Fritz Skowronnek Garbata Der Kawaljer


Garbata. Der Kawaljer.

Zwei masurische Geschichten von Fritz Skowronnek

Leipzig.

Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.

Garbata

Wie ein Schleier aus tausend Perlen lag der Tau auf dem Grase. Noch vor der Sonne war der Morgenwind ausgestanden und hatte die leichten Tropfen von den Sträuchern geschüttelt. Nur im Grase lagen sie noch dicht beieinander, und der Fuchs, der über die Wiese schnürte, vom aufgeregten Geschrei der Kiebitze verfolgt, mußte von Zeit zu Zeit stehen bleiben, um die Tropfen aus der Standarte zu schütteln. Die Singvögel sangen nicht mehr an diesem Morgen, denn es war bereits nach Johanni. Nur die Lerche jubilierte noch im Himmelsblau, und ab und zu rief auch der Kuckuck seinen Namen. Aber häufiger als sonst schloß er sein Rufen mit einem kullernden Lachen — das beste Zeichen seines baldigen Verstummens.

Am Bergeshang tummelte sich ein alter Hase im weichen Sande, wälzte sich auf dem Rücken oder rieb langgestreckt seinen weißen Leib auf dem Erdboden, um das vom Tau durchnäßte Fell zu trocknen, ehe er sich zur Tagesruhe unter die tief herabhängenden Äste einer Fichte einschob. Da, jetzt hebt er die langen Löffel, horcht einen Augenblick und verschwindet dann mit einem Satz im dichten Gebüsch. Sein feines Gehör hat die leichten Schritte vernommen, mit denen Garbata den Fußpfad über den Berg daher gewandert kommt. Die Röcke hat sie hoch geschützt, die Strümpfe und Schuhe ausgezogen und über den linken Arm gehängt, an dem schon eine umfangreiche schwarze Handtasche baumelt. In der Rechten trägt sie ausgespannt einen großen Schirm, unter dem die kleine Gestalt wie unter einem Dach dahinschreitet.

Auf den ersten Augenblick sah die ganze Person furchtbar komisch aus. Man hatte das Gefühl, als könne sie sich plötzlich um mehr als Kopfeslänge emporrichten, wenn sie nur wollte. Aber sie konnte es nicht, selbst wenn sie gewollt hätte! Denn sie war verwachsen, nach dem Sturz, den sie als sechsjähriges Kind vom beladenen Heuwagen getan hatte. Der Rücken hatte sich zu einem Buckel gewölbt, und der Kopf war zwischen die emporstehenden Schultern hinabgesunken. Seitdem nannte sie jeder „Garbata“, die Bucklige, und mancher wußte gar nicht mehr, daß sie eigentlich Lowisa Mottek hieß. Sie selbst mußte sich ja manchmal darauf besinnen, wenn sie ihren Namen zu schreiben hatte, was allerdings nicht oft vorkam, höchstens alle Jahre ein- oder zweimal, wenn sie einen säumigen Zahler an den kleinen Tagelohn erinnern mußte, den sie mit ihrer Nadel verdient hatte.

Trotz des Mißgeschicks war ihr Gemüt frisch und fröhlich geblieben. Sie war das, was man in Ostpreußen ein „lustiges Flick“ nennt. Wenn sie des Abends mit den Mädchen des Dorfes spazieren ging, war sie stets der Mittelpunkt der ganzen Schar. Sie konnte viele schöne Lieder singen, und ihre Stimme klang so rein und klar, daß die Bauernsöhne, die vor den Haustüren standen und in beschaulicher Ruhe ihre Pfeife tauchten, mit Vergnügen zuhörten. Und manch einer meinte: „Schade, daß sie bucklig ist!“

Die Burschen hatten recht, wenn sie das sagten, denn Garbata hatte ein feines Gesicht mit frischen Farben, schönes blondes Haar, das wie ein Diadem auf ihrem Kopfe lag, und blanke Augen, aus denen der Schalk sprach, der in ihr steckte. Nichts von Grämlichkeit oder Verbissenheit!

Auch heute sah sie mit froh leuchtenden Augen in die Welt. Zu ihren Füßen dehnte sich das weite Tal mit grünen Wiesen und wogenden Kornfeldern. Drüben auf der andern Seite lag das Dorf Rakowen mit seinen weißen Häusern. Dahinter hoben sich wieder die Berge und auf ihnen der tiefblau schimmernde Wald, der rings den Horizont umsäumte.

Auf der Wiese da unten schwang ein einsamer Schnitter die Sense. Bei jedem Schwung der Arme blitzte das Eisen im Strahl der Morgensonne. Mit scharfem Auge hatte Garbata ihn erkannt; es war der alte Rostek, ihr ehemaliger Vormund, bei dem sie nach dem frühen Tode ihrer Eltern aufgewachsen war, bis sie in die Stadt ging, um die Schneiderei zu lernen. Schon von weitem rief sie ihm fröhlich einen „Guten Morgen“ zu. Der Alte stieß die Sense mit dem Stiel in den weichen Boden und kam zum Wege.

„Ah, guten Morgen Garbata! Schon so früh unterwegs.

Zu wem gehst du heute nähen?“

„Zu Euch, Ohmchen, zu Euch.“

„Das ist gut, mein Kind, daß du kommst. Wir haben keinen Knopf mehr an den Hemden.“

„Das habe ich mir schon gedacht. Na, und wie geht es sonst mit der Gesundheit?“

„Wie soll es gehen? Du weißt doch: alter Mann ist wie ein Schatten. Springt er über den Zaun, dann ist er auf der anderen Seit'!“

„Na, na, Ohmchen, du wirst noch lange nicht über den Zaun springen.“

„Ach, Kind, es wär' Zeit, daß ich den Löffel weglegte und dorthin gebracht würde.“ Er wies mit der Hand nach den Bergen, wo der Friedhof des Dorfes lag. „Ist das eine Wirtschaft, zwei Männer ohne Frau im Hause?“

„Nein Ohmchen, das ist keine Wirtschaft! Einer von Euch muß heiraten, du oder der Ludwig.“

Sie hatte es mit so komischem Nachdruck gesagt, daß der Alte laut auflachen mußte. „Du hast recht, Garbata, aber ich muß es schon dem Ludwig überlassen. Er ist heute mit dem fetten Schwein zur Stadt gefahren. Die Zinsen müssen bezahlt werden, und wir haben noch nicht das Geld zusammen. Aber nun mach', daß du weiter kommst, und sieh nach dem Rechten. Die Margellen schleppen uns alles aus dem Hause.“

Er nickte ihr freundlich zu und sah ihr nach, wie sie hurtig davonschritt. Schade, daß sie bucklig ist und kein Geld hat! Das wäre eine Frau für den Ludwig, wie sie im Buche steht. Mit dem Geld, das wär' noch nicht das Schlimmste. Wenn sie gut wirtschaften, dann könnten sie auch so durchhauen, aber `ne bucklige Frau? Er zog den Schleifstein aus dem Köcher und strich bedächtig die Sense. Seine Blicke folgten noch immer der Garbata. Sie war jetzt an dem Bach angelangt, der durch die Wiesen floß. Ohne zu zögern schritt sie durch die Furt, auf welcher die Wagen durchführen, und verschmähte den Umweg, der sie auf großen Feldsteinen trockenen Fußes hinübergeführt hätte. Dann setzte sie sich auf einen Stein am Wege, zog Strümpfe und Schuhe an, ließ die geschürzten Röcke herabfallen und schloß den Schirm. Sie konnte doch nicht wie eine Scharwerksmargell durchs Dorf wandern!

Es war wirklich eine heillose Wirtschaft bei den Rosteks. Aus allen Ecken und Winkeln, aus Schränken und Kasten mußte Garbata die Wäsche der beiden Mannsleut zusammensuchen. Kopfschüttelnd stellte sie fest, daß von dem Tischzeug eine ganze Menge seit ihrem letzten Hiersein verschwunden war. Dann ging sie durchs Haus. Die Honigtöpfe in der Giebelstube leer, von dem zu Ostern geschlachteten Schwein nur noch ein einziger Schinken und eine halbe Speckseite. Auf dem Hof sah's nicht besser aus. Die Kälber waren mager und verkommen. Geschlagen wurden sie auch, denn sie drängten sich scheu, als die Stalltür geöffnet wurde, im Hintergrund zusammen. Eine einzige Glucke mit sechs Küchlein schien auf dem Hof zu sein. Natürlich war das ganze Federvieh im Garten und fraß die Stachelbeeren ab.

Was war aus dem schönen Anwesen nach dem Tode der alten Bauernfrau geworden! Eine Lotterwirtschaft. Die Männer waren daran nicht schuld; sie waren beide fleißig und nüchtern, aber die Frau fehlte, die das Ganze zusammenhielt. In jeder Woche konnten Eier und so und so viel Pfund Butter verkauft werden, ein paar Schock junge Hühner mußten alljährlich groß werden, und auf dem großen Dorfteich mußten sich die Enten und Gänse dutzendweise tummeln. O ja, sie würde schon wirtschaften können, wenn sie auch nur eine Schneiderin war. Hier auf diesem Hof hatte sie es ja gelernt bis zu ihrem neunzehnten Jahre, ehe sie in die Stadt ging.

Der Hof war schwer belastet, denn der junge Besitzer hatte vier Geschwister auszuzahlen, und ihr Erbteil war nicht zu gering bemessen. Trotzdem konnte er auch mit einer Frau ohne reiche Mitgift auskommen, wenn sie ordentlich wirtschaftete. Und der Ludwig war ein so guter, ruhiger Mensch, den konnte ein kleines Kind lenken. Aber — hier brachen ihre Gedanken ab. Die luchternen Augen wurden traurig, und um ihren Mund zuckte es, als sie leise das eine Wort vor sich hinsprach: Garbata.

Zum erstenmal stieg in ihrem Herzen das Gefühl der Bitterkeit auf. Zum erstenmal haderte sie mit dem Schicksal, das ihr die Mißgestalt auf den Lebensweg mitgegeben hatte. Wenn sie mit geraden Gliedern ausgewachsen wäre, dann hätte sie wohl schon lange einen tüchtigen Mann bekommen, einen Handwerker oder kleinen Beamten. Aber jetzt? Jetzt pilgerte sie von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof, heimatlos. Selbst ihr Name war ihr beinahe verloren gegangen. All die Jahre war ihr nichts dabei eingefallen, daß jedermann sie mit dem Wort rief, das ihr körperliches Gebrechen bezeichnete. Jetzt mit einem Male empfand sie es aber wie einen Schimpf, als eine der Margellen den Kopf zur Tür hereinsteckte und harmlos fragte: „Garbata, was sollen wir zu Mittag kochen?“

„Weißt du nicht, wie ich heiße?“

Das Mädel schüttelte verwundert den Kopf. „Ich bin ja nicht aus dieser Gegend.“

„Na, dann merk dir's! Ich heiße Lowisa Mottek.“ Im nächsten Augenblick schon bereute Garbata, was sie eben getan hatte, denn die Margellen lachten in der Küche laut auf und riefen sich spöttisch zu: „Du, hörst du, jetzt müssen wir immer Fräulein Mottek sagen.“

Als Ludwig Rostek gegen Abend vom Markte heimkehrte, hatte Garbata ihr inneres Gleichgewicht wieder gefunden. Erst hatte sie zwei Tränen vergossen, die ihr wider Willen über die Backen liefen, und dann in sehr energischem Tone „Dummes Frauenzimmer!“ gesagt. Aber sie hatte damit nicht die Margell in der Küche, sondern sich selbst gemeint.

Die beiden Mannsleut waren am Abend sehr vergnügt. Der Tisch war sauber mit einem weißen Linnen gedeckt, und es stand etwas Gutes zu essen darauf, wie sie es schon seit Monaten nicht gehabt hatten. Der Sohn hatte das Schwein gut verkauft, das Geld für die Zinsen war im Hause, und bei der guten Ernte, die zu erhoffen war, kam man auch über den Oktobertermin ohne Schwierigkeiten hinweg.

Als der Tisch abgeräumt war, nahm der Alte seine Pfeife und ging zum Nachbar, mit dem er eine Gemeindesache zu besprechen hatte. Im Abgehen blinzelte er mit einem Auge — das andre hatte er zugekniffen — dem Sohn zu und wies mit einem Nicken des Kopfes auf die Bucklige. Sie hatte das Manöver wohl bemerkt und ahnte auch, was die beiden im Schilde führten. Und richtig: nach einigem Hin- und Herreden über gleichgültige Dinge rückte Ludwig mit dem Anliegen heraus, Garbata möchte eine Zeitlang im Hause bleiben und ihnen die Wirtschaft führen.

„Du hast doch heute gesehen“, fuhr er dringender fort, „wie das bei uns zugeht. Kein ganzes Hemd auf dem Leib, kein vernünftiges Essen auf dem Tisch, und was die Margellen in der Schürze wegtragen, davon kann eine arme Familie leben. Das geht doch nicht so weiter.“

„Nein, Ludwig, aber weshalb bringst du nicht eine Frau ins Haus?“

„Willst du mir eine besorgen, die auf diesen Hof geht? Die ihr Geld hier hineinsteckt, um meine Geschwister auszuzahlen?“

„Nanu, das müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn solch forscher, junger Kerl, wie du, keine Frau bekommen sollte.“

„Das ist leicht gesagt, Garbata. Aber frag' mal bei einem reichen Bauer an, ob er mir sein Kind gibt. Weißt was sie sagen? Die Margell braucht sich nicht in der Landwirtschaft zu quälen, die hat Geld, die kann einen Beamten in der Stadt oder einen Kaufmann heiraten.“ Das hat mir noch heute der Wnuk aus Dlugossen gesagt. Du kommst ja überall herum, besorg mir doch eine Frau. Aber sie muß nicht auf dem Klavier spielen und aus dem Buch kochen, wie die Anna Joswig, die der Kochann aus Mostolten geheiratet hat. Der lief heute in der Stadt herum und suchte die zweite Hypothek, und im nächsten Jahre kommt die dritte.“

Er hatte sich in Eifer geredet und ging mit großen Schritten in der Stube auf und ab. Garbata ließ ihre Näharbeit, an der sie eifrig stichelte, in den Schoß sinken und fragte halblaut: „Muß es denn durchaus eine Frau mit viel Geld sein? Wenn sie nur ordentlich und in der Wirtschaft gut beschlagen ist, dann könntet ihr auch so durchkommen.“

„Ja, gewiß, Garbata. Aber es wundert mich doch, daß du mir das sagst, denn du bist viel klüger als alle andern Frauenzimmer. Nun rechn' mal: wenn meine Geschwister mich nicht drängen und mich kein Unglück trifft, dann kann ich in zehn bis fünfzehn Jahren 'rausgewirtschaftet haben, was ich auszuzahlen habe. Und dann? Dann habe ich noch fünfzehn Jahre — hoch gerechnet — vor mir, denn ich bin so ziemlich dreißig Jahre alt. Da bringe ich nicht so viel zuwege, wie mein Vater geschafft hat. Und was wird dann das Kind tun, dem ich einmal die Wirtschaft übergebe?“

Garbata hatte schon längst den Kopf auf die Arbeit gesenkt. Ohne daß sie es wußte, warum, waren ihr ein paar Tränen aus den Augen gekullert. Jetzt blieb Ludwig vor ihr stehen und strich ihr mit der Hand zärtlich über das Haar.

