Fritz Skowronnek Pan Kaminsky

Fritz Skowronnek

Pan Kaminsky

Roman

1. Kapitel

Frau Doktor Peters war einige Tage früher, als sie sich vorgenommen hatte, nach Berlin zurückgekehrt. Kaltes, unfreundliches Wetter hatte sie vertrieben. Berlin dagegen erfreute sich eines köstlich milden Herbstes. Bei Josty und Siechen am Potsdamer Platz saß man noch bis spät abends im Freien... In den Gärten blühten noch Astern und Georginen in voller Pracht...

Am Morgen nach ihrer Rückkehr ließ sie sich die inzwischen eingelaufenen Briefe geben. Kopfschüttelnd legte sie einen Brief ihres Mannes beiseite. „Denken Sie sich bloß, liebe Ulrike“, sagte sie zu ihrer Gesellschafterin, die ihr mit einer Häkelarbeit gegenübersaß, „mein Mann bringt noch zwei Personen mit, die er in Ostpreußen aufgegabelt hat. Einen abgedankten Schulmeister, der die Erziehung unseres Jungen überwachen und leiten soll, und einen jungen Polen.“

Sie nahm wieder den Brief zur Hand. „Das ist eine ganz romantische Geschichte. Dieser Fedor Poranski wächst als Waise auf, ohne von seiner Herkunft etwas zu ahnen. Als russischer Soldat entflieht er nach Preußen, wird Fischerknecht, und schließlich steigt er zum Inspektor des großen Betriebes auf. Dort lernt ihn mein Mann kennen. Er nimmt ihn auf eine Reise nach Warschau mit, und dort entdeckt dieser Jüngling, daß er aus einer adligen Polenfamilie stammt. Sein Vater und Bruder erkennen ihn an. Trotzdem kehrt er mit meinem Mann nach Deutschland zurück.“

Ulrike von Levetzow sah von ihrer Arbeit auf. Ein stilles, vornehmes Gesicht mit dunklen Augen. In ihrem Madonnenscheitel lagen schon vereinzelt graue Haare. „Allerdings, ein sehr romantisches Lebensschicksal. Der junge Mann scheint eine ungewöhnliche Energie zu besitzen.“

Frau Doktor Peters nickte, während sie schon den zweiten Brief öffnete. Indem sie ihn überflog, schüttelte sie den Kopf und lachte hart auf. „Das habe ich mir schon gedacht... Das sieht meinem Mann ähnlich... Na, Gott sei Dank bin ich noch da... Denken Sie sich, Ulrike, hier schreibt mir die Wiggers, die mein Mann, wie es scheint, ohne Grund entlassen hat, der junge Pole liebe unsere Annemarie, und seine Neigung werde von meiner Tochter erwidert... und mein Mann soll diese Neigung begünstigen...“ Sie reichte den Brief ihrer Gesellschafterin hinüber. „Da, lesen Sie selbst.“

„Gnädige Frau“, erwiderte Ulrike von Levetzow, nachdem sie den Brief gelesen hatte, „das ist ein Racheakt der entlassenen Engländerin. Er atmet Gift und Galle. Ich würde darauf nichts geben.“

„Halten Sie es denn für möglich, daß die Person sich solche Dinge aus dem Finger saugt? Ich nicht. Wo Rauch ist, pflegt auch Feuer zu sein.“

„Ich kann mir darüber nach den kurzen Andeutungen, die Sie mir gegeben haben, kein Urteil erlauben“, erwiderte die Gesellschafterin ruhig.

„Mir ist die Sache ganz klar, und ich lege Gewicht darauf, liebe Ulrike, daß Sie nicht im Dunkeln tappen. Mein Mann hat bei seinem Aufenthalt in Ostpreußen vom ersten Augenblick an dem jungen Mann, dem Polenflüchtling, einen Narren gefressen. Dann fügte es der Zufall, daß dieser Fedor unsere Kinder aus schwerer Lebensgefahr rettete. Nach allem, was mir mein Mann und die Kinder darüber geschrieben haben, muß er dabei ungewöhnliche Tatkraft bewiesen und sein Leben dabei eingesetzt haben. Ich bin die letzte, liebe Ulrike, die so was nicht anerkennt. Aber solch eine Tat belohnt man mit einem Stück Geld, und dann sorgt man vor allen Dingen, daß sich das Gefühl der Dankbarkeit in der eigenen Tochter nicht zu einer Neigung auswächst. Mein Mann tut das Gegenteil. Er unternimmt mit dem Jüngling die Reise nach Warschau, um seine Herkunft aufzuklären. Es gelingt ihm wunderbarerweise. Der Fischerknecht entpuppt sich als der älteste Sproß eines alten polnischen Adelsgeschlechts von Kaminsky. Das Kind war den Eltern in den Wirren der letzten Revolution abhanden gekommen, es trug aber das Wahrzeichen des Geschlechts, eine goldene Denkmünze, an dünner Kette um den Hals. Auch die Ähnlichkeit mit Vater und Bruder wirkten mit...“

„Ich schließe nun“, fuhr sie nach einer Weile fort, „daraus, daß der junge Mann nicht bei seiner Familie in Polen bleibt, zweierlei. Erstens, daß die Familie arm ist und ihm nichts bietet, und zweitens, daß Miß Wiggers recht hat, daß der junge Mann unsere Annemarie liebt und sich Hoffnungen auf ihre Hand macht. Er wird bei seiner Energie auch so viel Klugheit und Berechnung besitzen, um zu wissen, daß Annemarie eine sehr reiche Erbin ist. Sagen Sie selbst, Ulrike, habe ich nicht recht?“

„Ich möchte daraus schließen, daß der junge Mann Eigenschaften besitzen muß, die ihm die Achtung und das Wohlwollen Ihres Gatten erworben haben. Ich kenne zwar Ihren Gatten noch nicht, gnädige Frau, aber ich muß doch annehmen…“

Frau Peters lachte laut auf. „Sie scheinen meinen Mann für einen Ausbund von Klugheit und Lebenserfahrung zu halten. Nun ja, er ist ein umsichtiger, tüchtiger Geschäftsmann. Aber daneben ist er von einer grenzenlosen Gutmütigkeit und Vertrauensseligkeit. Er läßt es ruhig geschehen, daß Annemarie sich in ihren Lebensretter verliebt. Na, Gott sei Dank ist sie noch ein Kind von sechzehn Jahren. In dem Alter haben wir wohl alle eine oder mehrere solcher kleinen Schwärmereien durchgemacht. Deswegen mache ich mir noch keine Sorgen. Nach sechs, sieben Jahren, eher laß ich das Kind nicht heiraten, wird Annemarie einen Mann nehmen, der ihrer Erziehung und ihrem Vermögen entspricht.“

Ein Lächeln huschte flüchtig um die Mundwinkel der Gesellschafterin.

„Sie sind eine Schwärmerin, liebe Ulrike“, meinte Frau Peters etwas scharf. „Ich halte nichts von den sogenannten Liebesheiraten. Sie entstehen meist aus einem flüchtigen Rausch, der schon im ersten Jahr der Ehe, sobald man sich näher kennenlernt, verfliegt.“

„Nicht immer, gnädige Frau“, warf Ulrike von Levetzow ein. „Es gibt auch Neigungen, die ein ganzes Leben hindurch dauern.“

„Ja, in Romanen, im Leben nicht, liebe Ulrike. Glauben Sie mir, eine sogenannte Verstandesehe, auf gegenseitige Achtung begründet, ist viel dauerhafter und bequemer. Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe in meiner Jugend eine stürmische Leidenschaft durchgemacht. Zwei Jahre habe ich gekämpft und gerungen, bis ich den Widerstand meiner Eltern überwand. Dann durften wir uns verloben. Ich war überselig, obwohl uns eine Prüfungszeit von drei Jahren bis zur Hochzeit auferlegt wurde. Und das war mein Glück, denn schon nach weiteren zwei Jahren sah ich ein, daß ich in der Ehe kreuzunglücklich werden würde, und gab meinem Verlobten den Laufpaß.“

„Weshalb antworten Sie nicht“, fuhr sie nach einer Weile fort, und ihre Stimme verriet etwas Unmut. „Ich weiß, was Sie denken. Ich lese jeden Gedanken auf Ihrem Gesicht. Sie meinen, meine Leidenschaft hat nur den äußeren Vorzügen meines Verlobten gegolten.“

„Ja, gnädige Frau, das sind Fälle, die im Leben wohl sehr oft vorkommen. Es gibt aber auch Fälle, wo die Neigung langsam aus der Wertschätzung des anderen emporwächst und sich allmählich vertieft, je mehr man die seelischen Vorzüge des Geliebten schätzen lernt. Das sind die Neigungen, die zu einer wahrhaft glücklichen Ehe führen.“

Frau Peters zuckte die Achseln. „Sie sind unausstehlich, meine Liebe, mit Ihrer salbungsvollen Weisheit. Von der Seite habe ich Sie noch nicht kennengelernt. Sie scheinen mir auch an einer solchen versetzten Jugendliebe zu leiden.“

Ulrike von Levetzow hob den Kopf. In ihren Augen lag ein sanfter Schimmer. „Ja, gnädige Frau, ich habe einen Mann geliebt, der meiner Neigung würdig war und sie ebenso stark erwiderte. Äußere Verhältnisse haben unsere Vereinigung gehindert.“

„Und Ihr Geliebter hat sich schon lange mit einer anderen getröstet.“

„Nein, gnädige Frau, er hat auch nicht geheiratet.“

„Wie romantisch. Es ist mir nur lieb, daß ich das jetzt noch erfahre.“

„Weshalb, gnädige Frau?“

„Weil ich nun auf Ihre Mitwirkung bei der Erziehung meiner Tochter verzichten muß. Ich muß annehmen, daß Sie imstande sind, meinen Wünschen entgegenzuhandeln und meine Tochter in ihrer Neigung zu dem jungen Polen zu bestärken.“

Die Gesellschafterin erhob sich. „Wenn gnädige Frau mir die Aufgabe zuteilen wollen, in Ihrem Sinne auf Fräulein Annemarie einzuwirken, dann muß ich meinen Platz einer anderen freimachen, die Ihren Erwartungen besser entspricht. Ich habe mich nur als Gesellschafterin bei Ihnen verpflichtet und muß es ablehnen, irgendeine erzieherische Tätigkeit auf Ihre Tochter auszuüben.“

Frau Peters streckte die Hand nach ihr aus. „Nur nicht so hitzig, liebe Ulrike. Sie sind mir die angenehmste und bequemste Gesellschafterin, die ich bisher gehabt habe. Und Ihre energische Erklärung genügt mir. Ich halte Sie auch für klug genug, um eine vertrauliche Annäherung meiner Tochter, die zu einer mir unerwünschten Einwirkung führen könnte, abzulehnen. Weiter verlange ich von Ihnen nichts. So, nun geben Sie mir Ihre Hand. Ich vertraue Ihnen vollständig.“

Sie flog noch einige Briefe durch, die sie augenscheinlich innerlich nicht berührten. Dann erhob sie sich. „Wir wollen noch auf eine Stunde ausführen, ich muß mir noch ein paar Roben für den Winter anfertigen lassen. Haben Sie schon eine Ahnung, was die neueste Mode bringen wird?“

„Ich glaube ja, gnädige Frau.“

Der alte Diener, der auf den Ruf der elektrischen Glocke eintrat, brachte ein Telegramm. „Sicherlich von meinem Mann“, sagte Frau Peters. „Jawohl, die ganze Kavalkade rückt heute abend ein. Das Auto und zwei Gepäckwagen sind um halb sieben auf dem Bahnhof in Charlottenburg“, wandte sie sich an den Diener. „Um acht Uhr Abendessen, und mein Auto steht in zehn Minuten vor der Tür.“

Doktor Peters hatte mit seinen Kindern Annemarie und Erich, dem jungen Polen Fedor Poranski und Bogumil, wie Erichs Erzieher von allen genannt wurde, auf der Rückreise die Marienburg besucht, das herrlichste Bauwerk der deutschen Ostmark, und sich dann noch einige Tage in Danzig und Umgegend aufgehalten. Die alte Hansestadt bot ihnen so viel interessante Eindrücke, und in der Umgegend entdeckten sie so viel Schönheiten, daß sie ihren Aufenthalt um mehrere Tage verlängerten. Die Rückfahrt in einem Abteil erster Klasse verlief so angenehm und anregend, daß sie munter und frisch nach Berlin zurückkamen. Peters hatte in den letzten Tagen mit seinem Schützling eingehend über die Gestaltung seines Lebensweges gesprochen. Er sollte zunächst fleißig lernen und studieren. Die Kenntnisse, die der junge Mann sich unter Bogumils Anleitung bis jetzt erworben hatte, entsprachen etwa dem Bildungsstand eines begabten Volksschülers. Jetzt mußte er durch Privatunterricht Französisch und Englisch lernen und die Kenntnisse einer Oberrealschule erwerben. Daneben konnte er schon an der Hochschule als Hospitant Vorlesungen allgemein bildender Natur hören, die seinem Verständnis angemessen waren. Für die geeigneten Lehrer wollte Peters sorgen.

Bis die Lehrer beschafft waren, sollte Fedor in Peters Villa im Grunewald wohnen, dann aber eine möblierte Wohnung im Gelehrtenviertel Berlins beziehen.

Mit Vergnügen hatte Peters beobachtet, wie taktvoll sich Fedor gegen Annemarie benahm, die in unbefangener Herzlichkeit. Mit ihm wie mit einem älteren Bruder verkehrte. Sie wollte Fedor auf der Eisenbahnfahrt das Versprechen abnehmen, jeden Abend in ihrem Hause zu erscheinen. Er hatte lächelnd abgewehrt. „Ich habe so viel zu lernen, daß ich dazu keine Zeit haben werde. Und wenn ich mal abends ein paar Stunden erübrige, dann möchte ich ins Theater gehen oder mir ein Konzert anhören.“

Annemarie nickte traurig. „Ja“, meinte auch Peters, „Fedor hat recht, erst die Pflicht und dann das Vergnügen. Aber am Sonntag kommt er zu Mittag und bleibt bis zum Abend bei uns.“

Die Begrüßung zwischen den beiden Ehegatten war so herzlich wie zwischen zwei guten Freunden, die erfreut sind, sich nach langer Trennung wiederzusehen. Die Kinder umarmten die Mutter, küßten ihre Hand und ließen sich von ihr auf die Stirn küssen. Während Fedor noch bescheiden im Hintergrund stand, führte Peters seiner Gattin den alten Herrn zu. „Das ist unser neuer Hausgenosse mit dem masurischen Namen Soyka. Wir nennen ihn alle mit seinem Schriftstellernamen Bogumil.“

Frau Peters sah in ein bartloses, frisches Gesicht, aus dem ihr zwei kluge Augen freundlich entgegenlächelten.

Vertrauensvoll streckte ihr der alte Herr die Hand entgegen. „Ihr Herr Gemahl trägt die Verantwortung, solch einen alten, knorrigen Baum noch in neues Erdreich zu verpflanzen, gnädige Frau.“

Die Hausherrin nickte ziemlich hochmütig. Dann trat Fedor heran und beugte sich tief über ihre Hand. „Das ist mein Schützling, liebe Eveline, dem wir es verdanken, daß unsere beiden Kinder dem Leben erhalten blieben. Er heißt mit seinem richtigen Namen Zbigniew von Kaminsky, wir nennen ihn aber Fedor, mit dem Namen, den er als Kind und Flüchtling trug. Er wird für ein paar Tage unser Gast sein, bis er sich eine Wohnung in der Stadt eingerichtet hat.“

Ohne ein Wort an den Gast zu richten, wandte sich Frau Peters ab. „Du gestattest, daß ich dir meine neue Gesellschafterin vorstelle, Fräulein Ulrike von Levetzow.“

Peters streckte ihr die Hand entgegen. „Ich begrüße Sie in meinem Hause. Mögen Sie sich bei uns wohlfühlen. Das sind unsere Kinder Annemarie und Erich. Die Namen der beiden Herren haben Sie schon gehört.“

Das Abendessen verlief ziemlich gemütlich. Peters erzählte lustig von seinen Fahrten durch Masuren und Rußland. Die Kinder schilderten ihre Fahrten auf dem Spirding und ihre Rettung durch Fedor. Bogumil warf öfter eine launige Bemerkung dazwischen. Nur Fedor saß schweigsam an der Tafel. Er hatte vorn ersten Augenblick an das richtige Gefühl, daß die Hausfrau ihm ablehnend gegenüberstand. Auch Bogumil mißfiel ihr. Der alte Herr zeigte nicht die geringste Befangenheit, obwohl ihm der ganze Zuschnitt des reichen Hauses etwas Ungewohntes war. Mit Befremden sah Frau Peters, wie ihr Sohn Erich sich an den alten Mann anschmiegte und während des Essens um ihn besorgt war. Sie merkte, daß sich da Beziehungen entwickelt und gefestigt hatten, die sich schwer wieder lösen lassen.

2. Kapitel

Nach dem Frühstück suchte Frau Peters ihren Gatten in seinem Arbeitszimmer auf. Er erwartete bereits ihren Besuch. Ohne daß von ihrer Seite auch nur eine Andeutung gefallen war, hatte er gefühlt, daß sie durch das Erscheinen seines Schützlings Fedor beunruhigt war. In höflicher Zuvorkommenheit erhob er sich bei ihrem Eintreten, küßte ihr die Hand und geleitete sie zu einem Sessel, dem gegenüber er an seinem Schreibtisch Platz nahm. Ein feines Lächeln zwinkerte um seine lustigen Augen.

„Ich freue mich, Eveline, daß du mir schon heute Gelegenheit zu einer Aussprache gibst.“

Seine Frau setzte eine abweisende Miene auf. „Ich bezweifle, daß deine Freude darüber sehr groß sein wird. Ich empfinde es als eine grobe Rücksichtslosigkeit, daß du dir einen alten masurischen Bauern als Hausgenossen mitbringst.“

„Liebe Eveline“, erwiderte Peters mit unerschütterlichem Ernst, während ihm schon der Schalk im Nacken saß, „du hast noch nicht unter der rauhen Seele den edlen Kern erkannt. Mein Freund Bogumil ist ein alter, abgeklärter Herr aus einem uralten Starostengeschlecht, das dem Vaterlande eine ganze Reihe hervorragender Männer geschenkt hat, dabei von einer rührenden Bescheidenheit. Er wird dir im Hause nicht lästig fallen.“

Frau Eveline warf mit einer kurzen Bewegung den Kopf in den Nacken. Ihre Nasenflügel bebten. „Das werde ich zu verhindern wissen. Es ist mir nur nicht klar, welche Stellung er in unserm Hause einnehmen soll.“

„Die Stellung des Mannes, dem ich die Erziehung meines einzigen Sohnes anvertraut habe.“

Frau Eveline antwortete zunächst nur mit einer lässigen Handbewegung, als wolle sie damit den energischen Ton zurückweisen, mit dem ihr Mann erwidert hatte. „Das ist deine Sache, für die du allein die Verantwortung trägst. Dann möchte ich aber noch wissen, was für eine Bewandtnis es mit dem Polenjüngling hat, für den du dich so lebhaft interessierst.“

„Das will ich dir gern in einem längeren Vortrag auseinandersetzen, liebe Eveline“, erwiderte Peters. „Ich lernte ihn zunächst als einen äußerst bescheidenen und zuvorkommenden Menschen kennen, der mir das Häuschen verschaffte, in dem wir so schöne Tage verlebt haben. Dann erfuhr ich, daß er mit einer beispiellosen Energie sich aus den Fesseln einer unwürdigen Knechtschaft befreit hatte und nach Preußen gekommen war, um ein neues Leben zu beginnen.“

„Er begann also mit einem Wortbruch“, warf Eveline mit deutlicher Schärfe ein.

„Jawohl, er war ein fahnenflüchtiger russischer Überläufer. Da ich dir aber jetzt nicht ausführlich auseinandersetzen kann, was ihm das Recht gab, diese unwürdigen Fesseln zu zerbrechen, will ich dir nur kurz mitteilen, daß ich seine Handlungsweise nicht nur verstehe, sondern auch rückhaltlos billige. Mit derselben Energie ging er an den Aufbau seiner Zukunft. Er gewann das Vertrauen eines alten Mannes, den ich jetzt auch sehr hochschätze.“

Frau Eveline klopfte nervös mit der Fußspitze den Boden. Ihre Finger krumpften sich um die Seitenlehne des Sessels. „Das ist doch alles nebensächlich. Ich will nur wissen, was für Absichten du mit deinem Schützling hast.“

„Bedaure sehr, liebe Eveline, zu dieser Aussprache gehört unbedingt, daß ich dir den Charakter meines Schützlings genau schildere.“

„Ich verzichte darauf“, erwiderte Frau Eveline mit deutlicher Schärfe im Ton. „Ich will nur wissen, ob du dir an dem jungen Menschen deinen Schwiegersohn heranziehen willst.“

„Wie kommst du darauf?“

„Ich weiß alles, und ich habe gestern meine Beobachtungen gemacht. Der junge Mensch ist bis über beide Ohren in unsere Annemarie verliebt, und du hast es geschehen lassen, daß sich in ihr infolge der romantischen Lebensrettung eine Neigung zu dem Fischerknecht entwickelte. Ja, Fischerknecht“, fuhr sie mit gesteigerter Schärfe im Ton fort, „denn die Entdeckung seiner Abstammung ist erst später gekommen.“

„Ich höre die Schlange zischen, die ich leider zu spät ‘rausgeworfen habe“, erwiderte Peters unmutig.

„Du leugnest also nicht.“

„Liebe Eveline, du vergreifst dich im Ausdruck. Ich bin doch kein Verbrecher, der eine Missetat leugnet.“

„Du willst meiner Frage ausweichen.“

„Im Gegenteil, ich will sie klipp und klar beantworten. Ja, ich begünstige die Neigung unserer Tochter zu meinem Schützling und hoffe, daß sie sich im Laufe der Zeit zu einer großen, starken Liebe auswachsen wird.“

„Und ich wünsche und hoffe das Gegenteil“, erwiderte Frau Eveline sprühend. „Und ich werde alles aufbieten, um diese Kinderfreundschaft bei Annemarie im Keime zu ersticken.“

„Also Kampf bis aufs Messer“, lachte Peters. „Du hast wohl für Annemarie schon einen anderen Freier, der sich deines Wohlwollens erfreut?“

Sein sarkastischer Ton glättete die Zorneswogen seiner Gattin. „Ich denke, du könntest solche Dinge, wie die Zukunft unserer einzigen Tochter, mit ruhigem Ernst besprechen. Annemarie ist in meinen Augen noch ein Kind, das erzogen und geleitet werden muß, bis es reif genug ist, die Wahl eines Gatten mit Überlegung und Umsicht zu vollziehen. Ich denke, unsere Verhältnisse gestatten uns, an unseren zukünftigen Schwiegersohn die höchsten Ansprüche zu stellen. Wir haben es nicht nötig, einen weggelaufenen Polen, selbst wenn er von adliger Abkunft ist, uns mühsam anzukündigen und ihm unser Kind auf dem Präsentierteller entgegenzubringen.“

Peters verbeugte sich mit ironischer Feierlichkeit. „Ich bin ganz deiner Meinung. Ich gedenke an unseren zukünftigen Schwiegersohn die allerhöchsten Anforderungen zu stellen. Ich will einen charakterfesten, klugen, mit reichem Gemüt begabten Mann für unser Kind haben, der seine Gattin mit der großen, ehrlichen Liebe umfängt, die alle Schicksalsstürme überdauert.“ .

„Mit einem Wort: deinen Schützling, in den du wie in einen goldenen Spiegel siehst.“

„Liebe Eveline“, erwiderte Peters mit tiefem Ernst, „bei diesem Wortgefecht kommt nichts heraus. Wir müssen uns in irgendwelcher Weise zu einigen suchen. Ich stimme mit dir überein, daß Annemarie noch reichlich jung ist und nicht nur Kenntnisse, sondern auch Lebenserfahrungen sammeln muß, ehe wir die Frage nach einem Gatten an sie herantreten lassen. Für meinen Schützling stehe ich ein, daß er nicht den geringsten Versuch machen wird, sich Annemarie zu nähern und sie zu beeinflussen. Damit kannst du wohl zufrieden sein.“

Frau Eveline neigte den Kopf. „Es geht aber nicht, daß der junge Mann in unserem Hause verkehrt und andauernd mit Annemarie zusammentrifft.“

Jetzt neigte auch Peters zustimmend den Kopf. „Ich sehe, worauf du hinaus willst, und gebe, wenn auch schweren Herzens, meine Zustimmung, daß Annemarie noch für ein, zwei Jahre das Elternhaus verläßt. Das soll und wird eine Prüfungszeit für sie sein, die uns den Beweis erbringt, ob ihre Neigung zu Fedor tiefere Wurzeln schlägt oder nicht. Ich habe aber zwei Bedingungen, von denen ich nicht abgehen kann. Erstens soll unser Kind nicht in die französische Schweiz und zweitens nicht in eine große Dressuranstalt, die man Pensionat nennt, gebracht werden. Am liebsten wäre mir Süddeutschland, wenn wir dort eine anständige Familie finden könnten, wo sie mit einer gleichaltrigen Tochter erzogen wird.“

„Ich füge mich gern deinem Wunsch und stelle von mir aus nur die Bedingung, daß kein schriftlicher Verkehr zwischen den jungen Leuten stattfindet.“

„Das ist selbstverständlich. Es freut mich, daß wir wieder einmal vollkommen einig sind. Hast du für den Winter irgendwelche besonderen Pläne, etwa einen längeren Aufenthalt an der Riviera?“

Frau Eveline erhob sich. „Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich gegen das Frühjahr hin auf einige Wochen nach dem Süden gehe. Und du?“

„Ich habe meinem Freund Bogumil sein Anwesen abgekauft und lasse mir dort ein Haus bauen. Ich gedenke im Winter dorthin zu fahren, wenn der gewaltige Spirdingsee unter Eis liegt. Erich und seinen Erzieher nehme ich mit.“

„Du scheinst viel Gefallen an dem weltfernen Masuren zu finden.“

Peters nickte. „Er hat sich in mein Herz gestohlen. Wenn ich wüßte, daß es nicht vergeblich wäre, möchte ich dir raten, mich zu begleiten. Für deine Nerven gibt es keinen besseren Kurort.“

Lächelnd reichte Frau Eveline ihrem Gatten die Hand, die er galant an seine Lippen führte. „Ich verzichte händeringend auf den Genuß.“

„Mein armes Mädel“, sagte Peters laut, als seine Gattin ihn verlassen hatte, „es ist nur zu deinem Besten.“

Ohne ein Wort zu erwidern, vernahm Annemarie von ihrer Mutter die Ankündigung, daß sie demnächst für längere Zeit das Elternhaus verlassen werde. Eine Viertelstunde später trat sie bei ihrem Vater ein. Eine einzelne Träne stahl sich über ihre Wange; ihre großen Augen fragten traurig. Der Vater legte den Arm um sie und zog sie an sich.

„Ich würde es nicht für unbedingt nötig halten, mein Kind, aber deine Mutter will es durchaus haben, und ich habe meine guten Gründe, ihr darin nachzugeben. Unter fremden Menschen wirst du mehr Erfahrung sammeln als zu Hause. Dein Charakter wird sich festigen.“

Er wußte selbst, während er sprach, daß seine Tochter seine Worte als das empfand, was sie waren, Redensarten ohne Inhalt. Aber durfte er ihr mehr geben? Durfte er ihr sagen, daß diese Zeit der Verbannung eine Prüfung für sie sein sollte? Dann hätte er ihr auch sagen müssen, daß er an die Notwendigkeit dieser Trennung nicht glaubte.

Da hörte er, wie Annemarie an seinem Ohr flüsterte: „Nicht wahr, Väterchen, die Mutter hat Fedor nicht gern?“

„Mein Kind, so voreilig urteilt deine Mutter nicht.

Sie kennt ihn nicht so, wie wir ihn kennen, und durch Worte läßt sich solch ein Vertrauen nicht übertragen.“

„O doch. Sie brauchte nur dir und mir und Erich und Bogumil zu glauben. Wir würden ihr gern stundenlang erzählen.“

Peters lächelte, während ihm die Augen feucht wurden. Sanft legte er ihr Köpfchen an seine Schulter und küßte sie auf die Stirn.

Wieder hatte Annemarie mit ihren Gedanken einen Sprung gemacht. „Ich darf doch aber zu den Ferien nach Hause kommen?“

„Mein liebes Kind, du kommst doch nicht in eine Schule oder Pensionat, wo es regelmäßig Ferien gibt, sondern in eine Familie, wo du wie ein Kind des Hauses gehalten wirst.“

Er sah, wie seinem Liebling die Tränen aus den Augen stürzten, er fühlte, wie ihre Brust von verhaltenem Schluchzen bebte. Das war nicht nur der Schmerz, das Elternhaus verlassen zu müssen, das war das Weh einer jungen, starken Liebe, die von Zweifeln gefoltert wird. Er legte seine Wange auf ihren Scheitel und sprach leise zu ihr. „Glaubst du mir, mein liebes Kind, daß ich dein Bestes, dein Glück will? Ahnst du vielleicht, daß ich dasselbe für dich erhoffe und wünsche, was du von der Zukunft erwartest?“

Da warf sich Annemarie herum an seine Brust und schlang ihre Arme um seinen Hals. „Geliebter Vater!“

Er strich ihr sanft mit der Hand über den Rücken. „Jetzt werden wir wieder vernünftig und fröhlich werden, mein Liebling, nicht wahr? Zwei Jahre verfliegen schnell.“

Annemarie richtete sich auf und lächelte ihn unter den versiegenden Tränen an. „Ja, Vater, ich werde ganz vernünftig sein.“

Noch an demselben Tage gab Peters in mehreren süddeutschen Zeitungen ein Inserat aus, in dem er für seine sechzehnjährige Tochter Pflege und Unterricht in einer gut bürgerlichen Familie suchte, in der sie mit einer gleichaltrigen Tochter erzogen würde. Im Laufe der Woche gingen mehrere Schreiben ein, von denen eins allen Anforderungen entsprach. Ein Gymnasialprofessor, der seiner schwachen Gesundheit wegen das Lehramt hatte aufgeben müssen, bot sich an, Annemarie in seine Familie aufzunehmen. Er pflegte nur den Winter in München zu verleben, im Sommer lebte er in Oberaudorf, einem herrlichen Flecken im Inntal, unweit der Tiroler Grenze. Es sei schon lange seine Absicht gewesen, für seine sechzehnjährige Tochter, die er selbst unterrichtete, eine gleichaltrige Gefährtin zu finden. Peters antwortete sofort und meldete sich zu einer Besprechung in München an. Zwei Tage später forderte er seine Frau telegraphisch auf, Annemarie nach München zu bringen. Frau Peters war ebenso schnell in ihren Entschlüssen und Handlungen wie ihr Mann, und wenige Tage später traf sie mit Annemarie in München ein. Die Häuslichkeit der Familie Wagner erschien ihr zwar ein bißchen bescheiden, aber der Professor und seine Frau gefielen ihr. Der Hausherr sah wohl ein bißchen schmächtig, aber nicht krank aus, und eine sonnige Heiterkeit ging von ihm aus. Seine Frau stellte in der Ehe den stärkeren Teil dar, nicht nur dem Körper, sondern auch dem Willen nach. Eine resolute, kernige Frau mit lebhaftem Temperament, die Tochter noch sehr kindlich.

Peters hatte mit dem Professor bereits das Geschäftliche geregelt und in einer Weise, die des Professors kühnste Erwartungen übertraf. Die jungen Mädchen sollten allein oder mit den Eltern in jeder Woche zweimal das Theater besuchen, für die Sprechübungen in Französisch und Englisch sollte eine Lehrerin angenommen werden. Für Ausflüge war ein Betrag ausgesetzt, der die Beteiligung der ganzen Familie ausdrücklich vorsah. Für den Sommeraufenthalt stellte Peters ein Auto zur Verfügung.

Drei vergnügte Tage verlebte das Ehepaar in München. Bei dem Abschied von den Eltern vergoß Annemarie ein Tränchen, aber gleich darauf lächelte sie ihren Pflegeeltern wieder zu, und das Ehepaar Peters schied leichten Herzens von Annemarie, weil beide ihr Kind in treuen Händen wußten.

Fedor erfuhr erst am nächsten Sonntag, als er auf eine ausdrückliche Einladung zu Tisch erschien, daß Annemarie für längere Zeit das Elternhaus verlassen habe. Ein bitteres Gefühl stieg in ihm empor. Aber er beherrschte sich so, daß Frau Peters sich darüber wunderte und nicht wußte, was sie davon denken sollte. Sie wußte auch nicht, daß ihr Mann bei der Mitteilung Fedor mit einem ganz besonders freundlichen Blick tröstete.

Nach dem Essen begleitete Fedor seinen väterlichen Freund Bogumil auf sein Zimmer. Der Alte ließ ihn zuerst nicht zu Wort kommen, sondern ließ sich ausführlich berichten, wie er sich sein Leben eingerichtet hätte. Fedor hatte sich im Studentenviertel nördlich der Linden eine möblierte Wohnung von drei Zimmern gemietet. Er besuchte eine Schule, in der Erwachsene, meistens Kaufleute, französisch und englisch sprechen lernten. Das Englische hatte er schon nach den ersten Stunden aufgegeben, außerdem hörte er in einer neugegründeten Volkshochschule eine Anzahl Vorlesungen, und in der Universität hatte er bei einem Privatdozenten ein Kolleg belegt: „Die Geschichte Polens von der ersten bis zur dritten Teilung Polens.“

Endlich kam er dazu, die Frage zu tun, die ihm auf dem Herzen brannte. „Weshalb ist Annemarie weggebracht worden?“

Bogumil lachte spitzbübisch. „Das hat verschiedene Gründe. Bei unserem Freund liegt wohl die Absicht vor, daß ein gewisser Jemand nicht in seinem Studium abgelenkt wird. Seine Frau scheint einen anderen Zweck damit zu verfolgen, bei dem ein gewisser Jemand auch eine Rolle spielt. Ich sehe aber keine Ursache darin, deswegen traurig zu sein. Du hast jetzt nichts weiter zu tun, als mit eisernem Fleiß an deiner Zukunft zu arbeiten. Das andere kannst du getrost unserem Freund Peters anheimstellen.“

3. Kapitel

„Das ist ein magerer Trost“, dachte Fedor, während Bogumil sich seine lange Pfeife ansteckte und sich auf seinem Liegestuhl ausstreckte. „Nun erzähl’ mal, was du in der Woche getrieben hast.“

„Ich habe gelernt und gelesen. Gestern habe ich das erste Kolleg in der Universität gehört bei einem jungen Privatdozenten über die Geschichte Polens von der ersten bis zur dritten Teilung.“

Der alte Herr sah ihm gespannt ins Gesicht. „Na und —?“ Fedor zuckte die Achseln. „Ich bin ja schon im Bilde, ich habe schon viel darüber gelesen, und ich kann ihm nicht unrecht geben, wenn er sehr abfällig über die politische Einsicht meiner Nation urteilt. Es ist nur ein schmerzliches Bedauern in mir, daß ich aus der Geschichte keine Hoffnung auf eine Besserung schöpfen darf.“

Bogumil nickte. „Du wirst dich auch mit deinem Gefühl von der Nationalität, in die dich der Zufall deiner Geburt hineingeworfen hat, losmachen. Sie hat dir doch bisher nur Steine statt Brot geboten. Du mußt versuchen, dich als Deutscher zu fühlen. Mit deiner Flucht hast du doch schon Deutschland als Vaterland gewählt. Nur nichts Halbes, kein bängliches Schwanken. Ich empfehle dir, nicht bloß zu lernen und zu studieren, sondern auch etwas für die Ausbildung deines Gefühls zu tun. Lies zuerst die Werke von Felix Dahn, vor allem den ,Kampf um Rom’ und dann Gustav Freytags ,Ahnen’. Darin lebt ein sehr starkes Gefühl des Deutschtums, das dich mit fortreißen wird. Sieh mal, ich trage auch einen polnischen Namen, aber ich bin insofern besser daran als du, weil ich das Gefühl und das Bewußtsein, Deutscher zu sein, bereits von meinen Vorfahren ererbt habe. Du mußt es dir erst erwerben, um es deinen Nachkommen zu vererben. Ich glaube gern, daß es dir schwer fällt, denn es ist eine eigenartige Sache mit der Blutsverwandtschaft. Aber Hunderttausende haben vor dir denselben Weg gehen müssen, wie z. B. die französischen Hugenotten, die ihres Glaubens wegen ihr Vaterland verlassen mußten und völlig in unserem Deutschtum aufgegangen sind. Auch von deinen Landsleuten haben viele restlos ihr Volkstum aufgegeben. Und von uns Deutschen ist es leider nur zu bekannt, daß sie im Auslande mit einer gewissen Hast ihr Volkstum abstreifen.“

Fedor nickte. „Ich will es und werde es tun. Mich beunruhigt nur manchmal ein Gedanke.“

„Sprich frei von der Leber, mein Junge.“

„Mein Vater ist zwar noch nicht alt, ich glaube erst Mitte der Fünfziger, aber er kann mal unerwartet zusammenklappen. Was wird dann aus unserem Familienbesitz? Der Bruder hat keine Lust zum Wirtschaften. Er ist deshalb russischer Offizier geworden und wird es bleiben. Von meinem Schwager und meiner Schwester weiß ich nicht viel mehr, als daß sie in der Hauptsache von dem leben, was ihnen der Vater gibt. Ob sie nach Polen ziehen werden, um einen heruntergewirtschafteten Besitz zu übernehmen, erscheint mir sehr zweifelhaft.“

„Ach, du meinst, an dich konnte eines Tages die Pflicht herantreten, den väterlichen Besitz zu übernehmen? Nein, mein Junge, was man will, das muß man ganz wollen. Wenn es soweit ist, dann soll das Gut verkauft werden, und du nimmst deinen Anteil an der Erbschaft, vorausgesetzt, daß noch was übrigbleibt.“

„Du vergißt, Vater Bogumil, daß es sich nicht nur um mich allein handelt, sondern um Bruder und Schwester, vielleicht auch noch um den Vater, wenn er krank und schwach wird. Dann würde es eine schwere Untreue gegen meine Familie sein, wenn ich nicht mit meiner ganzen Kraft eingreifen wollte. Ich lasse mich doch von meinem Vater während meiner Lehrjahre unterhalten, um Peters nicht zur Last zu fallen. Ich meine, das ist doch das Natürlichere, aber damit übernehme ich auch die Pflicht, einzuspringen, wenn meine Familie mich braucht.“

Der alte Herr wiegte nachdenklich den Kopf. „Wenn du es von dieser Seite betrachtest, muß ich dir recht geben. Ich hoffe aber, der Fall wird sobald nicht eintreten. Dein Vater soll doch noch sehr rüstig sein. Inzwischen schaffst du dir hier eine Lebensstellung. Peters hat mit dir, wie ich weiß, ganz bestimmte Pläne vor. Er will dich in das große Handelshaus bringen, das er gegründet hat und das ihm noch zum größten Teil gehört. Du wirst sein Schwiegersohn und Teilhaber. Später tritt Erich an seine Stelle. Da hast du hier deine Stellung und deinen großen Wirkungskreis.“

Fedor stand auf und schritt ruhelos im Zimmer auf und ab. Das Blut strömte schneller durch seine Adern. Das waren Bilder, wie er sie sich selbst schon in seinen wachen Träumen ausgemalt hatte. Aber sie befriedigten ihn nicht, bereiteten ihm keine Freude. Seine Gedanken weilten viel lieber bei dem altersgrauen, burgähnlichen Schloß, das er aus den Bildern kannte, die ihm sein Vater geschickt hatte. Er sehnte sich nach dem dunklen Wald, durch den der Narew strömte. Das war sein Ideal. Auf eigener Scholle zu wandeln als Herr und Gebieter. Er wußte nicht, daß es ein Heimatsgefühl war, das ihn befiel. Die Sehnsucht nach einer Heimat, die er noch nicht kannte. Noch nie hatte er es früher empfunden, als er seine freudlose Jugend unter fremden Menschen verlebte, als er den Soldatenrock des russischen Zaren trug, unter dessen Knute sein Vaterland seufzte.

Eine Weile ließ ihn Bogumil auf und ab wandern. Dann räusperte er sich: „Ja, ja, mein Junge, du hast einen Glückstreffer in der Lotterie des Lebens gezogen. Das Schicksal will dich für die schwere Jugendzeit entschädigen. Du hast nichts weiter zu tun, als dich dieser Gunst würdig zu zeigen, dich darauf vorzubereiten.“

Fedor schüttelte den Kopf. „Ich kann die geheime Angst nicht los werden, daß mein Leben nicht so glatt verlaufen wird, wie du es dir vorstellst. Wenn meine Familie wirtschaftlich zusammenbricht, stehe ich mittellos da. Ich habe in Warschau von dem Kaufmann, mit dem wir öfter zusammen waren, gehört, daß nicht nur mein Vater, sondern auch mein Bruder und meine Schwester über ihre Verhältnisse hinaus leben. Der deutsche Verwalter will abgehen, weil er mehr liefern muß, als das Gut hergeben kann, weil nichts für die Verbesserung der Wirtschaft übrigbleibt. Ganz plötzlich und schnell kann der Zusammenbrach erfolgen, und was dann? Ich lerne nur, um mich zu bilden, nicht für einen bestimmten Beruf, der mich ernährt.“

„Du mußt nicht so schwarz sehen, mein lieber Junge. Im Notfall greift doch Peters ein.“

„Ja, aber das will ich nicht. Vielleicht früher hätte ich meine Bedenken überwunden, aber jetzt, seitdem ich die Frau kennengelernt habe... Sie ist mir nicht wohlgesinnt. Sie vermutet, oder sie weiß es sogar, daß ich Annemarie liebe, und sie ist dagegen. Deshalb nur haben sie Annemarie weggebracht.“

„Selbstverständlich. Frau Peters hofft, daß die Neigung, die ihre Tochter dir als ihrem Lebensretter entgegenbringt, verblassen und allmählich ganz verfliegen wird. Die Frau ist ehrgeizig, sie will mit ihrer Tochter hoch hinaus. Unter einem Grafen als Schwiegersohn tut sie es nicht.“

„Und das sagst du mir so ruhig, Vater Bogumil?“

„Ja, ganz ruhig, mein Jungchen. Ich würde es ja lebhaft bedauern, wenn aus dir und Annemarie kein Paar würde, aber das sind die seltenen Ausnahmen, daß man das Mädel bekommt, an das man als junger Mann zum erstenmal sein Herz hängt. Das wird wohl weh tun, das wird dich aber erst zum Manne reifen lassen. Ich rate dir, dich nicht zu sehr in den Traum einzuspinnen, Annemarie zu gewinnen. Sie ist noch sehr jung, sie wird noch vieles Neue in ihrem Leben kennenlernen. Sie wird andere Männer kennenlernen, und das menschliche Herz ist wandelbar. Es geht durch den allergrößten Schmerz hindurch und schlagt wieder in alter Weise. Ja, es schlägt auch neuem Glück entgegen, nachdem der Schmerz überwunden und mit der Zeit verblaßt ist. Und das ist gut so, sonst müßte der größte Teil der Menschheit an gebrochenem Herzen sterben.“

Mit gesenktem Kopf hatte Fedor zugehört. „Ich glaube, du arbeitest zu viel, auch der Körper will sein Recht haben. Zu jeder Arbeit gehört die Entspannung der Nerven. Morgen nachmittag fahre ich mit Erich irgendwohin in die schöne Umgegend Berlins. Schließ dich uns an. Wir fahren ein Stück mit der Eisenbahn, und dann marschieren wir.“

Einige Tage später kam Fedor spät abends noch zu Bogumil. „Denk’ dir, Vater, was mir passiert ist. Ich sitze ganz friedlich in einer Gastwirtschaft, in der ich mein Abendbrot einzunehmen pflege. Da kommen drei Studenten mit bunten Mützen herein und setzen sich an den Nebentisch. Ich habe sie wohl ab und zu etwas neugierig angesehen. Mit einem Male steht einer von den dreien auf, tritt an mich heran und sagt: ,Weshalb fixieren Sie mich? Sie sind ein dummer Junge. Ich wünsche, mit Ihnen zu hängen. Hier ist meine Karte.‘ Damit wirft er mir die Karte auf den Tisch. Ich war so verwirrt, daß ich nicht daran dachte, ihm meine Karte zu geben. Da schreit er: ,Sie wollen sich wohl drücken, Sie Fink?’ Da zog ich meine Brieftasche und gab ihm meine Karte. Er nimmt sie, verbeugt sich ganz höflich und entfernt sich mit seinen Begleitern. Was soll ich nun tun?“

Bogumil lächelte. „Darin weiß ich nicht Bescheid, aber Peters wird es wissen. Wir finden ihn jedenfalls noch in seinem Arbeitszimmer.“

Doktor Peters lachte, als ihm Fedor den Vorfall erzählte. „Da hat sich ein krasser Fuchs seine erste Mensur gesucht. Nun ist die Frage, willst du kneifen oder fechten? Wenn du kneifen willst, dann brauchst du dem Jüngling nur schriftlich mitzuteilen, daß du auf das Vergnügen verzichtest.“

„Ich denke nicht daran“, rief Fedor dazwischen.

„Das ist recht, das freut mich. Die ganze Blase würde dich bei jeder Gelegenheit anrempeln. Also du willst fechten. Gut, dann werde ich, was dazu erforderlich ist, in die Wege leiten. Der Sohn eines Freundes von mir ist bei der Burschenschaft Germania aktiv. Da kannst du Waffen belegen und dich einpauken lassen. Ich denke, du nimmst auch noch einen Fechtkursus.“

Am nächsten Vormittag ging Peters mit Fedor zum Frühschoppen der Germanen. Der Sohn seines Freundes, stud. jur. Wackerbart, stand sofort auf, als die beiden Herren an den Tisch traten und stellte seine Kommilitonen vor. Dann nannte Peters Fedors Namen und bat, als sie Platz genommen hatten, um Waffenhilfe. Sie wurde bereitwillig zugesagt. Am Abend waren sie beide auf der Antrittskneipe der Burschenschaft. Auf dem Heimwege, als Peters seinen jungen Freund mit Auto bis zu seiner Wohnung brachte, fragte er ihn, ob er nicht Lust hätte, der Verbindung beizutreten.

Fedor verneinte energisch. „Das viele Biertrinken werde ich niemals lernen. Es war mir heute abend eine Qual, immerfort das Glas heben zu müssen, wenn einer mir zutrank. Und meine Interessen sind von denen der jungen Leute so himmelweit verschieden, ich wüßte gar nicht, was ich mit ihnen sprechen sollte.“

Peters lachte. „Das begreife ich, aber schaden wird es dir nichts, wenn du in das studentische Getriebe hineinsiehst und fleißig fechten lernst. Ich habe heute abend nach deinem Gegner gefragt und erfahren, daß er erst einmal und sehr schlecht gefochten hat. Jetzt will er mit dir seine Reinigungsmensur liefern. Er wird sich also sehr zusammenreißen. Vier Wochen hast du Zeit. Der Fechtwart der Germanen hat schon alles eingerenkt.“

Fedors Tagesordnung war für die nächsten Wochen von Grund aus umgestürzt. Wenn er sonst zur Sprachschule ging, mußte er auf den Fechtboden. Im Anschluß daran mußte er mit dem Häuflein Germanen ins Pschorrbräu zum Frühschoppen. Am Nachmittag mußte er beim Fechtlehrer eine Stunde fechten. Ärger und Ingrimm erfüllten ihn gegen den jungen Menschen, der ihn in so frivoler Weise aus seiner Arbeit gerissen. Mit verdoppeltem Eifer übte er sich im Fechten, und seine neuen Freunde erklärten ihm bald, er habe eine ganz besondere Begabung dafür. Er besaß einen starken, eisenfesten Arm, der keine Ermüdung kannte, und ein loses Handgelenk, das er wohl seinem Geigenspiel verdankte, und auf dem Fechtboden setzte er seine Waffenfreunde dadurch in Erstaunen, daß er jede Blöße seines Gegners erkannte und blitzschnell ausnutzte.

So kam der Tag der Mensur heran. Die Germanen fochten in dem Saal eines Vergnügungslokals, der nach dem Hofe zu lag. Einzeln und ohne Farben begaben sie sich dorthin. Auch Peters und Bogumil waren erschienen. Peters hatte selbst als Student mehrmals gefochten, und auch Fedor hatte sich, um Bescheid zu wissen, schon mehrere Mensuren angesehen. Für Bogumil war die ganze Sache etwas Neues. Mit verzeihlicher Neugier sah er zu, wie das erste Paar so bandagiert wurde und antrat. Es waren ein paar alte, gewiegte Kämpen, die sich nicht viel taten. Dann kam Fedor mit seinem Gegner an die Reihe. Mit Vergnügen sahen seine Waffenfreunde, mit Besorgnis die Freunde seines Gegners auf den stahlharten, muskulösen Arm, der da zum Vorschein kam. Die Paukanten wurden sich gegenübergestellt, die Sekundanten traten ihnen zur Seite. Fedor fühlte seinen rechten Arm emporgeworfen. In demselben Augenblick schon schlug er Terz. Quart.

„Halt, halt!“ riefen die Sekundanten von beiden Seiten. Fedor hatte seinen Gegner mit einer steilen Quart erheblich angekratzt, und erst als der Paukarzt der Germanen zu ihm trat und ihm einen Schwamm gegen die linke Backe drückte, fühlte er, daß er auch getroffen war. Ein strammer Durchzieher saß in seiner Backe.

„Sie müssen mehr winkeln“, raunte ihm sein Sekundant zu.

Die Pause hatte etwa drei Minuten gedauert. Wieder standen sich die Gegner gegenüber. Fünf, sechs Hiebe fielen schnell hintereinander von beiden Seiten. Beim dritten Gang zog der Gegner eine Terz an. Blitzschnell erspähte Fedor die Blöße. Ein scharfer Durchzieher saß vom Ohr bis zur Nase. „Halt!“

Eilig sprang der Paukarzt drüben zu. Eine kurze Beratung im Flüsterton. Dann lüftete der Unparteiische seine Mütze: „Silentium: Lusatia erklärt Abfuhr.“

4. Kapitel

Einen Augenblick hatte Fedor eine gewisse freudige Genugtuung gefühlt, weil er glaubte, daß sein Gegner sich über seine „Niederlage“ grämen und kränken würde. Er wußte nicht, daß der Jüngling über den gewaltigen Renommierschmiß sehr glücklich war. Nun hatte er das Wahrzeichen, daß jeder jetzt, sofern er nicht jüdischer Rechtsanwalt ist, im Gesicht tragen muß. Der Paukarzt legte ihm drei Nadeln hinein. Sein Gegner hatte im ganzen zwölf bekommen. Einen Tag mußte er „im Skat“ liegen und Glaubersalz schlucken; damit war die Episode für ihn erledigt. Das Lob, das einige alte Germanenhäuptlinge ihm gespendet hatten, er werde ein auf Deutschlands Hochschulen gefürchtster Schläger werden, ließ ihn völlig kalt. Mit doppeltem Eifer stürzte er sich in seine Arbeit, um die versäumte Zeit nachzuholen.

Er hatte angefangen, Freytags „Ahnen“ zu lesen. Die ersten Bände ließen ihn kalt. Er vermochte sich nicht in das hochgespannte völkische Gefühl hineinzuversetzen. Erst der vierte, „Markus König“, der Zusammenstoß der Deutschen in der Ostmark mit den Polen, erregte sein Interesse. Und am Schluß, wo der große Reformator Luther in eigener Person handelnd erscheint, erweckten einige Sätze sein Interesse so sehr, daß er sie sich abschrieb, um sie öfter zu lesen und zu überdenken. Sie lauteten:

„Wir nennen die Eiche einen dauerhaften Baum, der viele Jahrhunderte auf Erden steht, aber viele Jahrhunderte sind vor dem Herrn wie ein Tag. Die Geschlechter der Menschen, welche aufeinander folgen, sind vor ihm wie Halme eines Sommers, und die Erde gleicht einem Landgut. Und wie ein Wirt Weizen und Hafer, so sät er Deutsche und Polen nacheinander auf denselben Grund, gerade die Frucht, welche er für die himmlische Wirtschaft bedarf. Was wollt ihr, die ihr nur ein Halm der Erde seid, im voraus bestimmen, welche Frucht der Herr jetzt und künftig an der Weichsel säen soll?“

Und dann weiter: „Ich bin ein deutscher Mann wie ihr, und Gott weiß, daß ich den Meinen nur das beste gönne, aber ich sage euch, vor dem allmächtigen Gott steht die Frage nicht so, wie ihr sie gestellt habt, ob Deutscher oder Pole, sondern sie steht so, ob echter Glaube oder teuflische Verblendung. Wenn die Polen Gottes Wort annehmen und treu bewahren, wie sie ja auch guten Willen haben, so werden sie und ihre Herrschaft fröhlich gedeihen, und euren Landsleuten wird es frommen, in Eintracht mit ihnen zu leben. Wenn sie aber beharren in ihrem alten Wust und Unrat, so werden sie darin umkommen und hier und dort ihren Lohn erhalten. Sind die Deutschen besser im Glauben und Gewissen, so möget ihr vertrauen, daß sie auch tüchtiger auf der Erde sein werden und dem Herrn liebere Kinder als die Polacken, wenn sie ungewaschen und trotzig bleiben.“

In seiner Naivität nahm Fedor an, daß diese Worte authentische Aussprüche des großen Gottesmannes seien, und es stimmte ihn nachdenklich, daß Luther damit den Untergang des Polenreiches mehr als zwei Jahrhunderte vorausgesagt hatte. An einem der nächsten Abende ging er zu Bogumil und bat ihn um sein Urteil.

„Ich weiß zwar nicht, ob diese Worte von Luther selbst stammen, oder ob sie ihm nur der Dichter in den Mund gelegt hat“, erwiderte der alte Herr sinnend. „Aber auf jeden Fall ist etwas Wahres darin. Ohne Zweifel verliert ein Volk, das nicht in der Gesittung fortschreitet, die sittliche Kraft, die zu der Erhaltung eines geordneten Staatswesens durchaus erforderlich ist. In Polen hat die Herrenschicht ihre Hintersassen in Unwissenheit und Unrat verkommen lassen. Die Folge war, daß die unteren Volksschichten das Verständnis und die Liebe für das nationale Leben ihres Volkes verloren. Ich habe es dir schon mal erzählt, daß die Russen in Polen Volksschulen errichtet haben. Noch deutlicher ist das Beispiel von Preußen. Da hat sich das polnische Nationalgefühl in den polnischen Gebieten von Posen und Westpreußen wiedergefunden und zu bedeutender Stärke entwickelt, obwohl die polnischen Kinder deutsch unterrichtet wurden. Eine Herrenschicht kann wohl ein erobertes Land eine Zeitlang beherrschen, aber sie kann nicht einen Staat gegen übermütige Nachbarn, die nach seinem Besitz lüstern sind, erhalten, wenn die unteren Volksschichten die Gefolgschaft verweigern. Und um schließlich auf das zu kommen, was dir wohl am meisten am Herzen liegt: eine Wiedererstehung Polens ist bloß durch übereinstimmenden Beschluß der Nachbarstaaten denkbar, wenn auch außer dem Bereich der Wahrscheinlichkeit. Ein dauerhaftes Staatsgebilde kann aber nur entstehen, wenn alle Schichten des Volkes bis zum einfachsten Arbeiter hinab von dem Verständnis für die Aufgabe eines Staatswesens durchdrungen sind. Das bedeutet aber eine Aufgabe, die Jahrhunderte zu ihrer Durchführung erfordern würde.

