.
18 Ohne dass die Leichtigkeit dieses Übergangs an die offenbar kaum beschränkten Möglichkeiten des Englischen heranreichen würde.
19 Auf Probleme in diesem Zusammenhang verweist Volmert (1990, S. 58/59); vgl. generell Munske (1988, S. 69-71).
20 Beispiele wären die an Themavokal und Partizip-Perfekt-Bildung des Lateinischen orientierten Elemente /a/ bzw. /at/, die Suffixe -iv oder -ität, aber auch -ation für das Französische. Für das Englische spricht z.B. das präferierte (c( in Recital, andererseits werden durch die Form der englischen Wörterwie demonstrate die tradierten Bildungsmuster `am Leben gehalten'. Für die Bildungsbasis sind morphophonologisch oft kompliziertere Zusammenhänge anzusetzen: vgl. die Basis {proiic; proiec(t)}.
24 Vgl. Harras (1997, S. 123ff.), Bergmann (1998) .
25 Ähnlich wird das z.B. im Anschluss an Vogel (1986) auch bei Motsch (1999, S. 17) gehandhabt, nicht eindeutig in dieser Hinsicht Duden (1998, S. 426ff.).
26 Bemerkenswert hier auch die `gemeinschaftliche Deutung' Morgensterns: „Verf. hat sich erlaubt, aus dem Wort des Stiefels: „Ich ging ganz in Gedanken hin …“ die Wörter „ging ganz“ herauszugreifen und, zu einem Ganzen vereinigt, zum Range eines neuen Substantivs masc.gen. (in allen Casibus unveränderlich ohne Pluralis) zu erheben. Ein Gingganz bedeutet für ihn fortan ein in Gedanken Vertiefter, Verlorener, ein Zerstreuter, ein Grübler, Träumer, Sinnierer“. (Morgenstern 1965, S. 224)
27 Zu bedenken wäre auch noch die musterstützende Kraft von üblichen Nachbarbildungen, lexikalisierten Verbalabstrakta wie Missbrauch, (auch in ähnlicher Einbindung: Machtmissbrauch), aber auch Umweltverschmutzung. Sie allein könnten schon den Platz eines entsprechenden nomen agentis in ihrer Nachbarschaft freimachen. Das spricht gegen eine allzu strikte Grenzziehung zwischen synthetisierenden und analogisierenden Erklärungstypen.
28 Sonst wäre sicherlich ähnlich naheliegend `Vorschuss bei Hitze', analog zu hitzefrei.
29 Ein beliebtes Beispiel spätestens seit von Polenz (1972).
30 Über diese und ähnliche Zusammenhänge macht sich auch Donalies (1999a) Gedanken; sie geht offenkundig eher davon aus, in den zu beschreibenden Objekten stecke eine aristotelisch eindeutige Abgrenzung gegeneinander. Das zwingt zu weitgehenden Kompromissen.
31 Als kommunikativ als Lücken empfundene Erscheinungen wollen wir auch die Fälle betrachten, bei denen ein Objekt in seiner Benennungsmotivation als durchsichtig und diese als nicht mehr adäquat betrachtet wird, wie z.B. beim Wechsel der Benennung von Raubvogel zu Greifvogel.
32 Vgl. Günther (1981, S. 272/73); die von Eisenberg (1998, S. 221) dazu zitierten Fälle belegen genau diesen Effekt: um lexikalisierte Komposita konterdeterminierend auf eine der weniger gängigen Lesarten festzulegen, braucht es Einiges an textuellem Aufwand (zur relativen Aufwendigkeit von Bildungen und den textuellen Konsequenzen vgl. auch Matussek [1994]).
34 Das betrifft nicht nur die weithin vernachlässigte Darstellung der Regiolekte, sondern auch die mediolektale Frage, inwieweit zum Beispiel bestimmte jugendsprachliche Bildungen Teil dieses zentral schriftsprachlich geprägten Systems sind, oder dort nur als eine Art Zitatform aus einer anderen sprachlichen Welt zu werten sind.
36 KW = Kurzwort, BL = Basislexem, SI-KW = Silbenkurzwort
37 Man vergleiche auch das Nebeneinander von Xerox und xerokopieren.
38 Wobei leicht irritierend ist, dass das Produkt mit folgendem Slogan als Maskulinum beworben wird: „Exquisa. Keiner schmeckt mir so wie diesa“. Abgesehen vom Reim spielt hier sicherlich ein lockerer Bezug auf das imaginierte Genus von Quark eine Rolle.
