Inhalt
1 Das Interesse an der Wortbildung
1.1 Vom Umgang mit komplexen Wörtern am Beispiel der Substantive....
1.1.1 Komposition: die Suche nach Zusammenhang......................................
1.1.2 Derivation: lauter Bekannte .................................................................. 2
1.1.3 Konversion: janusköpfige Lexeme und mehr ........................................ 7
1.1.4 Inkorporation: was zusammengehört.................................................... 15
1.1.5 Kurzwortbildung: to whom it may concern.......................................... 17
1.1.6 Zusammenschau.................................................................................... 18
1.2 Struktur und Funktion .......................................................................... 19
1.2.1 Strukturelle Analogien .......................................................................... 19
1.2.2 Erläuterung am Substantiv.................................................................... 22
1.3 Aufgaben der Wortbildungslehre........................................................... 25
1.4 Stellung der Wortbildung ...................................................................... 34
2 Wortarten und Wortbildungsarten
2.1 Vorbemerkung....................................................................................... 48
2.2 Generelle Verteilung.............................................................................. 52
2.3 Gründe für die Präferenzen ................................................................... 53
2.3.1 Die Lage beim Substantiv...................................................................... 54
2.3.2 Adjektivtypisches .................................................................................. 63
2.3.3 Ganz anders: das Verb .......................................................................... 84
3 Wortbildungsarten
3.1 Komposition........................................................................................... 98
3.1.1 Der Zusammenhang der Dinge: Determinativkomposita ...................... 98
3.1.1.1 Allgemeines............................................................................................ 98
3.1.1.2 Zum Substantiv...................................................................................... 101
3.1.2 With a little help: Rektionskomposita................................................... 103
3.1.3 Das Beste beider Welten: Zusammenbildung ........................................
3.1.4 Jedes Ding hat zwei Seiten: Kopulativkomposita...................................
3.2 Derivation .............................................................................................
3.2.1 Derivationen als Textwörter..................................................................
3.2.2 Zum Substantiv.....................................................................................
3.2.3 Zum Adjektiv........................................................................................
3.2.4 Zum Verb..............................................................................................
3.3 Inkorporation........................................................................................
3.3.1 Inkorporation beim Substantiv .............................................................
3.3.2 Inkorporation beim Adjektiv ................................................................
3.3.3 Inkorporation beim Verb ......................................................................
3.4 Konversion............................................................................................
3.4.1 Allgemeines ...........................................................................................
3.4.2 Zum Substantiv.....................................................................................
3.4.3 Zum Adjektiv........................................................................................
3.4.4 Zum Verb..............................................................................................
3.5 Kurzwortbildung...................................................................................
4 Wortartenausbau
4.1 Das Substantiv ......................................................................................
4.1.1 Damit man über alles reden kann: Setzung...........................................
4.1.2 Zentrale Strukturen: Differenzierung und Rollenzuweisung .................
4.2 Das Adjektiv .........................................................................................
4.2.1 Damit man alles charakterisieren kann: Junktion .................................
4.2.2 Überblick: Junktionale Differenzierung.................................................
4.3 Das Verb ...............................................................................................
4.3.1 Wie man von etwas redet: Relationierung ............................................
4.3.2 Übersicht..............................................................................................
5 Literatur
5.1 Belegtexte .............................................................................................. 90
5.2 Wissenschaftliche Literatur ................................................................... 91
2. Wortarten und Wortbildungsarten [67]
2.1 Vorbemerkung
Die Wortbildung operiert größtenteils in den Hauptwortarten, deren Elemente lexikalische Bedeutung tragen. Wir werden also im Folgenden nur von der Wortbildung des Substantivs, des Adjektivs und des Verbs sprechen.43
Die Wortbildung als Technik des Wortschatzausbaus bzw. der textuellen Adaption von Lexemen ist nicht nur auf diese Wortarten beschränkt, vielmehr scheinen letztere auch von den Wortbildungstechniken unterschiedlich belastet zu sein. Während das Substantiv eine ganz erhebliche Breite der Möglichkeiten kennt, die auch der relativen Selbständigkeit dieser Wortart in ihrer syntaktischen Verwendung entspricht, wirkt schon die Wortbildung des Adjektivs anders akzentuiert und das Verb folgt bereits auf den ersten Blick seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Ebenfalls ohne große Schwierigkeiten kann man sehen, dass diese Unterschiede damit zu tun haben, in welchem Ausmaß das Verbleiben in der jeweiligen Wortart - Modifikation - und der Wechsel der Wortart - Transition - im Vordergrund der Wortbildungsaktivitäten stehen. Beim Substantiv spielt beides eine bedeutsame Rolle, bei den Adjektiven steht die Adjektivierung, mit ihren Techniken deutlich im Vordergrund. Beim Verb ist die Frage schwer zu beantworten: was wir hier Wortbildung nennen, hilft, die Szenen, die ein Verb aufruft, unterschiedlich zu arrangieren und zu organisieren: diese Operationen kennen gerade im zentralen und typischen Bereich (`trennbare Verben') Strukturen, deren Status durch die Trennbarkeit ebenso ambivalent bleibt wie die Informationsverteilung im Wort.
DURCH DIE So ist denn selbst die Behandlung desselben Wortbildungs- WORTARTEN: typs bei verschiedenen Wortarten nicht dasselbe. Substantive KOMPOSITA Adjektive und Verben werden syntaktisch so verschieden verwendet, dass manchmal die Benennung einer morphologisch definierten Wortbildungsstruktur mit demselben Terminus eher irreführend wirkt. So meint der Terminus Komposition beim Substantiv in zentraler Weise eine nicht von grammatischen Relationen direkt gesteuerte Lexemkombination, beim Verb dagegen ein Zusammenwachsen auch syntaktisch nebeneinander stehender Teile. Präfigierung ist im nominalen Bereich eindeutig nur modifikativ, beim Verb bestimmen die Präfixe semantischen Typ und Wortart wie das bei den nominalen Wortarten eher die Suffixableitung tut. [68]
… Beim Beim Substantiv ist das Kompositum, genauer das Determinativ-
Substantiv kompositum, ganz offenkundig ein gängiges Mittel differenzierender Benennung durch die systematische Bildung von Subklassen, wobei einem Erstelement (Determinans) die nähere Bestimmung beigebracht wird, durch die angezeigt wird, dass und wie eine Subklasse des im Zweitglied (Determinativ) Genannten abgegrenzt werden soll; um Typen von Feuern, Stätten, Winden geht zumindest in den folgenden Beispielen:
(69) und man roch das Holzfeuer der Herdstätten
die [...] anrückenden Flachhügel der kalabrischen Küste
die der augusteischen Hofhaltung ziemte
von einem leisen, kaum merklichen Gegenwind (alle Broch 1976, S. 11)
Durch Hinweise auf Schemata, die wir kennen, werden hier die mit Holz unterhaltenen Feuer von anderen geschieden, etwa Kohlefeuern, die flachen Hügel als ein 1 von anderen. Manchmal handelt es sich eher umgekehrt um eine Einordnung in e Grobklasse; eine solche wird hier am Beispiel des Herds vorgenommen, der als Exemplar einer Stätte wie die Heimstätte dargestellt wird. Manchmal gehen die Bildungen hinüber zu inkorporierenden Techniken: `wo man Hof hält', ist die Hofhaltung neben der aber immerhin bestärkend Lexeme stehen könnten wie die Haushaltung aber dann auch die Tierhaltung mit allerlei Anverwandten. Komposita fordern uns offenbar auf, aus der Beziehung zwischen ihren Elementen Sinn zu machen, ohne dass dieser in einfacher Weise syntaktisch erläutert werden könnte. Schon ein eigentlich harmloser Fall wie Holzfeuer mag das belegen, mehr noch der Gegenwind jenem Präpositionen-Erstglied, dem alles zu seiner Ergänzung fehlt.
… beim Auch bei den Adjektiven gibt es determinative Komposita, allerdings Adjektiv bei dieser Wortart der Rand dieses Bildungstyps größer, so dass man nicht recht weiß, ob man sein Zentrum noch ein Zentrum nennen soll.
(70) Stahlblau und leicht […] waren die Wellen […] entgegengeströmt
da war das Wasser beinahe spiegelglatt geworden
von der prunkvollen Bauart
längs der weißbespülten Ufer
goldglänzend sein bronzebeschlagener Bug (alle Broch 1976, S. 11)
Häufig ist bei Adjektiven, die Ergebnisse sinnlicher Wahrnehmung klassifizieren, hier bei dem Farbadjektiv blau, eine vergleichende Subklassifikation: `wie Stahl'. Aber obwohl es von diesen Bildungen eine ganze Menge gibt, haben wir nicht so ganz den Eindruck, als handle es sich um eine freie Kombination, sondern um kulturell präformierte Pseudo-Graduierungen über den Kategorien `Helligkeit' und `Färbsättigung'; ergänzt werden ja diese Typen durch den beim Adjektiv viel häufigeren des Kopulativkompositums wie blaugrau, der über die Abstufungen des Farbspektrums hinweg führt. In gewissem Sinn haben wir hier die sprachliche Graduier des Farbkontinuums in seinen drei Erstreckungen Farbton, Helligkeit und Sättigung Das Determinativkompositum dient hier - der häufig lexikalisierten und idiomatisierten - Graduierung in Bereichen, die über die einfache Steigerung hinausgehen. [69]
Dass die Komposition dieses Typs immer leicht geneigt ist, zur Graduierung überzugehen, sieht man an dem Beispiel spiegelglatt, dessen Bedeutung auch im DUDEN-Wörterbuch (S. 3170) als `äußerst glatt' umschrieben wird, nicht mit `sehr glatt', und das wohl zu Recht, ist doch spiegelglatt deutlich konnotativ angereichert gegenüber der normalen Graduierung. Ansonsten ist beim Adjektiv jener Typ weitaus weiter verbreitet, bei dem, wie bei prunkvoll einerseits die Nähe zur Inkorporation groß ist (`voll von Prunk'), wo aber gleichzeitig und wenn man so will, in gegenläufiger Entwicklungsrichtung, die Bedeutung der formalen Basis entleert wird. Eigentlich geht es nicht um einen Sonderfall von voll, sondern um eine `Vereigenschaftung' von Prunk; `Prunk aufweisend', paraphrasiert daher hier auch das DUDEN-Wörterbuch (S. 2649) etwas hilflos. Wenn durch die partizipiale Basis die Neigung zur Inkorporation noch erhöht ist, wird dieser Typ noch weiter, differenzierter ausgebaut. Auch weißbespült, goldglänzend, bronzebeschlagen haben ihren semantischen Kern in der ersten Hälfte, die Partizipien sagen eigentlich nur in verschiedener Differenzierung so etwas wie `versehen mit'. Bei aller Verschiedenheit im Einzelnen wird doch sichtbar, dass beim Adjektiv das eigentliche Determinativkompositum einerseits wegen des Sogs der präfigierenden Typen und andererseits wegen des Trends zur `semantischen Umkehr' des Musters, das die Zweitelemente zumindest in eine funktionale Reihe mit den Suffixen stellt, bei weitem nicht die Bedeutung hat wie beim Substantiv. Das hat unmittelbar mit den Spezifika der Wortart zu tun, der Neigung des Adjektivs zur Graduierung und Antonymenbildung, von der der Präfixbereich profitiert, einerseits, und dem Tatbestand andererseits, dass das Adjektiv, aufgrund seiner modifizierenden Stellung als Attribut, im Zweitelement eher die Verbindung zwischen dem im ersten Element auftretenden Lexem und dem modifizierten Substantiv betont und in gewisser Weise ausdifferenziert.44
Beim Verb Beim Verb, um auf die dritte der Wortarten nur noch kurz einzugehen, hat die Komposition eine gänzlich andere Position als bei den nominalen Wortarten, es ist eigentlich fraglich, ob man überhaupt davon reden kann.45 Das Problem liegt darin, dass es sich bei den möglicherweise einschlägigen Phänomenen insgesamt um Erscheinungen der Inkorporierung handelt, bei denen der Grad der Univerbierung schwankt. Das hat die Diskussion um die Rechtschreibreform an dieser Stelle recht deutlich gezeigt. Zudem handelt es sich auf jeden Fall um trennbare Verben, was die Vergleichbarkeit mit der nominalen Komposition noch weiter erschwert. So gibt es denn bei den Verben eine Reihe von Bildungen, wo nicht von vornherein feststeht, wie fest aneinander gebunden die Teile jeweils sind:
(71) Sie mußten sich, weil dieser Kasten wirklich klein war, eng aneinander pressen. Johann hatte das Gefühl, beide, Irmgard und er, hätten, solange sie so aneinandergedrängt standen […] nicht mehr geatmet. (Walser 1998, S. 39) [70]
Was macht den Unterschied zwischen den beiden so verwandten Fügungen mit i Element aneinander in diesem Text aus? Ist es der Unterschied zwischen syntaktischer Fügung und Komposition, oder ist es eigentlich gar keiner, wie die neue Re Schreibung festlegen würde? Ganz offenkundig will der Autor des Textes einen Unterschied signalisieren, der sich zum Beispiel auch in der Intonation niederschlägt. Wir wollen diese Frage später noch einmal aufgreifen. An unserem Beispiel kann \ zumindest schon sehen, dass viele dieser inkorporierenden Bildungen ohne Kenntnis des Kontextes und der Sprecherintention gar nicht sinnvoll daraufhin befragt werden können, wie `univerbiert' sie seien - man kann sich so oder so entscheiden. Aber stehen damit nicht nur zwischen Syntax und Wortbildung, sondern wegen der Kombinationsbeschränkungen, auch irgendwo zwischen Komposition und trennbaren Partikelverb. Wir können uns durchaus Peter Eisenberg (1998, S. 257) anschließend der davon spricht, wir befänden „uns hier in einem Übergangsbereich von Wort- und Satzgrammatik, der in seiner Systematik noch keineswegs verstanden ist”.
Diese hinführenden allgemeinen Bemerkungen sollten andeuten, warum die F nach Wortart und Wortbildung bedeutsam ist und sich nicht in der morphologischen Klassifikation der beteiligten Elemente erschöpft. Die Wortarten haben verschiedene Funktionen, die verwendeten Mittel der Wortbildung müssen im Hinblick diese Funktionen sinnvoll sein.
TECHNIKEN DER Akzentuieren kann man diese Aussage nicht zuletzt in
INKORPORATION Hinblick auf die Geltung der inkorporativen Techniken, die Aussagen über die relative Nähe zu syntaktischen Kodierungsweisen erlauben. Bei den Substantiven erscheint diese Beziehung weitgehend von der Syntax isoliert und systematisch an die Komposition (Rektionskomposita) oder an die Derivation (Zusammenbildung) angeschlossen. Bei den Adjektiven schlägt die Ambivalenz der Ausrichtung von semantischer und syntaktischer Abhängigkeit (Valenz und Potenz) in der Weise durch, dass die Elemente in den inkorporativen Techniken, denen in der syntaktischen Basis die Abhängigkeiten ausgegangen wären, als Junktoren zunehmender Spezifik (Halbaffixe, Partizipialkomposita) gedeutet werden, die an die Suffixderivation mit ihrer kategorisierenden Funktion anschließen. Im Falle des Verbs letztlich lässt sich bei den Zweifelsfällen nicht einfach und kontextlos feststellen, ob wir es mit `syntaktischer Inkorporation', die zu mehr oder minder festen syntaktischen Fügungen führt, oder mit `lexikalischer Inkorporation', die zur Univerbierung führt, zu tun haben: das Verb als Prädikat bietet beide Möglichkeiten an, die eben am Rande beide genutzt werden können.46 [71]
2.2 Generelle Verteilung
Man kann die Frage nach Wortart und Wortbildungsart natürlich auch umdrehen. Was sind die bedeutsamsten, auffälligsten und wirksamsten (produktivsten) Arten von Wortbildung? Was macht sie dazu? Inwieweit spielen hier die Anforderungen der verschiedenen Wortarten eine Rolle?
DIE ZENTRALE Als vielleicht zentralste Art der Wortbildung kennen wir STELLUNG DER die Komposition. In ihr werden prinzipiell lexemfähige Ele KOMPOSITION mente zu einer spezifischen Benennung zusammengefügt. Der Kompositionsprozess verändert die Wortart des Gesamtprodukts nicht - sie ist der Paradefall der Modifikation. Struktureller Kern und semantisch bestimmender Teil ist das am rechten Ende stehende Element dieser Operation. Der bei weitem häufigste Typ dieser Wortbildungsart, das Determinativkompositum, stellt sich somit als eine Technik der links-rechts-determinierenden Subklassifikation dar.
Diese Art der Zusammenfügung hat, wenn man so will, einen natürlichen Grund im Zusammenwachsen systematisch nebeneinander auftretender Elemente. Ihr anderer Grund ist die weitere Kondensation von Relationen, die auch auf der Ebene der Syntax - im Prädikations- und vor allem im Attributbereich - ihren Niederschlag gefunden haben. Die Komposition zeigt am deutlichsten den Charakter der Kondensation, welcher der Wortbildung generell eigen ist. Im extremsten Fall bleibt die Reihenfolge als einziges Mittel der formalen Struktur. Aus erklärlichen Gründen ist dieser extreme Fall am ehesten in der nominalen Wortbildung zu erreichen, und dort besonders bei den Substantiven, die ja keiner zusätzlichen Anbindung bedürfen, um in ihrer syntaktischen Rolle auftreten zu können. Jenes `reine' Ende der Zusammensetzung wird schon verlassen, wenn im Zweitelement bestimmte Relationen angelegt sind, welche die Interpretation des gesamten Kompositums steuern.
Bei den anderen beiden Hauptwortarten, dem Adjektiv und dem Verb ist die relationale Bindung der Normalfall, so dass hier die Komposition auch einen weniger herausragenden Fall darstellt, sondern gern in Richtung der Inkorporation geht.
DAS ANDERE Den Widerpart der Komposition, die ja der Modifikation inZENTRUM nerhalb einer Wortart dient, stellt die Derivation dar. Bei ihr DERIVATION wird eine lexem fähige Basis mit einem gebundenen Morphem verbunden, das ausschließlich der Wortbildung dient. In zentralen Teilen wird diese Wortbildungsart dazu genutzt, das Basislexem in eine andere Wortart zu transponieren. Beim Substantiv und beim Adjektiv wird diese Technik mit einer Vielzahl von Suffixen ausführlich und systematisch genutzt. Die Suffixe dominieren zwar strukturell und ordnen semantisch in grobe Kategorien ein, den semantischen Kern stellen aber die lexikalischen `linken' Elemente. Bei den Substantiven werden die kategorisierenden Möglichkeiten dieses Bildungstyps hauptsächlich dazu genutzt, beliebige Inhaltskerne unter verschiedenen Aspekten in Texten und Sätzen auftauchen zu lassen. Bei den Adjektiven dienen die großen Suffixgruppen der Signalisierung des Adjektivcharakters, der sich in der Attributionsfähigkeit am deutlichsten zeigt. Semantisch geht es einerseits um eine Erweiterung des Feldes der Eigenschaftsbezeichnungen aus dem Fundus nicht primär adjektivisch geprägter Inhalte heraus, andererseits [72] um die simple Charakterisierung als Attributivum, dem diese Positions- und Flexionsmöglichkeiten als fast einzige Adjektivmerkmale eignen.47 Verbalisierungssuffixe gibt es nicht sehr viele: hier wird das Feld weitaus mehr von Konversion auf der einen und Präfigierung auf der anderen Seite bestimmt. Die Präfigierung zeigt überhaupt ein merkwürdiges Doppelgesicht: beim Substantiv spielt sie eher eine marginale Rolle, beim Adjektiv dient sie im Wesentlichen der Füllung in der Wortart angelegter Typen von Modifikation wie Antonymenbildung oder Graduierung. Hoch bedeutsam ist sie beim Verb, wo sie eine der Suffigierung bei den anderen Wortarten vergleichbare Rolle spielt.