Ich rate dir“, fuhr der alte Herr, als Fedor nachdenklich schwieg, nach einer Weile fort, „deinen Kopf nicht mit solchen Gedanken zu beschweren. Ich will für dich jetzt etwas aus meinem tiefsten Innern hervorholen. Es hat Zeiten gegeben, besonders während der letzten Revolution, die ich als junger Mensch an der Grenze miterlebte, wo ich mich für Polen und seinen Befreiungskampf begeisterte. Die Polen besaßen damals in ganz Deutschland große Sympathie. Überall an der Grenze wurden die polnischen Flüchtlinge aufgenommen und vor den eigenen Behörden versteckt, bis der Eifer der Behörden nachließ und sie sich mit falschen Pässen nach Belgien, Frankreich und der Schweiz retten konnten. Je älter ich wurde, desto mehr schwand meine Begeisterung und meine Sympathie für die Polen. Ich sah, daß selbst die Herrenschicht, die heldenmütig Gut und Blut für das Vaterland opferte, längst die Fähigkeit, einen Staat zu erhalten, verloren hatte. Jeder Heerführer war auf den anderen eifersüchtig und handelte nach seinem eigenen Kopf. Und die Lehre, die ihnen die Geschichte erteilte, ist von keinem verstanden und beherzigt worden. Ich möchte sagen, daß es jetzt in Polen Dutzende von Parteien gibt, die sich schroffer gegenüberstehen als die Russen. Auch in Deutschland ist das Parteigezänk manchmal schon ganz unleidlich und hat geradezu häßliche Formen angenommen. Aber ich bin überzeugt, daß im Ernstfall dieses Gezänk verstummt und von einem einheitlichen Willen zur Verteidigung des Vaterlandes abgelöst wird.“

Das Gespräch wurde durch Erich unterbrochen, der hereinstürmte und Fedor ungestüm umarmte. „Der Schmiß sieht großartig aus, er kleidet dich vorzüglich.“

Lächelnd schob Fedor den Knaben von sich ab. „Du lobst mich, und ich ärgere mich über meine Ungeschicklichkeit.“

„Aber du hast ihn doch ordentlich vermöbelt und glanzvoll abgestochen, wie der Vater erzählt hat. Ach so, ich wollte euch ja erzählen, daß der Vater nach Ostpreußen fahren will, um nachzusehen, wie weit unsere Villa ist. Onkel Bogumil, bitt’ ihn doch, daß er mich mitnimmt.“

„Du darfst doch nicht mitten im Semester die Schule schwänzen.“

„Er kann ja aber doch in meinen Ferien fahren, gleich nach Weihnachten.“

„Ja, das könnte er“, rief Peters, der beim Eintreten die letzten Worte gehört hatte. Ungestüm warf Erich sich ihm an die Brust. „Na, was meinen Sie, Bogumil“, fuhr er fort, während er sich neben Fedor setzte und ihm den Arm um die Schultern legte, „wollen wir mitten im Winter einen Abstecher nach unserem geliebten Masuren machen?“

Der alte Herr schmunzelte. „Ich wäre schon dabei. Aber dann schlage ich vor, daß wir abwarten, bis der Spirding unter Eis liegt.“

„Dann müssen wir aber auch unseren Eissegelschlitten mitnehmen“, warf Erich dazwischen, „und Fedor muß auch mitkommen. Schade, daß Annemarie nicht zu Hause ist. Der wird das Herz weh tun, wenn sie erfährt, daß wir dorthin fahren. Aber sie kommt doch zu Weihnachten nach Hause. Da kann sie doch auch mit uns fahren.“

Lächelnd wehrte Peters den vor Freude ganz erregten Jungen ab. „Das müssen wir uns noch überlegen.“

„Das heißt, die Mutter wird nicht erlauben, daß Annemarie mitfährt“, maulte Erich.

Der Junge bewies damit, daß er die Verhältnisse in seinem Elternhause richtig beurteilte. Frau Peters hatte natürlich bald von der beabsichtigten Reise nach Ostpreußen erfahren und hielt es deshalb für zweckmäßig, Annemarie zum Weihnachtsfest nicht nach Hause kommen zu lassen. Sie solle zu der Familie ihrer Pflegeeltern in ein herzliches Verhältnis treten, und dazu müsse sie auch das erste Fest mit ihnen verleben. Peters war darüber verstimmt, denn er sehnte sich sehr nach seinem Töchterchen. Aber so energisch er sonst war, in diesem Punkt gab er seiner Frau nach. Dafür erfreute er sich an Fedor, der mit Erich um die Wette französisch „sprach.“

Am dritten Feiertag kam von Bogumils altem Freunde Grosek aus Weissuhnen ein langer Brief, der am Schluß die erfreuliche Meldung brachte, daß der Spirding seit acht Tagen fest zugefroren sei.

Schon am nächsten Morgen fuhr die Gesellschaft ab. Das Eissegelboot war schon in zerlegtem Zustand als Eilgut nach Ostpreußen vorausgegangen. Frau Eveline hatte die Einladung ihres Mannes, der sich von der Fahrt ganz ungewöhnliche Genüsse und Eindrücke versprach, ausgeschlagen.

Auf dem Bahnhof in Rudzanny wartete Grosek mit einem großen Kastenschlitten, der außer Stroh auch noch einige Pelzdecken enthielt. Es gab ein freudig bewegtes Wiedersehen nicht nur zwischen den beiden alten Freunden Bogumil und Grosek, sondern auch zwischen diesem und Fedor. Der alte Fischer drehte seinen Schützling, der ihm so vieles verdankte, mehrmals rundum, um ihn von allen Seiten zu betrachten. Nicht minder herzlich wurden Peters und Erich begrüßt. .

Die kleinen struppigen Gäule trugen keine Glocken. Lautlos glitt der Schlitten auf der harten Schneebahn durch den dunklen Kiefernwald. Der zunehmende Mond stand hoch am Himmel. Es war so hell wie am Tage. Mitten in das aufgeregte Gespräch ertönte ab und zu ein Krachen und Donnern, als wenn ein Dutzend schwerer Geschütze auf einmal losschössen.

Beim erstenmal sprang Erich erschreckt auf. „Grosek, was ist das?“

„Der Spirding brummt“, erklärte der Alte lachend. „Das Eis platzt, und davon kracht das so.“

Noch lange saßen die Männer bei einem Glas Grog beisammen. Grosek fragte, ob man nichts vom Kriege höre. Verwundert erwiderte Peters: „Von welchem Kriege sprechen Sie?“

„Na, von dem Krieg mit Rußland. Wir meinen hier an der Grenze, daß es jeden Tag losgehen wird. Unsere Leute, die in Polen zu tun haben, erzählen, daß die Russen Regimenter auf Regimenter dicht hinter der Grenze aufgestellt haben, Infanterie und Reiter. Und immer frecher werden die Russen. Es ist schon nicht mehr zum Aushalten. Neulich ist ein Trupp über die Grenze gekommen und hat einen ausgebauten Bauer weggeschleppt, weil man erfahren hatte, daß die Schmuggler von ihm ihre Waren abholen. Unser Landrat ist gleich ‘rübergefahren, aber bis heute soll der Bauer noch nicht ausgeliefert sein.“

„Wegen solcher kleinen Vorfälle an der Grenze wird Deutschland keinen Krieg mit Rußland beginnen“, erwiderte Peters. „Daß die Auseinandersetzung mit den Russen über kurz oder lang kommen muß, daran zweifelt wohl kein Mensch. Das wird auch unser Kaiser trotz seiner Friedensliebe nicht hindern können, aber vorläufig sieht es noch nicht nach Krieg aus. Ihr müßt euch noch ein paar Jahre gedulden.“

„Gott gebe, daß ich das noch erlebe“, meinte Grosek.

Am andern Morgen ganz früh ging die Fahrt weiter nach Glodowen. Strahlend war die Sonne am wolkenlosen Himmel aufgegangen und hatte scharfen Frost gebracht. Wie geblendet standen alle in ehrfurchtsvollem Staunen, als der Schlitten auf der Uferhöhe stillhielt. Die majestätische Fläche des Spirding leuchtete und grüßte im Licht der Sonne wie ein riesenhafter Spiegel. Von Nordosten her wehte ein mäßiger Wind. Und da unten am Ufer stand auch schon das Segelboot, von Klaus, der einen Tag früher gefahren war, instand gesetzt. Doch Erich mußte seine Ungeduld noch eine ganze Stunde lang meistern, denn Fedor mußte doch erst seinen früheren Brotherrn und Gönner Zocher begrüßen. Es war auch selbstverständlich, daß die anderen zum Frühstück eingeladen wurden. Ziemlich gleichmütig erzählte der alte Herr, daß die Regierung bei der Neuverpachtung des Spirding einer deutschen Gesellschaft den Zuschlag erteilt habe. Vom nächsten Frühjahr ab sei hier sein Wirken zu Ende. Er habe genug verdient und sehne sich nach Ruhe; aber es sei ihm doch schwer, von dem Ort zu scheiden, wo er seine besten Mannesjahre verlebt habe.

Auch Zocher fragte nach den Aussichten eines Krieges mit Rußland und meinte, er werde wohl mit seiner Familie nach Österreich übersiedeln, wo er hoffe, naturalisiert zu werden.

Endlich, endlich kam der Augenblick, wo das Boot unter dem Druck seines großen Segels auf die spiegelblanke Eisfläche hinausschoß. Grosek, der alte Fischer, maß mit erstaunten Blicken an dem Zurückweichen des Ufers die Entfernung, die das Boot in wenigen Minuten zurückgelegt hatte, und schüttelte den Kopf. So etwas hatte er doch nicht für möglich gehalten. Immer weiter trat das Ufer zurück, bis man es auf allen Seiten nur als dunklen Strich am Horizont erblickte. Dann begann das Nordufer mit zauberhafter Schnelligkeit emporzuwachsen. Die altersgraue Kirche von Eckertsberg reckte sich empor.

Nun ließ Peters wenden, und eine Stunde ging die Fahrt dicht am Nordufer auf die See-Enge zu, hinter der die kleine Siedlung Wiersba liegt, wo Peters sich die Villa erbauen ließ. Es war kurz vor Mittag. Aus dem Schornstein des Fährkrugs wirbelte Rauch. Peters schmunzelte. Das war auch eine seiner vorsorglichen Überraschungen. Telegraphisch hatte er schon von Berlin aus ein kräftiges Mittagsmahl bestellt.

Als der Schlitten nach Niederlegung des Segels mit der letzten Kraft am Ufer anfuhr, trat in die Tür des Krugs ein stattliches, junges Weib, Fritze, die Tochter des Krugwirts.

„Die hat sich schön ausgelegt“, meinte Bogumil schmunzelnd.

„Das soll bei jungen Mädchen öfter vorkommen, wenn sie einen Jungen kriegen“, erwiderte Grosek lachend.

Mit erstauntem Blick wies Bogumil durch eine Kopfbewegung auf Fedor, der schon ausgestiegen war und sich aus seinem Pelz schälte. Grosek schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hand. „Ein Andenken von ihrem letzten Bräutigam, der sich als ein schwerer Junge aus Berlin entpuppte. Sie hat sich anscheinend schon darüber getröstet, und der Junge ist bald nach der Geburt gestorben, vielleicht nicht ganz freiwillig.“

Mit halbem Ohr hatte Fedor hingehört. Nicht die Spur von Empfinden regte sich in ihm. Er wunderte sich nur darüber, daß er mal vor Leidenschaft für dies Mädchen hatte fiebern können. Wie ein wüster Traum kam es ihm vor, daß er dies Weib, das jetzt mit frechem Lächeln herangeschritten kam, im Arm gehalten und mit glühenden Küssen bedeckt hatte.

„Die Herren sind pünktlich, aber das Essen ist auch fertig. Guten Tag, Herr Peters.“ Sie reichte auch Grosek und Bogumil die Hand. Fedor hatte sich mit kaltem Kopfnicken abgewendet. Fritze schürzte höhnisch die Lippen. Aber in ihr bohrte und gärte es. Wenn sie damals hätte in die Zukunft schauen können, dann hätte sie den schönen, forschen Polenflüchtling festmachen können. Dann saß sie jetzt wahrscheinlich als Frau Verwalter in Glodowen.

Bei diesem Gedanken überlief sie ein Schauer. Er kam von der Erinnerung an die bösen Tage nach der Verhaftung ihres Bräutigams, als der Vater die Entdeckung machte, daß seine Tochter ihn mit einem Enkel beschenken wollte.

Das Essen war gut und reichlich, auch eine trinkbare Flasche Rotwein gab es dazu. Gleich nach dem Mittag wurde die Villa besichtigt. Die Fenster waren schon eingesetzt, in den Zimmern wurden gerade die Dielen gelegt, und überall standen Eisenkörbe mit brennendem Koks. Pünktlich am 1. April würde das Haus fertig sein.

5. Kapitel

Acht Tage waren wie im Fluge verflossen. An jedem Morgen fuhr Peters im Segelschlitten zu Boruch, der mit dem größten Zugnetz, dem Niewod, unter dem Eise fischte. Eines Tages sah er von weitem eine Anzahl Menschen auf dem Eise. Er hielt darauf zu, in der Meinung, daß dort ein Zug angelegt würde. Beim Näherkommen wurde die Gesellschaft, die dicht nebeneinander auf dem Eise hockte, lebendig. Einige rissen aus und liefen davon. Andere sahen mehr neugierig als erschreckt auf das wunderbare Gefährt, das sich ihnen mit unheimlicher Schnelligkeit näherte.

„Das sind Angler“, rief Fedor. „Wollen mal sehen, was sie gefangen haben.“

Mit einer jähen Wendung drehte Peters den Schlitten in den Wind, während Klaus das Segel niederließ.

„Habt keine Angst“, rief Peters ihnen zu. „Ich will euch nur eine Weile zusehen.“

Nun wurden die Wildfischer vertraut und begaben sich wieder an den Fang. Sie angelten auf einem „Berge“, einer Untiefe im See, wo sich im Winter die großen Barsche zu sammeln pflegen. Ihr Gerät bestand nur aus einer langen Hanfschnur und einem aus Zinn gegossenen Blinkfisch, der am unteren Ende einen Haken trug. Durch Heben und Senken des fußlangen Angelstockes werden die Barsche zum Anbeißen gereizt.

Bald hier, bald dort begann einer der Angler hastig die Schnur aufzuhaspeln. Im nächsten Augenblick lag ein großer Barsch auf dem Eise. Peters staunte über die Menge Fische, die in seiner Gegenwart gefangen wurden. „Duldet denn der Pächter, daß ihm soviel schöne große Fische weggefangen werden?“

Bogumil lachte. „Wie der Russe die Laus. Zocher fängt mit seinen Netzen so viel, daß er sich um die Wildfischer nicht kümmert. Ab und zu macht sich der Aufseher das Vergnügen, einige anzuzeigen, um die Reisespesen und Zeugengebühren einzuheimsen.“

Ohne Mühe erstand Peters von einem der Fischer eine Angel, mit der er in einer Viertelstunde ein großes Gericht Barsche fing. Als sie eine halbe Stunde später bei Boruch eintrafen, zeigte er sich selbst an.

Der Inspektor schmunzelte. „Der Herr Doktor ist ein guter Freund von uns, er kann Fische fangen, soviel und wie er will.“

Eben waren die Treibstangen in der Wune erschienen. Nun wurde die Leine auf je eine Winde gelegt, die von sechs Männern unter einförmigem Gesang gedreht wurde. Langsam kamen die schweren, langen Flügel näher. Man konnte ihr Vorschreiten durch das klare Eis deutlich verfolgen. Jetzt waren die Flügel heran. Acht Mann faßten an jeder Seite zu.

„Eine schwere, langwierige Arbeit“, meinte Peters.

„Aber sie bezahlt sich“, erwiderte Fedor. Das Fischerblut in ihm regte sich. Am liebsten hätte er selbst Hand angelegt. Um nicht ganz untätig zu sein, nahm er den Sturgel und begann durch heftige Stoße in die Wuhne die Plötzen, die sich schon in den Flügeln fingen, nach dem Sack zurückzuscheuchen. „Aber, mein Sohn“, rief Grosek, „du verscheuchst uns den besten Verdienst.“

„Ich stehe hier an Boruchs Stelle“, erklärte Fedor lachend. „Ihr fangt eigentlich schon zu viel.“

Eben hatte Grosek wieder durch geschicktes Umschlagen einer Netzfalte eine Menge Plötzen in den Flügel verstrickt. „Es wird ein guter Zug werden“, rief Grosek. „Euer Besuch hat uns Glück gebracht.“

Immer größer wurde die Menge der Fische, die in der Wune auftauchten und in dem trüben Wasser umherschossen. Boruch geriet in Aufregung. Mit Redensarten, die alles andere, nur keine Schmeichelei enthielten, trieb er die Fischer an, schneller das Netz einzuziehen, mit einem zweiten Sturgel stieß er heftig in das Wasser und zog die Falten des Netzes auseinander. Aber Grosek sowohl wie der Garnmeister am anderen Flügel waren ihm über.

„Weshalb regt sich unser alter Freund Boruch so auf?“ fragte Peters.

„Die Fische, die mit den Flügeln herausgezogen werden, gehören den Fischern“, erklärte Bogumil. „Und manchmal haben die Fischer in den Flügeln mehr Fische als der Spektor im Sack.“

Diesmal kam es anders. Fedor hatte sich einen großen Kescher aus dem Schlitten geholt und hob damit die großen Fische, Hechte, Barsche und Bleie, deren dicker Rücken in dem trüben Wasser an der Oberfläche erschien, heraus. Boruch war in Ekstase geraten. Er schwur die heiligsten Eide, daß die Fischer die größten Verbrecher wären und nur aus Bosheit das Netz so langsam anzögen.

„Aber, lieber Freund“, redete Bogumil ihm zu, „man erkennt dich ja nicht wieder. Sonst bist du die Ruhe selbst, und jetzt...“

„Das gehört zum Geschäft“, lachte Grosek. „Wir würden uns wundern und keinen Spaß haben, wenn Boruch nicht so fluchen würde.“

Die Flügel waren zu Ende. Die Männer traten rings um die Wune und begannen, den Sack zu heben. Jetzt konnte kein Fisch mehr entrinnen. Nach etwa dreißig Metern erklärte Grosek: „Wir müssen anfangen auszuschöpfen, der Sack geht nicht mehr vorwärts, er ist bis zum Ende voll. Ich schätze auf tausend Solanken.“

Boruch schmunzelte. „Nu wird der Herr Doktor wohl verstehen, weshalb sich der Zocher nicht um die paar Fische kümmert, die von armen Leuten gefangen werden.“

Den ganzen Tag über dauerte das Ausschöpfen und Wegbringen der Fische. Zuerst wurden sie aufs Eis geschüttet, wo sie im scharfen Frost bald erstarrten, dann wurden sie in große Holzkästen, Wiegen genannt, verpackt, in denen sie auf der Bahn die Reise nach Polen, Warschau antreten sollten. Erstens war der Weg kürzer als nach Berlin, und zweitens erzielten sie in Warschau einen viel höheren Preis.

Einige der größten Hechte, es waren Kerle von fünfzig Pfund darunter, erstand Peters, um sie an gute Freunde zu verschenken.

Am Abend vor der Abreise saßen die drei alten Freunde, Peters, Grosek und Bogumil, bei einem Glas Grog beisammen. Grosek hatte seinen kleinen Enkel auf dem Schoß und erzählte von seiner Tochter Anka und ihrem Manne, dem Philipponen Saschul. Es war ihm noch immer ein Rätsel, wie sein verständiges, wohlerzogenes Kind sich so weit vergessen konnte, daß es mit dem wüsten Gesellen heimlich nach Rußland ausrückte. Er verschwieg den Freunden nichts. Wie seine Tochter durch Mißhandlung zur Verzweiflung gebracht, zu dem Entschluß gekommen war, den Trunkenbold zu vergiften. Da griff im letzten Augenblick das Schicksal ein und raffte ihn hinweg. Unter den schwersten Anstrengungen hatte die arme Frau mit ihrem Jungen den Weg ins Elternhaus zurückgelegt. Nun ruhte sie auch schon drei Monate unter der Erde. Grosek war sofort nach Rußland gefahren, um von dem Nachlaß des Philipponen etwas für den Jungen zu retten. Er kam schon zu spät. Saschuls Glaubensgenossen hatten das Haus so gründlich ausgeraubt, daß nur noch die kahlen Wände vorhanden waren. Eine Anzeige oder Klage beim russischen Gericht hatte er als aussichtslos gar nicht angebracht.

„Je älter man wird, desto unverständlicher wird einem das Leben“, meinte er nachdenklich, nachdem er seine Erzählung beendet hatte. „Ich habe wie ein Kind daran geglaubt, daß wir einen Vater im Himmel haben, der jedem Menschen nach seinem Verdienst Gutes und Böses austeilt. Weshalb schickt er mir soviel Kummer und Herzeleid? Ich habe, das kann ich mit ehrlichem Gewissen sagen, seitdem ich verständig bin, mit Wissen und Absicht nie etwas Schlechtes begangen. Und weshalb hat er meine Tochter so hart gestraft? Sie hat sich ja an ihren Eltern vergangen. Aber wie viele Tausende und Hunderttausende tun dasselbe und leben herrlich und in Freuden?“

Bogumil legte ihm die Hand auf den Arm. „Wozu machst du dir solche Gedanken? Wir Menschen sind doch nichts anderes oder Besseres als die Tiere im Walde und die Blumen auf dem Felde. Wir leben, wir bekommen Kinder und sterben. Das Dumme dabei ist bloß, daß wir darüber nachdenken können und müssen. Und da bekommen wir Angst vor dem Tode und denken uns das Märchen aus, daß wir nach dem Tode weiterleben und in einen Himmel kommen, wo wir belohnt werden, oder in eine Hölle, wo wir gestraft werden. Nein, lieber alter Freund, wenn wir tot sind, ist alles aus.“

„Ich sehe den Zweck des menschlichen Daseins doch etwas anders an, lieber Bogumil“, warf Peters ein. „Ich habe auch eine Zeit gehabt, wo ich mich mit diesen Gedanken und Zweifeln plagte. Ich habe sie überwunden, als mein erstes Kind geboren wurde. Da fühlte ich, daß ein Teil von mir weiterleben wird, und ich erkannte es als meine Pflicht, das Kind zu einem tüchtigen Menschen zu erziehen. Damit gebe ich mich zufrieden.“

„Weiter haben Sie mir nichts zu sagen, Herr Doktor?“ fragte Bogumil. Peters sah ihn erstaunt an. „Nun, dann will ich es Ihnen sagen, was mir schon lange auf der Seele brennt. Ich werde Sie nicht wieder nach Berlin begleiten, ich werde hierbleiben. Ich kann die Aufgabe, die Sie mir zugeteilt haben, nicht erfüllen. Der Erich ist jetzt gerade in dem gefährlichen Alter, wo er über diese Dinge nachzudenken anfängt. Er setzt mir mit solchen Fragen nach Gott und Unsterblichkeit usw. heftig zu. Ich bin ihm, so gut es ging, ausgewichen. Jetzt wissen Sie, wie ich denke, und werden einsehen, daß es ein Verbrechen wäre, dem Jungen meine trostlose Weltanschauung zu übermitteln. Nein, lassen Sie mich hierbleiben. Ich verspüre Heimweh, und wenn Sie es nicht übelnehmen, möchte ich als weiteren Grund anführen, daß ich Ihrer Gattin unangenehm bin.“

Peters nickte schweigend. Dann streckte er dem alten Herrn die Hand hin. „Selbstverständlich bin ich mit Ihrem Entschluß einverstanden. Wir wollen den Jungen seine dummen Streiche allein machen lassen. Daß meine Frau Ihnen nicht wohl will, habe ich zu meinem Bedauern auch schon erkannt.“

„Darf ich noch etwas sagen, Herr Doktor? Ihre Gattin steht auch Fedor nicht freundlich gegenüber.“

„Das bedauere ich lebhaft“, fiel Peters ein. „Ich vertraue aber auf die Zeit. Und Ihnen beiden, denen der prächtige Junge wie ein Sohn ans Herz gewachsen ist, will ich die feste Versicherung geben, daß ich über ihn wachen und für ihn sorgen werde. Ich befürchte, daß die polnische Wirtschaft seines Vaters ein jähes Ende nehmen und daß er dann eines Tages hilflos dastehen wird. Dann werde ich eingreifen. Ich weiß nicht, ob er es Ihnen gesagt hat, daß ich ihn mir, vorausgesetzt, daß meine Tochter ihre Gesinnung nicht ändert, zum Schwiegersohn erziehen will. Jetzt werden Sie wohl über sein ferneres Schicksal beruhigt sein.“

Mitte Januar erhielt Fedor von seinem Vater die Nachricht, daß er für einige Wochen nach Berlin kommen werde. Er möchte für ihn im Zentralhotel einige gute Zimmer bestellen. Acht Tage später nahm Fedor seinen Vater auf dem Bahnhof Friedrichstraße in Empfang. Eine Stunde später traf, von Brüssel kommend, sein Schwager Graf Villiers mit seiner Gattin ein. Ein rundlicher, mit ausgesuchter Eleganz gekleideter Mann, den seine Gattin um Kopfeslänge überragte. Die Schwester begrüßte den Bruder, den sie zum erstenmal sah, sehr steif und förmlich. Sie hielt ihm zur Begrüßung eine Wange hin, die er mit flüchtigem Kuß berührte. Er fühlte es deutlich, daß sie in ihm nur den Erben sah, der ihr Erbteil um ein Drittel schmälerte.

Den Abend verbrachte die Familie in dem schönen Wintergarten, wo Herr von Kaminsky sich einen Tisch bestellt hatte. Es wurde nur französisch gesprochen, weil der Graf weder das Deutsche noch Polnische verstand. Mit Mühe vermochte Fedor oder Zbigniew, wie er mit seinem richtigen Namen von den Verwandten genannt wurde, der Unterhaltung zu folgen. Er entnahm ihr aber doch, daß Graf Villiers recht erhebliche Anforderungen an die Kasse seines Schwiegervaters gestellt hatte, und daß Herr von Kaminsky mit Nachdruck darauf drang, daß das Ehepaar den nächsten Sommer statt in einem der teuren französischen Bäder auf dem Gut in Polen zubringen sollte. Das ziemlich bedeutende Erbteil von der verstorbenen Mutter, das nur in zwei Teile gegangen war, weil man den ältesten Bruder für tot hielt, war bereits verbraucht, und das Ehepaar war darauf angewiesen, was der Vater ihm gab.

Der Abend verlief ziemlich ungemütlich, weil das Gespräch immer wieder auf diesen Streitpunkt zurückkehrte. Fedor hörte nur mit halbem Ohr zu. Ihn fesselten die glänzenden Darbietungen des Varietés.

Für den nächsten Tag war die ganze Familie Kaminsky bei Peters zu Tisch eingeladen. Beim Anblick der imposanten schloßartigen Villa schlug der alte Herr seinem Sohn auf das Knie und nickte ihm anerkennend zu, als wolle er ihm damit seine Zufriedenheit über den Wohlstand des Doktor Peters ausdrücken.

Der Empfang im Hause steigerte noch seine Zufriedenheit. Die Aufmachung ließ allerdings nichts zu wünschen übrig. Alles zeugte von gediegenem Reichtum. Frau Eveline gab sich als liebenswürdige Hausfrau. Selbst Fedor bekam, als er sich über ihre Hand beugte, einen freundlichen Blick. Er war ihr durch den Vater, der in französischer Sprache sie mit der ritterlichen Art des vornehmen Polen begrüßte, und den gräflichen Schwager in ein anderes Licht gerückt worden.

„Und wo ist das reizende Mädchen, Ihre Tochter, von der mir mein Sohn erzählt hat, gnädige Frau? Werden wir nicht die Ehre haben, sie zu begrüßen?“

„Meine Tochter ist doch noch ein Kind und weilt deshalb in einem Pensionat in München zu ihrer weiteren Erziehung.“

„Sehr verständlich, gnädigste Frau, aber bedauerlich, tief bedauerlich. Gibt es in München Erziehungsinstitute, die sich denen in der französischen Schweiz an die Seite stellen können?“

„Das weiß ich nicht, Herr von Kaminsky“, fiel Peters ein. „Wir haben unsere Tochter einer Professorfamilie anvertraut, in der sie mit der Tochter des Hauses erzogen wird. Das halte ich für besser, als die Abrichtung in einem Institut, wo die jungen Mädchen manchmal Dinge lernen, die zum mindesten überflüssig sind.“

„Sehr wohl“, erwiderte der ältere Herr schnell, „ich verstehe vollkommen Ihren Gesichtspunkt.“

Bei Tisch fand Frau Peters Anknüpfungspunkte mit der Gräfin und ihrem Mann. Sie waren, wie sich herausstellte, im vergangenen Sommer zu gleicher Zeit in Ostende gewesen. Währenddessen unterhielt sich Peters mit Herrn von Kaminsky über die Zustände in Polen. Der alte Herr erklärte rund heraus, für ihn sei die polnische Frage, die vielen seiner Landsleute soviel Kopfzerbrechen bereite, restlos gelöst. Er halte eine Wiedererstehung Polens zu einem selbständigen Staate für völlig ausgeschlossen. Das Beste wäre ein allmähliches Aufgehen in den großen russischen Staat, der mit der Zeit alle slawischen Völkerstämme aufsaugen werde. Deshalb habe er sich mit der russischen Regierung auf einen guten Fuß gestellt, und er fahre sehr gut dabei.

Dann brach er ab und fragte Peters um Rat, wie er es anstellen könne, die Holzvorräte seiner großen Waldungen nutzbringender zu verwerten, als es bis jetzt geschehen sei. Ob er nicht in Berlin Interessenten dafür finden würde.

Peters bejahte die Frage und versprach ihm, sich dafür zu interessieren. Er dachte sich aber sein Teil dabei. Die Holzmenge, die der alte Herr angab, war so bedeutend, daß er wahrscheinlich einen großen Teil seines Waldes ‘runterzuschlagen gedachte, um ihn zu Geld zu machen. Er fing während des Gesprächs einen fragenden Blick Fedors auf und ersah daraus, daß dieser über den Verkauf ebenso dachte wie er.

6. Kapitel

Bei dem Holzverkauf handelte es sich, wie Peters richtig vermutete, nicht nur um die Erzielung besserer Preise, sondern auch um einen größeren Vorschuß. Fedor hatte es von seinem Vater erfahren und in seinem Auftrage Peters mitgeteilt. Was er selbst dabei empfand, versuchte er vergeblich zu verbergen. Ihm zuckten die Lippen, als er sprach.

„Es ist doch nur selbstverständlich“, meinte Peters, „daß bei Abschluß des Kaufes ein größerer Vorschuß gezahlt wird. Und ebenso muß ein weiterer Vorschuß gezahlt werden, wenn eine bestimmte Menge Holz geschlagen und weggeschafft ist. Das ist eine Sicherheit, die von den Käufern geleistet werden muß. Aber die Notwendigkeit des Verkaufs einer so großen Menge Holz kann man allerdings verschiedener Meinung sein. Sie steht meiner Ansicht nach in keinem Verhältnis zu der Größe des Waldes.“

„Ich verstehe es, daß du darüber traurig bist“, fuhr er nach einer Weile fort, als Fedor keine Antwort gab. „Aber darüber waren wir uns doch schon bei unserer Rückkehr aus Warschau klar, daß deine Familie über ihre Verhältnisse lebt und das Stammgut ausraubt. Ich glaube, das hat dir damals den Entschluß, mit mir nach Deutschland zurückzukehren und ein Deutscher zu werden, erleichtert. Und du kannst nichts dazu tun, diese Entwicklung aufzuhalten. Nun bestell’ deinem Vater, daß ich mich, sobald er mir die nötigen Unterlagen liefert, unverzüglich mit einigen Großhändlern in Verbindung setzen werde, um das Geschäft zustande zu bringen. Es wird sicherlich mehr dabei herauszuholen sein, als wenn er, wie bisher, an die russischen und jüdischen Händler in Polen verkauft. Ich verfolge damit auch noch den Zweck, für dich etwas bei dem Geschäft herauszuholen. Deine Zukunft muß wenigstens so weit sichergestellt werden, daß du deine Studien vollenden und dir eine Stellung im Leben schaffen kannst. Dazu halte ich ein Kapital von fünfzigtausend Mark erforderlich. Willst du es deinem Vater sagen?“

Fedor schüttelte den Kopf. „Es hat keinen Zweck.“

„Nun, dann will ich für dich die Sache in die Hand nehmen.“

„Tun Sie es lieber nicht“, bat Fedor, „das wird nur zu unerquicklichen Auseinandersetzungen Veranlassung geben.“

„Ja, mein Junge, willst du denn gar keine Ansprüche an deine Familie stellen? Du bist schon bei der Verteilung deines mütterlichen Erbteils leer ausgegangen. Das ist eine Sache, die sich nachträglich nicht mehr ändern läßt, denn nach meiner Schätzung wird weder dein Bruder, noch dein Schwager noch etwas von dem Erbteil besitzen. Dafür muß dich dein Vater bei der Erbteilung berücksichtigen.“

Am nächsten Tage schon konnte Peters Herrn von Kaminsky die Mitteilung machen, daß sich eine Großhandlung, die in Briesen und Thorn Schneidemühlen besaß, für den Holzverkauf interessierte. Natürlich müßte erst ein Sachverständiger das Holz an Ort und Stelle besichtigen und abschätzen.

Der Graf Villiers, der an dem Frühstück im Zentralhotel teilnahm, erhob sich bald, um sich mit einem Freunde zu treffen. Nun brachte Peters Fedors Versorgung zur Sprache. Der alte Herr sah ihn mit unverhohlenem Erstaunen an. „Ich habe meinem Sohn eine Rente von Zwölftausend Mark jährlich ausgesetzt, ich nahm aber an, daß Sie die Sorge für seine Zukunft übernommen haben. Er hat sich doch auf Ihren Rat nicht seiner Familie angeschlossen, sondern ist mit Ihnen nach Deutschland zurückgekehrt. Und soviel ich weiß, ist er deutscher Untertan geworden.“

Peters amüsierte sich innerlich über die naive Selbstsucht des polnischen Edelmannes. „Was ich für Ihren Sohn zu tun gedenke, wird völlig freiwillig, ohne jede rechtliche Verpflichtung geschehen, mein lieber Herr von Kaminsky. In erster Linie sind Sie doch als sein Vater verpflichtet, für Ihren ältesten Sohn in ausgiebiger Weise zu sorgen. Erlauben Sie mal“, fuhr er energischer fort, als der alte Herr antworten wollte, „ich bin noch nicht zu Ende. Ich bin der Ansicht, daß Sie verpflichtet sind, ihn für das mütterliche Erbe zu entschädigen, das unter seine Geschwister verteilt worden ist. Das ist nicht mehr als recht und billig. Das kann später in Ihrem Testament für die Erbteilung vorgesehen werden. Jetzt muß vor allen Dingen die Rente sichergestellt werden. Wir sind alle Menschen und können plötzlich abberufen werden. Dann würde Fedor vor dem Nichts stehen. Deshalb halte ich es für unerläßlich, daß Sie ihn jetzt außerdem noch durch ein Kapital von, na sagen wir mal fünfzigtausend Mark, sicherstellen.“

Der alte Herr hatte verschiedene Male den Kopf geschüttelt. „Aber, mein bester Herr Peters, was Sie da für Zbigniew verlangen, ist völlig unmöglich. Der Verkauf des Holzes soll dazu dienen, erhebliche Schulden zu bezahlen und den Unterhalt meiner Familie sicherzustellen. Darüber hinaus wird keine auch noch so geringe Summe verfügbar sein.“

„Ich weiß zwar nicht, wieviel Schulden Sie zu bezahlen haben“, erwiderte Peters ruhig, „und wieviel der Unterhalt Ihrer Familie beansprucht, aber zu der Familie zählt doch auch Ihr ältester Sohn. Der Gedanke, daß Sie noch für einen zweiten Sohn zu sorgen haben, mag Ihnen neu sein, Herr von Kaminsky, aber die Tatsache läßt sich doch nicht aus der Welt schaffen.“

Er sah den alten Herrn fest an, dem diese Unterredung sehr peinlich zu sein schien. „Ich wende mich an Ihr Vaterherz. Sie werden doch Ihren Ältesten nicht mit Not und Sorgen kämpfen lassen, während die anderen Kinder im Überfluß leben.“

„Ja, ja, im Überfluß. Sie haben recht, mein Sohn und mein Schwiegersohn verbrauchen sehr viel, zuviel, und mein Schwiegersohn ist gar nicht entzückt davon, daß noch ein dritter Erbe aufgetaucht ist. Er ist der Meinung, daß eine formelle Anerkennung Zbigniews sehr schwierig sein würde.“

„Ach so“, erwiderte Peters scharf, „Ihr Herr Schwiegersohn will, wenn ich Sie recht verstanden habe, Fedor oder Zbigniew, wie Sie ihn nennen, nicht als vollberechtigtes Familienmitglied anerkennen. Das ist aber doch bereits durch Sie und Ihren Sohn geschehen, wie ich im Notfall vor Gericht bezeugen kann. Und Fedor ist preußischer Untertan.“

„Mein Sohn Zbigniew wird nie gegen seinen Vater oder gegen seine Familie klagen“, erwiderte Kaminsky mit Würde, als müsse er einen schimpflichen Verdacht von seinem Sprößling abwenden.

„Wenn Sie mit Fedors Zartgefühl und Edelmut rechnen, dann könnten Sie recht behalten“, erwiderte Peters mit deutlichem Ärger. „Ich hoffe aber, das Leben wird ihn noch hart schmieden. Und was ich dazu tun kann, soll geschehen. Wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf, möchte ich Ihnen anheimstellen, Fedor wenigstens durch eine Summe, wie ich sie vorher nannte, sicherzustellen. Ihr Schwiegersohn braucht davon nichts zu erfahren. Sie stellen die Summe in Ihre Rechnung einfach als Provision ein, die Sie, sagen wir mal, mir haben zahlen müssen.“

Der alte Herr neigte zustimmend den Kopf. „Das wäre eine Möglichkeit, wenn der Kaufpreis, den ich erziele, es gestattet.“

Mit einer Handbewegung brach Peters das unerquickliche Gespräch ab. Er hatte das Gefühl, als wenn es dem alten Herrn mit seinem Versprechen nicht ernst wäre. Der polnische Edelmann schob ihm ersichtlich das Interesse unter, für seinen zukünftigen Schwiegersohn möglichst viel aus dem Besitz der Familie Kaminsky herauszuholen. Das ärgerte und reizte ihn. Dafür wollte er ihn bei dem Geschäft zappeln lassen, bis er mürbe wurde. Der Inhaber der Holzfirma war mit ihm befreundet. Er würde auf seinen Wunsch den Abschluß hinausschieben, bis Peters seinen Zweck erreicht hätte.

Herr von Kaminsky gehörte augenscheinlich zu den Naturen, die nichts verschweigen können, denn schon beim Mittagessen teilte er seiner Tochter und seinem Schwiegersohn mit, was Peters von ihm für Fedor verlangt hatte.

Graf Villiers erhob sofort heftigen Einspruch. „Die Anerkennung des jungen Menschen durch dich und Wladislaw war eine große Übereilung. Was haben wir denn für Beweise, daß dieser Fedor wirklich der verlorengegangene Zbigniew ist? Die Ähnlichkeit? Das kann ein Zufall sein, ein Spiel der Natur, wie es so oft vorkommt. Die Denkmünze eures Geschlechts? Das ist ein Punkt, der mir am meisten Mißtrauen einflößt. Haltet ihr es für wahrscheinlich, daß man bei euch in Polen einem Kinde eine goldene Schaumünze an goldener Kette belassen wird?“

„Allerdings sehr unwahrscheinlich“, erwiderte der alte Herr.

„Gerade der Besitz der Schaumünze“, fuhr Graf Villiers fort, „gilt mir als Beweis, daß ihr einem geschickt angelegten Betrug zum Opfer gefallen seid. Wie weit dieser Doktor Peters seine Hand dabei im Spiel hat, will ich dahingestellt sein lassen.“

„Und wie denkst du dir denn den Betrug?“ fragte die Gräfin.

„Das ist doch sehr einfach. Auf irgendwelche Weise hat dieser Fedor Poranski in Erfahrung gebracht, daß er dir und Wladislaw ähnlich sieht. Dann erklärt sich die Beschaffung der Denkmünze sehr leicht. Wahrscheinlich haben die Personen, mit denen Fedor in Verbindung steht, gewußt oder in Erfahrung gebracht, daß du einen Sohn verloren hast.“

„Du machst viele Worte, mein Freund“, fiel die Gräfin mit kalter Stimme ein, „anstatt rund heraus zu sagen: wir erkennen diesen Fedor nicht als unseren Bruder Zbigniew an, weil seine Identität durch nichts bewiesen ist. Ich bin aber dafür, daß der Vater ihn durch ein Kapital abfindet, wenn er durch notariell beglaubigten Vertrag allen seinen Ansprüchen, die er als Zbigniew Kaminsky erheben konnte, entsagt. Ich glaube, das wird mit Leichtigkeit zu erlangen sein. Dann sind wir ihn los.“

„Du hast recht, meine Tochter“, fiel der alte Herr ein.

„Das sehe ich nicht ein“, meinte der Graf. „Eine Summe, wie sie der junge Mann verlangen wird, bedeutet für uns ein Jahr zu leben. Nun gut, ich will meine Einwilligung geben. Aber dann verlange ich, daß die tausend Mark monatlich wegfallen.“

„Das wird geschehen, wenn wir Berlin verlassen haben, und das wird sofort geschehen, nachdem der Verkauf perfekt ist. Nicht einen Tag länger als nötig, bleibe ich in dieser gräßlich langweiligen Stadt.“

Graf Villiers nickte seiner Frau zustimmend zu. „Ich muß unter allen Umständen noch für einige Zeit nach Paris. Wenn sich meine Pläne erfüllen, müssen wir allerdings nach Kornatowo übersiedeln, aber in zwei, drei Jahren hoffe ich so viel zu erwerben, daß unsere Zukunft sichergestellt ist.“

„Darf man fragen, was das für Pläne sind?“ fragte Graf Villiers lächelte geheimnisvoll.

„Ich möchte noch nicht darüber sprechen.“

„Er will als politischer Agent nach Rußland gehen“, erwiderte seine Frau. „Er hat auf der Gesandtschaft erfahren, daß man Wert darauf legt, unter unseren Landsleuten Stimmung für Frankreich zu machen, auch für die Entente, und man meint, daß seine Verwandtschaft mit dir ihm den Zugang zum polnischen Adel verschaffen wird.“

Beistimmend neigte Herr von Kaminsky den Kopf. „Wenn sich das Geschäft verlohnt...“

„Das laß meine Sorge sein“, erwiderte der Graf, verschmitzt lächelnd. „Solch eine Propaganda kostet viel Geld, das sich nicht kontrollieren läßt.“

Graf Villiers hatte gleich nach seiner Ankunft als naturalisierter Belgier auf der belgischen Gesandtschaft Besuch gemacht und war dort auf die französische Botschaft geschickt worden, die sich im Einverständnis mit der russischen Regierung mit dem Plan beschäftigte, unter den Polen Stimmung für einen engeren Anschluß an Frankreich zu machen. Der Panslawismus, der im russischen Sinne arbeitete, hatte bei den Polen nicht viele Erfolge zu verzeichnen. Der Gedanke, alle slawischen Stämme zu einem föderativen Staat unter Rußlands Leitung zu vereinigen, hatte nur unter den Tschechen gezündet, die auf diesem Wege, nach der Niederwerfung Österreichs, sich von der Doppelmonarchie loslösen und selbständig machen wollten. Bei den Polen im Großfürstentum fand die von dem galizischen Hochadel betriebene Propaganda mehr Anklang, die eine Vereinigung aller getrennten Teile Polens mit oder ohne Anlehnung an Österreich erstrebte.

Der russischen Regierung, die gewohnt war, mit der Knute zu regieren, war es ziemlich gleichgültig, was die Polen wünschten — und hofften. Sie wurden einfach an die Kandare genommen, wenn der Krieg mit Deutschland, den man im Bunde mit Frankreich plante, glücklich verlief, wie man mit Sicherheit annahm. Aber man tat der französischen Regierung den Gefallen, darauf einzugehen und sich anscheinend dafür zu interessieren. Alan hatte in Petersburg, dessen Diplomatie einen wohlbegründeten Ruf genoß, ein feines Gefühl dafür, weshalb die französische Regierung, die aus einer parlamentarischen Mehrheit hervorgeht, Wert darauf legte, für den Kriegsfall unter den Polen Stimmung zu machen. Das war vielleicht für den ganz unwahrscheinlichen Fall von Nutzen, wenn ein unglücklicher Krieg die Regierungsform Rußlands umstieß und die unteren Schichten ans Ruder brachte. Aber da die Franzosen die Kosten trugen und für den russischen Tschin auch etwas abfiel, ließ man sich die Entsendung von Agenten gefallen.

Mit Feuereifer hatte Graf Villiers den Gedanken ergriffen, weil er sofort sah, daß dabei viel Geld zu verdienen war. Man mußte ihm nicht nur ein gutes Gehalt bewilligen, sondern ihm auch größere Summen anvertrauen, deren Verwendung man ihm überlassen mußte. Die Verwandtschaft mit dem alten polnischen Adelsgeschlecht diente ihm als Empfehlung.

Noch im Laufe der Woche war von dem Oberförster der Kaminskyschen Begüterung ein ausführlicher Nachweis über den zu verkaufenden Waldbestand eingetroffen. Sobald die Schätzung durch zwei sachverständige Vertrauensleute der Firma beendet war, konnten die Verkaufsverhandlungen beginnen.

Herr von Kaminsky verkehrte schon mit Rücksicht darauf eifrig im Petersschen Hause. Er konnte freudestrahlend mitteilen, daß sein Schwiegersohn und seine Tochter damit einverstanden wären, Zbigniew durch eine größere Summe sicherzustellen. Welche Bedingung daran geknüpft werden sollte, erzählte er nicht. Auch Fedor schwieg darüber, weil er sich für seinen Vater schämte. Ohne Bedenken hatte er zugesagt, auf alle Erbansprüche zu verzichten.

Frau Peters hatte sich vorgenommen, zu Ehren der Familie Kaminsky eine größere Festlichkeit, wenn möglich ein Kostümfest zu geben. Bereitwillig ging der alte Herr auf ihre Anregung ein, in polnischer Nationaltracht auf dem Fest zu erscheinen. Ein paar Tage später wollte man den Alpenball bei Kroll mitmachen.

Das Fest in der Villa Peters verlief glänzend. Der polnische Edelmann in seiner glänzenden Tracht, die er sich von Hause hatte kommen lassen, erregte allgemein berechtigtes Aufsehen. In seiner ritterlichen Art machte er allen schönen Frauen und Mädchen den Hof. Kopfhaar und Schnurrbart hatte er tiefschwarz gefärbt, so daß er wie ein Jüngling aussah.

Fedor war dem Fest ferngeblieben. Was sollte er unter all den fröhlichen Menschen, die ihm alle unbekannt und fremd waren? Ja, wenn Annemarie zu Hause gewesen wäre und an dem Feste teilgenommen hätte! Er hatte in den letzten Wochen viel über sich und seine Stellung zu dem Hause Peters nachgedacht. Daß sein väterlicher Freund Peters ihm noch immer wohlgesinnt war, darüber konnte er nicht im Zweifel sein. Aber ihr Verhältnis hatte sich doch unter dem Einfluß seiner Gattin geändert. Es war das Vernünftigste, wenn er sich für seine Zukunft keine Hoffnungen machte, sondern sich ganz auf seine eigene Kraft stellte. Sein Vater hatte es ihm zwar nicht gesagt, aber er hatte aus seinen Worten herausgefühlt, daß mit Zahlung der Abfindungssumme die monatliche Unterstützung aufhören würde. Sollte er unter diesen Umständen sein Kapital aufzehren, nur um seinen Bildungshunger zu befriedigen? Nein, es war richtiger, wenn er zum Frühjahr irgend etwas unternahm, was ihn ernährte. Seine Vergangenheit und seine praktischen Erfahrungen wiesen ihn auf die Fischerei. Mit dem Kapital konnte er sich einige Seen pachten und die Fischerei betreiben. Peters würde dagegen sein, also müßte er ihn vor eine vollendete Tatsache stellen.

Der Entschluß gab ihm seine Ruhe wieder und erfüllte ihn allmählich mit etwas Freude. Wenn er seinem alten Freunde Grosek gut zuredete, beteiligte er sich wohl mit etwas Geld an dem Unternehmen und zog zu ihm. Dann hatte er nicht nur ein Heim, sondern auch einen unbedingt zuverlässigen und erfahrenen Teilhaber. Und wenn er ihm jetzt schon schrieb, dann würde Grosek bis zum Frühjahr schon eine Pachtung ausfindig machen, dann kam auch Bogumil...

Das Holzgeschäft wickelte sich zu völliger Zufriedenheit ab. Herr von Kaminsky war über den Preis, der ihm geboten wurde, nicht nur erstaunt, sondern auch erfreut. Er schrieb es der Einwirkung seines Oberförsters auf die beiden Sachverständigen zu, den er angewiesen hatte, die Herren aus Berlin nicht nur glänzend mit Essen und Trinken zu bewirten, sondern sie auch energisch zu schmieren. Daß der Oberförster in richtiger Erkenntnis den Versuch, die Vertrauensleute der Holzfirma zu bestechen, gar nicht unternommen und die Summe, die er angeblich dafür aufgewendet hatte, in seine eigene Tasche steckte, erfuhr er nicht. Er wußte auch nicht, daß sein Oberförster ohne Bedenken die sehr vorsichtige Schätzung der beiden Sachverständigen gegengezeichnet hatte, weil er unter dem blauen Deckel des Schriftstückes einige braune Lappen gefunden hatte, deren Bedeutung auch ein eingefleischter Deutschenhasser richtig einzuschätzen vermag.

In seiner Freude über den günstigen Abschluß des Handels erhöhte Herr von Kaminsky die Abfindung seines Sohnes noch um die Hälfte und übergab ihm noch dreitausend Mark als Unterstützung für drei Monate. Das solenne Frühstück in einem feinen Restaurant Unter den Linden, das der glückliche Vater in seiner frohen Stimmung dem Sohne vorschlug, lehnte Fedor ab. Er nahm auch nicht an dem großartigen Souper teil, das sein Vater dem Ehepaar Peters und dem Freunde seines Schwiegersohnes gab. Am nächsten Morgen fuhr die ganze Familie nach Paris ab. Fedor begleitete sie zur Bahn. Ein frostiger Abschied von Schwester und Schwager, eine zärtliche Umarmung mit dem Vater, der ihn nach slawischer Sitte auf beide Backen küßte.

7. Kapitel

„Mein geliebtes Schwesterchen! Es wird immer einsamer bei uns. Der alte Bogumil fehlt mir furchtbar. Wenn er mit mir meine Schulaufgaben durchnahm, war ich immer in einer Stunde fertig, jetzt brauche ich zwei und drei. Und dann hat er mir immer feine Geschichten erzählt von dem Hirt, der dem Teufel den Riegel der Hölle wegnahm, und von dem Knecht, der einen Ochsen und einen Hahn verkaufen sollte. Als er da war, habe ich fast gar keine Dummheiten gemacht, jetzt mach’ ich wieder welche. Auch dem Vater fehlt der alte Mann sehr. Wenn er nichts zu tun hatte, ging er abends zu ihm und unterhielt sich mit ihm stundenlang. Die Mutter war sehr oft mit Fedors Verwandten in der Oper oder im Theater. Der alte Kaminsky ist ein komischer Kauz. Er färbt sich die Haare und den Bart, damit er noch recht jung aussieht, und geht immer sehr patent. Bei dem Kostümfest erschien er als polnischer Starost. Ich habe ihn gesehen, als er ankam. Auf dem Kopf hatte er eine Mütze mit viereckigem Boden, wie eine Ulanentschapka, vorn daran eine Agraffe aus Edelsteinen und eine Reiherfeder, aber ich glaube, die Steine sind unecht. Dann hatte er einen Schnürrock an und lange Lackstiefel mit silbernen Sporen. Er sah wirklich sehr forsch aus. Seinen Schwiegersohn, den Grafen, kann ich nicht leiden, der hat die ganze Sache auf dem Gewissen. Denk’ Dir bloß, sie haben den Fedor übertölpelt und ihm für fünfundsiebzigtausend Mark seine Erstgeburt abgekauft. Er wird also von seinem Vater nichts mehr erben. Der Vater war sehr wütend darüber und hat den Fedor heftig ausgescholten, daß er kein Vertrauen mehr zu ihm hat und, ohne ihn zu fragen, solch einen dummen Vertrag abgeschlossen hat. Er meint jetzt aber, vielleicht ist es das beste, was Fedor tun konnte, denn wenn die Blase so weiter wirtschaftet, wird in einigen Jahren von dem Gut nichts mehr übrig sein. Denk’ Dir bloß, sie haben den ganzen Wald bis auf ein paar Schonungen, die noch zu klein sind, verkauft. Nun wird das so liegen bleiben, denn zum Aufforsten haben sie kein Geld. Das verpulvern sie alles in Paris, und was dann? Ich gehe ziemlich oft zu Fedor, um ihn aufzuheitern. Zu uns kommt er nur noch, wenn der Vater ihn einladet. Er sieht ganz elend aus, denn er lernt zu viel. Immer, wenn ich komme, sitzt er über seinen Büchern. Manchmal spielt er auch auf seiner Geige, aber immer so traurig. Er bangt sich sehr nach Dir. Deshalb habe ich ihm das letzte Bild, das Du mir geschickt hast, geschenkt. Er hat sich sehr darüber gefreut und es auf seinen Schreibtisch gestellt, damit er es immer ansehen kann. Gestern hat sich der Vater sehr über Fedor geärgert. Denk’ Dir bloß, der Bogumil hat geschrieben, daß Fedor sich mit Grosek zusammen einen See pachten und wieder Fischer werden will. Der Vater will ihm den Kopf zurechtsetzen, aber ich glaube nicht, daß das helfen wird. Was der Fedor sich auf die Hörner nimmt, das führt er durch. Die Mutter ist jetzt ganz freundlich zu ihm, wenn er mal zu uns kommt, und ich habe gehört, wie sie mal zum Vater sagte: ,Der Kaminsky scheint ein sehr verständiger Mensch zu sein.‘ Sie nennt ihn nie Fedor, sondern immer Herr Kaminsky. Schade, daß sie nicht in Ostpreußen mit war und ihn näher kennengelernt hat. Da war er ganz aufgekratzt und meinte, Masuren wäre jetzt seine Heimat. Von diesem Brief erwähne nichts zu den Eltern.

Es grüßt Dich herzlich

Dein Bruder Erich.“

Annemarie Peters hatte sich bald bei der Familie Wagner eingelebt. Das harmonische Verhältnis zwischen dem Ehepaar und die muntere Fröhlichkeit ihrer Freundin Lisa hatten im Verein mit den vielen neuen Eindrücken ihr über den Trennungsschmerz hinweggeholfen. Der Professor hatte sein Amt als Lehrer aufgegeben, weil es ihn zu sehr anstrengte, sonst war er ziemlich gesund. Er schrieb jetzt an einem großen Buch. einer gelehrten Abhandlung über einen griechischen Schriftsteller des Altertums. Am Vormittag unterrichtete er die beiden Mädchen zwei, drei Stunden. Daneben mußten sie der Frau Professor in der Wirtschaft helfen.