39 Die hier und in den folgenden Klammern erwähnte Terminologie bezieht sich auf Kobler-Trill (1994).
40 Bildungen wie Bus zu Omnibus und Cello zu Violoncello bleiben dann marginal, wenn man nicht in Betracht zieht, dass auch bei den modernen Kopfformen nichtautochthoner Basen Prof(essor), Bib(liothek)) eigentlich nur soviel Material geliefert wird, bis die Differenzierungsfunktion geleistet ist.
41 Deutsch wohl nur einige Namen; vgl. aber englisch flu [influenca]
42 S. Gersbach/Graf (1984), S. 161.
43 Schon der Anteil des Adverbs an solchen Techniken erwscheint marginal, anderes wie etwa die Bildung desubstantivischer Präpositionen wird kaum unter dieser Überschrift behandelt.
44 Vgl. dazu die semantische Beschreibung der nicht primären Adjektive, die praktisch immer auf die mögliche Relation zwischen dem Adjektiv und dem Bezugswort rekurriert; so z.B. in Eichinger (1982, S. 209ff.) zu den Adjektiven auf -isch.
45 Neuere Übersichtsarbeiten tendieren dazu, diese Frage eher zu verneinen. So schliefst Motsch (1999, S. 48) die meisten dieser Fälle aus der Beschreibung aus. Und auch in der Duden-Grammatik tauchen Komposita in der Übersicht über die verbalen Wortbildungsmittel gar nicht auf. (Duden 1998, S. 447)
46 Meines Erachtens handelt es sich hier um eine echte Wahl, deswegen soll hier auch nicht ei Schreibung gesucht werden, die das verdecken würde. So machen das z.B. Motsch (1999), d diese Phänomene zur Syntax zählt, oder Weinrich (1993), der aus diesem Grund seine Wortbili art „Konstitution” weit in syntaktische Phänomene ausgreifen läßt.
47 Wir werden im Weiteren bei den zentralen Eigenschaftswörtern von Adjektiv I, bei den nur attribuierenden Zugehörigkeitsadjektiven von Adjektiv II und bei den Adjektiven, die auf eine adverbale Relation zurückzuführen sind, von Adjektiv III sprechen.
48 Das wären Bildungen wie Eichbaum, Haifisch u. dergleichen.
49 Das ist zweifellos auch eine semantische Funktion, allerdings schon durch die Form als `gröber' klassenbildend ausgewiesen; zur Berücksichtigung der semantischen Seite wie bei Donalies (1999b) gehört aber doch auch die der Form.
50 Weniger abgeschlossen wären die ebenfalls vorgangsbenennenden substantivisch verwendeten Infinitive; ein Beispiel dafür findet sich in b): hier steht wohl Aufgeben, weil die Bildung des Normalworts *Aufgebung durch die Existenz des Substantivs Aufgabe blockiert ist, das seinerseits nicht eindeutig genug auf die hier verlangte Bedeutung festgelegt ist.
51 Geber ist mit entsprechender Bedeutung `Gerät, das nichtelektrische Meßgrößen in elektrische umsetzt' im Duden-Wörterbuch (S. 1228) verzeichnet; der ebenfalls im Text vorkommende Elektroschocker ist eine Ableitung zu lexikalisiertem Elektroschock.
52 Am Beispiel nichtindianische Bevölkerung ausführlich dargestellt in Eichinger (1982).
53 Die angedeutete Hierarchie zwischen den beiden Partizipialformen bringt Harald Weinrik (1993) dazu, sie entsprechend anders zu benennen, Peter Eisenberg (1998) schließt das Partizip I aus dem verbalen Paradigma aus.
54 Mit gewissen Randphänomenen: vgl. Wörter wie unterschwellig, die wie Eigenschaftsvarianten zu Bildungen wie dortig aussehen.
