Prof. Dr. sc. oec. Peter Garbe
Greifswald
Deutschland
Internationale Finanzen
Thema 1: Ursachen und Auswirkungen der gegenwärtigen weltweiten
Finanzkrise
Grobgliederung der Vorlesung:
Weltweite Erscheinungen der Finanzkrise und bisheriger Verlauf
Milliardenverluste internationaler Großbanken und Rettungsversuche durch staatliche Hilfsprogramme;
Schwierigkeiten im Interbankenhandel mit Krediten;
Abschreibungsbedarf „fauler“ Kredite und Wertpapiere der Banken in Milliardenhöhe;
Vertrauensverlust im Investmentbanking, Zusammenbruch großer amerikanischer Investmentbanken (Lehman Brothers, Bear Stearns u.a.), Konkursgefahr bei der größten deutschen Hypothekenbank Hypo Real Estate;
Verluste für Millionen amerikanische Hausbauer und Existenzbedrohung;
Verluste für Sparer und Kleinanleger durch Wertverfall von risikobehafteten Wertpapieren;
Vertrauensverlust von Sparern und Kleinanlegern gegenüber dem Bankensystem;
Verstärkung und zeitliche Beschleunigung der Konjunkturkrise in den Industriestaaten (Exportwirtschaft, Autoindustrie, Maschinenbau uam.);
Auslöser der Finanzkrise
US-Niedrigzinspolitik seit dem Anschlag vom 9. September 2001 (Alan Greenspan);
Anreize für den privaten Hauskauf durch niedrige Zinsen und Subprime-Kredite (Kredite mit niedrigen Zinsen und ohne Eigenkapital für Menschen mit niedrigem Einkommen und ohne Vermögen) durch amerikanische Hypothekenbanken (Freddie Mac, Fannie Mae, u.a.)
Steigende Grundstücks- und Hauspreise durch große Nachfrage;
Verbriefung der Kreditrisiken in Finanzderivate und Handel am Kapitalmarkt;
Massenhafte Zahlungsunfähigkeit der Hauskäufer nach Rückgang des Preisbooms am Grundstücksmarkt, Zwangsversteigerung der Häuser, Platzen der sog. „Immobilienblase“;
Wertverluste und Unverkäuflichkeit der Immobilienderivate an den Kapitalmärkten, hohe Bilanzverluste der Banken, Übertragung der Verluste auf dem globalisierten Kapitalmarkt in alle Welt;
Hauptursachen der Finanzkrise
Ungenügende Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte durch nationale und internationale Behörden (Neo-Liberalismus);
Gigantische „Finanzinnovationen“ (Termingeschäfte, Derivate, Hedgefonds, Spekulationspapiere) haben Rendite der Banken erhöht und zu unkontrollierter Ausweitung fiktiver Finanzeinkommen geführt (Warren Buffet: „Massenvernichtungswaffen“);
Polarisierung der Finanzeinkommen bei immer weniger Milliardären und Reduzierung der Realeinkommen bei der Masse der Bevölkerung;
Senkung der konsumtiven Nachfrage in der Realwirtschaft;
Ausweitung der Zocker- und Spielermentalität an den Finanzmärkten;
Finanzmärkte und Finanzeinkommen lösen sich immer mehr von der Realwirtschaft, 2007: Weltweit produziertes Bruttoinlandsprodukt (BIP) : ca. 54 Billionen US-$, Volumen der verbrieften Kreditversicherungen in den Banken: geschätzt 57 Billionen US-$;
Versagen der Rating-Agenturen bei der Vergabe von Sicherheitsbescheinigungen für Wertpapiere (z.B. AAA als höchste Anlagesicherheit für ein Wertpapier)
Ungenügende und nicht objektive Beratung der Banken bei Geldanlagen für Kleinanleger (z.B. der Verkauf von Papieren von Lehman Brothers und der isländischen Kauthing Bank an Millionen deutsche Kleinanleger durch deutsche Sparkassen und Banken;
Tendenzielle Einflussnahme der Medien auf das Anlageverhalten von Kleinanlegern ;
Auswirkungen der Finanzkrise
Gegenwärtige Krise ist hinsichtlich der Größe der negativen Auswirkungen größte Krise nach dem 2. Weltkrieg und in einigen Aspekten mit der Weltwirtschaftskrise 1929 vergleichbar;
Bankensystem und Kapitalmärkte werden sich erheblich verändern (Konkurse, Fusionen, Verstaatlichungen, Enteignung, Kontrolle und Regulierung), Arbeitsplatzabbau in der Finanzwirtschaft;
Kreditsystem für die Realwirtschaft ist in seiner Funktionalität erheblich eingeschränkt;
Staaten und die Staatengemeinschaft sind zu gigantischen Rettungspaketen verpflichtet, um Zusammenbruch des Finanzsystems und des Kapitalmarktes zu verhindern (USA: ca. 1 Billion US-$, Deutschland ca. 500 Milliarden Euro usw.)