Im Oktober hatten sie schon einige schöne Tage dazu benutzt, um einen Ausflug nach Schliersee und Tegernsee zu machen. Für Annemarie, die aus der norddeutschen Tiefebene noch nicht herausgekommen war, ging im Gebirge eine neue Welt auf. Das Weihnachtsfest und Neujahr verlebte sie mit der Familie Wagner in ihrer Villa in Oberaudorf. Es war eigentlich keine Villa, sondern ein richtiges oberbayrisches Bauernhaus mit Holzmöbeln. Nur in einem Zimmer stand eine Liege für den Professor, der am Nachmittag gern ein Stündchen ruhte. Gleich am Abend ihrer Ankunft erlebte Annemarie einen Sonnenuntergang von seltener Pracht. Das Kaisergebirge, das bis tief hinab von weißer Decke eingehüllt war, erstrahlte in rotem Schimmer. Dahinter ragten die zerrissenen Häupter des Wilden Kaisers auf. Wie der Glanz allmählich in ein sanftes Rosa und dann in Violett überging, war von überwältigendem Eindruck.

Annemarie konnte kaum den nächsten Tag erwarten, wo sie den ersten Versuch machen sollte, auf Schneeschuhen zu laufen, die der Professor mit dem guten alten deutschen Wort „Scheite“ nannte. Lisa war Meisterin in dieser Kunst und gab ihr die Anleitung. Auf einer sanft geneigten Schneehalde fuhren sie zum erstenmal abwärts. Als die beiden Mädchen nach zwei Stunden mit roten Backen und blitzenden Augen nach Hause kamen, hatte Annemarie schon so viel gelernt, daß ein Ausflug nach dem Thiersee am Fuße des hohen Pentling verabredet werden konnte. Am ersten Feiertag wurde ein längerer Ausflug unternommen, der über Kieferfelde zum Zechtsee führte. Der tiefe See mit seinem kalten Wasser war erst nach dem letzten Schneefall zugefroren. Nun lag er, von hohen, mit dunklem Tannenwald bedeckten Bergen umrahmt, wie ein schimmerndes Juwel. Man schnallte die Scheite ab und betrat die Eisdecke, um durch das Eis die Forellen zu beobachten, die unbeweglich dastanden. Dann ging es über die Bergeshöhe, von der man die Zinnen des Wilden Kaisers im Licht der Morgensonne aufleuchten sah, hinunter nach Kufstein.

Der letzte Rest von Traurigkeit und Sehnsucht nach dem Elternhause schwand vor den überwältigenden Eindrücken der herrlichen Gebirgswelt. Und jetzt verstand sie auch die Begeisterung, mit der Erich seine Fahrten auf dem Spirdingsee beschrieb. Auf den zahlreichen Ansichtskarten, die sie aus Ostpreußen empfing, fügte auch Fedor einen Gruß bei, und in ihren Briefen ließ sie ihn stets wiedergrüßen.

Ein Verbot, an ihn zu schreiben, hatten die Eltern nicht ausgesprochen. Sie tat also nichts Unrechtes, wenn sie auch an ihn ab und zu eine Ansichtskarte mit kurzen Mitteilungen absandte. Ihrer Freundin Lisa hatte sie ganz harmlos von ihrem Sommeraufenthalt in Masuren erzählt und auch Fedors Rolle dabei geschildert. Wie sie mit lebhaften Worten über die romantische Lebensrettung aus dem Gewittersturm berichtete, lächelte die kleine Münchnerin schelmisch, sie hütete sich aber, eine unzarte Bemerkung zu tun.

Bald nach Neujahr kehrte die Familie mit ihrem Schützling nach München zurück, wo das gesellige Leben, das von den Künstlern, den Malern und Bildhauern, sehr stark beeinflußt wird, eben mit voller Kraft einsetzte. Auch in dem Hause des Professors verkehrte ein junger Maler, Franz Prutz, der den Mädchen Unterricht im Zeichnen und Malen erteilte. Ein untersetzter, breitschultriger Mann mit eckigem Bauernschädel, der sich unter Entbehrungen aufwärts rang. Seinen Lebensunterhalt erwarb er, wie er mit grimmigem Humor erzählte, durch Zeichnungen für illustrierte Blätter und Entwürfe für das Kunstgewerbe. Aber sein Ehrgeiz ging weiter. Er wollte sich durch ein großes Werk die große Goldene Medaille und einen Namen erwerben.

Mit feinem Gefühl erkannte Lisa bald, daß Prutz sich für Annemarie interessierte. Das tat ihr leid, denn sie wußte, obwohl nie auch nur die geringste Andeutung darüber gefallen war, daß das Herz ihrer Freundin dem jungen Polen gehörte, von dem Annemarie so oft und so gern erzählte.

Sie hatte ihre Wahrnehmung der Mutter berichtet, und diese hatte ihr eingeschärft, mit keinem Wort daran zu rühren. Das sei das Zarteste und Höchste, was es im Menschenleben gäbe.

Die erfahrene Frau wußte jetzt aus einer Äußerung der Frau Peters, Annemarie müsse für einige Jahre ihrer Umgebung entzogen werden, daß die Mutter diese aufkeimende Neigung nicht begünstigte. Sie hatte aber keinen Auftrag, das ihr anvertraute junge Mädchen in irgendwelcher Richtung zu beeinflussen.

Mit Sehnsucht wartete Annemarie stets auf einen Brief von Erich. Er war der einzige, der aus seinem Gefühl heraus ihr ausführliche Nachrichten über Fedor gab. Der Schlingel schrieb leider nur sehr unregelmäßig, und seine Briefe unterschieden sich sehr wesentlich voneinander. Man konnte deutlich zwei Arten unterscheiden. Die eine zeichnete sich dadurch aus, daß sie keine Verstöße gegen die Sprache und Rechtschreibung, aber auch kein Wort über Fedor enthielt. Das waren die Briefe, die auf Befehl und unter Aufsicht der Mutter geschrieben wurden. Die anderen waren ihr lieber, wenn sie auch nicht so mustergültig waren.

Der letzte Brief, den Erich aus eigenem Antrieb geschrieben hatte, bestätigte ihr alles, was sie schon vermutet hatte. Einesteils freute sie sich darüber, daß Fedors Zukunft sichergestellt war, andernteils war sie traurig darüber, daß er sich immer mehr von ihnen zurückzog. Daran war nur die Mutter schuld, die ihn abweisend behandelte. Den Plan, wieder zur Fischerei zurückzukehren, durfte er nicht ausführen. Er wußte doch, daß ihr Vater ihn, wenn er genügend gelernt hatte, in sein Hamburger Haus bringen wollte. Aber jetzt, wo er sich durch die Reise nach Warschau als ein polnischer Edelmann entpuppt hatte, war er ganz stolz geworden.

Sie überlegte lange, ob sie selbst an Fedor schreiben sollte. Es war ihr nicht verboten, aber ihr Gefühl riet ihr davon ab. Es war auch besser, wenn sie den Vater bat, einzugreifen.

Doktor Peters hatte, als er den Brief von seiner Tochter bekam, das Gefühl, daß ihre Neigung zu Fedor durch die Trennung nicht im geringsten abgeschwächt war, sondern eher sich noch vertieft hatte. Er beschied Fedor durch eine Postkarte zu sich und gab ihm ohne jede Einleitung Annemaries Brief zu lesen.

Eine leise Rote stieg dem jungen Mann in das von Stadtluft und Stubenhocker: gebleichte Gesicht. Verlegen gab er den Brief zurück.

„Ich danke Ihnen, Herr Peters.“

„Nun, was sagst du dazu?“

„Ich habe es mir nach allen Seiten hin reiflich überlegt, Herr Doktor, ich tauge nicht für die Großstadt. Ich verzehre mich hier in Sehnsucht nach dem Lande und noch mehr nach dem Wasser, und je mehr ich lerne, desto mehr drängt sich mir die Erkenntnis auf, daß mein ganzes Leben durch meine Jugend verpfuscht ist. Ich würde sechs, sieben Jahre brauchen, bis ich so weit wäre, ein regelrechtes Studium zu beginnen, und dann brauche ich noch ebensoviel Zeit, bis ich zu einer Stellung gelange, die mich ernährt. Das alles habe ich mir überlegt. Für den Beruf eines Fischers reichen meine Kenntnisse und Erfahrungen aus, und da mich auch meine Neigung dahin zieht...“

„Lieber Fedor, die Neigungen des Menschen sind sehr selten für seinen Lebensberuf maßgebend. Ich sehe in deinem Entschluß nur das Bestreben, dich von meinem Einfluß freizumachen. Du hast dich gleich von Anfang an dagegen gesträubt, dich von mir leiten zu lassen. Ich habe den Plan, dich nach einem Jahr oder zwei, das wollte ich dir überlassen, den Zeitpunkt zu bestimmen, in mein Handelshaus zu bringen; dann solltest du nach deiner Lehrzeit noch für ein Jahr oder zwei nach Übersee gehen und dann in eine leitende Stellung eintreten. Ich weiß nicht, wie Erich sich entwickeln wird. Deshalb habe ich dich dazu ausersehen, daß du ihm zur Seite stehst. Dein Plan, Fischer zu werden, befremdet mich, weil ich bisher annahm, daß du mehr Ehrgeiz hast, als es jetzt der Fall zu sein scheint. Was du von deiner Bildung gesagt hast, stimmt, aber nur für den Fall, daß du Arzt oder Jurist werden willst. Für den Kaufmann ist der gelehrte Krimskrams zwar nicht von Übel, aber auch nicht nötig. Dazu gehört nur ein weiter Blick und ein kühler Kopf mit der nötigen Energie. Die hast du als Leiter des großen Fischereibetriebes bewiesen.“

„Überleg’ dir das alles in Ruhe“, fuhr er nach einer Weile fort, als Fedor mit der Antwort zögerte. „Ich habe schon an Grosek geschrieben, er möchte sich mit der Pachtung nicht so sehr übereilen, und heute habe ich von Bogumil Nachricht bekommen, daß unser Freund Grosek nicht mehr der alte ist. Sein Lebensmut scheint durch das Unglück und den Tod seiner Tochter gebrochen zu sein. Er hatte sogar, ehe dein Brief kam, die Absicht, sich völlig zur Ruhe zu setzen. Nun will ich zwar nicht sagen, daß du nicht imstande wärest, eine Fischerei allein zu leiten, aber der Rat des alten, erfahrenen Mannes würde dir doch sehr fehlen. Und noch eins: vergiß nicht, daß Annemarie dich darum bittet, den Plan aufzugeben. Ich meine, dem mußt du Rechnung tragen. Das Natürlichste ist, daß du dich mit Annemarie darüber auseinandersetzst. Schreib’ ihr ausführlich und wart’ ab, was sie dir darauf erwidert. Schreibe ihr wie einer Schwester.“

Mit rascher Bewegung streckte Fedor ihm die Hand hin. „Ich danke Ihnen, Herr Peters, aber das ist nicht nötig, und das will ich auch nicht. Schreiben Sie ihr, was wir miteinander gesprochen haben, und daß ich mir die Sache noch einmal reiflich überlegen will. Dann können Sie ihr meinen Entschluß mitteilen.“

Peters war, als Fedor gegangen war, sich darüber nicht klar, wie dieser Entschluß ausfallen würde. Er ahnte nicht, daß der feinfühlige Mann je länger, je mehr den Abstand erkannte, der ihn von der reichen, gebildeten jungen Dame trennte. Es war ein Mangel an Selbstgefühl, der ihm aus seiner Jugend anhaftete. Unter fremden Menschen ohne Liebe aufgewachsen in den niedrigsten, ganz ungebildeten Volksschichten, immer getreten und geschlagen, am allerschlimmsten beim russischen Militär, da konnte kein selbstbewußtes Herrengefühl in ihm aufkeimen. Den schnellen Aufstieg vom Fischerknecht zum Leiter des großen Betriebes hatte er im Rausch durchlebt. Erst später war ihm zum Bewußtsein gekommen, daß er dieses Glück nur dem Einfluß seiner väterlichen Freunde Grosek und Bogumil zu danken hatte.

Und je länger er darüber nachdachte, desto wunderbarer erschien es ihm, daß Doktor Peters die Neigung zu seiner Tochter nicht nur begünstigte, sondern sich ihn zum Schwiegersohn erziehen wollte. Das war nur dadurch erklärlich, daß Peters sich aus einer traurigen, wildbewegten Jugend durch eigene Kraft emporgerungen hatte. Ob das nicht auch der Grund war, daß er mit seiner Frau so wenig übereinstimmte? Sie lebten nebeneinander, nicht miteinander. Nur die Rücksicht auf die Kinder hielt ihre Ehe noch zusammen. Würde es ihm mit Annemarie nicht ebenso gehen? Wo er mit seinen lückenhaften Kenntnissen im Ungewissen tappte, wußte sie gut Bescheid. Sie sprach fließend zwei fremde Sprachen, von denen er eine mühsam radebrechte.

Zu alledem kam noch sein Stolz, der sich dagegen aufbäumte, die Gestaltung seines Lebensweges einem fremden Menschen zu überlassen. Gegen den Beruf des Kaufmanns fühlte Fedor keine Abneigung. Im Gegenteil, der Gedanke lockte ihn, die wirtschaftlichen Beziehungen der Völker und fremde Länder kennenzulernen. Aber daß er mühelos auf ebener Straße, von Freundeshand geleitet, vorwärts schreiten sollte, das verletzte sein Ehrgefühl.

Ein Ziel, das vielleicht einen anderen stark gereizt hätte, hatte ihm nie vorgeschwebt. Das wäre der Kampf um das Stammgut seiner Familie gewesen. Von seiner Große und Bedeutung hatte er nur eine unklare Vorstellung. Aber selbst, wenn er sie richtig einschätzte, hätte ihn sein Haß gegen alles, was russisch war und mit Rußland Freundschaft hielt, davon abgehalten.

Der Haß hatte sich noch vertieft, seitdem sein Nationalgefühl als polnischer Edelmann in ihm erwacht war. Es war langsam in ihm aufgekeimt und allmählich gewachsen, obwohl er, durch das Privatkolleg über die Geschichte Polens von der ersten bis zur dritten Teilung, den Mangel seiner Volksgenossen an politischer Einsicht kennengelernt hatte.

Dazu kam noch die Abneigung gegen seine Familie. Der Vater war doch nur aus kluger Berechnung auf die Seite Rußlands getreten und nach der Meinung vieler Polen ein Verräter seines Volkes. Der Bruder Wladislaw, den er nur von der kurzen Begegnung in Warschau kannte, war wahrscheinlich ohne jede Einsicht auf Wunsch des Vaters russischer Offizier geworden, und der Graf war ein Mensch ohne Charakter, der leichtsinnig von den Einkünften seines Schwiegervaters zehrte. Es war Fedor nicht entgangen, daß sein Schwager und wahrscheinlich auch seine Schwester den Vater dazu getrieben hatten, seinen ältesten Sohn durch eine Abfindung von der Familie zu lösen. Nur mit Widerstreben hatte er das Geld genommen und nur, weil es ihn von Peters unabhängig machte.

Konnte er das alles Annemarie schreiben? Würde sie ihn verstehen? Manchmal tat es ihm leid, daß er von der Erlaubnis des Vaters, ihr zu schreiben, keinen Gebrauch gemacht hatte.

Nach langem Überlegen und Ringen kam er zu dem Entschluß, die Ausführung seines Planes noch um ein Jahr zu verschieben. Peters gab sich anscheinend damit zufrieden. Und Annemarie freute sich darüber.

8. Kapitel

Hans Bärwald stand in seinem Atelier und malte. Ein kleiner, rundlicher Mann mit aschblondem Haar, in dem am Hinterkopf bereits die Anfänge einer Glatze hervortraten. Aus dem rosigen Gesicht trat ein Paar etwas zu große, lichtblaue Augen. Eine Landschaft stand auf der Leinwand. Vorn ein Bach mit einigen Weiden, dahinter eine Wiese mit grasenden Kühen. Ab und zu trat er einige Schritte zurück und musterte mit selbstzufriedener Miene sein Werk.

An den Wänden seines Ateliers hingen schon zwei Dutzend ähnlicher Landschaften. Einige standen noch auf Staffeleien in dem Raum umher. Er war aufs reichste mit echten Teppichen, Gobelins und all den Gegenständen ausgeputzt, die Künstler zu sammeln pflegen. In einer Ecke stand eine kostbare Ritterrüstung, eine andere war mit Gewehren und Waffen aller Art behängt. Die dritte war mit einer ansehnlichen Sammlung von Geweihen und Hörnern aller Art bedeckt. In der vierten hing ein Marienbild in Vierfarbendruck, wie es in jeder bayerischen Bauernstube zu finden ist, mit einer ewigen Lichtlampe darunter.

Auf großen und kleinen Tischen lagen oder standen Nippfiguren, Ketten aus Altsilber, Krüge und Tassen bunt durcheinander.

Hans Bärwald war eben dabei, den Pinsel wegzulegen, als sein Freund Carlo Conti eintrat. Mit kurzem Gruß trat er vor die Staffelei und musterte sie kritischen Blickes. Dann schüttelte er den Kopf. „Immer die alte Geschichte bei dir... das Bild hat keine Perspektive. Es sieht flach aus, die Kühe sind entschieden zu groß. Ich würde ihnen an deiner Stelle einen Hintergrund geben, eine Bergkette, die im blauen Dunst verschwimmt.“

Ganz gleichmütig erwiderte Bärwald: „Das muß wohl an meinen Augen liegen, daß ich die Dinge so flach sehe. Bei diesem lohnt es sich nicht mehr. Aber ich kann ja ein anderes malen und nach deinem Vorschlag einen Hintergrund anbringen. Ich wollte sowieso in den nächsten Tagen nach Hartmannsberg hinausfahren, da sieht man das Gebirge am Horizont. Was hast du heute geschafft?“

Carlo Conti warf mit einem Ruck des Kopfes sein langes, schwarzes Haar zurück. „Ich? Ein Dutzend Muster für Tapeten und am Altarbild für die Stephanskirche habe ich einige Striche gemacht. Ein Hundeleben.“

Er griff in die Tasche, holte ein paar Bürsten heraus und strich seinen schwarzen Schnurr- und Knebelbart glatt. „Was hast du heute abend vor?“

„Ich habe gar nichts vor, ich habe auf dich gewartet. Schlag’ was vor.“

„Ich bin heute in einer Stimmung, mich mit der ganzen Welt herumzuschlagen. Ich muß irgendwohin, wo ich rauschende Musik hören und mich unter Alkohol setzen kann.“

„Das letzte ist nicht unbedingt nötig“, meinte Hans Bärwald lachend. „Hast dich wieder über dein Bild geärgert?“

„Ärgern, das ist gar kein Ausdruck. Ich war nahe daran, es in Fetzen zu zerschneiden.“

„Den Überschwang deiner Gefühle verstehe ich nicht. Wenn man sich eine so hohe Aufgabe stellt, eine Szene aus Dantes Inferno zu malen, dann muß man sich mit zäher Ausdauer wappnen. Hast du schon für deine Hauptfigur ein Modell gefunden?“

„Nein, das ist es ja eben. Der alte Schauspieler, der sich anheischig gemacht hat, den Ausdruck grimmiger Verzweiflung darzustellen, sieht nach fünf Minuten entweder wie ein heulender Derwisch oder wie ein Säufer aus, der das graue Elend kriegt.“

Bärwald lachte laut auf. „Da gibt es doch ein einfaches Mittel. Der Kerl wird im geeigneten Moment photographiert.“

„Das will er nicht, er will durch Sitzen bei mir Geld verdienen.“

„Dann gibst du ihm ebensoviel, wie er im besten Falle bei dir verdienen kann.“

Mit einem kurzen Ruck warf Carlo Conti den Kopf in den Nacken zurück. „Du hast gut reden. Wenn man als einziger Sohn eines reichen Fabrikanten zur Welt kommt und die Malerei zum Vergnügen betreibt...“

„Ich helfe dir gern aus.“

„Danke ergebenst. Ich möchte mein Schuldkonto bei dir nicht weiter anschwellen lassen. Aber wenn du mir einen Kognak verabfolgen willst?“

„Gern.“ Bärwald trat an einen Schrank und nahm eine Flasche und Gläser heraus. Da rief eine muntere Stimme von der Tür her: „Da komme ich ja gerade zur richtigen Zeit.“

„Guten Abend, Prutz“, erwiderte Bärwald. „Du kommst zur rechten Zeit.“ Franz Prutz reichte beiden die Hand. „Leidest du wieder an Bildschmerzen?“

„Ja, Carlo ist heute wieder mal weltschmerzlich angehaucht.“

„Das wird sich nach dem dritten Kognak geben“, erwiderte Prutz lachend. „Ich habe ein sehr dringendes Anliegen an dich, Hans. Du weißt doch, daß ich die beiden Mädel bei Professor Wagner unterrichte. Ja so, die zweite ist eine reiche Berlinerin, ein reizendes, schönes Mädel von sechzehn, siebzehn Jahren.“

„Schon verschossen?“ fragte Carlo.

„Unterbrich mich nicht durch unpassende Redensarten. Die beiden Mädel haben den Wunsch, ein richtiges Atelierfest mitzumachen.“ Er lächelte. „Ein richtiges, oder was man so darunter versteht, ist allerdings ausgeschlossen, aber eine lustige Nacht kann es werden.“

„Selbstverständlich stehen dir meine Räume dazu gern zur Verfügung“, fiel Bärwald ein.

„Wird mit Dank angenommen. Die Bewirtung geht auf gemeinschaftliche Kosten.“

„Du bist ja mächtig geschwollen“, meinte Carlo.

Lachend klopfte sich Prutz auf die Hintertasche seiner Hose. „Ich nicht, aber mein Geldbeutel. Er enthält die Anfänge eines fürstlichen Vermögens, das ich durch eine Serie von Illustrationen verdiene.“

Noch lange saßen die drei Freunde in eifriger Beratung beisammen. Bärwald, der in den besten Kreisen Münchens verkehrte, stellte die Liste der Teilnehmer auf. Ein farbenprächtiges Kostümfest sollte es natürlich werden. Unter den jungen Malern ließ sich mit Leichtigkeit ein richtiges Schrammelquartett zusammenbringen, bei dem Bärwald die Ziehharmonika mit Geschick und Ausdauer spielte. Conti sang Lieder zur Laute. Vielleicht noch ein paar Nationaltänze, einige lebende Bilder...

Schon am nächsten Tage verschickte der Festausschuß die Einladung, die auserlesene Genüsse verhieß. Bald liefen die Antworten ein, die ohne Ausnahme zustimmend lauteten. Auch Professor Wagner gab gern seine Einwilligung, obwohl er selbst nicht an dem Fest teilnehmen wollte. Prutz sollte bei der Auswahl der Kostüme behilflich sein. Er riet, für Annemarie ein Gretchenkostüm zu wählen. Frau Professor als Mutter Martha. Daraus ergab sich von selbst die Idee, aus „Faust“ ein lebendes Bild zu stellen. Carlo Conti als Mephisto, ein bärtiger Kollege als Faust.

Acht Tage später wurde in Bärwalds Atelier die erste Probe abgehalten. Die Schiebetür zu einem Nebenraum war beseitigt und durch einen Vorhang ersetzt worden. Eine lustige Gesellschaft von Künstlern, Maler, Bildhauer, junge Musiker, auch ein paar Schauspieler fanden sich zusammen. Unter Lachen und Scherzen wurden die Bilder gestellt. Annemarie schwamm in einem Meer von Entzücken. Der ungezwungene, harmlos lustige Ton, der unter dem Künstlervölkchen herrschte, die eigenartigen Menschen, die neuen Eindrücke reizten sie und versetzten sie in eine gehobene Stimmung.

Am Abend des Festes gab es schon zu Anfang eine drollige Überraschung. Die Gäste hatten sich vollzählig eingefunden, nur der Hausherr fehlte. Der Diener, den man fragte, zuckte die Achseln. Eine leichte Verlegenheit griff Platz. Nur Franz Prutz, der die Überraschung vorbereitet hatte, lächelte geheimnisvoll. Da hob die Rüstung, vor der gerade Annemarie und Lisa standen, den Arm und schlug das Visier zurück. Das rosige Gesicht Bärwalds lachte aus dem Helm die Mädel an. Dann tat der Hausherr ein paar dröhnende Schritte und begrüßte mit launigen Worten seine Gäste.

Mit einem Schlag griff eine übermütig lustige Stimmung Platz. Die Schrammeln setzten mit einem hinreißenden Wiener Ländler ein, und schon im nächsten Augenblick wirbelten die tanzenden Paare umher.

Dann begann die Vorstellung. Als die Szene aus Faust erschien, meinte Bärwald zu Prutz, der neben ihm stand: „Das wäre ein Bild für dich, das kannst du malen.“

Es war in der Tat eines der gelungensten Bilder. Conti mit seiner hohen, hageren Gestalt und den düsteren, schwarzen Augen in dem scharf geschnittenen Gesicht war ein vorzüglicher Mephisto, und Annemarie mit ihren frischen Farben und dem dicken, langen, blonden Hängezopf das richtige Gretchen, wie es nach Goethes Dichtung zum Typ geworden ist.

Jedes Bild wurde von einem Photographen zur Erinnerung für die Teilnehmer mit Blitzlicht aufgenommen. Dann kamen Vorträge an die Reihe. Als erster erschien Conti in seinem Kostüm auf der Bühne, setzte sich auf einen Stuhl und schlug die langen Beine übereinander. Dann griff er in die Laute und begann zu singen. Annemarie horchte auf. Das war doch eine Melodie, die sie schon von Fedor hatte spielen hören. Rasch, feurig, aber mit schwermütig in Moll ausklingendem Schluß.

Bärwald, der neben ihr saß und ihre Bewegung bemerkte, flüsterte ihr zu: „Seine Mutter war eine Polin. Von der hat er die wunderbaren Lieder.“

Annemarie war es, als wenn Conti nur für sie sang. Seine dunklen Augen ruhten nur auf der Ecke, wo sie saß. Der heftige Beifall zwang den Sänger, noch einige Lieder zuzugeben.

Erst am frühen Morgen, als die Arbeiter schon zu ihren Werkstätten eilten, endigte das Fest. Annemarie hatte sehr viel getanzt, am meisten mit Conti, der den ganzen Abend nicht von ihrer Seite wich. Schon auf dem Heimwege wurde Annemarie von Lisa mit der neuen Eroberung, die sie gemacht hatte, geneckt. Aber sie spann die Neckerei nicht weiter aus, als sie merkte, daß sie der Freundin unangenehm war. Sie war übrigens in der gleichen Lage, denn Bärwald hatte sich in auffallender Weise um sie bemüht.

Erst zu Hause beim Entkleiden meinte Annemarie: „Du hast heute auch eine Eroberung gemacht.“ Lisa errötete und wandte sich ab. „Mir hat Bärwald sehr gut gefallen. Er ist zwar kein Ausbund von männlicher Kraft und Schönheit, aber ein feiner, lieber Mensch. Ich glaube, er hat ein Gemüt wie ein Kind.“

„Ja, er ist ganz nett.“

„Ein bißchen wärmer könnte dein Urteil schon ausfallen“, meinte Annemarie lachend. „Er besitzt noch eine ganze Reihe weiterer Vorzüge. Er ist reich, völlig unabhängig und auf dem besten Wege, ein berühmter Maler zu werden.“

Jetzt lachte Lisa hell auf. „Das letzte stimmt nicht. Er betreibt die Malerei nur, um irgendeine Beschäftigung zu haben, und seine Landschaften werden nie die Welt erobern. Prutz hat mir erzählt, daß er die meisten verschenkt.“

In der Besuchsstunde nachmittags kamen Prutz, Bärwald und Conti, um sich nach dem Befinden der Damen zu erkundigen. Sie hatten schon ihre Ansichten über den Verlauf des Festes ausgetauscht, und Prutz war in schlechter Stimmung. Er hatte sich die ganze Nacht über Conti geärgert und ihm in allem Ernst Vorwürfe gemacht, daß er seine älteren Rechte verletzt habe. Er habe Fräulein Peters eingeladen und dadurch das Recht erworben, ihren Kavalier zu spielen.

„Ich fühle als Teufel keine moralische Verpflichtung, solch ein fadenscheiniges Recht zu achten“, hatte Conti lachend erwidert. „Die Bahn war frei, und ich habe sie mit dem Recht betreten, das jeder Verehrer kraft seiner Neigung besitzt. Dir steht es noch immer frei, mit mir in die Schranken zu treten.“

Bärwald entschied: „Carlo hat recht, du hast doch auch Fräulein Wagner eingeladen und dich nicht um sie gekümmert. Es ist also der Egoismus, der aus dir spricht.“

Am nächsten Tage fand Bärwald wieder einen Vorwand, im Wagnerschen Hause zu erscheinen. Er brachte die ersten Abzüge der auf dem Fest aufgenommenen Bilder mit. Sie waren überaus gut gelungen und gaben reichlichen Gesprächsstoff. Der Professor, dem der junge Maler gefiel, lud ihn ein, zum Abendessen zu bleiben, und Frau Professor lächelte dabei. Ihr war der Eifer, mit dem sich Bärwald auf dem Fest Lisa gewidmet hatte, nicht entgangen, und sie hatte nichts dagegen, wenn sich daraus ein ernsthaftes Verhältnis anspann. Der reiche junge Mann war ohne Zweifel ein annehmbarer Schwiegersohn.

Weniger angenehm war ihr die Geflissenheit, mit der sich der Italiener ihrem Schützling gewidmet hatte. Aber sie sah für Annemarie keine Gefahr. Sie sollte ja auch nicht in klösterlicher Abgeschiedenheit gehalten werden, sondern am geselligen Leben teilnehmen.

Und in ihrem nächsten Brief an Frau Peters konnte sie ja so nebenbei die Bemerkung einstießen lassen, daß Annemarie sehr viel Beifall gefunden habe, und daß ein junger Maler sich sehr lebhaft für sie zu interessieren scheine.

In ihrer Antwort ging Frau Peters mit keiner Silbe auf diese Bemerkung ein, und Frau Professor entnahm daraus, daß sie dem Verkehr der jungen Leute kein Hindernis in den Weg zu legen brauche. Prutz kam nur noch zu den Stunden und benahm sich sehr förmlich, während Bärwald und Conti sehr lebhaft im Hause des Professors verkehrten. Sie holten die jungen Mädchen zur Eisbahn ab und begleiteten die Familie Wagner auf ihren sonntäglichen Ausflügen. Annemarie lief leidenschaftlich gern auf den Scheiten und war nicht nur sehr sicher, sondern auch ausdauernd. Und ebensogern rodelte sie. Als kleines Mädchen hatte sie diesen Sport in Andreasberg im Harz kennengelernt und dann mit Erich im Grunewald eifrig betrieben. Aber was waren die kurzen Strecken gegen die Bahnen im Gebirge, wo man zwei, auch drei Kilometer in sausender Fahrt zurücklegen konnte!

Meistens fand sich am Sonntag eine ganze Gesellschaft von den Festteilnehmern zusammen. Gitarren wurden mitgenommen, und am Abend wurde gesungen und getanzt. Am Montag schrieb Annemarie immer einen langen Brief nach Berlin, am meisten an Erich, der ihn natürlich sofort zu Fedor hintrug. Sie wußte, daß er sich über ihr lustiges Leben freute und es ihr von Herzen gönnte.

Auch mit Prutz stand sie sich sehr gut. Er hatte seine gute Laune wiedergefunden, als er sah, daß Conti von Annemarie mit gleichbleibender kühler Freundlichkeit behandelt wurde. Der Italiener war heftig verliebt, aber Annemarie hielt ihn mit ruhiger Sicherheit in Schranken. Sie hatte Prutz gebeten, die Szene aus Faust zu malen. Ihr Vater würde, wie sie sich vergewissert hatte, das Bild gern erwerben. Weniger die Aussicht darauf, als die Gewißheit, Annemarie malen zu dürfen, hatten Prutz bestimmt, das Bild zu malen. Der Kollege, der den Faust darstellte, ließ sich gern bereit finden, Modell zu stehen, Frau Professor auch. Nur Conti machte Ausflüchte, die durch ein bittendes Wort von Annemarie jedoch besiegt wurden. Nun fand sich die Gesellschaft jeden Vormittag bei Prutz ein, der mit Lust und Liebe malte. Das Werk schritt schnell vorwärts, weil er am Tage nichts Nebensächliches ausführte. Mitte März wurde das Bild verpackt und nach Berlin geschickt. Peters hatte einen sehr namhaften Betrag, den Bärwald als angemessen bezeichnete, dafür angewiesen. Am Tage, als das Bild abgeschickt wurde, malte Prutz noch sehr eifrig daran. Er nahm Rache an Conti, indem er dem Gesicht Mephistos einen wahrhaft teuflischen Zug verlieh.

9. Kapitel

Wie in jedem Jahr, hatte der alte Wnuk, genannt Grosek, eine Maschkopie zur Sackstellerei zusammengestellt. Er wollte aber nur die Aufsicht führen. Das Fischen sollte für ihn sein Neffe Liba besorgen, der zu einem strammen Burschen herangewachsen war. Gleich am ersten Tage ließ er sich von seinen Leuten eine feste Hütte aus Rasen bauen, die mit Rohr eingedeckt ihm für die Nacht einen warmen Unterschlupf bot. Am Tage lag er in seinen grauen Wandmantel gewickelt in der Sonne und führte mit Boruch, der auch in diesem Jahr als Vertrauensmann Zochers bei der Maschkopie weilte, lange Gespräche. Auch Bogumil fand sich öfter ein. Er beaufsichtigte die Inneneinrichtung der Petersschen Villa. Die Möbel waren schon aufgestellt und die Teppiche gelegt. Jetzt arbeiteten zwei Künstler in dem Hause, brachten Bilder, Gardinen und Vorhänge an und vollendeten die wohnliche Einrichtung.

Mit Ungeduld warteten die alten Freunde auf Peters, der erst eintreffen wollte, sobald alles bis auf den letzten Nagel in Ordnung war. Aber noch vor ihm erschien ganz unerwartet Fedor im Fischerlager. Er war die Nacht hindurch gefahren und von Rudzanny aus zu Fuß durch die Forst gewandert. Schon im April, als die Knospen und Bäume und Sträucher anschwollen und er bei einem Ausflug die erste Lerche singen hörte, war in ihm die große Sehnsucht aufgewacht und hatte ihn mit lockenden Gedanken und Bildern erfüllt. Dann war ein Brief von Bogumil gekommen, worin er seinen Besuch im Fischerlager beschrieb und auch beiläufig erwähnte, daß Grosek doch schon recht klapprig wäre.

Da hatte es Fedor in dem steinernen Häusermeer, das ihn zu erdrücken drohte, nicht mehr ausgehalten. Er hatte Erich, der ihn beim Packen überraschte, Bescheid gesagt und sich auf die Bahn gesetzt.

Während er mit dem gesunden Appetit der Jugend frühstückte, mußte er erzählen, auch von Annemarie. Grosek, der das liebe Mädel in sein Herz geschlossen hatte, war der erste, der nach ihr fragte. Ein Schatten flog über Fedors Gesicht. Aber dann berichtete er ausführlich, wie Annemarie in München lebte. Jetzt war sie mit der Familie Wagner nach Oberaudorf übergesiedelt und schrieb an Erich und die Eltern Briefe voll Freude und Entzücken über die erwachende Natur, die ihre empfängliche Seele mit neuen Eindrücken nährte.

„Es tut uns allen leid“, meinte Bogumil, „daß wir das prächtige, liebe Mädel in diesem Sommer nicht wiedersehen werden, aber wir wollen es ihm von Herzen gönnen. Nicht wahr, Fedor?“

Am Abend fand sich auch Erichs erster Hauslehrer im Lager ein. Der „Professor“, wie ihn Peters titulierte, hatte entschieden das große Los gezogen, als er die Hauslehrerstelle bei Peters aufgab und die wohlhabende Witwe heiratete, die ihm ein angenehmes, sorgenfreies Leben bereitete. Und er war auf dem besten Wege, unter der Leitung seiner Frau ein tüchtiger Landwirt zu werden. Das ganze Frühjahr über war er auf dem Felde fleißig gewesen. Und die Frau sah in ihn wie in einen goldenen Spiegel. Sie war neben ihm einige Stufen in der ländlichen Rangordnung emporgestiegen, denn in ihrem Hause verkehrten jetzt die Grünröcke der Heide und einige Gutsbesitzerfamilien. Und Frau Wahrmund war selig, wenn ihr Mann sich abends an den Flügel setzte, den sie ihm gleich nach der Hochzeit angeschafft hatte, oder ihr zur Gitarre Lieder vorsang.

Jetzt war die Frühjahrsbestellung beendet, und der Professor hatte Zeit genug, um den Freundeskreis, in den er durch Peters geraten war, öfter aufzusuchen. Am Abend, als die alten Herren sich in ihre Hütte zurückgezogen hatten, lag er neben Fedor am Lagerfeuer.

„Nun erzählen Sie mir mal, was Sie in Berlin treiben und vor allen Dingen, was Sie lernen und studieren.“

Fedor zog einen glimmenden Ast aus dem Feuer, entzündete sich eine Zigarette und tat einen tiefen Zug, der seine Lunge füllte. Dann begann er zu erzählen. Kopfschüttelnd hörte der Professor zu. „Sie vergeuden Kraft und Zeit an Dinge, die durchaus überflüssig find. Haben Sie denn keinen Menschen gefunden, der sich in die Besonderheiten Ihrer Lage versetzt und Ihnen einen vernünftigen Studienplan aufstellt? Das meiste, was man auf der Schule lernt, geht im Leben später spurlos verloren, weil es nur dem formalen Zweck diente, die Geisteskräfte des heranwachsenden Menschen zu schulen. Das ist bei Ihnen doch nicht mehr nötig. Diese Aufgabe hat bei Ihnen schon das Leben erfüllt. Es kommt für Sie nur darauf an, ein gewisses Maß von Kenntnissen zu sammeln, das als Grundlage für den weiteren Aufbau dient. Was glauben Sie wohl, was die große Zahl all derjenigen gelernt hat, die mit dem Einjährigenzeugnis ins Leben treten und tüchtige Landwirte, Kaufleute und Beamte werden?“

Die Pause, in der er sich eine neue Zigarre ansteckte, benutzte Fedor, um zu erwidern, daß er soviel wie nur irgend möglich an Wissen erwerben möchte.

„Ja, wollen Sie denn ein Gelehrter werden, oder sagen wir mal ein Arzt oder Jurist?“

„Nein, ich will einen praktischen Beruf ergreifen, der mich ernährt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich mir einige Seen pachte.“

„Aber Mann Gottes, weshalb wollen Sie sich dann Ihren Kopf mit Dingen anfüllen, die Sie später doch nur als Ballast empfinden und so schnell wie möglich über Bord werfen werden? Nein, wie ich Ihnen schon gesagt habe, Sie müssen sich eine solide Grundlage schaffen, auf der Sie, wenn Ihnen das Leben dazu Zeit läßt, weiterbauen können.“

„Ja, lieber Professor, wer soll mir dabei raten?“

„Na, nehmen Sie an, daß ich Ihnen den Dienst erweisen will. Sie beherrschen bereits drei Sprachen: Russisch, Polnisch und Deutsch.“

„Und Französisch einigermaßen.“

„Das genügt vollkommen, selbst für weitgehende Ansprüche. Die Elementarkenntnisse im Rechnen haben Sie auch intus. Wenn Sie in die höheren Künste dieser Art eindringen wollen, so genügt es, wenn Sie einen Begriff bekommen, womit sich die Planimetrie und Arithmetik beschäftigen.“

„Das habe ich schon gelernt.“

„Na, wenn Sie den berühmten Pythagoreischen Lehrsatz kennen, der hundert Ochsen das Leben kostete, und eine Gleichung mit zwei Unbekannten ausrechnen können, dann haben Sie reichlich genug für Ihr Leben. Dagegen möchte ich Ihnen raten, sich eifrig mit Geschichte und Geographie zu beschäftigen. Das sind Kenntnisse, die den Blick des Menschen erweitern, und die man immer beherrschen muß. Ich kann Ihnen aus meiner Bücherei die geeigneten Werke geben. Und dann noch eins: Sie müssen einen Begriff davon bekommen, was die Dichter und Völker aller Zeiten geschaffen haben. Sie müssen Homer, Horaz lesen. Na, was soll ich alle aufzählen, das würde zu lange dauern. Sie müssen wissen, wer Dante, wer Leonardo da Vinci gewesen ist. Das nennt man allgemeine Bildung. Dann können Sie in der besten Gesellschaft zuhören, ohne das Gefühl der Beschämung zu haben, davon nichts zu wissen. Wenn es Ihnen recht ist, schreibe ich Ihnen das morgen alles auf und auch die Bücher, die Sie brauchen. Ich bin auch gern erbötig, Ihnen einige Vorträge zu halten, in denen ich Ihnen die großen Gesichtspunkte geben möchte, die das Verständnis erleichtern. Ich habe jetzt in der Landwirtschaft bis zur Heuernte Ruhepause.“

Fedor streckte ihm die Hand hin. „Das nehme ich gern an, lieber Herr Professor. Ich bitte Sie, das Honorar zu bestimmen.“

Mit einem Ruck richtete sich der Professor auf. „Menschenskind, reden Sie doch nicht solchen Unsinn. Erstens bin ich kein Herr Professor, wie Sie in Ihrer jugendlichen Naivität anzunehmen scheinen, sondern ein pensionierter Hauslehrer, dem unser Freund Peters diesen Spitznamen angeheftet hat.“

„Oh, dann bitte ich vielmals um Verzeihung.“

„Nicht nötig. Lassen Sie es nur ruhig beim Professor, ich habe mich sehr daran gewöhnt. Und zweitens freue ich mich, daß ich Sie durch meine Erfahrung auf den richtigen Weg bringen kann. Aber nun ist es Zeit, daß ich mich auf die Socken mache. Auf Wiedersehen, mein lieber Herr von Kaminsky.“

„Ach nein, ich bitte, lassen Sie es bei Fedor.“

Am Morgen und am Abend half Fedor dem Liba beim Sackstellen. Den Tag über lag er irgendwo im Walde oder bei schlechtem Wetter in Groseks Hütte und lernte und las eifrig in den Büchern, die ihm der Professor gebracht hatte. Er besaß ein so vorzügliches Gedächtnis, daß er das meiste, was er las, behielt. Und wenn er es nach einiger Zeit noch einmal überlas, dann haftete es für immer. Ab und zu wanderte er nach Weissuhnen zum Professor, der ihm sehr lehrreiche Vorträge hielt. Gleich im ersten zeigte er ihm in überaus klarer Weise die Abhängigkeit der menschlichen Kultur von der Natur. Wie und wodurch sich Handel und Verkehr entwickelte. Dabei empfand er zum erstenmal das frohe Gefühl, daß er den richtigen Weg gefunden hatte.

Am Tage vor Pfingsten kam Doktor Peters mit Erich und dessen neuem Hauslehrer, der mit seinem Zögling abwechselnd französisch und englisch sprach. Ein bescheidener junger Mann, der sich bald an Fedor und den Professor anschloß. Am ersten Feiertag versammelte sich der ganze Freundeskreis in der Villa, um das Haus einzuweihen. Frau Doktor Peters beabsichtigte, am nächsten Tage nachzukommen. Als jedoch bis Mittag kein Telegramm ihre Abfahrt meldete, unternahm die ganze Gesellschaft eine Spazierfahrt mit dem Motorboot auf dem Beldahnsee.

Kurz, nachdem sie abgefahren, kam das Telegramm, das die Ankunft der Frau Doktor in Rudzanny meldete, und der Chauffeur Kleinknecht fuhr mit dem Auto dorthin, um sie abzuholen. Frau Eveline hatte mit Absicht nicht telegraphiert, weil sie ihren Mann überraschen wollte. Da sie jedoch auf dem Bahnhof in Rudzanny kein Fuhrwerk bekam, mußte sie sich doch telegraphisch das Auto bestellen. Sie hatte natürlich ihre Gesellschafterin und eine Zofe mitgenommen. Der Zweck ihrer Reise war nicht, Masuren und das neue Haus kennenzulernen. Sie glaubte nicht daran, daß die Schönheit der Gegend allein auf ihren Mann solch einen großen Reiz ausübte, sondern sie meinte, es müsse für ihren Mann noch ein anderer Anziehungspunkt vorhanden sein. Dann war es eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit von Peters, den Jungen mitzunehmen, der mit seinen fünfzehn Jahren alles sah und hörte und verstand.

Ihre Gesellschafterin war schon auf der Fahrt von der Schönheit begeistert, die hier die Natur bot, und als sie von dem Turmzimmer den Rundblick genossen, der ihnen weithin nach allen Seiten ein dunkles Waldmeer und dazwischen die tiefblauen Seen zeigte, schwamm sie in Entzücken. Am meisten imponierte ihr der Spirding, auf dessen grünen Wogen lange, weiße Schaumstreifen lagen.

Frau Peters fand den Rundblick sehr nett, aber die Reize dieser Landschaft könnten sich doch nicht im entferntesten mit den Eindrücken messen, die das Meer und das Gebirge böten.

„Wenn man das einmal sieht und es in sich aufnimmt, hat man genug. Aber hier leben? Nein!“

Nachdem sie das Essen eingenommen hatten, das in Eile für sie hergerichtet worden war, gingen sie hinunter zur Fähre, wo eben zwei Fuhrwerke mit dem Prahm über den Seearm gesetzt wurden. Vor der Tür des Kruges saß Fritze Gutbier mit einer Handarbeit. Alles, was in der Villa vorging, interessierte sie aufs lebhafteste. Jetzt saß sie auf der Lauer, um die neuen Ankömmlinge, auf deren Erscheinen sie schon wartete, in Augenschein zu nehmen. Nur einen Blick warf sie den beiden Damen entgegen, dann senkte sie ihr Gesicht wieder auf die Handarbeit. Aber mit dem einen Blick hatte sie gesehen, daß Frau Peters sehr kostbar gekleidet war und sehr hochmütig aussah. Ebenso scharf hatte Frau Eveline das junge Mädchen gemustert. Die stattliche volle Gestalt, das üppige, wuschlige Haar. Jetzt hob Fritze den Kopf und sah die Dame mit ihren funkelnden Augen an. Dazu hatte sie eine gleichgültig scheinende, abweisende Miene aufgesetzt. Für einen Augenblick trafen sich die Blicke. Dann neigte Fritze zur Begrüßung den Kopf und erhob sich.

„Sind die Herrschaften aus der Villa?“

Frau Eveline antwortete nur durch ein leises Neigen des Kopfes.

„Herr Doktor Peters ist mit der ganzen Gesellschaft auf den Niedersee gefahren und wird erst abends zurückkehren. Wenn Sie bald mit dem Auto nach Guzianka fahren, können Sie ihn dort in der Schleuse abfassen.“

„Woher wissen Sie denn das, mein Fräulein?“

„Der Klaus hat es mir erzählt, als er Selter holen kam.“

Mit einem leichten Kopfneigen ging Frau Eveline weiter bis zur Fähre, wo sie dem Ausbooten der Fuhrwerke zusah. Auf dem Rückwege gingen die Damen vorüber, ohne von Fritze Notiz zu nehmen.

„Was halten Sie von dem Mädchen, Ulrike?“ fragte Frau Eveline, als sie außer Hörweite waren.

Mit einem feinen Lächeln erwiderte die Gesellschafterin: „Ein stattliches Landmädchen mit klugen Augen.“

„Sagen Sie lieber, mit wissenden Augen. Ich halte sie für eine junge Frau. Sie verstehen mich schon, liebe Ulrike. Eine gefährliche Nachbarschaft für einen Strohwitwer in den besten Jahren.“

Ulrike von Levetzow schwieg. Ein abweisender Zug trat auf ihr Gesicht.

„Sie meinen, keine Antwort ist manchmal auch eine Antwort“, fuhr Frau Eveline in leichtem Plauderton fort. „Ich habe natürlich nur gescherzt, einen so schlechten Geschmack traue ich meinem Mann nicht zu. Der ist auch, wie ich glaube, darin sehr verwöhnt.“

Die Gesellschafterin gab auch darauf keine Antwort. Sie fühlte, daß in den Worten ihrer Begleiterin, die mit lachendem Munde gesprochen hatte, ein Unterton mitklang, der deutlich verriet, daß die Möglichkeit, die sie eben angedeutet hatte, sie zum mindesten lebhaft beschäftigte. Und Frau Eveline fand jetzt auch, daß in dem Schweigen ihrer Gesellschafterin eine Abweisung lag. Erst nach einer Weile fragte sie: „Wollen wir dem Boot entgegenfahren?“

„Aber natürlich, wir wollen doch nicht hier beide allein Grillen fangen.“

Als sie gegen fünf Uhr in Rudzanny anlangten, war die Gesellschaft eben vom Niedersee zurückgekehrt und wollte gerade noch eine Fahrt auf dem Cruttinfluß unternehmen. So etwas zauberhaft Schönes hatte Ulrike von Levetzow, wie sie leise zu Peters sagte, noch nicht gesehen. Ein unbedeutendes Flüßchen, das mit sanfter Strömung sich durch einen alten düsteren Nadelwald hindurchschlängelt. Die Ufer von hellem Gebüsch umrahmt. Aber das Schönste ist doch das Flüßchen selbst. Durch das kristallklare Wasser erblickt man jeden Gegenstand auf dem Grunde. Nicht nur das dichte Gewirr der in verschiedenen Farben prangenden Wasserpflanzen, die sich von der leichten Strömung wiegen lassen, sondern auch zahlreiche Fische, die manchmal ganz unbeweglich dastehen, während der Kahn über sie hinweggleitet, oder langsam davonschwimmen.

In trunkenem Schweigen fuhr die Gesellschaft zurück. Erst als man im Gasthaus bei einer guten Bowle beisammensaß, genoß man im angeregten Gespräch alle die Eindrücke dieser Fahrt.

In der Nacht wachte Frau Eveline von einem Sausen und Brausen, Krachen und Donnern auf. Lange lag sie wach und lauschte. Das waren der Wald und der See, die den neuen Gast mit ihren Stimmen begrüßten.

10. Kapitel

Im nächsten Winter befolgte Fedor den Rat des Professors, sich auch mit der Kunst bekannt zu machen. Er hatte in Ostpreußen im Lager viel gegeigt und wollte nun Noten lernen und bei einem Musiker Unterricht nehmen. Aber schon nach wenigen Stunden gab er sein Vorhaben auf. Es war ihm unmöglich, die steifen, langweiligen Übungen zu spielen. Und weshalb sollte er Zeit und Mühe auf eine Fertigkeit verschwenden, die ohne Zweifel überflüssig war. Für den Hausgebrauch genügte ihm, daß er jede Melodie nach dem Gehör spielte.

Desto eifriger besuchte er die Oper und Konzerte, auch im Theater war er in jeder Woche einige Male. Den Realismus der Neuzeit, der möglichst getreu das nüchterne Alltagsleben abmalte, hatte er sich bald übergesehen. Um so mehr nahm ihn die Romantik Schillers und die mit ihrer tönenden Sprache fortreißende Gewalt Shakespeares gefangen. Daran entzündete sich sein Temperament.

Aus dem Lernen war er ins Studieren gekommen, das heißt, er hörte in der Volkshochschule eine Anzahl Vorlesungen, die ihn in ein neues Wissensgebiet einführten. Was er hörte, ergänzte er noch durch eifriges Lesen.

Wenn er jetzt bei Peters, der an einem Abend jeder Woche einen kleinen Kreis älterer Herren um sich versammelte, bescheiden unter klugen und gelehrten Männern saß, dann freute er sich, daß er ihrem Gespräch folgen konnte. Ab und zu wurde er auch ins Gespräch gezogen und gezwungen, ein Urteil abzugeben. Er tat es mit bescheidener Zurückhaltung und war beinahe erstaunt, daß seine Ansicht Beachtung fand. Das hob sein Selbstbewußtsein.

Eines Abends, als das Gespräch auf Rußland kam, warf er von selbst ein Wort in die Unterhaltung, und als Peters darauf bemerkte, daß sein Schützling die Verhältnisse dort aus eigener Anschauung kenne, wurde er nach diesem und jenem gefragt, und plötzlich begann er zu erzählen. Die Worte flossen ihm mühelos zu. Alle hörten ihm interessiert zu, bis er, rot vor Eifer, plötzlich abbrach. Er war verlegen geworden bei dem Gedanken, daß er sich in unbescheidener Weise in den Vordergrund gestellt habe. Doch die Herren nickten ihm ermunternd zu und baten ihn, fortzufahren.

Im Frühjahr war das Jahr verstrichen, das er sich zur Vollendung seines Bildungsganges bewilligt hatte. Aber nun kamen ihm die Bedenken, ob er allein imstande sein würde, ohne Groseks Hilfe einen Fischereibetrieb zu leiten. Er beschloß, noch für ein Jahr nach Masuren zu gehen und sich mit allem, was dazu erforderlich war, in erster Linie mit der Herstellung der verschiedenen Netze, vertraut zu machen. Daneben konnte er noch lesen und lernen. Peters wollte erst gegen den Herbst in Ostpreußen erscheinen. Er plante eine längere Reise nach England und Nordamerika, um für sein Haus neue Verbindungen anzuknüpfen.

Fedor fand Grosek sehr verändert. Er hatte im Winter nicht mehr als Garnmeister auf dem Eise gefischt. Die alte Neigung und Gewohnheit hatten ihn aber doch ein paarmal hinausgetrieben, und er war den ganzen Tag bei Boruch auf dem Eise geblieben. Dabei hatte er sich eine Lungenentzündung geholt, an der er wochenlang schwer darniederlag. Jetzt saß er in der Mittagszeit ein Stündchen vor seinem Hause in der wärmenden Sonne, seinen Enkel auf dem Schoß.