RICHTUNG SYNTAX: Beim Verb ist aufgrund der Gegebenheiten der Wort-
UniverbierunG art mit einer Kombinierbarkeit zu rechnen, die in Verbindung mit der zentralen Beziehungskraft des Verbs steht, wie sie sich in der Valenz niederschlägt. So erscheint die Wortbildung des Verbs auch formal als ganz eigenständig: es überwiegen bei weitem präfigierende Typen. Der für das Deutsche bezeichnendste Typ liegt wohl bei den trennbaren `Partikel'-Verben vor. Sie zeigen die lexikalische Systematisierung der Szenen, die sich in verbalen Prädikationen niederschlagen. Hier werden Partikel unterschiedlichen Generalisierungsgrades als Erstelemente bzw. rechte Klammerelemente gewählt, bis hin zu einer nicht unumstrittenen Art von Kompositabildung (kaltstellen), bei der die Eigenständigkeit des Worts, das aus einander benachbarten Elementen zusammengewachsen ist, in Frage steht.
Auch das Adjektiv bildet systematisch Typen aus, die von den rektionalen und dependentiellen Merkmalen des rechten, wortartprägenden Elements gekennzeichnet sind. Am offenkundigsten ist das bei jenen Bildungen mit einem Partizip als Zweitelement, wo die von der verbalen Basis ererbten Abhängigkeitsverhältnisse die grundlegende Interpretation steuern. Bemerkenswert ist aber, dass diese Möglichkeit nicht in erster Linie zur Bildung beliebiger Rektionskomposita genutzt wird, sondern zu einer spezifischeren Kennzeichnung der Junktion zwischen der Basis, dem Erstelement des Adjektivs und dem Bezugssubstantiv. In dieser doppelten Einbindung wird die entsprechende Doppelorientierung der das Adjektiv betreffenden Abhängigkeiten auf der Ebene der Wortbildung sinnvoll genutzt. Ähnliches, nur in gröberer Untergliederung, gilt auch für die sogenannten Halbaffixbildungen, bei denen adjektivische Zweitelemente in paradigmatische Reihen von Bildungen eingebunden werden, durch die wichtige Relationen zwischen Adjektivbasis und Bezugssubstantiv in einer Weise strukturiert werden, wie das mit Suffixen allein nicht möglich ist.
Beim Substantiv hat die Univerbierung einen nicht so festen Grund. In zentralen Bereichen wird sie überlagert von suffigierenden Typen der Wortartfestlegung (`Zusammenbildung' und auch `Rektionskompositum'), oder sie schlägt sich in nicht so zentralen Formen nieder. Dazu zu rechnen wären der Teil der Rektionskomposita, die nicht deverbale oder deadjektivische relationale Nomina als Zweitelement haben (Typ: Familienvater), die Komposita mit adjektivischem Erstglied und, als wirklich [73] marginaler Fall, die sogenannten Zusammenrückungen, bei denen man sich fragen kann, ob sie nicht besser bei der Konversion aufgehoben wären.
Welche Rolle die univerbierenden syntaxnahen Typen bei den verschiedenen Wortarten spielen, hängt erkennbar von den syntaktischen Rahmenbedingungen ab, die durch die Wortarten gesetzt sind. So kann das Verb seine Bindungsfähigkeit ausspielen, genau sie macht aber auch die Abgrenzung zur Syntax schwierig, das Adjektiv nutzt seine doppelte dependentielle Einbindung zu einer Systematisierung junktionaler Differenzen in der attributiven Verbindung und das Substantiv hat am ehesten Zugang zur Attributsyntax und zur Phrasenkonversion.
RICHTUNG Noch ausschließlicher der Transposition als die Derivation
MORPHOLOGIE: - und ohne die Möglichkeit der Akzentuierung durch die KONVERSION verschiedenen Derivationstypen - dient die Konversion (Transition), also der Wortartwechsel, der eine bestimmte Form einer Wortart betrifft, die durch die flexivische Einbettung in eine andere Wortart integriert wird. Sie wird in typischer Weise beim Substantiv und auch beim Verb realisiert -, dass hier Wortformenbildung und Lexembildung ineinander greifen, darauf wurde oben schon hingewiesen.
Reste In den letzten Jahren ist einiger Wert auf Erscheinungen gelegt worden, die zwischen diesen Formen angeordnet sind. Vor allem gibt es Elemente, die in der einen oder anderen Art zwischen Kompositionsgliedern und Affixen zu stehen scheinen: sie werden als Affixoide oder Halbaffixe bezeichnet. Als Erscheinung haben sie einen wichtigen Platz bei den Adjektiven, er wurde bei den univerbierenden Typen schon erläutert. In anderer Weise sind die neuerdings als Konfixe bezeichneten Elemente an derselben Übergangsstelle zu finden: mit lexematischer Bedeutung, aber nur gebunden vorkommend. Sie haben ihre Domäne in den nichtautochthonen oder internationalistischen, den europäischen Teilen unseres Wortbildungssystems. Seine Grundbestandteile sind morphologisch weniger leicht einsehbar, morphophonologisch spielen bildungssprachliche Muster, die an das Lateinische, das Französische und das Englische als internationale Sprachen erinnern, eine erhebliche strukturierende Rolle. Dennoch handelt es sich um ein systematisch an die autochthonen Regeln angeschlossenes Teilsystem der Wortbildung.
Marginal erscheinen weitere Typen: die sogenannte implizite Ableitung erscheint als eine Art historischer Sonderfall der Konversion. Nicht umsonst hat sie ihren Kern in Ableitungen von jenem kleinen Satz semantisch zentraler Verben, die ihre Zentralität dadurch belegen, dass sie in heutzutage unregelmäßiger `starker' Flexion gebeugt werden.
(72) Umso entrückter der Blick, desto näher das Erblickte. (Handke 1998, S. 120)
Relativ neu ist dagegen die sogenannte Kurzwortbildung: in ihr liegt allerdings im Unterschied zu den anderen Typen ein Muster vor, das die Motivation des Wortschatzes mindert, statt erhöht. Sie kommt außerdem nur beim Substantiv vor. So sind dem Einsatz dieses Mittels Grenzen natürliche funktionale gesetzt. [74]
2.3 Gründe für die Präferenzen
Wenn man diese Wortbildungsarten und die Präferenzen der Verteilung auf die verschiedenen Wortarten betrachtet, ergibt sich ein Bild, das deutliche Korrelation von formaler Explizitheit und funktionaler Einbettung erkennen lässt:
(73) |
Komposition Inkorporation Derivation Präfixbildung Konversion Kurzwortbildung |
Substantiv + + + + + + + + + + + + + + |
Adjektiv + + + + + + + + +
|
Verb + + + + + + + + + + +
|
Dabei kann man sehen, dass Komposition und Konversion den merkmallosen Typ von Modifikation beziehungsweise Transposition darstellen. Ihre Bedeutung wird durch die lexikalische Einbindung beziehungsweise die syntaktisch-flexivische Markierung bestimmt. In diesen beiden Möglichkeiten ist die kondensierende Kraft Wortbildung ohne sonstige Modifikationen realisiert.
In der Derivation werden verschiedene Aspekte vor allem der Transposition zentuiert.
Inkorporation und Präfixbildung zeigen je nach Wortart ein Doppelgesicht. Dient die Inkorporation bei Substantiv und Verb der Modifikation, so liegt beim Adjektiv eine inhaltlich spezifiziertere Transposition vor, als das bei der begrenzten Anzahl von Suffixen möglich wäre.
Die Präfixbildung spezifiziert beim Verb zumindest die Wortart und ist somit gentlich neutral gegenüber der Unterscheidung von Modifikation und Transposition Das gilt auch für Teile der Partikelverben. Dagegen dient die Präfixbildung in nominalen Wortbildung eindeutig der Modifikation, wobei diese Modifikation beim Adjektiv quasi-paradigmatisch eingebettet ist.
Man kann generell davon ausgehen, dass bei allen Wortarten Mittel der Modifikation und Mittel der Transposition existieren, welche logischerweise im Hinblick auf die Zielwortart spezifiziert sind und Merkmale der Herkunftswortart transportieren.
2.3.1 Die Lage beim Substantiv
Komposition, vorzüglich Determinativkomposition, und Derivation auf der einen, Konversion auf der anderen Seite gelten als die zentralen Wortbildungsarten des Deutschen. Dabei teilen Komposition und Derivation das Merkmal einer grammatisch vom rechten Element gesteuerten Konstituentenstruktur, bei der Konversion ist solch eine Segmentation nicht möglich - will man nicht extensiven Gebrauch vom Konzept des Nullmorphems machen. Um den Kern dieser drei Typen versammeln sich in den gängigen Darstellungen marginalere Bildungsweisen, die in der einen oder [76] anderen Weise zwischen diesen Kernen stehen: es sind vor allem Rektionskomposita, Zusammenbildungen und ähnliche kompositions- oder ableitungsnahe Bildungstypen, die wir hier unter dem Oberbegriff der Inkorporation zusammengefasst haben.
MODIFIKATION UND Dabei scheint diese formale Eineilung nach der Unter-
TRANSPOSITION gliederbarkeit, die - wie angedeutet - gängig ist, eher an der falschen Stelle in einem funktionalen Kontinuum zu trennen. Wenn man sich überlegt, wozu neue Komposita, neue Derivationen und die Ergebnisse von Konversion gut sind, liegt es nahe, die Trennungslinie eher zwischen der Konversion und der Derivation auf der einen und der Komposition auf der anderen Seite zu ziehen. Der Grund dafür ist, dass die Komposition prinzipiell der Modifikation innerhalb derselben Wortart dient, während schon die Derivation und noch eindeutiger die Konversion der Transposition, und das heißt der Wortartfixierung bzw. -veränderung dienen. So scheinen bei der Komposition und der Konversion Morphologie und Funktion parallel zu laufen, während zumindest auf den ersten Blick bei der Derivation die beiden Informationsebenen miteinander konfligieren. Tatsächlich lässt sich dieses Problem aber durch eine mehrschichtige Analyse lösen.
Hinweise auf Nun haben wir praktisch alle Behandlungen der Wortbildung Schemata bei den Substantiven begonnen, die aufgrund ihrer relativ großen Selbständigkeit besonders viele Optionen eröffnen. So ermöglichen die hohe Anzahl vorhandener Substantive - auch schon primärer Substantive - und die vielfältigen syntaktischen Positionen, in die Substantive als die lexikalischen Kerne von Nominalgruppen eingehen können, eine ganz verschiedene Einbettung in sprachliche Schemata, indem jeweils ein weiteres Element zur genaueren Spezifizierung hinzugefügt wird. Genau das macht ja die Komposition, die dadurch auch beim Substantiv eine herausgehobene Stellung hat. Die reinste Form der substantivischen Komposition ist zweifellos die, bei der zwei ihrerseits nicht unmittelbar relationale Elemente nebeneinandergestellt werden, von denen wir nur wissen, dass sie in einer Beziehung zueinander stehen, die sich im Sinne einer Einordnung in das durch das rechteste Element gegebenen Rahmen verstehen lässt. Die Bestandteile solcher komplexer Wörter werden damit als Elemente sprachlicher Schemata gelesen, mit denen uns unsere Sprache zu leben gelehrt hat. Das wäre vergleichsweise aufwendig, hätten wir nicht eine Stütze darin, dass uns Wortbildung auf dieser Ebene zunächst eine generelle Vorinformation ermöglichen soll, die dann im Einzeltext beliebig genau spezifiziert werden kann. Wie auch immer das im Einzelnen sein mag, klar ist, dass hier eine benennungsmäßig relevante Grobgliederung im Bereich der am rechten Ende stehenden Elemente intendiert ist. Diese Art von Wortbildung - der Typ des Determinativkompositums - stellt den zentralen Teil der Komposition dar.
Vorzug und Schwäche dieses Bildungsmittels liegt darin, dass uns bei diesem Bildungstyp häufig verschiedene Interpretationen offen stehen. Sprachscherze spielen gelegentlich damit, dass sie uns auf solchen Analogiegleisen in die Irre laufen lassen:
(74) Herbert sagt zu Inge: „Wir haben nun lange genug gearbeitet. Komm, wir gönnen uns eine Atempause.” Inge versteht das wörtlich und meint: „Aber bitte nicht zu lange. Das halte ich sonst nicht durch. (Grasso 1989, S. 79) [76]
Es schließen sich Bildungstypen an, welche dieses Muster funktional leicht verschieben, ohne formal seinen Bereich zu verlassen. Das beginnt schon, wenn ein verbales Element auftaucht, das die zentrale Relation wesentlich klarer steuert, und so eine gewisse Asymmetrie in das Klassifikationsmuster bringt. Denn die Verben benennen ja den Kern des Schemas (vgl. Holztrog vs. Backtrog), das damit zweifellos leichter eindeutig zu ermitteln ist, auch wenn die Interpretation auf den verbalen Relator zu und nicht von ihm weg läuft:
(75) Die Fenster im Erdgeschoß gehörten zur Backstube und waren sommers wie winters leicht geöffnet. Man hörte die Geräusche der Maschinen, den Knetarm der Backmulde, das elektrische Sieb und die Schlagmaschine, das metallene Klicken der Türen und des Gestänges vom Backofen. (Hein: »Von allem Anfang an«. 1997, S. 7)
Zum Kern Einen qualitativ anderen Fall stellt es dar, wenn der Kern des rechder Szenen ten Elements von einem verbalen Lexem gebildet wird. Durch die vorgängige Umwandlung dieses Lexems in ein Substantiv und die Anbindung des Erstelements wird hier die gemeinte verbale Szene schon mit recht deutlicher Rollenverteilung aufgerufen: und so benennt das Wort Goldsucher weniger eine Subklasse von Suchern, als die auf den Agens hin organisierte Szene, dass jemand etwas und in diesem Fall spezifischer Gold sucht, so wie Goldsuche die auf das Objekt hin organisierte Option darstellt. Wir wollen diesen Wortbildungstyp unter die Wortbildungstechnik der Inkorporation einordnen. Es gibt verschiedene Arten dieses syntaktischen Kondensierungstyps, vor allem Rektionskomposita und Zusammenbildungen:
(76) diesem stumpfsinnigen, ordinären, erzkatholischen Kunstmißbraucher, der seit vie len Jahrzehnten der größte aller kulturellen Umweltverschmutzer in diesem Land ist (Bernhard 1984, S. 258)
Ist hier bei einem Wort wie Umweltverschmutzer immerhin die reine Kompositionsanalyse formal noch möglich, so nicht mehr bei den meist für nicht so wichtig gehaltenen Zusammenbildungen wie Kunstmißbraucher. Hier werden Szenen in angedeuteter syntaktischer Vollständigkeit aufgerufen, es hängt dann vom Lexikalisierungsgrad des Zweitelements ab, wie weit man hier noch von Komposition oder von eine Art Phrasentransposition mittels Suffix ausgehen kann, die es erlaubt, ein Suffix, in unserem Falle das {-er} an verschiedenartigste Elemente (Wortgruppen usw.) anzuhängen. Ein Wort wie Bedenkenträger mag zeigen, wie dieser Bildungstyp analog ausgreift und zu reihenbildenden Mustern führt, vom Kulturträger, über den Bedarfsträger bis zum Funktionsträger (nach Muthmann 1988, S. 761). Die Zusammenbildung kann man also als Ableitung von einer Wortgruppe beschreiben.
Von unten In anderer Weise ist die Funktion der Komposita an einer Stelle nach oben berührt, die vor allem im fachlichen Deutsch eine vergleichsweise bemerkenswerte Rolle spielt. Häufig belächelt wird ja die Verwendung von Komposita vom Typ Entwicklungsprozess, wo ebenfalls syntaktisch nicht aus allen denkbaren Prozessen die entwicklungsartigen aussortiert werden, sondern wo die Konstituente Entwicklung explizit ihrem Oberbegriff zugeordnet wird, der implizit schon in ihm steckt. Vor allem im angelsächsischen Kontext wird hier gerne gespottet, das Deutsche sei die Sprache, die Selbstverständlichkeiten zweimal sage. Tatsächlich aber handelt es sich bei der Signalisierung dieser Abstraktionsleistung um ein starkes Fachlichkeitssignal. Mir scheint es nicht hinreichend, dies als einen Subtyp von verdeutlichenden Komposita48 zu betrachten, es handelt sich hier vielmehr um eine Art klassifikatorisch-explikativer Verwendung, vgl.:
(77) In der Zeitung heute das andere Wort für Waffen: „Rüstungsgut”. (Handke 1998,S.444)
Das Gelingen kommunikativen Handelns hängt, wie wir gesehen haben, von einem Interpretationsprozeß ab, in dem die Beteiligten im Bezugssystem der drei Welten zu einer gemeinsamen Situationsdefinition gelangen. (Habermas 1981, S. 173) Das Qualitätsprofil hochwertiger Dispersionsfarben unterscheidet sich im großen und ganzen nicht allzu viel. (wohnen 3/1995, S. 66)
Bei diesen Bildungen geht es zumindest vorrangig nicht um Güter, Prozesse, Systeme oder Profile, sondern um Rüstung, Interpretation, Bezüge, Qualität(en). Vielmehr wird ein in diesen linken Elementen bereits enthaltener Klassifikationszug als Kategorie herausgezogen, um so die dem jeweiligen Abstraktionsgrad entsprechende Benennungsschicht zu erreichen. So nähern sich diese Bildungen in unterschiedlichem Maße der Derivation mittels Suffixen an. Am weitesten geht das wohl in jenen Fällen, wo das rechte Element eigentlich mehr oder minder dazu dient, bestimmte Zähleinheiten zu benennen. Dazu gehört von den obigen Beispielen das offenkundig in sprachkritischer Absicht zitierte Wort Rüstungsgut, dazu gehören aber auch die im ersten Kapitel dieses Buches diskutierten Bildungen mit dem Element {-stück}, wie in Packstück, aber auch personenbezogene Neutralisierungen vom Typ Schreibkraft.
Aspekte der Zusammenfassend können wir sehen, dass der harte Kern der Modifikation Komposition, der sich relativ rein durch die Modifikation eines rechts stehenden Elements beschreiben und aus der Rekonstruktion von sprachlichen Schematisierungen erklären lässt, an Bildungen grenzt, die zwar noch viel mit dem Kompositum gemein haben, deren funktional-semantischer Kern aber nicht mehr so eindeutig auf dem rechten Element liegt. Im Falle der zusammenbildungsartigen, inkorporierenden Wörter ist der Weg zur transpositiven Derivation hin offenkundig, es werden hier, an syntaktische Fügungen angelehnt. Szenenaspekte in spezifischer Weise aufgerufen. Im anderen Fall geht es um eine textsortentypische Einordnung in Oberklassen, um Klassifikation, um die Akzentuierung eines implizit im Erstelement bereits enthaltenen Aspekts. Auch hier nähern wir uns in gewisser Weise der Derivation mit ihrer generalisierenden Funktion an. Vielleicht kann die Reihe bis in die Flexion hinein durchgeführt werden: es gibt auf jeden Fall einen funktionalen Zusammenhang von Plural, Kollektiva und Zählbarkeitsmarkern vom Typ Schneemassen, der ja gerne als eine Art Pluralisierung von Kontinuativa verstanden wird.