Finanzkrise hat die Konjunkturkrise der Realwirtschaft erheblich verstärkt, Rückgänge des BIP zwischen 3 bis 15 Prozent werden im Jahr 2008 wahrscheinlich, bei einzelnen Branchen noch stärkere Rückgänge z.B. Automobilwirtschaft 20 bis 30 Prozent, Exportwirtschaft bricht um 15 bis 20 Prozent ein;
Einzelne Staaten stehen vor dem Staatsbankrott (z.B. Island, Griechenland, Lettland, Rumänien u.a.)
Einzelne Währungen haben erheblichen äußeren Wertverlust gegenüber $ und Euro, z.B.: Pfund Sterling, Rubel, Zloty, Yuan u.a.
Durch Verstärkung der Konjunkturkrise in der Realwirtschaft ist mit erheblichem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen und mit Sinken der Realeinkommen;
Staatliche Rettungspakete und deren Begrenzung
Ohne riesige staatliche Rettungspakete ist die Krise nicht einzudämmen und ihre Auswirkungen nicht zu stabilisieren, Aber: Sind staatliche Hilfe unbegrenzt ? Sind Gelder der Steuerzahler moralisch zu rechtfertigen für Missmanagement und Geldgier ? Wird nicht der Wettbewerb national und international verzerrt ?
Staatliche Beteiligungen an Banken und Industrieunternehmen widerspricht der ordnungspolitischen Funktion des Staates in der Marktwirtschaft;
Zeitlich begrenzt und in Ausnahmefällen möglich bis zur Schuldengrenze des Staates;
Wo ist Schuldengrenze des Staates ? Kann der Staat bankrott gehen ?
Schuldengrenze wird formal von 2 Kriterien bestimmt: Erstens von der Fähigkeit die Schuldenzinsen und die Tilgung der vorhandenen Schulden bedienen zu können, Zweitens von der technischen Möglichkeit weitere Schulden machen zu können, d.h. am Kapitalmarkt zu einem akzeptablen Zins Staatsanleihen weiter verkaufen zu können;
Kann in dieser Situation die EU helfen ? Länder die Mitglied in der EU sind bzw. bereits zur Euro-Zone gehören haben bessere Bedingungen Zahlungsunfähigkeit zu entgehen (Beispiel Island: EU-Kommission hat einem Dringlichkeitsverfahren zum Beitritt Islands in die EU bereits 2010 zugestimmt, um Wirtschaft und Finanzen des Landes zu stabilisieren)
Euro-Zone prüft Möglichkeit zur Verbesserung der Geldbeschaffung am Finanzmarkt für kleinere EU-Länder (Euro) evt. Gemeinschaftliche Euroanleihen aufzulegen;
Bei Schuldenproblematik der EU-Staaten darf auch nicht auf lange Sicht die Schuldengrenze durch den Euro-Stabilitätspakt vergessen werden (max. jährliche Neuverschuldung 3 Prozent des BIP);
Bei Schuldenproblematik darf auch nicht die mittelfristige Wirkung von Schulden auf die Steigerung der Inflationsrate außer acht gelassen werden (Schulden erhöhen das volkswirtschaftliche Geldvolumen und führen somit zum Preisanstieg für Güter und Leistungen);
Könnten die hoch verschuldeten Staaten nicht ihre Währungsreserven in Gold verkaufen ?
Prinzipiell ja, aber es entlastet nicht den Finanzbedarf; Beispiel Deutschland: Obwohl Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Goldreserven gehört (Bestand von ca. 3.500 Tonnen) würde dieses Gold durch einen Verkauf nur einen Bruchteil des Geldbedarfes des Staates decken (bei einem derzeitigen Goldpreis von ca. 930 US-$ je Feinunze (31,13 Gramm) könnten ca. 75 Milliarden Euro erlöst werden (bei einem Geldbedarf von mehreren hundert Milliarden Euro);
Globale Finanzkrise ist nur durch gemeinschaftliche Anstrengungen der Staatengemeinschaft zu beherrschen
Die wichtigsten Krisenszenarien finden zur Zeit innerhalb der EU und als „Weltkrisengipfel“ im Rahmen der sog „G 20“ Staaten statt;
Wichtigste Ziele sind hier zunächst die Sicherung der Funktionstüchtigkeit des Finanzsystems und der Kapitalmärkte durch koordinierte nationale Rettungsprogramme, Hauptziel für eine Neuausrichtung der Finanzmärkte ist weltweit größere Transparenz der Finanzinstrumente und der Markttransaktionen durch strikte Kontrolle und Regulierung der Märkte;
Diesen Zielen stehen allerdings immer noch die für große Freizügigkeit der Märkte plädierenden Amerikaner und Briten entgegen, durch US-Präsident Obama zeichnet sich aber auch ein gewisser Ausgleich der Interessen auf diesem Gebiet ab;
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