„Meine Zeit ist ‘rum“, sagte er ohne jede Spur von Traurigkeit zu Fedor. „Den Sommer über werde ich mich noch so durchschleppen, aber wenn der Herbst kommt…“

„Ach, Alterchen, das mußt du nicht denken. Du bist jetzt bloß noch ein bißchen matt von der Krankheit.“

„Nein, nein, mein Junge, das wirst du mir nicht ausreden. Ich weiß, was ich weiß. Mir tut es bloß um den Jungen leid, der wird aufwachsen wie ein Fohlen, in dem steckt das wilde Blut des Vaters. Und meine Frau ist zu schwach, und wenn sie die Augen zumacht, sie ist auch schon recht klapprig, was dann? Soll er sich bei Verwandten ‘rumstoßen?“

„Nein, Grosek, das wird er nicht. Ich werde mich um ihn kümmern. Wenn du nicht mehr da bist und deine Frau stirbt, nehme ich ihn zu mir. Er soll mein Sohn werden, wie ich deiner geworden bin. Von allen Menschen, die sich meiner angenommen haben, habe ich dir das meiste zu danken.“

Grosek legte den Arm um ihn. „Was habe ich denn schon Großes an dir getan? Daß ich dich als Fischer angenommen, als du als Flüchtling zu uns ‘rüber kamst? Das war doch bloß meine Pflicht als Christ und Mensch.“

„Ja, aber ohne deine Hilfe wäre ich jetzt vielleicht in den sibirischen Bergwerken.“

Der Alte nickte. „Ich denke noch wie heute daran, wie du in die Stube kamst. Ich sah dir auf den ersten Blick an, wer du warst. Und wie du nachher auf meinen Knien geweint und mir alles erzählt hast aus deiner Jugend, da habe ich dir ins Herz gesehen, und das war rein und weiß wie ein unbeschriebenes Blatt. Da habe ich mir gesagt, dem mußt du helfen, das ist eine Seele, die nicht in Elend und Schmutz verkommen darf. Deshalb bin ich auch zum Landrat und zum Grafen Mirbach gefahren und habe für dich gebeten, daß du preußischer Untertan würdest. Was hast du mir dafür zu danken? Ich habe die Belohnung schon bekommen, daß du ein guter Mensch geworden bist.“

Er zog ihn mit dem linken Arm noch fester an sich und legte ihm die Rechte aufs Haupt. „Wenn ein sündiger Mensch dem anderen einen Segen für sein Leben mitgeben darf, dann segne ich dich im Namen Gottes, mein Sohn. Mag er dir geben, was er für gut befindet, Sturm und Sonnenschein. Alles muß man nehmen, wie es aus Gottes Hand kommt. Und nicht darauf kommt es an, was der Mensch im Leben erreicht, sondern was er gewollt hat. Wie das ausfällt, das steht in der Hand Gottes. Wer das Gute will, wird vor ihm bestehen.“

Tief erschüttert beugte Fedor sein Haupt unter der segnenden Hand. Nach einer Weile stand Grosek auf und ließ den Jungen von den Knien. „Ich muß ‘reingehen, die Sonne ist weg, und es wird kühl.“

Im geheizten Zimmer setzte er sich an den Ofen und nahm ein Tuch um die Schultern. „Bleib’ heute bei mir. Wer weiß, ob wir noch einen Abend miteinander verleben werden. Und ich habe dir noch vieles zu erzählen.“

Erst sprach er von seinem Enkel. Er hatte ihm bereits sein für einen Fischer ziemlich ansehnliches Vermögen verschrieben. Seine Frau behielt bis zu ihrem Tode die Nutznießung und das Häuschen. Dann fing er von der Familie Peters an zu sprechen. Aus allem, was er sprach, ersah Fedor, daß der Alte ihn und Annemarie für ein verlobtes Paar ansah.

„Die Tochter ist noch ein Kind, aber sie ist rein wie Quellwasser und fest wie Gold. Ich möchte sagen, sie ist wie eine kostbare Perle, die man treu behüten muß. Sie hat das meiste vom Vater, der bei all seiner Klugheit ein ehrlicher Mann geblieben ist, ein Mann ohne Furcht und ohne Falsch. Ein Wort von ihm ist mehr wert als zehn Verschreibungen. Erich hat auch mehr von ihm als von der Mutter. Ich habe sie nur einmal am vorigen Pfingsten gesehen. Da hat sie freundliche Worte zu mir gesprochen, aber in ihren Augen stand zu lesen: ,Wie kommt der alte Bauer in die Gesellschaft des reichen Doktor Peters?’ Sie ist hochmütig und lebt nur für die Welt und mit der Welt. Sie fährt im Sommer weiß Gott wohin und läßt den Mann und die Kinder allein. Man sagt hier bei uns: ‚Wer die Tochter freien will, muß sich die Mutter ansehen’, und: ,Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm’, aber das stimmt hier nicht und stimmt doch. Denn der Stamm ist der Vater. Und der Vater hält seine Hand über sein Kind. Du bist traurig gewesen, wie Bogumil erzählte, daß die Eltern die Annemarie weggebracht haben. Die Mutter hat das gewollt, und der Vater hat zugestimmt, weil er klug, sehr klug ist. Es ist sehr gut, wenn das Mädchen nicht immer an der Mutter Schürze hängt, sondern sich bei fremden Leuten umsieht, wie es in der Welt zugeht. Hätt’ ich die Anka, wie sie eingesegnet war, in die Stadt in den Dienst gebracht, dann hätte sie sich nicht an den Saschul gehängt und lebte heute noch. Und was wär’ aus euch beiden geworden, wenn ihr immer zusammen gewesen wäret? Du mußtest zum Lernen den Kopf frei haben. Und hat sie dort einen anderen gefunden, der ihr besser gefällt, nun, dann beißt man die Zähne zusammen, dann ist es nicht die Richtige gewesen.“

Er hob die Hand. „Ich weiß schon, was du mir sagen willst. Es ist alles in Ordnung bis jetzt, was nachher kommt, mußt du abwarten.“

„Was meinst du, Vater?“

„Ich meine, daß die letzte Prüfung für euch beide noch kommen wird. Ihr Vater will dich in sein Geschäft nehmen und dir einen Posten geben, daß du sein Schwiegersohn werden kannst. Nimm das nicht an, stell’ dich auf eigene Füße, auch wenn Peters dagegen ist. Und nimm bloß ein kleines Los, und arbeite fleißig mit, damit du alles verstehst, dann wird sich zeigen, ob die Annemarie dich wirklich liebt. Geht sie mit dir nach Masuren oder wo du pachtest, dann ist sie echt.“

Er brach ab und ließ sich von seiner Frau ein Glas Wein geben. „Auch für Fedor eins. Wir wollen anstoßen.“

„Übereil’ nichts“, fuhr er nach einer Weile fort. „Man geht nicht auf die Freit, wenn man noch nichts ist und nichts hat.“

Fedor wiegte nachdenklich den Kopf. „Du vergißt, Väterchen, daß Annemarie ein sehr reiches Mädchen ist. Da handelt es sich nicht um Hunderttausende, sondern um ein paar Millionen.“

„Hat sie die verdient oder der Vater? Und streckst du die Hand nach den Millionen aus oder nach dem Mädchen?“

Fedor lachte. „Jeder Mensch wird doch glauben, daß ich nur die Millionen haben will.“

„Laß die Menschen glauben, was sie wollen. Du sagst ihrem Vater: ich habe soundso viel Vermögen, wenn Sie ebensoviel Ihrer Tochter mitgeben, bin ich zufrieden. Was darüber ist, soll der Erich nehmen.“

„Das werde ich tun“, erwiderte Fedor mit ehrlicher Überzeugung. „Nun sieh bloß zu, daß du wieder auf die Beine kommst, damit du mir noch zeigen kannst, wie jedes Netz eingerichtet wird.“

Grosek hob abwehrend die Hand. „Wie Gott will. Ich weiß, daß meine Zeit abgelaufen ist. Aber wenn du Rat brauchst, komm zu mir. Der Zocher wird dir gern soviel Netze verkaufen, wie du haben willst. Im nächsten Jahr läuft die Pacht ab, und er will sich zur Ruhe setzen. Da kannst du billig und gut kaufen.“

Geschäftig eilte Frau Wnuk vom Herd zum Tisch, um das Abendbrot aufzutragen. Grosek erhob sich und setzte sich an den Tisch. Er neigte den Kopf und sprach im stillen das Gebet. Dann begann er, seine Milchsuppe zu essen. Mit einmal fing der Löffel in seiner Hand an zu zittern.

„Was ist dir, Väterchen“, fragte Fedor besorgt.

„Ach, nichts, mir zittert ein bißchen die Hand.“

Er hob mit der Linken den Teller zum Munde und löffelte ihn aus. Mit deutlicher Stimme sagte er: „Gesegnete Mahlzeit.“

Dann sank er auf der Bank um. Fedor sprang sofort zu und versuchte, ihn aufzurichten. Es hatte keinen Zweck mehr. Noch drei Stunden wehrte sich der starke Körper gegen den Sensenmann, immer langsamer und leiser wurden die röchelnden Atemzüge. Still und gefaßt saß Frau Wnuk an seinem Kopfende, während Fedor seine Hand hielt. Ihm war’s in diesem Augenblick, als wenn ihm der Vater gestorben wäre.

Grosek war schon gewaschen und aufgebahrt, als Bogumil erschien. Stumm saß er lange Zeit neben dem Sarge. Sein bester, ältester Freund war von ihm gegangen. Erinnerungen an die Knabenzeit stiegen in ihm auf. Wie sie selbander zuerst die Gänse und dann die Schafe und Kühe gehütet hatten. Wie sie nachts mit den Pferden zur Weide in die Forst geritten und sich beim schwelenden Torffeuer grausige Geschichten erzählt hatten.

Sechs junge Fischer trugen den Sarg. Ein großes Gefolge gab ihm das Geleit. Die ganze Gegend trauerte um den Mann, der keinen Feind gehabt hatte.

Fedor wohnte in der Villa und ließ sich von dem Gärtner, der das Haus verwaltete, bewirten. Auch das Motorboot, das er selbst zu bedienen verstand, stand ihm zur Verfügung. Täglich fuhr er nach Glodowen, wo er unter der Leitung des Zimmermanns für Peters einen leichten Kahn baute. Dann lernte er beim Garnmeister jede Art von Netzen einrichten. Das war eine schwere Kunst, die sich in einzelnen Fischerfamilien vom Vater auf den Sohn forterbte. Da mußte jede Masche gezählt, jeder Schwimmer und jeder Senker an der richtigen Stelle sein, damit das Netz fängisch wurde.

Dann wieder fuhr er zu den Fischern und arbeitete mit ihnen, um zu lernen, wie man das Netz anlegt.

Im Herbst, als Peters ankam, konnte er ihm mit Stolz berichten, daß er jetzt ein fertiger Fischer sei.

„Du willst also wirklich Berufsfischer werden?“

„Ja, ich will mir zunächst ein kleineres Los pachten, und wenn Zochers Pachtzeit abläuft, wage ich mich vielleicht an den Spirding.“

Peters neigte zustimmend den Kopf. „Das wäre ein Gedanke, der mir gefällt. Das Kapital, das dazu gehört, will ich dir gern zur Verfügung stellen, das heißt als stiller Teilhaber. Das kann für uns beide ein gutes Geschäft werden, und wenn du jetzt zur Pachtung Geld brauchst, kannst du es auch von mir erhalten.“

Von Erich erfuhr Fedor, daß Annemarie Ende September nach Hause zurückkehrte. Die Mutter, die mit ihren achtunddreißig Jahren noch sehr jugendlich aussah, hätte sie gern noch ein Jahr unter fremden Leuten gelassen, aber Annemarie wollte durchaus nach Hause, und Peters entschied, daß sie jetzt unter die Obhut der Eltern gehöre.

In Fedor wallte die Freude auf. Es zog ihn mächtig, mit Peters nach Berlin zu fahren, um sie wiederzusehen. Aber erst wollte er sie vor die Tatsache stellen, daß er Fischer geworden war. Für Mitte September stand ein Los von zweitausend Hektaren zur Verpachtung. Er fuhr hin, sah sich den See und den Betrieb an und verhandelte mit dem bisherigen Pächter, der sich zur Ruhe setzen wollte, wegen Übernahme des ganzen Inventars.

Als er von der Besichtigung zurückkehrte, fand er einen Brief seiner Schwester vor. Sie war nach Berlin gekommen, um ihn zu einer dringenden Besprechung aufzusuchen, und da sie ihn dort nicht gefunden, wollte sie ihn auf der Rückreise in Masuren besuchen. Erstaunt las Fedor den Brief, der sehr herzlich geschrieben war. Was konnte die Schwester von ihm wollen? Sie war doch diejenige gewesen, die auf seine Abfindung gedrängt hatte. Und seitdem hatte sich keiner der Familie um ihn gekümmert.

Peters war auch überrascht von dem Brief. „Vielleicht brauchen sie dich jetzt“, meinte er.

Fedor zuckte die Achseln. „Ich wüßte nicht, wozu.“

„Vielleicht wollen sie verkaufen und halten deine Einwilligung für nötig.“

„Ich habe doch in aller Form auf mein Erbrecht verzichtet.“

Am nächsten Morgen holte Fedor die Schwester im Auto von der Bahn ab. Sie umarmte und küßte ihn auf beide Backen. Kaum war sie ausgestiegen, als sie auch schon auf polnisch zu erzählen begann. Der Vater hätte einen leichten Schlaganfall gehabt, er hätte ihn überwunden, wäre aber nicht imstande, sich um die Bewirtschaftung des Gutes zu kümmern. Ihr Mann habe von der Landwirtschaft keine Ahnung. Nun habe noch der deutsche Verwalter zum Frühjahr gekündigt.

Fedor ließ sie ruhig sprechen, ohne etwas dazwischenzuwerfen. Er nahm jetzt als sicher an, daß Kornatowo verkauft werden sollte.

„Wir müssen im nächsten Winter auf einige Monate nach Paris und Brüssel. Thaddi ist durch die Konnexion meines Mannes zur Garde nach Petersburg versetzt.“

„Da wollt ihr also Kornatowo verkaufen?“ fiel Fedor ein. „Aber was habe ich damit zu tun?“

Die Gräfin schüttelte den Kopf. „Wir denken nicht daran, zu verkaufen. Die Güter sind im Preise gestiegen. Es hat sich durch die Bemühungen meines Mannes eine französisch-belgische Gesellschaft mit großem Kapital gebildet, die in Polen Zuckerfabriken bauen wird. Nach Kornatowo soll auch eine Fabrik kommen. Mindestens auf einem Drittel des Landes sollen Zuckerrüben gebaut werden.“

„Das ist ja sehr erfreulich, und wenn ihr euch einen tüchtigen deutschen Verwalter nehmt, der die Sache versteht...“

11. Kapitel

Die Gräfin schwieg, und Fedor hielt in seiner Herzenseinfalt die Frage für erledigt. Nur ein ganz klein wenig wunderte er sich darüber, daß sie nach Berlin gefahren war, um ihm das mitzuteilen. Er ahnte nicht, daß das bloß der Auftakt gewesen war, und daß ihr das Brausen des Windes das Sprechen erschwerte. Sie hatten die großen Holzstapel von Rudzanny hinter sich und fuhren eben an der Oberförsterei Guzianka vorüber, wo ihr Fedor mit einer Handbewegung den Ausblick auf den meilenlangen Beldahnsee zeigte.

Gleich dahinter begann der Hochwald aus alten Kiefern, wie man sie in dieser Stärke in ganz Deutschland nicht findet. Unter dem heftigen Südwind bogen und schüttelten sich ihre breiten Kronen. Und in das Brausen und Rauschen kam von weither ein dumpfes Donnern und Poltern, das regelmäßig für eine Sekunde abschwoll und dann mit doppelter Kraft einsetzte. Die Gräfin horchte auf und wandte sich mit fragendem Blick an Fedor.

„Der Spirding singt“, rief er ihr zu. „Die Wellen brechen sich auf dem seichten, mit großen Steinen bedeckten Ufer.“ Schweigend legten sie den Weg nach Wiersba zurück, wo schon der gedeckte Frühstückstisch auf sie wartete. Mit einem Blick fragte Peters, was der Besuch bedeutete. Fedor hob unmerklich die Schultern an.

„Darf ich fragen, gnädigste Frau Gräfin, wie es Ihrem Gatten und Ihrem Herrn Vater geht?“

„Oh, mein Mann, der sich Ihnen empfehlen läßt, erfreut sich einer ausgezeichneten Gesundheit. Leider kann ich nicht dasselbe von meinem Vater berichten. Er hat vor einigen Wochen einen allerdings leichten Schlaganfall erlitten, von dem er sich schon einigermaßen erholt hat. Die Folgen sind aber doch derart, daß er sich die größte Schonung auferlegen muß.“

„Pfeift der Wind aus dem Loche“, dachte Peters und zwinkerte Fedor mit dem linken Auge zu, während er in bedauerndem Tone erwiderte: „Das ist recht bedauerlich, gnädigste Frau. Ich hoffe aber, daß Ihr alter Herr sich wieder völlig erholen wird. Und für die Zwischenzeit hat Ihr Gatte jedenfalls dem alten Herrn die Last der Geschäfte abgenommen.“

„Dazu ist er leider nicht imstande“, erwiderte die Gräfin lachend. „Er versteht ebensowenig von den Geschäften, die ein so großer Besitz mit sich bringt, wie von der Landwirtschaft.“

„Sie haben ja wohl einen sehr tüchtigen Verwalter, einen Deutschen, wenn ich nicht irre.“

Die Gräfin neigte das Haupt und schwieg nachdenklich. Es paßte ihr nicht, in Gegenwart der fremden Menschen, auch Erich mit seinem Hauslehrer saß am Tisch, mit dem wirklichen Zweck ihrer Reise herauszukommen. Das besprach sich leichter mit Fedor unter vier Augen. Sie hielt ihn für einen weichen Gefühlsmenschen und hoffte, ihn zu gewinnen, wenn sie ungehemmt alle ihre Überredungskünste spielen lassen konnte.

„Nun, womit beschäftigst du dich hier? Sind deine Studien vollendet?“ wandte sie sich nach einer kurzen Pause an ihren Bruder. Peters freute sich bei dieser Frage im stillen auf Fedors Antwort und den Eindruck, den sie auf die Gräfin machen mußte.

„Ich habe mir ein gewisses Maß von Kenntnissen angeeignet“, erwiderte Fedor ruhig, „die mich befähigen, mich allein weiterzubilden. Und hier habe ich den Sommer dazu benutzt, mich in dem Betrieb der Fischerei zu vervollkommnen.“

„Ah... interessiert dich das so sehr?“

„Aber sehr, es soll doch mein Lebensberuf werden. Ich bin eben dabei, eine Pachtung zu übernehmen.“

Die Gräfin lachte laut auf. „Ist das dein ganzer Ehrgeiz, Zbigniew? Du willst dich hier in diese Einöde vergraben? Was sagen Sie dazu, Herr Doktor?“

Peters hob die Schultern an. „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Ich hatte es lieber gesehen, wenn Fedor auf meine Pläne eingegangen wäre, aber wenn er hier den größten Fischereibetrieb Deutschlands in die Hand bekommt, ist es mir auch recht.“

„Und was sagt Ihr Fräulein Tochter dazu?“

Fedor errötete bis unter die Haarwurzeln und sah verlegen auf seinen Teller. Wie konnte seine Schwester nur so taktlos sein, diese Frage zu tun? In Peters Augen trat der Schalk. „Danach habe ich sie noch nicht gefragt. Vielleicht hält es Fedor für nötig. Ich glaube aber kaum, daß ihre Entscheidung für ihn von Bedeutung sein wird.“

Die Gräfin erhob sich. „Ich möchte vor Mittag noch einen Spaziergang unternehmen. Willst du mich begleiten, Zbigniew?“

Als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, nahm Peters Fedor unter den Arm und führte ihn in sein Zimmer. „Jetzt kommt’s, halt’ die Ohren steif. Deine Schwester will dich einfangen für Kornatowo, du sollst den verfahrenen Karren aus dem Dreck ziehen. Das gibt es nicht. Wenn du ihr gegenüber schwach werden solltest, schieb’ die Entscheidung mir zu. Wir haben einen Vertrag, hörst du, aus dem ich dich nicht ‘rauslassen will. Wenn du dich übertölpeln läßt, sind wir geschiedene Leute.“ —

„Wie stehst du denn nun mit dem Fräulein Peters?“ fragte die Schwester, als sie im Hohlweg langsam zur Höhe des Berges aufstiegen. „Hast du schon ihre Einwilligung zu dem ausgefallenen Plan, Fischer zu werden? Oder interessierst du dich nicht mehr für das Mädchen? Ich denke, sie wird in zwei Jahren eine Schönheit geworden sein, eine etwas fade Schönheit, aber manche Männer schwärmen ja dafür.“

„Ich weiß nicht, was Fräulein Peters zu meinem Unternehmen sagen wird. Als ich im Winter vor einem Jahr zum erstenmal den Gedanken faßte, Fischer zu werden, ließ sie mir durch ihren Vater davon abraten. Ich sollte mindestens noch ein Jahr meiner Bildung widmen.“

„Das ist doch deutlich genug, mein lieber Bruder. Sie hat keine Lust, dir hier in diese abgelegene Landschaft zu folgen. Ich finde das sehr verständlich und verständig. Sie ist aus einem sehr reichen und vornehmen Hause und kann die höchsten Ansprüche an jeden Bewerber stellen. Es sollte mich übrigens auch sehr wundern, wenn die kindliche Neigung für ihren Lebensretter sich so lange erhalten haben sollte.“

Fedor zuckte die Achseln und schwieg. Es widerstrebte ihm, sich mit der Frau, die trotz der nahen Blutsverwandtschaft ihm wie eine Fremde erschien, über Annemarie zu unterhalten.

„Du scheinst nicht sehr praktisch veranlagt zu sein, mein lieber Bruder“, fuhr die Gräfin fort. „Ich an deiner Stelle wäre auf den Plan deines Beschützers, der dich augenscheinlich sehr gern hat, eingegangen und hätte mir dadurch den ersten Platz unter den Bewerbern um die Hand seiner Tochter gesichert.“

„Ach, laß das Gespräch“, erwiderte Fedor mit leichter Gereiztheit. „Sag’ lieber, was du von mir willst.“

Sie waren aus dem Schutz des Waldes auf die freie Höhe getreten, wo der Wind sie kräftig umbrauste und ihre Kleider flattern ließ. Zu ihren Füßen donnerten und brausten die Wogen und warfen große Ballen Schaum auf das Ufer, die vom Winde zerrissen und davongeführt wurden. Auf dem See kämpfte ein kleiner Schleppdampfer mit den gegen ihn anstürmenden Wellen. Dichter, schwarzer Rauch quoll aus seinem Schornstein. An seinem Bug spritzte der Gischt empor, die größeren Wellen überfluteten ihn ganz. Doch wacker arbeitete sich der kleine schwarze Bursche, der mit seiner Maschine die schwersten Lasten, meistens kilometerlange Flöße, zu schleppen vermochte, durch die Wellenberge.

Ein paar Augenblicke stand die Gräfin Villiers auf der Höhe. Dann wandte sie sich gleichgültig ab. „Wollen in den Schutz des Waldes zurückkehren, hier kann man nicht sprechen.“

In dem Hohlweg blieb sie aufatmend stehen. „Du fragtest mich vorhin, was ich von dir will. Ich glaubte, du hättest es schon erraten. Ich bringe dir die erste Bitte deines Vaters. Er ist den großen Aufgaben, die jetzt an ihn herantreten, nicht mehr gewachsen. Er braucht eine Hilfe, eine junge, starke Kraft. Da ist es doch natürlich, daß er zuerst an seinen ältesten Sohn denkt.“

„Ich habe mit der Familie Kaminsky nichts mehr zu schaffen“, erwiderte Fedor mit deutlicher Schärfe im Ton. Alles, was er bis dahin still im Herzen getragen hatte, was in schlaflosen Nächten sein Innerstes durchwühlt hatte, stieg in ihm empor; ja, selbst auf der Zunge vermeinte er einen bitteren Geschmack zu empfinden. „Der Vater ließ mich, kaum, daß wir uns gefunden hatten, nach Deutschland ziehen, als wenn man verlorene Söhne jeden Tag auf der Straße findet.“

„Ich denke, du hast es gewollt, und du warst mündig. Der Vater hat sich sehr bitter darüber zu mir ausgesprochen. Er hatte gehofft, daß du wenigstens ein Jahr mit ihm und Thaddi zusammenleben würdest, um dich in die Familie und ihre alten Überlieferungen hineinzufinden. Du... an dir allein liegt die Schuld, daß die Entfremdung, die das Schicksal zwischen dir und deiner Familie geschaffen hat, nicht überwunden ist. Aber ein Kaminsky bist du und bleibst du.“

Die Gräfin hatte so scharf gesprochen, als wenn sie gar kein Gewicht darauf legte, ihn zu gewinnen.

„Der Name ist für mich ein leerer Schall. Ich lege ihn wieder ab, wenn es nötig sein sollte. Mir genügt der Name, den ich als Bettelkind erhalten habe“, erwiderte Fedor heftig.

Die Gräfin blieb stehen und schüttelte den Kopf. „Ist das möglich? Ist das denkbar? Der Sproß eines der ältesten Adelsgeschlechter fühlt nicht sein Herz vor Stolz schwellen, wenn sein Name genannt wird? All die Vorfahren deines Hauses sehen in dieser Stunde auf dich herab, Zbigniew, all die Männer, die Helden, die für ihr Vaterland geblutet haben. Bruder, das Vaterland ruft dich, der Weiße Adler, der sich schon wieder rüstet, seine Schwingen zu entfalten und zur Sonne aufzufliegen.“

Mit flammenden Augen stand sie vor ihm, und machtvoll tönten die Worte, in polnischer Sprache gesprochen, aus ihrem Munde. Wie um seine Antwort nüchterner und kühler zu gestalten, erwiderte Fedor deutsch.

„Der weiße Adler ist unter den Klauen des russischen Bären verblutet, und seine Söhne beugen ihren Nacken unter die Knute des Russen.“

„Gib mir in der Sprache deiner Väter Antwort, wenn ich von unserem Vaterland spreche“, rief die Gräfin ihm scharf entgegen. „Ich hasse diese deutsche Sprache, die jede Begeisterung tötet. Und du irrst. Der Weiße Adler ist nicht verblutet, er lebt und beginnt wieder seine Schwingen zu prüfen. Und regt sich nicht das Blut der Kaminsky in dir, wenn du daran denkst, daß du als Erstgeborener unseres Geschlechts berufen bist, in den kommenden großen Ereignissen eine Rolle zu spielen? Eine große Rolle…“

Die Gräfin hatte sich auf den Rand des Hohlweges gesetzt und sah Fedor erwartungsvoll an. Der schüttelte den Kopf. „Ich werde keine Rolle in meinem Vaterlande spielen“, erwiderte er wieder auf deutsch. „Ich werde in Deutschland bleiben und Fische fangen.“

„Ja, mein Mann hat wohl recht, daß du kein Kaminsky bist“, erwiderte die Gräfin mit deutlichem Hohn. „Du hast keinen Tropfen polnisches Blut in deinen Adern, denn polnisches Blut wallt auf, wenn man vom Vaterlande spricht. Du hast Wasser in deinen Adern.“

Fedor hatte sich ihr gegenüber niedergelassen. Mit einmal sprach er wieder polnisch. „Weshalb schleuderst du mir so scharfe Worte ins Gesicht? Mein Blut ist ebenso heiß, vielleicht noch heißer als deins... du Kaminska, die du einen belgischen Grafen geheiratet hast. Aber von meinen Augen ist der Schleier gefallen, der auf euren Augen liegt, ich sehe mein Vaterland, wie es ist, zerrissen, aus tausend Wunden blutend, die von der russischen Knute täglich aufs neue gerissen werden. Und mein Geschlecht, pardon, ich wollte sagen die Kaminskys, auf seiten unserer Bedrücker. Der Vater ein Russenfreund, der jüngere Bruder russischer Offizier...“

Er stand auf und fügte in deutscher Sprache hrnzu: „Ich will mich nicht mit betrunkenen russischen Offizieren an einen Tisch setzen.“

Die Gräfin lächelte. „Setz’ dich wieder, Bruder Zbigniew, ich bin noch lange nicht zu Ende. So gefällst du mir. Du hast doch kein Wasser in den Adern, sondern heißes, polnisches Blut. Und es freut mich, daß du die Russen ebenso hassest wie ich. Sieh mich nicht so erstaunt an. Ja, ich, eine Kaminska, hasse die Russen wie die Pest und die Sünde. Jetzt freue ich mich über dich.“

Sie winkte ihn mit den Augen zu sich herüber. „Hör’ zu, was ich dir im Vertrauen mitteilen will, im tiefsten Vertrauen. Mein Mann hat eine große Mission zu erfüllen. Er soll unsere Landsleute für einen großen Gedanken gewinnen, einen Gedanken, dessen Ausführung wir beide hoffentlich noch erleben werden. Sobald Rußland wieder gekräftigt sein wird, kommt der Krieg mit Österreich und wahrscheinlich auch mit Deutschland. Es ist kein Zweifel, daß die Entente ihn gewinnen wird. Während die Franzosen gegen den Rhein vordringen, werden die Russen mit ihren Massenheeren durch Posen auf Berlin zustoßen.“

„Wenn ihr euch nur nicht irrt.“

„Nein, wir irren uns nicht“, erwiderte die Gräfin energisch. „Die Russen haben die dreifache Übermacht gegen Deutschland und Österreich-Ungarn zusammen. Und im Westen werden die Franzosen die Hauptmacht der Feinde fesseln und besiegen. Ich will dir noch eins sagen: England geht mit uns. Ich bitte um tiefste Verschwiegenheit, Zbigniew. Seine Flotte wird das Spielzeug Wilhelms zerstören, sie wie Ratten in ihren Schlupflöchern erdrosseln und eine gewaltige Armee an der deutschen Küste landen.“

Fedor hatte den Kopf gesenkt und hörte ohne ein sichtbares Zeichen der Teilnahme zu. Mit seinem Stock zeichnete er gedankenvoll Kreise und Sterne in den Sand. halb flüsternd fuhr die Gräfin fort: „Es gibt unklare Köpfe bei uns, die der Meinung sind, daß wir Polen in diesem Weltkrieg mit den Waffen eine Rolle spielen konnten. Narren, an so was zu denken, wenn Millionenheere in Polen an der deutschen Grenze stehen. Nein, unsere Brüder sollen treu ihre Pflicht erfüllen und tapfer kämpfen, der weiße Adler an der Seite des Bären. Dann werden wir den Lohn für unsere Treue ernten.“

„Ja, die russische Knute“, warf Fedor laut ein.

„O nein, Brüderchen, diesmal werden die Franzosen und Engländer auch etwas dabei zu sagen haben. Die Franzosen haben immer eine Sympathie für uns Polen gehabt, und die Engländer haben ein Schlagwort gefunden, das sie gegen Deutschland und vor allem gegen Österreich anwenden werden. Die Befreiung der unterdrückten Völker. Merkst du nun schon etwas? Damit wird Österreich in seine Teile zerspalten, und wir Polen erhalten unser selbständiges Bestimmungsrecht. Alles, was mit polnischer Zunge spricht, wird zu einem Staat vereinigt, von Danzig bis zum Schwarzen Meer. Das alte Lechenreich wird wieder auferstehen. Zuerst in Personalunion mit Rußland. Hörst du, Zbigniew, das alte Lechenreich wird wieder auferstehen, und dann wird der weiße Adler dem russischen Bären seine Fänge zeigen und sich selbst seinen König wählen, einen König aus polnischem Adelsgeschlecht. Alle polnischen Adelsgeschlechter sind von gleichem Range. Weshalb soll er nicht Kaminsky heißen und mit Vornamen Zbigniew?“

Fedor erwachte wie aus einem Traum und hob den Kopf. „Du schwärmst, Schwester, wie nur eine Polin schwärmen kann. Ich muß aber etwas Wasser in deinen Wein gießen. Ich kenne Rußland, ich kenne seine Soldaten und seine Offiziere.“

„Was willst du damit sagen? Gut, der russische Offizier mag sich an jedem Abend berauschen. Dann bringt ihn sein Bursche zu Bett und küßt ihm die Hand, an seiner Tapferkeit brauchst du nicht zu zweifeln.“

Sie waren aufgestanden und langsam bis zur Villa geschritten. In Fedor zitterten alle Nerven. Das Gespräch hatte ihn aufgeregt, hatte Gedanken in ihm emporgewirbelt, die bis dahin noch nie durch seinen Kopf gegangen waren.

12. Kapitel

Bei Tisch sprach die Gräfin mit großer Begeisterung über den gewaltigen Eindruck, den der Spirding auf sie gemacht. Lächelnd schlug Peters für den Nachmittag eine Spazierfahrt mit dem Motorboot vor. Mit einer koketten Gebärde des Schreckens wehrte die Gräfin ab. „Das würde eine nasse Fahrt werden, und ich würde vor Schrecken und Angst umkommen.“

„Wir fahren auf einem Nebenarm des Spirding, gnädige Frau, auf dem Beldahnsee. Da fahren wir im Schutze der hohen Uferberge in ganz stillem Wasser.“

Fedor saß still und versonnen bei Tisch, aber wild und wirr fuhren ihm die Gedanken durch den Kopf. Gar zu gern hätte er über das, was die Schwester ihm erzählt hatte, mit Peters sich ausgesprochen. Wenn das wirklich wahr war, daß England sich der Entente angeschlossen hatte, wenn alle drei über Deutschland herfielen — Österreich kam als Gegner kaum in Betracht, das war innerlich zerspalten und zerrissen. Die Italiener waren, wie er oft genug in Berlin gehört hatte, sehr unsichere Kantonisten, es fragte sich nur, ob die Hoffnungen der Polen von der siegreichen Entente erfüllt wurden. Das war nicht ganz unwahrscheinlich. England konnte nichts daran liegen, Rußlands Macht noch weiter anwachsen zu lassen.

Peters beobachtete sowohl die Gräfin wie Fedor. Er konnte kein Zeichen von Mißstimmung zwischen ihnen erkennen, eher war das Gegenteil der Fall. Sollte es der Gräfin gelungen sein, den Jungen einzufangen? Er scheute sich, in Erichs und seines Lehrers Gegenwart danach zu fragen.

Nach Tisch lud er die Geschwister in sein Arbeitszimmer ein, wo Mokka, Likör und Zigaretten gereicht wurden. „Ich vermute, Frau Gräfin, daß Sie uns Fedor entführen wollen.“

„Was würden Sie davon halten?“ fragte die Gräfin.

„Das ist schwer zu sagen, gnädigste Frau. Ich meine, es muß für Fedor ein schwerer Entschluß sein, hier alle seine Zukunftspläne über den Haufen zu werfen, um Ihnen nach Polen zu folgen.“

„Das gebe ich offen zu“, erwiderte die Gräfin. „Aber in seinem Vaterland erwartet ihn eine viel größere, eine heilige Aufgabe.“

Peters lächelte über die Überschwenglichkeit ihres Ausdrucks. „Darf man fragen, worin Fedors Aufgabe bestehen soll?“

Die Gräfin neigte den Kopf. „Sie kennen die Verhältnisse unserer Familie so genau, daß ich ganz offen sprechen kann. Es handelt sich um Sein oder Nichtsein unseres Geschlechts. Wenn ein junger, energischer Mann die Verwaltung der großen Begüterung in die Hand nimmt, ist mit Sicherheit ein Aufschwung zu erwarten. Auf Kornatowo wird eine große Zuckerfabrik gebaut.“

„Das habe ich schon gehört und nehme an, daß diese Pläne wirklich ausgeführt werden. Aber, gnädigste Frau, was hat Fedor damit zu tun?“

Mit gut gespielter Verständnislosigkeit hob Gräfin Villiers die Hände. „Er ist doch mein Bruder, der älteste Sproß unseres Geschlechts.“

„Nein, das bin ich nicht“, fiel Fedor heftig ein. „Erstens bin ich nicht vor Gericht als Kaminsky anerkannt, und zweitens habe ich einen Verzicht auf alle Erbrechte unterschrieben.“

„Lieber Zbigniew“, erwiderte die Gräfin kühl, „wenn darin ein Vorwurf für uns liegen soll, dann muß ich ihn zurückweisen. Du bist es gewesen, der sofort nach dem Wiederfinden dem Vater und Bruder erklärt hat, daß du nicht in Polen bei deiner Familie bleiben willst, sondern nach Deutschland zurückkehrst. Da hat mein Mann, und ich will nicht leugnen, daß ich ihm zugestimmt habe, es für richtig befunden, daß du auch die Folgen deiner Expatriierung auf dich nimmst. Soviel ich weiß, hast du freiwillig, ohne Schwierigkeiten zu machen, auf deine Erbrechte verzichtet.“

Peters erhob sich. „Es ist Ihnen wohl angenehmer, wenn diese Auseinandersetzung unter vier Augen stattfindet.“

„Nein, Herr Doktor, bleiben Sie“, erwiderte die Gräfin schnell, „ich lege Gewicht darauf, daß Sie dieser Unterredung beiwohnen. Mein Bruder stimmt mir jedenfalls darin bei. Ich gebe offen zu“, fuhr sie ruhig fort, „daß Fedor in seiner jetzigen Lage keine Veranlassung hat, sich für die Familie Kaminsky einzusetzen. Wir haben natürlich vor meiner Abreise darüber gesprochen, und wir stimmten alle darin überein, daß der Verzicht annulliert und Zbigniew wieder in seine Rechte eingesetzt werden muß.“

„Das ändert allerdings die Sache“, erwiderte Peters. Fedor stand auf und stellte sich ans Fenster. Man sah es ihm an, daß er mit sich rang.

„Ich verbürge mich dafür, daß Zbigniew sofort wieder in alle seine Rechte eingesetzt wird, wenn er nach Kornatowo kommt“, erwiderte die Gräfin mit Nachdruck.

Peters lächelte. „Bei einer so wichtigen Sache kann Fedor sich nicht auf ein bloßes Versprechen verlassen, gnädigste Frau. Selbst auf die Gefahr hin, mir Ihre Ungnade zuzuziehen, muß ich Fedor raten, auf Rückgabe des Scheins zu bestehen, ehe er sich bindet.“

Die Gräfin lächelte ebenfalls. „Ich verstehe es vollkommen, Herr Doktor, daß Sie für Ihren Schützling eintreten. Auch dieser Fall ist vorgesehen. Ich habe den Verzichtschein bei mir. Sobald Zbigniew mir sein Wort gibt, daß er mit mir nach Kornatowo zurückkehrt, übergebe ich ihm den Schein, der vor meinen Augen zerrissen werden muß.“

Sie sah fragend den Bruder an. Fedor trat einen Schritt näher. „Ich muß mir Bedenkzeit ausbitten. Ich möchte vorher unter allen Umständen noch einmal nach Berlin zurückkehren.“

Peters nickte ihm lächelnd zu. „Das begreife ich, daß du noch nach Berlin zurückkehren willst.“ Auch die Gräfin lächelte. Das stimmte in ihren Plan.

Auf der Spazierfahrt wurde kein Wort mehr von der Sache gesprochen. Fedor war noch immer still und versonnen, während die Gräfin lebhaft von Kornatowo erzählte. Der größte Teil des Waldes sei schon abgeholzt, der Boden, der mit Laubwald bestanden war, sei sehr guter, fetter Lehm und zum Rübenbau ausgezeichnet geeignet. Er mußte allerdings durch Ausroden der Stubben für diesen Zweck hergerichtet werden. Dann schilderte sie das gesellige Leben. Sie verkehrten mit einer ganzen Anzahl polnischer Adelsfamilien. Entfernungen spielten auf dem Lande in Polen keine Rolle. Man fahre dreißig Werst zum Nachbargut zum Frühstück, für weitere Strecken schicke man Relaispferde voraus. Die Jagd sei vorzüglich.

„Übrigens, bist du Jäger?“ wandte sie sich an Fedor.

„Ich habe dazu noch keine Gelegenheit gehabt.“

„Nun, die wirst du in Kornatowo reichlich haben, der Vater und mein Mann haben vorzügliche Gewehre, unter denen du deine Auswahl treffen kannst.“

Nach der Rückkehr zog sie sich in ihr Zimmer zurück, um ein wenig auszuruhen und für den Abend Toilette zu machen. In Wirklichkeit, um Fedor Gelegenheit zu geben, sich mit Peters auszusprechen. Sie fühlte, daß Peters ihrem Vorhaben nicht unfreundlich gegenüberstand. Auf jeden Fall war es ihm lieber, daß Fedor nach Kornatowo ging, als daß er eine Fischerei einrichtete. Deshalb hatte sie auch keinen Widerspruch dagegen erhoben, daß Fedor noch mit Peters nach Berlin zurückkehrte. Dort würde wahrscheinlich die Verlobung stattfinden, wenn auch nur im Familienkreise. Aber dann war doch mit Sicherheit zu erwarten, daß der zukünftige Schwiegervater sich für Kornatowo zu interessieren begann und mit Geld eingnff.

Peters setzte sich mit Fedor in eine kleine Grotte, die in die Wand der obersten Terrasse eingebaut war, und ließ eine Flasche Rotwein kommen. „Nun sag’ mir mal, mein Junge, ob du geneigt bist, auf den Vorschlag deiner Schwester einzugehen?“

Fedor sah ihn voll an und erwiderte: „Ja, ich bin dazu entschlossen.“

„Das habe ich schon gemerkt, und ich will dir nicht abraten. Die Vorteile liegen auf der Hand. Der Besitz wird wohl etwas abgewirtschaftet sein, aber wenn du fleißig und energisch bist, kannst du das Gut wieder hochbringen. Du mußt dich aber auf die Hinterbeine stellen und nicht nur die Einnahmen zu vermehren suchen, sondern vor allen Dingen die Ausgaben einschränken. Dein Schwager scheint ja jetzt viel Geld zu verdienen. Ich vermute, daß er als politischer Agent unter deinen Landsleuten tätig ist. Der Vater wird zu Hause auch nicht soviel verbrauchen wie in Warschau und Paris. Bleibt nur dein Bruder bei der Garde.“

„Was halten Sie von dem geplanten Zuckerrübenbau?“

Peters hob die Schultern bis zu den Ohren und ließ sie mit einem Ruck sinken. „Das kann der Rausreißer werden, wenn es einschlägt; dazu gehört aber Kapital, und es kann möglich sein, daß vom Ausland Kapital hereingekommen ist. Da mußt du die Augen offen halten, daß du nicht übers Ohr gehauen wirst. Wer Kapital in deinem Unternehmen anlegt, will verdienen, gut verdienen. Der Landwirt, der die Rüben für die Fabrik liefert, ist nur Mittel zum Zweck. Auf jeden Fall erwarte ich, daß du mir vom ersten Tage an regelmäßig Bericht erstattest.“

„Würden Sie nicht mal ‘rüberkommen? Von hier ist bis dorthin nicht weit.“

„Das ist nicht ausgeschlossen. Was ich im Notfall zu tun gedenke, muß ich mir vorbehalten. In erster Linie wird es auf dich ankommen, ob und wie du dich durchzusetzen verstehst. Du wirst es nicht leicht haben. Aber dir wird der Familienrat thronen, Schwager und Schwester werden das große Wort führen. Deshalb rate ich dir, gleich zu Anfang klaren Tisch zu schaffen. Solche Dinge lassen sich nur in den Flitterwochen durchsetzen.“

„Was meinen Sie damit?“

„Ich meine, daß du dir von deinem Vater Vollmacht erteilen lassen mußt, selbständig zu wirtschaften. Dann muß sofort die Erbverteilung festgestellt werden. Dein Mutterteil muß dir durch eine Hypothek sichergestellt werden. Das gehört zur vollen Gleichberechtigung. Die fünfundsiebzig Mille behältst du als Abschlagzahlung. Du mußt immer mit der Möglichkeit rechnen, daß du eines Tages den ganzen Krempel im Stich läßt und nach Deutschland zurückkehrst.“

Fedor schüttelte den Kopf. „Das werde ich nicht tun, ich werde durchhalten.“

„Der Entschluß ist löblich, ich nehme aber an, daß Verhältnisse eintreten können, die dein ferneres Verbleiben in Polen überflüssig oder unmöglich machen. Nimm an, dein Vater stirbt in nicht ferner Zeit. Dann wird dein Schwager, wie ich ihn zu kennen glaube, ohne Zweifel auf die sofortige Erbregulierung dringen, die den Verkauf Kornatowos nach sich ziehen muß. Wieviel dann für jeden übrigbleibt, besonders wenn der Rübenbau noch nicht angefangen hat, wirst du ja erfahren. Ich bin geneigt, deinen Anteil sehr gering einzuschätzen. Die paar Jahre, die du dann in Polen zugebracht hast, sind für dich nicht verloren. Du wirst sehr viel gelernt und erfahren haben. Ich will dir ganz offen sagen, daß ich ziemlich bestimmt mit diesem Ausgang rechne, und daß ich ihn für kein Unglück halte. Im Gegenteil, ich hoffe, daß du dann bereit sein wirst, auf meine Pläne einzugehen.“

Er lachte und stieß mit ihm an. „Du siehst, ich bin bei dieser Sache mehr beteiligt, als du ahnst. Du wirst in der Zeit zum Mann reifen, dem ich die Leitung meines Handelshauses anvertrauen kann. Erich hat Anlage zum Leichtsinn, da wirst du das Gegengewicht bilden.“

„Aber, Herr Peters, Sie sind noch so jung.“

„Mein lieber Junge“, erwiderte Peters ernst, „man muß mit jeder Möglichkeit rechnen. Die Männer werden in meiner Familie nicht alt. Sie pflegten zuviel Rotspon zu trinken, und dann kam das Ende bei den meisten sehr schnell und plötzlich. Und je älter ich werde, desto mehr wächst meine Vorliebe für einen guten Tropfen. Wollen austrinken und ‘reingehen. Deine Schwester wird wohl zum Schlußakt angekleidet sein. Ich denke, wir werfen uns auch in ein feierliches Gewand. Ich habe auch Bogumil eingeladen. Du mußt ihm vorher Bescheid sagen, daß er uns nicht durch sein Erstaunen den erhebenden Moment verpatzt.“ —

„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“, meinte Bogumil, als ihm Fedor seinen Entschluß, nach Kornatowo zu gehen, mitgeteilt hatte. „Nun bin ich wieder um eine Hoffnung ärmer. Ich wollte mich dir als Schreiber anbieten und mein bißchen Geld in dein Geschäft stecken. Das Land habe ich gut verkauft. Meine Tochter hat zu leben. Schon gut. Du bist mündig und mußt wissen, was du zu tun hast. Ist Peters damit einverstanden?“

„Ja, wir haben alles durchgesprochen.“

„So, dann will ich alter Esel den Mund halten. Nun bin ich beruhigt. Peters würde nie seine Einwilligung gegeben haben, wenn er diese polnische Extratour als nichtbekönrmlich für dich ansehen würde.“

Der Akt, in dem sich Fedor seiner Familie verpflichtete, verlief ganz feierlich. Die Gräfin, in großer Toilette, fragte ihn sehr förmlich, ob er gewillt sei, nach Kornatowo zu kommen und die Leitung der Wirtschaft zu übernehmen, und als Fedor durch Wort und Handschlag seine Zustimmung gab, erhielt er seine Verzichturkunde. Darauf reichte Peters ihr den Arm und führte sie zu Tisch. Nach der Suppe trank er auf das Wohl der Familie Kaminsky und wünschte Fedor in kräftigen Worten Glück für seinen neuen Lebensweg. Am andern Morgen fuhr die Gräfin ab.

Zwei Tage später machte sich auch Peters mit Erich, dem Hauslehrer und Fedor auf den Weg. Er wollte höchstens drei Tage in Berlin bleiben, um seine Ausstattung mit Wäsche und Kleidung zu vervollkommnen. Frau Peters weilte noch in Biarritz, dagegen war Annemarie eben angekommen. Das Elternhaus erschien ihr fremd, traurig wanderte sie durch die Zimmer. Da tutete ein Auto vor der Tür. Nur einen Blick warf sie durch das Fenster, dann sprang sie leichtfüßig die Treppe hinunter.

Mit einem Jubelruf umfing sie den Vater, der sie fest in seine Arme nahm. Dann warf sich ihr Erich an die Brust. Aber ihn hinweg streckte sie mit leuchtenden Augen Fedor die Hand entgegen, dem alles Blut aus dem Gesicht gewichen war. Er hatte sie in der ganzen Zeit ihrer Abwesenheit immer so gesehen, wie sie als schwach entwickelter Backfisch von ihm geschieden war. Jetzt sah er eine hohe, schlanke Gestalt vor sich, ein blühendes Antlitz von wunderbarem Liebreiz.

Mit doppelter Gewalt strömte sein Blut zurück und überzog sein Gesicht bis unter die Haarwurzeln mit dunkler Röte. „Fräulein Peters.“

„Annemarie heiße ich noch immer für Sie, lieber Fedor, und wollen Sie mir nicht wenigstens Ihre Hand geben?“

Lächelnd hielt sie den schmerzhaften Druck aus.

Noch vor der Tür wollte Fedor sich entfernen und ein Hotel aufsuchen. Peters faßte ihn unter den Arm. „Das gibt es nicht. Du bist bis zur Abfahrt mein Gast.“

Während die Herren ablegten, fragte Annemarie schon: „Na, wie wird’s, Fedor? Wollen Sie wirklich Fischer werden?“

„Nein, mein Schicksal hat eine unerwartete Wendung genommen. Ich gehe schon in den nächsten Tagen nach Kornatowo zu meinem Vater, um die Leitung der Begüterung zu übernehmen. Mein Vater ist krank, er braucht Hilfe.“

Mit einem ungläubigen Lächeln sah sie von Fedor auf ihren Vater. Der nickte ernst. „Ja, mein Kind, und ich bin damit einverstanden. Ich werde dir später auseinandersetzen, warum.“

Er sah es der Tochter an, daß ihr die Nachricht eine große Enttäuschung bereitete. „Gefällt dir’s nicht?“

Sie schüttelte traurig den Kopf. „Ich hatte mich darauf gefreut, mit Fedor diesen Winter zu verleben. Ihr habt ihn immer hier gehabt, und ich habe unter fremden Leuten sitzen müssen.“

Peters antwortete darauf nichts. Er nahm nur die Tochter in den Arm und küßte sie auf die Stirn. Dann winkte er Fedor zu und verließ das Zimmer.

Langsam wandte Annemarie sich um und hob ihre Augen zu Fedor. Wie von einer magischen Gestalt gezogen, schritt Fedor ihr entgegen. Sie streckte ihm beide Hände entgegen. Als er aus dem Glücksrausch, der ihn befallen hatte, erwachte, hielt er seinen Arm um Annemarie geschlungen. Ihr Kopf lag an seiner Schulter.

Sie hörten beide nicht, daß der Vater leise eingetreten war. Er schlang seinen Arm um beide.

„Ich habe es mir gedacht, daß die Sache so schnell verlaufen wird. Ihr wißt beide, daß ich mit eurer Verlobung einverstanden bin, aber sie muß vorläufig noch ein Geheimnis zwischen uns dreien bleiben. Eine Stunde werde ich euch Erich vom Leibe halten, dann tretet ihr für die Zeit, die Fedor noch hier ist, als gute Freunde auf. Nun sprecht euch aus. Ich meine, ihr habt euch viel mitzuteilen.“

13. Kapitel

Am hochragenden, steilen Ufer des Narew lag ein altersgrauer Stein, ein gewaltiger Granitblock von der Größe eines Hauses. Zur Eiszeit hatte ihn ein Gletscher aus dem Felsen der skandinavischen Halbinsel losgebrochen und bis hierher getragen. In einiger Entfernung von dem Stein war eine Abteilung polnischer Reiter aus dem Urwald gebrochen. In hartem Kampf hatte der Polenkönig seine alten Feinde, die Litauer, besiegt und ungestüm verfolgt. Jetzt gebot den Verfolgern die hereinbrechende Dunkelheit an dem reißenden Fluß einen Halt.

Während der Trupp noch hielt, kam über den Wald ein gewaltiger Steinadler dahergeschwebt. Zwei-, dreimal kreiste er über dem Stein, dann ließ er sich auf ihn nieder und spähte aufmerksam nach allen Seiten aus. Vor dem Reitertrupp, der sich langsam nahte, schien er sich nicht zu fürchten. Erst als die Reiter unten vor dem Stein hielten, breitete er seine Schwingen aus und flog davon.

Laut rief der Anführer, ein junger Schlachziz: „Das ist ein Zeichen der Götter. Hier müssen wir eine Trutzburg gegen die Litauer bauen.“ Freudig stimmte ihm sein Gefolge zu.

Noch in demselben Herbst erhob sich die Burg, und der junge Schlachziz erhielt von ihr den Namen: Kaminsky. Zuerst war sie nur aus Holz gebaut, aber schon im folgenden Jahre, als sie von den Litauern berannt und in Brand gesteckt war, wurde sie aus Stein wieder aufgebaut. Material dazu war in reicher Fülle vorhanden, denn der wandernde Gletscher hatte hier am Ufer des Narew seine Moränen ausgeschüttet. Kleine und große Blöcke wurden wie für die Ewigkeit auf- und aneinandergefügt und in der Nordseite der Steinriese in die Mauer eingeschlossen.

Harte, schwere Kämpfe folgten um den Besitz der Burg, bis der Litauerkönig Jagiello die Erbin des Polnischen Reiches als Ehegemahl heimführte. Dann hatte sie nur noch einmal den Ansturm der Weißmäntel aus dem Ordenslande Preußen auszuhalten, die das alte Raubnest niederzuwerfen und zu zerstören gedachten. Es gelang ihnen nicht.

Seitdem war die kriegerische Bedeutung des alten Bollwerks von Jahrhundert zu Jahrhundert gesunken. Spätere Geschlechter hatten die schmalen Schießscharten zu hohen Fenstern erweitert, aus denen der Blick über eine weite Niederung bis zu den blauen Höhenzügen Masurens schweifen konnte. Und das letztvergangene Jahrhundert hatte die Burg in ein Schloß verwandelt. Zu beiden Seiten war ein Flügel angebaut und der viereckige Raum dazwischen zu einem Schmuckplatz gestaltet, der von einem eisernen Gitter abgeschlossen war. Vor dem Gitter, landwärts, erstreckte sich weit und breit ein jetzt völlig verwilderter Park. Zwischen den uralten Baumriesen, Eichen und Buchen, unter deren Schatten schon die Weißmäntel gerastet, standen, vermischt mit Kiefern, deren Stamm keine drei Männer zu umspannen vermochten, himmelhohe Fichten. Dichtes Unterholz war emporgewuchert. Schlingpflanzen, wilder Hopfen umrankten die Stämme bis zu den Wipfeln hinauf. Nur ganz dicht am Schloß war ein kleines Stück des Parkes von Gängen durchzogen.

Gänzlich unangemeldet traf Fedor auf dem kleinen Bahnhof von Kornatowo ein. Sein Gepäck ließ er in der Obhut des Vorstehers, der ihm den Weg zum Schloß zeigte und auf die Fahne wies, die über den Baumwipfeln des Parkes im Winde flatterte.

Die wenigen kurzen Glückstage von Berlin hatten den letzten Rest von Schwermut, der ihm aus seiner Jugend noch anhaftete, vertrieben. Seine Augen leuchteten, seine Gestalt war straff aufgerichtet. Ab und zu lächelten auch seine Lippen, wenn das Bild der Geliebten vor seine Seele trat. Drei volle Tage hatte er mit ihr in einem Glücksrausch gelebt. Erich hatte gleich am ersten Abend das Geheimnis erraten und sich in überströmender Zärtlichkeit erst Fedor und dann der Schwester an die Brust geworfen, und er hatte es verstanden, weshalb man der Mutter die freudige Kunde vorläufig noch vorenthalten wollte.

Wie oft fragte Fedor in diesen drei Tagen: „Hast du mich wirklich so lieb? Weshalb hast du mich so liebgewonnen?“

Dann hatte Annemarie stets mit denselben beiden Fragen geantwortet.

„Hättest du mich auch genommen, wenn ich Fischer geworden wäre?“

„Das ist doch selbstverständlich. Wo du hingehst, will ich auch hingehen, wo du bleibst, bleibe ich auch.“

„Was sagst du dazu, daß ich nach Polen gehe?“

„Es ist mir nicht lieb, aber es ist eine Pflicht gegen deine Familie, der du dich nicht entziehen kannst, und der Vater hält es für gut und richtig, und das ist für mich maßgebend. Aber du bleibst für mich mein Fedor, der Name Zbigniew ist mir widerlich.“

Manchmal schlief die Unterhaltung des Brautpaares für eine Viertelstunde völlig ein, weil ihre Lippen anders und besser beschäftigt waren. Dann erzählte Annemarie ausführlich von ihrem Aufenthalt in München, und im stillen wurde Fedor ein ganz klein wenig eifersüchtig auf die jungen Maler, mit denen sie soviel verkehrt hatte. Dann neckte ihn Annemarie mit Fritze Gutbier, die er so glühend geliebt und in den letzten Jahren doch sicher mehrmals wiedergesehen habe.