Hier bietet es sich vielleicht an, kurz über die Präfigierung beim Substantiv zu sprechen, steht sie doch zu Recht an der Stelle des Übergangs zwischen Komposition und Derivation. Die meisten im Zusammenhang damit genannten Präfixe - Erz-, [78] Haupt-, Hyper-, Un- und Ur- (vgl. Fleischer Barz 1995, S. 199ff.) - sind in Funktion und Form der Eigenschaftsmodifikation, der Graduierung und Antonymenbildung zuzuordnen. Dieser Typ von Präfigierung ist in Anlehnung an entsprechende Phänomene beim Adjektiv ausgebaut. So können zum Beispiel Eigenschaften bewertend gesteigert werden (Erzfeind), so kann aber auch eine Hierarchie graduiert werden (Erzbischof, Sekretär - Obersekretär - Hauptsekretär). Von ganz anderer Art ist das Präfix Ge-, - in Allomorphie mit Ge-…-e -, das einen Spezialfall substantivischer Derivation darstellt, desubstantivisch wohl nicht mehr produktiv ist, aber eine Reihe von noch durchsichtigen Kollektiva (Gebüsch, Gebirge) gebildet hat und deverbal seinen produktiven Kern in der Bildung meist negativ konnotierender Vorgangs- und Handlungsbezeichnungen hat (Geschimpfe, Geschrei).
Klassenbildung Die Derivation verbindet die transpositive Funktion mit einer sprachlich offenkundig bewährten Grobklassifikation. Wie man etwa an deverbalen Substantiven dieses Typs sehr schön sieht, bietet dieser Wortbildungstyp die Möglichkeit, eine lexematische Bedeutung im Substantivbereich handhabbar und so in diesem Fall den ursprünglichen Kern einer Verbszene von verschiedenen Seiten her zugänglich zu machen. Bedeutung und rollenbindende Kraft werden hier aus der Ursprungswortart übernommen.
Rollen in Nicht umsonst sind ja die Bildungen mit den Suffixen -er und Wortfamilien -ung bestausgebauten Muster im derivationellen Bereich; sie erlauben ja eine Subjekts-, Instrument-, Vorgangs/Handlungs- und Objektsakzentuierung. So ist es vergleichsweise wenig erhellend, auch hier die übliche formale und klassematische Steuerung durch das rechte Element festzustellen. Den eindeutigen semantischen Kern stellen die lexikalischen Basen dieser Ableitungen dar. Es handelt sich um Akzentuierungen des häufig verbalen lexematischen Kerns, wobei in das komplexe Lexem bestimmte zentrale Rollen der vom Verb geprägten Szene integriert sind. Die Klassifikation, die in den Suffixen aufscheint, ist eine von relevanten substantivischen Rollen.49 Sie erlauben vor allem eine systematisch variierende Einbettung in textuelle Zusammenhänge und dienen nicht zuletzt in schriftsprachlichfachlichen Diskursen einer verdichtenden Informationsführung, wie man das an dem ersten Beispiel [a)] unter (78) in relativ kondensierter Form sehen kann. Der hochgradig fachliche Eindruck, den dieser Textausschnitt macht, kommt daher, dass hier in der Wortbildung wie im attributiven Bereich satzsemantische Relationen in zunehmender Verdichtung miteinander verknüpft werden. Dabei zeigt sich die Absetzung der wortbildungsmäßigen Inkorporation von der Bezugnahme auf syntaktische Relationen darin, dass die Beziehungen zwischen den Elementen aufgehoben scheinen: das inkorporierende Zweitelement reicht dem Autor offenbar nicht als Bezugsgröße der Attribute: worauf beziehen sich die attributiven Adjektive ethisch und religiös genau?
Das zweite [b)] und das dritte [c)] Beispiel zeigen demgegenüber die Normalverwendung von Vorgangsnamen mit im Einzelnen unterschiedlicher Struktur. In dieser [79] Form können die primär verbal geprägten Lexeme als Namen für abgeschlossene Einheiten50 benutzt werden. Dies durchaus im Sinne einer fachlichen Syntax mit der Funktionalisierung der Verben (begünstigt, stellt dar) und Lexikalisierung der Substantive. Man kann an diesen beiden Beispielen noch zwei weitere Dinge sehen: zum einen das bruchlose Ineinandergreifen des indigenen (-ung) und des nichtindigen bildungssprachlichen (-tur) Bildungssystems. Zum anderen, wie das Muster der -ung-Ableitung, hier speziell in Form des bildungssprachlichen -(is)ierungs-Typs, selbsttätig analogisch weiterwirkt, auch wo eigentlich kein entsprechendes Verb existiert: ?individualisieren, *globalisieren. Vielmehr geht es hier um ein bewährtes Integrationsmuster für nicht indigene gebundene Lexeme, die sich mit diesen technischen Möglichkeiten an verschiedenen Stellen im grammatischen und lexikalischen System des Deutschen anlagern können, so zum Beispiel auch beim Partizip II: globalisiert, individualisiert.
Das Beispiel (78) d) spricht von den Grenzen der deverbalen Ableitung, nicht zufällig handelt es sich dabei nicht um den `unauffälligsten' Typ der ung-Ableitung, der recht wenige Beschränkungen zeigt, sondern um den nomen-agentis-Typ mit -er. Dieses Muster verlangt, wenn nicht ein spezifischer Fall thematisiert wird (die Zerstörer meines Lebens), dass die genannte Handlungsweise als Disposition einer Eigenschaft verstanden werden kann, als etwas, was seinen Träger kennzeichnet. Dazu kommt noch der substandardsprachliche Charakter des verbalen Lexems umbringen.
(78) a) Die Dialektik von Wissenschafts- und Religionsentwicklung soll, wie wir gesehen haben, die empirische Begründung dafür bieten, dass die ethischen Handlungsorientierungen infolge der Erschütterung religiöser Glaubensgewißheiten nicht mehr verläßlich reproduziert werden können. (Habermas 1981, S. 332)
b) Die Individualisierung begünstigt das Aufgeben oder die Neusetzung von sozialen Ligaturen. (Beck 1997, S. 281)
c) Globalisierung stellt mehr als die Ausdehnung der altbekannten Modernisierung dar. (Beck 1997, S. 288)
d) Du triffst deine grauenhaften Zerstörer und Umbringer auf dem Graben und bist einen Augenblick sentimental und läßt dich in die Gentzgasse einladen. (Bernhard 1984, S. 20/21)
Ererbterbte Einer weiteren Differenzierung dient letztlich die Konversion, scheidungen die Scheidungen durch flexivische Einbettung eine flektierte Form aus einer anderen Wortart als Substantiv übernimmt, und es so erlaubt, klassifikatorische Unterschiede aus dieser anderen Wortart im substantivischen Bereich zu nutzen. Der wohl häufigste Typ hierbei ist die Infinitivkonversion, die im Vergleich zu entsprechenden Bildungen auf -ung, die ja auch den Vorgang oder die Handlung benennen, viel deutlicher auf den Verlauf Bezug nehmen, wie denn der Infinitiv auch. Man sieht ja schon an der Form, dass hier eine im Verb ohnehin angelegte Option genutzt wird, die erst allmählich in die eigentliche Wortbildung hineinführt.
(79) Uns ist es längst peinlich geworden, körperliche Reaktionen au f das Erleben symbolischer Gebilde zu zeigen, […]. Wer weint noch beim Lesen? (Schön 1993, S. 87)
Wie man sieht, werden hier auch die Möglichkeiten der aspektuellen Modifikation genutzt, welche die verschiedenen Nominalformen des Verbs leisten - also neben dem Infinitiv auch Partizip I und II, mit der Möglichkeit zur Integration ans Verb angebundener syntaktischer Elemente. Dabei wird, wie an unseren Beispielen sichtbar, auch die Genusvariation der Verbaladjektive, wie auch der Adjektive überhaupt genutzt.
(80) Hoffnungshauendes Echo der Verheißung im Irdischen, rückhallend in der irdischen Zuversicht; empfangsbereit ist der Sterbliche, umgeben vom irdischen Sein. (Broch 1976, S. 98/99)
Man kann das gerade Ausgeführte tabellarisch folgendermaßen zusammenfassen: [81]
(81) Tabelle 1
SUBSTANTIVISCHE SETZUNG
TRANSPOSITION MODIFIKATION
Name
|
Wortartwechsel l: Umkatego-risierung |
Wortartwechsel II: Konversion |
Derivation
|
Inkorporation I: Zusammen-bildung |
Inkorporation II: Rektions-kompositum |
Komposition
|
Komposition
|
Präfigierung
|
Vorgang
|
Optionenwahl
|
Transponierung |
Strukturie-rung |
Strukturierung + Kondensierung |
Kondensie-rung |
Typisierung
|
Subklassi-fizierung |
Modifizierung |
Ausgang
|
Nominale Verbformen; Adjektive |
Wortformen; Phrasen |
Lexeme
|
Phrasale Einheiten |
regierendes Zweitglied |
Erstglied
|
Zweitglied
|
Substantiv
|
Ziel
|
Kern einer Nominalgruppe |
Kern einer Nominalgruppe |
Derivat |
Wortgrup-penderivat |
Nominali-sierung |
Kompositum
|
Kompositum
|
Derivat
|
Technik
|
Lexematische Merkmale der Basis
Nutzung des nominalen Inventars der Wort-arten Verb und Adjektiv |
Lexematische und formale Merkmale der Basis; sub-stantivische Flexion
Nutzung der Kodierungs-möglichkei-ten anderer Wortarten und Phrasen |
lexematische Merkmale der Basis; sortierende Suffixe der Zielwortart Substantiv Nutzung von Standardklas-sifikationen innerhalb der Wortart |
Relationen zw. Basisele-menten; for-male Trans-position des rechten Ba-siselements Nutzung von Relationen in der Basis zu spezifischen Klassifikatio-nen |
Relationales Zweitglied und von ihm ausgehende Abhängigkei-ten
Nutzung de-pendentieller Zusammen-hänge bei relationalen Nomina |
Extraktion von Hyperonymen aus dem Erst-glied; Set-zung als Zweitglied Nutzung der Hyponymierelation zur Subsumption unter Oberbegriffe |
Kombination von Elementen sprachlicher Schemata; Erstglied zeigt relevante Subklasse an Nutzung lexikalisch angedeuteter Schemata zur Spezifikation |
Lexemati-sche, kategoriale und formale Merkmale der Basis
Modifikation und klassematische Umorientierung
|
Funktion
|
Vereindeu-tigung |
Symboli-sierung |
Indizierung
|
Inszenierung
|
Kontextu-alisierung |
Explikation
|
Subklassifi-kation |
Schema-tisierung |
ERLÄUTERUNG [82] Es gibt also zwei Fälle, bei denen ein Lexem aus einer DER TYPEN anderen Wortart durch Einbindung in die substantivische Flexion substantiviert wird. Am leichtesten geht das, wenn diese Möglichkeit schon als sekundär in der Form angelegt ist. Im Fall der Substantivierung ist eine solche Umkategorisierung bei den Nominalformen des Verbs, dem Infinitiv und den Form der Partizipien I und II, und im Kernbereich der Adjektive möglich. Die Wahl der substantivischen Option in diesen Fällen zeigt sich in Belegen wie den Folgenden:
(82) Umkategorisierung
a) Das Schweigen als Tätigsem - das Stummsein als Leiden
b) Das Kind strich im Getragenwerden oberhalb des Ellbogens des Vaters entlang
c) Der lang, überlang Erwartete endlich heimkommend […], mit dem Geräusch der Schritte des endlich Ankommenden fängt das Seelenherz des Wartenden zu schlagen an.
d) Durch die Beschäftigung mit dem Benannten [...] versäume ich das Benennbare.
e) Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles enthüllt, sondern mit der Zeit erst finden diese suchend das Bessere. (Handke 1998, S. 118, 9, 128/29, 129, 112)
Die Konversion geht von den in den Hauptwortarten angelegten Übergängen aus, wie sie sich vom Verb her beim Infinitiv und vom Adjektiv her in dessen substantscher Verwendung finden; dabei hat das Verb mit dem Partizip ein weiteres Mittel, seine Bedeutung mit einer bestimmten Akzentuierung als Substantiv wirksam werden zu lassen. Manche dieser eigentlich auf flexivischem Wege erklärbaren Bildungen haben einen lexikalisierten Platz als selbständige Wortschatzeinheit gefunden; das gilt für Infinitivnomina wie das Schweigen oder das Leiden, aber auch für substantivisch verwendete Adjektive wie die Sterblichen. Wie dieser Typ von Wortartübergangen dazu dient, die verschiedenen Kategorien der Ausgangswortart nutzbar zu machen, sieht man an der passivischen Nominalisierung Getragenwerden ebenso an der Gesamtnominalisierung des Kopulaprädikats in Stummsein und Tätigkeit oder an der komparativischen Nominalisierung das Bessere. In dem Nebeneinander von das Benannte und das Benennbare wird sichtbar, dass hier durch die Nominalisierung deverbaler Adjektive die Möglichkeit geschaffen wird, Modalität in den Substantivbereich zu transportieren - in diesem Fall durchaus in Robert Musils klassischer Unterscheidung von Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn.
(83) Konversion
a) Eine Birke vor dem Sternenhimmel: ideales Gegenüber.
b) Das Glück der Augen des Gegenüber
c) Ein Nichts tief erleben (Handke 1998, S. 114, 129, 137)
In diesen weiteren Beispielen sieht man, dass das Benennbarmachen von Elementen weiterer Wortarten, hier Adverbien und Pronomina deutlich auffälliger ist. Hier werden Lexeme einer anderen Wortart - es können auch größere Einheiten sein - durch die Annahme der substantivischen Flexionsmorphologie zu setzungsfähigen Einheiten gemacht. Dieser Wortartwechsel auf der symbolischen Zeichenebene ist Konversion im eigentlichen Sinn. [83]
(84) Derivation
a) Für die meisten ist „Erzählung" immer noch das (grausige) Gewölle, das ein Verschlinger der Wirklichkeit nach vollbrachter Tat hervorwürgt, während ich, Erzähler - das Ich als Erzähler - an der Wirklichkeit schlucke, in Begeisterung und Trauer, in begeisterter Trauer.
b) der begeisterte Versäumer
c) Die höchste Erzählung ist nicht Beschreibung von Aktionen, Reflexionen, Reflexen, sondern die Wiedergabe einer Folge von Dingen; die Evokation einer ebenso unerhörten wie einleuchtenden Dingfolge, die Dinge, in einem einmaligen Zusammenhang wahrgenommen, der durch das Evozieren ein für allemal gilt.
d) angezogen von den Schweigern, von den Schweigenden
e) „Die Statue des Bedenkers“: Ja, im Be-Denken wurde man statuarisch, im Bedenken, in der Tat. (Handke1998,S.117,211,229, 247,332)
Hier sieht man in einer Reihe der Beispiele den Zusammenhang mit den bisher angesprochenen Techniken des Wortartwechsels, denn substantivische Derivation dient meistens ebenfalls der Transposition. Gerade die letzten beiden Beispiele mit dem Nebeneinander beider Möglichkeiten zeigen aber auch, dass wir uns mit der Suffixderivation in spezifischeren Arten der Umsetzung bewegen. Man sieht an den verschiedenen Belegen unter (84), wie die Suffixe die Möglichkeit bieten, eine der Relationen in dem dargestellten syntaktisch-semantischen Zusammenhang zu binden, zu thematisieren. In einem weiteren Schritt wird die Technik der Inkorporation dazu genutzt, weitere Elemente einzubinden, ohne dass das Zweitelement unmittelbar eine lexikalische Einheit sein müsste (Beispiele [85]). Im Beispiel b) kann man sehen, wie diese Möglichkeit sogar zu einer Art Reanalyse einer lexikalisierten Bildung (Bergsteiger) genutzt wird. Man sieht an diesen Beispielen auch, dass der Übergang zwischen den verschiedenen Techniken der Inkorporation fließend ist. Handelt es sichbei Bergbesteiger wohl um eine Zusammenbildung, so bei Sommergewitterankündigung eindeutig um ein Rektionskompositum.
(85) Inkorporation
a) Sommergewitterankündigung
b) Die Bergbesteiger sind unplatonisch.
c) Der Blechbieger gestern abend (Handke 1998, S. 165, 203, 343)
Die Beispiele unter (86) dokumentieren den vor allem in fachlichen Zusammenhängen wichtigen Typ der explikativen Komposition. Was den fachlichen Charakter angeht, so scheint es normalerweise so zu sein, dass das Erstelement auf der erwartbaren normalen semantischen Ebene zugreift, um dann im Zweitelement auf einegeneralisierende Abstraktionsebene geführt zu werden. Das literarische Beispiel c) spielt offenkundig mit diesem Effekt, in d) dient es der lexikalischen Einbettung einerMetapher:
(86) Kompositionexpl
a) den Auswirkungen des Modernisierungsprozesses schlechthin. „Modernisierung“
b) das Angebotsspektrum reicht vom `klassischen' Nachtwächter […] bis hin zum allenthalben boomenden Sicherheitsgewerbe. `das Angebot'; (Beck 1997, S. 176, 188) [84]
c) Jede Schreibaktion ,jedes Schreiben'
d) vor der bretonischen Waldwand `der bretonische Wald'; (Handke 1998, S. 396,385)
Nicht umsonst stammen die problemlosesten Beispiele für die substantivischen Determinativkomposita aus dem Bereich der Konkreta. Hier gibt es offenbar allerlei Benennungsbedarf, der durch die Herunterdifferenzierung von lexematisch festgelegten Konzepten geleistet wird, die semantisch auf der normalen Ebene der Benennung liegen. Komposita, die auf dieser semantischen Ebene einsteigen und eine nachvollziehbare Differenzierung leisten, wirken normalerweise vergleichsweise unauffällig. Das sieht man auch an den Beispielen unter (87): Riegel, Schlösser, Pfeifen, Sprays, Pistolen, etwas weniger spezifisch auch Kameras, sind Objekte, die eine normalsprachliche Orientierung in der Welt der Sicherungsmöglichkeiten entfalten, von denen dieser Text spricht. Erwartbar - und zum Teil lexikalisiert - ist, dass nach betroffenem Objekt (Tür), Zweck {vorleg-}, Art und Weise {triller-}, Mittel {Pfeffer; Tränengas}, Funktion
{Alarm; Überwachung} differenziert wird. Am Rande - zur Inkorporation - steht die Bildung mit Geber,51 das ansonsten dem Muster entspricht.Auffälliger, und daher mit einer zusätzlichen Instruktion versehen (`Ironiesignal') sind in diesem Kontext die funktionalen Abstraktionen über diesen aufgezählten Einzelobjekten: Mechanik, die zum (Ver)sperren, Elektronik, die zur Einfriedung dient. Auf derselben Ebene der semantischen Abstraktion liegen die Komposita Survival, Ausrüstung und Passiv-Bewaffnung; sie sind allerdings im Kontext auffällig, stammen sie doch aus martialischen Kontexten. Die formale Auffälligkeit der Bindestrich-Schreibung mag als zusätzliches Signal dafür gelten, daneben aber vor allem im ersten Fall auch der Kombination neuer Entlehnung mit indigenem Zweitelement geschuldet sein. Deutlich stilistisch ist der Gebrauch des Bindestrichs bei Großbürger-Villen und Kleinbürger-Quartiere, wo auch sonst alles - z.B. die Wahl der Basen, dergesuchte Parallelismus - den Wunsch erkennen lässt, diese Benennungen als Typisierungen verstanden haben zu wollen.