„Du bist eine treue Seele, Gar— Lowisa.“

Er wußte selbst nicht, weshalb es ihm in diesem Augenblick unmöglich war, sie „Garbata“ anzureden.

***

Sie war bei den Rosteks geblieben und hatte die Schneiderei an den Nagel gehängt, das heißt nur vorläufig für ein Vierteljahr. Lachend hatte sie erklärt, sie wisse ja selbst nicht, ob sie noch eine Wirtschaft führen könne. Aber sie konnte es. Sie verstand sogar, sehr energisch durchzugreifen, wo es nötig war. Die Margellen hatten sie nicht ein einziges Mal mehr Garbata genannt, sondern Fräulein Mottek. Und die beiden Männer sagten Lowisa zu ihr. Erst hatte es nur der Ludwig getan und dann auch der Alte. Es war, als wenn alle vergessen hatten, daß sie bucklig war, und sie selbst auch.

Die Ernte war eingebracht. Die polnischen Arbeiter rüsteten sich zum Abzug. Auf der Tenne klapperten die Dreschflegel im Dreischlag, und die Spatzen saßen, wie an der Schnur gereiht, aus dem langen Torbalken und zankten sich um jedes Körnchen, das aus der Scheune sprang.

Auch Garbata dachte daran, ihr Bündel zu schnüren, Aber es wurde ihr schwer, den Entschluß zu fassen. Sie hatte es nicht leicht gehabt in diesen Monaten, sie hatte sogar mehr gearbeitet, als wenn sie mit ihrem Bügeleisen und ihrer Nadel von Haus zu Haus gezogen wäre. Und wahrscheinlich hätte sie mit der Schneiderei auch mehr verdient als mit dem Wirtschaften. Nur eins hätte sie während der Zeit nicht gehabt: das Gefühl des Geborgenseins. Ihr war, als hätte sie jetzt ein Heim, in das sie hineingehörte. Das Gefühl der Unrast, das nur der kennt, der ohne eigenes Heim seine Füße an jedem Tage unter einen anderen Tisch stellt, war von ihr gewichen. Deshalb wurde es ihr so schwer, das alte Wanderleben von neuem zu beginnen.

Und was würden die beiden Mannsleut wohl anfangen, wenn sie von ihnen ging! Sie hatte sie ordentlich verwöhnt in diesen wenigen Monaten. Wenn sie mit Tagesgrauen aufstanden, um aufs Feld zu gehen, dann stand schon das Frühstück für sie auf dem Tisch. Zu Mittag hatte sie ihnen jeden Tag warmes Essen hinausgebracht, und abends war auch ein guter Bissen bereit. Na, sie verdienten es auch. Der Alte hatte es ja nicht mehr nötig, die Arme zu rühren, denn er saß doch auf dem Altenteil und hatte schon genug gearbeitet in seinem Leben. Aber nein! Wie ein Junger schwang er die Sense. Und erst der Ludwig! Das war wirklich ein fleißiger Mensch. Die Frau konnte glücklich sein, die den zum Manne bekam. Nur ein einziges Mal hatte er während der ganzen Zeit etwas mehr getrunken, als er vertragen konnte. Das war bei der Kontrollversammlung gewesen, als er in der Stadt die beiden Kameraden traf, die bei demselben Garderegiment in Berlin gestanden hatten. Da hatten ein paar „Grüngesiegelte“ daran glauben müssen.

Etwas schwankend stieg er vom Wagen und kam mit blanken Augen in die Küche, wo Garbata am Herd stand und zum Abendbrot kochte.

„Lowisa, ist mir was anzusehen?“

„Na ein bißchen, Ludwig, ein bißchen.“

„Wirst nicht schelten, Lowiska, nein?“

Zärtlich legte er den Arm um ihre Schultern, bog sich hinab und gab ihr einen Kuß. Die Sache war so schnell gekommen, daß ihr nicht geriet, einen Arm zur Abwehr zu heben. Vielleicht hätte sie sich auch dann nicht gesträubt, wenn sie die Absicht rechtzeitig vorher gemerkt hätte. Sie war ganz rot geworden, und das Herz schlug ihr bis zum Halse hinauf. Das war ihr noch nie passiert, solange sie sich erinnern konnte, daß ein Mann sie geküßt hatte! Und nun gerade der Ludwig! Was fiel dem bloß ein? Eine ganze Weile war er so bei ihr stehen geblieben, den Arm um ihre Schultern gelegt, und hatte ihr all die Neuigkeiten erzählt, die er von den Kameraden erfahren hatte.

An dem Abend hatte Garbata lange wach gelegen. Das Weib in ihr war erwacht. Und seit jenem Tage wußte sie auch, daß sie den Ludwig liebhatte. Der nächste Morgen hatte ihr freilich eine arge Enttäuschung bereitet. Als Ludwig zum Frühstück kam, war sie rot geworden, und es war ihr zumute, als wenn er sie wieder umfassen und ihr einen Kuß geben müßte. Er aber hatte nur verschmitzt lachend sich den Kopf gekratzt und gefragt, ob er gestern abend viel Unsinn geschwatzt hätte. Daß er sie geküßt hatte, daran schien er sich gar nicht mehr zu erinnern, oder es war ihm unangenehm, daran zu denken. Als Garbata nachher allein bei ihrer Arbeit saß, war ihr das Herz schwer geworden. Die Tränen rollten ihr aus den Augen, und sie wußte nicht recht warum. Sie träumte mit offenen Augen. Wie würde sie ihn lieb haben! Nicht ein unfreundliches Wort sollte er von ihr hören, selbst wenn er mal schief geladen nach Hause käme.

Noch manchen Tag hatte sie mit diesen Gedanken gespielt. Und wenn Ludwig des Abends mit ihr auf der Bank vor der Tür saß, dann hatte sie das Gefühl, als wenn er den Arm um sie legen müßte und sie fragen, ob sie ihn wohl nehmen möchte. Schon manches Mal hatte sie sich beim Schlafengehen ein dummes Frauenzimmer genannt, doch jetzt half es nichts mehr. Bis eines Tages — sie saßen wieder auf der Bank dicht beisammen — Ludwig den Arm um ihre Schulter legte und zutraulich sagte: „Du, Lowisa, ewig wirst du doch nicht bei uns sitzen wollen. Also muß ich zusehen, wo ich eine Frau herbekomme. Nun ist mir gesagt worden, in Ukta wär' eine Witwe mit zwei Töchtern angezogen. Sie sollen ja beide nicht mehr jung sein, die eine so alt wie ich, die andre noch ein paar Jahre älter. Aber das ist ja egal, wenn sie nur wirtschaften können. Und die Leute meinen, damit wäre es in Ordnung. Nun fragt es sich bloß, wieviel Geld sie haben. Der eine sagt sechs-, der andre gar achttausend Taler.“

„Wenn das bloß nicht Heiratstaler sind, das Stück zum Achtehalber!“

„Das ist eben die Frage, Lowisa. Da müßt' man doch darüber Bescheid wissen, ehe man hinfährt. Wie meinst du? Möcht'st du nicht hinhorchen? Ich schicke dich morgen mit dem Fuhrwerk hin. Willst dir den Kuppelpelz verdienen? Auf ein paar hundert Mark soll es mir nicht ankommen.“

An diesem Abend hatte Garbata ihr Kopfkissen naß geweint. Aber am andern Tage fuhr sie doch nach Ukta. Schon am Nachmittag war sie wieder zurück und brachte guten Bescheid.

„Die Mutter ist eine kluge Frau, die hat mich bis aufs Blut ausgefragt, wieviel Hypotheken auf dem Grundstück sind, wieviel an die Geschwister auszuzahlen und wieviel Stück Vieh im Stall. Unter vier Augen hat sie mich noch vorgenommen, und weißt, was sie wissen wollte? Weshalb du bis jetzt nicht geheiratet hast.“

„Was hast denn gesagt?“

„Daß du eine Liebe gehabt hast, und weil die einen andern genommen hat, wolltest du vom Heiraten nichts mehr wissen bis jetzt. Dann hat sie gefragt, was ich hier bei euch tue, und ob ich nachher auch hier bleiben werde.“

„Na, und was weiter?“

„Am Sonntag sollst hinkommen zum Kaffee.“

„Ja, aber wie steht's mit den Dittchen?“

„Hm, ich glaube, gut. Du wirst alles auszahlen können und noch was übrig behalten.“

„Das wär' ja fein. Nu aber, welche nehm' ich, die ältere oder die jüngere?“

„Die jüngere ist gutmütig und freundlich, die ältere hat eine scharfe Zunge. Aber wenn du eine heiratest, kriegst auch die andre mit. Und eine böse Schwägerin ist schlimmer als eine böse Frau. Denn die hetzt, wenn die Eheleute uneinig sind. Also meine ich: die ältere ist besser.“

***

Am nächsten Sonntag fuhr Ludwig auf die Brautschau nach Ukta. Frau Komossa, die zukünftige Schwiegermutter, hatte alles zum Besuch des Freiers vorbereitet. Ein Berg Kuchen war gebacken, der Kaffee stand fertig in der Ofenröhre. Sie war die Witwe eines Exekutors aus Bialla und hatte sich, um billig zu leben, mit ihren Töchtern eine Wohnung im Dorfe gemietet. Das kleine Vorderzimmer, die Putzstube, war mit Möbeln so vollgepfropft, daß man sich kaum darin umdrehen konnte. Auf dem Sofa, auf den Stuhllehnen, auf jedem Tischchen und der Kommode lagen gehäkelte Deckchen. Eine Menge von Bildern hing an den Wänden, meist Photographien, dazwischen fünf Stahlstiche, nackte Frauen darstellend, die nur mit leichten Schleiern umhüllt waren, mit den Unterschriften der fünf Erdteile. In den üppigen Haaren trugen diese Weiber, von denen eine schwarz, eine braunrot und eine gelb gefärbt war, glitzernde Ketten aus goldenen oder silbernen Papierblättchen, und um ihren Leib schlangen sich Ranken von seltsamen Blumen, die ebenfalls auf das Bild geklebt waren.

Mit seinem Federwagen, zwei mutige, junge Pferde davor, war Ludwig vors Haus gefahren. Und auch er selbst sah ganz stattlich aus. Er trug seine Wäsche mit hellem Schlips wie ein Stadtherr, und sein dunkler Anzug sah gar nicht bäuerisch aus. Den starken Schnurrbart hatte er mit Pomade aufgebürstet und durch das angefeuchtete Haar einen schnurgeraden Scheitel gezogen. Aber so ruhig er äußerlich auch aussah, so unbehaglich war ihm zumute. Er hatte unterwegs sich vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, was er mit den drei Frauensleuten zu reden hatte. Doch die Sache machte sich besser, als er hoffte. Frau Komossa empfing ihn zuerst allein, begrüßte ihn mit freundlichen Worten und dankte für die Ehre des Besuchs. Genau so hatte es Garbata vorausgesagt. Er tat also, was sie ihm für diese Situation vorgeschrieben hatte: er verbeugte sich mehrmals und brachte schließlich die Redensart hervor, daß er sich freue, die werte Bekanntschaft der Frau Komossa und der Fräulein Töchter zu machen. So weit reichte die Instruktion, die Garbata ihm auf den Weg gegeben hatte. Von nun an aber war er auf sich allein angewiesen. Wenn er in ein richtiges Bauernhaus gekommen wäre, dann hätte er gewußt, wie er sich zu benehmen hatte. Dann hätte er gesagt: ich bin der Ludwig Rostek aus Rakowen, ich komme auf die Freit', und wir wollen darüber sprechen. Aber hier wußte er nicht, wie er sich benehmen sollte. Er hatte nur das Gefühl, als wenn er auf falscher Fährte wäre.

Frau Komossa jedoch sah seine Verlegenheit und legte sie ihm zum guten aus. Sie erkundigte sich nach dem „Herrn Papa“, der noch so rüstig wäre.

„O ja“, sagte Ludwig, „der mäht noch drei Tage hintereinander.“

„Und das bucklige Fräulein, das hier bei uns war, das ist wohl Ihre Milchschwester?“

„Milchschwester?“

„Ja, ich meine, sie ist bei Ihnen erzogen worden.“

Nun hatte Ludwig freies Fahrwasser bekommen. Er schilderte, wie Lowisa als Kind vom Fuder Heu siel und danach ein ganzes Jahr „quiemte“, bis der Buckel herausgekommen war, wie ihre Eltern starben und sein Vater als Vormund sie ins Haus nahm, bis sie in die Stadt ging, um die Schneiderei zu erlernen. Gerade als er eingehend schilderte, wie vorzüglich Garbata wirtschafte, kamen die beiden Fräulein Komossa herein. Sie taten sehr erstaunt, Besuch zu finden und fragten, ob sie etwa „störten“.

„Nein, Kinder, Herr Rostek will uns die Ehre geben, bei uns zum Kaffee zu bleiben. Ihr könnt auftragen.“

Lina, die Ältere, nahm die Decke vom Tisch und faltete sie fein säuberlich zusammen, worauf Auguste, die Jüngere, einen Schrank aufschloß und nach langem Wählen ein blendend weißes Tischtuch mit blauer Borte hervorholte. Der Freiersmann hatte reichlich Gelegenheit, zu sehen, daß der ganze Schrank mit Wäsche gefüllt war; jedes Pack mit zwei himmelblauen oder rosaroten Bändern gebunden. Die Mutter hatte inzwischen mit der Hand über die Tischplatte gewischt und durch einen befriedigten Blick auf ihre Finger festgestellt, daß kein Stäubchen daran haftete. O ja, ihre Mädchen waren zur Sauberkeit erzogen!

Die Rede kam jetzt auf Rakowen. Mehr ehrlich als klug ging Ludwig auf dies Thema ein, schilderte eingehend den Viehbestand, die beiden Remonten, die er alljährlich erzog, berichtete getreulich, wieviel Ferkel er zum Verkauf auffüttere, wieviel Schweine er für die Wirtschaft einschlachte, und schloß mit der nachdrücklichen Versicherung, eine tüchtige Frau könnte noch viel mehr Vieh erziehen, denn das Futter dazu wäre vollauf vorhanden.

Obwohl er dabei nur die Mutter angesehen hatte, waren die beiden Töchter bei diesen Worten errötet und hatten die Augen niedergeschlagen. Frau Komossa nickte beifällig und meinte, man könnte sich ja die Besitzung darauf ansehen, worauf Ludwig sich erhob und mit einer höflichen Verbeugung die „ganze werte Familie“ zum nächsten Sonntag nach Rakowen einlud. Er werde sich erlauben, den Wagen schon vormittags zu schicken, denn der Tag sei kurz und die Besitzung ja nicht ganz klein, da könnte die Zeit zur Besichtigung knapp werden.