Lachend hielt ihr Fedor den Mund zu.

Der Widerschein der Gedanken lag noch auf seinem Gesicht, als er den großen Wirtschaftshof betrat. Es herrschte gute Ordnung darauf; unter einem langen offenen Schuppen lagen und standen die Ackergeräte, Maschinen und Wagen, vor einer langgestreckten Scheune stand ein Dreschsatz. Die Dampfmaschine fauchte, und der Dreschkasten brauste und dröhnte. Ein Haufen Menschen wimmelte um die Maschine herum. Ein junger Mann in Stulpenstiefeln führte die Aufsicht. Als er Fedor gewahrte, kam er auf ihn zu, lüftete nachlässig seine Mütze und fragte ihn auf polnisch mit deutschem Anklang: „Wo will der Herr hin?“

„Ins Schloß.“

„Hat der Zerr dort Geschäfte?“

„Wahrscheinlich.“

„Der Herr Graf und die Frau Gräfin sind leider verreist, und der alte Herr empfängt niemand. Sie müssen sich schon zum Oberinspektor bemühen.“

Fedor lächelte ihn an und erwiderte auf deutsch: „Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich ins Schloß gehen will. Wo ist der Weg?“

Einen Augenblick sah ihn der junge Mann verblüfft an. „Ach, Sie sprechen deutsch. Darf ich mich Ihnen vorstellen? Hans Groth. Mit wem habe ich die

„Ich bin der älteste Sohn des Hauses.“

Jetzt flog dem jungen Mann die Mütze vom Kopf. Mit tiefem Bückling stotterte er: „Ach, Herr Zbigniew, ich bitte tausendmal um Verzeihung, daß ich Sie nicht sofort erkannt habe. Darf ich Ihnen den Weg zeigen?“

Am Eingang entließ Fedor den diensteifrigen Jüngling. Er trat in eine hohe, gewölbte Halle. Zwischen den Pfeilern, die an den Wänden emporstrebten, hingen Waffen, Beutestücke seines Geschlechts, wie er sich sagte. Daneben Geweihe und Gehörne, wie man sie nur in alten Schlössern findet, in denen die Jagdbeute der Hausherren durch Jahrhunderte aufgespeichert wird. Da hingen Schaufeln vom Elch, die Hörner des Urstiers und des Wisent, dazwischen ausgestopft Köpfe des wilden Keilers mit mächtigen Gewehren. Felle von Bären und Wölfen deckten den steinernen Fußboden.

Fedor war in das Schauen so vertieft, daß er zusammenfuhr, als eine alte, müde Stimme neben ihm fragte: „Was wünscht der Herr?“

Ein vom Alter gekrümmtes Männchen sah mit müden Augen zu ihm auf.

Freundlich sah Fedor zu ihm herab. „Du bist doch sicherlich der alte Slotek, von dem mir mein Vater erzählt hat. Ich bin Zbigniew Kaminsky.“

Der Alte richtete sich mit einem Ruck auf, dann sank er mit gefalteten Händen in die Knie. Seine Augen standen schon voll Tränen. „Gesegnet der Tag, daß meine alten Augen noch den Stammhalter der Kaminsky erblickt haben. Dein Eintritt in das Haus deiner Väter sei gesegnet, Herr.“ In seine Augen trat eine ängstliche Frage: „Kommst du, festzuhalten was dir gehört oder wegzugeben?“

„Nein, Alter“, erwiderte Fedor und trat dicht an ihn heran, um ihm die Hand auf die Schulter zu legen. „Nein, ich gedenke festzuhalten, was uns Kaminskys gehört.“

„So sei doppelt gesegnet. Gott der Herr gebe dir Kraft und Mut.“

„Ich danke dir, Alter“, sagte Fedor bewegt. „Das war der schönste Gruß, der mir beim Betreten meines Elternhauses geboten werden konnte. Nun führe mich zu meinem Vater.“

„Verzeih, Herr, wenn ich dich erst in die Zimmer führen möchte, die für dich hergerichtet sind. Es wäre nicht gut, wenn du so plötzlich vor den alten Herrn hintreten möchtest.“

„Er erwartet mich doch.“

„Ja, er weiß, Herr, daß du kommst.“

Fedor hörte den feinen Unterschied heraus, den der Alte in seiner Antwort machte. Er legte ihm, während sie die Stufen zum oberen Stockwerk emporschritten, die Hand auf die Schulter. „Du hast mich eben so freundlich begrüßt, alter Slotek. Nun mußt du mir auch die Augen öffnen und sagen, was mir zu wissen gut ist. Ich glaube, manchmal eine treue Seele zu brauchen, die mir guten Rat gibt.“

Der Alte nickte, aber er schwieg. Erst als er Fedor in die für ihn bestimmten Zimmer geführt und die Tür hinter sich geschlossen hatte, begann er zu sprechen.

„Ihre Gnaden der Herr Graf und die Frau Gräfin haben davon zu sprechen angefangen, daß der Herr Zbigniew aus Deutschland geholt werden sollte. Das war, wie Herr Thaddeus aus Petersburg in der Nacht ankam und soviel Geld forderte. Da hat der alte Herr den Schlaganfall bekommen. Eine traurige Nacht, Herr. Der Herr lag bewußtlos, der Wagen jagte nach dem Arzt. Die Frau Gräfin hat vor dem Herrn Thaddi gestanden und gegen ihn die Fäuste geschüttelt. ‚Du bist ein Verbrecher’, hat die Frau Gräfin dem Herrn Thaddi ins Gesicht geschrien. ‚Du verspielst das Haus deiner Väter.’ Darauf hat der Herr Thaddi die Achseln gezuckt. ‚Ich werde mich erschießen, dann seid ihr mich los. In dreimal vierundzwanzig Stunden müssen die Spielschulden bezahlt sein. Ich habe also noch einen Tag Zeit, zu warten.‘ Dann ist er aufgestanden und ist schlafen gegangen. Am anderen Vormittag hat der Herr Thaddi von dem Herrn Grafen das Geld bekommen. Er hat aber das ganze Vorwerk Smugi dem Herrn Grafen von seiner Erbschaft verschreiben müssen. Das ist gut ein Drittel von ganz Kornatowo.“

Kopfschüttelnd hatte Fedor zugehört. Die Erzählung des Alten warf ein ganz neues Licht auf die Zustände in seinem Elternhause. Mußte er danach nicht annehmen, daß die Schwester den Plan verfolgte, das Gut in ihre Hände zu bekommen? Weshalb hatte sie aber ihn denn hierher gelockt und seinen Verzicht aufgehoben? Sicherlich hatte der Alte ihm noch mehr zu erzählen, was ihn klarer blicken ließ.

„Ich danke dir, Alter, aber nun besorg’ mir erst etwas zu essen, und laß meine Sachen von der Bahn holen.“

Eilfertig schlüpfte Slotek hinaus. Fedor sah sich jetzt in seiner Wohnung um. Er stand in einem Herrenzimmer, das mit Ledersesseln überreich ausgestattet war. Daneben lag das Schlafzimmer, ebenso reich ausgestattet, mit einem breiten französischen Bett. Er wusch sich Hände und Gesicht. Dann steckte er sich eine Papyros an und warf sich in einen Sessel. Thaddi ein Spieler! Und dafür, daß der Graf ihn ausgelöst hatte, verpfändete er ihm einen Teil seines Erbteils. Am meisten wunderte sich Fedor, daß sein Vater, wie es nach den Worten des Alten den Anschein hatte, dagegen gewesen sein sollte, ihn nach Kornatowo zu holen.

Während er noch so saß und sann, war der Alte wieder eingetreten und hinter ihm ein Mädel, das auf einem Teebrett einen kalten Imbiß trug. „Was befiehlst du zu trinken, Herr?“ fragte Slotek. „Nichts weiter als einen scharfen Schnaps, aber keinen Likör, sondern guten, starken Schnaps.“

Verschmitzt lächelnd öffnete der Alte einen Wandschrank und zeigte Fedor eine Reihe von Flaschen. „Alles gute russische Schnäpse, das einzige Gute, was von den Russen kommt.“

Fedor horchte auf. „Du scheinst die Russen ebensowenig zu lieben wie ich.“

Mit zitternder Hand stellte Slotek die Flasche auf den Tisch und sah seinen jungen Herrn aus glücklich leuchtenden Augen an. „Oh, Herr, daß ich diese Freude habe erleben dürfen.“ Im nächsten Augenblick fiel er neben ihm auf die Knie und küßte seinen Rockschoß. „Oh, Herr, ich bin ein großer Sünder, meine Schuld hat mich zu Boden gedrückt, fünfundzwanzig Jahre lang.“

Gütig legte Fedor ihm die Hand auf das gebeugte Haupt. „Was sprichst du da? Was für eine Schuld hat dich gedrückt?“

Slotek hob die Hände zu ihm. „Herr, ich war mitschuldig an dem, was die Maruschka getan hatte. Ich habe davon gewußt, daß sie dich in der Nacht wegbringen wollte. Sie sollte dich zu deinem Großvater bringen, der die Russen ebenso haßte wie wir anderen alle, bloß dein Vater nicht. Unterwegs haben die Russen sie aufgehängt, wo du geblieben warst, hat kein Mensch erfahren. Wir haben alle geglaubt, daß die Russen dich aufgespießt haben.“

„Beruhige dich, Alter, ich bin nachträglich noch damit einverstanden, daß die Maruschka mich geraubt hat. Ich bin, wenn es dir Freude macht, es noch einmal zu hören, der schärfste Feind der Russen. Ich habe als Soldat ihre Knute auf meinem Rücken geschmeckt. Aber nun gieß’ mir zuerst einen Schnaps ein, und dann erzähl’ weiter. Weshalb war mein Vater dagegen, daß ich nach Kornatowo zurückkam?“

Der Alte sah sich scheu um. „Habe ich das schon erzählt? Der alte Herr wissen, daß der junge Herr die Russen nicht leiden kann. ,Ihr werdet euch eine Laus in den Pelz setzen’, hat er zu der Frau Gräfin gesagt.“

„Sag’ mal, Alter, woher weißt du das alles?“

„Der Slotek sieht alles, hört alles und weiß alles. Der Slotek hat schon den alten Herrn auf seinen Armen getragen.“

„Wie alt bist du denn eigentlich?“

Der Alte zuckte die Achseln. „Herr, wer kann das wissen? Vielleicht achtzig, vielleicht auch mehr. Wie ich auf den Hof befohlen wurde, war der Herr Großvater noch ein Knäblein von zehn Jahren. Wer hat damals unsere Jahre gezählt? Man wird geboren, man lebt, man wird alt und stirbt, und das ist nicht anders als bei dem Gras auf dem Felde. Wenn es abgehauen wird, weiß kein Mensch mehr, wo der Halm gestanden hat.“

Sinnend neigte Fedor den Kopf. „Warst du verheiratet?“

„Ja, Herr. Erst war ich mit der Maruschka versprochen, aber als die verschwand, habe ich eine andere geheiratet. Sie ist neben mir alt geworden, Aber nun muß ich weg, Herr. Vielleicht wird der Sumbrowski kommen, dich zum alten Herrn zu holen.“

„Wer ist denn das?“

Mit verächtlicher Miene spie der Alte aus. „Ein Ungeziefer, eine Laus im Pelz des Herrn. Herr Haushofmeister müssen wir zu ihm sagen. Er hätt’ genug, wenn er Essen und Trinken bekäme, aber nein, er bekommt auch noch Geld. ,Gehalt’ sagt man, und jeden Tag nimmt er dem Herrn zwanzig, dreißig Rubel im Kartenspiel ab. Er betrügt, Herr, das sage ich, der alte Slotek. Ich kenne alle Kartenspiele, die hier im Schloß gespielt werden, und der alte Herr kann nicht mehr aufpassen.“

„Ja, sag’ mal, wie geht es dem Vater?“

„Schwer zu sagen, Herr Zbigniew. Der alte Herr sitzt nur immer im Rollstuhl, und die rechte Hand zittert. Aber die Sprache ist schon wieder ganz klar.“

Der Alte brach plötzlich ab und lauschte. „Der Herr Haushofmeister kommt.“

14. Kapitel

Fedor mußte an sich halten, um nicht beim Anblick der grotesken Gestalt, die in das Zimmer trat, laut aufzulachen. Der Mann sah etwa so aus, wie die Maler Don Quichotte darzustellen pflegen. Unendlich lang und spindeldürr. An einem lächerlich kleinen Oberkörper lächerlich lange Beine, deren stelzenartiges Aussehen noch durch eng anliegende Reithosen verschärft wurde. Und diese Beine steckten noch dazu in einem Paar Kniestiefel, an denen die silbernen Sporen klirrten. In dem hageren Gesicht lagen unter buschigen Brauen ein Paar Äuglein, die in feuchtem Glanz schwammen, und die reichlich lang geratene Nase erstrahlte in dem bläulichen Schimmer, den der Alkohol seinen getreuesten Verehrern als Auszeichnung zu verleihen pflegt.

Eine ziemlich schäbig aussehende Tuschurka, mit schwarzer Verschnürung geziert, umschloß den Oberkörper.

Der Haushofmeister, wie ihn Slotek genannt hatte, maß Fedor mit einem Blick, der etwas Verletzendes an sich hatte, und noch verletzender war der Ton. „Sie sind der junge Mann, der Herrn Kaminsky zu sprechen wünscht?“

Einen Augenblick starrte ihn Fedor verblüfft an. Auf diesen Empfang war er nicht vorbereitet. Wußte das dürre Gestell denn nicht, wer er war? Oder war das nur der Widerhall der Stimmung, die im Hause herrschte? Sollte er womöglich nicht als Sohn des Hauses empfangen und behandelt werden? Aber sicherlich war das einer der Fälle, in denen er nach Peters’ Ratschlägen energisch auftreten mußte, um sich durchzusetzen.

„Möchten Sie mir nicht erst sagen, wer Sie sind und was Sie in meinem Zimmer wollen?“

Der Ton klang sehr ruhig, aber dabei so hart, daß der Haushofmeister ein etwas verwundertes Gesicht aufsteckte. Und dann verbeugte er sich etwas zu tief für einen ehrerbietigen wohlgemeinten Gruß. „Ich bin der Freund des alten Herrn Kaminsky, den ich mit meinen schwachen Kräften in der Führung des Haushalts unterstütze.“

„Als Freund meines Vaters müßten Sie wissen, wie man den Sohn, der in das Haus seiner Väter eintritt, zu begrüßen hat.“

„Ach, ich habe die Ehre, Herrn Fedor Poranski vor mir zu sehen. Ich begrüße Sie im Namen meines Freundes Victor. Er wünscht Sie zu sprechen.“

Fedor griff nach einer Zigarette, lehnte sich in den Sessel zurück und zündete sie an. Dann bedeutete er dem Haushofmeister durch eine herrische Bewegung, sich zu entfernen.

Das höhnische Lächeln auf dem Gesicht des Herrn Sumbrowski machte einem deutlichen Ärger Platz. „Was darf ich Herrn Kaminsky bestellen?“

„Nichts, oder ja, sagen Sie ihm, daß Sie ein alter Narr sind, der sich ungebührlich gegen seinen Sohn betragen hat.“

„Herr!“ brauste der Haushofmeister auf, „ich bin ein polnischer Edelmann.“

Langsam wandte Fedor ihm sein Gesicht zu und maß ihn mit einem verächtlichen Blick. „Soviel ich weiß, sind Sie ein Angestellter des Hauses, der sich mir gegenüber bescheiden und ehrerbietig zu benehmen hat, sehr bescheiden“, wiederholte er scharf und erhob sich. „Aber Ihre beleidigende Ungezogenheit werde ich sofort bei meinem Vater Klage führen.“

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, schritt er an ihm vorüber zur Tür. Als er nach dem Drücker faßte, wurde sie von außen geöffnet, und Slotek, der sich beim Eintritt des Haushofmeisters still entfernt hatte, stand auf der Schwelle. „Frau Gräfin läßt fragen, ob sie Herrn Zbigniew begrüßen darf?“

»Ja, sofort, führ’ mich zu ihr.“

Mit strahlendem Lächeln begrüßte ihn die Schwester und reichte ihm die Wange zum Kuß. „Ich wollte dich sprechen, ehe du zum Vater gehst.“

„Erst sag’ mir, was das für ein Kerl ist, den der Slotek mir als Haushofmeister bezeichnet hat. Er tritt wie ein Bauer in mein Zimmer und spricht mich als Fedor Poranski an.“

„Lieber Zbigniew, der Herr Sumbrowski hat verschiedene Funktionen hier im Hause. Er ist ein Jugendfreund des Vaters und widmet sich mit großem Eifer der Aufgabe, ihn zu unterhalten und zu zerstreuen. Zweitens ist er wirklich so etwas wie ein Haushofmeister. Er beaufsichtigt die innere Wirtschaft im Schloß und kommandiert die Dienerschaft. Drittens, und das ist seine wichtigste Funktion, ist er Vertrauensmann der russischen Regierung, der den Vater und uns beaufsichtigt.“

Fedor schlug sich an die Stirn. „Ich hatte sofort bei seinem Eintreten das unbestimmte Gefühl, als müßte ich den Kerl schon mal gesehen haben. Jetzt weiß ich es. Ich war etwa ein Junge von zehn Jahren, da wurde in der Nachbarschaft ein polnischer Graf, den Namen habe ich vergessen, verhaftet, und da bin ich auch hingelaufen. Da habe ich den langen Kerl gesehen. Er soll den Grafen wegen schlechter Gesinnung bei der russischen Regierung angezeigt haben.“

„Das kann schon stimmen, lieber Zbigniew. Jetzt wirst du auch wissen, weshalb wir den Burschen nicht nur im Hause dulden, sondern wie ein rohes Ei behandeln. Mein Mann hat ihn sogar scheinbar zu seinem Vertrauten gemacht. Natürlich erfährt er nur das, was er wissen darf.“

„Wie kommt er dazu, mich als Fedor Poranski anzusprechen und nicht als Sohn des Hauses?“ fragte Fedor heftig.

„Reg’ dich darüber nicht auf, Zbigniew, der Vater ist meiner Ansicht nach geistig nicht mehr ganz normal, er vergißt von heute auf morgen, was er spricht. Ich will dir offen sagen, daß er zuerst dagegen war, dich nach Kornatowo zu holen, am nächsten Tage stimmte er zu.“

„Was soll denn werden, wenn der Vater mit meiner Berufung im Grunde genommen nicht einverstanden ist? Ich kehre auf der Stelle um und fahre ab, wenn meine Stellung im Hause nicht genau festgelegt wird. Ich bin gekommen, um meine ganze Kraft für meine Familie einzusetzen, aber dann will ich auch die Macht haben, zu tun und zu befehlen, was ich für gut befinde.“

„Selbstverständlich, das war eine Eselei von dem alten Sumbrowski, er nimmt sich schon etwas zu viel heraus.“

„Es ist doch das einfachste, wenn wir ihn entlassen.“

„Damit wird der Vater nicht einverstanden sein. Er ist ihm unentbehrlich. Er spielt mit ihm den ganzen Tag Pikett.“

„Und nimmt ihm durch Falschspielen das Geld ab.“

„Du scheinst ja schon sehr gut über die Zustände in Kornatowo unterrichtet zu sein“, erwiderte die Gräfin lächelnd.“

„Das pfeifen hier die Spatzen von den Dächern. Wollen wir jetzt zum Vater gehen?“

„Ich dachte, es wäre besser, wenn ich erst allein zu ihm ginge.“

„Nein, Schwester“, erwiderte Fedor energisch, „ich will in deiner Gegenwart den Vater vor die Frage stellen, welche Stellung er mir im Hause anweisen will. Genügt sie mir nicht...“

„Du vergißt“, fiel die Gräfin scharf ein, „daß der Verzicht nur unter der Voraussetzung aufgehoben worden ist, daß du hier bleibst und deine ganze Kraft uns zur Verfügung stellst.“

„Wem? Euch beiden, dir und deinem Mann? Oder dem Vater und der ganzen Familie, zu der ich auch gehöre?“ fragte Fedor scharf.

„Lieber Zbigniew, du ereiferst dich unnötig, weil du mit ganz anderen Voraussetzungen hergekommen bist. Du hast gedacht, sofort, wenn du hier erscheinst, wird der Vater dir Vollmacht geben, in seiner Vertretung als Herr hier zu schalten und zu walten, wie es dir beliebt. Das will der Vater nicht. Er ist so eigenwillig, daß wir ihm nur mit Mühe die Zustimmung zu deiner Berufung haben abringen können. Wir sind also Verbündete, nicht nur gegen den Vater, sondern auch gegen Thaddi. Er verbraucht bei der Garde mehr Geld, als Kornatowo tragen kann, und das schlimmste ist, er jeut und jeut so unsinnig, daß er eines Tages über Bord gehen wird, weil wir ihn nicht halten können. Das letztemal hat ihn mein Mann mit einer sehr bedeutenden Summe auslösen müssen. Er hat sie sich von Thaddi auf sein Erbteil sicherstellen lassen, denn wir haben auch nichts zu verschenken. Wir haben ihm aber keinen Zweifel gelassen, daß er das nächstemal bei uns keine Hilfe mehr findet. Und wir erwarten von dir, daß du dich von ihm nicht erweichen läßt, wenn er wieder mal nachts hier erscheint. Mein Mann hat ihn zu einem ganz bestimmten Zweck nach Petersburg zur Garde gebracht, aber er hat unser Vertrauen völlig enttäuscht.“

„Ja, was soll dann aber aus ihm werden?“

Die Gräfin zuckte die Achseln. „Wir hoffen, daß er sich so lange hält, bis er nach der Grenze zurückversetzt wird. Mein Mann hat schon die nötigen Schritte dazu getan. Der Vater wird sehr ärgerlich darüber sein. Er hofft noch immer, daß Thaddi eine glänzende Karriere machen wird. Nun muß ich mit dir auch noch über den Vater sprechen. Er hat mit einer Tänzerin in Warschau ein Verhältnis unterhalten, und es sollen sich Folgen eingestellt haben, für die er von der Person verantwortlich gemacht und sehr heftig geschröpft wird. Herr Sumbrowski scheint mit der Person unter einer Decke zu stecken.“

Fedor lachte grimmig auf. „Das sind ja Zustände, und ihr habt nichts dagegen tun können?“

„Wir haben uns bis jetzt gescheut, einzugreifen, weil die geringste Erregung einen neuen Schlaganfall auslösen kann, der aller Wahrscheinlichkeit nach das Ende bedeuten würde. Dann müßte Kornatowo verkauft werden, und das wollen wir nicht, ehe es nicht durch die Zuckerfabrik den doppelten Wert erlangt hat. Jetzt würde sehr wenig übrigbleiben.“

Fedor stand auf und ging mit unruhigen Schritten im Zimmer auf und ab. „Wenn ich das vorher gewußt hätte, wäre ich gar nicht auf deinen Vorschlag eingegangen. Das Beste wäre, ich gäbe euch das Dokument, das meinen Verzicht enthält, wieder zurück und fahre weg.“

„Das nehmen wir nicht an.“

„Ja, was soll ich denn hier? Zusehen, wie wir alle langsam im Sumpf versinken? Dazu bin ich nicht hergekommen.“

„Nein, aber wir müssen langsam vorgehen. Du mußt dich um den Vater bemühen, wir werden ihm auch gut zureden.“

„Wozu?“ fragte Fedor scharf.

„Daß er dir die Oberaufsicht über das Gut überträgt.“

„Und die Kasse?“

„Die verwaltet Herr Sumbrowski im Auftrage des Vaters. Wir haben schon mehrmals versucht, einen Einblick in die Buchführung zu erhalten, aber der Vater verweigert sie uns. Als er uns unser mütterliches Erbteil auszahlte, hat er gesagt, wir sollen warten, bis er tot ist, dann können wir teilen, was er hinterläßt.“

Die Gräfin erhob sich. „Wir wollen jetzt zum Vater gehen. Du mußt ihn begrüßen. Eine Auseinandersetzung wird jetzt nicht möglich sein.“

„Weshalb nicht?“

„Er wird nicht in der Stimmung sein.“

Sie schritt ihm voran, einen ausgedehnten Korridor entlang. Dann traten sie in ein Vorzimmer, in dem ein junger Diener am Tisch saß und döste. „Melden Sie dem Herrn, daß wir ihn zu sprechen wünschen“, sagte die Gräfin laut.

Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür. Der Herr Haushofmeister trat heraus. „Gnädigste Frau Gräfin, ich widerrate, jetzt einzutreten. Mein Freund ist sehr abgespannt.“

„Mein Bruder Zbigniew will den Vater begrüßen“, erwiderte die Gräfin ruhig und ging auf die Tür zu.

Der Haushofmeister vertrat ihr den Eingang. „Ich bitte noch einmal, der Herr Vater schläft.“

Die Gräfin maß das lange Gestell mit einem zornigen Blick. In demselben Augenblick stand auch schon Fedor neben ihr und schob den Kerl mit einer Handbewegung zur Seite. „Das ist doch eine unerhörte Frechheit!“ Vor Aufregung bebend, folgte er der Schwester in das Zimmer. In einem Lehnstuhl zusammengesunken saß der Vater. Der Kopf lag an der Seitenlehne. Es war ihm ohne Mühe anzusehen, daß er viel getrunken hatte. Eine Flasche Wein stand noch halb geleert auf dem Tisch.

„Es hat keinen Zweck“, sagte die Gräfin leise.

„Nein“, erwiderte Fedor laut mit heiserer Stimme. „Aber der Vater muß einen Krankenwärter bekommen, der ihn nach den Vorschriften des Arztes pflegt. Komm, wir dürfen das nicht länger dulden, daß der Trunkenbold ihn beherrscht.“

Er wandte sich um und stand dem Haushofmeister gegenüber, der ihn mit frecher Miene anstarrte. „Wen haben Sie mit dem Trunkenbold gemeint, Herr Poranski?“

„Du hast recht, Zbigniew“, sagte die Gräfin scharf und laut. „Es geht wirklich nicht mehr länger so, wir müssen die Entscheidung herbeiführen. Schaff’ den Menschen ‘raus. Ich werde mit dem Vater sprechen.“

Sie trat an den Lehnstuhl und rüttelte den Vater an der Schulter. Er schlug die Augen auf und starrte sie mit ausdruckslosem Blick an. Angstvoll schrie sie auf: „Zbigniew, komm doch mal schnell her. Ich glaube, der Vater ist nicht berauscht, sondern schwer krank. So sprich doch, Vater, erkennst du mich? Ich bin es, deine Tochter Victo.“

Der Kranke versuchte zu sprechen, aber es kamen nur ein paar undeutliche Laute aus seinem Munde.

„Der Herr muß eben so schwer erkrankt sein. Ich habe noch vor einer halben Stunde eine Partie mit ihm gespielt“, warf Sumbrowski ein.

„Nein, der gnädige Herr sind schon seit vorgestern so krank“, rief der Diener von der Tür her. „Aber ich habe nichts sagen dürfen. Der Herr Haushofmeister zieht jeden Morgen den gnädigen Herrn an und trägt ihn auf den Stuhl.“

„Sie bleiben hier!“ herrschte Fedor den Haushofmeister an, der sich zur Tür Hinausdrücken wollte. „Ich habe noch mit Ihnen abzurechnen. Und du holst mir erst den Slotek, und dann läufst du zum Oberinspektor, er soll schnell einen Wagen zum Arzt schicken.“

Beim Entkleiden ergab es sich, daß der alte Herr auf der rechten Seite völlig gelähmt war. Er war zum Bewußtsein gekommen, das las man in seinen Augen, aber er vermochte nicht zu sprechen. Sumbrowski stand dabei und wiederholte mehrmals: „Ich gebe Ihnen mein Wort, gnädigste Frau Gräfin, daß Ihr Herr Vater noch vor einer halben Stunde mit mir gesprochen und eine Partie gespielt hat. Vorgestern war ihm eine Speise nicht bekommen.“

Als Slotek am Bett seines Herrn saß, nahm Fedor den Haushofmeister am Ärmel. „Jetzt kommen Sie mit mir in Ihr Zimmer. Sie übergeben mir die Bücher und rechnen mit mir ab.“

Mit einem Ruck riß Sumbrowski sich los. „Sie haben mir hier gar nichts zu sagen, Herr Fedor Poranski. Ich bin nur dem alten Herrn Rechenschaft schuldig, und der hat mir unbeschränkte Vollmacht erteilt.“

„Wollen Sie augenblicklich gehorchen, oder soll ich Gewalt anwenden?“

„Ich weiche nur der Gewalt. Wir werden doch sehen, wer hier zu befehlen hat, ob ein hergelaufener Deserteur oder der Bevollmächtigte des Hausherrn.“

Ohne Mühe drängte Fedor das lange Gestell ins Vorzimmer und schloß hinter sich die Tür. „Du holst jetzt den Herrn Oberinspektor und noch einen handfesten Mann“, trug er dem Diener auf.

Mit schadenfrohem Grinsen verschwand dieser. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Oberinspektor erschien. Ein großer, vierschrötiger Mann mit blondem Vollbart. Er trat auf Fedor zu und nannte mit leichter Verbeugung seinen Namen Meyhöfer.

„Ich bin der älteste Sohn des Hauses“, erwiderte Fedor auf deutsch und streckte ihm die Hand hin. „Ich habe Sie hierher bitten lassen, damit Sie mir als Zeuge bei der Abrechnung mit diesem Patron dienen. Mein Vater ist vor drei Tagen von einem neuen Schlaganfall betroffen worden, den dieser Herr der Familie verheimlicht hat.“

„Ist Ihr Herr Vater damit einverstanden?“

„Er kann sich nicht mehr verständlich machen.“

„Das ist eine heikle Geschichte, Herr. Ich weiß nicht, wie ich Sie nennen soll. Ich weiß nur von dem Herrn Haushofmeister, daß ein junger Mann hier eintreffen sollte, der mit dem Anspruch auftritt, der verlorengegangene älteste Sohn des Hauses zu sein.“

„Das ist eine neue Gemeinheit, die dieser Bursche gegen mich verübt hat, Herr Meyhöfer. Meine Schwester...“

„Ja, ich stehe dafür ein“, warf die Gräfin dazwischen, „daß dieser Herr mein ältester Bruder Zbigniew ist, der von meinem Vater anerkannt ist und den wir mit Einwilligung des Vaters hierher berufen haben, um den Vater während seiner Krankheit zu vertreten.“

„Unter diesen Umständen will ich Ihnen als Zeuge dienen, ich lehne aber jede Verantwortung ab. Ich schlage auch noch vor, einen zweiten als Zeugen zuzuziehen, am besten einen Polen. Holen Sie den Brennereiführer Kruk“, befahl er dem Diener. „Der ist ein alter, verständiger Mann.“

Auf dem Korridor nahm die Gräfin Fedor beiseite. „Ich rate dir zur Vorsicht. Am besten, wenn du den Kerl laufen läßt.“

„Unmöglich“, erwiderte Fedor laut auf deutsch. „Entweder biegen oder brechen. Jetzt bin ich mit Fug und Recht der Vertreter meines Vaters, und ich werde so handeln, wie es mir mein Gewissen vorschreibt.“

„Zbigniew, du trägst die Verantwortung“, erwiderte die Gräfin ernst.

Als Fedor sich umwandte, sah er, wie der Haushofmeister mit langen Schritten an der Ecke des Korridors verschwand. Die beiden Zeugen sahen ihm mit verdutzten Gesichtern nach.

Die Gräfin lachte laut auf, als sie das lange Gestell ausrücken sah. „Laß ihn laufen, das ist die beste Lösung für beide Teile.“

Einen Augenblick stand Fedor unschlüssig. Nein, das ging nicht, jetzt mußte er zugreifen. Die Flucht des Haushofmeisters deutete mit aller Entschiedenheit darauf hin, daß er doch mindestens etwas beiseite schaffen wollte.

Zu seinem Erstaunen fand Fedor das Zimmer, das der Haushofmeister bewohnte, leer. „Es wird das beste sein, wenn wir das Zimmer verschließen und versiegeln und das Weitere dem Gericht überlassen“, meinte Fedor zu dem langsam herankommenden Oberinspektor. „Der Vogel ist ausgeflogen.“

„O nein“, rief Sumbrowski, der durch die offene Tür eintrat. „Ich habe nur Zeit gewinnen wollen, einen Boten abzusenden. Du“, wandte er sich an den Brennereiführer, „scherst dich an die Arbeit. — Sie, Herr Oberinspektor, sind augenblicklich entlassen, wenn Sie nicht dasselbe tun, und mit Ihnen, Poranski, werde ich später abrechnen, sobald der Herr Landrat erscheinen wird.“

„Haben Sie denn nicht ein paar handfeste Kerle, Herr Meyhöfer, auf die man sich verlassen kann?“ fragte Fedor in heftiger Erregung.

„Ich möchte Ihnen raten, meiner Aufforderung unverzüglich nachzukommen“, warf der Haushofmeister dazwischen. Er griff in die Brusttasche und holte ein gestempeltes Papier hervor. „Hier ist die Vollmacht meines Freundes Kaminsky, die mich zur Leitung der Geschäfte in und außer dem Hause ermächtigt.“

„Und ich stehe Ihnen dafür, daß dieser Bursche nicht das geringste mehr im Hause meines Vaters zu sagen und zu befehlen hat“, rief Fedor dazwischen, der sich nur noch mit Mühe beherrschte. „Ich finde keine Worte für diese Zustände hier. Der Sohn des Hauses wird von einem fremden Menschen wie ein Eindringling behandelt.“

Der Oberinspektor hob die Schultern. „Herr Sumbrowski hat mir bis jetzt alle Anordnungen des Gutsherrn übermittelt und mit mir abgerechnet. Ich muß anheimstellen, sich allein mit dem Herrn auseinanderzusetzen.“

Ohne ein Wort zu erwidern ging Fedor weg. Ein Gefühl des Ekels stieg in ihm empor und würgte ihn. Das war der Anfang im Elternhause! Eine Schwester, die sich so wenig um ihren Vater kümmerte, daß sie erst nach drei Tagen von seiner schweren Erkrankung erfuhr. Die Leitung des ganzen Betriebes in der Hand eines fremden Menschen, der den heimkehrenden Sohn wie einen Eindringling behandelte. Nur für einen Moment huschte ihm der Gedanke durch den Kopf, sofort wieder umzukehren. Was sollte er hier? Sich mit Hilfe des Naczelnik hinauswerfen lassen? Aber nein, jetzt mußte er durchhalten. Unterlag er, dann nahm er wenigstens das Bewußtsein mit sich, daß er seine Pflicht getan hatte.

Er trat in das Zimmer seines Vaters, wo Slotek noch am Bett saß. „Der gnädige Herr haben zu trinken verlangt. Da habe ich ihm ein Glas Portwein gegeben. Davon ist er sanft eingeschlafen.“

Erwartungsvoll sah er Fedor an, der sich in den Sessel niederließ, in dem sein Vater zu sitzen pflegte. „Mir ist es schlecht gegangen, alter Slotek. Der Oberinspektor hat mich im Stich gelassen, als Sumbrowski ihm mit sofortiger Entlassung drohte, und der Sumbrowski hat nach dem Landrat geschickt.“

„Ah, das ist gut“, erwiderte der Alte. „Wenn bloß noch der Herr Graf möchten nach Hause kommen.“

„Wieso?“

„Der Herr Graf hat den Landrat in der Tasche, und den Sumbrowski kann der Naczelnik nicht leiden. Ich glaube, er hat mal was Schlechtes über Sergei Feodorowitsch Bathurin an die Regierung geschrieben.“

Nach einer Weile fragte Fedor: „Slotek, was ist der Oberinspektor für ein Mensch?“

Der Alte zog die Schultern hoch. „Das ist schwer zu sagen, Herr Zbigniew. Er hat neun Kinder, von denen vier in Deutschland zur Schule gehen. Ich meine, das kostet ein großes Stück Geld, und das Gehalt ist gering.“

„Du glaubst doch nicht…“

„Wer das Kreuz hat, segnet sich.“

„Und läßt der Sumbrowski das so durchgehen?“

„Was soll er machen? Wenn der Oberinspektor ins Buch schreibt: dreitausend Zentner Weizen, dann sind es dreitausend und nicht mehr. Vielleicht schreibt der Sumbrowski bloß zweitausend ins Buch.“

„Hat sich denn mein Vater nicht darum gekümmert?“

„Der Herr sind bloß im Frühjahr auf ein paar Wochen gekommen und im Herbst zu den Jagden.“

„Aber in den letzten zwei Jahren ist doch der Vater immer zu Hause gewesen?“

Der Alte schüttelte den Kopf. „Nein, immer in Warschau, einmal hat er seine Freundin mitgebracht. Da haben der Herr Graf und die Frau Gräfin sie auf dem Schloßhof nicht gegrüßt und sind nicht zu den Mahlzeiten erschienen. Da sind der alte Herr gleich wieder mit ihr abgefahren.“

„Weißt du, daß die Tänzerin einen Sohn hat?“

Der Alte nickte. „Der alte Herr wollte ihn anerkennen, aber der Sumbrowski hat es der Frau Gräfin erzählt, und da hat die Frau Gräfin dem Herrn Vater gedroht, sie würde ihn entmündigen lassen.“

„Eine feine Familie“, sagte Fedor leise vor sich hin. Ihn gelüstete nicht, weiter zu fragen. In sich versunken saß er und grübelte. Es dämmerte bereits, als der Arzt kam. Ein junger Mann mit Narben im Gesicht. Er stellte sich vor. „Doktor Reinhardt, in Vertretung meines Kollegen Warschauer. Was fehlt Ihrem Herrn Vater?“

„Ah, Sie sind Deutscher, das freut mich. Mein Vater hat einen zweiten Schlaganfall erlitten, schwerer als der erste. Ich bin erst seit heute im Hause, aber ich habe Grund, anzunehmen, daß meinem alten Herrn in gewissenloser Weise Alkohol verabreicht worden ist.“

„Das wäre geradezu unverantwortlich. Darf ich den Kranken untersuchen?“ Er trat ans Bett und beugte sich nieder. Sofort fuhr er auf. „Der Kranke hat erst vor kurzem wieder Alkohol bekommen.“

„Der alte Diener hat ihm, als er zu trinken verlangte, ein Glas Portwein gegeben.“

„Wenn Sie das als Arzenei betrachten, ist mein Eingreifen überflüssig.“

„Das ist ohne unser Wissen und Willen geschehen. Ich habe erst vor einer Stunde hier eingreifen können.“

„Legen Sie Gewicht darauf, daß ich den alten Herrn durch ein energisches Mittel zum Bewußtsein bringe?“

„Ich stelle es Ihnen völlig anheim, wenn Sie mir die Hoffnung geben können, daß mein Vater das Bewußtsein wiedererlangt.“

„Dafür kann ich im Augenblick nicht einstehen, aber Ihr alter Herr scheint die Natur eines Riesen zu haben. Ich werde vorläufig etwas verschreiben, das Sie ihm geben, wenn der Pulsschlag schwächer werden sollte. Dann können Sie ihm zur Unterstützung auch ein Glas Sekt geben. Sie haben doch Sekt im Hause?“

„Ich vermute es“, erwiderte Fedor mit einem Lächeln, das sich ihm unwillkürlich auf die Lippen drängte.

„Würden Sie, Herr Doktor, meinem Vater eine Nacht opfern, wenn ich Sie herzlich darum bitte? Ich werde wahrscheinlich heute noch sehr stark in Anspruch genommen sein.“

„Selbstverständlich, wenn Sie Wert darauf legen.“

„Aber sehr. Ich danke Ihnen verbindlichst. Hier, der alte Diener wird Sie mit allem versorgen. Ich bitte Sie, sich als unser Gast zu betrachten. Noch eine Frage, Herr Doktor, Halten Sie eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für vorliegend?“

„Nein. Soweit ich den Zustand Ihres alten Herrn nach oberflächlicher Untersuchung beurteilen kann, wird die Lähmung nicht mehr schwinden, aber der Kranke kann bei guter Behandlung noch einige Jahre im vollen Besitz seiner Geisteskräfte leben.“

Als Fedor bei seiner Schwester eintrat, war der Graf eben nach Hause gekommen.

„Seien Sie mir willkommen“, rief er ihm auf französisch entgegen. „Ich höre soeben, daß Sie bereits eine scharfe Auseinandersetzung mit der Spinne gehabt haben. Ich vermisse nur die Nachricht, daß Sie den Patron verhindert haben, Werte und Papiere aus dem Hause zu entfernen. Dem Herrn Vater geht es leider schlecht. Wir müssen abwarten, wie sein Befinden in den nächsten Tagen sein wird.“

„Sind Sie davon unterrichtet, daß der Kerl eine schriftliche Vollmacht vom Vater hat?“

„Nicht im geringsten“, erwiderte der Graf achselzuckend. „Ich weiß nur, daß der Herr Schwiegervater alle Anordnungen durch dieses Subjekt treffen ließ.“

Gerade als man zu Tisch ging, erschien der Naczelnik. Fedor war der erste, der ihn auf russisch begrüßte. Ein Herr in mittleren Jahren, dem man die Strapazen einer stürmisch verlebten Jugend ansah. Auch der Heiligenschein des Alkohols lag bereits auf seinem breiten, rosigen Gesicht.

„Der Freund Ihres Vaters hat mich durch dringende Botschaft ersucht, hier zu erscheinen. Ich befürchte, daß es mit dem Zustand des alten Herrn zusammenhängt.“

„Erst in zweiter Linie“, erwiderte die Gräfin. „Mein Vater hat allerdings einen zweiten Schlaganfall erlitten, aber die Gefahr ist nicht sehr groß, wie der Arzt meinte.“

„Nun, was will denn der Sumbrowski von mir?“

„Wir haben einen Konflikt mit ihm“, erwiderte Fedor. „Er will mich nicht als den ältesten Sohn des Hauses anerkennen und weigert sich, Rechenschaft über seine Geschäftsführung abzulegen.“

„Ja, er hat sich wie ein Rüpel gegen meinen Bruder Zbigniew benommen“, fiel die Gräfin ein. „Sie müssen wissen, Sergei Feodorowitsch, daß dies mein Bruder Zbigniew ist, wir haben schon mehrmals darüber gesprochen.“

Der Landrat streckte Fedor die Hand hin. „Ah, sehr erfreut, Herr Kaminsky. Wunderbares Schicksal in der Jugend, ich habe schon davon gehört. Man muß Ihnen ein Kalb schlachten, wie dem verlorenen Sohn, der nach Hause zurückkehrt.“

„Ein glänzender Witz, Sergei Feodorowitsch“, erwiderte der Graf lachend. „Ich hoffe jedoch, daß man uns den Genuß dieses nützlichen Haustiers ersparen und etwas Besseres vorsetzen wird. Willst du nicht zu Tisch bitten, Victorine?“

Der Landrat bot der Gräfin seinen Arm, Fedor und der Graf folgten hinterdrein.

Fedor saß während des Essens wie auf Kohlen. Der Naczelnik erzählte sehr lebhaft und trank sehr viel. Nach dem Essen wurden schwarzer Kaffee und ein Likör gereicht. Der Russe schien den Zweck seines Besuches ganz vergessen zu haben, bis Fedor ihn daran erinnerte.

„Ja, mein lieber Herr Kaminsky“, erwiderte der Naczelnik mit holpriger Zunge, „ich bin eigentlich nicht kompetent, in diesen Avist einzugreifen. Der Sumbrowski ist Agent der Regierung und meinem Machtbereich enthoben. Aber als Zeuge will ich Ihnen gern dienen. Man wird ihm gut zureden.“

„Oh, dann verzichten wir auf die Mitwirkung des Herrn Landrats bei der Auseinandersetzung mit Herrn Sumbrowski“, erwiderte der Graf, indem er sich verbindlich verbeugte.

„Ich biete Ihnen meine Vermittlung an.“

„Danke gehorsamst, Herr Landrat. Wir werden mit dem Herrn Sumbrowski allein verhandeln. Darf ich Ihren Wagen vorfahren lassen, Sergei Feodorowitsch?“

Der Naczelnik hatte sich umständlich verabschiedet. Die Gräfin stand am Fenster, als die Herren in das Zimmer zurückkehrten. „Was gedenkt ihr nun zu tun?“

Der Graf warf sich in einen Sessel und streckte die Beine von sich. „Meine liebe Victorine, das ist eine sehr schwerwiegende Frage. Es handelt sich darum, ob dieser Sumbrowski nach wie vor wie ein Vampir Kornatowo aussaugen darf oder nicht. Ich denke, wir können es wagen. Finden wir Beweise, daß er sich zu unserem Schaden bereichert hat...“

„Ich denke, darüber kann doch kein Zweifel sein“, fiel Fedor ein.

„Nein, wir zweifeln nicht daran, aber es ist die Frage, ob wir Beweise finden“, erwiderte der Graf. „Ich weiß, daß er sich jede Rechnung und jede Zahlung von dem alten Herrn gegenzeichnen läßt. Ich wäre für einen gütlichen Vergleich. Man läßt ihn mit seinem Raub ungeschoren davonziehen.“

„Ich bin nicht dafür, der Kerl gehört ins Gefängnis“, rief Fedor.

„Ich wundere mich, Schwager“, erwiderte der Graf, indem er den Rest seiner Zigarette in den Aschenbecher warf und aufstand, „daß du so schnell das Verständnis für russische Zustände verloren hast. Ich werde, wenn wir diese Blindschleiche aus dem Hause entfernt haben, sofort nach Petersburg fahren und alle meine Verbindungen anstrengen müssen, um den Patron wirklich unschädlich zu machen. Gehen wir.“

Herr Sumbrowski schien gar nicht erstaunt, als die Geschwister bei ihm eintraten. Mit einer Handbewegung nötigte er, Platz zu nehmen. Der Tisch, an dem er gesessen, war mit Büchern und Papieren bedeckt. „Ich weiß, weshalb Sie mich noch zu so ungewöhnlicher Stunde aufsuchen, Herr Graf. Ich bin bereit, Ihnen Rechenschaft abzulegen, muß jedoch auf das entschiedenste ablehnen, in Gegenwart dieses fremden Herrn mit Ihnen zu verhandeln.“

„Dieser fremde Herr ist mein Schwager, der älteste Bruder meiner Frau.“

„Das bestreite ich auf das entschiedenste. Mein Freund Victor Kaminsky, Ihr verehrter Vater, gnädigste Frau Gräfin, hat mir wiederholt erklärt, daß er sich durch einen Betrüger hat düpieren lassen. Ehe die Anerkennung meines Freundes mir nicht vorliegt, spreche ich diesem jungen Mann das Recht ab, sich hier einzumischen. Ich weiß von ihm nur ganz sicher, daß er als Fedor Poranski beim russischen Militär gestanden hat und nach Preußen übergelaufen ist. Das habe ich an der richtigen Stelle bereits anhängig gemacht. Aber wo bleibt mein Freund Sergei Feodorowitsch, ich habe doch gehört, daß er hier ist.“

In Fedors Adern brauste das Blut. Er hatte das Gefühl, aufzuspringen und diese elende Gestalt mit einem Faustschlag zu Boden zu schmettern. Er wunderte sich, daß seine Schwester nicht dagegen Einspruch erhob, daß der Kerl ihn als Betrüger hinstellte. Wie aus weiter Ferne hörte er den Grafen erwidern: „Ich wundere mich, Herr Sumbrowski, daß Sie uns solche Schwierigkeiten machen. Mein Schwiegervater ist nach dem Urteil des Arztes wahrscheinlich dauernd des Bewußtseins beraubt. Da müssen wir doch durch gerichtliche Verfügung einen Vormund für ihn bestellen.“

Fedor hörte noch: „Auch dafür hat mein Freund Victor gesorgt. Er hat mir durch notariellen Akt seine Vertretung im Falle einer Erkrankung übertragen.“

Er stand auf und ging hinaus. Er hatte das Gefühl, daß er in dem Kampf unterlegen war. Mochten die Schwester und der Schwager zusehen, wie sie mit dem alten Gauner, der den Vater in seinen Krallen hielt, fertig wurden. Er hatte kein Interesse mehr daran. Ein anderer hätte vielleicht den Kerl bei der ersten Frechheit niedergeschlagen. Dazu fehlte ihm das Herrenbewußtsein. Wenn er Peters durch ein dringendes Telegramm um sein Erscheinen bat?

Nein, lieber gleich Schluß machen. Er trat in das Vorzimmer, wo der Diener beim trüben Schein einer Petroleumlampe saß und las. Fedor ging stumm an ihm vorüber. Im Zimmer des Vaters herrschte völlige Dunkelheit. Bei seinem Eintreten erhob sich Slotek. „Sind Sie es, junger Herr?“

„Ja, mein Alter, wie geht es dem Vater?“

„Der alte Herr schlafen sehr süß, der Herr Doktor sind sehr mit ihm zufrieden.“

„Wo ist der Herr Doktor?“

„Im zweiten Zimmer hier nebenan. Ich soll ihn wecken, wenn der Herr erwacht.“

„Du hast doch aber kein Licht.“

„Oh, junger Herr, unsereins braucht kein Licht.“

Fedor ließ sich in den Lehnstuhl nieder. Eine Nacht wollte er unter dem Dach seines Vaterhauses verbringen. Eine Weile saß er still zurückgelehnt. Dann sagte er leise: „Slotek, du kannst schlafen gehen, ich bleibe beim Vater.“

„Nein, der junge Herr könnte einschlafen, ich brauche keinen Schlaf, ich bleibe wach, und wenn ich ein bißchen einnicke, hört mein Ohr alles. Ich bitte den jungen Herrn, sich schlafen zu legen.“

„Nein, Slotek, die einzige Nacht, die ich unter dem Dach meines Vaterhauses weile, will ich wach bleiben.“

„Weshalb sagen der junge Herr: .die einzige Nacht?’„

„Weil ich morgen früh abreisen will.“

Fedor fühlte, wie der Alte in der Dunkelheit an ihn herankroch und seine Hand küßte. „Der junge Herr werden nicht abfahren.“

„Doch, lieber, alter Slotek.“ Er hob den Arm und zog den treuen, alten Diener an sich. „Die Spinne ist jetzt eben dabei, meinem Schwager und meiner Schwester die Bücher vorzulegen. Ich bin dabei überflüssig. Ich habe kein Recht, dabei zu sein.“

Verwundert horchte er auf. Der Alte kicherte. „Der Sumbrowski legt den gräflichen Herrschaften die Bücher vor?“

„Was hast du darüber zu lachen?“

„Der junge Herr werden entschuldigen. Ich lache bloß, weil der Sumbrowski den gräflichen Herrschaften bloß eine Sorte Bücher vorlegen wird.“

„Was meinst du damit? Glaubst du, daß er noch andere Bücher hat?“

»Ja, junger Herr“, wisperte der Alte ihm ins Ohr. „Im Turmzimmer, das nie bewohnt wird, hat er einen großen Schrank mit Papieren stehen.“

„Woher weißt du das?“

„Herr, ich habe einen Hauptschlüssel, der alle Schlösser schließt. Ich bin ihm nachgegangen und habe ihn in der Tür verschwinden sehen. Ich bin an den Schrank gegangen, aber ich kann nicht russisch, auch nicht deutsch lesen.“

„Das mögen alte Akten sein, die er dort verwahrt.“

„Alte Akten und neue Papiere“, erwiderte der Alte, „denn er geht fast jeden Tag einmal in das Zimmer, und wenn er drin ist, schließt er sich ein. Wenn der junge Herr wollen, führ’ ich ihn heute nacht in das Zimmer.“

„Wir können doch den Vater nicht allein lassen.“

„Nein, das werden wir nicht.“

„Ist denn ein verständiger Mann im Hause, der dich vertreten kann?“

„Nein, Herr, ein Mann nicht, aber ein Weib, die jüngste Schwester der Maruschka. Wenn der junge Herr auf den Herrn aufpassen wollen, werde ich ihr Bescheid sagen.“

15. Kapitel

Der Graf und die Gräfin waren nicht wenig erstaunt, als Fedor, der etwas übernächtig aussah, ihnen am anderen Morgen die erfreuliche Mitteilung machte, daß Herr Sumbrowski nach einer längeren Unterredung, die er mit ihm unter vier Augen abgehalten hatte, Kornatowo den Rücken gekehrt habe, um nicht wiederzukehren.

„Wie hast du denn das angestellt?“ fragte die Schwester.

„Ich habe sein Geheimarchiv und Kasse entdeckt und beschlagnahmt. Als der Herr Haushofmeister im Morgengrauen mit der Absicht erschien, die wichtigsten Papiere und seine Schätze an sich zu nehmen, um damit zu verduften, war ich über seine Tätigkeit in Kornatowo schon so genau unterrichtet, daß er es vorzog, sich durch Rückgabe der Vollmacht die Freiheit zu erkaufen.“

„Er wird bei der russischen Regierung gegen uns bohren und uns Angelegenheiten bereiten“, meinte die Gräfin.

„Davor sind wir sicher“, erwiderte Fedor. „Ich habe Papiere in der Hand, die ihn völlig unschädlich machen. Er hat mit Landsleuten in Galizien einen sehr regen Verkehr unterhalten und hier Anhänger für eine galizisch-polnische Legion geworben, die auf seiten Österreichs gegen Rußland fechten soll, wenn es zum Kriege kommt.“

Der Graf fuhr auf. „Das war ja ein vielseitiger Geschäftsmann. Was sind das für Papiere? Kann ich sie einsehen?“

„Weshalb nicht. Sie enthalten natürlich nur Decknamen. Eine Mitgliederliste vom Sokolverein, die ich in einem Geheimfach fand, habe ich sofort verbrannt.“

„Ach, das ist aber schade“, rief der Graf. „Die hätte mir sehr viel nützen können.“

„Daran habe ich nicht gedacht“, erwiderte Fedor. „Ich hielt es für das beste, das Papier, das Hunderte von braven Landsleuten ins Unglück stürzen könnte, sofort zu vernichten.“

Gleich nach dem Frühstück ließ sich der Graf das Turmzimmer zeigen und den Schrank aufschließen. Fedor begab sich auf den Hof, um den Oberinspektor aufzusuchen, der ihm die Wirtschaft zeigen sollte. Er fand Herrn Meyhöfer in seiner Wohnung. Der blonde Riese war sichtlich verlegen, als Fedor eintrat. Er wußte bereits, daß Sumbrowski Kornatowo verlassen hatte, denn er hatte ihm zur Wegschaffung seiner Sachen ein Fuhrwerk gegeben.

Fedor hielt es nicht für nötig, den Oberinspektor über die Ereignisse der Nacht aufzuklären. „Herr Sumbrowski hat nach einer längeren Unterredung, die ich mit ihm unter vier Augen abgehalten habe, es vorgezogen, die Vollmacht zurückzugeben und Kornatowo zu verlassen. Sie haben jetzt meinen Anordnungen Folge zu leisten. Jetzt zeigen Sie mir die Ställe und die Scheunen. Gleich nach Mittag fahren wir durch die Felder.“

Der Oberinspektor verbeugte sich zustimmend. „Sehr wohl, Herr Kaminsky. Ich war gestern in einer sehr unangenehmen Lage, Herr Sumbrowski...“

Mit einer Handbewegung schnitt ihm Fedor das Wort ab. „Wir haben einen sehr schönen Viehstand“, begann Meyhöfer, als sie auf den Hof traten, „lauter schwarzweiße Ostfriesen. Das Gut könnte aber ganz gut die doppelte Zahl gebrauchen. Futter ist in reichem Maße vorhanden.“

Als Fedor gegen Mittag todmüde und abgespannt ins Schloß zurückkehrte, hatte er den Eindruck gewonnen, daß sehr erhebliche Summen erforderlich waren, um Kornatowo hochzubringen.