(87) Komposition
Türriegel, Vorlegeschlösser, Mehrfachsicherungen, Alarmgeber und Uberwachungskameras breiten sich von den Großbürger-Villen in die Kleinbürger-Quartiere aus: Wohnen hinter einem Wall von Sperrmechanik und Einfriedungselekronik. Trillerpfeifen, Pfeffersprays, Tränengaspistolen, Elektroschocker gehören für immer mehr Leute zur individuellen Survival-Ausrüstung: Noch scheint in Mitteleuropa die Passiv-Bewaffnung die Heimkehr mit heiler Haut hinreichend zu gewährleisten. (Beck 1997, S. 187) [85]
2.3.2 Adjektivtypisches
Gänzlich anders sind die Voraussetzungen beim Adjektiv. Das zeigt sich schon am Bestand von primären `einfachen' Adjektiven. Ihre Zahl liegt allenfalls bei einigen Hundert. Es handelt sich dabei um Wörter und oft auch um Paare wie in folgendem Beispiel:
(88) primäre Adjektive I
junge Frau und ältere Dame
sehr groß, ein langes lockeres Knochengestell (Rehmann 1999, S. 8, 14)
Von daher ergibt sich schon ein erhöhter Benennungsbedarf, der nicht nur aus Modifikationen bereits vorhandener Adjektive geleistet werden kann. Zum anderen zeigt die Wortart Adjektiv ein syntakto-semantisches Doppelgesicht, das sich in einer Vielzahl von Verwendungsbesonderheiten niederschlägt. Es gibt neben den eigentlichen Eigenschaftswörtern, den zentralen und prototypischen Adjektiven (Adjektiv I),
(89) komplexe Adjektive I
eine misstrauisch gewordene, menschenscheue Schönheit
eine […] stockfleckige Photographie (Ransmayr 1991, S. 131, 137)
eben auch die nur attributiv verwendbaren Zugehörigkeitsadjektive (Adjektiv II). Für diese Funktion des Attributivums gibt es überhaupt keine primären Lexeme, bei ihnen werden immer Lexeme einer anderen Wortart transponiert.
(90) Adjektive II und III
wo sie sich in der Nachbarschaft handwerklich oder künstlerisch betätigen (Rehmann 1999, S. 15)
ein handschriftliches Testament des Dichters (Ransmayr 1991, S. 136)
TRANSPOSITION Die hier angedeuteten Tatbestände führen dazu, dass Trans-KORPORATION position, also Wortartwechsel zum Adjektiv hin, die Produk- MODIFIKATION tivität und den Ausbau der verschiedenen Wortbildungsarten und Wortbildungsmuster entscheidend prägt. So nimmt die regelmäßigste Wortbildungsart mit dieser Funktion, die Derivation, beim Adjektiv die zentrale Stelle ein.
spezifische Zwei weitere Dinge kommen hinzu, durch die zumindest die Modifikations- zentralen Eigenschaftswörter unter den Adjektiven ausge- klassen zeichnet sind. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie gerne in antonymischen Paaren geordnet sind, wie das die obigen Beispiele schon zeigen. Bei den Zugehörigkeitsadjektiven mag dem entsprechen, dass auch sie Bereiche herausschneiden, in gewissem Sinn die Negation aller anderen Optionen darstellen, daher in ihrer Negation den Rest der Optionen benennen.52 [86]
(91) Wir werden da manchen Gruppen begegnen, die auf den ersten Blick sehr seltsamerscheinen, wie etwa „weißen Negern“, „nichtjüdischen Juden“. (Beck-Gernsheim 1999, S.13)
Verträge können in schriftlicher oder nichtschriftlicher Form geschlossen werden.“Nichtschriftliche“ Form meint nicht nur die mündliche Form. (Martin/Drees 1999, S. 148)
Zum anderen ist das Adjektiv ja als die Wortart gekennzeichnet, die graduiert, gesteigert werden kann. Das geschieht auf zwei Weisen, in der grammatischen Form der Steigerungsmorphologie mit Komparativ und Superlativ/Elativ, aber auch durch lexiko-grammatische Mittel. In beiden Fällen, der Antonymenbildung und der Steigerung, geht es um eine im Verhältnis zur Komposition mit ihren kombinierten Einzelbedeutungen abstraktere Art der Modifikation. Zu ihrer Domäne gehören modifizierende, d.h. linksdeterminierende Wortbildungsmorpheme. Die Präfixbildung ist an dieser Stelle und besonders mit diesen beiden Funktionen systematisch ausgebaut, aber auch bis in idiomatisierte Einzelbildungen verteilt.
(92) Es ist ein tollkühnes Beginnen (Hacks 1987, S. 81)
Daß seine Entfernung aus Rom [...] unumgänglich erscheinen mußte (Ransmayr 1991, S.121)
Wortartfestlegung Bei Wortartwechsel vom Substantiv her spielt, wie an-Wortartwechsel gedeutet, die Suffigierung die entscheidende Rolle. Sie ist auch vom Verb her möglich und bietet einige der schlagendsten Muster für eine ganz systematische Anwendung von Wortbildungsregeln. Hier ist allerdings auch noch ein weiter Bereich der Konversion, den wir nicht als der Wortbildung zugehörig betrachten wollen, sondern als nominale Option im Verb, nämlich die adjektivische Verwendung des Verbs im Partizip. Dabei dient das Partizip I heutzutage im Deutschen ausschließlich der Signalisierung einer sekundären Verwendung eines verbalen Lexems, es hat ja keinen Platz mehr in der verbalen Flexion. DasPartizip II ist in dieser Hinsicht ein kritischerer Fall. Wenn man die analytischenTempusformen und das Passiv als voll grammatikalisierte Formen des entsprechenden Verbs betrachtet, steht das Partizip II genau am Übergang zwischen flexivischerVerboption und Signalisierung nominaler Verwendung.53
Techniken der Aber es ist offenkundig, dass diese sekundären Verbverwen-Inkorporation dungen Möglichkeit in sich fassen, in ein solcherart neu geschaffenes Adjektiv Bindungen zu inkorporieren, die vom verbalen Lexem ausgehen. So spielt denn Inkorporierung bei verbalen und mehr als einwertigen adjektivischen Basen eine wichtige Rolle. Dabei kommt es dann durchaus vor, dass sich solche Muster über ihren eigentlichen Bereich analog weiter ausbreiten. Es ist das einer jener Bereiche, wo sich dann Reihen von Bildungen mit demselben Zweitelement finden, die gegenüber dem selbständigen Vorkommen dieses Elements gewisse [87] Besonderheiten, vor allem eine bestimmte semantische Entleerung zeigen und zum Teil auch die syntaktische Normalverwendung wie einen stilistischen Sonderfall aussehen lassen. Diesem Übergangsbereich versucht man mit dem Begriff des Affixoids, hier spezieller des Suffixoides oder Halbaffixes beizukommen. Die Verwendung dieses Terminus tritt in neueren Arbeiten wegen seines prinzipiell diachronen Charakters aber eher wieder zurück. Man betont jetzt eher den Zusammenhang zwischenden beiden Typen und spricht von einer speziellen Art der Komposition oder der Derivation. Sie gehört zweifellos unter den Oberbegriff der Inkorporation wie wir ihn hier verstehen.
Komposition Durch die genannten Faktoren ist aber der Bereich der eigentlichen Komposition, insbesondere der Determinativkomposition deutlich eingeschränkt. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die am Rande der satzsyntaktischen Kodierbarkcit stehenden Relationen. Das sind einerseits Grund-Folge-Beziehungen, andererseits die Relation der Bereichsrestriktion; dabei sind schon gewisse konsekutive Bildungen und vor allem das produktivste der Muster, die Vergleichsbildung, immer in `Gefahr', zu lexikalisierten Graduierungspräfixen zu werden.
Dagegen hat bei den Adjektiven, da es ohne weiteres möglich ist, sich eine additive Kombination zweier Eigenschaften zu einem neuen Ganzen vorzustellen, das Kopulativkompositum einen wesentlich größeren Raum als beim Substantiv, von dreizehn über süßsauer bis schwarzweiß:
(93) Dies dreistnaive, sehnenwendige Kuriosum mit der verschmollten Schnute und den unrasierten Unterschenkeln'. (Politycki 1997, S. 284)
Auch beim Adjektiv lässt sich also zeigen, dass die Wortbildung ein Kontinuum im Spannungsfeld zwischen Transposition und Modifikation zur Verfügung stellt. Beim Adjektiv stellt sich zudem heraus, dass die morphologisch orientierten Beschreibungsmuster, die normalerweise relativ unmodifiziert von der Beschreibung des Substantivs übernommen werden, hier im Hinblick auf die funktionale Belastung der verschiedenen Bildungstypen eine deutliche Schiefsicht zur Folge haben. Das wird schon durch zwei Phänomene nahegelegt, die überall konstatiert werden. Zum einen liegt die Anzahl primärer Adjektive weit unter der von Substantiven, zum anderen sind die Adjektive durch Negierbarkeit bzw. Gegensatzbildung gekennzeichnet, was sich in einem deutlichen Gewicht auf präfixartigen Ausdrucksmitteln niederschlägt, die diesem Zweck dienen. Beides zusammen schwächt den beim Substantiv zentralen Typ der modifizierenden Wortbildung, die Komposition. Auch das andere Ende, das man hier fast nicht Transposition nennen will, ist ganz anders ausgestattet, ist durch den quasi-flexivischen Übergang zwischen Verben und Adjektiven im Bereich der Partizipien geprägt.
(94) [...] nach einem zwei Tage und Nächte tobenden Gewitter […] am darauffolgenden TagAn der Mole versammelte sich eine verstörte Menge […] einen goldenen, zerrissenen Schleier
[…] unter dem schweißüberströmten Gewicht eines durchreisendem Mineurs (Ransmayr 1991, S. 121, 149, 120, 121, 124) [88]
Derivation Wenn man zudem die Verwendung von Adjektiven in Betracht zieht, die ja erst im Kontakt mit einem Bezugselement - prototypisch mit einem Nomen bei der attributiven Verwendung - ihren eigentlichen Sinn erhalten, stellt sich neben dem flexivischen Übergang bei den Partizipien die Transposition durch Suffixe als der zentrale Teil der adjektivischen Wortbildung dar. Diese Suffixe zeigen zunächst, dass es sich um Adjektive handelt, d.h. sie stellen Junktoren zwischen den Basislexemen und den Bezugssubstantiven dar. Diese Funktion lässt sich recht schön an den mengenmäßig bedeutendsten drei Suffixen,
-ig, -lich und -isch sehen. Wenn sie auch generell signalisieren, dass das jeweilige Basislexem zum Adjektiv gemacht wurde, akzentuieren die verschiedenen Suffixe denn doch Unterschiedliches. Während das Suffix -ig über Vergleich (eine tiefe, pelzig angerauhte Stimme [Rehmann 1999, S. 8]), (übermäßiges) Vorhandensein (war er an den frostigen Rand geraten [ebd. S. 12]) oder Dispositionsangabe (in ihrer unauffälligen Behendigkeit [ebd. S. 14]) unmittelbar Eigenschaftswörter produziert,54 funktioniert das Suffix-isch im Wesentlichen auf dem Weg der Klassenzuordnung (Statements über die richtigen Standpunkte, moralisch und politisch [ebd.S. 30]) und deren prototypische Wertung (Sie empfiehlt sie aber auch nicht als moralische oder ökologische Haltung eines „einfachen Lebens“ [ebd. S. 19]), das Suffix -lich läßt im Kern noch seine Herkunft aus dem adverbialen Bereich erkennen (dass er augenblicklich gesunden würde [ebd. S. 15]).
zentrale Suffixe Wenn diese Suffixe auf den ersten Blick nicht viel mehr sagen, als dass es sich bei den entstehenden Wörtern um Adjektivehandelt, so lassen sich doch durchgehend die erwähnten Tendenzen beobachten.Dabei kann man -isch und -lich gegenüber -ig dadurch zusammenfassen, dass sie dieEigenschaftsbestimmung über eine im Einzelnen unterschiedliche Art der Zuordnungleisten, wie z.B. bei den Adjektiven tänzerisch oder festlich, wo Typisches am Tanzoder einem Fest wahrgenommen wird. Dagegen leistet -ig die unmittelbare, allenfalls direkt durch einen Vergleich erzeugte Zuordnung eines Merkmals, bedeutet also eineArt `haben' oder `enthalten sein' oder ein `sein wie'. Und das vor allem, wenn die Basen Substantive sind wie etwa in einem Adjektiv wie einmotorig. Bei verbalen Basen, die allerdings seltener sind, nimmt das Adjektiv fast so etwas wie eine dauerhaft gewordene Partizipialbedeutung an, man denke an Adjektive wie auffällig, das ja soviel bedeutet wie auffallend. Die Bildungen mit -isch und -lich lassen sich voneinander nur dadurch unterscheiden, dass im -lich häufig die alte adverbiale Bereichsangabe lebendig ist. In mittelhochdeutscher Zeit bildete man bekanntlich Adverbien zum Teil durch Anhängen des Suffixes -liche. Bei vielen Bildungen ist nach wie vor deutlich, dass sie ursprünglich verbmodifizierend gedacht waren, so etwa das Adjektiv ordentlich in den folgenden Belegen:
(95) Ein Wirbelwind, in dem sich mit Laub und Papierfetzen eine vollständige Zeitung drehte und im Fliegen sogar ordentlich auf- und zuklappte.
Ihre Kinder waren dabei eher zufällig und eher Zeugen der Verbindung als ordentliche Familienangehörige. (Handke 1979, S. 104,108) [89]
Die grundlegende Verwendung des Adjektivs ordentlich ist die der Modifikation eines Handlungsverbs, nämlich das `etwas ordentlich zu tun' ist. Erst sekundär sind attributive Zuordnungen zu Substantiven, die nicht deverbal sind, wie hier bei Familienangehörige, wo eine sehr weitgehende Übertragung vorliegt, möglich. Die Bereichsangabe, die durch -lich geleistet wird, ist also im Kern adverbial. Dagegen leistet -isch bei muttersprachlichen Basen einfach eine Bereichszuordnung, wobei durch das Basissubstantiv der Bereich genannt wird, aus dem die Eigenschaft zu nehmen ist. Diese Zuordnung kann mehr oder minder klar sein. Man vergleiche das folgende Beispiel:
(96) [Er war] schnurstracks zu dem in irdischer Schönheit ihn grüßenden Giebelhaus gegangen. (Handke 1979, S. 89)
Das eigentlich lexikalisierte Adjektiv irdisch hat hier offenkundig eine andere Bedeutung. Es nimmt sie zweifellos in irgendeiner, allerdings nicht einfach nachzuvollziehenden, Weise von der Zuordnung zu dem Bereich Erde her. Die meisten Fälle sind aber klarer deutbar oder lexikalisiert, so dass wir über ihre Bedeutung aus Tradition Bescheid wissen:
(97) mochten sie in der Außenwelt einst auch zerstörerisch gewesen sein (und die Zerstörung immer noch fortsetzen). (Handke 1979, S. 12)
Es ist die Eigenschaft, immer zu zerstören oder zerstören zu wollen, auf die hier durch die Bereichsangabe (zerstört) in der Basis hingewiesen wird. Das wird an dieser Stelle auch durch den Textzusammenhang mit Zerstörung ganz deutlich gemacht.
Bei fremdsprachigen Basen ist das ein wenig anders. Von diesen lassen sich keine Adjektive mit -lich bilden, so dass hier -isch die ganze Breite der Möglichkeiten abdecken muß: man überlege sich, ob man ein Adjektiv wie ironisch in dem folgenden Beleg eher adverbial fundiert oder als bezogen auf eine Bereichsangabe Ironie verstehen will. Vermutlich liegt hier die erste Interpretation näher:
(98) Manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, ob er ein Argument ernst oder ironischmeint. (Enzensberger 1985, S. 28)
… und ihre So ließen sich denn die großen Bereiche, welche die drei wich- Aufgaben tigsten Adjektivsuffixe abdecken, mit folgenden Beispielen belegen.
(99) -ig
Eine bösartige Grimasse = `von böser Art'
Der Erdboden bucklig = `mit vielen Buckeln versehen'
rundschultriger, eifriger Volksbeamter = `runde Schultern / Eifer habend'
Die buschigen, hellen Schweife = `wie Büsche-
War Sorger [...] auffälliger als sonst = ,auffallender' (Handke 1979, S. 86, 86, 41,
20,107)
Ein Beleg wie rundschultrig zeigt zudem, dass das Haben oder Besitzen eines bestimmten Merkmals erwähnenswert sein muss, um zu einem neuen Adjektiv führen zu können. Dass Menschen Schultern haben, ist selbstverständlich und daher unwichtig, runde Schultern sind das Merkmal, das die Sache hier im Text interessant macht. Ähnliches könnte man von den folgenden Belegen sagen: [90]
(100) Die einmotorige Mietmaschine
gelbköpfige Kometenbüschel (Handke 1979, S. 73, 33).
Auch diese Adjektive geben jeweils eine spezifische Information im Unterschied zu anderen Optionen. Das bringt es auch mit sich, dass sehr häufig Bildungen auftreten wie eben einmotorig, wo ein Determinator wie ein mit dem Basissubstantiv Motor gemeinsam die Basis der Ableitung bildet. Diese Bildungstypen werden in den normalen Wortbildungslehren eher beiseite gelassen, da sie die übliche binäre Untergliederung vor erhebliche Schwierigkeiten stellen.
Zentrale Beispiele bei den --Adjektiven mit einheimischen Basen wären etwadie folgenden:
(101) -isch
Dieser begrüßt jetzt den ins Haus Tretenden mit einem wie schurkischen Blick der Überlegenheit.
Schrecklich verführerisch
Ein tragisches Geheimnis (Handke 1979, S. 73, 20, 22)
Dem Bereich der Schurken, der Verführer bzw. des Verführens oder der Tragik werden jene Eigenschaften zugeordnet, welche in den Adjektiven ausgedrückt werden sollen.
Wie schon erwähnt, steckt letztlich in -lich der alte modale Kern.
(102) -lich
Ein amerikanisches Weihnachtslied - nicht probiert, sondern wie absichtlich falsch gespielt.
Er glich ihnen nicht nur äußerlich.
Seine Sprache war das Spiel, in dem er wieder beweglich wurde.
Eine wie brüderlich wirkende Massigkeit. (Handke 1979, S. 68,104, 104, 23)
Es ist die Art und Weise der Modifikation, das `Wie', das die Einheit über diesen Bildungstyp liefert. Dem entspricht auch, dass bei deverbalen Bildungen nicht die aktivische Umsetzung des Verbinhalts wie etwa bei -ig vorherrscht,55 sondern eine Art der passiven Modalisierung, diese zudem in meist stark idiomatisierter Form:
(103) Daß diese Macht sich unwiderstehlich ausdehnt (Enzensberger 1985, S. 23).