Die Einladung wurde bereitwillig angenommen, der Zweck des Besuchs war also erreicht. Eine Viertelstunde später verabschiedete sich der Freiersmann mit herzlichem Dank für Speis' und Trank und fuhr nach Hause. Unterwegs überlegte er, was er dem Vater und der Garbata über den Verlauf seiner Brautschau erzählen könnte. Der Vater hatte ihm geraten sich die Mutter ordentlich anzusehen. Das hatte er getan. Aber er war trotzdem nicht ganz klar darüber, ob sie ihm gefallen hatte oder nicht.

Was er der Lowisa von den Mädchen berichten sollte, wußte er nicht. Sie hatten rechts und links von ihm gesessen, und wenn seine Augen einmal wo anders hingingen als auf Frau Komossa, dann hatte er Frau Europa betrachtet, die ihm gerade gegenüber an der Wand hing. Dabei war ihm eingefallen, daß Garbata genau solch ein starkes blondes Haar hatte wie die üppige Dame auf dem Bilde. Nur einigemal hatte er ganz flüchtig die beiden Töchter mit einem Blick gestreift; doch so viel hatte er gesehen, daß sie ziemlich groß gewachsen und sehr hager waren. Welche die ältere war und die jüngere, das hatte er nicht erfahren. Das würde sich ja am nächsten Sonntag ergeben.

***

Die ganze Woche über fuhr Garbata wie ein Flederwisch durchs Haus. Sie hatte sich noch ein paar Losweiber zu Hilfe genommen, ließ scheuern und fegen, daß den Männern ganz unbehaglich zumute war, Aber am Sonntag glänzten alle Stuben von Sauberkeit. Auch aus dem Hof sah es ganz ordentlich aus. Ludwig hatte das Holz aufschichten und den Dung aus den Ställen bringen lassen; jeder Strohhalm war aufgeharkt, die schadhafte Stelle im Scheunendach geflickt und das Steinpflaster um den Brunnen mit gelbem Sand bestreut

Das hatte Garbata angeordnet, als sie am Sonntag Vormittag in den Garten ging, um Blumen zu schneiden. Die Georginen blühten noch und die Astern. Davon schnitt sie einen ganzen Arm voll und stellte auf jeden Tisch einen Strauß. Lachend sah Ludwig ihr zu und meinte, es wäre jetzt bei ihnen beinahe so fein wie bei Komossas, bloß die schönen Bilder an den Wänden fehlten. Mit komischer Entrüstung sah Garbata ihn an.

„Die haben dir wohl gefallen? Die hast dir angesehen, aber die Mädchen, zu denen du auf die Brautschau fuhrst, nicht.“

Er zuckte die Achseln und kratzte sich den Kopf.

„Ich glaub' nicht, daß bei denen so viel zu sehen war.“

„Ach red' nicht so dummes Zeug, Ludwig.“

„Das ist gar nicht dummes Zeug, Lowisa. Ich will bloß so zum Beispiel sagen: die Europa hat nicht schöneres Haar als du.“

„Nein, aber dafür hat sie keinen Buckel. Und die beiden Mädchen auch nicht. Du hast ja auch nicht nach dem Haar zu sehen, nur nach dem Geld.“

Damit ließ sie die Blumen liegen und ging nach der Küche. Mit einem dummen Gesicht sah ihr Ludwig nach. Er merkte, daß Garbata ärgerlich war, wußte aber nicht, weshalb; er hatte nur ehrlich ausgesprochen, was ihm in den Sinn gekommen war.

Gegen Mittag kam der Wagen mit den Gästen. Ludwig war vor die Tür gegangen und half den Weibsleuten beim Aussteigen. Der alte Rostek stand am Fenster der Wohnstube und schüttelte den Kopf.

„Was ist dir, Ohmchen?“ fragte Garbata, die aus der Küche zum Empfang herbeigeeilt war, „Was soll mir sein, Kindchen? Ich schau mir die Weiber an.“

„Gefallen sie dir nicht?“

„Nein, Lowiska! Sieh mal die Alte an, die trägt sich, als wenn sie dreißig Jahre alt wär', und die beiden Margellen sehen aus, wie die Fräuleins vom Landratsamt.“

„Wenn sie das Geld dazu haben — weshalb nicht?“

„Das sage ich auch! Bloß für 'ne Bauersfrau schickt sich das nicht.“

„Du wirst doch dem Ludwig nicht abreden?“

Der Alte zuckte die Achseln. „Ich heirate sie ja nicht.“

Garbata hatte die Gäste begrüßt und war dann in die Küche gegangen, um das festliche Mittagsmahl anzurichten. Einige Minuten später erschien Vater Rostek mit wütendem Gesicht, zog seine Pfeife aus der Tasche, nahm eine Kohle aus dem Herdfeuer und setzte seinen selbstgebauten Kanaster in Brand.

„Ohmchen, es ist gleich Mittag, und du kannst ihnen doch nicht deinen Selbstgebauten vorrauchen.“

„Weshalb nicht? Der riecht immer noch besser als die beiden Fräuleins.“

Garbata mußte laut auflachen. Sie hatte gleich beim Eintreten der Gäste gerochen, daß die beiden heiratslustigen Jungfrauen sich etwas sehr reichlich mit Parfüm begossen hatten.

Frau Komossa hatte sehr gut gemerkt, weshalb der Alte mit brennender Pfeife wiederkam und mächtig dampfend in der Stube auf und ab ging. Sie setzte eine abweisende, strenge Miene auf, und fragte: „Sagen Sie mal, Herr Rostek, Ihr Herr Papa ist doch schon auf dem Ausgedinge. Wohnt er noch hier im Hause?“

Der Alte horchte auf. Das war ja eine Bosheit gegen ihn. „Liebe Frau Komossa, ich habe meinen Vater nicht in die Chalupp gesteckt, und mein Ludwig wird das auch mit mir nicht tun.“

„Ich meinte nur, wenn eine junge Frau ins Haus kommt —“

„Dann bleibt mein Vater auch hier, so viel Platz haben wir“, meinte jetzt Ludwig ruhig, aber bestimmt.

Das Mittagsmahl, bei dessen Zubereitung Garbata alle ihre Kunst aufgeboten hatte, verlief recht ungemütlich. Nur mit Mühe gelang es ihr, ein Gespräch über gleichgültige Dinge im Gange zu erhalten. Gleich darauf ließ Ludwig anspannen und fuhr mit den Gästen aufs Feld. Jetzt platzte der Alte los.

„Solch ein verschrobenes Frauenzimmer! Bringt sich im Kasten eine Fladrusch' mit, um sie in der Stub' aufzusetzen.“

„Das gehört sich so, Ohmchen. Eine alte Dame, die wenig Haar hat —“

„Ach was, Dame! Der Ludwig braucht keine Dame, der braucht eine ordentliche Frau! Die kann mal nach dem Kuhstall riechen, wenn sie vom Melken kommt, aber nicht so wie die Fräuleins.“

„Womit haben sie dich so eingeärgert?“

„Womit? Aus dem Haus möchten sie mich haben. Die Alte frug ja ordentlich spitz, ob ich noch nicht im Ausgeding bin. Du schüttelst auch mit dem Kopf. Da soll ich dazu still sein? Meine Eltern haben mitgearbeitet, solange sie noch einen Finger rühren konnten. Und ich soll in 'ne Chalupp ziehen und beim Sohn zum Scharwerk gehen? Na, darüber reden wir noch. Ich werd' mal der Alten gehörig auf den Zahn fühlen, wegen der Dittchen. Es ist manchmal viel Geschrei und wenig Wolle, wie der Deuvel sagte, als er das Schwein schor. Wenn der Ludwig auch noch damit reinfallen sollte —“

„Ohmchen, es wäre vielleicht besser, wenn du dich nicht hineinmischen möchtest. Geld ist genug vorhanden.“

„Du red'st so, als wenn mit dem Geld alles gemacht ist. Nein, Kind, es ist viel wichtiger, daß der Ludwig eine wirtschaftliche Frau kriegt. Aber wie soll man das vorher wissen?“

„Sehr einfach, Ohmchen! Die Braut kommt vier Wochen zur Probe her zum Wirtschaften.“

Der Alte nahm schnell die Pfeife aus dem Munde, denn er mußte laut auflachen.

„Du bist ein kluges Frauenzimmer, Lowisa. Und du hast recht. Aber wird die Alte wollen? Na, wollen mal zusehen.“

Kurz vor Kaffee kamen die Gäste vom Felde. Der Alte war wie umgewandelt; er ging auf den Hof, um sie zu empfangen, und geleitete sie selbst durch die Ställe und Scheune. Als Ludwig mit den beiden Mädchen von den Fohlen zu den Schafen weiterging, hielt er die Alte zurück.

„Sehen Sie, Frau Komossa, die bringen acht bis neunhundert Mark das Stück, und wir könnten noch drei mehr ausziehen. Aber es gehört etwas Kapital dazu. Überhaupt läßt sich aus der Wirtschaft noch viel mehr herausholen, wenn zwei rührige junge Menschen etwas hineinstecken können. Nun nehmen wir an, meinem Ludwig gefällt eine von Ihren Töchtern. Was würde sie ihm ins Haus bringen?“

„Jede meiner Töchter hat sechstausend Taler Vaterteil, und wenn ich die Augen zumache, fallen an jede noch zweitausend Taler.“

„So, so, Frau Komossa. Das soll ein Wort sein. Aber wissen Sie, für solch eine Besitzung wie diese, ist das gar nicht zu viel.“

„Sie haben recht, Herr Rostek, denn so viel ist allein an die Geschwister auszuzahlen.“

„Das trägt Rakowen aber mit Leichtigkeit, das heißt, wenn die Frau es versteht, zusammenzuhalten.“

„Mein lieber Herr Rostek! Meine Töchter sind sehr einfach erzogen und —“

„Ich sage ja auch nichts gegen Ihre beiden Mädchen, meine verehrte Frau Komossa, aber man weiß doch nicht, ob sie sich gleich in solch einer großen Landwirtschaft zurechtfinden. Nehmen Sie 's nicht übel, wenn ich das sage, ich möcht' doch alles zum guten wenden. Nu dachte ich mir, es wär' vielleicht am besten, wenn die Braut auf ein paar Wochen herkommen möchte.“

Am Abend, als Ludwig mit den Gästen abgefahren war, erzählte der Alte sein Gespräch mit der Mutter. Er wollte sich dabei ausschütten vor Lachen. „Wie ich sie nach der Mitgift fragte, da schwoll sie förmlich auf, und die Sechstausend sagte sie so langsam, daß sie in derselben Zeit ganz bequem zwanzigtausend hätte aussprechen können. Aber wie ich nachher von der Probezeit sagte, da hätt'st sie mal sehen sollen. Ich glaubte zuerst, sie würde grob werden. Aber was so'n Frauenzimmer sich verstellen kann, davon macht man sich gar keine Vorstellung. Mit einem Male setzt sie ein freundliches Gesicht auf und meint, man müßte doch erst abwarten, ob eine ihrer Töchter sich für Ludwig interessierte. Ich mußte auch an mich halten, sonst hätte ich ihr gesagt, solche alte Lärmstangen könnten froh sein, einen so flotten, hübschen Kerl zu bekommen..“

„Na, Ludwig kann doch nur eine heiraten.“

„Du hast immer den Kopf voll Unsinn, Lowisa, aber wie soll man sich ausdrücken? Wir wissen ja noch gar nicht, welche dem Ludwig gefällt.“

„Ich weiß es schon.“

„So red' doch!“

„Die Auguste, die jüngere, wird's sein. Wie sie aufs Feld fuhren, da saß die Lina bei ihm auf dem Vordergesäß, aber wie sie aus den Ställen kamen, ging die Auguste mit ihm und machte ihm blanke Augen.“

„Also du meinst, es kommt zustande? Hm, Gott ja, dem Ludwig wär' es zu gönnen, daß er mit einem Schlag aus allen Sorgen 'rauskommt. Aber, aber! — Na, wir werden ja sehen. Ich habe dem Ludwig gesagt, er soll die, die ihm gefällt, auf einige Wochen zu Besuch einladen. Kommt sie, dann ist sie da. Kommt sie nicht, dann ist die Sache erledigt.“

Ludwig war erst spät in der Nacht zurückgekehrt Beim Frühstück erzählte er, die Mutter hätte noch ein paar Redensarten gemacht, aber die Auguste hätte ruhig erklärt, sie würde gerne auf einige Zeit zu Besuch kommen.

„Dann muß sie aber auch wirtschaften“, meinte Vater Rostek.

„Na, dazu kommt sie doch her.“

Als Garbata nach dem Frühstück mit der Schürze voll Hintergetreide zum Hühnerstall ging, kam Ludwig ihr nach.

„Ich muß dich doch fragen, Lowisa, was du über die ganze Sache denkst.“

„Was willst du eigentlich von mir, Ludwig? Ich steh dir oder deiner Braut doch nicht im Wege. Wenn sie kommt, gehe ich aus dem Hause.“

„So meinte ich das nicht. Ich wollte nur wissen, ob sie dir gefällt und — und du mußt doch hier bleiben, wenn sie kommt, sonst läßt die Mutter sie nicht fahren.“

„Auch das noch! Na, meinetwegen! habe ich A gesagt, muß ich auch B sagen.“

„Und dann, meine ich, müßtest du sie auch ein bißchen anleiten in der Wirtschaft, sie ist doch nicht so gewöhnt.“

„Wer hat mich denn angeleitet, als ich hier bei euch bleiben mußte?“

„Ich wollte nur sagen: Du wirst sie doch nicht unfreundlich behandeln?“

„Was fällt dir ein? Ach so. Wenn du das glaubst, dann gehe ich sofort aus dem Hause, noch heute!“ Die Tränen traten ihr in die Augen. „Hab' ich dir Anlaß gegeben, zu glauben, daß ich auf deine Braut eifersüchtig bin? Meinst wohl, alle Mädel laufen dir nach? Ich nicht, Ludwig! Dazu bin ich nicht dumm genug, aber bucklig.“

Garbata überlegte den ganzen Tag, ob sie bleiben sollte oder nicht. Schließlich sagte sie sich, es würde erst recht darüber geredet werden, wenn sie jetzt wegginge. Dann würde es heißen, die Bucklige hat sich auf den jungen Bauer verspitzt und verträgt es nicht, daß die Braut ins Haus kommt. Und zu der Auguste mußte sie recht freundlich sein, damit nicht etwa gesagt würde, sie hätte sie aus dem Hause vertrieben.