Doktor Reinhardt war schon abgefahren. Er hatte mit der Gräfin noch eine lange Unterredung gehabt und ihr die Hoffnung gegeben, daß der Vater sich wieder erholen und bei sorgsamer Pflege noch jahrelang leben könnte. In einigen Tagen werde er wiederkommen.

Bei Tisch fielen Fedor ein paarmal vor Müdigkeit die Augen zu. Er raffte sich aber auf und fuhr mit Meyhöfer durchs Feld. Da zeigte ihm der Inspektor, was für das Land getan werden müsse, und rechnete ihm vor, was für Summen dazu erforderlich wären, um alle die Schäden, die durch Vernachlässigung des Bodens entstanden waren, zu beseitigen. Am Abend wollte er noch einen Brief an Annemarie schreiben, aber die Augen fielen ihm zu. Schlaftrunken ging er zu Bett und schlief sofort fest ein.

Am anderen Morgen wurde er von Slotek mit der Nachricht geweckt, daß der alte Herr erwacht sei und mit schwacher Stimme nach Sumbrowski gefragt habe. Er habe ihn mit der Mitteilung zu beruhigen versucht, daß Sumbrowski erkrankt sei und zu Bett liege.

Fedor zog sich schnell an und ließ sich bei der Gräfin melden. Sie mußte erst geweckt werden und ließ ziemlich lange auf sich warten. „Wir müssen diese Ausrede weiter gebrauchen, und, wenn’s nötig ist, weiterspinnen“, meinte sie. „Am Nachmittag kann ihm Slotek erzählen, daß der Arzt dagewesen ist und seine Überführung ins Krankenhaus angeordnet hat. Dann lassen wir den Kerl sterben.“

„Willst du nicht den Vater besuchen und ihm sagen, daß ich hier bin und die Leitung der Wirtschaft in die Hand genommen habe?“

„Nein, lieber Zbigniew, diese freudige Nachricht wollen wir uns für später aufsparen.“

Es dauerte vier Wochen, bis der alte Herr von seiner Tochter erfuhr, daß Sumbrowski noch lebe und erst nach heftigem Sträuben das Haus verlassen habe. Mit krankhafter Hartnäckigkeit bestand Kaminsky darauf, daß sein Freund zurückberufen werden sollte. Er kannte seine Adresse in Warschau. Erst als die Gräfin ihm erklärte, daß Sumbrowski durch seine Beziehungen zu den galizischen Russenfeinden sich schwer kompromittiert und dadurch auch die ganze Familie in Gefahr gebracht habe, gab er sich zufrieden. Es dauerte aber noch einige Zeit, bis er Fedor zu sehen wünschte. Ohne sichtbare Gemütsbewegung reichte der alte Herr seinem Sohn die linke Hand, die er noch bewegen konnte, und sprach ein paar gleichgültige Worte.

Fedor war unermüdlich in der Wirtschaft tätig. Und je tiefer er in die Verhältnisse von Kornatowo eindrang, desto schwieriger erschien ihm die Aufgabe, Ordnung zu schaffen. Von der Ernte war schon der größte Teil verkauft, was übrigblieb reichte kaum hin, die Gehälter und Löhne zu zahlen. Die Zwölftausend Rubel, die er dem Haushofmeister abgejagt hatte, waren wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Ohne Bedenken opferte er die fünfundsiebzigtausend Mark, die er als Abfindung erhalten hatte. Das schaffte ihm für eine Weile Luft.

Eines Tages überraschte ihn die Gräfin mit der Mitteilung, daß in der nächsten Woche eine große Jagd veranstaltet werden sollte. Die Einladungen waren schon verschickt. Der Vater habe es gewünscht, daß der Verkehr mit den befreundeten Familien der Nachbarschaft wieder aufgenommen werden sollte.

„Liebe Victorine“, erwiderte Fedor, „das sind Ausgaben, die ich jetzt nicht übernehmen kann. Der Weinkeller ist ziemlich leer.“

„Das begreife ich nicht, es ist doch im vorigen Winter gegangen, als Sumbrowski hier wirtschaftete.“

„Der hat in unverantwortlicher Weise das Gut ausgeplündert. Ich habe bereits von dem Geld, das ich als Abfindung erhalten habe, die Hälfte für Kornatowo verbraucht.“

„Das ist doch ganz selbstverständlich.“

„Nein, Victorine, das ist gar nicht selbstverständlich. Ihr habt jeder hunderttausend Rubel als Mutterteil erhalten und ich nicht.“

„Ja, weil du noch nicht existiertest. Das ist dein Pech.“

„Durchaus nicht. Ich habe an dich und Thaddi den Anspruch auf ein Drittel des Erbteils. Beruhige dich, ich erhebe keinen Anspruch darauf, aber das kann ich wohl verlangen, daß ihr einen Teil der Haushaltungskosten auf euch nehmt. Wenn ihr nicht hier in Kornatowo lebtet, würde ich den größten Teil der Dienerschaft entlassen.“

„Das ist ein ganz unbilliges Ansinnen“, erwiderte die Gräfin erregt. „Wenn wir nicht hier lebten, müßte der Vater uns unterhalten, wie er es bisher getan hat, und das hat erheblich mehr erfordert als unser Aufenthalt hier. Aber du steckst alles Geld in die Wirtschaft.“

„Das ist jetzt allerdings das Wichtigste, wenn wir Kornatowo halten wollen. Ihr habt nicht nur den schönen Wald verpulvert, sondern auch dem Boden so viel entzogen, daß er von Jahr zu Jahr weniger trägt. Der Oberinspektor hat mir aus seinen Büchern Nachgewiesen, daß Kornatowo von Jahr zu Jahr weniger trägt.“

„Das ist seine Schuld, deswegen haben wir ihm gekündigt.“

„O nein, der Mann tut, was er kann, aber ihr vergeßt, daß die regelmäßigen Einnahmen weggefallen sind, die der Wald gebracht hat.“

„Du mußt eben nicht soviel Vieh halten, damit mehr Getreide verkauft werden kann.“

„Nein, Victorine, das habe ich denn doch schon begriffen, daß das Vieh für ein Gut unentbehrlich ist.

Wenn wir reinen Körnerbau treiben wollen, brauchen wir viel mehr Kapital für künstliche Düngemittel.“

Er schlug einen herzlichen Ton an. „Glaube mir, Victorine, ich weiß nicht, wie ich im nächsten Jahr bis zur Ernte durchhalten soll.“

Die Gräfin lachte. „Du hast doch einen reichen Schwiegervater.“

„Du meinst Herrn Peters. Selbst wenn er schon mein Schwiegervater wäre, würde ich Bedenken tragen, ihn in Anspruch zu nehmen. Dazu fehlt vor allen Dingen die Voraussetzung, daß mir Kornatowo gehört.“

„Das ist ausgeschlossen, wenigstens solange der Vater noch lebt. Er will sich nicht bei lebendigem Leibe beerben lassen.“

Die Jagd fand statt. Es hatte in der Nacht gefroren, und auf den Wiesen lag weißer Reif. Schon um sieben Uhr fanden sich die ersten Gäste ein. Aus der Kreisstadt war der Landrat mit mehreren höheren Beamten erschienen, auch einige russische Offiziere waren gekommen. Die Mehrzahl der Gäste bestand aber aus polnischen Adligen der Umgegend. Der Graf und die Gräfin machten die Honneurs. Gleich zur Begrüßung gab es ein warmes Frühstück mit mehreren Fleischgerichten. In einer Scheune auf dem Felde wurden die Schützen mittags zum zweitenmal bewirtet. Es gab außer verschiedenen Likören, Portwein, Malaga und Madeira noch heißen Punsch, der in großen Mengen vertilgt wurde.

Nach Beendigung der Jagd, die sehr gut ausgefallen war, folgte ein solennes Schüsseltreiben, zu dem sich die Damen der polnischen Gutsbesitzer eingefunden hatten. Schon bei der Tafel wurde sehr scharf getrunken. Dann setzten sich die älteren Herren an mehreren Tischen zu einer Partie Preference nieder, während das junge Volk zu tanzen begann.

Fedor trat so wenig wie möglich hervor. Er war auf der Jagd Pudelkönig geworden und mußte beim Schüsseltreiben den Trinkspruch auf den Jagdkönig, einen Grafen Walewski, ausbringen. Nach der Tafel suchten einige Herren, darunter auch der Landrat, den Hausherrn auf. Fedor wurde von einem Nachbar, Josef Pisanski, mit dem er schon einmal zusammengetroffen war, in eine stille Ecke geführt.

„Es ist unrecht von Ihnen, daß Sie sich von dem Verkehr mit den Nachbarn ausschließen. Wir haben uns alle gefreut, daß Sie ins Elternhaus zurückgekehrt sind. Wir hoffen, daß mit Ihnen ein neuer Geist in Kornatowo eingezogen ist.“

„Inwiefern, Herr Pisanski?“

„Ich habe so etwas verlauten hören, ich weiß nicht, ob ich offen sprechen darf.“

„Ich bitte darum.“

„Nun, man erzählt sich in unseren Kreisen, daß Sie kein Freund der Russen sind.“

„Haben Sie daran Interesse?“

„Nicht nur Interesse, sondern wir würden uns alle sehr freuen, wenn das wirklich der Fall sein sollte.“

„Es wäre wohl nach den Erfahrungen, die ich in meiner Jugend gemacht habe, erklärlich, wenn ich kein Freund der Russen wäre. Ich gedenke aber, mich jeder politischen Stellungnahme zu enthalten. Die Aufgabe, die ich hier in Kornatowo gefunden habe, beansprucht meine ganzen Kräfte.“

„Das verstehe ich vollkommen, lieber Kaminsky. Immerhin könnten Sie schon ein paar Stunden erübrigen, um mit gleichgesinnten Landsleuten zusammen zu sein.“

„Ich sehe den Zweck nicht ein. Wenn ich Verkehr suchen sollte, möchte ich die Politik dabei aus dem Spiel lassen.“

„Ach, ich verstehe“, erwiderte Pisanski, „Sie gehören schon zu den Neutralen, die den Russen zwar keine Liebe entgegenbringen, aber sie auch nach keiner Seite schädigen möchten.“

„Das stimmt auch nicht, Herr Nachbar. Wenn ich wüßte, daß ich zu Ihnen offen sprechen kann, möchte ich Ihnen meinen Standpunkt darlegen.“

„Selbstverständlich haben Sie mein Wort, daß ich Ihre Eröffnung vertraulich behandle.“

„Nun, dann will ich Ihnen sagen, daß ich alle Bestrebungen meiner Landsleute, die nationale Selbständigkeit wiederzuerlangen, als völlig aussichtslos betrachte. Die einzige Seite, von der uns Hilfe kommen könnte, wäre Deutschland.“

Mit sichtlichem Interesse hatte ihm Pisanski zugehört. „Bitte, sprechen Sie weiter, wie beurteilen Sie Deutschland?“

„Ich bin davon überzeugt, daß es stark genug ist, Frankreich und Rußland zusammen niederzuwerfen.“

„Das ist ein bißchen viel gesagt.“

„Ja, aber nicht zu viel. Dann aber entsteht die Frage, ob Deutschland geneigt sein wird, uns unsere Selbständigkeit wiederzugeben. Ich glaube, es hat dazu keine Veranlassung, schon mit Rücksicht auf die polnischen Gebietsteile.“

„Was haben die damit zu tun?“

„Oh, sehr viel. Wie ich meine Landsleute zu kennen glaube, werden sie sofort die Forderung erheben, alle Gebietsteile, die früher zu Polen gehört haben, wie die beiden preußischen Provinzen Posen und Westpreußen, wiederzuerhalten, und die polnische Bevölkerung in diesen beiden Provinzen wird dieselbe Forderung erheben. Wir sind also selbst schuld daran, daß diese einzige Hoffnung sich nicht erfüllen kann.“

„Sie urteilen sehr hart über unsere Landsleute.“

„Aber nicht zu hart, Herr Nachbar. Bitte, sagen Sie mir mal offen, wie in Ihrem Kreise darüber geurteilt wird. Können Sie mir einen Polen nennen, der sich damit begnügen würde, daß Kongreßpolen als Königreich wiederhergestellt wird, ohne daß nicht wenigstens Galizien einverleibt würde?“

„Das ist doch selbstverständlich“, erwiderte Pisanski lebhaft, „Galizien ist das kräftigste Glied an unserem Volkskörper. Da liegen die beiden uralten polnischen Städte Lemberg und Krakau.“

„Nun noch eine Frage, Herr Pisanski. Halten Sie es für denkbar, daß Rußland nach einem siegreichen Kriege aus freien Stücken uns die nationale Selbständigkeit wiedergibt?“

„Aus freien Stücken nicht, aber Frankreich will sich dafür verbürgen. Man kann Österreich nur dadurch zerstückeln und in seine Teile auflösen, daß man jeder Nation das Selbstbestimmungsrecht gibt. Das wird uns zugute kommen, denn dann kann man dieses Recht uns nicht verweigern.“

„Sind das nicht die Anschauungen, für die mein Schwager hier bei Ihnen wirbt?“

„Allerdings wirkt Ihr Herr Schwager in diesem Sinne, und er findet, wie ich zu wissen glaube, ziemlich viele Anhänger.“

„Darf ich fragen, ob Sie auch dazu gehören?“

„Nein; im Vertrauen auf Ihre Diskretion will ich Ihnen sagen, daß ich zu den sogenannten Aktivisten gehöre, das heißt ich bin der Ansicht, daß wir Polen unsere Selbständigkeit nicht tatenlos, wie ein Geschenk des Himmels, erwarten sollen. Nein, wir sollen uns darauf vorbereiten, im gegebenen Fall selbst einzugreifen.“

„Hat diese Bewegung viel Anhänger?“

„Die Antwort darauf möchte ich Ihnen verweigern.“

„Na, Wilku, was führst du hier für wichtige Gespräche mit dem Sohn des Hauses?“ fragte ein junger Edelmann, Krasicki, herantretend.

Wie ein Blitz schoß es Fedor durch den Kopf, daß er in den Papieren Sumbrowskis den Namen Wilk, der auf deutsch einen Wolf bezeichnet, gelesen hatte.

„Ich habe Ihnen nachher noch eine Mitteilung zu machen, Herr Pisanski.“

„Oh, Sie brauchen sich vor meinem Freunde Krasicki nicht zu genieren.“

„Nun, dann möchte ich Ihnen nur sagen, daß der alte Sumbrowski, den ich aus dem Hause entfernen mußte, einen Schrank mit Papieren zurückgelassen hat, in denen der Deckname Wilk ziemlich oft wiederkehrt.“

Die beiden Edelleute sahen sich betreten an. „Um Gottes willen, Herr Kaminsky, was ist aus den Papieren geworden?“

„Sie befinden sich in meinem Gewahrsam. Eine lange Liste von Mitgliedern der Sokolvereine habe ich sofort vernichtet.“

„Wir sind Ihnen großen Dank schuldig. Wir müssen aber jetzt wohl unser Gespräch abbrechen. Darf ich Sie morgen wegen dieser Angelegenheit besuchen?“

„Ich bitte darum.“

16. Kapitel

Krasicki hatte Fedor, mit dem er so ziemlich in dem gleichen Alter stand, untergefaßt. „Weshalb sind Sie immer so ernst, lieber Kaminsky? Man möchte fast sagen traurig. Weshalb tanzen Sie nicht?“

„Weil ich in meiner Jugend keine Gelegenheit gehabt habe, diese Kunst zu erlernen.“

„Ach, die ist uns Polen doch angeboren. Und Sie müssen schon aus politischen Gründen tanzen.“

Jetzt lächelte Fedor. „Was hat die Politik mit dem Tanzen zu tun?“

„Hier in Polen mehr, als Sie meinen. Die Tanzfeste sind für uns der Vorwand, zusammenzukommen, und die Russen glauben, wir haben nichts anderes im Sinn als Essen, Trinken und Tanzen. Sie haben allen Grund, nicht so zurückgezogen zu leben. Sie gelten hier bereits als verdächtig, trotz der politischen Stellung Ihres Vaters. Sehen Sie nicht so ernst aus, lächeln Sie mich an. Sie werden schon den ganzen Abend von dem Kollegienassessor Tolpiga beobachtet, der weder tanzt, noch Karten spielt, sondern überall herumschleicht. Wir nennen ihn den Spionriecher.“

„Ich gelte doch hoffentlich nicht als Spion?“

„Kommen Sie in den Tanzsaal, da sind wir am sichersten. Ja, lieber Kaminsky, Sie werden stark beargwöhnt. Ihr ganzes Vorleben...“

„Was weiß man denn hier davon?“

„Sind Sie wirklich noch so naiv? Ich sage Ihnen: beim Naczelnik liegt ein dickes Aktenstück, in dem alles aufgezeichnet ist, was man von Ihnen weiß. Und man weiß sehr viel von Ihnen. Ihre Jugendzeit, Ihre Flucht vom Grenzposten nach Preußen, ja, selbst über alles, was Sie in Berlin getrieben haben, ist man unterrichtet.“

„Woher wissen Sie das?“ fragte Fedor erstaunt.

„Sehr einfach. Wir haben auch unsere Verbindungen in den russischen Kanzleien und sind von allem unterrichtet, was die Regierung plant.“

„Ich habe nichts zu verbergen. Ich habe in Berlin keine politischen Verbindungen unterhalten.“

„Sie haben in dem Hause des Herrn Peters verkehrt, der vor drei Jahren in Warschau war, um mit polnischen Großkaufleuten Verbindungen anzuknüpfen. Sie haben ihn nach Warschau begleitet, um ihm als Dolmetscher zu dienen. Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn man Sie für einen deutschen Spion halt.“

„Das ist doch aber Unsinn.“

„Für die russische Regierung genügen diese Tatsachen, Sie verdächtig zu machen. Außerdem haben Sie den Sumbrowski hinausgeworfen, der im Auftrage der Regierung Ihren Vater und Ihren Schwager beaufsichtigte.“

„Mein Vater ist doch schon seit seiner Jugend ausgesprochener Russenfreund, und mein Schwager agitiert mit ausdrücklicher Billigung der Regierung.“

Die Musik, eine Zigeunerkapelle, die bis dahin geschwiegen hatte, setzte von neuem ein. Ein junger Mann rief laut in den Saal: „Damenwahl.“

„Jetzt müssen Sie tanzen“, lachte Krasicki, „meine Schwester Lenore kommt Sie holen.“

Fedor war die junge Dame, die sich jetzt mit übermütig lachenden Augen vor ihm verneigte, schon aufgefallen. Sie hatte ihn sofort an Fritze erinnert. Die schlanke und doch volle Gestalt, die brennenden Augen, das üppige, schwarze Haar. Eine heiße Blutwelle stieg ihm zum Gesicht empor. Er verbeugte sich verwirrt. „Ich kann leider nicht tanzen, gnädiges Fräulein.“

Lenore Krasicka lächelte ihn mit strahlenden Augen an. „Ich lasse mir keinen Korb vom Sohn des Hauses geben.“ Sie hob den linken Arm und schmiegte sich an ihn. Ob er wollte oder nicht, er mußte jetzt den Arm um sie legen und ihre Hand fassen. Und da fühlte er, wie ihm die Musik in die Beine fuhr. Ehe er sich’s versah, wirbelte er mit seiner Tänzerin im Gewühl der Paare dahin. Der weiche Mädchenkörper, der sich in seinen Arm und an seine Brust schmiegte, der zarte Duft, der aus ihren Haaren zu ihm emporstieg, berauschte ihn. Ohne es zu wissen, zog er sie fester an sich.

„Sie haben noch nie getanzt?“ flüsterte sie, zu ihm aufblickend.

„Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie die erste Dame sind, die ich beim Tanzen in meinen Armen halte.“

„Also angeborenes Talent“, lachte sie.

Wohl sechsmal hatten sie den ziemlich großen Saal durchmessen, bis Lenore Krasicka dankte. Er führte sie zu ihrem Platz und verbeugte sich vor ihr. Da stand auch seine Schwester Victorine, die eben ihren Tänzer verabschiedet hatte. „Ach, mein Bruder Zbigniew hat seine Enthaltsamkeit aufgegeben. Haben Sie das Wunder zustande gebracht, Lenore?“

„Es lag wohl nur an dem Mangel an Selbstbewußtsein.“

„Nun, dann will ich es weiter stärken“, lachte die Gräfin und forderte Fedor auf.

Noch dreimal wurde er von jungen Damen zum Tanz geholt. Als er erschöpft sich am Eingang des Saales auf einen Stuhl niederließ, trat Krasicki zu ihm. „Sie haben heute mehrere Herzen geknickt, Kaininsky“, flüsterte er ihm zu. „Nun sind Sie uns verfallen. Beim nächsten Tanz müssen Sie die jungen Damen auffordern, die mit Ihnen getanzt haben.“

„Das wird mir nicht sehr schwer fallen“, erwiderte Fedor lachend. Er war den ganzen Abend von nun an wie ausgetauscht, und die Gräfin hörte mehr als einmal, daß er den jungen Damen sehr gefiel. Er war auch der Mann dazu. Die schlanke, kraftvolle Gestalt und das ausdrucksvolle Gesicht mit den schwermütigen Augen, die jetzt in Jugendlust glänzten.

Das Fest dauerte ziemlich lange, die Russen waren schon abgefahren, nur der Kollegienassessor Tolpiga, ein hagerer Mann mit bartlosem Gesicht, war noch geblieben. Er tanzte nicht, aber er war überall zu finden. Die polnischen Edelleute, die durch die Bank reichlich getrunken hatten, gaben sich den Anschein, ihn nicht zu bemerken. Er schien das aber nicht im geringsten zu empfinden. Fedor, der ihn peinlich beobachtete, hatte jedoch die Empfindung, daß der Mann sich als Aufpasser fühlte.

Als die Nachbarn endlich aufbrachen, war es drei Uhr geworden. Fedor verspürte noch keine Lust, schlafen zu gehen. Eine Unruhe steckte ihm im Blut, über die er sich keine Rechenschaft geben wollte. „Du hast heute nacht was Schönes angerichtet“, sagte die Gräfin zu ihm, als sie ihm gute Nacht wünschte.

„Was denn, verehrte Frau Schwester?“

„Du hast die schöne Lenore in Flammen gesetzt.“

„Ach, geh doch.“

„Nein, nein, ich weiß, was ich sage. Du hast dich auch ein bißchen sehr viel mit ihr beschäftigt. Sie scheint dir also zu gefallen?“

„Ein schönes, geistvolles Mädchen.“

„Ja, das ist sie, und eine gute Partie.“

„Sind die Eltern tot?“

„Nur die Mutter. Der Vater ist seit fünfzehn Jahren verschickt. Aber man hofft, jetzt seine Begnadigung durchzusetzen. Mein Mann will sich für ihn bemühen. Der junge Krasicki ist ein sehr tüchtiger Landwirt. Von der Mutter soll ein großes Vermögen vorhanden sein.“

Am anderen Morgen war Fedor kaum aufgestanden, als Pisanski und Krasicki erschienen. Sie wollten die Papiere, die Sumbrowski zurückgelassen hatte, nicht nur einsehen, sondern an sich nehmen. Fedor führte sie nach dem Turmzimmer und öffnete den Schrank. Er war leer.

„Das ist eine sehr unangenehme Überraschung.“ meinte Pisanski. „Die Papiere sind ohne Zweifel durch einen Vertrauten Sumbrowskis gestohlen und befinden sich jedenfalls schon in den Händen der Russen.“

„Oder Sumbrowski will sie zur Erpressung benutzen“, warf Krasicki ein.

„Das glaube ich nicht“, erwiderte Fedor. „Ich habe mindestens eine Stunde darin geblättert, es waren zum größten Teil Briefe, aber ohne einen wirklichen Namen. Die Namen waren alle dem Tierreich oder dem Alten Testament entnommen, selbst die Ortsnamen stammten aus Palästina.“

„Und wenn Sumbrowski den Schlüssel dazu, den er ohne Zweifel mit sich genommen hat, den Russen ausliefert, dann sind wir alle geliefert“, meinte Pisanski. „Hat noch jemand außer Ihnen die Papiere gesehen? Etwa Ihr Schwager?“

„Allerdings. In meiner ersten Aufregung habe ich meinen Schwager davon benachrichtigt, und er hat die Papiere eingesehen. Ich werde ihn gleich fragen.“

„Jetzt nicht, lieber Kaminsky. Er darf nicht ahnen, daß wir beide ein Interesse an dem Verbleib der Papiere haben. Sie bringen uns aber bald Bescheid.“

Beim Frühstück fand Fedor Gelegenheit, ganz beiläufig seinen Schwager nach dem Verbleib der Papiere zu fragen.

„Die habe ich an mich genommen, damit sie nicht in falsche Hände geraten“, erwiderte der Graf.

„Würde es nicht besser sein, sie zu vernichten?“

„O nein, ich habe sie genau durchstudiert und sehr interessante Fingerzeige darin gefunden. Sie würden noch viel interessanter sein, wenn man den Schlüssel zu den Decknamen hätte. Vielleicht gelingt es mir, ihn zu beschaffen.“

Sie waren eben vom Frühstück aufgestanden, als der Landrat gemeldet wurde.

„Ich komme, mich nach dem Befinden der gnädigsten Frau Gräfin zu erkundigen.“

„Darf ich Ihnen ein Gedeck auflegen lassen?“ fragte Fedor.

„Danke vielmals, ich kann mich nicht aufhalten. Ich bin nur für einen Augenblick gekommen. Aber einen Okovit nehme ich mit Dank an. Bei der Gelegenheit möchte ich eine Frage tun. Ich bin vom Gouvernement beauftragt worden, Papiere an mich zu nehmen, die Herr Sumbrowski hier zurückgelassen hat.“

„Sie kommen leider zu spät“, erwiderte Fedor rasch. „Der Sumbrowski hat die Papiere ohne unser Wissen heimlich fortschaffen lassen. Ich wollte heute eins von den alten Wirtschaftsbüchern an mich nehmen, die im Schranke liegen, um daraus etwas festzustellen. Da fand ich den Schrank ausgeräumt.“

Der Naczelnik schüttelte den Kopf. „Das ist eine sehr böse Geschichte, meine Herren. Sie hatten die Papiere in Ihre Obhut genommen.“

„Nein, die hatte Sumbrowski hier zurückgelassen.“

„Geben Sie sich keine Mühe, Herr Kaminsky. Sumbrowski hat die nächtliche Szene mit Ihnen bei der Regierung genau geschildert. Die Papiere sind von höchster Wichtigkeit.“

Fedor zuckte die Achseln. Er hatte blitzschnell überlegt. Er brauchte ja nur zu sagen, daß sein Schwager die Papiere an sich genommen hatte. Aber das widerstrebte ihm. Ohne Zweifel wollte Sumbrowski Verrat begehen und die Männer, die ihm vertraut hatten, der russischen Regierung ans Messer liefern. Daß der Graf nicht gesonnen war, die Papiere auszuliefern, schloß er daraus, daß er bis jetzt geschwiegen hatte.

„Ich kann das nicht beurteilen, Sergei Feodorowitsch“, erwiderte er ruhig. „Meine Auseinandersetzung mit Sumbrowski bezog sich nur auf seine Wirtschaftsführung. Es war mir allerdings auch unangenehm, daß Sumbrowski in dem Hause meines Vaters, der ein überzeugter Anhänger der russischen Regierung ist, politische Umtriebe angezettelt hat.“

„Die Papiere müssen beschafft werden, sonst gerate ich in Teufels Küche und Sie mit mir.“

„Da werden Sie sich wohl am besten an Sumbrowski wenden.“

„Das ist ein Irrtum. Er hat sich doch selbst an das Gouvernement mit der Bitte gewandt, ihm die Papiere wieder zu beschaffen.“

„Das kann auch nur ein Vorwand gewesen sein, uns Angelegenheiten zu bereiten, nachdem er sich schon selbst in den Besitz der Papiere gesetzt hat.“

„Ich möchte mich anheischig machen, die Sache aus der Welt zu schaffen“, warf der Graf ein. „Ich fahre in diesen Tagen nach Petersburg und werde an der richtigen Stelle die Sache zur Sprache bringen. Ich würde es für einen großen Fehler halten, wenn die russische Regierung jetzt scharf vorgehen wollte. Dadurch würde der ganze Zweck meiner Tätigkeit hier in Frage gestellt. Ich werde auch sofort nach Paris berichten und den französischen Botschafter in Petersburg bitten, daß er in meinem Sinne auf die Regierung einwirkt. Es wäre sehr unklug, jetzt Erbitterung unter den polnischen Edelleuten hervorzurufen.“

Der Landrat erhob sich. „Dann möchte ich bitten, schnell zu handeln, Herr Graf, denn die russische Regierung scheint gewillt zu sein, in diesem Fall sehr energisch durchzugreifen.“

Graf Villiers verbeugte sich. „Ich werde noch heute nach Petersburg abfahren.“

„Diese Kröte, den Sumbrowski, muß ich unschädlich machen“, meinte der Graf, als der Landrat abgefahren war. Er hat, wie ich annehmen muß, im Auftrag der Regierung gegen mich gearbeitet. Ein ekelhaftes Gesindel, diese russischen Beamten. Der Naczelnik möchte mir am liebsten das Genick umdrehen, weil ich ihn nicht schmiere. Aber diesmal werde ich es ihm besorgen. Einen schönen Posten möglichst weit nach Osten, tausend Werst hinter dem Aral.“

Am Nachmittag fuhr Fedor nach Bialagora zu Pisanski. Er wollte nur die Nachricht bringen, daß die Papiere bei seinem Schwager in Sicherheit waren, und gleich umkehren. Er hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. „Ich habe, weil ich Sie mit der Nachricht erwartete, die Nachbarn zu einer Beratung eingeladen. Das junge Volk wird tanzen.“

Fedor lachte. „Was hat das Tanzen nun wieder mit der Beratung zu tun?“

„Oh, sehr viel. Es könnte sein, daß uns der Landrat oder der Tolpiga ganz unvermutet besuchen, dann finden sie eine fröhliche Festgesellschaft. Die älteren Herren sitzen an ihren Kartentischen.“

„Werden Sie denn so scharf überwacht?“

„Ständig. Ich bin überzeugt, daß, sobald die ersten Gäste eintreffen, eine Nachricht nach der Kreisstadt abgeht.“

Von der Beratung der älteren Herren erfuhr Fedor nichts. Er hatte auch kein Verlangen, in die Geheimnisse der Landsleute, die sich durch Sumbrowski bedroht fühlten, einzudringen, und Lenore Krasicka hatte ihn für den ganzen Abend mit Beschlag belegt. Wie ein Rausch war es wieder über ihn gekommen, als sie ihm mit strahlendem Lächeln die Hand reichte. Er beugte sich herab und küßte sie.

„Heute müssen Sie Mazur und Krakowiak lernen.“

Das Orchester bestand nur aus Geige, Klarinette und Baß, und die Kerle verfügten nur über ein halbes Dutzend Tänze, aber sie genügten für die tanzlustige Jugend.

Jeden zweiten Tanz tanzte Fedor mit Lenore Krasicka, in den Pausen und beim Abendessen saß er neben ihr. Er konnte es bei der Tafel, die ziemlich lange dauerte, gar nicht erwarten, bis er sie wieder im Arm hatte und an seiner Brust fühlte.

Das Gespräch unter den Männern drehte sich nur um Landwirtschaft. Fedor hörte nur mit halbem Ohr zu, denn Lenore erzählte von den Vergnügungen, die sie im vergangenen Winter in Warschau mitgemacht hatte. Erst als von den Zuckerfabriken gesprochen wurde, die der Graf Villiers mit französisch-belgischem Kapital gründen wollte, riß er sich zusammen und hörte aufmerksam zu. Es wurden starke Zweifel laut, ob das Projekt schon im nächsten Frühjahr ins Leben treten werde, denn dann müßten jetzt schon die Vorbereitungen zum Bau getroffen werden. Er wurde gefragt, ob er vielleicht schon Näheres wisse, konnte aber keine Auskunft geben.

Lenore schmollte ein wenig. „Jetzt find auch schon die jungen Herren so garstig wie die alten, die bloß von Politik und Landwirtschaft sprechen.“

„Ich bitte tausendmal um Verzeihung“, erwiderte Fedor, sie mit einem heißen Blick umschmeichelnd. „Es wäre unpassend gewesen, wenn ich bei diesem Gesprächsstoff nicht zugehört hätte. Ich wußte, daß man mich fragen würde. Und ich bin doch bloß halb so garstig wie die anderen, ich spreche wenigstens nicht von Politik.“

„Haben Sie kein Interesse an dem Geschick unseres Volkes?“

„Die Frage wäre beleidigend für mich, wenn ich nicht wüßte, daß es nur eine Neckerei sein soll.“

„Sie irren sich. Der patriotische Eifer, den Sie beim Tanzen entwickeln, ist zwar sehr löblich, aber er genügt mir nicht.“

„Ich genieße noch nicht das Vertrauen meiner Landsleute“, erwiderte Fedor etwas kurz.

Doch Lenore Krasicka ließ sich nicht abweisen. „Ich glaube, die Schuld liegt auf Ihrer Seite. Sie haben Pisanski abfallen lassen.“

„Das ist nicht der Fall. Ich bin nur vorsichtig gewesen. Ich halte es für unnötig und gefährlich, jetzt schon Pläne zu schmieden, die unser Volk seiner besten Köpfe berauben könnte.“

„Ah, die Gefahr liegt nicht vor.“

Fedor zuckte die Achseln. Er wußte nicht, ob er ihr erzählen durfte, was in den letzten Tagen vorgefallen war und schwieg. Die Aufhebung der Tafel riß ihn aus der Verlegenheit. „Darf ich Ihnen mein patriotisches Gefühl durch einen Mazur beweisen?“

Lenore lachte. „In dieser Art von Patriotismus leisten Sie bereits Vorzügliches.“

„Ich werde mich bemühen, auch mit Kopf und Herz meine Liebe zum Vaterlande zu beweisen.“

Lenore streckte ihm mit einer raschen Bewegung die Hand hin, die er küßte. „Ich werde Sie beim Wort nehmen. Darf ich Sie übermorgen bei uns erwarten?“

Fedor verbeugte sich zustimmend. Alle Ermahnungen waren wie Spreu vor dem Winde verflogen. Aus dem Heimweg schloß er die Augen, um sich Lenores Bild zu vergegenwärtigen; er sah aber nicht Lenore, sondern Fritze. Da wußte er, wie es um ihn stand.

17. Kapitel

Fedor hatte auf dem Heimwege reichlich Zeit, nachzudenken. Der Weg war so holprig, daß die Pferde nur im Schritt gehen konnten. Trotzdem hopste und stuckerte der Wagen, denn der Weg war bei Eintritt des Frostes nicht geeggt und gewalzt worden. Bald stieg ein Vorderrad über eine kopfgroße Scholle herüber, bald sank eines der Hinterräder in ein tiefes Loch. Der Kutscher hätte, selbst wenn er nicht geschlafen hätte, die Anstöße und Hindernisse nicht vermeiden können, denn die Nacht war so finster, daß man die Pferde vor dem Wagen nicht sah. Es stand kein Mond am Himmel, und das Licht der Sterne wurde durch schwere dunkle Wolken völlig verhüllt. Dabei war die Nacht so still und hellhörig, daß man ein Hundeblaffen aus weiter Ferne hörte.

Das Rütteln und Schütteln des Wagens kam Fedor kaum zum Bewußtsein. Er saß, in seinen Fahrpelz mit hochgeschlagenem Kragen gehüllt, tief in den Polstern und träumte. Die Gestalten der Masurin, die ihn zum erstenmal geküßt und sein Blut zum Sieden gebracht, und der Polin, die jetzt den Feuerbrand in seine Empfindung geworfen, verschmolzen miteinander. Wenn er Lenore doch so in seinen Armen halten und küssen könnte wie damals die Fritze.

Ein zweites Ich in ihm flüsterte ihm zu: „Du brauchst sie nur in den Arm zu nehmen und ihr zu sagen, daß du sie liebst.“

„Ach, Unsinn“, sagte er ganz laut. „Sie spielt mit mir, wie die andere, und ich spiel’ mit dem Feuer, bis ich mir die Flügel verbrenne und hängen bleibe. Nein, das geht nicht so weiter. Du mußt vernünftig werden, alter Junge. Du willst doch nicht zum Schuft werden an dem prächtigen, reinen Mädel, das dir Jahre hindurch unter tausend Zerstreuungen und Vergnügungen die Treue bewahrt hat.“

Ob Annemarie jemals etwas Ähnliches durchgemacht hat? dachte er weiter. Sie hat soviel junge Männer kennengelernt und mit ihnen verkehrt. Hat sie damals für einen oder den anderen ein wärmeres Gefühl verspürt? Jedenfalls hatte sie ihm die Treue bewahrt.

Der Kutscher war erwacht. Er hielt die Pferde, die heftig schnoben und vor dem Wagen tanzten, fest im Zügel. Jetzt wandte er sich zu Fedor um: „Junger Herr, schießen Sie.“

„Was ist denn los?“

„Zwei oder drei Wölfe sind um den Wagen.“

Mit einem Ruck warf Fedor den Pelz ab und lud die Doppelflinte, die er, wie es hier allgemein üblich war, bei jeder Fahrt bei sich führte.

„Wohin soll ich schießen? Ich sehe nichts.“

„Ganz egal, bloß schießen, nach rechts und links.“

Die beiden Schüsse krachten. Die Pferde standen still. Der Kutscher beugte sich nach rechts und links und steckte die Lichter in den Wagenlaternen an. Der Zwischenfall hatte Fedor seinen Träumen entrissen. Er stand mit dem geladenen Gewehr in der Hand hinter dem Kutscher und spähte in die Dunkelheit hinaus, um vielleicht einen Schuß anbringen zu können.

„Habt ihr immer im Winter hier soviel Wölfe?“

„Nein, gnädiger Herr“, erwiderte der Kutscher, „schon seit ein paar Jahren haben wir hier kaum einen Wolf gesehen, und auch erst nach Neujahr, wenn sie im tiefen Schnee nichts erjagen können, kommen sie aus den Wäldern an die Dörfer ‘ran.“

„Hast du dich auch nicht getäuscht?“

„Ach nein, gnädiger Herr, ich weiß, wie die Pferde schnarchen und zittern, wenn ein Wolf in der Nähe ist.“

Ohne weitere Gefährdung erreichte der Wagen den Gutshof. Fedor legte in der Halle ab und ging auf sein Zimmer. Als er Licht gemacht hatte, fiel sein Blick auf einen Brief, der auf seinem Schreibtisch lag. Er erkannte schon an der Form, daß er von Annemarie war. Hastig erbrach er ihn und las. Annemarie schrieb ihm, daß in ihrem Elternhause jetzt reger Verkehr herrsche. Die Mutter möchte sie so schnell wie irgend möglich verheiraten. Augenblicklich sei ein junger Großkaufmann aus Hamburg bei ihnen zu Gast, der sich sehr um sie bemühte. Das mache ihr einen riesigen Spaß, aber andererseits sei es ihr doch peinlich, daß der junge Mann sich mit Hoffnungen trage, die sie nicht erfüllen könnte. Sie habe schon den Vater gebeten, der Mutter sagen zu dürfen, daß ihr Herz und ihre Hand nicht mehr frei seien. Er habe jedoch abgeraten.

„Es ist traurig, daß Vater und Mutter sich so fremd gegenüberstehen“, schrieb Annemarie weiter. „Ich empfinde das jetzt erst in voller Schärfe, seitdem ich das glückliche Familienleben bei Professor Wagner kennengelernt habe. Ich sehe auch täglich, daß der Vater einen Konflikt mit der Mutter nur durch seine Nachgiebigkeit vermeidet. Er läßt ihr in allem den Willen, und ich fürchte, daß ich noch schwere Kämpfe mit der Mutter zu bestehen haben werde.“

Mit einem Gefühl von Scham ließ Fedor den Brief sinken und deckte die Hand über die Augen. Das liebe, prächtige Mädel, das ihm sein Herz zu eigen gegeben hatte, verteidigte so tapfer seine Liebe, und er flatterte hier mit heißem Begehren um eine andere, die seine Sinne entzündet hatte. Ein tiefes, reines Sehnen nach Annemarie erfaßte ihn. Wenn er ihr jetzt in die goldklaren Augen blicken dürfte, dann würde diese wahnwitzige Leidenschaft verfliegen wie damals die Leidenschaft für Fritze, als er das reine Kind kennengelernt. Er nahm die Geige, die er in Kornatowo noch nicht berührt, aus dem Kasten und spielte. Die Unruhe, die in seinem Blut tobte, strömte in wilden Melodien aus. In Arpeggien raste der Bogen über die Saiten. Dann trat eine schlichte Weise hervor, die er kunstvoll ausspann. Dann legte er die Geige weg und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Er wollte seiner Annemarie einen langen Brief schreiben, ihr alles gestehen. Drei, vier Seiten hatte er mit fliegender Feder vollgeschrieben. Er überlas sie und zerriß sie wieder. Weshalb sollte er ihr das Herz beschweren und sie in Unruhe versetzen? Nein, aus eigener Kraft mußte er diese törichte Leidenschaft überwinden. Ob Lenore ihn wirklich liebte? Oder spielte sie nur mit ihm? Oder war sie nur der Lockvogel, der ihn für die Politik ihres Bruders und seiner Freunde einfangen sollte?

Er nahm Annemaries Brustbild, das er auf dem Schreibtisch stehen hatte, und stellte es auf seinen Nachttisch. Eine Wirkung ging von dem Bild aus, die ihn mit reinen, festen Gedanken erfüllte.

Am dritten Tage früh erhielt er eine Botschaft von Krasicki, der ihn einlud, gegen Abend nach Smilowo zu kommen. Er habe ihm eine wichtige Mitteilung zu machen. Fedor überlegte lange, ob er der Einladung folgen sollte. Gegen die Erregung seiner Sinne, die von Lenore ausgehen würde, glaubte er gefeit zu sein. Die Mitteilung, die ihm in Aussicht gestellt war, konnte sich doch nur auf die verschwundenen Papiere beziehen. Was konnte man ihm in der Sache Wichtiges mitteilen? Sein Schwager würde in Petersburg die Sache schon in Ordnung bringen. Aber als der Nachmittag kam, überfiel ihn eine Unruhe. Es hatte zwei Tage stark geschneit, in großen, dichten Flocken. Wenn er sich einen unbeschlagenen Schlitten anspannen ließ, konnte er in einer halben Stunde in Smilowo sein. Er befahl anzuspannen.

Stanislaus Krasicki empfing ihn mit der Mitteilung, daß Pisanski und Graf Walewski nach Warschau gefahren seien, um Sumbrowski unschädlich zu machen. Sie würden heute abend zurückkehren und sich sofort in Smilowo einfinden.

Im Wohnzimmer fand Fedor bei Lenore einen Gast, der ihm als Graf Starzinski vorgestellt wurde. Ein großer Mann, der nicht nur über die erste Jugend hinaus zu sein schien, sondern auch seine Jugend recht stürmisch verlebt haben mochte, denn die Stirn war bereits über den ganzen Schädel gewandert, und das bartlose Gesicht sah welk und alt aus.

Es fiel Fedor sofort auf, daß Lenore ihn ziemlich kalt begrüßte. „Der Herr Graf“, sagte sie bei der Vorstellung, „hat den weiten Weg von Krakau nicht gescheut, um alte Beziehungen, die zwischen unseren Eltern bestanden haben, aufzufrischen.“

„Sagen Sie: von Wien, mein gnädiges Fräulein. Ich bin von Wien gekommen, dann werden Sie die Größe meines Opfers erst richtig ermessen.“

Wenn der Graf ein Opfer mit der Reise gebracht hat, dann kommt er nicht, um sich um Lenore zu bewerben, sondern als politischer Sendling, dachte Fedor. Aber was nicht ist, kann noch werden. Und der Gedanke gab ihm einen kühlen Kopf. Wohl fühlte er das Blut heiß durch seine Adern strömen, aber der Verstand behielt die Oberhand. Daß Lenore ihn liebte, war nach ihrem Verhalten völlig ausgeschlossen. Sie reichte dem Grafen öfter aus nichtiger Veranlassung die Hand, die er jedesmal feurig küßte. Sie spendete ihm ebensooft einen ihrer zündenden Blicke.

Wenn du glaubst, daß du zwei Eisen im Feuer hast, dachte Fedor, dann irrst du dich. Das eine ist kalt geworden und das andere scheint auch nicht recht heiß zu werden. Der Graf beherrschte die Unterhaltung. Er erzählte von dem Wiener Gesellschaftsleben, wo sich der galizische Hochadel im Winter zusammenzufinden pflegt, um rauschende Feste zu feiern und Politik zu machen. Im Januar werde, wie alljährlich, das polnische Adelsfest gefeiert. Das sei wie eine Heerschau über alle Patrioten. Aus Kongreßpolen, ja selbst aus Preußen pflegten sich die Gesinnungsgenossen dazu einzufinden. Die herangewachsenen Söhne und Töchter würden dabei in die Gesellschaft der Stammesgenossen eingeführt.

„Wann wird Ihr Vater Sie als den ältesten Sohn des Hauses vorstellen?“ wandte sich Lenore an Fedor.

Er sah sie überrascht an. „Halten Sie das für nötig?“

„Es ist immerhin ein freudiges Ereignis, wenn der verlorene Sohn ins Elternhaus zurückkehrt“, erwiderte Lenore. „Man hat die Vorstellung bereits bei Gelegenheit der Jagd erwartet, und man ist befremdet, daß das nicht geschehen ist.“

„Sie wissen doch, gnädiges Fräulein, daß mein Vater krank ist und nicht in der Gesellschaft erscheinen kann.“

„Nun, dann hätte Ihre Schwester Sie der Gesellschaft vorstellen können. Sie müssen doch selbst sagen, Herr Kaminsky, daß Ihre romantische Jugend und die ebenso romantische Wiedervereinigung mit Ihrer Familie sehr viel besprochen worden ist. Man fragt sich, ob Sie als gleichberechtigter Sohn des Hauses anerkannt worden sind.“

In Fedor regte sich der Ärger. Er fragte sich, welchen Zweck Lenore damit verfolge, daß sie ihm seine dunkle Jugend in Gegenwart des Gastes vor Augen rückte. Bestanden wirklich Zweifel an seiner Zugehörigkeit zu der Familie Kaminsky? Blitzschnell schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß Sumbrowski ihn höhnisch mit Fedor Poranski angeredet hatte. Hatte etwa sein Vater an seiner Abstammung Zweifel gelassen?

„Glauben Sie etwa, gnädiges Fräulein, daß man einen Abenteurer von dunkler Herkunft in Kornatowo aufnehmen wird?“ fragte er mit deutlicher Schärfe im Ton.

„Bitte tausendmal um Verzeihung, Herr Kaminfly“, rief Lenore lachend aus. „Ich habe Sie nicht kränken wollen.“

Mit einem strahlenden Lächeln reichte sie ihm die Hand. Fedor verbeugte sich tief, aber er küßte ihre Hand nicht.

Erst nach dem Abendessen kamen Pisanski und Graf Walewski. Lenore verabschiedete sich, während die Herren sich zusammensetzten.

„Wir haben Sumbrowski gefunden“, berichtete Pisanski. „Eine ausgepreßte Zitrone, die man weggeworfen hat. Wir fanden ihn schwer betrunken in einer kleinen Kneipe am Bollwerk. Wir nahmen ihn mit uns in meine Stadtwohnung. Er weiß nicht, wo die Papiere geblieben sind.“

Fedor war in großer Versuchung, den Herren zu sagen, daß die Papiere sich im Gewahrsam seines Schwagers befänden, aber er hielt an sich. Dazu war später noch Zeit.

„Den Schlüssel zu den Namen hatte er nach seiner Angabe bei den Papieren gelassen. Ich möchte Sie deshalb bitten, Kaminsky, noch einmal Nachforschungen anzustellen. Oder befinden sich etwa die Papiere noch in Ihrem Gewahrsam?“

Wenn es ein Überfall sein sollte, um Fedor zu überrumpeln, dann war er völlig mißlungen. Er erwiderte ruhig: „Möchten Sie mir nicht erst sagen, was Sie mir für Zwecke durch diese Frage unterschieben?“

„Das ist nicht recht, Pisanski“, fiel Krasicki ein. „Kaminsky hätte uns sicher die Papiere sofort ausgeliefert, wenn er gewußt hätte, daß sie für uns Interesse haben.“

„Ich danke Ihnen, Krasicki“, fuhr Fedor fort. „Mein Fehler war, daß ich die Bedeutung der Papiere nicht erkannte, sonst hätte ich sie ebenso wie die Mitgliederliste der Sokolvereine sofort vernichtet.“

„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte Pisanski. „Wir können wohl ziemlich beruhigt sein. Aber eine gewisse Unruhe bereitet mir doch der Gedanke, daß die Papiere verschwunden sind. Der Sumbrowski ist unschädlich, er würde nicht Schnaps trinken, wenn er Geld zum Champagner hätte. Er hat also der Regierung nichts mehr zu verkaufen. Wir haben ihm hundert Rubel gegeben, die er möglichst schnell in Schnaps anlegen wird, mehr dürfte nicht erforderlich sein.“

„Ja, meine Herren“, begann Graf Starzinski, „ich höre mit Erstaunen, daß Sie Ihr Vertrauen einem Menschen geschenkt haben, der Ihnen schon als Vertrauensmann der russischen Regierung verdächtig sein mußte.“

„Wir haben davon gewußt“, erwiderte Graf Walewski. „Diese Beziehungen zur russischen Regierung waren sozusagen das Sicherheitsventil für uns, er wurde am wenigsten beargwöhnt.“

„Seine Person scheint aber nicht intakt gewesen zu sein, und darin liegt der Fehler, den Sie begangen haben. Wie wollen Sie jetzt die Verbindung zwischen den Mitgliedern wiederherstellen. Ich kann doch hier rückhaltlos sprechen?“

Fedor erhob sich. „Nein, Herr Graf, ich bin nur durch das Verschwinden der Papiere in Ihre Angelegenheit verwickelt worden. Darf ich mich jetzt verabschieden?“

Krasicki ergriff seine Hand. „Kaminsky... Zbigniew... wollen Sie uns nicht anschließen? Sie wissen, daß wir von reiner Vaterlandsliebe beseelt sind.“

„Darüber kann doch kein Zweifel bestehen, lieber Krasicki. Ich liebe mein Vaterland ebenso heiß wie Sie, aber ich stimme mit Ihnen nicht über die Mittel überein, die zu dem von uns beiden ersehnten Ziel führen sollen.“

„Der Herr ist wohl ein Neutraler“, fragte der Graf halblaut seinen Nachbar Pisanski.

„Nein, Herr Graf“, erwiderte Fedor scharf. „Aber ich halte es für eine gefährliche Spielerei, Geheimverbindungen zu schaffen und Verschwörungen anzuzetteln, für die ich keinen Zweck sehe. Der weiße Adler wird nie mehr zur Sonne emporfliegen, wenn wir nicht alle anders werden. Ja, Herr Graf, wir an erster Stelle. Und dann müssen wir in mühevoller Arbeit erst das Volk zu erziehen suchen. Wir müssen sein Vertrauen zu gewinnen suchen, das unsere Vater im letzten Aufstand verscherzt und vergeudet haben. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen, meine Herren.“

Krasicki begleitete ihn bis in den Flur. „Ich stimme mit Ihnen sehr überein, lieber Kaminsky, aber Sie müssen mir doch zugeben, daß etwas getan werden muß, schon allein zu dem Zweck, die patriotischen Gedanken aufrechtzuerhalten. Die Zahl der Klugen, die mit Rußland Frieden geschlossen haben, ist schon sehr groß und noch größer die Zahl derjenigen, die neutral bleiben wollen, um sich im gegebenen Augenblick auf die eine oder die andere Seite zu stellen.“

„Lieber Krasicki, ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir schenken. Ich will deshalb offen zu Ihnen sein. Ich bin, seitdem ich hier in Polen lebe, völliger Pessimist geworden. Ich glaube nicht daran, daß unser Volk imstande ist, seine Selbständigkeit zu ertragen, wenn sie uns von der einen oder anderen Seite geschenkt werden sollte. Vielleicht täusche ich mich.“

„Das hoffe ich auch, und ich gebe Ihnen den Rat, dies Urteil nicht zu anderen auszusprechen. Sie würden sich dadurch hier unmöglich machen, denn das ist der einzige Punkt, worin wir Polen alle einig sind, daß wir reiten werden, wenn wir erst im Sattel sitzen.“

Fedor lächelte traurig. „Es kommt auch darauf an, wie man reitet. Ein schlechter Reiter kann das beste Pferd verderben, dann wird er abgeworfen. Beantworten Sie mir nur eine Frage: woher wollen Sie die hunderttausend ehrlichen Beamten nehmen, um die Stellen zu besetzen, in denen jetzt die Russen sitzen? Ich meine bloß die mittleren Stellen, für die in Deutschland zu jeder Stelle hundert gleichtüchtige Bewerber vorhanden sind.“

„Ach, lieber Kaminsky, Sie scheinen wirklich Ihr Vaterland nicht zu kennen. In den Städten ist genug Intelligenz vorhanden.“

„Ja, für Handel und Wandel, aber nicht für die schlecht bezahlten Beamtenstellen. Oder wollen Sie auf die jüdische Intelligenz zurückgreifen?“

Mit einer Bewegung beider Hände wehrte Krasicki ab.

18. Kapitel

Tagelang schlug Fedor sich mit den Gedanken herum, die Lenore Krasicka in ihm wachgerufen hatte. Zuerst hatte er darüber gelächelt. Jeder Mensch, der nach Kornatowo kam, erfuhr doch, daß er als Sohn des Hauses die ganzen Verhältnisse leitete. Weshalb sollte denn nun eine formelle Anerkennung nötig sein?

Und für einen gerichtlichen Streit mußte das Zeugnis von Peters genügen, der dabei gewesen war, als sein Vater ihn in Warschau als den wiedergefundenen ältesten Sohn begrüßte. Aber die Gedanken ließen ihm keine Ruhe, bis er sich entschloß, den Vater zu bitten, ihn bei der nächsten Gelegenheit seinem Bekanntenkreis förmlich vorzustellen.

Der Zustand des alten Herrn hatte sich wesentlich gebessert. Er konnte zwar nicht gehen, aber die Sprache hatte sich völlig wiedergefunden, und auch die rechte Hand konnte er in beschränktem Maße gebrauchen. Er hatte schon ab und zu mit dem Grafen und der Gräfin ein Stündchen Preference gespielt.