Die Geschichte der unvergleichlich anderen Bewegungen (Handke 1979, S. 19)
Hier ist von etwas die Rede, dem `nicht widerstanden werden kann', mit dem `nichts anderes verglichen werden kann', und doch wäre ein Wort unwiderstehbar, wenn es das gäbe und nicht vergleichbar etwas anderes. Die Bildungen mit -lich haben über die passiv-modale Bedeutung `das kann getan werden bzw. kann nicht getan werden' eine Gesamtbedeutung erlangt, die ihnen im Lexikon als idiomatisierten Ausdrücken zukommt. [91]
… zusammen- Die drei großen Adjektivsuffixe des Deutschen, so könnte man gefasst man resümieren, leisten im Wesentlichen die Arbeit der Transposition von Inhalten, die primär in anderen Wortarten, vor allem dem Substantiv und dem Verb lexikalisiert sind. Die Suffixe -ig, -lich und -isch zeigen im Kern ihre ganz spezifische Weise dieses Umsetzungsvorganges - wenn es dann natürlich auch unklarere Fälle und Übergänge gibt.
Die -isch-Adjektive bezeichnen die Eigenschaften über eine Angabe des Bereichs,aus dem man die jeweiligen Eigenschaften deduzieren soll. Sie sind daher zentral vonSubstantiven gebildet und leiten uns an, nach stereotypen Eigenschaften zu suchen,die man mit einem Substantiv verbinden könnte. So bekommt gemäß dem altenScherz, dass das Schwein seinen Namen zu Recht trage, da es ein sehr unreinlichesTier sei, das Adjektiv schweinisch eine Bedeutung irgendwo im Bereich von `übel, unanständig'. Auch Bildungen, die inhaltlich eher auf die jeweiligen Verben zu beziehen sind, werden formal so ausgedrückt, als seien sie eine Bereichsangabe zu einem Substantiv; das kann man an dem oben bereits zitierten Beispiel sehen:
(104) Aus welchem schrecklich verführerisch […] der Sog […] kam.
Wenn wir auch inhaltlich hier eher die Tendenz haben, die Bedeutung von verführerisch unmittelbar in eine verbale Bedeutung wie `anlockend' umzusetzen, d.h. das Wort im Wesentlichen als `verführend' zu verstehen, ist hier immerhin noch eine formale Ableitung zu dem existierenden Substantiv Verführer möglich. Bei anderen solchen Bildungen wie etwa halsbrecherisch in einer Verwendung wie die halsbrecherische Klettertour lässt sich auch formal diese Herleitung nicht mehr halten, da es den *Halsbrecher nicht gibt. Man sieht, dass wir uns hier mit diesen -isch-Adjektiven in der Nähe der Adjektive auf -lich befinden.
Denn die Adjektive auf -lich leisten in ihrem Kern, wie gesagt, eine adverbiale Zuordnung der Art und Weise. Um auch das noch einmal an einem Beispiel auszuführen:
(105) Gegen den er sich tatsächlich einmal gerichtet hatte (Handke 1979, S. 22).
Die Modifikation der Art und Weise, die wir in tatsächlich finden, ist genau die Modifikation der Wirklichkeit, die der Satzmodus und die sogenannten Satzadverbien leisten. Auch restriktive adverbale Beziehungen werden so aus formal ganz verschiedenen Basen transponiert:
(106) das mit christlichen Grundsätzen inner- und zwischenstaatlicher Ordnung zu konkurrieren wagte (Koselleck 1992, S. 354).
In änderen Fällen ist es die Beziehung der Art und Weise, wie sie in Adjektiv-Adverbien enkodiert wird, von der die Basis der Bedeutung geliefert wird: eine glückliche Einheit (Handke 1979, S. 23). Auch synchron nicht mehr als desubstantivisch erkennbare Bildungen wie gewöhnlich funktionieren so. Da -lich, wie bereits erwähnt, nicht zu fremden Stämmen treten kann, wird die adverbiale Umsetzung bei Basen aus Fremdwörtern von -isch mit übernommen. Den zentralen deverbalen Teil der -isch-Adjektive bilden die oben diskutierten modal-passivischen Schemata. Es gibt allerdings auch seltener aktivische Bildungen vom Typ erfreulich `erfreuend'. [92]
Sind sich nun aber die Bildungen auf -isch und auf -lich insofern noch einig, als sie nicht unmittelbar die Zuordnung von Eigenschaften signalisieren, sondern über Bereichszuordnung (über den Typ Adjektiv II) bei -isch bzw. über Handlungsmodifikation (über den Typ Adjektiv III) bei -lich zur Benennung von Eigenschaften (zumAdjektiv I) kommen, signalisiert das Suffix -ig unmittelbar, dass es sich bei dem entstehenden Wort um ein Eigenschaftswort handelt. Das heißt auch, es gibt keine Zugehörigkeitsadjektive auf -ig, wenn man von den deadverbialen Bildungen vomTyp heutig, dortig absieht, deren Status unklar ist.56 Bei desubstantivischen Bildungen mit dem Suffix -ig wird die Eigenschaftszuordnung im Normalfall durch die Relation des Besitzens oder Anteilhabens (vgl. Adjektive wie waldig oder steinig) bzw. durch eine Vergleichsrelation `sein wie etwas' (vgl. Adjektive wie wollig) geleistet.
(107) Schwalben, von ihrem Schwarm verlassen, weißbäuchig, dicker und viel kleiner als anderswo. (Handke 1979, S. 51)
Das `Haben eines weißen Bauches' als ein spezifisches Charakteristikum, nicht ein zufälliges Merkmal für den Moment, das ist die Bedeutung, die durch Bildungen wie weißbäuchig signalisiert wird.
In den deverbalen Fällen ist die Bedeutung fast partizipial zu nennen (vgl. durchlässig, das fast etwas ist wie `durchlassend'). Nur wird beim Adjektiv die Handlung oder ihr Vorgang, die im Verb ausgedückt sind, zu einer Disposition, also auch zu etwas prinzipiell Dauerndem, gemacht:
(108) In einen dämmrig-sonnigen Raum (Handke 1979, S. 51)
Ein dämmriger Raum ist eben ein Raum, in dem es prinzipiell dämmert, der in gewissem Sinne zum Dämmern neigt.
Die drei bisher besprochenen Suffixe bieten zwar leicht verschiedene Möglichkeiten, zu neuen Eigenschaftswörtern zu kommen, prinzipiell liegt ihnen aber insofern noch ein relativ einfaches Muster zugrunde, als sie im Hinblick auf die auszudrückende Eigenschaft eine Ja-Nein-Entscheidung darstellen. Die Adjektive auf -isch, -lich und -ig drücken aus, dass eine bestimmte Eigenschaft vorhanden ist, allenfalls kann die Zuordnung negiert und solcherart eine antonymische Eigenschaft postuliert werden.
Zusätzliche Offenbar besteht aber im Bereich der Eigenschaften an be Differenzierung stimmten Stellen ein Differenzierungsbedarf, der durch die Suffixe nicht hinreichend gestillt wird. Dort werden Mittel entwickelt und ausgebaut, die in genauerer Weise signalisieren, von welcher Art die Beziehung zwischen der Basis des Adjektivs und dem Bezugssubstantiv ist. Dieser wird durch verschiedene Elemente mehr Relief verliehen.
Drei wichtige inhaltliche Bereiche, wo das offenkundig der Fall ist, sind erstens die Relation des Habens bzw. Vorhandenseins, dann die Vergleichsrelation, wie sie [93]
etwa in wollig vorliegt, und schließlich der Bereich der Modalisierung von Handlungen, d.h. grob gesagt des Könnens oder Wollens.
… durch Suffixe Zum Teil, allerdings zu einem geringeren Teil, hat das Suffixsystem der Adjektive selbst schon Möglichkeiten ausgebildet, um solche Lücken auszufüllen. Man denke etwa an ein Suffix wie -haft, das den Vergleichscharakter des Adjektivs gegenüber möglicherweise entsprechenden Bildungen auf -ig verdeutlicht.
(109) Das wannenhafte Plätschern; einen ruckhaften […] Taumel; wirkt er […] puppenhaft; mit einem tierhaften […] Geschnarch; ganz hamsterhaft (Handke 1979, S. 11, 19, 23, 26, 35).
mit riesigen, mausmakihaft aufgerißnen Augen (Politycki 1997, S. 19)
Das -haft in all diesen Bildungen fordert uns dazu auf, uns Gedanken über den Vergleich zu machen, der diesen Bildungen jeweils zugrunde liegt. Diese Aufgabe ist zweifellos ohne Kontext unterschiedlich schwierig, die Bildungen zeigen aber sehr schön, dass neue Adjektive, die man normalerweise in keinem Wörterbuch findet, der Stützung durch den Text bedürfen. Was immer man sich unter wannenhaftem Plätschern vorstellen kann, im Kontext wird es klar: diese Beschreibung wird im Gegensatz zu den wilden Wellen des Meeres für einen sanft heranplätschernden Fluss verwendet. Die Puppenhaftigkeit im nächsten Beispiel wird durch den Kontext auf eine mechanische Starrheit eingeschränkt. Diese Bedeutung ist nicht gänzlich unüblich, gibt es doch eine Reihe von Werken der deutschen Literatur, in denen die Marionette oder die Puppe als die mechanische Menschentsprechung aufgeführt werden. In den anderen Fällen sind der sammelnde Hamster und das großäugige Nachttier die einen Vergleich ermöglichenden typischen Eigenschaften.
…durch spezifi- Nun kann aber die einfache Instruktion, genauer auf das schere Junktoren `Wie' zu achten, in dem einen oder anderen Fall auch nicht ausreichen. Für diese Fälle hat die deutsche Sprache in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Mustern ausgebaut, die in den üblichen Wortbildungslehren als Halbaffixe geführt werden.
der Art und Weise erlauben eine genauere Signalisierung, wie zum Beispiel der Vergleich der Art und Weise zwischen der adjektivischen Basis und dem Bezugsnomen, um das es geht, zu verstehen ist. So hat sich z.B. ein Suffix -artig herausentwickelt. Wir haben oben schon das Adjektiv bösartig diskutiert. Ausgehend von solchen und ähnlichen Bildungen, hat sich das Element -artig mit der Bedeutung `nach Art von' in einer Weise verselbständigt, die es in vielen Fällen nicht mehr erlaubt, in der Beschreibung auf das Substantiv Art zurückzugreifen. Es sei hier nur der Beginn der langen Liste aus Muthmanns Rückläufigem Wörterbuch mit solchen Bildungen zitiert:
(110) Veranda-, zebra-, trieb-, sieb-, gold-, hemd-, sand-, gelatme-, grippe-, bronze-, trance-, creme-, pique-, see-, relief-, krampf-, schöpf-, kröpf-, scharf-, torf-, schlag-, teig-, talgartig (Muthmann 1988, S. 358) [94]
Und niemals einer von diesen ästhetischen Henkergesellen, die eine kalte Klinge im Auge haben, die Guillotine-Blicke auf dich werfen und fallbeilartig Urteile fällen. (Strauß 1997, S. 72)
Die Beispielliste bei Muthmann geht vier Spalten weiter. Man kann sich anhand von Beispielen, in denen beides, nämlich Suffixe und Halbaffixe möglich sind, fragen, was der Unterschied zwischen den Bildungen ist. So gibt es etwa triebhaft neben triebartig oder ruinenhaft neben ruinenartig. Nun ist aber -artig, wenn auch schon spezieller als die Suffixe, immer noch eine relativ allgemeine Modifikation der Art und Weise. Es bilden sich für besonders wichtige Relationen dann noch eigene Halbaffixe heraus. Für das menschliche Handeln besonders wichtig scheint offenbar die Form von bestimmten Dingen zu sein. Daher gibt es eine große Menge von Bildungen, die das zweite Element -förmig an sich tragen; auch hier seien nur die ersten Beispiele aus dem Rückläufigen Wörterbuch zitiert:
(111) delta-, stab-, sieb-, r ad-, schild-, band-, handförmig usw.
Ja, noch eine weitere Differenzierung ist systematisch ausgebaut, die den Vergleich des `Wie etwas sein' als Ähnlichkeit genauer bestimmt:
(112) sieb-, tweed-, gold-, hunde-, eheähnlich usw.
Es handelt sich bei diesen Bildungen aber nicht, wie es scheinen möchte, um relativ beliebige Komposita, ist doch der Bedeutungsschwerpunkt eher auf dem Erstglied, man versteht die Bildungen in (97) weniger als Spezialfälle von Ähnlichkeit, sondern mehr als Variationen von z.B. Sieb + `Art von' . Analog sind die Bildungen in (96) kaum Ableitungen zu Komposita vom Typ Siebform, sondern Spezifizierungen der Art-und-Weise-Modifikation im Hinblick auf die Kategorie `Form' .
Man kann hier die Abwandlungen nach `Art' ` .Form' und `Ähnlichkeit' als ein Paradigma betrachten, in das die Zuordnung nach der Art und Weise ausdifferenziert werden kann.
des Habens In ähnlicher Weise kann man sehen, dass in neuerer Zeit der Bereich des Habens oder Nichthabens mit den Abstufungen dazwischen, der, wie gesagt, durch die -ig-Adjektive nur pauschal in einer Ja-Nein-Entscheidung angesprochen wird, mit einer endlichen Reihe solcher Halbaffixbildungen ausdifferenziert werden kann. Vor allem gibt es in diesem Feld neuerdings eine Tendenz, genauer zu spezifizieren, ob bestimmte Stoffe, die wir haben wollen, oder die wir nicht haben wollen, in geringerer oder größerer Menge irgendwo enthalten sind: So gibt es, um das unnütze oder schädliche Fett zu meiden, fettarme Lebensmittel, d.h. solche, die wenig Fett enthalten, ja zum Beispiel sogar fettfreie Milch; will man neutral davon sprechen, könnte man von bestimmten Nahrungsmitteln, aber zum Beispiel auch von Crèmes sagen, sie seien fetthaltig, wenn irgendwo viel Fett enthalten ist, kann man das mit dem Adjektiv fettreich ausdrücken. Das heißt, wir haben hier mit einer festen Reihe von Bildungen mit den immer wiederkehrenden Zweitelementen -frei, -arm, -haltig, -reich die Möglichkeit, etwas, was Eigenschaftswörtern inhärent ist, nämlich die Fähigkeit, gesteigert zu werden, in einem lexikalischen Paradigma ausgebaut. [95]
der Modalität Auffällig ist der Ausbau solcher paradigmatischen Verhältnisse auch im Bereich der Modalitäten, also von Bildungen, die in irgendeiner Weise eine Modifikation von `können', `müssen', `wollen', oder `dürfen' ausdrücken. Wir haben gesehen, dass zumindest die Bedeutungsvariante `können + Passiv' (passivisch-modal) bei den -ig-Adjektiven eine gewisse Rolle spielt, nicht zuletzt in negierter Form: so wenn zum Beispiel jemand einen unverzeihlichen Fehler begangen hat. Wie man an dieses Beispiel gleich anhängen kann, gibt es ein eigenes Bildungsmittel speziell für dieses Muster, nämlich das Suffix -bar.57 Man kann praktisch zu jedem transitiven Verb solch ein Adjektiv bilden: essbar, trinkbar usw., so auch z.B. unverzeihbar. Wenn man dieses Wort gegen das formal verwandte unverzeihlich hält, sieht man, dass die -bar-Bildungen viel wörtlicher zu verstehen sind. Gegenüber diesen rein passiven Bildungen entwickelt sich eine große Menge von Bildungen mit dem Halbaffix -fähig, die eine aktivische Sicht oder zumindest eine Sicht implizieren, bei der das Subjekt stärker beteiligt ist. Auch hier zunächst einige Bildungen, wie sie das Wörterbuch - über Seiten hin - aufführt:
(113) erb-, schuld-, beihilfe-, ehe-, aufnahme-, reise-, see-, hoffähig
Diese Bildungen haben den Vorteil, zur Verkürzung auch viel komplexerer Verhältnisse gebraucht werden zu können. Dazu nutzen sie die inkorporierende Kraft der in {fähig zu} angelegten rektionalen Anbindung. Und wenn auch die Bedeutung von fähig zu einer allgemeineren Möglichkeitsvariante reduziert ist, so bleibt doch diese Bindungsfähigkeit der Kern dieser Bildungen. Wenn man etwa ein Wort wie beihilfefähig betrachtet, das gerne in Fügungen wie beihilfefähige Aufwendungen vorkommt, dann kann man sehen, dass es sich ungefähr auflösen lässt als: Aufwendungen, die von der Beihilfe anerkannt werden können. Niemand allerdings würde das so auflösen. Die kulturelle oder intertextuelle Kenntnis ermöglicht es, den Zusammenhang von Beihilfe und `können', der in dieser Bildung enthalten ist, aufzulösen, ohne die Einzelteile und ihren Zusammenhang genauer zu interpretieren. Als ein Beispiel der bewusst genutzten Ambivalenz in diesem Bereich mag der folgende Beleg dienen:
(114) […] machte ihn beziehungsfähig und wahlfähig, im zweifachen Sinn: er konnte wählen und gewählt werden. Von wem? Von wem auch immer; er wollte nur wählbar sein. (Handke 1979, S. 16)
Ansonsten können die Modalisierungen in gewissem Sinn ebenfalls graduell weiter ausdifferenziert werden. Dafür nur einige Beispiele [96]
(115) • WOLLEN
-willig: aussage-, ehe-, impf-, blüh-, lern-, opfer,
auch negiert: zahlungsunwillig
-freudig: rede-, geburten-, schalt-, drehfreudig
• KÖNNEN
-kräftig: heil-, deck-, zahlungskräftig
-trächtig: skandal-, zukunfts-, profitträchtig
• MÜSSEN
-pflichtig: maut-, rezeptpflichtig
• (NICHT) DÜRFEN
-widrig: ehe-, form-, rechtswidrig
Man kann sehen, dass es sich zum Teil um Steigerungen der Bereitschaft, des Grades der Beteiligung handelt, zum anderen {widrig} um den unmittelbaren Ausdruck negativer Eigenschaften, was etwas ist, das sich mit den normalen Suffixen nicht realisieren lässt.
Wir wollen die Aufzählung solcher Bildungen hier abbrechen. Man kann auf jeden Fall sehen, dass hier zu der Verbindung zwischen der Basis des Adjektivs und dem Bezugssubstantiv gegenüber den Suffixen, die nicht viel mehr als eine leicht spezifizierte Markierung der Tatsache bezeugen, dass es sich hier um Adjektive handelt, eine zusätzliche Information hinzukommt. Bestimmte kommunikativ relevante Kriterien für eine Einordnung werden in einer Reihe paradigmatisch aufeinander bezogener Bildungstypen in ein Raster grober generellerer Klassen eingeordnet.