Am Donnerstag gegen Abend holte Ludwig seine Zukünftige ab. Sie kam mit einem großen Koffer, der ganz voll Kleider und Wäsche gepackt war. Schöne Sachen hatte sie, das mußte Garbata sagen, als sie ihr beim Einräumen half. Aber alles zu fein für ein Mädel, das in der Landwirtschaft selbst Hand anlegen oder am Kochherd stehen will. Na, das war ja ihre Sache, was sie anziehen würde, und Garbata hütete sich wohl, ihre Gedanken darüber laut werden zu lassen. Sie war aber sehr neugierig, wie die Braut sich anstellen würde. Die Schlüssel zu Kammer, Keller und Boden hatte sie ihr gleich beim Schlafengehen gegeben und gesagt, daß die Männer schon um fünf Uhr bei Laternenlicht zu dreschen anfingen.

Am andern Morgen wachte sie zu gewohnter Zeit auf. Ihr erster Gedanke war, aufzustehen und den Männern Frühstück zu kochen, wie sie es bisher täglich getan hatte. Aber das war ja jetzt nicht ihre Sache, und die zukünftige Herrin von Rakowen rührte sich nicht, die schlief so sanft und fest in dem Bett an der anderen Wand. Um sieben Uhr kam Ludwig in die Stube. Garbata saß am Fenster und nähte. Er sagte nichts weiter als „Guten Morgen“, drehte sich auf der Hacke um und ging hinaus. Eine Stunde später hatte die Zukünftige den Kaffee fertig und schickte ein Dienstmädel nach der Scheune, die Männer zu holen.

Ludwig aß und trank mit schlecht verhehltem Unmut. Er ärgerte sich über den Vater, der scheinbar harmlos Auguste fragte, ob sie schon ausgeschlafen hätte. Dann erkundigte er sich danach, ob die Kälber schon getränkt wären. Eine von den Margellen steckte den Kopf zur Tür herein und antwortete sehr patzig, sie hätten ja keine Milch zugemessen bekommen. Den Schweinen hätte sie Kartoffeln gekocht, aber noch keine Kleie für die Kühe gekriegt. Es gab eine sehr ungemütliche Szene, denn Ludwig schalt die Margellen, daß sie nicht selbst sich die Sachen geholt hätten, und als Auguste, die vor Ärger rot geworden war, nach der Küche ging, um das Versäumte nachzuholen, meinte er in scharfem Tone, Garbata hätte wenigstens am ersten Tage der Fremden behilflich sein können.

Lowisa zuckte die Achseln. „Sie hat mir schon gestern Abend die Schlüssel abgenommen und gefragt, was zu tun ist. Was sie jetzt macht, ist ihre Sache. Sie ist alt genug, um zu wissen, wozu sie hier ist. Mich brauchst du darum nicht anzufahren. Ich bin ja dumm, daß ich noch hier sitze.“

Sie stand auf, nahm ihr Nähzeug und ging ins andre Zimmer. Sie hatte große Lust, ihr Bündel zu schnüren und davon zu gehen. Es dauerte nicht lange, da kam Auguste zu ihr herein, die Augen rot und dick vom Weinen, legte die Schlüssel auf den Tisch und erklärte mit zitternder Stimme, sie hätte genug, sie würde am liebsten noch vor Mittag wegfahren. Im ersten Augenblick war so etwas wie Schadenfreude in Garbata aufgestiegen, im nächsten Moment jedoch schon schämte sie sich über sich selbst. Sie hatte das Mädel in diese Lage gebracht, jetzt mußte sie ihm auch beistehen. Leicht war es nicht, Auguste von ihrem Entschluß abzubringen, sie hatte sich zu sehr über den Alten geärgert, da sie den Zweck seiner harmlosen Fragen wohl erkannte. Und was sollte das werden, wenn sie als junge Frau immer Angst haben müßte, von dem Schwiegervater zur Rede gestellt zu werden!

Nur nach langem Zureden war es Garbata gelungen, das Mädel zu beruhigen. Aber sie mußte ihm recht geben. Der Alte wollte die Heirat hintertreiben, und wenn er nörgeln wollte, dann fand er überall Gelegenheit.

Vierzehn Tage hatte Auguste tapfer ausgehalten, obwohl Vater Rostek bei jedem kleinen Anlaß stichelte. Sie wäre auch noch länger geblieben, wenn Ludwig nur etwas freundlicher zu ihr gewesen wäre. Er war ja nicht gerade unfreundlich, aber kühl und gleichgültig, als wenn das Mädel ihn gar nichts anginge. Und Auguste war ihm gut, aber klug genug, es nicht zu zeigen. Nur zu Garbata sprach sie sich darüber aus, denn die beiden Mädchen hatten aufrichtige Freundschaft geschlossen. Der Buckligen tat es leid, daß sie durch ihren Rat diesen Besuch „zur Probe“ veranlaßt hatte. Ohne diese Probezeit wäre die Heirat zustande gekommen, die beiden Eheleute hätten sich miteinander eingelebt und alles wäre in Ordnung gewesen.

Man trennte sich in aller Freundschaft. Ludwig war schon in aller Frühe zur Stadt gefahren, um dem Abschied aus dem Wege zu gehen. Vater Rostek packte das Mädel in den Wagen, trug ihm Grüße an die „liebe Frau Mutter“ auf und lud die ganze Familie ein, bald wieder einmal vorzusprechen. Als er in die Stube zurückkam, machte er ein sehr vergnügtes Gesicht und schlug drei Kreuze hinter dem davonrollenden Wagen. Garbata ärgerte sich darüber.

„Ohmchen, du bist ein schlechter Mensch.“

„Weshalb? Du glaubst doch nicht etwa, daß ich sie 'rausgebracht habe? Weißt, weshalb sie gegangen ist? Weil der Ludwig sich wie ein Stockfisch benommen hat. Die arme Margell tut mir leid, denn das konnte ein Blinder mit dem Stock fühlen, daß sie dem Jungen gut war. Aber eine Frau muß auch mal ein bißchen lustig sein und nicht immer mit solch einem Gesicht 'rumgehen, als wenn sie auf den nüchternen Magen Essig getrunken hätte. Und wer hat denn eigentlich von euch beiden gewirtschaftet, sie oder du?“

„Ja, du hast schon recht, aber was soll denn nun aus euch werden? Ich kann doch nicht ewig bei euch sitzen.“

„Wenn's nach meinem Willen ginge: ja! Und wenn der Ludwig vernünftig ist, dann tut er, wie ich ihm geraten habe. Brauchst nicht rot zu werden, dumme Margell, gegen die trockene Trine kommst du noch immer auf.“

„Auch mit dem Buckel?“

***

Am Abend kam Ludwig nach Hause. Er hatte sich einen ganz kleinen Spitz gekauft und war sehr fidel gestimmt. Er fragte nur ganz kurz, ob „Fräulein Komossa“ abgefahren sei, und begann dann von seinen Markterlebnissen zu erzählen. Er hatte seine Fuhre Roggen zu außergewöhnlich guten Preisen verkauft und daraufhin sofort eine kleine Dreschmaschine erstanden. Damit wollte er so schnell als möglich seine ganze Ernte ausklappern und bis auf das notwendigste Futtergetreide zu Gelde machen. Wenn er dann noch die Lehrochsen und die für den Haushalt bestimmten fetten Schweine verkaufte, dann hatte er so viel in der Hand, um die verheiratete Schwester auszuzahlen, deren Mann ihn wegen des Erbteils drängte.

Vater Rostek stimmte bei. Garbata wußte nicht recht, was sie dazu sagen sollte. Ludwig wollte augenscheinlich zeigen, was Rakowen leisten konnte, und das war eine sehr gute Empfehlung, wenn er jetzt irgendwo auf die Brautschau ging. Anderseits schaffte es ihm Luft; er hatte für Jahre hinaus Ruhe, denn die andern Geschwister waren zufrieden, wenn sie pünktlich ihre Zinsen erhielten. Er konnte also tun und lassen, was er wollte, das heißt — eine Frau ohne Geld heiraten.

Nach vierzehn Tagen schwerer Arbeit war die Ernte ausgedroschen und samt dem Vieh verkauft, so daß Ludwig sich mit einer gefüllten Geldtasche auf den Weg zum Schwager machen konnte, der in der deutschen Gegend hinter Oletzko eine kleine Besitzung hatte.

Als er nach einigen Tagen zurückkam, hatte er eine lange Besprechung mit dem Vater. Nach einer Weile kam der Alte ganz aufgeregt zu Lowisa in die Stube, stellte sich vor sie hin und klopfte sich mit ausgestrecktem Zeigefinger an die Stirn.

„Was ist dir, Ohmchen?“

„Ach, Kind, soll man sich da nicht ärgern? Wenn der Mensch verrückt wird, dann fängt es immer hier oben im Kopf an. Nun denk dir nur diese Dummheit von dem Jungen! Die Auguste war ihm noch nicht fein genug, jetzt will er sich eine ganz Feine heiraten. Ist in Lyck auf der hohen Schul' gewesen, spielt Klavier nach Noten und malt die Schweine auf Leinewand ab.“

„Na, die wird doch den Ludwig nicht nehmen?“

„Kann man wissen, was dahinter steckt?“

„Wahrscheinlich hat sie kein Geld.“

„Aber ja doch! Es soll ein ganzer Batzen vorhanden sein.“

„Ist sie hübsch?“

„Ja! 'ne ganz forsche Margell, er hat mir das Bild gezeigt.“

„Dann braucht sie doch nicht den Ludwig zu heiraten.“

„Das sage ich mir auch. Er ist ja ein ganz hübscher Mensch, denn er ist mein Sohn und versteht sich zu benehmen.“

Garbata mußte laut auflachen, obwohl ihr vor Aufregung die Hände zitterten.

„Kommt sie auch zur Probe wirtschaften?“

Jetzt mußte auch der Alte lachen. „Das Beste wär's, dann käme der Junge vielleicht zur Besinnung. Aber dazu mußt du hier bleiben..“

„Nein, Ohmchen, jetzt ist es wirklich Zeit, daß ich gehe.“

„Wie du willst, mein Kind, ich kann dir nicht unrecht geben. Ich habe getan, was ich konnte, und hab' ihm zugeredet wie dem kranken Schimmel. Und weißt du was: er ist dir wirklich gut, bloß daß du —“

„Bucklig bist“, vollendete Garbata mit zitternder Stimme.

„An den Buckel stößt er sich. Vielleicht wenn er vergoldet wäre, dann nicht“

Kurz nach dem Mittag ging Lowisa weg; sie hatte die notwendigsten Sachen in ihre große Handtasche verpackt, das andre sollte ihr ein Losweib auf der Karre bringen, wenn sie wußte, wo sie blieb. Sie wollte nach Sdorren geben, da war die Aussteuer für eine reiche Bauerstochter zu nähen. Ludwig hatte ihr den Lohn ausgezahlt und mehr gegeben, als sie erwartete, aber mit keinem Wort gefragt, weshalb sie ging.

Es war ein klarer, sonnenheller Wintertag. Auf den Feldern lag eine blendendweiße Schneedecke, nur der Wald schimmerte ebenso dunkelblau wie im Sommer, als sie hierher gewandert kam. Auf dem Bergeshang blieb sie stehen und sah nach dem Dorfe zurück. Das Herz war ihr so schwer. Ihr war's, als wäre sie aus dem Elternhaus gegangen, auf Nimmerwiedersehn. Sie war die alte Garbata nicht mehr. Wo war ihre harmlose Fröhlichkeit geblieben? Die hatte sie dort gelassen. Und die Leute, zu denen sie ging, würden sich wundern und sie fragen, was aus der lustigen Garbata geworden wäre. An den Namen mußte sie sich auch erst wieder gewöhnen.

***

Sie hatte richtig in Sdorren Arbeit gefunden für viele Wochen. Das Losweib, das ihr die Sachen brachte, erzählte, die beiden Rosteks hätten sich noch an demselben Tage, an dem Garbata weggegangen war, heftig gezankt, und nun wollte ja der Alte in die Chalupp ziehen; die Stuben wären schon frisch geweißt, aber ein Ofen sollte noch neu gesetzt werden, dann würde der Vater hinüberziehen. Unter vier Augen richtete sie dann die Botschaft aus: Vater Rostek ließ sie bitten, zu ihm zu ziehen und ihm die Wirtschaft zu führen. Garbata schlug es rundweg ab. Nicht zehn Pferde würden sie wieder nach Rakowen zurückbringen. Sie ließ dem Alten sagen, er solle ruhig beim Ludwig bleiben, das wäre das Vernünftigste.

Es war bei Rosteks alles beim alten geblieben. Auch aus der Heirat mit der feinen Gutsbesitzerstochter war nichts geworden. Wie es hieß, hatte Ludwig erfahren, daß das Mädel nicht ganz so ehrbar war, wie sie aussah, und darauf sofort das Bild zurückgeschickt, das er schon bei der ersten Bekanntschaft geschenkt erhalten hatte. Die Leute meinten, er würde jetzt wohl genug haben von der Freierei und ein Einspänner bleiben. Dann gehörte aber eine tüchtige Person als Wirtin ins Haus.

Im Februar erhielt Garbata ein Schreiben vom Gericht, das sie schon länger als eine Woche gesucht hatte. Es enthielt die Aufforderung, in der „Erblaßsache Marie Kianka geborene Mottek“ sich vernehmen zu lassen. Schon am nächsten Tage fuhr sie nach der Stadt. Der Herr Amtsrichter las ihr aus einem Aktenstück etwas vor, was sie nicht recht verstand, und erklärte ihr dann, es handle sich um den Nachlaß einer Halbschwester ihres Vaters, die vor vielen Jahren mit ihrem Manne nach Berlin gezogen war und dort einen Grünkramladen gehabt hatte. Das Ehepaar war kinderlos verstorben und sie die einzige Erbin. Der Nachlaß sei nicht groß; es seien zwar einige Außenstände vorhanden, und das Mobiliar würde auch etwas ergeben, aber davon müßten erst einige Forderungen bezahlt werden; es sei also zweifelhaft, ob überhaupt etwas für sie herauskommen würde. Sie sollte sich nun darüber äußern, ob sie die Erbschaft antreten wolle.