55 Vergleiche „Die Moskitos, wenn sie torkelig daherflogen“ (Handke 1979, S. 24) (`torkelnd').
56 In gewisser Weise zwischen den Gruppen steht auch der Typ adelig, wie auch die prädikative Verwendbarkeit zeigt.
57 Nur das heute produktive deverbale Muster, nicht das noch in historischen Resten erhaltene desubstantivische mit der `Tragen'-Bedeutung von -bar: fruchtbar usw. Eisenherg (1998, S. 269) stellt allerdings völlig zu Recht fest: „Unter den kategorienverändernden Derivationssuffixen dürfte es […] kaum eines geben, das mit so hoher Regelmäßigkeit angewendet werden kann wie -bar. Als Derivationssuffix ist -bar eher untypisch und nicht etwa eine >ideale< oder gar prototypische Wortbildungseinheit.“
58 Von kennen lernen bis kalt stellen.
59 Damit sind sie natürlich ein notorisches Problem für dependentielle syntaktische Beschreibungen, vgl. Verwendungen vom Typ: Er schält die Kartoffeln ins Spülbecken.
60 In Anbetracht dieser Befunde erscheint mir der einfache Ausschluss dieser Kombinationen aus der Wortbildung wie bei Motsch (1999) oder Zifonun (1999) als problematisch.
61 Schon der Vergleich mit Nachbarsprachen wie dem Englischen zeigt, daß diese Marginalität damit zu tun hat, dass das Partizip I aus dem grammatischen System des deutschen Verbs ausgeschieden ist, und nur als normale adverbiale Ergänzung vorkommt.
62 Ähnliches müsste man wohl auch von den genannten Kombinationen mit lernen sagen.
63 Vgl. dazu auch, was Raible (1992, S. 98) im Anschluss an die Behandlung der verschiedenen finnischen Infinitive ausführt: „Sie können auch in mannigfaltiger Weise im Bereich der Verb-Verb-Verbindungen auftauchen und dabei vor allem das Partizipatum, den Verbinhalt, verändern.”
64 Davon ist verloren kein Infinitiv, zeigt aber als Partizip 11 immerhin, daß das Muster in einer Weise ausgreift, dass in Kombination mit gehen, das ja typischerweise ein agentisches Subjekt verlangt, dennoch der Patiens erreicht werden kann. Spazierengehen ist der im verbalen Bereich nicht so häufige Fall eines explikativen Kompositums, um den ich nicht viel systematischen Wesens machen würde.
65 Raible (1992, S. 267) verweist auf Überlegungen von Haspelmath, über die Kategorie des Zwecks den Weg von entsprechenden zielorientierten Phrasen zum Infinitiv hin als universale Grammatikalisierungstendenz zu betrachten.
66 Wegen der Lexikalisierung von halten als so etwas wie `festhalten, behaupten' (vgl. Duden-Wörterbuch 1999, S. 1650-1652), kommt wohl dieses Verb bei Schumacher (1986, S. 721 ff.) unter den „Verben des Besitzes und Besitzwechsels” nicht vor, sondern nur das speziellere behalten oder das generellere haben. Entsprechend auch der Eintrag von halten in dieser Verwendung bei der Untergruppe des Greifen-Modells bei Ballmer/Brennenstuhl (1986, S. 312), die paraphrasiert wird: Festhalten jd 1 etw 2.
67 Wir werden bei der Behandlung der Komposition im nächsten Kapitel nochmals auf diese Frage zu sprechen kommen.
68 Das ist auch der Grund, warum nicht fest lexikalisierte Bildungen, die doch häufig eine hochgradig fixierte Bedeutung haben, ohne Kontext in ganz verschiedener Weise gelesen werden können.
84 Kann man, wenn man will, auch als direktional betrachten.
85 Wie zum Beispiel die Übersicht in Schumacher (1986, S. 724) zeigt, gehört das „Entgelt für einen Besitzwechsel“, das hier durch gegen signalisiert wird, zum Kategorieninventar der Verben des Besitzes und des Besitzwechsels, seine syntaktische Spezifizierung wird aber gerade bei den allgemeinen Verben des Feldes wie geben offengelassen.
86 d.h. modale und restriktive Relationen, die auf Verbebene modifizieren.
87 In der Duden-Grammatik (1998, S. 486) am Beispiel des Zweitgliedes -reise demonstriert.
88 Zu dieser Verteilung passend die korpusorientierte Analyse der Form von Zweitgliedern substantivischer Komposita in „Deutsche Wortbildung“ (4, 1991, S. 32).
89 Vgl. dazu Eichinger (1997); die Dominanz des Objekts-Typs belegen statistisch auch die Ergebnisse in Gersbach/Graf (1984, S. 45ff. und 95ff.).
169 Für nicht im Text zitierte vor 1994 erschienene Titel vgl. Eichinger (1994).
104
(68)