…durch Szenen- Darüber hinaus finden sich bei den Adjektiven eine Viel-
indikatoren zahl von Bildungen, deren Zweitglied ein Partizip ist, das seinerseits das Erstglied syntaktisch und semantisch bestimmt. Das klingt so, als handle es sich hier um Komposita, und als Partizipialkomposita werden sie meistens in der Literatur geführt. Entgegen dem ersten Anschein handelt es sich aber auch hier funktional weniger um die Differenzierung einer partizipialen Basis, als um eine nochmals um eine Stufe genauere Einordnung des Verhältnisses zwischen dem Erstglied solcher Konstruktionen und dem Bezugssubstantiv. All diese Bildungen sollen als die zweite Art der adjektivischen Variante von Inkorporation verstanden werden. Das macht hinreichend klar, dass die Frage, ob es sich um Komposition oder - bei den sogenannten `Halbaffixen' - um Derivation handelt, eigentlich gar nicht richtig gestellt ist. Die in dem Junktor angelegte Leerstelle erfordert eine inkorporierende Füllung: davon spricht nicht zuletzt das Mitwirken der `Verbform' Partizip. Aber zurück zur den partizipialen Inkorporationen:
(116) • rückwärtsgerichteter Kindersitz (adac S. 12); eine Marketingstrategie, die Deutschland viel erlebnisorientierter vermarktet; unsere eher mentalitätsbedingten Probleme (adac S. 60)
• Sie reinigt es mit zitrusduftendem Olivenöl, die kakaogebutterte Haut, ein feuchtigkeitsspendendes Gel, keine benzingetriebenen Fahrzeuge, die männerdominierte Türkei (SZ, S. 13) [97]
• jahrhundertespiegelnde Tennendächer (Handke 1997, S. 152), die floskelbeschilderten Friedhöfe (Handke 1997, S. 157)
• Ein hermetisches, erhöhtes zeitentbundenes Erleben (Strauß 1997, S. 55)
Es geht in all diesen Fällen eigentlich um eine spezielle Art der Beziehung zwischen rückwärts und Kindersitz, Erlebnis und Vermarktung, Mentalität und Problemen, Zitrus(frucht) und Olivenöl, Kakaobutter und Haut, Feuchtigkeit und Gel, Benzin und Fahrzeug, Männern und Türkei, Jahrhunderten und Tennendach, Floskeln und Friedhöfen, Zeit und Erleben. Die denkbare Beziehung wird durch das Verbindungselement spezifiziert, manchmal in überraschender Weise spielerisch verfremdet. So z.B. bei die kakaogebutterte Haut: die allgemeine Beziehung des `Bestreichens' wird lexikalisch als bebuttern realisiert, was eigentlich nur bei Broten statthaft ist, aber möglich wird, da ein Sonnenschutz- und Bräunungsmittel Kakaobutter heißt. Ähnlich ließen sich die anderen Beispiele interpretieren. Das heißt, funktional geht es hier nicht um die Spezifizierung von beschildern durch `mit Floskeln', sondern um die Differenzierung der Beziehung zwischen Friedhof und Floskeln dadurch, dass `Floskeln' in die szenensetzende Kraft des Junktionselements in Form eines Partizips II eingebunden wird.
komposita In diese Kategorie gehören denn auch die Adjektivkomposita, die von der Relationalität des Zweitglieds leben. Sie sind der andere Typ von Inkorporation:
(117) Siliconharz-Fassaden färben wie etwa Amphisilan sind wasserverdünnbar, umweltschonend und geruchsarm. Sie sind in hohem Maße wasserabweisend und wetterbeständig nach VOB. Ferner sind sie nicht filmbildend und mikroporös, (wohnen S. 67)
Dagegen sind eigentliche Determinativkomposita, also solche mit einem nichtrelationalen Zweitelement eher selten und tendieren zu adjektivtypischer Uminterpretation. Es gibt sie aber:
(118) […] an die mannshohen Farne (Ransmayr 1991, S. 121)
Das Korngrün maidunkel und fett.
[…] eine kabeldicke Sehne schwillt an.
die eiskalten Mutanten der Mnemosyne (Strauss 1997, S. 12, 38, 56)
Vor allem modale Bildungen wie eiskalt rücken mit ihrer steigernden Bedeutung in die Nähe der bei den Adjektiven im Vergleich zum Substantiv deutlich stärker ausgebauten Präfixbildungen; zu ihnen wären sicher die folgenden Bildungen zu rechnen:
(119) Wie die blutjungen Troilus und Cressida
in hochzivilisierten Ländern
Die Äcker waren frischgepflügt, blitzsauber (Strauß 1997, S. 83, 138, 206)
Wie diese Bildungen funktionieren, lässt sich im Übergangsbereich gut zeigen:
(120) Aus dem Gepäck kramt er eine feuerrote, mit farbigen Blumen- und Tiermotiven geschmückte Robe aus Damast (Braunger 1995, S. 12) [98]
`Rot wie Feuer' ist die Robe: dennoch liegt auch in dieser Bildung schon der Kern zu einer anderen Deutung: bei Eigenschaftswörtern, hier einem Farbwort, können die verschiedenen Unterabteilungen wie die Grade einer Eigenschaft gelesen werden, gerade bei jenen häufig `absolut' genannten Eigenschaften, die der normalen morphologischen Steigerung nicht zugänglich sind. Was könnte `röter' sein als `feuerrot'? So ist denn auch jemand, der aschgrau im Gesicht ist, besonders grau, und jemand, der mausetot ist, ist sprachlich ganz besonders tot. So sieht man am Beispiel der Steigerung, wie sich hier lexematisch selbständige Elemente in ein Muster einbinden, welches adjektivtypischer Modifikation, spezifischer: der Steigerung dient. Ähnliches ließe sich auch für Negation und Antonymenbildung zeigen.
(121) der dem Fremden ein unheizbares […] Zimmer […] vermietete. (Ransmayr 1991, S. 8)
Bei der Bedeutung solch modifizierender Kategorien verwundert es denn nicht, dass die Präfixbildungen beim Adjektiv eine entscheidende Rolle spielen.
FUNKTION DER Hauptfunktion der adjektivischen Wortbildung ist also die ADJEKTIV- Junktion; die Suffixe zeigen mehr oder minder nur den Ad WORTBILDUNG jektivstatus und ganz grobe Zuordnungsregeln des Eigenschaftstyps an, in der Inkorporation bauen die sogenannten Halbaffixe kommunikativ relevante Grobkategorien paradigmatisch aus, sie bringen Relief in die Szene und die Partizipialbildungen erlauben es, die Besonderheit einzelner Beziehungen noch dadurch zu vertiefen, dass sie zur Verdeutlichung der Verbindung eine Verbszene aufrufen.
Das soll nicht weiter ausgeführt werden, vielmehr soll auch am Ende dieses Kapitels eine Übersicht zu den Funktionen der Wortbildung innerhalb der Wortart Adjektiv stehen. Als Konstante kann man immerhin feststellen, dass es einen Kernbereich der Wortbildung gibt, der durch Transposition geprägt ist und einen Kernbereich, der von Modifikation gekennzeichnet ist. Das sind beim Adjektiv die Suffixableitungen und die Präfixbildungen, während die Determinativkomposita dagegen an Bedeutung eher zurücktreten. Dem entspricht, dass auch der Teil der von uns behandelten Prozesse deutlich von den Verhältnissen beim Substantiv abweicht, den wir mit dem Oberbegriff der Inkorporation gekennzeichnet haben. Aufgrund der syntaktischen Relationalität und Aktualisierung nur mit einem Substantiv, dem es zugeordnet ist, haben Konstruktionen, die formal durch die Abhängigkeiten, die von Zweitelementen mit Adjektivcharakter ausgehen, geprägt sind, einen intermediären Status, sie verbinden die Basis mit dem Bezugsnomen. Im Sinne dieser abgestuften Junktion verschiebt sich somit der Bedeutungsschwerpunkt deutlich auf die linken Elemente. So ergibt sich eine funktionale Reihe vom Suffix über das sogenannte Halbaffix zum partizipialen Zweitglied. Sie stellen drei Stufen der Präzision dar, in der wir die Beziehungen zwischen adjektivischer Basis und Bezugsnomen variieren können. Auf der anderen Seite gibt es in der Bildung der Partizipialformen einen einfachen morphologischen Weg eines verbalen Lexems in die Verwendungsmöglichkeiten eines Adjektivs hinein. Wir wollen das als die Ausfüllung einer sekundären Funktion dieser Lexeme verstehen. Dagegen stellt die eigentliche Konversion beim Adjektiv keine bedeutsame Möglichkeit dar: sie macht zunächst auch Halt beim Übergang [99] in die unflektierten Möglichkeiten des Adjektivs rechts von N. So ergibt sich, bei scheinbar ganz ähnlichem Inventar, doch eine deutliche Verschiebung gegenüber den Verhältnissen beim Substantiv. Sie hat mit der unterschiedlichen syntaktischen Einbindung der beiden Wortarten zu tun.
… eine Beiseite gelassen haben wir einen Bereich, der sich allerdings for-Ergänzung mal nicht besonders auszeichnet, sondern eher zeigt, dass die Entstehung eines Adjektivs stärker semantisch betont sein kann als bei den bisher besprochenen Beispielen (Adjektiv I), aber auch mehr syntaktisch betont als bei den Zugehörigkeitsadjektiven (Adjektiv II). Sie ermöglichen einfach die attribuierende Relationierung von zwei Basen, ohne der Adjektivbasis den Charakter der Eigenschaft zu verleihen:
(122) Im gegenständlichen Fall habe der römische Bürger Publius Ovidius Naso die Residenz [...] verlassen. (Ransmayr 1991, S. 131)
Dazwischen stehen die eigentlich auf adverbale Modifikation zurückgehenden Bildungen (Adjektiv III):
(123) Über den vorliegenden Reiseantrag war daher spruchgemäß zu entscheiden. (Ransmayr 1991, S. 131)
… die Mittel Die Möglichkeiten adjektivischer Wortbildung reichen somit von der flexionsmorphologischen Enkodierung:
(124) von jenem verrußten Balkonzimmer
dieser Prozeß der fortschreitenden Sprachlosigkeit (Ransmayr 1991, S. 132, 134)
und punktuell anderen Formen der Konversion:
(125) Finden Sie das auch super?
zunächst bis zu den Suffixbildungen, die ebenfalls die Wortart fixieren, dann aber auch gewisse klassematische Unterscheidungen klarlegen:
(126) neben der halboffenen Tür zu einem spartanischen Bad […] der kolossale Schreibtisch in der Mitte, dahinter der hochlehnige, geschnitzte Arbeitsstuhl […] und am entfernten Ende eine spärliche Sitzecke (Rehmann 1999, S. 57)
Die Suffixe -al und -ig führen direkt zu Eigenschaftsbenennungen, -isch vergleicht über die Zugehörigkeit zu Sparta, und die Fügung von der spärlichen Sitzecke irritiert deswegen leicht, weil -lich eher auf die adverbialen Wurzeln verweist.
Dann kommt man, auf dem Weg hin zu wortbildungsmäßig expliziteren Wörtern, bei jenen Bildungen vorbei, die in unterschiedlicher Weise Nutzen ziehen aus den rektionalen und dependenriellen Anlagen von adjektivierenden Zweitelementen. Hier zeigt sich der syntaxnahe Teil der adjektivischen Wortbildungsarten.
(127) geheimnisvolle Andeutungen (Rehmann 1999, S. 56)
die ehrwürdige Tradition (Rehmann 1999, S. 57)
gekoppt mit der revolutionsprophylaktischen Empfehlung (Koselleck 1992, S. 355) [100]
Gegenüber der sonst bei der Modifikation dominanten Komposition fällt hier auf, dass semantische Kategorien, die in einem gewissen Bereich innerlexikalisch oder morphologisch gelöst werden - Negation und Graduierung - in verschiedene Typen von Präfigierung eingehen.
(128) Wo er doch eine urdeutsche Regung ist (Rehmann 1999, S. 55)
Bei der Komposition ist dafür auffällig, dass die Addition von Eigenschaften zu neuen abgewandelten Eigenschaften, also formal das Kopulativkompositum, einen stärkeren Stand hat:
(129) eher bürgerlich-demokratisch als ökonomisch-materialistisch akzentuiert (Koselleck 1992, S.378) [101]
(130) Tabelle 2
ADJEKTIVISCHE SETZUNG
TRANSPOSITION MODIFIKATION
Name |
Wortartwechsel l: Umkategori-sierung |
Wortartwechsel II: Konversion |
Derivation |
Inkorporation l: Derivation / Komposition |
Inkorporation II: Rektionskompo-situm |
Komposition / Präfixbildung
|
Präfixbildung |
Vorgang |
Optionenwahl
|
Transponierung |
Strukturierung |
Typisierung
|
Inkorporierung |
Subkategorisierung |
Variation |
Ausgang |
Nominale Verbformen |
einzelne Substantive |
Lexeme |
reihenbildendes regierendes Zweitglied |
regierendes Zweitglied
|
adjektivisches Zweitglied
|
adjektivische Basis
|
Ziel |
Partizip |
Adkopula |
Derivat |
Kompositoid |
Kondensat |
Kompositum / oid |
Präfixbildung |
Technik |
Lexematische und formale Merkmale der nominalen Formen der Wortart Verb |
Lexematische Merkmale der Ausgangswort-art; adjektivi-sche Distribu-tion |
Lexematische Merkmale der Basis; sortie-rende Affixe der Zielwortart |
Lexematische Merkmale des Erstelements; Paradigmatisie-rung der Zweitelemente |
Dependentielle Steuerung des Zweitelements; rektionale Ein-bindung des Erstelements |
Lexikalische Merkmale beider Konstituenten; Schemaeinbindung zur Kategorisierung u. Modifikation |
Lexikalische Merkmale der Basis; modifi-zierende Prä-fixe (adjektiv-typische Kate-gorien) |
Funktion |
Vereindeutigung |
Symbolisierung |
Indizierung |
Reliefbildung |
Inszenierung |
Schematisierung |
Modifizierung |
[115]
2.3.3 Ganz anders: das Verb
Schon von der Funktion her, die Verben im Satz einnehmen, zeigen die Mittel der Wortbildung, die hier zum Einsatz kommen, eine gänzlich andere Struktur, die Gesamtheit der Wortbildung beim Verb hat eine eigene Gestalt. Dabei bleibt die Fragestellung zunächst auch hier die gleiche: was macht die Wortbildung mit Lexemen, die schon verbalen Charakter haben, im Unterschied zu denen, aus denen sie erst Verben machen muss?
OPTIONEN DER Wenn etwas schon ein Verb ist, dann kann es modifiziert MODIFIKATION werden. Dazu dient beim Verb zuvorderst die Technik der Präfixbildung. Aber schon wenn man sich die deverbale Teilgruppe der Präfixverben ansieht, kann man feststellen, dass die Modifikation, von der wir sprechen, auf drei Ebenen angreift. Es kann natürlich um semantische Modifikation gehen, daneben, und im Falle der festen, nicht trennbaren Präfixe, noch davor, geht es um Modifikationen des Valenzmusters und um fast morphologische aspektuelle Modifizierungen. Vor allem diese zweite, die syntaktische und satzsemantische Stufe macht ganz deutlich, dass hier die Konzentration auf das verbale Lexem zu kurz greift, es geht um das verbale Lexem und seine satzsemantische Umgebung, die bei dieser Art von Wortbildung verhandelt wird.
Präfigierung Bedeutsam ist die Präfixbildung beim Verb, da sie praktisch die einzige Wortbildungsart bei dieser Wortart ist, bei der kein Zweifel am Wortcharakter der entstehenden Konstruktion herrscht. Hier einige Belege für die gängigsten Präfixe (be-, ent-, er-, miss-, ver-, zer-, durch- und über-):
(131) Cotta fühlte, dass Tomi ihn w beobachten, ja zu belauern begann
[…] und erfaßten als einzig ergiebige Neuigkeit nur ein Liebespaar
um der Apparatur der Wacht zu entgehen
Man misstraut mir.
Was die beiden verband, mußte also mehr sein
Zu welchen Mythen Nasos Schicksal unter den Schlägen der Politik auch immer zerfiel.
nach einem durchzechten Nachmittag
keine Spuren zu hinterlassen schien
Bemühungen, die Unüberwindlichkeit zu überwinden (Ransmayr 1991, S. 124,125, 123, 13, 123, 124, 128, 131)
KLAMMERBILDUNG Bei fast allen anderen Bildungen wird der Zweifel an der Festigkeit der Bindung schon dadurch genährt, dass diese Formen beim Eintreten in die Satzklammer voneinander getrennt und auf die beiden Klammerhälften verteilt werden. Vor allem die Erstelemente solcher Bildungen kommen dadurch an einen Platz, an dem auch entsprechende syntaktische Elemente stehen könnten.
Partikelverben Das Paradebeispiel für die Nutzung dieses Musters sind die so genannten Partikelverben, gelegentlich werden sie auch trennbare Präfixverben genannt. Auch bei ihnen handelt es sich um einen auf die Spezifika der [103] Wortart Verb ausgerichteten Fall von Inkorporation, der allerdings als lexikalische Analogieregel - mit entsprechenden Isolierungseffekten bei der Bedeutung - mehr oder minder fest geworden ist:
(132) […] der den Fahrplan abschrieb
Nun war er angekommen
[…] der gelegentlich mit einem Satz Angelruten auftauchte
Wer […] eine besondere Gnade des Imperators nicht ausschöpfe
[…] in das Naso sich eingeschlossen hatte
[…] bei der Behörde um die Erlaubnis einer Reise ans Ende der Welt nachgefragt den Arm noch vorgestreckt […]
die auf das Schiff zusprang (Ransmayr 1991, S. 9, 8, 12, 131, 18, 131, 15, 7)
Drittens sind hier die verbalen Komposita zu nennen: ob es diese überhaupt gibt, ist außerordentlich umstritten. Das kommt nicht zuletzt daher, dass es sich hier wieder um den Typus der Inkorporation handelt, der beim Verb in verschiedenen Stufen ablaufen kann.
Verben mit Einen ersten Grad stellen schon die sogenannten Doppel-Doppelpartikeln partikelverben dar, die räumliche Interpretation mit Bezug auf den Sprecherstandort kombinieren, und nicht immer ganz einheitlich zu beurteilen sind; vgl. die folgenden Belege mit analoger Form:
(133) Aber die Dünung hob […] das Schiff, hob die ganze Welt hoch über den salzigen Schaum der Route hinaus.
Wer hier zum Fischen hinausfuhr, der fluchte auf das leere Wasser.
[…] blickte dem langsam heranwehenden Staub ratlos entgegen. (Ransmayr 1991, S. 8, 9, 22)
Wie auch immer man das terminologisch fassen will, im zweiten Beispiel ist die inkorporierende Univerbierung zweifellos weiter fortgeschritten, auch semantisch: das Hinausfahren des Fischers stellt sich als eine feste Handlung dar, während wir im ersten Fall eher noch von einer syntaktischen Verdeutlichung der Szene durch ein adverbiales hinaus ausgehen würden. Auch das dritte Beispiel scheint eher ein gesamtes Wort zu präsentieren, auf das sich die adverbiale Modifikation durch das langsam Ununterschieden bezieht. So handelt es sich hier zweifellos um so etwas wie Rektionskomposita, allerdings ist der erreichte Grad an Univerbierung ganz unterschiedlich.