Garbata bat sich Bedenkzeit aus und fuhr nach Sdorren zurück. Als sie bei den Bauersleuten in die Stube trat und alle sie erwartungsvoll anschauten, da brach der alte Übermut wieder bei ihr aus, und sie erklärte mit ganz ernster Miene, die Tante habe ihr zehntausend Taler vermacht. Niemand zweifelte daran. Die Kunde lief von Haus zu Haus, daß die bucklige Schneiderin ein reiches Mädel geworden sei. Schon am dritten Tage kam die Gesindevermieterin aus der Stadt, die sich einen Kuppelpelz verdienen wollte, und schlug ihr ein Dutzend heiratsfähiger junger Männer vor, von denen jeder sie gern zur Frau haben wollte. Nicht lange darauf kam ein Brief von Auguste Komossa, die ihr herzlich Glück wünschte. Zum Schluß hieß es: „Jetzt wirst Du, liebe Freundin, auch das Glück finden, das du verdienst; ich meine den Mann, den du schon lange von Herzen liebhast. Ich hatte es wohl gemerkt, daß du ihm gut warst, und wenn mir eins über die schwere Zeit hinweggeholfen hat, so war es der Gedanke, daß ich dir nicht mehr im Wege stehe. Jetzt bewirbt sich ein guter Mensch um mich, der hiesige Gendarm, und ich denke, ich werde ihn nehmen. Wenn ich nicht das kleine Vermögen hätte, würde er mich vielleicht gar nicht ansehen, aber soll man sich darüber in den Tod legen oder als alte Jungfer versauern? Ich denke, wir werden ganz glücklich miteinander leben.“

Lowisa hatte den Brief in ihrem Kämmerchen gelesen und heiße Tränen danach geweint. Ja, jetzt würde er wohl kommen, weil ihn das Geld lockte — das sie nicht besaß. Einen Augenblick stieg ein Gedanke in ihr auf, über den sie trotz ihrer Betrübnis lächeln mußte. Wenn sie dem Ludwig verschwieg, daß an der ganzen Erbschaft nichts dran war! Er würde sie ja wohl nicht erst fragen, ob und wieviel Geld sie wirklich geerbt hätte. Es wäre also seine Schuld gewesen, wenn er nach der Hochzeit die Enttäuschung erlebte. Aber hatte sie nicht selbst das Märchen in die Welt gesetzt?

***

Vierzehn Tage waren vergangen, und Ludwig war nicht gekommen. Garbata wußte nicht recht, ob sie sich darüber ärgerte oder freute. Entweder kam er nicht, weil es ihm peinlich war, oder weil er sie trotz des Geldes nicht haben wollte. Der letzte Gedanke fraß ihr beinahe das Herz ab. Also sie war ihm nicht nur gleichgültig, sondern so zuwider, daß ihn nicht einmal das viele Geld lockte.

Doch diesmal war sie trotz ihrer Klugheit auf den falschen Weg geraten. Ludwig schämte sich vor sich selbst. Als Garbata aus dem Hause ging, hatte der Vater ihn heftig ausgezankt und mehr als einmal einen Dummkopf gescholten. Und er hatte recht. Wo er ging und stand, fehlte ihm Garbata. Wie oft hatte er abends mit der langen Pfeife bei ihr gesessen und ihr nachdenklich zugeschaut, wenn ihre flinken Finger die Nadel handhabten. Alles hatte er mit ihr besprechen können. Und wie hatte das Essen geschmeckt, das sie kochte! Um nichts hatte er sich zu bekümmern brauchen, die ganze innere Wirtschaft lief wie am Schnürchen. Jetzt mußte er wieder von morgens bis abends bei allem hinterher sein, denn die Person, die er als Haushälterin angenommen hatte, war nicht im geringsten zuverlässig.

Schon in den ersten acht Tagen nach Garbatas Weggang hätte er sich am liebsten auf den Weg gemacht, um Lowisa zu holen. Wenn er es doch nur getan hätte! Jetzt mußte sie doch glauben, er käme nur des Geldes wegen. Und ob sie ihn jetzt auch noch nehmen würde? Da hatte sich vielleicht das Weib aus Johannisburg längst den Kuppelpelz verdient und ihr einen Kaufmann oder Beamten zugefreit. Doch der Alte ließ nicht nach, bis Ludwig schließlich nachgab und sich auf den Weg machte. Die Pferde vor dem Schlitten trugen neue Sielen mit blankgeputztem Messingbeschlag und wehendem Roßschweif, der Vater selbst hatte ihnen das schön abgestimmte Glockengeläut angeschnallt, das nur bei ganz festlichen Gelegenheiten hervorgeholt wurde, und als Ludwig durch das Dorf fuhr, da steckten alle Weiber den Kopf aus der Haustür und wußten, daß er irgendwohin auf die Freit' fuhr.

In dem Bauernhaus zu Sdorren gab's großes Hallo, als der Schlitten vorfuhr. Ein halbes Dutzend Mädel hatten sich eingefunden, um das Hochzeitskleid zu bewundern, das die Tochter des Hauses zum ersten Male anprobierte. Unter Lachen und Scherzen hatten sie die Heftfäden ausgestoßen und sich damit geworfen. An wem solch ein Faden haften blieb, der wurde noch in demselben Jahr gefreit. Gleich der erste, den die Braut warf, flog Garbata auf den Kopf. In demselben Augenblick fuhr der Schlitten auf den Hof. Wie aus einem Munde kreischten die Mädchen auf. „Garbata, der Bräutigam ist da.“

Wie mit Blut übergossen, stand Lowisa da. Sie hatte nicht aus dem Fenster gesehen, sie kannte das Glockengeläute. Und wußte, wer da kam. Ihr Herz schlug vor Freude bis zum Zerspringen.. Also war er doch gekommen! Im nächsten Augenblick war alles Blut ihr aus dem Gesicht gewichen. Eine von den Mädchen hatte halblaut der andern zugeflüstert: „Jetzt holt er sich die Bucklige, weil sie Geld hat.“

„Die Bucklige wird ihm schon die richtige Antwort geben, verlaß dich darauf.“ Mit festem Schritt ging sie hinter der Margell, die sie rufen kam, über den Flur in die Putzstube, wo der Freier wartete.

„Guten Tag, Ludwig. Weshalb bist du gekommen?“

Der scharfe Ton, in dem sie fragte, verwirrte ihn. Nur mit Mühe brachte er heraus: „Du sollst nach Rakowen kommen.“

„Weshalb? Ihr habt ja eine Wirtin.“

„Ich mein's ja ganz anders, Lowisa. Du fehlst uns an allen Ecken und Kanten und keine kann so wirtschaften wie du. Da dacht ich, wenn du mich heiraten möcht`st. Es ist ja ganz egal, ob du Geld hast oder nicht.“

Der gute Ludwig! Mit den letzten Worten glaubte er, sich ganz besonders klug ausgedrückt zu haben, und gerade sie gossen bei Garbata Öl ins Feuer. Sie trat ihm einen Schritt näher und fragte scharf: „Hast du von der Erbschaft gehört, die ich gemacht haben soll? Ja oder nein?“

„Ja, ich habe davon gehört.“

„Und deswegen kommst du! Du kommst bloß hinter dem Geld her, das willst dir anheiraten, und mich mußt du mit in den Kauf nehmen. Wenn du mich lieb hättest und mich haben wolltest, dann hättest Zeit genug gehabt, mir das zu sagen, als ich bei Euch im Hause war.“

„Bei Gott, Lowisa, ich schwör` dir —“

„Gib dir keine Mühe, Ludwig. Du bist vergeblich gekommen: ich habe kein Geld geerbt und werde keins erben. Das ist ein Märchen, und du bist darauf hineingefallen.“

Sie drehte sich kurz um und ging aus der Tür hinauf in ihr Schlafkämmerchen. Mit fester Hand schob sie noch den Riegel vor, dann fiel sie an ihrem Bett auf die Knie und drückte das Gesicht fest in die Kissen. Sie weinte nicht, nur ab und zu fuhr ein krampfhaftes Schütteln durch ihren Leib. Allerlei Gedanken jagten sich mit Blitzesschnelle in ihrem Kopf. Weshalb war sie so heftig geworden? Konnte sie ihm nicht ruhig sagen, daß die Erbschaft ein Märchen war? Wahrscheinlich hätte er dann gesagt, er sei nicht des Geldes wegen gekommen. — Ja, aber wohl nur, weil er nicht anders konnte, wenn er nicht mit einem Korb heimfahren wollte. Auch an den Brief der Auguste mußte sie denken. Die nahm ruhig den Mann, der nur nach ihrem Gelde kam. Aber die konnte es tun, die war nicht bucklig.

Nach einer Weile hörte sie an dem Glockengeläut, daß Ludwig wegfuhr. Und jetzt kamen ihr die Tränen, und aus der dumpfen Betäubung stieg der große Schmerz empor. So lange hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ob sie den Ludwig heiraten wollte oder nicht. Jetzt war's zu Ende und für immer. Wenn er sie auch wirklich von Herzen lieb hatte, jetzt, nachdem sie ihm den Schimpf angetan hatte, konnte er nicht mehr wiederkommen. Sie hörte förmlich, wie die Leute darüber lachen würden, daß er zuletzt zu einer Buckligen auf die Freit' gefahren war und sich auch bei der einen Korb geholt hatte.

Bleich wie der Kalk an der Wand war Ludwig nach Hause gekommen. Der Vater fragte nicht, wie es ihm ergangen war, er sah es ihm an. Erst als der Sohn spät abends kurz erzählte, daß und wie Lowisa ihn abgewiesen hatte, meinte er ruhig: „Dir ist ganz recht geschehen, und die Lowisa hat das Herz auf dem rechten Fleck. Solch einen Kerl wie dich möcht' ich auch nicht nehmen, selbst wenn ich zwei Buckel hätte.“

Am nächsten Freitag brachte der Alte vom Wochenmarkt die Nachricht mit, es sei nichts mit Garbatas Erbschaft, aber auch gar nichts. Er hätte sie getroffen, als sie gerade vom Gericht kam. Jetzt müßte ja einer wissen, was er zu tun hätte.

***

Es war Frühjahr geworden. Der laue Westwind und die Sonne hatten den Schnee am Bergeshang aufgezehrt; gurgelnd und schäumend schossen die trüben Fluten von der Höhe zu Tal. Auf dem feuchten, schwarzen Acker liefen die Lerchen umher, manchmal schwang sich eine empor und sang ihr Lied, aber es klang noch verzagt, denn in der Nacht kam noch immer der böse Frost wieder.

Seit acht Tagen war Garbata in Rakowen bei der Familie Joswig. Alle Jahre hatte sie um diese Zeit dort gearbeitet, und auch diesmal hatte die Frau nicht nachgelassen mit Bitten, bis Lowisa mit ihr fuhr. Der Ludwig würde ja nicht hinkommen, wenn er wußte, daß sie da war. Er ginge überhaupt nicht mehr unter die Leute, sondern sei ganz menschenscheu geworden.

In der ganzen Woche war Garbata nicht mit einem Fuß aus dem Hause gegangen. Jetzt hielt sie's nicht mehr länger aus, sie mußte etwas frische Luft schnappen. Am liebsten wäre sie über Mittag gegangen, wenn die Lerchen sangen. Doch dann hätte sie Ludwig treffen können.

Es war schon fast dunkel, als sie aus dem Hause schlüpfte. Als sie das kleine Hoftor nach der Straße öffnete, stand Ludwig davor. Mit kurzem Gruß ging sie an ihm vorüber. Er kam ihr nach und blieb an ihrer Seite. So gingen sie schweigend nebeneinander bis zum Ende des Dorfes. Dort kehrte Garbata um, ihr war ganz unheimlich zumute. Hätte sie ihren Begleiter nur einmal angesehen, dann würde sie gemerkt haben, wie oft er einen Ansatz zum Sprechen nahm. Aber jetzt vertrat ihr Ludwig den Weg.

„Lowisa, ich habe mit dir zu reden. Ist es wahr, daß du keine Erbschaft gemacht hast?“

„Das war ein Märchen. Ich habe nicht einen Pfennig geerbt.“

„Gott sei Dank! Jetzt kannst wenigstens nicht sagen, daß ich nach Geld heiraten will.“

In Garbata regte sich der Schelm. Am liebsten hätte sie freilich schon in diesem Augenblick ihre Arme nach dem dummen Menschen ausgestreckt, der da vor ihr stand und nicht wußte, was er jetzt zu sagen oder zu tun hatte. Also mußte sie ihn schon ins rechte Geleise führen.

„Wen willst denn jetzt heiraten, Ludwig?“

„Na dich, du dumme Margell, du!“

„Und weshalb, mein guter Ludwig?“

„Weil ich dich liebhabe, weil ich dich immer liebgehabt habe, schon eh' du zum ersten Male von uns weggingst. Ich hab' es bloß nicht gewußt.“

„Ludwig, sieh, nach deinen Worten: du kriegst eine bucklige Frau!...“

Der Kawaljer.

1.

„Er wächst sich aus dem Verstand“, hatten alle alten Weiber des Dorfes gesagt, als Kuba so mit sechzehn Jahren ins Schießen geriet. In acht Wochen hätte er jeden Anzug ausgewachsen, wenn der Dorfschneider, der ein sehr nachdenklicher Mann war, nicht an Ärmeln und Beinlingen einen beträchtlichen Überschuß eingeschlagen hätte, der die Verlängerung ermöglichte.

Die Sundas waren durchaus kein großes Geschlecht. Eher das Gegenteil. Und womöglich wäre Mutter Auguste Sunda in einen bösen Verdacht geraten, wenn Kuba nicht einen Zwillingsbruder gehabt hätte, den Liba, der sich ganz normal entwickelte. Wem das Recht der Erstgeburt zukam, darüber herrschte diesmal ausnahmsweise kein Zweifel, denn Liba, der Ältere, sah aus, wie Semmel in Milch, während Kuba außer braunen Augen noch einen dichten Schopf dunkler Haare mit auf die Welt gebracht hatte.

Von Kubas Kinderjahren ist nichts Außergewöhnliches zu berichten. Er wuchs auf, wie alle masurischen Dorfkinder. Erst hütete er die Gänse, dann die Schafe und zuletzt die Schweine. Nach der Einsegnung bekam er Sense und Dreschflegel in die Hand und sollte tüchtig in der väterlichen Wirtschaft helfen. Da zeigte es sich aber, daß er für die Landwirtschaft nichts taugte. Er war morgens nicht aus dem Bett zu bekommen, und war überhaupt so faul, daß er sich, wenn er nur irgend konnte, versteckte, um auf dem Heuboden zu schlafen. Daß diese Trägheit mit seinem schnellen Wachstum zusammenhing, wußte niemand. Liba war in allem sein Gegenstück. Klein aber gedrungen von Gestalt stand er bei jeder Arbeit seinen Mann. Da war's doch natürlich, daß Vater Sunda schon früh den Liba als seinen Erbsohn ansah, der einstmals die Besitzung erhalten sollte. Der Kuba mochte, wenn er's überhaupt erlebte, nach der Stadt gehen und bei einem Kaufmann in die Lehre treten.

Doch daraus wurde auch nichts. Die Mutter erhob dagegen Einspruch. Sie meinte mit Recht, daß kein Mensch in der Stadt ihren Jungen satt machen könnte, denn Kuba aß für drei. So blieb er denn zu Hause und wuchs, bis er mit zwanzig Jahren, als er zum erstenmal zur Aushebung ging, seine sechs Fuß erreicht hatte. Die Offiziere der Kommission betrachteten seine lange Gestalt mit sichtlichem Vergnügen, der Arzt aber stellte ihn noch für ein Jahr zurück, dann würde er wohl für Potsdam zu gebrauchen sein. Den Liba hatte die Kommission zur Infanterie angesetzt. Er ging im Herbst zu den Fünfundvierzigern nach Lyck. Als aber Kuba im nächsten Jahr wirklich zur Garde angesetzt wurde, reklamierte Vater Sunda seinen Ältesten als unentbehrlich in der Wirtschaft und erhielt ihn frei. Liba zog ohne Bedauern den bunten Rock aus und kehrte nach Hause zurück.