„Ich habe dir eine sehr erfreuliche Mitteilung zu machen“, begann der Vater schon bei der Begrüßung. „Thaddi hat sich mit der Gräfin Alexandrine Adlersberg, der Tochter des Hausministers, verlobt. Du mußt sofort Vorbereitungen treffen, um die Gäste zu bewirten, die zur Gratulation kommen werden. Ich lasse mich anziehen und in den Saal fahren.“

„Das freut mich. Nimm meinen Glückwunsch, Vater.“

„Danke. Ja, es ist eine sehr erfreuliche Verbindung. Thaddi hat ausgesorgt. Er wird jetzt schnell Karriere machen. Er muß allerdings vor der Hochzeit noch rangiert werden. Wieviel dazu erforderlich ist, weiß ich nicht, es muß aber beschafft werden.“

„Wenn es die Kräfte von Kornatowo nicht übersteigt.“

„Du sprichst wie ein geiziger Deutscher. Das muß sein.“

„Ja, Vater, das muß ich dir überlassen, wie du das einrichten wirst. Unsere Einnahmen betragen jetzt im Monat etwas über dreitausend Rubel. Davon muß ich Gehälter und Löhne bezahlen und die Wirtschaft bestreiten.“

„Du hast aber doch Kühe angeschafft und Getreide zurückgekauft.“

„Ja, Vater, das mußte ich tun, weil wir sonst nicht durch den Winter gekommen wären.“

Der alte Herr schüttelte mißbilligend den Kopf. „Das begreife ich nicht. Solange der Sumbrowski gewirtschaftet hat, war immer Geld da.“

„Ja, Vater, weil er das Getreide auf dem Halm verkauft hat.“

„Er hat doch aber immer Geld geschafft.“

„Wenn es erforderlich ist, werde ich auch Geld beschaffen. Wir können einen Teil des Parkes opfern, die Bäume werden überständig, und den anderen Teil müssen wir durchforsten. Wenn es dir recht ist, schreibe ich noch heute an die Holzfirma in Berlin.“

„Das möchte ich nicht, die Eichen sind so alt wie unser Geschlecht. Aber du mußt doch noch das Geld haben, das du als Abfindung bekamst.“

„Das habe ich zum größten Teil schon verbraucht.“

„Ah, du hast in Berlin gut gelebt.“

„Nein, Vater, ich habe mich sehr eingeschränkt und nur die Zinsen verbraucht. Das Geld habe ich hier in der Wirtschaft ausgegeben. Ich habe damit das Getreide zurückgekauft.“

Die Antwort kam dem alten Herrn ganz unerwartet. Victorine hatte ihn wohl von allem unterrichtet, was in der Wirtschaft vor sich ging, aber dies hatte sie ihm verschwiegen. „Ich möchte bei dieser Gelegenheit eine Bitte an dich richten. Den Nachbarn ist es aufgefallen, daß du mich noch nicht der Gesellschaft als deinen Sohn vorgestellt hast. Ich möchte dich bitten, das heute zu tun, Wenn deine Freunde sich einfinden.“

„Wer hat dir das in den Kopf gesetzt?“

„Lenore Krasicka hat es mir gesagt, daß man sich darüber wundert.“

„Du verkehrst viel in Smilowo? Willst du dich um Lenore bewerben?“

„Nein, Vater, ich bin in Berlin gebunden.“

Der alte Herr hob überrascht den Kopf. „Mit dem Fräulein Peters?“

„Ja, Vater, aber die Verlobung ist noch nicht öffentlich.“

„Und das verschweigst du uns? Komm, laß dir Glück wünschen, mein Sohn. Ich bin sehr erfreut darüber. Ich werde heute beide Verlobungen verkünden.“

„Ich bitte, meine Verlobung noch nicht zu verkünden.“

„Weshalb denn nicht? Aber wenn du es nicht wünschst, werde ich es den Freunden nur im Vertrauen mitteilen. Und nun triff deine Vorbereitungen, mein Sohn. Das ist heute ein großer Freudentag für unser Haus.“

Fedor staunte, als der Vater sich nach einer Stunde in das Wohnzimmer fahren ließ. Er hatte sich von Slotek Haar und Bart färben und den Schnurrbart in zwei lange Spitzen ausziehen lassen. Um elf Uhr kamen die ersten Gäste. Fedor empfing sie in polnischer Adelstracht, die der Vater ihm aus seiner sehr reich versorgten Garderobe schicken ließ. Ein merkwürdiges Gefühl war über ihn gekommen, als er sich zum erstenmal in dieser Tracht im Spiegel sah. Der Anzug saß ihm wie angegossen und kleidete ihn vorzüglich.

Unter den erschienenen Gästen hatten sich auch die politischen Gegner eingefunden. Ziemlich als erste waren die Geschwister Krasicki gekommen und hatten den Grafen Starzinski mitgebracht. Lenore streckte Fedor bei der Begrüßung beide Hände entgegen. Ihre Augen verrieten ihm, daß er ihr gefiel. „Ah, Zbigniew Kaminsky, endlich in der Tracht, die Ihnen gebührt. Hat meine Neckerei das bewirkt?“

„In der Tat, gnädiges Fräulein. Ich muß zugeben, daß Sie mich veranlaßt haben, mit meinem Vater darüber zu sprechen.“

„Man muß mir also dankbar dafür sein.“

Auch der Landrat mit dem unvermeidlichen Tolpiga erschien und brachte einige Offiziere von den Revaler Dragonern mit. Die Verlobung eines Kaminsky mit der Tochter des kaiserlichen Hausministers war auch für ihn ein wichtiges Ereignis. Er gewann dadurch eine Fürsprache, die ihn hoffentlich bald nach Petersburg ins Ministerium bringen würde. Er begrüßte Fedor mit überströmender Herzlichkeit.

Als die Mehrzahl der Gäste im Saal versammelt war, winkte der Hausherr Fedor zu sich heran und stellte ihn als seinen ältesten Sohn Zbigniew vor. Jetzt begann eine erneute Gratulation und ein Händeschütteln. Der Vater hatte auch schon die Nachricht in Umlauf gesetzt, daß Fedor mit einer Erbin von Millionen in Berlin verlobt sei. Die öffentliche Bekanntgabe würde wegen der Jugend der Braut erst später erfolgen.

Bei der Tafel brachte der Landrat das Hoch auf das Brautpaar aus. Auf die politische Bedeutung der Verlobung spielte er nur mit der kurzen Bemerkung an, daß die Tradition der Familie Kaminsky dadurch in glücklicher Weise fortgesetzt werde.

Fedor hatte Lenore zu Tisch geführt. Er hatte gehofft, daß Graf Starzinski ihm zuvorkommen würde, das war aber nicht geschehen.

„Sie haben uns heute zwei Überraschungen bereitet“, sagte Lenore mit einem etwas spöttischen Lächeln.

„Zwei Überraschungen? Was soll denn die zweite sein?“

„Ach so, wir verdanken die Nachricht nur einer Indiskretion Ihres Herrn Vaters. Er hat erzählt, daß Sie in Berlin mit einer sehr reichen jungen Dame verlobt sind.“

Fedor neigte das Haupt. „Das ist allerdings richtig. Die Nachricht war aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Es sind noch Schwierigkeiten zu überwinden.“

„Ah, nun verstehe ich. Die Nachricht ist noch etwas verfrüht, und Sie sind nur deswegen nach Kornatowo gekommen, um sich die Anerkennung Ihres Vaters zu holen. Da müssen Sie mir also sehr dankbar sein, daß ich den Anstoß dazu gegeben habe. Wenn Sie jetzt als polnischer Edelmann in dieser Tracht, die Sie vorzüglich kleidet, vor die Eltern Ihrer Braut hintreten, muß jeder Widerstand ersterben.“

Fedor lächelte. „Ich habe bereits die Einwilligung des Vaters.“

„Was sind dann noch für Widerstände zu überwinden?“

„Das zu erraten, möchte ich Ihrem Scharfsinn überlassen, mein gnädigstes Fräulein.“

Lenore zuckte die Achseln. „Ich habe nicht die Fähigkeit, Rätsel zu raten.“ Sie brach kurz ab. „Wird das Brautpaar bald zu Besuch kommen?“

„Das entzieht sich meiner Kenntnis. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß die Braut mit meiner Schwester nach Kornatowo kommt.“

„Ihr Vater scheint über die Verlobung sehr erfreut zu sein.“

Es war etwas in ihrer Stimme, das Fedor aufhorchen ließ. „Halten Sie das nicht für selbstverständlich, gnädiges Fräulein?“

„Ich glaube, es deutlich genug ausgesprochen zu haben.“

„Ja, in Worten. Der Ton Ihrer Stimme ließ aber etwas anderes vermuten.“

„Sie meinen, daß ich abfällig über die Verlobung urteile? Wissen Sie denn nicht, daß man sich nur zu verloben braucht, um alle bösen Zungen in Bewegung zu setzen?“

„Ihre ist selbstverständlich davon ausgenommen.“

„Sie werden boshaft, Kaminsky. Von dieser Seite habe ich Sie noch nicht kennengelernt. Es ist doch nur natürlich, daß man in vertrautem Kreise sich darüber äußert, was solch eine Verlobung bedeutet.“

„Sie sehen also auch Nachteile in dieser Verbindung?“

„Wenn das der Fall wäre, würde ich sie Ihnen am allerwenigsten mitteilen.“

„Wenn ich Sie darum ersuche? Als Ihr Freund, nicht als Bruder des Bräutigams?“

„Nun denn. Wissen Sie, daß die Braut mindestens fünf Jahre älter ist als Thaddi? Man macht sich doch Gedanken darüber, daß ein Mädchen aus solcher Familie so alt wird, ohne einen Mann zu finden.“

„Ihr Herz wird nicht früher gesprochen haben. Thaddi ist hübsch, elegant.“

Lenore lachte laut auf. „Das glauben Sie doch selbst nicht. Alexandrine Pawlowna ist sehr hochmütig und mag wohl so große Ansprüche gestellt haben, daß sie darüber achtundzwanzig Jahre alt geworden ist. Da hat sie es mit der Angst bekommen und zugegriffen, als Thaddi auf der Bildfläche erschien. Wahrscheinlich hat Ihre Schwester Victorine die Hand dabei im Spiel gehabt.“

„Das ist schon möglich. Dann schließe ich aber daraus, daß die Verbindung für meinen Bruder Thaddi sehr vorteilhaft sein wird. Daß Ihnen aus politischen Gründen die Verbindung, die meinen Bruder ganz auf die andere Seite hinüberzieht, nicht gefällt, begreife ich, aber daß Sie trotzdem zur Gratulation erschienen sind…“

Lenore lächelte spöttisch. „Mit dem Wolf muß man heulen, Herr Kaminsky. Der Herr Tolpiga ist nur deswegen hier erschienen, um jeden festzustellen, der zu Hause geblieben ist. Es fehlt aber, wie ich sehe, keiner aus der ganzen Umgegend. Sie könnten aber jetzt ein gutes Werk tun.“

„Wenn ich Ihnen gefällig sein kann?“

„Lassen Sie durch Ihren Bruder den Tolpiga von hier wegloben. Der Kerl ist uns hier unbequem.“

„Das will ich gern besorgen, wenn es mir möglich ist.“

Nach der Tafel wurden Mokka und Okovit gereicht. Einige Gäste fuhren ab, die meisten jedoch blieben. Der Hausherr hatte sich in sein Zimmer zurückfahren lassen, um ein Schläfchen zu machen. Er hatte einige Glas Sekt getrunken und war sehr aufgeräumt. Die älteren Herren hatten sich die Kartentische aufstellen lassen. Die Dragoneroffiziere, zu denen sich auch der Landrat gesetzt hatte, jeuten. Es wurde ein „Bak“ gespielt, mit ziemlich geringen Einsätzen.

„Die Kerle haben alle kein Geld“, meinte Graf Starzinski, der dem Spiel eine Weile zugeschaut hatte, zu Fedor. „Wollen Sie der Gesellschaft nicht etwas auf die Beine helfen?“

„Ich verzichte“, erwiderte Fedor lachend, „ich kann mich furchtbar beherrschen. Außerdem kenne ich das Spiel nicht.“

„Oh, das ist furchtbar einfach. Man läßt sich zwei Karten geben und kauft, bis man neun Augen hat oder sich totgekauft hat. Das begreift selbst ein Russe. Ich suche Teilnehmer für ein solides ,Oko’. Wollen Sie da nicht mithalten?“

„Bedauere sehr, ich spiele grundsätzlich nicht.“

Der Graf hatte bald vier Partner zum Spiel zusammengebracht, darunter auch den Kollegienassessor, den er gewissermaßen aus Bosheit aufgefordert hatte. Fedor trat hinter seinen Stuhl. Das Spiel kannte er. Er hatte es als Soldat von den russischen Straschniks im Wachlokal spielen gesehen. Da ging es um Kopeken, hier um Rubelscheine. Bald hatte Tolpiga eine Menge der schmutzigen, klebrigen Scheine, deren Bedeutung nur bei näherem Zusehen zu enträtseln war, vor sich aufgehäuft.

Fedor staunte, wie verschmitzt der Russe spielte. Zwei-, dreimal paßte er, oder er kaufte drei Karten und warf sie nach einem geringen Anwetten fort, dann wieder kaufte er nur eine oder zwei Karten und bluffte die Mitspieler durch einen hohen Einsatz hinaus. Er mußte wohl sein Erstaunen darüber durch seine Miene verraten haben, denn Krasicki, der ihm gegenübersaß, lächelte eigentümlich. Beim nächsten Mal, als Tolpiga wieder mit einem sehr großen Einsatz heranging, hielt ihm Krasicki Widerpart, die anderen paßten. Tolpiga warf mit nachlässiger Handbewegung hundert Rubel auf den Tisch. Krasicki schob sie schweigend heran. „Ich will sie endlich einmal sehen, Herr Kollegienassessor.“

Er deckte seine Karten auf, Tolpiga warf seine Blätter zusammengeschoben auf den Tisch. „Ich habe weniger.“

Von nun an ging es mit Tolpiga bergab. Krasicki ließ sich nicht mehr von ihm bluffen, sondern hielt jeden Satz durch. Tolpiga wandte sich nach Fedor um. „Wollen Sie nicht lieber mitspielen? Mich stört es, daß Sie in meine Karten sehen.“

„Ich bitte um Verzeihung, Herr Kollegienassessor, das habe ich nicht gewußt, ich werde Sie sofort von meiner Gegenwart befreien.“

Nach einer Weile zupfte ihn Slotek, der nicht mehr selbst bediente, aber die Aufsicht über die Bedienung führte, leise am Rock. „Es wird nötig sein, Wein holen zu lassen. Außer etwas Sekt und den ganz teuren Marken ist nichts mehr vorhanden.“

Es half nichts, Fedor mußte Geld geben und einen Schlitten nach der Stadt schicken, um mit möglichster Beschleunigung Wein heranzuschaffen.

Gegen fünf Uhr erschien der Hausherr wieder in seinem Rollstuhl in der Gesellschaft. Er ließ sich an den Tisch der Offiziere fahren und nahm am Spiel teil. Es dauerte nicht lange, bis Slotek wieder bei Fedor mit der Botschaft erschien, der alte Herr möchte einige hundert Rubel Geld zum Spielen haben. Schweigend händigte Fedor sie ihm ein. Kaum eine Stunde später erschien Slotek bei Fedor wieder mit derselben Botschaft. Er holte selbst das Geld und brachte es dem Vater. „Es sind die letzten tausend Rubel, die wir im Hause haben“, flüsterte er ihm ins Ohr.

„Oh, das macht nichts“, lachte der Rittmeister Michail Iwanowitsch Protassow, der seine Worte gehört oder erraten hatte. „Ihr Herr Vater hat bei uns unbeschränkten Kredit.“

Eine Weile stand Fedor hinter dem Stuhl seines Vaters und sah zu, wie eine Hundertrubelnote nach der anderen den Weg alles Geldes ging. Abends um zehn Uhr flüsterte Slotek ihm zu: „Der alte Herr haben schon sechstausend Rubel verspielt.“

Die anderen Gäste hatten sich bereits verabschiedet, nur an vier Tischen saßen noch die Kartenspieler. Fedor trat an den Tisch der Offiziere. Der alte Herr hatte beim Spielen stark getrunken, seine rechte Hand lag unbeweglich aus dem Schoß. Er nahm die Karten mit der linken auf, die dabei merklich zitterte.

„Du strengst dich zu sehr an, das wird dir schaden“, sagte er dem Vater ins Ohr.

Protassow sah zu ihm auf. „Sie sind besorgt um Ihren Herrn Vater. Es ist auch Zeit, daß wir aufhören, wir wollen zusammenrechnen, meine Herren.“

Er warf eine Anzahl kleiner Papierfetzen, auf denen der Hausherr mit zittriger Hand die Zahl und den Namen geschrieben hatte, auf den Tisch. „Ich habe siebentausend Rubel von Ihnen gewonnen, Herr Kaminsky. Jewgenij Michailowitsch, was haben Sie gewonnen? Rund tausend Rubel? Die nehme ich auch auf mein Konto. Hier ist das Geld dafür.“

Mit der höflichsten Miene verabschiedete sich Fedor von den Gästen, die jetzt alle aufbrachen, aber als er in sein Zimmer trat, wirbelte ihm der Kopf von den Zahlen. Achttausend Rubel! Das war für ihn jetzt ein Vermögen. Wie sollte er die morgen beschaffen? Zehntausend Mark hatte er noch in Berlin auf der Bank stehen, aber wie sollte er die so schnell flüssig machen und wie den Rest aufbringen?

Lange saß er an seinem Schreibtisch und erwog hin und her, was er noch verkaufen könnte. Und wenn Thaddi kam und Ansprüche an den Vater stellte? Wieviel konnte das sein, was er brauchte, um sich zu rangieren, das heißt seine Schulden zu bezahlen? Vielleicht dreißig-, vielleicht auch fünfzigtausend Rubel, wenn nicht mehr. Das trug Kornatowo nicht mehr. Der einzige Ausweg war, den größten Teil des Parkes abzuholzen. Er ergriff die Feder und schrieb an die Berliner Holzhandlung. Er wollte ihr am nächsten Tage schon eine eingehende Nachweisung über den Bestand, den er ihnen anbot, schicken. Er bat aber jetzt schon um Absendung eines Sachverständigen.

Er fühlte, daß er jetzt nicht mehr anders handeln konnte. Jetzt mußte er mit seiner Familie durch dick und dünn gehen. Jetzt trug er als ältester Sohn und Vertreter seines kranken Vaters die ganze Verantwortung. Das gab ihm auch das Recht, mit dem Schwager und der Schwester ein ernstes Wort zu sprechen. In dieser Weise konnte es nicht weitergehen.

Nach einer Weile überraschte er sich bei dem Gedanken, daß der Tag womöglich bei seinem Vater üble Folgen haben würde. Dann war es die höchste Zeit, zwischen ihm und den Geschwistern eine Auseinandersetzung über die Erbschaft herbeizuführen. Mit schweren Gedanken ging er zu Bett. Ihm graute vor den nächsten Tagen.

19. Kapitel

Gegen Morgen wurde Fedor von Slotek mit der Nachricht geweckt, es scheine dem alten Herrn schlecht zu gehen. Er habe angefangen, schwer zu röcheln. Fedor fuhr in die Kleider und schickte einen Schlitten nach dem Arzt. Dann ging er zu seinem Vater und beugte sich über ihn. „Hast du Schmerzen, Vater?“ Ein unverständliches Lallen rang sich aus dem Munde des Kranken. Slotek hatte ihm ein Pulver eingegeben, das der Arzt für solche Fälle verschrieben hatte. Es schien zu wirken, der röchelnde Atem ließ nach, aber der Kranke wurde ganz apathisch. In qualvoller Ungewißheit saß Fedor am Bett des Vaters, bis Doktor Reinhardt erschien.

Er prallte zurück, als er sich über das Bett beugte. „Ihr alter Herr hat Wohl gestern viel Alkohol zu sich genommen?“

Fedor nickte. „Er fühlte sich so wohl, daß er an der Feier der Verlobung meines Bruders teilnahm. Er hat auch Karten gespielt.“

Der Arzt schüttelte mißbilligend den Kopf. „Wir müssen abwarten, ob wir es nicht in erster Linie mit einer Nachwirkung des Alkohols zu tun haben. Ehe ich das nicht weiß, kann ich kein Mittel anwenden.“

„Ist der Zustand besorgniserregend?“

„Jedenfalls so schwer, daß Sie gut tun werden, Ihren Bruder telegraphisch zu benachrichtigen.“

Sofort schickte Fedor einen Boten mit einem Telegramm nach der Stadt. Der Arzt blieb. Langsam vergingen die Stunden. Der Hausherr schien fest zu schlafen. „Wollen Sie nicht versuchen, den Vater zu wecken“, fragte Fedor, als die alte Uhr unter der Glasglocke eilfertig zwölf schlug. „Ich muß in dringenden Geschäften nach der Stadt und möchte vorher die Gewißheit haben, ob ich den Vater für ein paar Stunden verlassen darf.“

„Die Geschäfte werden nicht so dringend sein, daß Sie sie nicht um einen oder zwei Tage verschieben könnten“, erwiderte der Arzt. „Sie würden sich doch bloß Vorwürfe machen, wenn Sie den Vater bei Ihrer Rückkehr nicht mehr am Leben finden.“

Fedor erschrak. „Steht es so schlimm, Herr Doktor?“

„Sie müssen mit der Möglichkeit rechnen, daß diesem Schlaf, der meines Trachtens nicht mehr als Folge des Alkohols anzusehen ist, kein Erwachen mehr folgt.“

Mühsam erhob sich Fedor. „Dann muß ich eine Absage nach der Stadt schicken.“

Er ging in sein Zimmer und schrieb dem Rittmeister Protassow, daß der Vater so schwer erkrankt sei, daß er sich nicht von seinem Bett entfernen dürfe. Er bitte, die Spielschuld des Vaters in achtundvierzig Stunden regeln zu dürfen.

Mit Anbruch der Dunkelheit begann der Kranke wieder zu röcheln. Der Arzt faßte seinen Puls. „Herr Kaminsky, es geht mit Ihrem Vater zu Ende. Es hat keinen Zweck mehr, einzugreifen. Fassen Sie sich, der alte Herr hat trotz der Energie, mit der sich sein starker Körper gegen die Auflösung wehrt, einen leichten Tod, denn er ist, seitdem er eingeschlafen ist, nicht mehr bei Bewußtsein gewesen. Ich will Ihnen noch eine Stunde Gesellschaft leisten. Meine Pflicht als Arzt ist beendigt.“

Die Nacht verging, ohne daß sich an dem Zustand der Krankheit etwas geändert hätte. Am Morgen ließ Fedor wieder den Arzt holen. Er hatte neue Hoffnung geschöpft. Doktor Reinhardt schüttelte erstaunt den Kopf. „Ich habe nicht gedacht, daß der Kampf solange dauern wird. Ob noch Hoffnung vorhanden ist? Lassen Sie schnell etwas Beef-tea bereiten, und flößen Sie dem alten Herrn einige Löffel Sekt ein. Ich fürchte aber, er wird nicht mehr schlucken.“

Er hatte den Zustand richtig beurteilt. Der Kranke schluckte nicht mehr. Gegen Mittag fuhr der Arzt wieder ab.

Abends kamen die Geschwister an, auch die Braut war mitgekommen. Fedor empfing sie in der Halle. Thaddi umarmte ihn stürmisch. „Wie geht es dem Vater?“

„Unverändert, der Arzt hält jede Hoffnung für ausgeschlossen.“

„Hast du mit dem Vater eine Szene gehabt, die ihn etwa heftig erregt hat?“ fragte die Gräfin scharf.

„Im Gegenteil“, erwiderte Fedor äußerlich ruhig. „Der Vater ist auf meine Bitte, mich bei der Verlobungsfeier der Gesellschaft als Sohn des Hauses vorzustellen, bereitwillig eingegangen und hat mir dazu einen Anzug von sich geschickt. Er war sehr froh und aufgeräumt, hat mittags und abends einige Stunden an der Gesellschaft teilgenommen.“

„Gottesfügung, liebe Victorine“, warf Gräfin Alexandrine ein. „Fassen Sie sich. Und das ist Bruder Zbigniew, von dessen wunderbarem Schicksal man mir erzählt hat?“ Sie reichte Fedor die Hand, die er höflich mit den Lippen berührte. Trotz der traurigen Aufregung, in der er sich befand, konnte Fedor die Empfindung nicht unterdrücken, daß er noch kein Frauengesicht gesehen hatte, das soviel kalten Hochmut zur Schau getragen hatte. Am schärfsten war der Zug um den großen und stark hervortretenden Mund ausgeprägt, und die kalten Augen schienen selbst bei der Unterhaltung keinen Menschen zu sehen.

Die Liebe soll zwar unberechenbar sein, dachte Fedor, während er die Geschwister zum Zimmer des Vaters führte, aber eine Liebesheirat scheint es wenigstens von Thaddis Seite nicht zu sein. Jetzt begriff er Lenores Gereiztheit über seine zukünftige Schwägerin und ihr abfälliges Urteil.

Victorine trat ans Bett und rüttelte den Vater ziemlich unsanft an der Schulter.

„Hörst du mich? Gib ein Zeichen, wenn du mich hörst. Ich bin da, deine Tochter Victorine, und Thaddi mit seiner Braut ist hier.“

Vergebens spähte sie in das verfallene, mit dem Tode ringende Gesicht. „Ob der Arzt ihn nicht durch eine Kampfereinspritzung zum Bewußtsein zurückbringen könnte. Und wenn es für ein paar Minuten wäre?“

Fedor zuckte die Achseln. „Er hat jeden Versuch als aussichtslos abgelehnt.“

„Fügen Sie sich in das Unvermeidliche, liebe Victorine“, sagte die Gräfin Alexandrine wieder mit ihrer harten Stimme, die wie ein Befehl klang. Sie stand auf. „Sie bleiben ja wohl bei Ihrem Vater, Zbigniew? Sie können uns benachrichtigen, wenn die Katastrophe einzutreten droht. Komm, Thaddi.“

Fedor setzte sich in den Lehnstuhl des Vaters und schloß die Augen. Da kam leise die Ermüdung über ihn und entrückte ihn ins Traumland. Er sah sich am Totenbett Groseks sitzen und die Frau trösten, die keines Trostes bedurfte.

Er schrak auf. Slotek stand vor ihm. „Was ist mit dem Vater?“

„Der alte Herr atmet ganz still.“

Hastig sprang Fedor auf und beugte sich über den Vater. Er schien nicht mehr zu atmen. Er drehte sich zu Slotek um. „Sind die Herrschaften schon benachrichtigt?“

„Die jungen Herrschaften haben sich vor einer Stunde nach dem Befinden des alten Herrn erkundigen lassen. Sie wollten geweckt sein, wenn...“

„Nun, dann schnell.“

Er nahm die Hand des Vaters und setzte sich auf den Bettrand. Sie war kalt. Er beugte sich über ihn und legte das Ohr an seinen Mund. Nein, da war kein Atemhauch mehr zu spüren. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Thaddi und Victorine erschienen. Fedor erhob sich. „Der Vater ist ganz sanft eingeschlafen. Es tut mir leid, Thaddi, daß dieser Schatten auf dein junges Glück fällt. Aber es wird dir zum Trost gereichen, daß der Vater sich sehr über deine Verlobung gefreut hat und daß er mit dieser Freude hinübergegangen ist.“

„Slotek, du besorgst wohl, daß der Vater gewaschen und angekleidet wird“, befahl Victorine. „Morgen früh wird der Sarg aus dem Gewölbe geholt, der schon für ihn bereit steht. Kommt, Brüder.“

Auf dem Korridor hakte Thaddi Fedor unter. „Wollen wir noch eine Stunde zusammen bleiben und uns besprechen? Ich möchte gern, daß du auch daran teilnimmst, Victorine.“

„Das hat zwar auch bis morgen Zeit, aber wenn du es wünschest?“

Sie hatten in drei tiefen Sesseln vor dem Kamin im Wohnzimmer Platz genommen, und Fedor hatte die ersterbende Glut von neuem entfacht.

„Hat der Vater gestern zu dir über mich gesprochen?“ fragte Thaddi.

„Ja, er meinte, du müßtest vor der Hochzeit rangiert werden, und er war in Sorge über die Summe, die du brauchen würdest.“

„Es ist nicht so schlimm, wie ihr etwa annehmt. Etwas über fünfzigtausend Rubel. Ich mußte, als ich mich um Alexandrine bewarb, größere Aufwendungen machen. Täglich ein kostbarer Strauß...“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, lieber Thaddi, das waren Ausgaben, die sich im Hinblick auf das Ziel nicht umgehen ließen“, erwiderte Victorine.

„Es ist nur die Frage, wie wir die Summe aufbringen sollen. Der Vater hat gestern im Spiel achttausend Rubel an den Rittmeister Protassow verloren, und ich habe diesen heute um Aufschub bitten müssen, weil ich das Sterbelager des Vaters nicht verlassen konnte“, sagte Fedor. „Ich weiß auch noch nicht, wie ich diese Summe morgen auftreiben soll. Kann dein Mann nicht aushelfen?“

„Ich glaube kaum. Die Reise nach Petersburg hat viel Geld gekostet. Wir mußten Alexandrine im Auftrage des Vaters Geschenke überreichen und haben den Kameraden Thaddis ein Diner gegeben. Seine Kasse ist augenblicklich erschöpft.“

„Das Geld muß aber morgen unter allen Umständen beschafft werden. Für Thaddi will ich Rat schaffen. Das Geld muß der Park bringen. Ich habe schon gestern nach Berlin geschrieben.“

„Ganz ausgeschlossen“, rief Victorine. „Die uralten Bäume sind mit unserem Geschlecht verwachsen, ja, es soll sogar eine uralte Prophezeiung geben, daß unser Geschlecht so lange blühen und gedeihen wird, wie die alten Bäume stehen.“

„Es sind schon manche vor Alter zusammengestürzt“, warf Fedor ein. „Wenn der Park nicht angetastet werden soll, dann weiß ich keinen anderen Weg, Thaddi zu helfen. Wir müssen uns auch über die Zukunft von Kornatowo klar werden. Willst du die Besitzung übernehmen, Thaddi?“

Mit beiden Händen wehrte Thaddi ab. „Ich denke nicht daran, und Alexandrine geht nicht aus Petersburg ‘raus, das hat sie mir schon zur Bedingung gemacht. Nein, es ist doch selbstverständlich, daß du Kornatowo übernimmst. Hier!“ Er knöpfte seine Litewka auf und nahm die Denkmünze ab, die Fedor ihm seinerzeit in Warschau übergeben hatte. „Der Vater hat dich gestern feierlich anerkannt. Du bist der Ältere. Sie gehört also wieder dir.“

„Thaddi, das ist sehr edelmütig von dir. Ich danke dir. Gestatte, daß ich dir eine gleiche Münze für deinen ältesten Sohn herstellen lasse.“

Mit einem eigentümlichen Blick hatte Victorine den kleinen Vorgang beobachtet. „Du übernimmst damit also Kornatowo?“

„Darüber kann ich mich in diesem Augenblick noch nicht entscheiden“, erwiderte Fedor ruhig. „Ich halte es für das beste, zu verkaufen.“

„Dagegen muß ich Einspruch erheben“, erwiderte Victorine scharf. „Du hast freilich kein Interesse an dem Besitz deiner Vorfahren. Du nimmst dein Erbteil und gehst nach Deutschland.“

„Wer sagt dir, daß ich kein Interesse an unserem alten Familienbesitz habe? Mit allen zehn Fingern möchte ich ihn festhalten, das ist aber nur möglich, wenn er in der Zukunft nicht so stark belastet wird wie jetzt. Und wie soll ich auf Kornatowo bestehen, wenn ihr womöglich ein Erbteil verlangt.“

„Selbstverständlich“, erwiderte die Gräfin. „Das Gut muß gerichtlich abgeschätzt werden, und wer es übernimmt, muß den beiden anderen ihr Erbteil auszahlen.“

„Dann übernimm du es, ich trete gern zurück.“

„Das ist völlig ausgeschlossen. Mein Mann hofft schon in nächster Zeit an die Botschaft nach Petersburg berufen zu werden. Seine Mission hier ist beendigt. Er wird aber noch vorher die Gründung der Zuckerfabrik ins Werk setzen.“

Fedor erhob sich. „Wir sprechen noch darüber. Wann mußt du das Geld haben, Thaddi?“

„Das eilt nicht so sehr, ich muß allerdings bei meiner Rückkehr nach Petersburg etwa zehntausend Rubel in der Hand haben.“

„Das wird schwer halten, aber wir müssen zusehen.“

Während die Geschwister sich wieder zur Ruhe begaben, ging Fedor in das Sterbezimmer seines Vaters. Zwei alte Frauen hatten den Leichnam gewaschen und halfen eben Slotek, den alten Herrn mit der glänzenden Tracht eines polnischen Edelmannes zu bekleiden. Dann wurde das Bett, aus dem die Betten schon entfernt waren, in die Mitte des Zimmers gerückt und vier dicke Wachslichte zu Fuß- und Kopfende aufgestellt und angezündet. Zuletzt faltete Slotek seinem alten Herrn die Hände über dem Griff des krummen Säbels auf der Brust. Dann setzte er sich mit stumpfem Blick an das Fußende des Bettes und senkte den Kopf.

„Woran denkst du jetzt so, alter Slotek?“ fragte Fedor.

„Ich denke an alles, was während meines Lebens geschehen ist im Hause der Kaminsky. Ich habe Ihren Urgroßvater sterben sehen, junger Herr, ein junger, schöner Mann. Ein Wilddieb hatte ihn erschossen. Ich fand ihn beim Beerenlesen. Er lebte noch und war bei vollem Bewußtsein. ‚Lauf, Junge, was du kannst nach Hause und hol’ Hilfe. Ich schenke dir die Freiheit und laß dich ein Handwerk lernen, wenn du schnell Hilfe bringst.‘ Da bin ich gerannt, daß ich keinen Atem mehr hatte, als ich auf dem Schloß ankam. Aber der Herr haben nicht mehr gelebt, als wir angejagt kamen. Ich wurde nicht frei und habe kein Handwerk gelernt.“

Unermüdlich erzählte der Alte weiter, mit leiser, eintöniger Stimme, als wenn er mit sich selbst spräche. Aufmerksam hörte Fedor zu. Ein großes Stück aus der Geschichte seines Geschlechtes zog an ihm vorüber in der Beleuchtung, wie sie der Alte gesehen. Als er schließlich schwieg, träumte Fedor mit offenen Augen weiter. Wenn er sich an Doktor Peters wandte und ihn bat, ihm bei der Erbteilung über den Berg zu helfen? Aber sogleich verwarf er den Gedanken wieder. Nein, erst wollte und mußte er wieder im klaren sein, ob es ihm möglich sein würde, Kornatowo zu halten. Eine tiefe Sehnsucht nach Annemarie überkam ihn. Sie würde ihm auch hierher folgen. Er fühlte, daß er sein Herz an den Erbsitz seines Geschlechts verloren hatte. Wenn es eine Möglichkeit gab, Kornatowo zu halten, dann wollte er sie nutzen.

Von Zeit zu Zeit erhob sich Slotek, um die Lichter zu putzen. Langsam schlichen die Stunden. Fedor nickte auf seinem Stuhl im Halbschlaf. „Legen Sie sich nieder, junger Herr“, meinte der alte Diener, „ich halte bei meinem Herrn die Totenwacht. Sie haben einen schweren Tag vor sich.“

Am anderen Morgen fuhr Fedor, nachdem die Leiche in der großen Halle aufgebahrt war, nach der Stadt. Zwei junge Geistliche hatten sich eingefunden. Sie knieten zu beiden Seiten des Sarges und murmelten Gebete für die Seele des Verstorbenen, die ohne das Sakrament der letzten Ölung ins Fegefeuer abgefahren war...

Aus den Büchern wußte Fedor, daß der Geldgeber des Vaters ein jüdischer Großkaufmann war, der selbst in schwierigen Fällen mit einem Vorschuß auf irgendwelche Einnahme geholfen hatte. Vergebens pochte Fedor an seiner Tür. Ein altes Weib, das ihm schließlich öffnete, erklärte ihm mürrisch, Herr Goldberg sei nicht zu Hause.

Langsam wandte Fedor seine Schritte hinaus. Ein kleiner Judenjunge schlängelte sich an ihn heran. „Wollen der Herr den Goldberg sprechen?“

„Ja, mein Junge, weißt du, wo er ist?“

„Kostet einen Rubel“, erwiderte der Schlingel und streckte die Hand aus.

Fedor sah ihm in die verschmitzten Augen. „Junge, wenn du mich betrügst...“

„Soll mich strafen der Gott meiner Väter, wenn ich nicht sagen werde die reine Wahrheit.“

Nun griff Fedor in die Tasche und reichte ihm einen Rubel, den der Junge blitzschnell in einen Schlitz seines zerrissenen Kaftans verschwinden ließ. „Fahren der Herr zum Magazin Fiorentini. Da werden der Herr Starost den Goldberg finden. Aber der Herr müssen sich nicht abweisen lassen.“

Das Magazin Fiorentini war leicht zu finden. Fedor fragte zuerst nach dem Geschäftsinhaber. Ein junger Mann empfing ihn, der sich mit etwas brüchigem Polnisch als ein Herr Hegent vorstellte.

„Sie sind, wie ich vermute, Deutscher, dann werden wir uns wohl leicht verständigen. Ich möchte Herrn Goldberg sprechen.“

„Wie kommen Sie darauf, Herrn Goldberg hier zu suchen?“

„Nehmen Sie an, ein guter Geist hat es mir verraten. Vielleicht wird sich Herr Goldberg leichter finden lassen, wenn ich Ihnen meinen Namen nenne. Ich bin Zbigniew Kaminsky aus Kornatowo. Mein Vater ist gestern gestorben.“

Der junge Mann verbeugte sich. „Nun, dann will ich mal nachsehen, ob Herr Goldberg für Sie zu sprechen ist.“

Das Geschäft hatte sich schneller und leichter abgewickelt, als Fedor gedacht hatte. Der alte Geschäftsmann hatte ihm gegen einen Dreimonatswechsel fünfzehntausend Rubel gegeben. Vorher hatte er, wie beiläufig, gefragt, ob es wahr wäre, daß der Kapitän von der Garde mit der Tochter des Hausministers verlobt sei, und während er das Geld aufzählte, hatte er gefragt, ob Fedor das Gut übernehmen würde. Als Fedor die Frage bejahte, hatte er bloß genickt. Und zum Schluß hatte er noch gesagt: „Vergessen Sie nicht, Herr Kaminsky, daß der Wechsel in andere Hände übergeht und am Verfalltage unbedingt eingelöst werden muß.“

20. Kapitel

Beim Heraustreten aus dem Warenhause gewahrte Fedor den kleinen Judenjungen, der ihm den Weg gewiesen. Der Bengel mochte auf seinem Gesicht gelesen haben, daß der polnische Edelmann sein Geschäft zur Zufriedenheit erledigt hatte, denn er schlängelte sich an ihn heran und fragte: „Nu, ist das Geschäft nicht zwei Rubel wert? Den einen hat mir der Herr Schlachziz, Gott schenke ihm ein langes Leben, schon gegeben als Anzahlung.“

Lächelnd warf Fedor ihm noch einen Rubelschein zu. Er amüsierte sich über den Geschäftsgeist des Jungen, der abgewiesenen Besuchern den Aufenthalt des Goldberg verriet und sie dann noch mal brandschatzte, wenn sie mit zufriedener Miene aus dem Magazin Fiorentini heraustraten.

Der Junge trottete noch ein Stück neben ihm her. „Wenn der Herr Baron noch etwas kaufen wollen, gute Papyrossen ohne Banderole, sehr billig, fünfzig Kopeken das Hundert. Ich kann den Herrn Baron auch führen, wo schöne Mädchen sind, die schönsten Mädchen aus dem Kaukasus, aus Galizien, aus Frankreich.“

Mit einer Handbewegung scheuchte Fedor den Jungen weg. Er blieb stehen und rief ihm mit lauter Stimme nach: „Herr Baron, e Chillef is e Challef!“ Im nächsten Augenblick war er hinter der Straßenecke verschwunden.

Betroffen sah Fedor ihm nach. Er verstand den jüdischen Jargon und wußte, was der Junge ihm zugerufen hatte: „Ein Wechsel ist ein Messer.“ Jetzt erst kam ihm voll zum Bewußtsein, daß er sich durch den Wechsel eine Verpflichtung aufgehalst hatte, die ihm noch schwere Sorgen bereiten würde. Aus den laufenden Einnahmen des Gutes konnte er den Wechsel nicht bezahlen. Er mußte also eine Quelle anbohren, die ihm auch für die Abfindung Thaddis die Mittel bot.

Zunächst suchte er den Rittmeister Protassow auf, um den Vater aus seiner Schuld zu lösen. Michail Iwanowitsch empfing ihn nach überaus herzlicher Begrüßung mit der Frage: „haben Sie meinen Brief nicht erhalten? Nein? Nun, dann muß ich es Ihnen sagen. Mir wäre es sehr peinlich, das Geld anzunehmen, das Ihr verewigter Herr Vater im Spiel an mich verloren hat.“

Fedor schüttelte den Kopf und zog die Brieftasche, um das Geld herauszunehmen. „Mein Vater hat das Geld an Sie verloren.“

Michail Iwanowitsch befaßte ihm die Hand und schob sie zurück. „Nein, Herr Kaminsky, ich nehme das Geld nicht. Ich will mir nicht den Vorwurf machen lassen, daß ich mit einem Kranken gespielt habe, der in seinen Entschlüssen nicht ganz frei war. Wir haben nur mit ihm gespielt, weil er es hartnäckig verlangte. Aber wir sahen doch alle, daß er in einer Weise pointierte, die für einen im Spiel erfahrenen alten Herrn zum mindesten befremdlich war. Er kaufte noch zu, wenn er schon den kleinen Schlag in der Hand hatte. Nein, Herr Kaminsky, Sie werden einsehen, daß mein Gewissen mir verbietet, das Geld anzunehmen. Sie würden mich beleidigen, wenn Sie es mir noch einmal anbieten wollten. Hier sind die Gutscheine. Sehen Sie sie an, die Zahl ist kaum leserlich.“

Er raffte die Scheine zusammen und zerriß sie mit einem Griff. „Ihre Freundschaft und Ihre Achtung ist mir viel mehr wert als die paar tausend Rubel, die mich nicht reich und nicht arm machen.“

„Ich kann Ihnen also nur danken, Michail Iwanowitsch, daß Sie meinem Vater die Unterhaltung geboten haben, nach der er verlangte.“

Der Rittmeister verbeugte sich. „Mein tiefstes Beileid. Sie haben sehr viel verloren, Herr Kaminsky. Ihr Vater war ein Edelmann von altem Schrot und Korn, und ein Patriot. Es hat in unseren Kreisen lebhafte Freude erregt, daß seine letzten Stunden noch durch die Verbindung seines Sohnes mit, na man kann wohl sagen, mit dem kaiserlichen Hof verschönt waren. Es ist jedenfalls die glänzendste Verbindung, die Ihr Herr Bruder eingehen kann.“

Die angebotene Bewirtung lehnte Fedor ab und verabschiedete sich. Auf der Treppe schon fiel ihm das deutsche Sprichwort ein: „Mit der Wurst nach der Speckseite werfen.“ Ein russischer Offizier, der aus Gewissenhaftigkeit auf einen Spielgewinn verzichtete! Das war ihm noch nicht vorgekommen. Das ließ sich nur dadurch erklären, daß Protassow sich die Fürsprache des vom Glück mehr begünstigten Kameraden erkaufen wollte. Und ob die Bereitwilligkeit des Geldborgers Goldberg, eine so erhebliche Summe gegen einfachen Wechsel herzugeben, nicht auch die Kreditwürdigkeit des Erben von Kornatowo erhöht hatte?

In der Weinhandlung, in der er sich etwas zu essen geben ließ, während er die Weinsorten für das Begräbnis aussuchte, wurde er mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt, die sich noch steigerte, als er die Brieftasche zog und den Wein bar bezahlte. Aber beim Aufbrechen trat der Geschäftsinhaber an ihn heran und fragte ihn mit Vielen Bücklingen, ob er ihm die Rechnung überreichen dürfe, die der selige Herr Vater bei ihm noch anstehen habe. Fedor nahm sie in Empfang und steckte sie unbesehen in die Tasche. Erst im Schlitten sah er sie an, über zehntausend Rubel! Sicherlich waren das nicht die einzigen Schulden, die der Vater hinterlassen hatte! Ein Angstgefühl beschlich ihn. Wie würde er alle die Forderungen, die jetzt an ihn, den Erben von Kornatowo, herantreten würden, befriedigen?

Die Halle, in der Victor Kaminsky aufgebahrt lag, war voll von Besuchern, die gekommen waren, um den Verstorbenen noch einmal zu sehen. Ein halbes Dutzend Geistliche hatte sich eingefunden und betete fleißig. Aus mehreren Gefäßen stiegen Säulen von Weihrauch empor, die sich oben an der Decke zu dichten Schwaden zusammenballten. Ein Kaplan erhob sich und trat auf Fedor zu. Mit lässiger Bewegung streckte er ihm die Hand zum Küssen hin. Fedor ließ sie unbeachtet. „Was wünschen Sie, Hochwürden?“

„Ich muß den Sohn daran erinnern, daß sein Vater ohne das letzte Sakrament zu den Toten eingegangen ist und daß viele Messen nötig sein werden, um seine Seele aus dem Fegefeuer zu erlösen.“

Schweigend reichte ihm Fedor einen Tausendrubelschein hin. „Das dürfte vorläufig für einige Messen genügen.“ Der Kaplan neigte das Haupt und schlug das Zeichen des Kreuzes über ihn.

Zum erstenmal war Fedor mit einem katholischen Geistlichen in persönliche Berührung gekommen. Seine Adelsgenossen schienen die Schwarzröcke nicht zu lieben. Und er hatte Urteile über sie gehört: sie hätten die Macht verloren, das niedere Volk zum willfährigen Werkzeug des Adels zu machen. Die Macht über die Gemüter wäre ihnen völlig entglitten. Die polnischen Arbeiter, die nach der Stadt in die Fabriken gingen, träten der Geistlichkeit mit offener Feindschaft gegenüber und hätten sich völlig von der Kirche gelöst. Die Landbevölkerung ginge nur zur Kirche, weil die Furcht vor dem unbekannten Jenseits sie hineintriebe. Aber in politischer Beziehung ließen sie sich von den Schwarzröcken nicht mehr leiten.

Als Pisanski mit ihm darüber sprach, hatte Fedor in Gedanken hinzugefügt: weil sie die Herrschaft der Russen erträglicher finden als die ihrer adligen Zwingherren.

Das Begräbnis brachte der Familie Kaminsky eine große Ehrung. Der Selbstherrscher aller Reußen ließ durch einen Flügeladjutanten einen Kranz an dem Sarge des Verewigten niederlegen. Ja, es waren noch zwei andere Souveräne bei dem Begräbnis vertreten, denn die französische Botschaft und die belgische Gesandtschaft hatten Vertreter geschickt. Die polnischen Adelsleute, die von weit und breit erschienen waren, sahen sich bedeutsam an und tuschelten miteinander. Selbst für denjenigen, der darin nur eine Gefälligkeit sah, die der Zar seinem Günstling, dem Hausminister, erwies, war es doch klar, daß von Petersburg ein milder Wind wehte, der darauf hindeutete, daß man jetzt Wert darauf legte, bei den Polen eine günstige Stimmung zu erzeugen. Und die beiden Brüder, die hinter dem Sarge schritten, der eine in der alten kriegerischen Festkleidung seines Volkes und der andere in der Uniform eines russischen Gardeoffiziers, erschienen wie ein Symbol der Versöhnung zweier stammverwandter Völker.

Pisanski und Krasicki, die ziemlich am Ende des langen Zuges gingen, unterhielten sich eifrig. „Der Krieg scheint doch näher bevorzustehen“, meinte Pisanski, „als wir angenommen haben. Thaddis Heirat hat doch auch einen politischen Hintergrund, und jetzt diese Ehrung des Verstorbenen, der sich meines Wissens keine hervorragenden Verdienste um das russische Reich erworben hat.“

„Du magst recht haben“, erwiderte Krasicki, „die Russen rechnen es uns nicht als Verdienst an, wenn wir ihnen nachlaufen. Aber die Heirat scheint mir nur ein Werk der Gräfin Villiers zu sein, und Thaddi scheint schon verdammt schief zu stehen, wenn er in den sauren Apfel beißt.“

Pisanski lächelte. „Ja, er ist reichlich sauer. Hoffentlich hat er sich so teuer verkauft, daß auch Kornatowo saniert werden kann. Der alte Adlersberg sollt unmenschlich reich sein, und der einzige Bruder der Braut soll ein Anhänger Tolstois und ein menschenscheuer Einsiedler sein, der kein Bedürfnis empfindet, Geld auszugeben.“

„Am so besser für Thaddi. Der versteht, Geld unter die Leute zu bringen.“

Am Tage nach dem Begräbnis versammelte sich die Familie nach dem Frühstück, um über die Gestaltung ihrer Zukunft zu beraten. Gräfin Alexandrine nahm an der Beratung teil. Sie hatte ihrem Bräutigam erklärt, daß ihr die Vermögensverhältnisse der Familie Kaminsky kein Geheimnis seien, und daß sie ein großes Interesse habe, den Stammsitz des Geschlechts, dessen Namen sie tragen werde, der Familie erhalten zu sehen. Selbstverständlich müsse Zbigniew Kornatowo übernehmen.

Sie ergriff sofort das Wort. „Ich erlaube mir, den Vorschlag zu machen, daß Victorine ebenso wie mein Verlobter zunächst auf jeden Erbanspruch verzichten. Kornatowo ist mit Schulden überlastet und völlig abgewirtschaftet. Es würde Zbigniew unmöglich sein, jetzt auch nur eine Kopeke auszuzahlen. Im Gegenteil, er braucht noch erhebliche Mittel, um Kornatowo wieder hochzubringen. Die will ich Ihnen aus meinem mütterlichen Vermögen, das ich selbständig verwalte, zur Verfügung stellen, Zbigniew. Das soll keine Wohltat sein, die ich Ihnen erweise. Im Gegenteil, Sie werden mir das Geld ebenso verzinsen wie die Bank. Ihr werdet wohl verstehen, daß ich Gewicht darauf lege, den Stammsitz des Geschlechts, dem ich in naher Zukunft angehören werde, im Besitz der Familie zu erhalten. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, daß Sie, Zbigniew, die Aufgabe aus sich nehmen wollen.“

Der Vorschlag kam Fedor so unerwartet, daß er erregt aufsprang. „Ich will noch hinzufügen“, fuhr Gräfin Alexandrine mit ihrer kalten Stimme fort, „daß niemand, selbst mein Vater nicht, von dieser Transaktion erfährt. Überlegen Sie nicht lange, Zbigniew. Ich weiß, daß Sie auch von anderer Seite Hilfe erhalten würden, was mir durchaus nicht angenehm wäre. Es ist also reiner Egoismus bei mir. Daß ich meinen zukünftigen Schwager gern von seinen Sorgen befreie, dürfen Sie auch annehmen.“

Fedor hatte in diesem Augenblick lebhaft an Annemarie gedacht. Wenn Gräfin Alexandrine solch ein feinfühliges, liebenswürdiges Wesen wäre, dann würde es ihm nicht schwer gefallen sein, ihren Vorschlag anzunehmen. Sein Kopf arbeitete fieberhaft, lockende Bilder stiegen vor ihm auf, als freier Mann ohne Sorgen über die eigene Scholle zu schreiten.

Auch Thaddi stand auf und legte dem Bruder den Arm um die Schulter. „Überleg’ nicht lange, Zbigniew, du trägst jetzt das Wahrzeichen unseres Geschlechts auf der Brust. Du hast damit die Verpflichtung übernommen, alles zu tun, was der Zukunft unseres Geschlechtes nützt. Denk’ nicht nur an dich, sondern auch an mich und Schwester Victorine. Ich weiß, daß du dich in diesen Tagen mit schweren Sorgen getragen hast, um mir die Hilfe zu bringen. Davon befreit dich mit einem Schlage der hochherzige Vorschlag meiner Braut.“

„Du würdest auch in unserem Interesse handeln“, fügte Gräfin Victorine hinzu.

Fedor gab sich einen Ruck und trat auf Alexandrine zu, um ihr die Hand zu küssen. „Ich nehme Ihren Vorschlag an, weil ich mich entschlossen habe, hierzubleiben und für meine Familie zu arbeiten. Ich betrachte mich nur als Sachwalter unseres Geschlechts.“

„Wie Sie das Abkommen betrachten, ist mir Nebensache“, erwiderte Alexandrine kühl. „Ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß Kornatowo in Ihren Händen gut aufgehoben ist. Ich werde Ihnen sofort nach meiner Rückkehr nach Petersburg eine Summe anweisen lassen, die meines Erachtens genügen wird. Sollten Sie mehr brauchen, dann fordern Sie den Betrag von der Kommerz- und Diskonto-Bank in Petersburg, die mein Vermögen verwaltet, ein.“

Sie stand auf und reichte ihm nochmals die Hand. „Nun lassen Sie mich Ihnen noch von Herzen danken, lieber Zbigniew. Ich hoffe, Sie werden mich von jetzt ab nicht nur nach meinem Äußeren, das mir die Natur ohne mein Zutun verliehen hat, beurteilen. Ich habe viel Sympathie für Sie, weil ich weiß, daß Sie Deutschland lieben. Ich liebe auch das Land, aus dem meine Familie stammt, und ich will Ihnen deshalb noch ein Wort sagen, das Ihnen als Richtschnur dienen kann. Lassen Sie sich nicht von den unklaren Schwärmern einfangen, die von einem Krieg zwischen Rußland und Deutschland einen neuen Aufstieg des weißen Adlers erhoffen. Ich sage Ihnen, es gibt keinen Krieg zwischen Rußland und Deutschland. Wir haben wohl auch eine Kriegspartei an unserem Kaiserhof, wie sie in allen Ländern besteht und immer bestanden hat, aber unser erhabener Herrscher, dessen Wille allein den Ausschlag gibt, denkt nicht daran, das alte Freundschaftsverhältnis, das die beiden mächtigsten Reiche Europas verbindet, zu zerstören, und sein Wille verbürgt den Frieden. Der Thronfolger, um auch diese Eventualität ins Auge zu fassen, ist in demselben Geist erzogen und denkt ebenso. Ich kann Ihnen noch mehr sagen. Es ist nur eine Frage der Zeit, daß unser erhabener Herrscher sich eines Teils seiner Macht entäußern wird, um sie mit Vertretern des Volkes zu teilen. Er will, daß alle Stämme seines großen Reiches sich zu friedlicher Kulturarbeit enger als bisher zusammenschließen. Sie können von dieser Mitteilung, wenn es Ihnen nötig und zweckdienlich erscheint, in vertrautem Kreise Gebrauch machen.“

Am Nachmittag schon fuhren Thaddi und Alexandrine ab. Das Ehepaar Villiers wollte in einigen Tagen folgen. Der Graf hoffte bestimmt, schon in allernächster Zeit bei der französischen Botschaft einen höheren Posten zu erhalten. Er meinte zu Fedor, die Ansichten der zukünftigen Schwägerin seien diejenigen der deutschen Partei am russischen Kaiserhof. Die Sachen ständen aber doch wesentlich anders. Er müsse es sich jedoch versagen, näher darauf einzugehen. In jedem Fall sei es für den Besitzer von Kornatowo ein Gebot der Klugheit, sich von den unruhigen Köpfen des polnischen Adels fernzuhalten.

„Das brauchen Sie mir nicht zu empfehlen, verehrter Schwager“, erwiderte Fedor. „Das habe ich schon bisher getan und werde es auch in Zukunft tun. Es gibt meiner Ansicht nach nur eine Möglichkeit, daß Polens Adler wieder frei wird.“

„Und die wäre?“ fragte der Graf gespannt.