Komposita Die bisher genannten trennbaren Wortbildungstypen waren gemeinsam dadurch gekennzeichnet, dass ihre Erstelemente, die als zweite Klammerelemente auftauchen, sich im Kern auf ein direktionales und lokales Ordnungsprinzip beziehen, wie es durch die entsprechenden Adverbien und präpositionalen Phrasen aufgespannt wird. Hier sind wir offenkundig ganz in der Nähe der Syntax, im Falle der direktionalen Bestimmungen bei einer Kategorie, die auch in der Syntax durch eine außerordentlich hohe Nähe zum verbalen Lexem des jeweiligen Satzes gekennzeichnet ist. Das ist anders bei einer Reihe weiterer Bildungen, wo entweder weniger strikt syntaktisch angebundene adverbiale Relationen in stärker univerbierter Form integriert werden, oder abhängige Infinitive, oder bestimmte [105] nominale Elemente mit einer ungewissen Eigenständigkeit. Das sind die Kandidaten für das Determinativkompositum beim Verb:
(134) aus den Händen einer Krämerin in Tomi entgegengenommen
würde […] der Verbannte […] in seinen Metamorphoses heimkehren
Und die Unerfüllbarkeit seiner eigenen Sehnsüchte wiederzuerkennen
(Ransmayr 1991,S. 137, 130, 24)
(135) die im Leeren stehengebliebenen Torbögen (Ransmayr 1991, S. 14)
(136) Straßenjungen, die Lavendelsträuße feilboten
daß den Andächtigen […] die Lippen daran festfroren.
der habe seine verwandtschaftliche Nähe für immer preisgegeben.
(Ransmayr 1991, S. 19, 26, 131)
IM ZENTRUM: Der klassische Fall, der auch die Wortbildung des deut- PARTIKELVERBEN schen Verbs entscheidend prägt, ist die Bildung mit den trennbaren Präfixen: sie bilden ja auch den Kern der Erscheinung, die man Lexikalklammer nennt. Selbst die Rechtschreibreform, die ja z.B. in dem Bereich, den man Verbalkomposition nennt, deutlich aufgeräumt hat,58 rechnet diese Fälle eindeutig zu den komplexen Wörtern, bei denen die Zusammenschreibung bleibt. Die Duden-Grammatik (1998) versucht, ihre Zwischenstellung aus erkennbarer Verwandtschaft mit adverbialen oder präpositionalen Fügungen und präfixartigen Wortteilen im Konzept des Halbaffixes aufzufangen. Das ist rein synchron nicht ganz glücklich. Vielmehr zeigt sich bei einem genaueren Blick, dass es sich um eine spezifisch lexikalische Verdichtung von Szenenzusammenhängen handelt, die als solche auch logischerweise mit der Wortart Verb verbunden sind. Wie die bisherige Beschreibung schon zeigt, handelt es sich um die ganz typische Art von Inkorporation, da Elemente integriert werden, die in ähnlicher Weise syntaktisch angeschlossen werden könnten, die aber normalerweise eben nicht genau so anschließen, bzw. eigentlich noch eine ganz spezifische Art der Ergänzung des inkorporierten adverbialen Elements erwarten lassen- so dass im Verhältnis zur Syntax häufig genau der für die Wortbildung interessante Bedeutungsbestandteil nicht explizit auftaucht. Die Nähe zur Syntax und auch die Distanz zeigen fast alle Verwendungen dieser Verben, die man findet, so auch in dem folgenden Textstück:
(137) Die Mähdrescher fahren über die Hügel, vorwärts und rückwärts, auf und ab. Und ein anderer mit rotem Traktor kommt nach und sammelt ein. Mit dem Motorenschall spielen die Lüfte, mal dämpfen sie, mal wehen sie ihn auf. Das Wasser wippt ganz flach im Wind, und Noppen breiten sich statt Wellen aus. (Strauß 1997, S. 17)
Natürlich kommt der Traktor nach den Mähdreschern, aber das sagt das Verb nachkommen hier nicht exakt, sondern dass er (auch funktional) hinterdreinkommt. Und natürlich ist ein einsammeln ein `in ein Aufbewahrungsobjekt hineinsammeln', aber das ist nur eine Rekonstruktion ohne jeden Gebrauchswert, ja von sehr fraglicher Akzeptabilität. Unklar ist, wie man den aufgewehten Motorenschall hier unter[105]bringt: zwar hängt auch aufwehen, wie bei den Adverbien herauf/hinauf mit der Bedeutung `nach oben' zusammen, aber dieser Zusammenhang wird eben genau nicht syntaktisch rekonstruiert, sondern durch syntaktische Inkorporation zusammengebracht. Noch klarer ist das bei dem letzten Verb aus unserem Beleg: wohl geht die Ausbreitung von einem Kern aus und kommt, wenn man so will, irgendwo heraus - aber auch das ist weder Blickrichtung noch Konstruktionsweise des Partikelverbs, vielmehr ist es eine Bedeutung des `Ausfallens', die eine ganze Reihe von Bildungen mit aus- kennzeichnet. Noch dazu haben die beiden letztgenannten Bildungen mit auf- und aus- jeweils eine deutlich inchoative Komponente, die diesen Wortbildungsmustern wesentlich eigen ist, und die auch nicht mit entsprechenden syntaktischen Konstruktionen in Beziehung zu bringen ist. Auch hier liegt also wieder eine lexemspezifische Integrationsleistung lexikalischer Art vor, wobei natürlich beim Verb die Nähe zu Strukturen der Verbalgruppe, wie sie durch die Anhängigkeiten des Verbs gesteuert werden, die Grenzen zwischen Wortbildung und Syntax oft nahe aneinander treten lässt. Auch das mag man an dem obigen Beispiel sehen, wenn es im ersten Satz heißt, die Mähdrescher führen vorwärts und rückwärts - Richtungsergänzungen in Form von Adverbien - und dann auf und ab, `hin und her'. Mit dieser Partikelkombination befinden wir uns im Bereich einer phraseologischen Syntax. Aber insgesamt ist die lexikalische Eigenständigkeit dieser Bildungen doch so hoch, dass ihr Status als Bestandteil einer inkorporierenden Wortbildung unstrittig ist.
WO MAN DIE WAHL HAT Das ist anders bei jenen Bildungen, die man häu-DOPPPELPARTIKELVERBEN fig unter dem Terminus Doppelpartikelverben behandelt findet. Hier befinden wir uns offenbar genau an einer Stelle, wo Univerbierung eintreten kann oder nicht, so dass die entsprechenden Fügungen normalerweise als „feste Wortverbindungen” (Duden 1998, S. 796), die allerdings in gewissem Umfang zur Idiomatisierung neigen, gewertet werden. Motsch (1999, S. 51) spricht bei Fügungen wie hinaufsteigen, aber auch heraus fordern gleichermaßen von lexikalisierten syntaktischen Fügungen. Klassischerweise werden diese Bildungen im Bereich der Komposition behandelt (s. Fleischer/Barz 1995, S. 301-303). Wegen des deutlich relationalen Charakters des Zweitelements scheint es sinnvoll, auch diesen Bildungstyp im Bereich der Inkorporation anzusiedeln, was ja, da die Inkorporationstypen unterschiedlich syntaxnah sind, erlauben würde, zu erklären, dass wir uns hier in einem im Einzelnen schwer abgrenzbaren Übergangsbereich zwischen usualisierter Syntax und mehr oder minder locker inkorporierender Wortbildung befinden. Das hat natürlich mit dem ohnehin schwierigen Charakter von direktionalen Bestimmungen zu tun, die ja größtenteils in diesen Konstruktionen auftauchen, und die ja auch sonst die Syntax oft mehr prägen als die Verben, zu denen sie treten, sind sie doch syntaktisch praktisch immer unverzichtbar59. Die Festigkeit der Einbindung in den Satz bzw. der Bindung an das verbale Lexem sind in den folgenden Beispielen wohl verschieden: [106]
(138) a) But I'm not British, hat Vera vom Fenster heruntergerufen, not the way your Pearls are - nicht echt!
b) und stöckelt auf hohen Absätzen aus dem Gewimmel hinaus
c) Als eine neue Welle Reisender heranrollt […]
d) wenn die Stimme nicht schon den zweiten Teil des Wortes von der prekären Höhe herunterholen […] würde
e) während sie unwiderstehlich ins nächste Stimmungstief hinabgleitet
f) einen Holzstuhl, der Mr. Pears vorbehalten ist, wenn er auf seinen schweren Schuhen hereintapst
g) wo sie sich […] handwerklich oder künstlerisch betätigen, bis es sie wieder hinaustreibt
h) der träumend zum Fenster hinausschaut (Rehmann 1999, S. 108, 7, 8, 10, 11, 14, 15, 129)
Hier geht es von Bildungen, wo die Doppelpartikel wie in b) oder e) eine eher beliebige adverbiale Differenzierung darstellt, über Fälle, wo die syntaktische Konstruktion vom Verb mit der Partikel bestimmt wird wie in a), d), h) und ganz besonders f), wo keine Chance zu einer adverbialen Auflösung besteht, hin zu Fällen, wo es sich um von der Autorin deutlich als semantisch von entsprechenden syntaktischen Fügungen abgesetzte Bildungen handelt, wie, eher metaphorisch, in c) und abhängiger in g). Diese Befunde lassen es als sinnvoll erscheinen, diese Bildungen als einen Übergangsbereich in die inkorporierende Wortbildung hinein zu verstehen.60
AM RANDE: Noch kritischer ist beim Verb die Frage, ob hier überhaupt KOMPOSITA Komposita existieren; sie lässt sich nicht völlig unabhängig von dem gewählten Beschreibungsmodell beantworten. Wenn man von der Existenz verschiedener Typen einer Wortart Inkorporation ausgeht, wird man aufgrund des Charakters der Wortart Verb prinzipiell annehmen, dass es sich hier praktisch ausschließlich um Inkorporationen handelt. Diese Aussage betrifft natürlich nur determinative Verhältnisse, die Existenz einzelner kopulativer Bildungen sei damit nicht bestritten. Ihre systematische Bedeutung ist nicht besonders hoch. Häufig werden fachsprachliche oder literarische Beispiele - diese mit hoher stilistischer Auffälligkeit - genannt:
(139) Tschilpen, trillern, schirken, quietschen, zwitschern und flötzwitschern, alles mit überschärftem Klang, steht nah und doppelt erregt, weil kein Wind geht. (Strauß 1997, S.52)
Der Nutzen solch eines Bildungsmusters in der alltäglichen Kommunikation ist nicht besonders groß. Das ist auch logisch, hat doch das Verb zwar die Möglichkeit, alle Elemente, die es auch im Satz an sich binden kann, graduell in den Bereich der Univerbierung hineinzuziehen, allerdings sind andere Verben offenbar nur durch syntaktische Konstruktionen anzubinden. Gegebenenfalls werden Konstruktionen gebildet, in denen das eine der beiden Elemente in seinem verbalen Charakter verändert wird. [107]
ZWISCHEN: Dabei haben sich eine Reihe von Konstruktionen entwickelt, WORTBILDUNG die im Randbereich zwischen Prädikatsmorphologie, Syntax UND SYNTAX und Lexikon befinden. Daher ergeben sich gerade im Bereich des Verbs eine Reihe von Phänomenen, die von vornherein nicht eindeutig zuzuordnen sind, zum Teil ist ihre Zuordnung dem jeweiligen Sprecher oder Schreiber überlassen. Es handelt sich hier zweifellos um eine Zone im grammatisch-lexikalischen System des Deutschen, die sich nicht allein mit Mitteln der Wortbildung erklären lässt. Am einen Ende finden sich hier die Phänomene, die man neuerdings mit dem Konzept der Grammatikalisierung zu fassen versucht. Grammatikalisiert werden Konstruktionen, die in der Lage sind, in einer entsprechenden Konstellation die beiden Hälften der Satzklammer zu bilden. In den Bereich der engeren Verbalmorphologie fallen dabei sicherlich Konstruktionen wie das seit einiger Zeit viel diskutierte kriegen-Passiv, bei dem die Selbständigkeit dieses verbalen Elements im Sinne einer Auxiliarisierung herabgestuft wird. Es finden sich aber daneben durchaus fossilisierte Elemente, die man in die Nähe von Konstruktionen stellen kann, die in Sprachen anderer Sprachfamilien systematisch genutzt werden, und dort dann serielle Verben heißen, hierzu kann man Konstruktionen vom Typ er kommt gegangen zählen, die ein marginales syntaktisches Phänomen darstellen.61 Weiter in den Bereich des Lexikons kommt man hinein mit einer Reihe von Infinitiv-Verbindungen, bei denen sich die Finitum-Infinitiv-Verbindung mit einer finalen Interpretation verbindet. Das ist der Typ baden gehen, der daher auch schon in der Rechtschreibungsdiskussion eine Rolle gespielt hat. Für die Übergänge zwischen Syntax und Wortbildung sind vor allem die Verbindungen mit einer Infinitivform interessant, schließen sie doch unmittelbar an grammatische Möglichkeiten wie das Futur oder die Kombination mit Modalverben an. So erscheinen diese Konstruktionen zunächst durch die Form des Nachverbs wie eine der typischen Besetzungen der Grammatikalklammer (Futurklammer). Wie sehen in diesem Fall die Instruktionen aus, die uns in die Wortbildung hineinführen? Zunächst ist es offenkundig, dass in diesem Fall tatsächlich syntaktische Fügungen zusammenwachsen: laut Weinrich (1993, S. 1051) handelt es sich bei diesen Bildungen um die Verfestigung von Grammatikalklammern.
Verfestigung und Was kann hier Verfestigung heißen, woran merkt man sie, Univerbierung und wozu wird sie genutzt? Wichtig ist, dass hier nur bestimmte Vorverben, also Besetzungen des linken Klammerteils, in Frage kommen.
V + V-Typen Wenn diese Frage in Grammatiken behandelt wird, wird regelmäßig daraufhingewiesen, dass hier die Basis-/Vorverben bleiben und lassen die zentrale Rolle spielen, dann wird noch - allerdings nicht von allen - gehen und mit gewissem Abstand lernen genannt, letzterem aber offenbar nur die folgenden komplexen Verben und Verbfügungen bzw. eine Auswahl davon. [108]
(140) lerne: kennen, schätzen, lieben, fürchten
Nicht umsonst gehören diese Verben zu den in der Debatte um die Rechtschreibreform umstrittensten Fällen. Es gibt offenbar einen Weg von freien syntaktischen Fügungen wie schwimmen lernen zu den oben genannten Verbindungen, gleichzeitig aber verliert gerade in kennenlernen, das man als eine Art Archiverb über den anderen ansehen kann, das Lexem lernen etwas von seiner Vorgangsbezogenheit, die lexikalische Fügung verfestigt sich, und nimmt die genannten Kohyponyme mit sich aus dem Raum der Syntax heraus.
Am offenkundigsten ist der vorgefallene Wandel vielleicht bei lassen, das ja auch in seinen eindeutig der Syntax zuzurechnenden Verwendungen Besonderheiten zeigt. Schon diese und mehr noch die Neigung zur Inkorporation hängen ja zweifellos damit zusammen, dass lassen in einer Reihe von Fügungen seine Handlungseinbettung des `Bewirkens durch Befehlen oder durch Zulassen' so weit verlässt, bzw. dass dieser Kern beim Benutzer so weit in den Hintergrund tritt, dass nicht viel mehr als eine beiläufig agensbezogene Kausativität übrigbleibt, die dann in einzelnen Mustern oder Nischen in unterschiedliche Lexikalisierungsrichtungen ausläuft. Beiläufig agensbezogen heißt dann auch, dass vom Lassen immerhin auch noch ein Hauch des Zulassens bleibt - viele der Verben prägen Muster von Unachtsamkeit aus, das heißt, sie bilden Nischen der Idiomatisierung, ein Phänomen, das für Wortbildung typisch ist. Weinrich (1993, S. 1052) nennt folgende zweiteilige Verben mit lassen:
(141) lasse: sitzen, stehen, liegen, stecken, laufen, bleiben, mich gehen
Alle diese Bildungen sind durchsichtig, aber lassen hat jene Reduktion mitgemacht, die es systematisch für den ersten Platz in der Klammer geeignet macht - mit reduzierter lexikalischer, aber ausgebauter grammatischer Funktion, die man als einen spezifischen Fall von Kausativierung mit einer zulassenden Instanz ansehen kann.
Die Neigung, solche Verbindungen nur so zu sehen (und ggf. zusammenzuschreiben) oder einmal so und einmal so, variiert verständlicherweise von Lexem zu Lexem. Während die lexematische Lesart bei Fällen wie sich gehenlasscn dominiert, da hier der verbale Charakter des Erstelements durch den Typ der Reflexivierung ebenso reduziert ist wie bei bleibenlassen durch die Anordnung der Partizipanten, gibt man durch die Wahl der Einwortlesart von laufenlassen z.B. die Instruktion, eine spezifische Lesart des Erstelements laufen zu wählen, die selbständig nicht vorkommt. Dadurch wird ebenfalls, wenn man so will, der Verbalitätsgrad dieses Elements gesenkt, es wird zum typischen zweiten Klammerelement, das die Bedeutung der Gesamtkonstruktion erst schließt und seine übliche syntaktische Anbindung aufgibt. Man kann die ,festen' Formen also verstehen als den lexeminternen Ausbau einer spezifischen „kausativen Diathese” (Raible 1992, S. 269).62 Beidseitig akzentuierbar sind zweifellos die anderen Fälle, man kann sich entscheiden, ob man etwas an einem bestimmten Platz liegen lässt, oder ob man es dort liegengelassen d.h. `liegend gelassen' hat. [109]
Damit wären wir auch schon bei den Fällen mit bleiben; auch hier ein paar Beispiele:
(142) bleibe: sitzen, stehen, stecken, hängen, kleben, bestehen (Weinrich 1993, S. 1052)
Hier gibt es bessere Möglichkeiten der Beschreibung, als die Infinitivintegration syntaktisch-wörtlich zu nehmen. Schon aufgrund der Parallelität von bleiben, werden und sein liegt es nahe, hier den Infinitiv als eine im Finitheitsgrad abgestufte infinite Form zu sehen, die damit für etwas `Uneigentliches' frei wird. Das folgt Überlegungen von Talmy Givon (1990, S. 854/55), der auf der Ebene der verbalen Formkategorien folgende Abstufung nach Graden der Finitheit vornimmt:63
(143) most finite ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ least finite
indicative subjunctive participial infinitive nominal
⇒ ⇒ ⇒ ⇒
Normal und syntaktisch erwartbar wäre auch hier vielleicht das Partizip, also eine infinite Form mit höherem Finitheitsgrad. Was also bei der Verbindung von werden mit dem Infinitiv historisch zur Grammatikalisierung geführt hat, nämlich der Weg von der Kombination mit einem Partizip Präsens zu der mit einem Infinitiv, führt bei bleiben zu einer Art serieller Interpretation. Alle die zugeordneten ,Infinitive' sind ja Zustandsverben, bei denen in der Kombination mit bleiben die Dauer des Zustandes akzentuiert wird. Wegen der Kompatibilität der beiden Teile auf der Ebene des Zustandes ändert sich durch diese Kombinationen die Valenz nicht.