Nicht lange danach schnürte Kuba sein Bündel und fuhr mit einigen Schicksalsgefährten, die auch zur Garde angesetzt waren, nach Berlin. Er hatte im letzten Jahr ganz tüchtig in der Wirtschaft zugreifen müssen und sich dabei auch in die Breite entwickelt. So kam es, daß er in das Regiment Gardedukorps eingestellt wurde. Der Brief, der dies Ereignis nach Hause meldete, enthielt außer der üblichen Klage über schweren Dienst die dringende Bitte um Naturalien. Sie kehrte regelmäßig wieder, wurde aber auch jedesmal von der Mutter erfüllt. Schon zu Weihnachten schickte Kuba das dreifache Bild, das damals in stereotyper Form für jeden Soldaten angefertigt wurde. In der Mitte sprengt er mit eingelegter Lanze auf einem stolzen Rappen daher, rechts und links sieht man ihn in zwei verschiedenen Anzügen stehen. Der Photograph braucht nur den Kopf aufzukleben.

Natürlich erregte das Bild zu Hause große Freude. In den nächsten acht Tagen kamen alle Mädchen und Frauen des Dorfes, es anzusehen. Das Urteil ging allgemein dahin, daß Kuba ein forscher Kerl geworden sei. Er müsse noch sehr in die Breite gegangen sein, was die Mutter mit Rücksicht auf die Pakete mit Wurst, Butter, Eiern und Speck ganz natürlich fand.

Drei Jahre waren verflossen. Aus dem „langen Labommel“ war ein schlanker kernfester Jüngling geworden, der mit klugen Augen in die Welt sah und sein Ziel eifrig verfolgte. Im zweiten Jahr hatte er die Knöpfe bekommen, und von da ab die Kapitulantenschule des Regiments so fleißig besucht, daß der Rittmeister ihn noch vor dem Manöver des nächsten Jahres zum Unteroffizier machte und mit ihm kapitulierte. Jetzt lag seine Zukunft klar vor ihm. Er würde seine zwölf Jahre oder noch mehr beim Regiment bleiben, bis er mit Hilfe des Zivilversorgungsscheins in eine gute Subalternstellung einrücken konnte… Nach dem Manöver nahm er den ersten großen Urlaub, um in die Heimat zu fahren. In Anbetracht der weiten Entfernung hatte der Rittmeister ihm volle vier Wochen bewilligt.

War das ein Halloh im Dorfe, als Kuba sporenklirrend, den blitzenden Adlerhelm auf dem Kopfe, der ihn noch bedeutend größer erscheinen ließ, die langgestreckte Hauptstraße hinabschritt. Er hatte nur geschrieben, daß er zum Herbst auf Urlaub kommen werde, aber den Tag nicht angegeben, er wollte die Seinigen überraschen. Und von der kleinen neu eingerichteten Haltestelle war's ja nur ein Katzensprung bis nach Woscellen. Schon von weitem hatten ihn die Leute, die auf dem Felde arbeiteten, erblickt. Sie ließen Hacke und Korb stehen und liefen zum Wege, um ihn zu begrüßen. Mit einem Gefolge, das fortwährend sich vergrößerte, zog er in das Dorf ein. Ein Junge war vorausgelaufen und hatte das Ereignis ausgeschrien. Überall standen die Menschen vor den Hoftoren, überall mußte er stehen bleiben, um Hände zu drücken, die sich ihm entgegenstreckten.

Wie zu einem Wunder hatte die Mutter zu ihm in die Höhe gebückt. Das war ihr Kuba, der Junge mit den müden, schläfrigen Augen, um den sie sich so zersorgt hatte? Dieser mächtige Mann, der sich tief hinabbeugen mußte, wenn sie ihm die Arme um den Hals legen wollte? Und wie blitzten seine dunklen Augen, wie schön sah er aus mit dem schwarzen Schnurrbart in dem tiefgebräunten Gesicht!

Der Vater war nach der ersten Begrüßung spurlos verschwunden. Jedoch bald ergab sich der Grund dafür… er war spornstreichs in die Kammer gegangen, um sich festlich anzukleiden. Und nun schritt er gewichtig zu der eisenbeschlagenen Truhe, schloß sie auf und holte den wohlgefüllten ledernen Geldbeutel hervor, den er mit seinem ganzen Inhalt in die Tasche steckte… Kein Zweifel, er rüstete sich zum Gang in den Dorfkrug, um dort die Ankunft des Sohnes gebührend zu feiern.

Die Mutter fand das ganz natürlich, aber erst wenn Kuba etwas zu essen bekommen hätte. Eilends trug sie auf, was Küche und Keller barg.

In der großen Stube herrschte ein Gedränge, wie bei einer Hochzeit. Immerfort kamen neue Gäste, um den Heimgekehrten zu begrüßen, an der Tür drängten sich kichernd die jungen Mädchen, durch die offenen Fenster streckten die Tagelöhner die Köpfe, und gaben ihrem Staunen in lauten Worten Ausdruck.

***

Die Feier im Dorfkrug war sehr energisch verlaufen. Vater Sunda hatte tief in seinen Beutel greifen müssen, denn die Begeisterung für das Regiment Gardedukorps im allgemeinen und den Unteroffizier Jakob Sunda im besondern war in hellen Flammen emporgelodert, die sich schwer löschen ließen. Mit einer hochachtungsvollen Zärtlichkeit sah der Alte zu seinem Jungen auf. Was hatten die drei Jahre aus Kuba gemacht! Einen gesetzten klugen Mann, der so geläufig Deutsch sprach, wie ein Herr aus der Stadt. Und was hatte der Kuba in der Zeit alles gesehen! Mit Grafen und Prinzen sprach er jeden Tag, denn sein Rittmeister war ein Prinz, ein wirklicher Prinz, und die Leutnants der Eskadrons lauter Grafen und Freiherren!

„Hast auch den Kaiser gesehen und die Kaiserin?“

„Aber Vaterchen! wenn er in Potsdam ist, kommt er doch fast jeden Tag zu uns! Da besieht er jeden Mann einzeln…“

„Auch dich hat er besehen?“

„Von vorn und hinten! Er kennt fast jeden Mann bei Namen. Auch mich. Und hier…“ er zog das Portemonaie aus der Tasche und holte ein in Seidenpapier gewickeltes Geldstück hervor… „das blanke Zehnmarkstück hat er mir geschenkt, als er mich das erste Mal mit den Tressen traf. Es hat auch in den Zeitungen gestanden…“

Die Bewunderung der Dorfbewohner stieg ins Grenzenlose. Wie ein Mann erhoben sich alle Anwesenden und ließen den Kaiser hochleben. Dann sprach der alte Lehrer einige Worte, die in der Aufforderung ausklangen: „Heil dir im Siegerkranz“ zu singen.

Noch viel hatte Kuba erzählt, von den fremden Königen, vor denen er in Parade gestanden, von der Kaiserin und den jungen Prinzen. In der großen Krugstube, in der sonst um diese Zeit wüster Lärm herrschte, war alles mäuschenstill, wenn Kuba erzählte. Auch der ärmste Tagelöhner empfand es als eine Ehrung, daß ein Kind des Dorfes all' diese Herrlichkeiten erlebt hatte. Selbst dem Liba wurde das Herz warm. Anfangs hatte sich so etwas wie Neid in ihm geregt. Dann überwand der Stolz, die Freude über den Bruder, diese kleinliche Regung. In den nächsten Tagen und Wochen würde man ringsum in allen Dörfern von nichts anderem sprechen, als von der Familie Sunda. Und am nächsten Freitag würden sie alle mit einander zum Markt fahren und am Sonntag zur Kirche nach Grabnik…

Am nächsten Morgen saß Kuba allein beim Frühstück. Vater und Bruder hatten sich nach der Feier bloß umgezogen und gewaschen und waren gleich nach dem Forst gefahren, wo sie Holz zu rücken hatten. Die Mutter ging ab und zu und freute sich über den kräftigen Appetit ihres Jungen. Sie hatte stundenlang in der Nacht unter dem offenen Fenster des Dorfkrugs gestanden, alles gehört, was Kuba erzählte und sich vor Freuden herzlich satt geweint. Jetzt tat sie nur ab und zu eine Frage. Dann mußte sie ihn allein lassen, um das Vieh zu beschicken, denn die Margellen waren auf dem Feld und gruben Kartoffeln. Als ordentlicher Mensch nahm Kuba seine Uniformstücke, um sie zu reinigen. Der Helm mußte vor allen Dingen energisch geputzt werden, denn er war gestern von Hand zu Hand gegangen und mancher hatte ihn unter fröhlichem Gelächter der Umstehenden ausgesetzt.

Dem Kuba war bei seiner Arbeit ganz wundersam zumute. Das Gefühl, in der Heimat, im Elternhause zu sein, hatte ihn mit seinem stillen Zauber umsponnen. In der Ferne hatte er kaum die Sehnsucht nach Hause verspürt. Der schwere Dienst, die harte Pflicht hatten ihn vom Morgen bis zum späten Abend in Anspruch genommen, und wenn einmal der Gedanke an die Heimat in ihm lebendig wurde, dann hatten ihn bald die vielen neuen Eindrücke, die auf ihn einstürmten, verdrängt. Jetzt umfing ihn die Liebe des Elternhauses, die Bewunderung seiner Dorfgenossen. Aus dem Bauernjungen war er ein Mann geworden, dem seine militärische Würde Ansehen verlieh... Wenn er wollte, konnte er jetzt unter den Töchtern des Landes wählen, sich die schönste und reichste aussuchen und nach Jahr und Tag als Herr über den eigenen Acker schreiten...

Er hatte in seinem Sinnen gar nicht gemerkt, daß die alte Olitzka am Fenster stand und ihm zusah. Unwillkürlich hatte er den Mund gespitzt und sich ein Lied gepfiffen. Dabei kam ihm der Text in den Sinn. Er begann mit lauter Stimme zu singen:

„Denkst du denn, denkst du denn,

Du Berliner Pflanze,

Daß ich mich in dich verliebt,

Wenn ich mit dir tanze...“

Die alte Frau am Fenster lachte laut auf.

„Das ist recht, mein Jungchen! Hast dir von den Finettchen in Berlin nich' den Kopp verdrehen lassen. Brauchst dir nich' so 'ne Mamsell mit einem Unterrock und zwei Paar Strümpfen anzuheiraten! Kannst was Besseres haben. Bist ganz allein, ja? Dann werd' ich 'reinkommen zu dir.“

„Ja, kannst kommen.“

Kuba schmunzelte vergnügt. Da streckte schon die Heimat ihre Hände nach ihm aus, um ihn festzuhalten. Er wußte ganz genau, was die Alte wollte. Sie war die weise Frau des Dorfes, die den Wöchnerinnen Hilfe leistete, Krankheiten besprach, zur Ader ließ und das kranke Vieh schneller kurierte als der Tierarzt. Aber sie tat noch mehr; sie brachte alle Heiraten zustande, die im Umkreis von mehreren Meilen geschlossen wurden. Das heißt: nur bei den wohlhabenden Bauern, um die Eigenkätner und Tagelöhner kümmerte sie sich nicht.

„Na, komm mal rein, Olitzka“, rief Kuba ihr entgegen. „Du möchtest dir gerne den Kuppelpelz verdienen. Aber bei mir ist nichts zu machen. Ich hab in Potsdam schon eine Braut... reich... jung, schön...“

„Ich glaub' dir ja nich, mein Jungchen. Dir dreht sich ja die Nas' beim Sprechen. Du möcht'st gern flunkern und kannst nicht. Und so 'ne Braut kenn' ich. Ein guter Soldat hat immer drei zu gleicher Zeit und heiratet doch keine, sondern eine andre.“

„Und wer soll denn die andre sein?“

„Das wird sich alles finden, lieber Kuba. Du hast jetzt Zeit, und kannst dir eine aussuchen. Da ist z. B. die Jette Maschlanka in Malkienen. Zweihundert Morgen Lehmboden, massives Haus und Stall, Scheune muß umgebaut werden. Nur Landschaft, keine andere Hypothek.“

„Wie sieht denn die Jette aus?“

„Na, sie könnt' dreist 'n bißchen schöner sein, aber gesund und stark is se, und gutmütig. Du könnt'st se um den Finger wickeln.“

„Also dumm!“

„Ach, red' doch nicht! Mit 'ner dummen Frau ist noch keiner unglücklich geworden. Aber wie du willst! Kannst auch 'ne ganz kluge haben! In Schedlisken die Mine Schmadalla, die is zwei Jahre in der Stadt gewesen und kann Zeitung lesen. Da werden ja wohl außer der Besitzung noch wo zwanzigtausend bar daliegen.“

„Aber, trautste Olitzka, wie sollt' ich da 'rankommen? Ich bin doch nicht Erbsohn, sondern erhalte ein gesatteltes Pferd, ein Satz Betten und tausend Taler bar als Erbteil.“

„Das ist ganz egal, was du mitkriegst.“

„Nu, sag` mal, Alte, woher weißt du so genau, was jede Margell besitzt!“

„Woher ich das weiß? Von den Eltern!“

„Na, die werden dir doch nicht immer die reine Wahrheit sagen?“

„So, meinst du? Bis auf den letzten Pfennig! Das wär' ja auch noch schöner! Denen möcht' ich eine Nachred' schaffen, die mich anlügen. Nein, das gibt's nich.“

„Jetzt sag mir, wie werd' ich dazu kommen, mir die Mädel anzusehen?“

„Sehr einfach, Kuba, sehr einfach! Am Freitag, auf dem Markt. Ihr steigt doch beim Gumbalies ab, nicht wahr? Da findst du die Jette, und nachher gehst du zum Duda; dort kehren die Schmadallas an. Aber daß du dich fein ausputz'st und den Helm aufsetz'st!“ Sie strich ihm zärtlich um der welken Hand die Backen. „Brauchst dich nicht zu fürchten, mein Jungchen! Wie ich dich zum erstenmal auf dem Arm hielt... mein Gott, da warst du so klein... da hab' ich schon zu deiner Mutter gesagt: Der Lorbaß hat die richtigen Augen, um jede Margell verrückt zu machen... Ja, das hab' ich gesagt..“

Kuba mußte laut auflachen. „Und jetzt noch der Schnurrbart und der Helm... Nu geh' mal nach Hause, Alte; bei mir ist alle Liebesmüh vergebens. Vielleicht nach drei Jahren, wenn ich wiederkomme, hoffentlich als Wachtmeister, dann können wir darüber reden.“

Merkwürdig! Die Mutter sprach genau so wie die Olitzka. Weshalb wollte er sich noch jahrelang plagen und quälen, um dann als Beamter trocknes Brot zu essen? Er könne hier einheiraten und als freier Herr leben oder vielleicht sogar das Väterliche übernehmen...