„Daß Rußland von Deutschland besiegt und gezwungen wird, Polen freizugeben.“

Der Graf lachte. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Zbigniew, Sie sind ein sonderbarer Schwärmer. Und jetzt muß ich Ihnen allen Ernstes den Rat geben, diese Ansicht tief in Ihrem innersten Busen zu verschließen. Das ist ein Standpunkt, den die russische Regierung am allerwenigsten bei einem polnischen Edelmann verträgt. Die Umtriebe der Polen, die mit ihren Landsleuten in Galizien und mit Österreich liebäugeln, hält sie für ungefährlich, ich möchte fast sagen, für eine Spielerei, die sie von gefährlicheren Plänen abhält; eine Hinneigung zu Deutschland dagegen würde der Regierung, die anders denkt als der Zar, als ein schweres Staatsverbrechen erscheinen.“

21. Kapitel

Den Tod seines Vaters hatte Fedor telegraphisch nach Berlin gemeldet und von Doktor Peters ein langes Beileidstelegramm erhalten. Jetzt setzte er sich hin, um Annemarie einen ausführlichen Brief zu schreiben. Er schilderte ihr alles, die Verlobung und das Begräbnis und fügte am Schluß hinzu, daß er entschlossen sei, Kornatowo zu übernehmen und durchzuhalten.

Als Antwort darauf bekam er umgehend von Peters einen Brief, worin er ihm seine Hilfe anbot. Fedor erwiderte kurz, er habe sich mit Hilfe seines Hauptgläubigers nicht nur rangiert, sondern auch noch die Mittel in die Hand bekommen, etwas für die Hebung der Besitzung zu tun. Wer dieser Hauptgläubiger war, verschwieg er.

Schon am nächsten Tage erhielt er von der Kreditbank in Kowno die Mitteilung, daß von der Kommerz- und Diskonto-Bank in Petersburg hunderttausend Rubel auf sein Konto eingezahlt wären. Er wunderte sich darüber nicht, wohl aber darüber, daß er noch ein Konto bei der Kreditbank in Kowno besaß. Es betrug nach dem Auszug, den die Bank der Mitteilung beigefügt hatte, rund vierzigtausend Rubel. Die hatte der Vater wahrscheinlich aus dem Holzgeld beiseite gelegt, um sie für den dringendsten Notfall aufzubewahren. Erst später kam er, als er eines Abends die alten von Sumbrowski zurückgelassenen Geschäftspapiere durchsah, darauf, daß der verflossene „Haushofmeister“ sich das Bankkonto angelegt hatte. Damit es nicht auffiel, hatte er es auf den Namen Kaminfky schreiben lassen. Ob das im Einverständnis mit dem Schloßherrn oder heimlich geschehen war, ließ sich nicht mehr feststellen.

Mit dem Ausweis der Bank in der Hand ging er zu Meyhöfer.

„Ich wollte Sie nur fragen, Herr Oberinspektor, ob Sie sich bereits für eine neue Stellung verpflichtet haben.“

„Offen gesagt, nein, Herr Kaminsky. Ich stehe in Unterhandlungen, aber sie sind noch nicht zum Abschluß gediehen.“

„Dann möchte ich Sie fragen, ob Sie in Kornatowo bleiben wollen, wenn ich Ihr Gehalt und Ihre Bezüge bedeutend aufbessere. Die polnische Wirtschaft soll aufhören.“

„Polnische Wirtschaft?“ fragte Meyhöfer verblüfft.

„Sie wundern sich über den Ausdruck, Herr Meyhöfer? Ich meine damit nicht Ihren Betrieb, der unter den gegebenen Umständen mustergültig ist, sondern die Zustände, wie sie, sagen wir es ruhig, im Schloß geherrscht haben. Hier habe ich den Ausweis der Kownoer Kreditbank in der Hand, daß mir hundertvierzigtausend Rubel zur Verfügung stehen. Würden Sie sich getrauen, mit diesem Kapital aus Kornatowo eine deutsche mustergültige Wirtschaft zu machen?“

Ehrliches Erstaunen malte sich auf dem Gesicht des blonden Riesen. Er nahm das Papier und sah es an. Aber seine Gedanken waren schon weit weg. „Wenn das wahr ist“, sagte er langsam, „und ich zweifle nicht daran, Herr Kaminsky, dann stoßen wir im nächsten Herbst, na, ich will nicht zuviel sagen, sechstausend Rubel Schulden ab.“

„Sie sagen ,wir’, Herr Meyhöfer. Darf ich daraus entnehmen, daß Sie —“

„Selbstverständlich, Herr Kaminsky. Ich verschreibe mich Ihnen mit Haut und Haaren. Sie sind der erste polnische Edelmann, der...“

„Halt!“ rief Fedor lachend, „beleidigen Sie meine Standesgenossen nicht. Im übrigen möchte ich Ihnen im tiefsten Vertrauen mitteilen, daß ich seit fast drei Jahren preußischer Untertan, also Deutscher bin.“

Einen Augenblick starrte ihn Meyhöfer verblüfft an, dann brach er in ein dröhnendes Lachen aus. „Nu schlag’ Gott den Deuwel dot. Das ist der beste Witz, den sich die Weltgeschichte bisher geleistet hat. Ein Sprößling des polnischen Uradels, Großgrundbesitzer in Russisch-Polen und lieb Kind bei der russischen Regierung... und preußischer Untertan! Herr von Stein, ich gehe mit Ihnen durch dick und dünn.“

„Vorläufig heiße ich noch Kaminsky, und ich habe mich an den Namen gewöhnt. Ich gedenke ihn auch nicht zu ändern, weil meine Nachkommen einen Anspruch darauf haben. Nun bitte ich Sie um eins. Machen Sie mir eine Aufstellung, was Kornatowo am nötigsten braucht; wir wollen nicht gleich den Himmel stürmen.“

„Ich verstehe, verehrter Herr Prinzipal, immer langsam Powoli. In erster Linie gehören für Kornatowo Kühe, Kühe und nochmals Kühe. Und dann fahren Sie nach Berlin und suchen einen Abnehmer, der für unsere allerfeinste Tafelbutter, die den Transport nach England verträgt, hundertfünfzig Mark bezahlt, und dann Maschinen und künstlichen Dünger und Arbeiter.“

Das Wort Berlin zündete in Fedor wie ein Funke im Pulverfaß. „Glauben Sie wirklich, daß ich hier abkömmlich bin?“

Meyhöfer lächelte. „Sie werden mir doch hoffentlich so viel Vertrauen schenken, daß ich Kornatowo in Ihrer Abwesenheit nicht ausplündere und mit dem Raub verdufte? Lassen Sie sich vom Landrat einen Paß holen und fahren Sie.“

Am nächsten Vormittag erschien Sergei Feodorowitsch Bathurin in höchsteigener Person, um dem Schloßherrn von Kornatowo den erbetenen Paß zu überbringen. Er machte einen sehr niedergeschlagenen Eindruck. Fedor führte ihn, nachdem der Landrat sich aus seinem Pelz geschält hatte, in sein Arbeitszimmer und ließ eine Flasche Portwein kommen.

„Darf ich fragen, Sergei Feodorowitsch, was Sie bekümmert? Haben Sie einen Verlust erlitten?“

„Einen Verlust? Wenn ich mir ein Bein gebrochen hätte, wäre ich nicht so traurig, mein lieber Pan Kaminsky. Sagen Sie selbst, habe ich nicht immer mit Ihrem Herrn Vater wie ein Freund gelebt? Er brauchte nur zu winken: Sergei Feodorowitsch, ich will dies, ich will jenes, dann bin ich gesprungen. Und jetzt, wo Ihr Herr Bruder der Schwiegersohn des einflußreichsten Mannes in Petersburg wird, werde ich nach Sibirien versetzt, nach Irkutsk, als Gehilfe des Gouverneurs, und der Tolpiga, der Schuft, verzeihen Sie, mein lieber Herr Kaminsky, ich bin wirklich empört, aber ich habe Ursache, so zu sprechen, dieser Schuft, sage ich noch einmal, wird nach Petersburg ins Ministerium berufen.“

„Das muß ein Irrtum sein, womöglich eine Verwechslung der Personen“, erwiderte Fedor.

Ein Hoffnungsstrahl flog über Bathurins Züge. „Das sage ich auch. Sie wissen doch, daß ein sehr günstiger Wind für die polnische Nation am Petersburger Hof weht. Da werde ich, ein Freund Ihres seligen Herrn Vaters, nach Sibirien verbannt, und der Tolpiga, der die Polen verfolgt und angezeigt hat, fällt die Treppe hinauf ins Ministerium. Ich frage Sie, lieber Zbigniew, Sie erlauben mir wohl als altem Freund Ihres seligen Herrn Vaters die vertrauliche Anrede, ich frage Sie, wo ist da die Gerechtigkeit, die justitia fundamentum regnorum?“

„Ich werde sofort an meinen Bruder Thaddi schreiben. Sie würden lieber hierbleiben.“

In überströmender Freude erhob sich der Landrat und küßte Fedor auf beide Backen.

Am nächsten Morgen fuhr Fedor nach Kowno und wies auf der Bank erst einen größeren Betrag für Meyhöfer an und dann die ziemlich zahlreichen kleineren Posten, die von Gläubigern seines Vaters beansprucht wurden. Die Gesamtsumme war geringer, als er erwartet hatte. Der Vater hatte, nachdem er das Geld für den Holzverkauf erhalten, reinen Tisch gemacht. Die Schulden waren erst im letzten Jahr unter Sumbrowskis Verwaltung entstanden. Er wußte jetzt, daß der Vater rund eine Million Mark für das Holz eingenommen hatte. Und all das Geld war im Laufe der zwei Jahre verbraucht worden! Wieviel davon auf das Ehepaar Villiers entfiel, ließ sich nicht feststellen.

Mittags fuhr er von Kowno ab, um in Eydtkuhnen den D-Zug zu erreichen, der am anderen Morgen in Berlin eintraf. Unterwegs überlegte er, ob er Peters reinen Wein einschenken und ihm offen sagen sollte, aus welcher Quelle die Hilfe geflossen war. Er war sich nicht klar darüber, wie sein väterlicher Freund, der ihm sein höchstes Vertrauen geschenkt hatte, über die ganze Geschichte urteilen würde. Es bestand doch kein Zweifel darüber, daß die schon etwas verblühte Alexandrine sich einem um mehrere Jahre jüngeren Gardeoffizier zugeneigt hatte, der sie nicht aus Liebe, was bei ihrem Äußeren ausgeschlossen war, sondern aus kühler Berechnung gewollt hatte. Die Berechnung war auch auf ihrer Seite. Sie gab sich jedenfalls keiner Täuschung hin, aus welchen Motiven Thaddi ihre Hand begehrte. Sie hatte mit ihrem Jawort alle Konsequenzen gezogen, und eine davon war, daß sie den Stammsitz ihres zukünftigen Gatten der Familie erhielt.

Thaddi war ein gutherziger, aber sehr leichtsinniger Bursche. Er hatte sich von dem Reichtum seiner Braut blenden lassen, der ihm ein Leben in Saus und Braus versprach. Seine Gattin würde ihm sicherlich nie Grund zur Eifersucht bieten, und er würde sich an anderer Stelle schadlos halten. Und wenn er es nicht zu toll trieb, würde Alexandrine, die sicherlich auch diese Folgen ihrer Ehe schon in Betracht gezogen hatte, wohl beide Augen zudrücken.

Noch ein Gedanke beschäftigte Fedor lebhaft. Weshalb hatte Alexandrine nicht früher zugegriffen? Sollte sie in zehn Jahren wirklich keinen Mann gefunden haben, der ihre Millionen heiratete und sie mit in den Kauf nahm?

Mit Mühe schüttelte Fedor alle diese Gedanken von sich ab. Er fing an, sich mit Berlin zu beschäftigen. Was würde Annemarie für Augen machen, wenn er ganz unangemeldet in die Erscheinung trat? Und wie würde die Mutter ihn empfangen, die ihm nicht wohlgesinnt war und schon einen anderen Freier für ihre Tochter in Bereitschaft hielt? Er kam schließlich zu dem Entschluß, in Berlin erst Vater Peters von seiner Ankunft zu benachrichtigen und sich mit ihm auszusprechen. Mit diesem Gedanken schlief er ein und schlief durch bis zum Bahnhof Friedrichstraße. Er stieg aus und begab sich ins Zentralhotel. Um zehn Uhr ließ er durch den Portier in der Villa anrufen und Herrn Peters an den Fernsprecher bitten. „Hier Fedor.“

„Plagt dich der Deuwel, Junge? Weshalb hast du nicht geschrieben oder telegraphiert? Wo steckst du?“

„Im Zentral-Hotel. Wann darf ich dich sprechen, ohne daß Annemarie es erfährt?“

„Ach so, es soll eine Überraschung werden? In einer halben Stunde bin ich bei dir.“

Fedor empfing Peters in der Eingangshalle und führte ihn in eins der kleinen Speisezimmer, die für geschlossene Gesellschaften reserviert wurden. Ein reichliches Frühstück war bereits aufgetragen. „Du scheinst dir bereits die Lebensführung deiner Standesgenossen angewöhnt zu haben“, sagte Peters lachend, als sie in den Raum traten.

„Ich bin doch der älteste Sohn meines Vaters, und etwas muß ich doch von ihm geerbt haben“, erwiderte Fedor lachend.

„Weshalb hast du nicht geschrieben?“

„Weil ich mich erst vorgestern zu der Reise entschlossen habe.“

„Sie hat also einen besonderen Zweck? Ist dir das Wasser über dem Kopf zusammengeschlagen?“

„Ach, Sie meinen, entschuldige, du meinst, ich komme, um deine Hilfe zu erbitten? Nein, ich habe gestern dreißigtausend Rubel Schulden meines alten Herrn bezahlt und meinem Oberinspektor fünfzigtausend Rubel für Wirtschaftszwecke angewiesen.“

„Donnerschlag, mein Junge, du gehst scharf ins Zeug. Du hast wohl Aladins Wunderlampe geerbt?“

„Die scheint leider endgültig verlorengegangen zu sein“, erwiderte Fedor lachend. „Aber ein neues Mitglied meiner Familie hat sein Schatzkästlein geöffnet, Kornatowo vor der öffentlichen Versteigerung zu retten.“

„Nur immer langsam voran, mein lieber Fedor, erst muß ich mich setzen, um diese Nachricht mit Würde zu verdauen. Also ein glattes Geschäft, wobei die Jugendkraft eines Jünglings für etliche Millionen verschachert wird.“

„Stimmt auffallend, lieber Schwiegervater in spe. Gräfin Alexandrine Pawlowna Adlersberg hat mir mit sittlichem Pathos die Summe aufgedrängt, die für sie soviel bedeutet, wie zehn Pfennig für einen Bettler.“

Er erfaßte Peters Hand. „Glaubst du, daß mir der Entschluß leicht geworden ist? Ich habe mich gesträubt wie ein Igel. Ich habe stundenlang, noch heute nacht im Zuge darüber nachgedacht, ob ich ihren Vorschlag, Kornatowo zu sanieren, hätte ablehnen sollen. Sie hat mich überrumpelt. Sie opfere nur eine Bagatelle, um etwas zu erreichen, was ihr sehr am Herzen liegen müsse, die Erhaltung des Stammsitzes unserer Familie, der sie anzugehören die Ehre haben werde.“

„Ich will dir keine Vorwürfe machen, daß du nach dem Strohhalm gegriffen hast. Du hast, was man so sagt, eine Familienkiste aufgemacht. Ich bin dir nur deshalb böse, daß du kein Zutrauen zu mir hast. Daß du mir nicht beim Tode deines Vaters telegraphiert hast: ‚Vater, komm!‘ Ich habe darauf gewartet. Ich weiß ganz genau, was du in den letzten Monaten durchgemacht hast. Da lebt in Kornatowo ein prächtiger Kerl, den ich aus seinen Briefen lieb gewonnen habe, er heißt Meyhöfer und ist seines Zeichens Oberinspektor. Der erfährt alles, was im Schlosse vor sich geht, von einem Greis, namens Slotek. Außerdem existiert in deiner Nähe, in Kowno, ein sehr würdiger alter Herr, der wirkliche Inhaber des Magazins Fiorentini, namens Goldberg, der über die Finanzlage deines Gutes sehr genau unterrichtet ist.“

In Fedor stieg das Blut auf. „Du hast mich also überwachen lassen?“

Peters lachte. „Glaubst du, daß ich meinen zukünftigen Schwiegersohn ganz ohne Obhut in der polnischen Weltgeschichte ‘rumwimmeln lasse? Nicht, um dich zu überwachen, Fedor.“ Er streckte ihm die Hand hin. „Nein, mein Junge, wenn ich das für nötig hielte, würde ich dir nicht selbst Annemarie zugeführt haben. Nein, ich wollte dich nicht ohne Schutz lassen. Im entscheidenden Augenblick, wenn Not am Mann war, hätte ich durch Meyhöfer oder Goldberg eingreifen lassen. Die letzten Ereignisse sind mir über den Kopf gekommen. Selbst dein braver Slotek wußte nichts davon. Ich habe es allerdings geahnt.“

„Was sagst du denn zu Thaddis Verlobung?“ fragte Fedor ziemlich kleinlaut.

„Willst du deines Bruders Hüter sein? Laß ihn seinen Weg gehen. Er ist alt genug, um zu wissen, was er tut. Mich interessiert in diesem Augenblick mehr, wie du über deine Zukunft denkst. Willst du in Polen bleiben und als Großgrundbesitzer unter russischer Knute dein Leben beschließen?“

„Weshalb fragst du, Vater? Nimmt Annemarie daran Anstoß?“

Peters legte Messer und Gabel weg und griff nach dem Glas. Als er es leer auf den Tisch stellte, sah er Fedor an. „Junge, du weißt ja noch gar nicht, welch ein Juwel ich in deine Hände lege. Wenn ich daran denke, daß ich mal solch ein großes Los hätte gewinnen können wie du... Schwamm drüber. Meine Annemarie geht mit dir bis ans Ende der Welt. Sie wollte mit dir in der kleinsten Fischerhütte den sprichwörtlichen Platz finden.“

„Und ihre Frau Mutter?“

„Junge, streng’ dich mit der Höflichkeit nicht zu sehr an. Deine zukünftige Schwiegermutter hat Annemarie einen anderen Freier präsentiert. Du kannst dir wahrscheinlich keine Vorstellung davon machen, was das arme Mädel in deiner Abwesenheit durchgemacht hat. Du bist gerade zur richtigen Zeit gekommen. Heute abend soll die Bombe platzen, das heißt Herr Friedrichs soll heut abend Annemarie um ihr Jawort bitten. Da wollen wir die Gegenmine springen lassen. Du erscheinst Punkt zehn Uhr. Ach so, ich habe vergessen, dir zu sagen, daß wir heute abend eine große Gesellschaft haben, die nur zu dem besagten Zweck geladen ist. Das Weitere wird sich finden. Ich denke mir, Annemarie wird den Streitfall vor aller Welt zu deinen Gunsten entscheiden.“

22. Kapitel

Des war wieder eins der berühmten Feste, wie sie in ganz Berlin nur Frau Doktor Peters gab. Den Ehemann pflegte man aus dem Spiel zu lassen. Er galt vielen der Gäste nur als ein nicht zu umgehendes Requisit, etwa wie der Flor blühender Blumen und immergrüner Gewächse, die alle Festräume schmückten. Er pflegte auch nicht aufzufallen, sondern, wenn er nicht auf einer Geschäftsreise begriffen durch Abwesenheit glänzte, mit einigen alten Herren in einem Rauchzimmer ein stillzufriedenes Dasein zu führen.

Auch heute abend fiel er nicht auf. Mit heiterer Miene begrüßte er neben seiner Gattin die Gäste, von denen ihm viele ganz unbekannt waren. Und manchmal hatte er das Gefühl, daß es seiner Ehehälfte ebenso ging wie ihm. Das war ihm so gleichgültig wie nur irgend etwas, ob zehn oder fünfzig Flaschen Wein mehr draufgingen. Wenn seine Frau nicht vorher die Auswahl unter den Einzuladenden getroffen hätte, wären selbst seine Räume für die Zahl der Gäste zu klein gewesen. Wenn da ein paar Freibeuter mit unterliefen, die aus eigener Machtvollkommenheit sich unter die Gäste mischten, was machte das aus.

Durch eine unterstrichene Fußnote war in der Einladung, die auf neun Uhr lautete, um pünktliches Erscheinen gebeten. Das regte keinen der Eingeladenen auf. Vor halb elf begann doch nie der Ball. Was sollte man vorher herumstehen und mit fremden, gleichgültigen Menschen leere Redensarten tauschen.

Die ersten Gäste erschienen um halb zehn, als die Hausfrau kaum ihre Toilette vollendet hatte. Dann schwoll der Strom der Gäste schnell an, bis er nach zehn Uhr sein Ende erreichte. Frau Eveline hatte in einem geräumigen Zimmer sich inmitten einer Gruppe älterer Damen niedergelassen.

Fedor war am Nachmittag ausgegangen, um die Firmen aufzusuchen, die Meyhöfer ihm aufgeschrieben hatte. Schon bei der zweiten fand er bereitwilliges Entgegenkommen, wenn er täglich drei Zentner ungesalzene Teebutter liefern könnte. Man bat um eine Probelieferung. Als die Laternen angezündet wurden, wanderte Fedor durch das lateinische Viertel im Norden der Linden, das ihm aus seiner Studienzeit vertraut geworden war. Er trat in das um diese Zeit noch leere Café New York und ließ sich ein Glas Lichtenhainer geben. Die ältliche Hebe erkannte ihn und setzte sich zu ihm. Weshalb er solange das Lokal geschwänzt habe?

Er lachte sie übermütig an. „Ich habe in der Zwischenzeit polnische Wölfe gefangen und russische Bären gezähmt.“

„Ach nee. Sie haben wohl einen kleinen Tirlittiti“, erwiderte die Hebe mit einer ausdrucksvollen Handbewegung an die Stirn.

„Heute abend ganz bestimmt, mein verehrtes Fräulein. Deshalb bitte ich Sie, eine Flasche Sekt auf mein Wohl zu trinken und alle Ihre Mitschwestern dazu einzuladen. Sollte es nicht langen, dann bitte ich gehorsamst, gleich eine zweite Flasche anzuschleifen. Ja, verehrte Aurelie, es ist mein völliger Ernst. Ich habe als polnischer Starost die Verpflichtung, hier nobel aufzutreten.“

Er warf lachend einen Hundertmarkschein auf den Tisch. Die Kellnerin sah ihn verblüfft an, dann ergriff sie den blauen Schein und schoß davon. Keine zwei Minuten später schwirrten von allen Ecken des Lokals die Heben an. Das war etwas, was Fedor nicht vorausgesehen hatte. Sie setzten sich neben ihn. Ein junges Ding mit frechen Augen legte ihm den Arm um den Hals.

„Das Berühren der Figüren...“

„...mit den Pfoten ist verboten“, rief Aurelie, die eben die Flasche Sekt einschenkte. „Mein ist der Mann und mir gehört er an.“

„Wie kannst du bloß in deinen Semestern noch so falsch zitieren“, erwiderte die Kleine. „Man sollte wirklich glauben, daß der Umgang mit gebildeten Männern auf dich nicht veredelnd einwirkt.“

„Sie sind also schon ganz veredelt, mein Fräulein“, warf Fedor lachend ein.

„Ich verbitte mir die Anzüglichkeiten“, erwiderte das Fräulein lachend. „Ich bin erst zwei Semester im Café New York, und wenn Kriegsjahre auch doppelt zählen...“

„Namentlich in der Jugend“, warf Aurelie ein.

„Kinder, laßt den Knallkümmel nicht kalt werden“, rief eine andere Hebe. „Der gütige Spender soll leben. Wir rufen mit gedämpfter Stimme: Hoch!“

Die Mädel hatten ihre Gläser ausgetrunken, die Flasche war leer. „Das war ein Tropfen auf den heißen Stein“, meinte die Kleine mit wehmütigem Blick in ihr Glas.

„Eure Freundin hat zur Bestreitung der Ausgabe einen blauen Lappen empfangen.“

„Werft das Scheusal in die Wolfsschlucht“, rief die Kleine. „Solch eine Gemeinheit, nur eine Flasche anzuschleifen, der selige Harpagon war ein Waisenknabe gegen dich, Aurelie. Ich schlage vor, wir geben dem gütigen Spender einen Kuß.“

Sie warf den Arm um ihn und spitzte ihr Mündchen. Fedor schob sie sanft zurück. „Ich verzichte händeringend auf den Genuß, du kleiner Frechdachs. Teilt euch meinetwegen in den Raub, aber laßt mich allein. Da“, er warf noch einige Markstücke auf den Tisch, „habt ihr eine kleine Abfindung.“

Er trank seinen Schoppen aus und erhob sich. Ein Mädel sprang eilfertig hinzu, um ihm in den Überrock zu helfen. Aurelie geleitete ihn bis vor die Tür. „Ich bin morgen nachmittag frei. Wohin soll ich kommen? Ich habe augenblicklich kein anderes Verhältnis.“

Fedor gab ihr einen Fingerschnips unter die Nase. „Ich verzichte mit Dank, edle Jungfrau.“

Als er in sein Hotelzimmer trat, fühlte er etwas Müdigkeit. Er befahl, um halb neun geweckt zu werden, und legte sich hin. Zur rechten Zeit stand er auf und öffnete seinen Koffer. Zu oberst lag der Anzug, den er bei Thaddis Verlobung und beim Begräbnis getragen hatte. Slotek hatte ihn so sorgfältig eingepackt, daß auch nicht die geringste Falte sich gebildet hatte. Unschlüssig nahm er ihn aus dem Koffer und legte ihn neben sich auf den Tisch. Aber der Anzug lockte. Weshalb sollte er ihn nicht anlegen? Er hatte doch das Recht dazu.

Annemarie stand unter einer Gruppe junger Mädchen. Neben ihr ein rundlicher Herr, der etwa die Dreißig erreicht haben mochte. Das dünne Haupthaar und der Schnurrbart schimmerten rötlich.

Mit dem Glockenschlag zehn trat Fedor in das Haus ein. In der Garderobe warf er seinen Pelz ab, den er um die Schultern gehängt hatte, und tat einen Blick in den Spiegel. In demselben Augenblick trat Doktor Peters ein. „Glänzend, prächtig. Das wird für meine Weiblichkeit eine nette Überraschung sein.“

War das ein Staunen und Raunen unter den Gästen, als Fedor an der Seite des Hausherrn durch die Zimmer schritt. Die mit Agraffe und Reiherfeder geschmückte Confederatka trug er im linken Arm, die hohe, breitschultrige Gestalt, den Kopf hoch aufgerichtet, der aufgewirbelte Schnurrbart, die blitzenden Augen, die krausen, schwarzen Haare und dazu noch der prächtige Anzug.

Im dritten Zimmer saß Frau Eveline. Sie erhob sich, ein flüchtiges Rot belebte ihr Gesicht. Mit gewinnendem Lächeln reichte sie Fedor die Hand, die er, sich tief verbeugend, küßte. „Ah, Herr Kaminsky, welche Überraschung.“

Aus einer Gruppe junger Mädchen ertönte ein Jubelruf: „Fedor, mein Fedor!“ Eine hell gekleidete Gestalt flog auf ihn zu und warf sich an seine Brust. Sie lachte und schluchzte zu gleicher Zeit.

„Annemarie“, erwiderte er leise und legte den Arm um sie.

Die zweite Überraschung war noch größer als die erste. Frau Eveline hatte sich schnell gefaßt. Sie stieß ihren Mann an. „Willst du nicht...?“

„Wie meinst du, liebe Eveline?“

„Was sollen die Menschen denken, du mußt doch...“

„Ach, du meinst, na denn auf deine Verantwortung. Meine verehrten Gäste“, sagte Peters laut, „darf ich Ihnen die Verlobung meiner Tochter Annemarie mit Herrn Fedor Zbigniew von Kaminsky mitteilen?“

Das Wort löste die Spannung in der Gesellschaft. Alles umdrängte das Brautpaar, um Glück zu wünschen. Annemarie warf sich der Mutter an die Brust und küßte ihr in überströmender Dankbarkeit beide Hände.

Als die erste Bewegung verebbt war und das Brautpaar sich in einen stillen Winkel zurückgezogen hatte, sah Peters seine Frau mit einem lustigen Blick an. „Ich bewundere dich, Eveline.“

„Dazu hast du gar keine Veranlassung. Ich habe stets nur das Beste meiner Tochter im Auge gehabt. Unsere Wünsche gingen zwar auseinander, aber wenn du mir gesagt hättest, daß die beiden schon so miteinander stehen, hättest du mir diese Überraschung ersparen können.“

„Ich will dir offen gestehen, daß Annemarie auch mir eine Überraschung bereitet hat. Ich habe sie allerdings erhofft. Du kennst mich doch als einen leidlich vernünftigen Menschen, der alles, was er tut, reiflich überlegt. Das habe ich auch in dieser Sache getan, und ich weiß, daß Annemarie nicht nur den Mann ihres Herzens, sondern auch einen prächtigen Menschen bekommt, dem wir sie mit voller Sicherheit anvertrauen können.“

„Wie steht er denn wirtschaftlich?“

„Er hat sich ohne meine Hilfe durchgerungen. Du kannst ganz beruhigt sein.“

Er reichte seiner Frau den Arm und führte sie auf ihren Platz zurück, wo sie von allen Seiten mit Fragen bestürmt wurde. Frau Eveline gab mit stolzer Miene Auskunft. Die romantische Jugendzeit ihres zukünftigen Schwiegersohnes unterschlug sie den Zuhörern. Sie hob um so schärfer die Tatsache hervor, daß Fedor aus polnischem Uradel stammte, der sein Geschlecht bis zur Zeit des Deutschen Ritterordens zurückführen könne. Er habe vom Vater, der vor kurzem gestorben sei, einen großen Landbesitz geerbt. Der jüngere Bruder sei Offizier in der russischen Garde und mit der Tochter des Hausministers Graf Adlersberg verlobt. Die Schwester sei an einen belgischen Grafen verheiratet.

Dann wollte man wissen, wie und wo Annemarie ihren Bräutigam kennengelernt hatte.

„Das ist eine romantische Geschichte, meine Damen. Mein Schwiegersohn weilte in dem Sommer, als sich mein Mann in Ostpreußen aufhielt, auch dort zum Studium der Landwirtschaft und Fischerei. Da hatte er Gelegenheit, Annemarie und Erich mit Einsetzung seines eigenen Lebens vom Tode des Ertrinkens zu retten. Die Kinder wurden auf dem gewaltig großen Spirdingsee von einem Gewittersturm überrascht. Da bemannte Herr Kaminsky ein Boot mit vier starken Fischern und rettete die Kinder im Augenblick der höchsten Gefahr, als ihr kleiner Kahn schon ganz voll Wasser geschlagen war. Aber das rettende Boot hatte noch schwer mit dem Sturm und den Wellen zu kämpfen, bis es in einer geschützten Bucht landen konnte.“

„Ach, wie romantisch“, rief eine alte Dame.

„Ja, sehr“, erwiderte Frau Eveline. „In den beiden jungen Herzen keimte eine Neigung empor, die jetzt zu der Verbindung geführt hat.“

Die alte Dame nickte. „Man hat es ja gesehen, daß die Liebe das junge Paar zusammengeführt hat. Es war aber doch wohl für Sie, Frau Doktor, eine Aberraschung.“

Frau Eveline lächelte. „In gewissem Sinne ja. Wir wollten die Verlobung erst auf der Höhe des Festes bekannt geben. Da hat uns Annemarie durch ihr Temperament einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

Das junge Paar bereitete der Gesellschaft noch eine Überraschung, als es zum erstenmal sich unter die Tanzenden mischte. Wie feurig und doch wie maßvoll der junge Pole tanzte. Und die älteren Damen und Herren fanden, daß das Brautpaar unstreitig das schönste Paar in der ganzen Gesellschaft sei.

Der erste, der am anderen Morgen Annemarie stürmisch beglückwünschte, war Erich. Er war mit siebzehn Jahren ein stattlicher Jüngling geworden. Seit dem Herbst besuchte er die Prima eines Realgymnasiums, an dem er die Reifeprüfung ablegen sollte. Als Fedor kam, warf er sich ihm stürmisch an die Brust. Annemarie hatte ihm erzählt, daß Fedor in polnischer Adelstracht auf dem Ball erschienen sei. Nun ließ er nicht nach, bis Fedor ihm versprach, am Weihnachtsabend dieselbe Kleidung anzulegen.

Es war der schönste Weihnachtsbaum, den Fedor im Glanz der Lichter erstrahlen sah. Annemarie hatte ihn mit dem Vater geputzt. Erwartungsvoll wie kleine Kinder saßen Erich und Fedor im Wohnzimmer, während nebenan im Saal die Geschenke aufgebaut wurden. Bei der Teilung des Familienschatzes, der noch vollzählig vorhanden war, hatte Fedor als der Älteste den kostbaren Perlenschmuck erhalten, den seine Mutter getragen. Nun hatte er ihn durch den jungen Inspektor, der zum Besuch seiner Eltern nach Hause fuhr, nach Berlin bringen lassen, um ihn unter dem Baum Annemarie zu übergeben.

Fedor hatte viel über das Weihnachtsfest der Deutschen gelesen, aber der Eindruck des mit brennenden Lichtern und bunten Glassachen geschmückten Weihnachtsbaumes übertraf doch alle seine Erwartungen. Zuerst wurde der Dienerschaft des Hauses beschert, dann führte ihn Annemarie zu dem Platz, wo die Geschenke für ihn ausgebaut waren. Was die Liebe, die über unbeschränkte Mittel verfügt, nur ersinnen kann, hatten die Eltern und Annemarie ihm beschert. Dann enthüllte Fedor das ziemlich umfangreiche Schmuckkästchen und legte seiner Braut die Perlenkette seiner Mutter um den Hals. Er wußte, während sich Annemarie ihm an die Brust warf, nicht, daß er in diesem Augenblick das Herz der Mutter ganz gewonnen hatte.

Wie im Fluge enteilten dem Brautpaar die Stunden und Tage. Zur Silvesterfeier versammelte sich ein kleiner Kreis von näheren Bekannten und Freunden des Hauses in der Villa Peters. Erich, der in Ostpreußen all die alten Gebräuche kennengelernt hatte, mit denen das junge Volk halb im Scherz und halb im Ernst die Zukunft zu ergründen sucht, füllte die letzten Stunden des Jahres mit diesen Dingen aus, die viel Anlaß zu harmlosen Neckereien gaben. Es wurde Zinn gegossen und Glück gegriffen, es wurden Kohlen geschwenkt und Mehl geschnitten. Apfelschalen, in lange Streifen geschnitten, wurden über den Rücken geworfen und gaben durch ihre Form den Vornamen des Zukünftigen an. Als um zwölf Uhr die Glocken auf dem Kirchturm erklangen und das Prosit-Neujahr-Rufen auf den Straßen einsetzte, stieß man mit den gefüllten Gläsern an. Annemarie hatte sich an ihren Schatz gelehnt und sah mit feuchtschimmernden Augen zu ihm auf. Sie war wunschlos glücklich. Das Jahr, das eben begann, sollte ihr das höchste Erdenglück bringen. Zum Herbst schon sollte die Hochzeit sein. Vorher wollte die ganze Familie Peters auf einige Zeit nach Kornatowo zum Besuch kommen.

Acht Tage nach Neujahr fuhr Fedor ab. Vorher hatte Peters mit ihm eine lange Unterredung. Meyhöfer hatte einen sehr ausführlichen Entwurf für die zukünftige Wirtschaftsführung in Kornatowo und einen Kostenanschlag geschickt. Das Geld dazu gab Peters. Der Gräfin Alexandrine sollte nach der Hochzeit das Kapital zurückgezahlt werden, das sie Fedor zur Verfügung gestellt hatte.

Als Fedor durch Ostpreußen fuhr, war dort der Winter mit all seiner Macht und Pracht eingekehrt. Die Felder lagen unter einer fußhohen Schneedecke, und auch die dunklen Nadelwälder trugen weiße Bänder. In Polen war noch mehr Schnee gefallen. Der Schloßpark sah wundervoll aus. Der Vollmond stand hoch am Himmel und warf silberne Bänder durch die von Schnee verhüllten Baumwipfel zur Erde. Langsam stampften die beiden starken Gäule durch den tiefen Schnee. Meyhöfer hatte Fedor an der Bahn erwartet und erzählte ihm auf der Fahrt, was inzwischen in Kornatowo geschehen war. Die überzählige Dienerschaft war entlassen worden, auch der französische Koch, der ein höheres Gehalt bezogen hatte als der Oberinspektor.

„Sie Heimtücker“, sagte Fedor lachend, „ich habe mit Ihnen noch ein Hühnchen zu rupfen. Sie haben meinem Schwiegervater heimlich über alles, was in Kornatowo geschah, Bericht erstattet, und der alte Spitzbube, der Slotek, hat Ihnen die Nachrichten aus dem Schlosse zugetragen.“

„Es geschah aus treuem Herzen“, erwiderte Meyhöfer ruhig. „Es konnte vielleicht nötig werden, daß Herr Peters hier plötzlich erschien und eingriff, aber mit Ihrem Sieg über Sumbrowski war der Kampf entschieden.“

23. Kapitel

Von Tag zu Tag nahm die Wolfsplage immer mehr überhand. Die Wölfe streiften in Rudeln von sechs bis zehn Stück umher und überfielen am hellen Tage Fuhrwerke. Nachts brachen sie bei den Bauern in die Ställe ein und zerrissen Kälber und Kühe. Die Bauern, die keine Schußwaffen benutzen durften, ersuchten den Landrat um Absendung eines Jagdkommandos. Fedor hatte sich die Lauerhütte instandsetzen lassen, aus der schon sein Vater in früheren Jahren Wölfe geschossen hatte. Im Sommer bestand die Hütte aus einem leeren Stangengerüst, im Winter, wenn der kleine See, an dem sie lag, zufror, und das Rohr und die Binsen als Streu gemäht waren, wurde das Gerüst mit einem Streuhaufen bekleidet. Vorn blieb eine aus Brettern zusammengeschlagene Schießscharte, hinten ein niedriges Loch zum Hineinkriechen, das mit einem umschnürten Bündel Streu geschlossen wurde. Der Boden in der Hütte war mit Streu und einer alten Pelzdecke belegt. Dreißig Schritt vor der Schießscharte wurde der Kadaver eines eingegangenen Pferdes als Köder ausgelegt.

Im Abendgrauen begab sich Fedor, mit einem Drilling bewaffnet, in die Hütte. Er legte sich lang hin und steckte das gespannte Gewehr durch die Schießscharte. Stunde um Stunde verrann, ohne daß sich die Wölfe blicken ließen. Etwa um zwei Uhr fanden sich zwei Füchse ein, die mit großer Anstrengung von dem gefrorenen Kadaver kleine Stücke abrissen, die sie gierig verschlangen. Fedor amüsierte sich dabei, denn er sah in dem hellen Mondschein, daß sie die steinharten Stücke nur mit großer Mühe herabwürgten.

Aber auf die Dauer wurde ihm das Gebaren der Füchse langweilig. Er schob sein Gewehr langsam vor und wollte einen oder beide Füchse erschießen und sich dann nach Hause begeben. Plötzlich wurden beide Füchse unruhig und verschwanden wie der Blitz. Fedor meinte, er habe sie durch die Bewegung des Gewehrs verscheucht. Noch einen Blick tat er durch die Schießscharte. Da gewahrte er etwa fünfzig Schritt von dem Kadaver entfernt am Rande einer niedrigen Schonung einen Wolf. Vor ihm hatten die Füchse Reißaus genommen, denn Isegrimm verschmäht es nicht, seinen kleinen Vetter zu verspeisen, wenn er ihn erwischen kann. Die Tiermärchen, die von einem gemeinsamen Jagen der beiden Vettern fabeln, stellen damit die Natur auf den Kopf.

Der Grauwolf, ein starker Rüde, stand lange unbeweglich und äugte nach der Hütte und dem Kadaver hinüber. Offenbar traute er dem Frieden nicht. Dann setzte er sich, wie ein Hund, auf die Keulen und wiegte den Oberkörper hin und her. Aber der Hunger war stärker als sein Mißtrauen. Er erhob sich und schnürte auf den Kadaver zu. In demselben Augenblick erschien von der Seite her ein zweiter Wolf. Die beiden Grautiere knurrten sich erst an, dann machten sie sich gemeinsam über den Kadaver her. Fedor, der schon das Gewehr an der Backe hatte, wartete kaltblütig, bis die beiden Köpfe ihm zugewandt und dicht beieinander waren. Dann machte er den Finger krumm. Der eine Wolf blieb im Feuer, der andere schleppte sich noch einige Schritt fort, dann legte er sich um.

Fedor freute sich unbändig. Das waren die ersten großen Raubtiere, die er erlegt hatte. Er zog das Bündel aus der hinteren Öffnung und kroch hinaus. Vom Schloß her nahte schon der Schlitten, der angespannt auf den Schuß als Signal gewartet hatte. Fedor warf die Wölfe hinein und fuhr heim.

Am anderen Morgen erschien das Jagdkommando unter der Führung des Rittmeisters Protassow, fünf Offiziere und zwanzig Unteroffiziere, die besten Schützen des Regiments, die schon manchen Wolf erlegt hatten. Hunderte von Bauern, die vorher durch den Landrat benachrichtigt waren, fanden sich als Treiber ein. Zuerst wurde der Park getrieben, nachdem ein Unteroffizier festgestellt hatte, daß mehrere Wölfe hineingewechselt waren. Sie kamen zu Schuß und wurden erlegt. Dann ging es weiter in den früheren Gutswald, von dem nur die Schonungen übriggeblieben waren. In den niedrig gelegenen, sumpfigen Stellen, wo zwischen dem Gestrüpp dichtes Rohr wuchs, pflegten sich die Wölfe mit Vorliebe zu verstecken.

Am Abend kehrten die Schützen mit neun Wölfen als Beute zurück. Am nächsten Morgen sollte weiter, getrieben werden.

Die russischen Offiziere, die schon um drei Uhr von Kowno aufgebrochen und den ganzen Tag auf den Beinen gewesen waren, begaben sich nach dem Abendessen bald zur Ruhe. Einige junge polnische Edelleute, unter ihnen auch Krasicki, blieben noch eine Weile in reger Unterhaltung sitzen. Fedor wurde ausgefragt, ob man in Berlin vom Kriege spreche. Er erwiderte, daß kein einziger der vielen Männer, die mit ihm zusammengetroffen seien, darunter hohe Beamte und Offiziere, das Wort Krieg ausgesprochen hätten.

„Das kann auch Vorsicht Ihnen gegenüber gewesen sein“, meinte Krasicki.

Fedor schüttelte lachend den Kopf. „Mißtrauisch ist man in Deutschland nicht, da kann man mit jedem Menschen frei und offen über alles sprechen und seine Meinung heraussagen, ohne irgendwelche Folgen befürchten zu müssen. Nein, in Deutschland denkt kein Mensch an den Krieg. Man vertraut der ausgesprochenen Friedensliebe des Kaisers.“

„Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt“, zitierte ein junger Edelmann.

Als die Gäste sich eben anschickten, Abschied zu nehmen, erschien Graf Walewski. „Ich bitte um Verzeihung, daß ich noch so spät bei Ihnen eindringe, Herr Kaminsky. Ich komme eben von Smilowo.“

„Sie bringen schlechte Nachrichten, ich sehe es Ihnen an“, rief Krasicki.

„Nehmen Sie Platz, ich werde Ihnen ein Glas Wein eingießen. Darf ich Ihnen etwas zu essen bringen lassen?“

„Ich danke gehorsamst, Fräulein Lenore war so gütig, mich satt zu machen. Ja, meine Herren, ich bringe schlechte Nachrichten, die auch Sie, Kaminsky, nahe angehen. Also zuerst, Graf Adlersberg ist in tiefste Ungnade gefallen und auf seine Güter verbannt.“

„Das wird allerdings meinem Bruder Thaddi sehr unangenehm sein“, meinte Fedor nachdenklich.

„Verzeihen Sie, lieber Kaminsky, daß ich Ihnen widerspreche. Ihr Bruder Thaddi... es wird mir schwer, Sie mit der Nachricht zu überrumpeln. Ich sehe, daß Sie noch nichts wissen...“

„Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Herr Graf.“

„Nun denn, Ihr Bruder Thaddi ist tot. Er ist im Duell mit einem Kameraden gefallen.“

Fedor schloß wie betäubt die Augen und faßte sich nach der Stirn. „Mein Bruder Thaddi tot... im... Duell... gefallen. Davon würde mich meine Schwester doch sofort benachrichtigt haben.“

„Das ist wohl anzunehmen. Das Telegramm kann aber aus irgendeinem Grunde aufgehalten worden sein. Graf und Gräfin Villiers sollen an demselben Tage abgereist sein. Wie man vermutet über Finnland nach Schweden.“

„Das ist mir ganz unerklärlich“, warf Fedor ein.

„Es soll am Petersburger Hof eine sehr einflußreiche Persönlichkeit sein, die an der Verlobung Ihres Bruders mit der Gräfin Alexandrine Anstoß genommen hat. Und da Ihre Schwester diese Verlobung zustande gebracht hat, hielt sie es für besser, Petersburg sofort zu verlassen, als der Günstling des Zaren infolge des Duells seines zukünftigen Schwiegersohns in Ungnade gefallen war.“

Fedor schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht begreifen, daß in Rußland mit dem Fall eines Günstlings alle, die mit ihm in naher Beziehung standen, gefährdet waren.

„Aus welcher Ursache hat denn das Duell stattgefunden?“

„Ja, lieber Kaminsky, wenn ich Ihnen das mitteilen soll, muß ich jede Verantwortung dafür ablehnen. Ich habe die Nachrichten von meinem Bruder, der eigens deshalb nach Warschau gekommen ist, um sie mir zu überbringen. Sie sind, wie ich Ihnen versichern kann, vollkommen authentisch. Ihr Bruder ist mit einem Kameraden bei einer Kneiperei in einen Wortwechsel geraten, und sein Gegner, der nicht mehr nüchtern war, hat ihm die Beleidigung ins Gesicht geschleudert, daß er die Geliebte eines Großfürsten heiraten werde. Ihr Bruder hat die Beleidigung sofort durch Tätlichkeiten erwidert, bis man die Gegner trennte. Am nächsten Morgen fand das Duell unter den schwersten Bedingungen statt. Ihr Bruder fiel. sein Gegner, ein Fürst Arussow, ist schwer verwundet. Beide hatten gleichzeitig geschossen.“

Fedor hob langsam den Kopf. „Herr Graf, ich bitte, mir offen zu sagen, ob an der furchtbaren Beleidigung irgend etwas Wahres ist.“

Relata refero, mein lieber Kaminsky, wenn ich Ihrer Bitte nachkomme. Vor etwa zehn Jahren ging, wie mir mein Bruder bestätigt hat, in der Petersburger Gesellschaft das Gerücht um, daß Großfürst Constantin Mchailowitsch an der damals siebzehnjährigen Gräfin Alexandrine Pawlowna Adlersberg Gefallen gefunden habe, und daß Graf Adlersberg die Annäherung des Großfürsten begünstigt habe in der Hoffnung, daß es zu einer legitimen Verbindung führen würde. Die Folge war zunächst ein Junge, der jetzt acht Jahre sein soll und in Frankreich erzogen wird. Die Beziehungen scheinen aber weiter bestanden zu haben.“

Fedor hatte mit halbem Ohr zugehört. Jetzt fuhr er aus tiefem Sinnen auf. „Glauben Sie, Herr Graf, daß mein Bruder auch nur die geringste Ahnung von der Vergangenheit seiner Braut gehabt hat?“

Graf Walewski streckte ihm die Hand hin. „Nein, lieber Kaminsky, das ist völlig ausgeschlossen. Wir alle, die wir Thaddi hier unter unseren Augen haben aufwachsen sehen, auch Sie, Krasicki, werden mir das bestätigen, halten Thaddi für unfähig, sich zu erniedrigen. Er hat sich durch die Heirat rangieren und sich durch den einflußreichen Schwiegervater eine schnelle Karriere sichern wollen. Das ist etwas, was man einem Gardeoffizier, der über geringe Mittel verfügt, nicht zu verübeln pflegt. Er hat seine Arglosigkeit mit seinem Leben bezahlen müssen. Wir bewahren ihm ein ehrenvolles Andenken.“

„Ich bin noch nicht am Ende meiner schlechten Nachrichten“, fuhr der Graf nach einer Weile fort. „Mit dem Fall des Grafen Adlersberg ist die deutsche Partei am Kaiserhof eingeschüchtert und kleinlaut geworden. Die Militärpartei erhebt um so kühner das Haupt. Sie wissen, daß Nikolai Nikolajewitsch an ihrer Spitze steht, der rücksichtsloseste Mann, den es je gegeben hat. Er legt nicht den geringsten Wert darauf, uns Polen für den Fall eines Krieges mit Deutschland günstig zu stimmen. Er verlangt nur durch Furcht erzwungenen Gehorsam, und sofort ist der Wind gegen uns umgeschlagen. Staatsrat Tolpiga, wir kennen ihn doch alle, hetzt gegen uns. Mein Bruder hat das alles durch einen Beamten im Ministerium erfahren, der mit einer Polin verheiratet ist, die meinem Bruder noch von ihrer Jugend her wohlgesinnt ist. Wir bekommen hier als Naczelnik einen Schützling Tolpigas, der uns mit der Knute regieren soll, Wassilij Nikolajewitsch Wosnessenskij. Auch Sie. Kaminsky, geht diese Nachricht an. Es soll eine Untersuchung gegen Sie eingeleitet werden.“

„Eine Untersuchung gegen mich? Was soll ich denn verbrochen haben?“

Graf Walewski zuckte die Achseln. „Fahren Sie morgen früh zu Sergei Feodorowitsch, wenn er noch im Amte ist, und bewaffnen Sie sich mit einigen größeren Scheinen, er ist für alles zu haben. Er wird Ihnen einen Paß ausstellen, mit dem Sie über die Grenze kommen. Lassen Sie alles gehen und stehen, und retten Sie sich nach Deutschland. Sie haben als Fedor Poranski Ihre Militärpflicht nicht völlig abgeleistet. Das hat der Hund, der Sumbrowski, der russischen Regierung gesteckt.“

Am nächsten Morgen entschuldigte sich Fedor bei den russischen Offizieren, die zur Jagd aufbrachen, mit dringenden Geschäften und fuhr nach Kowno. Sergei Feodorowitsch empfing ihn mit einem bekümmerten Gesicht. „Sie wissen jedenfalls schon alles, mein lieber Herr Kaminsky. Es tut mir leid, daß man den Sohn eines Freundes unserer Regierung nicht verschonen will. Aber Sie stehen im Verdacht, für die deutsche Regierung zu spionieren.“

„Das liegt mir vollkommen fern. Ich bin nur gekommen, um Sie als Freund meines Vaters zu fragen, ob Sie es für nötig halten, daß ich mich für einige Zeit nach Deutschland begebe?“

„Es ist die dringendste Notwendigkeit. Sie müssen weg sein, wenn morgen mein Gehilfe Wosnessenskij mit Geheimvollmacht eintrifft. Ich werde Ihnen eigenhändig einen Paß ausstellen. Sie fahren nicht über Wirballen, sondern über Warschau und Kalisch.“

Während Sergei Feodorowitsch sich an den Schreibtisch setzte, legte Fedor ein Kuvert, das einen Tausendrubelschein enthielt, neben ihn. Der Naczelnik nickte, „hier ist der Paß. Gott gebe, daß Sie damit glücklich über die Grenze kommen. Kornatowo wird morgen von der Regierung beschlagnahmt. Sie sind seinerzeit für tot erklärt worden, und diese Erklärung hat Ihr Vater nicht aufheben lassen. Sie sind also für unser Gericht tot und können kein Gut besitzen. Ich danke Ihnen, daß Sie meine Versetzung nach Sibirien durch die Beziehungen Ihres Bruders haben rückgängig machen lassen. Das war wohl die letzte gute Tat des Grafen Adlersberg. Jetzt stehe ich unter der Fuchtel des Staatsrats Tolpiga, der mich damit bestraft, daß er mich als Werkzeug für seine Pläne gegen Ihre Landsleute gebraucht. Gehen Sie mit Gott, Zbigniew. Ihr Vater war mir ein guter, lieber Freund.“

Während der Landrat sprach, hatte Fedor schon überlegt. Zuerst fuhr er zur Kreditbank und hob den größten Teil seines Guthabens ab. Dann fuhr er zum Magazin Fiorentini und ließ sich bei Goldberg melden. Er wurde sofort vorgelassen. „Ich habe keine Zeit zu verlieren, Herr Goldberg.“

„Ich weiß schon alles, Herr Kaminsky.“

„Nun denn, halten Sie es für möglich, noch heute den Rest meines Guthabens von der Kreditbank abzuheben?“

„Weshalb nicht, wenn Sie mir eine Anweisung geben.“

Gegen Mittag war er in Kornatowo. Er ging sofort zu Meyhöfer. „Ich muß sofort weg. Ich habe mich mit der russischen Regierung erzürnt, und das ist nicht gut, wenn man in Rußland wohnt. Ich werde heute nachmittag einige Kisten packen, die Sie morgen in aller Frühe in das Magazin Fiorentini schicken. Bei Dunkelwerden komme ich zu Ihnen und fahre von Ihrem Hause ab. Die starken Braunen und einen zuverlässigen Menschen. Was Sie retten können, schaffen Sie beiseite, zu Graf Walewski und Krasicki. Ihr Jahresgehalt übergebe ich Ihnen hiermit. Meine Adresse in Berlin wissen Sie. Widmen Sie sich heute abend den russischen Offizieren. Was vom Wein übrigbleibt, lassen Sie nachts in Ihren Keller schaffen. Für die Naturalien halten Sie sich möglichst schadlos. Morgen wird Kornatowo von der russischen Regierung annektiert. Es wäre mir lieb, wenn Sie möglichst viel beiseite schaffen könnten.“

Als es dunkelte, fuhr Fedor in die Nacht hinein. Er hatte nur einen Koffer und ein Gewehr bei sich. Während der Schlitten lautlos über den Schnee glitt, man hörte nur das Trappsen der Pferde, kamen die schweren Abschiedsgedanken über ihn. Er, der Letzte seines Geschlechts, floh bei Nacht und Nebel aus dem Stammsitz seiner Väter.

Zwanzig Werst von Kornatowo stieg er auf einer kleinen Station in den Zug, der ihn nach Warschau brachte. Ohne Aufenthalt fuhr er durch bis zur Grenze. Er fühlte sich erst sicher, als er deutschen Boden unter den Füßen hatte. Wie Spinnweben fielen die Gefühle von ihm ab, die ihn in den letzten Monaten umgarnt hatten. Nein, er wollte nicht Pole bleiben, auch nicht in seinem Herzen. Mit ganzer Kraft wollte er sich an Deutschland anschließen, das ihm die Freiheit und das Glück seines Lebens geschenkt hatte.

Die Familie Peters saß gerade bei Tisch, als Fedor eintrat. Mit einem Jubelruf warf sich Annemarie an seine Brust. Er löste sanft ihre Hände von seinem Nacken. „Annemarie, ich komme als heimatloser Flüchtling, ebenso arm wie damals, als ich über die Grenze lief.“

„Gott sei Dank, ich habe mich im stillen davor gegraut, dir nach Rußland zu folgen.“

„Ja, Gott sei Dank“, rief auch Peters, „die polnische Episode, durch die du hindurch mußtest, ist schneller zu Ende gegangen als ich hoffte. Nun bist du wohl von den Anwandlungen und Aufwallungen des Herzens, die dich zu deinen Landsleuten zogen, für immer geheilt. Jetzt bist du erst ganz unser.“


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