Etwas uneinheitlicher ist das Bild bei den Kombinationen mitgehen, wo Weinrich die folgenden aufzählt:
(144) gehe: verloren, holen, einkaufen, spazieren, baden, schwimmen, stiften64
Als der normale Fall können hier die Bildungen gelten, bei denen gehen als eine Art Archiverb für Bewegung gelesen werden kann. Gleichzeitig wird aber durch die infinite Konstruktion im Vergleich mit denkbaren präpositionalen Paraphrasen (zum Baden} die Akzentuierung des unmittelbar bevorstehenden Beginns dieser Handlung angedeutet. Es ist ja bekannt, dass gehen weltweit eines der geläufigsten Verben ist, um Fügungen zu konstruieren, mit denen ein Bezug auf die unmittelbare Zukunft kodiert wird (vgl. das englische going to).65 So weit ist das Deutsche nicht gegangen, es hat sich hier mit einer Stufe der Integration begnügt, bei der durch die spezifische Art der Reduktion der Finitheit des zweiten Klammerelements gezeigt wird, dass wir uns nicht mehr in der normalen Syntax befinden, sondern in einem Bereich, den man bei Sprachen, die so etwas systematisch machen (z.B. Kreolsprachen) serielle Verben [110] nennen würde. Sie bilden im Deutschen, wie oben schon angedeutet, zweifellos einen marginalen Bereich.
Man kann an diesen Typen der Verfestigung von Konstruktionen, die aus Verben mit Infinitiven bestehen, sehen, dass der Grad an Inkorporation häufig nicht eindeutig feststeht, so dass man das Schwanken zwischen dem Bereich der Syntax und dem der Wortbildung als Entsprechung der unterschiedlich zu interpretierenden Bindungsfestigkeit des Verbs betrachten kann.
N + V-Typen In ähnlicher Weise gilt das auch für Bildungen, bei denen Elemente ursprünglich nominalen Charakters als zweites Klammerelement integriert werden. Auch hier ist auf jeden Fall auffällig, dass die Menge der beteiligten verbalen Basen, d.h. ersten Klammerelemente, wenige allgemeine und zentrale Verben beschränkt ist. Mit Bezug auf die Zweiteiligkeit der Verben insgesamt gilt schon das Folgende:
(145) Am stärksten ist die Eignung zur lexikalischen Zweiteiligkeit bei Verben ausgeprägt, die Grundformen des menschlichen Verhaltens und Handelns ausdrücken, wie etwa mache, halte, führe, trage, bringe, gebe, nehme, setze, stelle, lege, sitze, stehe, liege, gehe, komme. (Weinrich 1993, S. 1033)
Und noch deutlicher wird die Tendenz, wenn man sich nur auf Bildungen mit nominalen Erstgliedern bezieht. Den Kern dieser Gruppe von Verben stellen jene Bildungen dar, die mit einem Element als zweitem Klammerteil verbunden werden, das nicht erweiterbar ist und zumindest in der Nähe dessen steht, was man inneres Objekt nennt (s. Weinrich 1993, S. 1053). So verhalten sich die Verben fahren (auto, rad, ski) und spielen, daneben aber wohl auch noch das schreiben in Maschine schreiben und womöglich weitere Fälle. Auffällig ist zudem die bei Weinrich ohne weiteren Kommentar angegebene Korrelation, dass hier auch die Vorverben geben, nehmen oder halten besonders produktiv seien.
(146) halte: hof, maß, stand, Schritt, Wort
gebe: kund, preis, statt, acht, Obacht
nehme: teil, Platz, Maß, Abschied, Abstand
Diese Basisverben sind nun nicht irgendwelche beliebigen allgemeinen Verben, vielmehr werden in ihnen die verschiedenen Aspekte oder Abschnitte von Übermittlungshandlungen sprachlich gefasst. Es werden durch sie drei Aspekte der damit gegebenen Konstellation herausgelöst. Dabei ist die Szene des Übertragens von etwas in ihre drei wesentlichen Schritte unterteilt, und von dem handelnden Subjekt her dargestellt. Bei halten haben wir ein Subjekt, von dem gesagt wird, dass es etwas festhält, nicht loslässt.66 Damit wird die Voraussetzung für das Handlungsschema, das in den anderen beiden Verben in Bewegung gesetzt wird, gegeben. Wenn man das [111] Subjekt beibehält, geht die Handlung, die in dem Verb nehmen gefasst wird, dem Vorgang des Haltens voraus, nachdem etwas ergriffen und genommen wurde, kann es gehalten werden. Die Handlung des Gebens schließt sich dann als letzte Teilhandlung an, sofern man das Subjekt gleich hält. Zudem bringen geben und nehmen in diesen Kontext ihre Dreiwertigkeit, d.h. einen systematischen Bezug auf alle denkbaren Handlungsrollen ein. Es handelt sich offenbar um relativ grundlegende Beziehungen, die es erlauben, sie in abstrakteren Ordnungsschemata zu verwenden. Wolfgang Raible (1992, S. 268) hat sich in seinem Buch über Junktion Gedanken gemacht, wie gerade diese Verben in der Spannung zwischen aggregativen und integrativen Ausdrucksmitteln zu einer Kondensation auf noch relativ aggregativer Basis genutzt werden. Dabei kann man grob gesagt Techniken der Aggregation als gestreckte, prädikative und Techniken der Integration als verdichtete, benennende begreifen. Auf einer noch kaum grammatikalisierten Stufe werden durch Zusammenrückung bestimmter verbaler Fügungen Handlungs-Konzepte stärker integriert:
(147) Daß hier gerade die Verben des Gebens und Nehmens für die „Serialisierung” von Handlungs-Konzepten wichtig sind, hat generell mit dem […] Paar `Voraussetzung und Folge' zu tun: Nehmen bzw. Greifen schafft die Voraussetzung, Geben stellt die Folge dar.
Dies ist keine schlechte Beschreibung der Verhältnisse von Verben wie teilnehmen mit seiner Patiens-Orientierung, die mit dem Vorverb nehme angekündigt wird, um in {teil} dann in spezifischer Weise gefüllt zu werden - ein Verb, das daher zu Recht unter keinen Bedingungen anders denn als eine einzige Benennungseinheit behandelt wird. Seine Zusammenschreibung steht daher außer Zweifel. Das gilt aber auch für ein Verb wie preisgeben, bei dem ebenfalls durch das Lexem geben einerseits das Ausgehen vom Subjekt, andererseits aber auch das seiner Dreiwertigkeit inhärente Zugewendetsein auf eine Person angedeutet wird, ebenso wie das betroffene Objekt, das in {preis} in voll lexikalisierter Form eingebunden wird. In diesem Prozess wird auf lexikalischer Ebene eine ähnliche Abstraktion vollzogen wie bei den Passiv-Verwandten in der Syntax, z.B. dem kriegen-Passiv. Wie dort wird auch bei den jetzt besprochenen Verben in der Kombination mit besonders infiniten Elementen, die aber auch nicht die Charakteristika ausgebauter Nominalität zeigen, eine konzeptuelle Abstraktion vollzogen - die Entsprechung von Grammatikalisierung auf lexikalischer Ebene. So spricht denn auch Raible (1992, S. 269) davon, Verben wie nehmen seien die idealen Kandidaten zur Entwicklung einer Art „finaler Diathese”, durch die typischerweise der aktanzielle Rahmen erweitert werde.
Analog zu der Darstellung bei Substantiv und Adjektiv ließen sich die Verhältnisse beim Verb folgendermaßen untergliedern. Dabei wird die Schwerpunktverschiebung auf den ersten Blick sichtbar: [112]
(148) Tabelle 3
VERBALE RELATIONIERUNG
TRANSPOSITION MODIFIKATION
Name |
Wortartwechsel l: Umkategorisierung |
Wortartwechsel II: Derivation l: Suffixbildung |
Derivation II: Präfixbildung |
Inkorporation l: Partikelverb |
Inkorporation II: Doppelpartikelverb |
Inkorporation III: Rektionskompositum |
Komposition
|
Vorgang |
Transponierung |
Transponierung |
Strukturierung |
Typisierung |
Lokale / direktionale Modifikation |
Variation |
Modifikation |
Ausgang |
substantivische und adjektivische Lexeme |
Lexeme (spez. Gruppen) |
Verben und andere Szenenelemente |
Verben und andere Szenenelemente |
Verben (oder Szenenelemente |
Verben + Szenenelemente |
Verben
|
Ziel |
Verbformen |
Derivat |
Derivat |
Kondensat |
Kompositoid |
Integrat |
Kompositum |
Technik |
Nennform der Ausgangswortart, Flexion der Zielwortart |
Lexematische Merkmale der Basis; Affixe der Zielwortart |
Lexematische Merkmale der Basis; systematisierende wortartspezifische Präfixe |
Lexematische Merkmale der Basis; Musterprägung durch generalisierte adverbiale Einbindung des (Erst-)elements |
Lexematische Merkmale der Basis; Modifikation durch direktionale (und andere lokale) Erstelemente |
Lexikalische Merkmale der Basis; rektionale Einbindung des Erstelements
|
Lexematische Merkmale der Basis; Überformung durch Adjektivprädikate |
Funktion
|
Symbolisierung |
Symbolisierung |
Reliefbildung |
Inszenierung |
Schematisierung |
Univerbierung |
Konversion |
[113]
ERLÄUTERUNG Bemerkenswert an der verbalen Wortbildung ist etwas, was DER TYPEN durch den Versuch einer Übersicht wie in (148) fast verdeckt wird. Verbale Wortbildung dient offenbar dazu, sprachlich verarbeitete Szenen und Schemata von verschiedenen beteiligten Sichtweisen und damit auch Elementen her dazustellen. Das kann einerseits dadurch geschehen, dass ein neues Verb aus dem Inventar der Substantive und (selten) Adjektive geschaffen wird, und zwar lediglich auf flexivischer Grundlage (s. Beispiele [149]) oder mithilfe von Infixen und Suffixen (s. Beispiele [150]). Dies betrifft die beiden Spalten Wortartwechsel I und II unseres Schemas.
(149) ihre Stempel spiegeln das Himmelblau (Strauß 1997, S. 17)
[…] ferkelte gleich noch mit ihrer feudeligen Zungenspitze über seine Zähne. (Politycki 1997,5.419)
am Boden ihrer Schlafkammer knieend oder hockend (Rehmann 1999, S. 83) und die Stille brennt und bleicht das hohe Gras am Hang (Strauß 1997, S. 22)
(150) die sie trösten wollten (Ransmayr 1991, S. 216)
schien sich allein vor […] dem Schein seiner Lampe nach und nach zu öffnen (Ransmayr 1991, S. 48)
[…] am Mittwoch also, während der Professor vom Podium tirilierte und tschilpte und tremolierte, und auch draußen ein richtig südlicher Tag aufzwitscherte am Himmel. (Politycki 1997, S. 101)
In den anschließenden Spalten - von der Präfixbildung bis hin zur Komposition überlagern sich die transpositionellen und modifikatorischen Typen bei den einzelnen Bildungsmitteln. Das ist das formale Korrelat dafür, dass in all diesen Wortbildungstypen verschiedene Teile des aufgerufenen sprachlichen Schemas als Basis der jeweiligen Bildung auftreten können. Natürlich sind am häufigsten und einfachsten die deverbalen Typen:
(151) deverbal
der […] einem Matrosen die Sehnen zerriß
des Schlachters, der selbst die Tiere überbrüllte
Als […], schlief er ein.
Die Geröllhalden, die […] aus den Wolken herabflossen
Schäumte ein Sturzbach über die Bordtreppe ins Dunkel des Zwischendeckes hinab
Die er wiedererkannte
Wer in den Nächten wachlag (Ransmayr 1991, S. 7, 12, 9, 10, 31, 12, 10)
Substantivische Basen rufen ein anderes signifikantes Element der geschilderten Szene auf:
(152) desubstantivisch
Während Gregors Vater wortlos, mienenlos seine Zeit zergabelte (Politycki 1997, S. 13)
zwischen verkrusteten Töpfen, Teegläsern und Brotresten
in einem verkohlten Packen Papier
Sie sahen die Liebenden einander umarmen
während Cyparis die Falben ausschirrte (Ransmayr 1991, S. 16, 19, 28, 23)
auf den nächstbesten Tisch sprang, daß es runterscherbte (Politycki 1997, S. 269) [114]
Adjektive sind die Basen von Kausativa und Rezessiva:
(153) deadjektivisch
den Ekel zu betäuben
Wenn der Projektor das Antlitz eines Helden ins Riesenhafte vergrößerte
durchquerte den Hof
die Gluthitze […] kühlte auch in einem ringsum blühenden Jahr nicht ab
hatte sich dann ausgebreitet (Ransmayr 1991, S. 30, 24, 16, 122 11)
Wie Katarinas Blick erblaute! (Politycki 1997, S. 255)
Eine Reihe von Basen lässt sich morphologisch nur schwer deuten; hier wird die musterschaffende Kraft der Präfixe besonders deutlich:
(154) diffuse Basis
um eine Neuigkeit zu verbrämen
zerknüllte es
mit […] ausgestattetes Zimmer (Ransmayr 1991, S. 11 17 9)
Das betrifft alle oben bereits ausführlich angesprochenen Typen der verbalen Integration. Was die Determinativkomposita angeht, so sind sie dadurch gekennzeichnet, dass sie von der Syntax her gesehen marginale Relationen zu einer textuellen oder systematischen Univerbierung nutzen, wobei die Grenzen zwischen einer markierten Syntax und einer markierten Wortbildung häufig nicht systematisch, sondern aus dem Kontext zu ziehen sind.67
43 Schon der Anteil des Adverbs an solchen Techniken erwscheint marginal, anderes wie etwa die Bildung desubstantivischer Präpositionen wird kaum unter dieser Überschrift behandelt.
44 Vgl. dazu die semantische Beschreibung der nicht primären Adjektive, die praktisch immer auf die mögliche Relation zwischen dem Adjektiv und dem Bezugswort rekurriert; so z.B. in Eichinger (1982, S. 209ff.) zu den Adjektiven auf -isch.
45 Neuere Übersichtsarbeiten tendieren dazu, diese Frage eher zu verneinen. So schliefst Motsch (1999, S. 48) die meisten dieser Fälle aus der Beschreibung aus. Und auch in der Duden-Grammatik tauchen Komposita in der Übersicht über die verbalen Wortbildungsmittel gar nicht auf. (Duden 1998, S. 447)
46 Meines Erachtens handelt es sich hier um eine echte Wahl, deswegen soll hier auch nicht ei Schreibung gesucht werden, die das verdecken würde. So machen das z.B. Motsch (1999), d diese Phänomene zur Syntax zählt, oder Weinrich (1993), der aus diesem Grund seine Wortbili art „Konstitution” weit in syntaktische Phänomene ausgreifen läßt.
47 Wir werden im Weiteren bei den zentralen Eigenschaftswörtern von Adjektiv I, bei den nur attribuierenden Zugehörigkeitsadjektiven von Adjektiv II und bei den Adjektiven, die auf eine adverbale Relation zurückzuführen sind, von Adjektiv III sprechen.
48 Das wären Bildungen wie Eichbaum, Haifisch u. dergleichen.
49 Das ist zweifellos auch eine semantische Funktion, allerdings schon durch die Form als `gröber' klassenbildend ausgewiesen; zur Berücksichtigung der semantischen Seite wie bei Donalies (1999b) gehört aber doch auch die der Form.
50 Weniger abgeschlossen wären die ebenfalls vorgangsbenennenden substantivisch verwendeten Infinitive; ein Beispiel dafür findet sich in b): hier steht wohl Aufgeben, weil die Bildung des Normalworts *Aufgebung durch die Existenz des Substantivs Aufgabe blockiert ist, das seinerseits nicht eindeutig genug auf die hier verlangte Bedeutung festgelegt ist.
51 Geber ist mit entsprechender Bedeutung `Gerät, das nichtelektrische Meßgrößen in elektrische umsetzt' im Duden-Wörterbuch (S. 1228) verzeichnet; der ebenfalls im Text vorkommende Elektroschocker ist eine Ableitung zu lexikalisiertem Elektroschock.
52 Am Beispiel nichtindianische Bevölkerung ausführlich dargestellt in Eichinger (1982).
53 Die angedeutete Hierarchie zwischen den beiden Partizipialformen bringt Harald Weinrik (1993) dazu, sie entsprechend anders zu benennen, Peter Eisenberg (1998) schließt das Partizip I aus dem verbalen Paradigma aus.
54 Mit gewissen Randphänomenen: vgl. Wörter wie unterschwellig, die wie Eigenschaftsvarianten zu Bildungen wie dortig aussehen.
55 Vergleiche „Die Moskitos, wenn sie torkelig daherflogen“ (Handke 1979, S. 24) (`torkelnd').
56 In gewisser Weise zwischen den Gruppen steht auch der Typ adelig, wie auch die prädikative Verwendbarkeit zeigt.
57 Nur das heute produktive deverbale Muster, nicht das noch in historischen Resten erhaltene desubstantivische mit der `Tragen'-Bedeutung von -bar: fruchtbar usw. Eisenherg (1998, S. 269) stellt allerdings völlig zu Recht fest: „Unter den kategorienverändernden Derivationssuffixen dürfte es […] kaum eines geben, das mit so hoher Regelmäßigkeit angewendet werden kann wie -bar. Als Derivationssuffix ist -bar eher untypisch und nicht etwa eine >ideale< oder gar prototypische Wortbildungseinheit.“
58 Von kennen lernen bis kalt stellen.
59 Damit sind sie natürlich ein notorisches Problem für dependentielle syntaktische Beschreibungen, vgl. Verwendungen vom Typ: Er schält die Kartoffeln ins Spülbecken.
60 In Anbetracht dieser Befunde erscheint mir der einfache Ausschluss dieser Kombinationen aus der Wortbildung wie bei Motsch (1999) oder Zifonun (1999) als problematisch.
61 Schon der Vergleich mit Nachbarsprachen wie dem Englischen zeigt, daß diese Marginalität damit zu tun hat, dass das Partizip I aus dem grammatischen System des deutschen Verbs ausgeschieden ist, und nur als normale adverbiale Ergänzung vorkommt.
62 Ähnliches müsste man wohl auch von den genannten Kombinationen mit lernen sagen.
63 Vgl. dazu auch, was Raible (1992, S. 98) im Anschluss an die Behandlung der verschiedenen finnischen Infinitive ausführt: „Sie können auch in mannigfaltiger Weise im Bereich der Verb-Verb-Verbindungen auftauchen und dabei vor allem das Partizipatum, den Verbinhalt, verändern.”
64 Davon ist verloren kein Infinitiv, zeigt aber als Partizip 11 immerhin, daß das Muster in einer Weise ausgreift, dass in Kombination mit gehen, das ja typischerweise ein agentisches Subjekt verlangt, dennoch der Patiens erreicht werden kann. Spazierengehen ist der im verbalen Bereich nicht so häufige Fall eines explikativen Kompositums, um den ich nicht viel systematischen Wesens machen würde.
65 Raible (1992, S. 267) verweist auf Überlegungen von Haspelmath, über die Kategorie des Zwecks den Weg von entsprechenden zielorientierten Phrasen zum Infinitiv hin als universale Grammatikalisierungstendenz zu betrachten.
66 Wegen der Lexikalisierung von halten als so etwas wie `festhalten, behaupten' (vgl. Duden-Wörterbuch 1999, S. 1650-1652), kommt wohl dieses Verb bei Schumacher (1986, S. 721 ff.) unter den „Verben des Besitzes und Besitzwechsels” nicht vor, sondern nur das speziellere behalten oder das generellere haben. Entsprechend auch der Eintrag von halten in dieser Verwendung bei der Untergruppe des Greifen-Modells bei Ballmer/Brennenstuhl (1986, S. 312), die paraphrasiert wird: Festhalten jd 1 etw 2.
67 Wir werden bei der Behandlung der Komposition im nächsten Kapitel nochmals auf diese Frage zu sprechen kommen.
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