Erstaunt hatte Kuba ausgehorcht. „Wie meinst du das, Mutter? Hat der Vater denn dem Liba noch nicht die Besitzung verschrieben?“

„Aber nein, mein Jungchen, nein! Das können wir noch einrichten, wie wir wollen.“

„Nein, Mutter, das möchte ich nicht. Etwas mehr bar Geld könntet ihr mir geben, aber den Liba will ich nicht verdrängen. Wenn wir auch Zwillinge sind, er ist doch nun mal der Ältere. Und er soll nicht sagen, daß ich eure Liebe mißbraucht habe, um ihn zu verdrängen.“

„Wer weiß, ob Liba so sprechen möcht'.“ Sie trat näher und legte ihren Kopf an seine Brust. „Bleib doch hier, mein Jungchen! Wir Alten möchten doch auch unsre Freud' an dir haben. Wenn du weg bist, muß ich immer denken, ob du nicht mit dem Pferd gestürzt bist oder was sonst dir passieren kann.“

„Darüber wollen wir noch reden, Mutter! Vielleicht... wenn ich die Rechte finde, bleibe ich hier.“

Am Freitag fuhren die Alten mit Kuba nach Lyck zum Markt. Liba blieb zu Hause; er fürchtete sich vor den Neckereien. Früher hatten die Menschen sich darüber lustig gemacht, daß der Kuba so lang aufgeschossen war, und jetzt zogen sie ihn, den Liba, damit auf, daß er so klein geblieben war. Als wenn er etwas dazu hätte tun können! Er war auch noch aus andern Ursachen schlechter Laune. Ein Freund hatte ihm zugeraunt, die Alten wollten dem Kuba die Besitzung verschreiben... Die Olitzka habe schon Auftrag, sich nach einer Frau für ihn umzusehen... Zuzutrauen war es ihnen schon, sie waren ja ganz aus dem Häuschen über den Herrn Unteroffizier! Zu jeder Mahlzeit wurde für ihn Bier aus dem Krug geholt, und an jedem Tag war eine gebratene Ente oder ein Fisch auf dem Tisch. Und die besten Stücke legte die Mutter eigenhändig ihrem Liebling auf den Teller... Ja, dem König wachsen die Vettern zu, wie der Hederich dem Hafer! Jeden Tag war Besuch gekommen, manchmal zwei, drei Familien zu gleicher Zeit. Jetzt erinnerten sie sich daran, daß sie von den Urgroßeltern her oder durch irgendeine Verheiratung mit den Sundas in Woscellen verwandt waren... Im Laden bei Gumbalies hatte Kuba die Jette Maschlanka kennen gelernt, ein großes, blondes Mädel mit Sommersprossen, das ihn mit kindlicher Bewunderung anstarrte. Bei den Alten hatte die Olitzka ihm schon vorgearbeitet, denn der Vater ließ gleich zur Begrüßung Wein auffahren und begann vor allen Leuten seine Vermögensverhältnisse klarzulegen. Er wäre ja noch nicht zu alt, um noch einige Jahre zu wirtschaften, aber wenn ein forscher Schwiegersohn ins Haus käme, würde er gern die Besitzung abgeben. Ein Ausgedinge verlange er nicht, er hätte soviel bares Geld ausstehen, daß er von den Zinsen leben könnte. Die „Freundschaft“ des Bauern, die dicht gedrängt um den Tisch stand, stimmte beifallmurmelnd zu.

Jetzt nahm Mutter Sunda das Wort. Wenn ihr Kuba auch nicht der Erbsohn wäre, so habe er doch ein anständiges Stück Geld zu erwarten. Und als Unteroffizier von den Gardedukorps könne er in den reichsten Familien anklopfen. Er verkehre täglich mit Grafen und Prinzen, und der Kaiser habe schon so und soviel mal mit ihm gesprochen. Noch kurz vor der Abreise habe er ihm eigenhändig ein Zehnmarkstück geschenkt... Natürlich mußte Kuba sein Portemonnaie öffnen und das Geldstück zum Ansehen herumreichen... Da könne man es verstehen, wenn er lieber bei seinem Regiment bleiben wolle. Aber wenn er hier eine tüchtige Frau bekäme, und der Schwiegervater ihn gut einsetze, dann würde er sich wohl entschließen, nach einem Jahr zurückzukommen... Leider habe er sich noch auf ein Jahr gebunden, aber er sei auch noch jung, und man könne es ihm gönnen, wenn er sich noch ein Jahr dort herumtummele.

Mit einer kurzen Erklärung des Vaters Maschlanka, daß er im nächsten Frühjahr noch die Scheune massiv umbauen werde, war die Vorbesprechung beendet. Jetzt hatte Kuba sich zu entscheiden. Daß er es gleich tun würde, erwartete niemand, man wußte ja, daß die Olitzka ihm noch mehr Mädchen vorführen wollte.

Bei der Mine Schmadalla verlief die Brautschau etwas anders. Das war eine rundliche Brünette mit luchternen Augen, die den ihr vorgestellten Zukünftigen selbst nach allem ausfragte. Ihre eigenen Vermögensverhältnisse konnte sie wohl mit Recht als bekannt voraussehen. Das Mädel selbst gefiel dem Kuba sehr gut, die Eltern gar nicht. Der Vater machte den Eindruck einer alten Suse, die nicht den Mund aufmachte. Die Mutter schien der Hochmutsteufel zu reiten; dazu war sie dumm, denn sie prahlte damit, daß, seitdem ihre Minna in der Stadt gewesen, so viele feine Herren zu ihnen zu Besuch kämen. Sie könnte sich den feinsten als Schwiegersohn aussuchen.

Hier brach Mutter Sunda die Verhandlung ab. Sie erhob sich und erklärte ganz ruhig: dem stände von ihrer Seite nichts im Wege. Vergeblich suchte die Olitzka zu vermitteln. Ob Kuba nicht aus einen Tag oder zwei nach Schedlisken zu Besuch fahren wollte, um sich die Besitzung anzusehen. Auch Fräulein Minna schloß sich mit verheißendem Lächeln der Einladung an. Kuba dankte kühl; er wisse noch nicht, ob seine Zeit dazu ausreichen werde.

Auf der Straße nahm die Mutter die Hand ihres Sohnes und streichelte sie.

„Du bist mein lieber, verständiger Junge.“

„Na, Mutter, das mußte ja der Blinde mit dem Stock fühlen.“

Bei Gumbalies im Laden hatte sich inzwischen die ganze Verwandtschaft von Vaters und Mutters Seite zur Begrüßung eingefunden. Allen mußte Kuba seinen Besuch versprechen. Zuerst nahm ihn der Bruder der Mutter, Gottlieb Sareyka, in Beschlag, ein lustiger Graubart, der selbst in Berlin bei der Garde gestanden hatte und seinen Neffen nach allem möglichen zu fragen hatte. Er ließ nicht nach, bis Kuba einwilligte, gleich heute mit ihm zu fahren. Morgen werde Erntefest im Dorf gefeiert, da müsse er doch seinen Neffen zeigen...

***

In Dlugossen feierten die Besitzer gemeinsam das Erntefest. Sie bezahlten die Musik und ein Faß Braunbier. Für das übrige, was sie verzehrten, mußten die jungen Leute selbst aufkommen. Die Mädchen schmückten den Saal mit Girlanden aus Tannenreisig, der Gastwirt fügte noch bunte Papierfahnen hinzu, so daß der weite Raum trotz der spärlichen Beleuchtung ganz festlich aussah. Kuba hatte bis gegen Mitternacht bei den Alten im Herrenstübchen gesessen. Der Onkel hatte in seiner Freude über den stattlichen Neffen teuren Rotspohn auffahren lassen und benutzte die Gelegenheit, um seinen Bekannten alle die alten Geschichten aus seiner Soldatenzeit aufzutischen, die sie schon fast auswendig kannten. Auch Kuba war allmählich redselig geworden, und schließlich stieg bei ihm die Lust auf, ein Tänzchen zu wagen. Er war kein guter Tänzer. Er hatte kein Ohr für den Rhythmus der Musik und mußte sich zusammennehmen, um im Takte zu bleiben.

Als er den Saal betrat, setzte gerade die Musik mit einem forschen Galopp ein. Er schritt ohne zu wählen auf das nächste Mädel zu, das auf seinem Stuhl an der Wand saß und forderte es durch eine Verneigung zum Tanzen auf. In demselben Augenblick kam von der andern Seite ein junger Bursch heran, stellte sich zwischen ihn und das Mädel und sagte in wenig höflichem Tone: „Suchen Sie sich eine andre, die habe ich eingeladen, mit der tanze ich.“

Dem Soldaten schoß das Blut zu Kopf. Er fragte schon ziemlich heftig danach, ob der andre das Mädel gepachtet habe. Natürlich fiel die Antwort noch etwas schroffer aus. Der junge Mensch, ein Eigenkätnersohn, fragte in höhnischem Tone, was das „Soldatchen“ hier zu suchen habe? Das Fest sei für sie, die Arbeiter, gegeben und nicht für irgendeinen hergelaufenen Fremden.

Ein Wort gab das andre, immer gereizter klang Rede und Gegenrede, der Streit zog die alten Bauern herbei.

Die Tänzer hatten sich bereits in zwei Parteien gespalten, die gegeneinander zu eifern begannen. Da rief von der Tür her Onkel Sareyka: „Schmeiß doch den Lorbaß raus.“ Ohne sich zu besinnen, hatte Kuba mit einem schnellen Griff seinen Gegner umgedreht und im nächsten Augenblick am Rockkragen und Hosenboden gefaßt und hochgehoben, so daß er in ohnmächtiger Wut mit Händen und Füßen in der Lust zappelte. Der Anblick war so komisch, daß alle laut auflachten und Kuba bereitwillig Platz machten, als er seinen Gegner mit langsamen Schritten durch den Saal ins Freie trug. Dort stellte er ihn behutsam auf die Füße und erteilte ihm die eindringliche Mahnung, sich nicht wieder im Saal sehen zu lassen, sonst würde er ihm noch etwas nachdrücklicher zu Gemüte führen, daß er einen deutschen Unteroffizier nicht als „Soldatchen“ anzusprechen habe.

Im Saal hatte unterdessen Onkel Sareyka in seiner Eigenschaft als Ortsvorsteher den jungen Burschen eine heftige Strafrede gehalten. Es wäre eine Ehre für das ganze Dorf und jede Margell, wenn ein preußischer Gardedukorps, den der Kaiser selbst zum Unteroffizier gemacht, mit ihr tanze. Außerdem sei er sein Neffe und habe daher dasselbe Recht wie jeder andre Bursche...

Es hätte dieser Standrede gar nicht bedurft. Die Kraftprobe, die Kuba eben abgelegt hatte, genügte, um jeden Versuch, mit ihm Streit anzufangen, als höchst bedenklich erscheinen zu lassen.—

Mit ruhigen Schritten kam Kuba in den Saal zurück, warf den Musikanten einen Taler auf und verlangte einen Tanz für sich allein, einen Galopp. Während die Musik einsetzte, schritt er wieder auf dasselbe Mädchen zu und forderte sie durch eine Verbeugung zum Tanz auf. Sie drehte den Kopf weg und tat, als wenn sie seine Aufforderung nicht bemerkt hätte.

„Fräulein, sehen Sie nicht, daß ich Sie zum Tanz auffordere?“

„Ich tanze mit Ihnen nicht.“

„Weshalb denn nicht?“

„Seht einfach, ich will nicht!“

Die kurze Szene hatte sich natürlich unter voller Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft abgespielt. Einige lachten; sie gönnten dem Fremdling die Abfuhr. Andre meinten, es wäre ein Skandal, daß die Margell den Ehrentanz abschlage... Schon begannen die Stimmen sich für und wider zu erheben, da war es Kuba, als flüstere ihm jemand ins Ohr: Trag' sie auch raus! Und geschehen mußte jetzt etwas... Er konnte jetzt nicht wie ein begossener Pudel davongehen. Ehe sich das Mädel versah, hatte er es mit ihrem Stuhl hochgehoben. Wieder erscholl lautes Lachen, und energische Zurufe zeigten ihm, daß er auch damit den Geschmack der Dorfbewohner getroffen habe.

Das Mädel saß wie mit Blut übergossen, ganz still auf dem Stuhl... Sie fühlte die Schmach, die ihr angetan werden sollte... Die Augen hatte sie geschlossen, aber zwei große Tränen kullerten ihr langsam die glühenden Backen hinab.

Bei diesem Anblick verflog bei Kuba die Erregung. Und gleichzeitig sah er, wie hübsch das Mädchen war. Ein rundes, regelmäßiges Gesicht, lange, dunkle Augenwimpern, ein voller Mund... Jetzt schlug sie die Augen auf und blitzte ihn zornig an. Ohne zu wissen, weshalb, drehte er mitten im Saal um, trug sie auf ihren Platz zurück und stellte den Stuhl mit seiner Last behutsam nieder. Dann zog er einen zweiten Stuhl heran und setzte sich neben sie. Ein Gefühl der Scham war in ihm aufgegangen, daß er seine Kraft gegen ein wehrloses Mädchen mißbraucht hatte. Er hätte sich gern entschuldigt, wenn er nur die richtigen Worte dafür gefunden hätte. Sie hatte den Kopf geneigt und weinte still vor sich hin.

Die Musikanten hatten wieder zu spielen angefangen, alles drehte sich lustig im Kreise, nur Kuba saß still bei dein Mädel, mit dem ihn das Schicksal in wenigen Augenblicken auf so seltsame Art zusammengebracht hatte. Als die Musik einen neuen Tanz aufspielte, hob das Mädel den Kopf und streifte Kuba mit einem schnellen Blick. Beinahe hätte sie lachen müssen. So gutmütig und so traurig sah der böse Unteroffizier aus! Nach einer Weile fragte sie leise:

„Weshalb tanzen Sie nicht, Herr Unteroffizier?“

„Weil ich gerade mit Ihnen tanzen will. Es tut mir leid, daß ich... daß ich…

Erst nach einer Weile fuhr er fort: „Vielleicht war das Ihr Bräutigam, den ich 'rausgetragen habe, aber denn hätte er das doch sagen müssen. Es war doch kein Verbrechen, daß ich Sie aufforderte.“

„Es ist nicht mein Bräutigam, er hat bloß den Abend über mit mir getanzt.“

Wieder eine lange Pause.

„Sie können doch nicht hier sitzen bleiben, Herr Unteroffizier... Tanzen Sie doch...“

„Nur mit dir!“

Einen Augenblick kämpfte das Mädel mit sich, dann erhob es sich. „Kommen Sie, wir wollen tanzen!“

So flott und sicher hatte er noch nicht getanzt. Er wußte nicht, daß es das Verdienst seiner Tänzerin war, die all' seinen Verstößen gegen den Rhythmus mit feinem Verständnis gefolgt war. Beim Aufhören der Musik waren sie mitten im Saal stehen geblieben. Ritterlich bot er dem Mädel den Arm und führte es zum Platz zurück, wo er sich durch eine tiefe Verbeugung bedankte. Unterwegs hatte das Paar manch neidischer Blick der Dorfschönen begleitet. Kuba hatte es nicht bemerkt, desto besser aber die Kleine. Jetzt begann sie die Ehre zu fühlen, die ihr zuteil geworden war. Sie wußte selbst nicht mehr, weshalb der Trotz in ihr aufgestiegen war. Mit einem koketten Augenaufschlag nahm sie seine Verbeugung entgegen. „Herr Unteroffizier, ich danke. Jetzt werden Sie wohl wieder zu den alten Herren gehen, nachdem Sie ihr Stück durchgesetzt haben.“

„Nein, das werde ich nicht, wenn Sie gestatten. Ich möchte ihr Tänzer bleiben…“

„Und wenn ich nicht will, dann werden Sie mich wohl wieder raustragen...“

Sie hatte es in lachendem Tone gesagt, aber Kuba fühlte den Vorwurf. Er schüttelte eifrig den Kopf.

„Das müssen Sie mir nicht nachtragen, ich war so aufgeregt.“

Er ließ sich auf dem Stuhl neben sie nieder und bestellte eine Flasche süßen Muskateller. Dann rückte er näher und hob sich mit halber Verneigung vom Stuhl.

„Ich heiße Jakob Sunda und stamme aus Woscellen. Ich bin seit acht Tagen auf Urlaub bei meinen Eltern und jetzt hier zu Besuch bei meinem Onkel Sareyka.“

Das Mädel neigte würdevoll den Kopf.

„Ich heiße Anna Jezorek. Mein Vater ist tot, die Mutter hat hier einen Hof…“

Jetzt verneigte sich Kuba in gebührender Weise. Dann fragte er: „Jetzt sagen Sie mir, was war das für ein Mensch, mit dem ich vorhin den Streit hatte?“

„Das ist ein Eigenkätnersohn, der bei uns arbeitet.“

„So, so; jetzt verstehe ich...“

Das Mädel sah ihn mit einem schelmischen Blick an und schüttelte den Kopf. „Nein, Herr Sunda, Sie irren sich.“

Kurz nach drei Uhr morgens gab Kubas Tänzerin den Entschluß kund, nach Hause zu gehen. Sie habe die ganze Wirtschaft unter sich, und die Margellen würden nicht vor sechs oder sieben nach Hause kommen. Eilends holte Kuba Helm und Pallasch aus dem Nebenzimmer, doch als er in den Saal zurückkehrte, war Anna schon verschwunden.

Ziemlich ärgerlich ging er bis auf die Straße hinaus. Da stand sie und wartete.

„Herr Sunda, ich wollte nicht mit Ihnen zusammen 'rausgehen, das macht soviel Aufsehen. Die Leute werden schon so wie so genug zu reden haben. Und daß Sie mich auf dem Stuhl durch den Saal getragen haben, wird man mir vorhalten, solange ich lebe…“

Kuba wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Er empfand nur das Verlangen, das Mädel an sich zu ziehen. Sie ließ es ruhig geschehen, daß er den Arm um sie legte. Dann beugte er sich hinab und hob sie wie ein Kind auf seinen Arm. Dabei fühlte er, wie ihr ganzer Körper bebte. Aber sie sagte kein Wort. Sie nestelte nur ihr Gesicht an seine Brust. So schritt er mit ihr davon. Zuletzt hob er sie höher und suchte mit seinen Lippen ihren Mund. Er ließ sich ohne Widerstand finden. Vor dem Tor ihres Gehöfts entwand sie sich seinen Arm.

„Nun lassen Sie mich gehen, Herr Sunda.“

„Nein, nicht Herr Sunda... ich bin jetzt dein Kuba und du meine Anna.“ Sie hob die gefalteten Hände zu ihm auf.

„Herr Sunda, lassen Sie mich gehen. Sie fahren nachher fort nach Berlin und lachen über die dumme Margell.“

„Nein, Anna. Ich habe dich zwar nach nichts gefragt, ob du reich bist oder arm, denn das ist mir ganz egal. Aber wenn du so denkst wie ich, komme ich morgen vormittag zu deiner Mutter und wir versprechen uns für immer.“

Er streckte ihr beide Hände entgegen. Mit einem jubelnden Laut flog das Mädel in seine Arme. Lange noch gingen sie Hand in Hand die Dorfstraße vor dem Gehöft auf und ab. Anna erzählte, daß sie noch einen Bruder habe, der leider verkrüppelt sei. Sie werde die Wirtschaft erben, aber — es sei nicht viel zu erwarten. Der Vater habe schlecht gewirtschaftet, die Besitzung sei mit Hypotheken überlastet... Sie hätten Mühe, durchzukommen und umsomehr, weil kein Mann im Hause sei. Der Friedrich Grubi, den Kuba heute hinausgetragen habe, verspitze sich darauf, einzuheiraten. Aber das sei gar nicht möglich, denn er habe nichts. Und selbst wenn er ganz reich wäre, würde sie ihn nicht nehmen.

Ebenso offenherzig schilderte Kuba seine Verhältnisse. Er sei nicht der Erbsohn, werde aber ein paar tausend Taler mitbekommen. Die Olitzka habe ihm zwar gestern zwei reiche Mädel vorgeführt, aber daran sei kein Gedanke, daß ihm eine gefallen habe. Er müsse allerdings noch ein Jahr beim Militär bleiben. Während dieser Zeit könnte man sich aber darüber schlüssig werden, ob er auf Versorgung weiter dienen sollte oder nicht. Das beste wäre es. Dann brauchte die Besitzung beim Verkauf nur ein Ausgedinge für ihre Mutter und den Bruder bringen. Sie beide hätten genug zum Leben, wenn er Wachtmeister wäre...

Schließlich kamen sie dahin überein, daß Kuba, wenn er zum Besuch käme, noch nicht bei der Mutter um sie anhalten sollte. Sie würde ihr ja alles sagen, aber vor den Leuten brauchte man es noch nicht bekannt zu geben.

Kuba hatte erst widersprochen, aber sich dann gefügt. Und als er am andern Morgen die ganze Sache überdachte, mußte er sich sagen, daß Anna das Richtige getroffen habe. Wenn er sich so plötzlich mit dem Mädel verlobte, dann regte er nicht nur die Eltern, sondern die ganze Verwandtschaft gegen sich auf. Sie würden es alle für eine Dummheit ansehen, wenn er nach einer Bekanntschaft von ein paar Stunden sich an ein Mädel hängen wollte, das nichts besaß. Den Beweis dafür sollte er gleich erhalten. Beim Frühstück erzählte der Onkel seiner Frau wie Kuba den Grubi rausgetragen und nachher auch die Anna Jezorek. Dabei wandte er sich an seinen Neffen: „Das hast du gut gemacht, mein Jungchen. Die Margell, das ist ja ein Krät! Will mit dir nicht tanzen! Aber du hast sie klein gekriegt. Sie war ja nachher ganz zahm. Übrigens du hast einen guten Geschmack, mein Jungchen! Die hübscheste Margell aus dem ganzen Dorf hast dir ausgesucht!“

„Was redst du, Onkel! Es ist doch ein ordentliches Mädel?“

„Gewiß ist sie das. Eine richtige Kratzbürst! Da hat schon mancher vergeblich bei ihr angeklopft! Sie läßt jeden gehen und sagt: er gefällt mir nicht. Und dabei könnte sie einen Mann mit Geld ganz gut gebrauchen. Die Mutter ist schon klapperig, der Bruder mit den verkrümmten Händen und Füßen braucht Pflege und Aufwartung... Aber nein... Sie schafft lieber wie ein Mann von morgens bis abends, anstatt zuzugreifen, wenn ein reicher Freier kommt. Eins muß ich ja sagen, wer die bekommt, hat eine tüchtige Frau...“

„Vielleicht will sie den Grubi heiraten.“

Der Onkel lachte laut auf. „Davon ist keine Rede. Der Kerl ist bloß dumm. Er scharwerkt der Anna wie ein Knecht, und sie macht sich über ihn lustig. Die ist nicht so dumm, ihn zu nehmen.“

Mit der Auskunft konnte Kuba zufrieden sein. Sie bestätigte alles, was das Mädel ihm vor wenigen Stunden gesagt hatte. Gleich nach dem Frühstück rüstete er sich zu dem Besuch bei Frau Jezorek. Der Onkel begleitete ihn bis vor die Tür.

„Sieh dich vor, mein Jungchen. Ich gönn' dir ja für die paar Tage, die du hier bist, das Vergnügen. Aber die Margell ist zu schlau. Die weiß, was sie will und du könntest da hacken bleiben. Na, du bist ja auch nicht von heute und gestern!“

…Er fand Anna am Herde stehen. Bei seinem Eintritt schrak sie zusammen, dann aber warf sie sich mit einem strahlenden Blick an seine Brust. Die Mutter saß am Tisch und las im Gesangbuch. Eine kleine Frau mit müden Augen und einem vergrämten Gesicht, dessen unzählige Runzeln von schweren Sorgen und viel Kummer erzählten. Langsam legte sie die dick gerahmte Brille mit den großen runden Gläsern auf das Buch und erhob sich, um den Gast zu begrüßen, den die Tochter ihr an der Hand zuführte. Sie war des Deutschen wohl nicht mächtig, denn auf masurisch begann sie mit müder Stimme: „Seien Sie willkommen, Herr Unteroffizier. Meine Anna hat mir alles erzählt... alles..., sie ist klug genug, um zu wissen, was sie tut und ich bin alt, ich werde euch nicht mehr lange zur Last fallen. Mein Weg geht aufwärts zu Gott. Wenn man jung ist, wie ihr, dann glaubt man, es gibt nichts Schöneres auf dieser Welt als sich zu heiraten, aber, aber... man muß auch wissen, wie man zueinander paßt... Und das stimmt nicht immer... Der eine geht rechts, der andre links... Das gibt kein gutes Gespann.“

Kuba wußte nicht, was er zu diesem Empfange sagen sollte. Das war doch deutlich eine Absage der Mutter. Und ein paarmal hatte er gesehen, wie es in den Augen der alten Frau so sonderbar aufzuckte...

„Ja, ja, es gibt Hohe und Niedrige in dieser Welt. Aber das ist nur die Welt des Scheins, und der Arme soll sich nicht verlocken lassen. Auch du, mein Sohn, wirst Enttäuschungen erleben, denn keiner soll höher steigen, als ihm vorgeschrieben ist. Dafür hat der liebe Gott den Rang und die Ehre geschaffen, die jedem zukommt. Bleibe im Lande und nähre dich redlich. Das ist ein wahres Wort, ein sehr wahres Wort...“

Kuba fühlte sich von diesem unsinnigen Salbadern angewidert. Die muckernde Mutter und der verkrüppelte Bruder… Das waren keine angenehmen Zugaben. Aber ein Blick auf das Mädel, dem die Augen voll Tränen standen, genügte, um ihn wieder fest zu machen. Er saß noch eine ganze Weile, sprach aber wenig, denn die Alte plapperte immerfort in ihrer Weise von allem Möglichen. Und er glaubte den Sinn dieser scheinbar ziellosen Rederei zu erkennen... Er hatte das Gefühl, als wenn die Alte schauspielerte, als wenn sie ihn mit ihrem Benehmen abschrecken wollte. Schließlich stand er auf und nahm Abschied mit dem Ausdruck des Bedauerns, daß er Annas Bruder nicht habe sehen können. Mit einer gemessenen Bewegung des Kopfes reichte die Alte ihm die Hand.

Anna hatte ihren Schatz auf den Hof bis zum Torweg geleitet. Dort stand Fritz Grubi mit der kurzen Pfeife im Mund, die Hände in den Hosentaschen. Er musterte die beiden mit frechem Blick. Anna gebot ihm kurz, nach dem Stall zu gehen, es sei Zeit, die Kühe zu füttern. Mit einem höhnischen Achselzucken ging der Bursche langsam davon.

Traurig reichte Anna ihrem Liebsten die Hand.

„Du wirst nicht wiederkommen, das weiß ich. Aber du hast wenigstens gesehen, was ich auszustehen habe. Die Mutter hält sich zu dem Gromadki, den Frommen, und der Grubi geht mit ihr in jede Versammlung. Meist trägt er auch noch meinen Bruder hin. Den haben sie ja auch damit angesteckt... Wer weiß, wie lange ich mich noch dagegen wehren kann... bis sie mich unterkriegen...“

Sie ballte die Fäuste und knirschte vor Erregung mit den Zähnen.

„Manchmal zweifle ich, ob ich meiner Mutter Kind bin. So predigt sie mir täglich. Von des Morgens bis des Abends... Heute früh, als ich ihr erzählte, daß du kommen wirst, hat sie kein Wort gesagt, aber ich sah es ihr an, daß sie schon alles wußte. Der Grubi hat sie sicherlich in der Nacht noch aufgeweckt, um ihr alles zu erzählen.“

Ohne auf die Leute zu achten, die vorbeigingen, legte Kuba seinen Arm um sie. Er hatte das Gefühl, als wenn er ein Lump sein müßte, um jetzt das Mädel zu verlassen. Jetzt verstand er auch, weshalb sie ihn heute nacht zuerst abgewiesen hatte. Das war ja ein schreckliches Dasein, das sie führte! Und er sollte ihr nicht beistehen, aus diesen Verhältnissen rauszukommen? Er nahm seinen Helm ab, der ihn dabei hinderte, bog sich zu ihr herab und küßte sie herzlich. Da hing sie sich mit beiden Händen an ihn, begann laut zu schluchzen und mit erstickter Stimme flüsterte sie ihm zu: „Habe Dank, Geliebter, für alles. Und sei nicht böse, daß ich heute nacht so zurückhaltend war. Ich kann mir nichts vergeben vor diesen Frommen... Sie lauern ja bloß darauf... Aber, wenn's mir zuviel wird, dann gehe ich von hier weg und komme zu dir nach Potsdam als deine Magd, als deine... Lieber verworfen werden und frei, als sich täglich mit Füßen treten lassen...“

Sie warf noch einmal ihre Hände um seinen Hals und küßte ihn heiß. Dann riß sie sich los und lief mehr als sie ging zum Hause zurück. Auf der Schwelle hob sie noch einmal grüßend die Hand, dann war sie verschwunden. Wie im Traum wanderte Kuba die Straße entlang, nicht zum Hause des Onkels zurück, sondern hinaus aus dem Dorf, in das Feld. Jedes Wort, das Anna gesprochen, zitterte in ihm nach. Kahl und öde lag die Flur ihm. Zu zweien und dreien stiegen die Lerchen von dem Acker auf, zwitscherten eine kurze Strophe und kehrten schwebenden Fluges zur Erde zurück... Sie rüsteten sich zur Abreise. Auf einer Birke am Wege saß eine Krähe. Sie krächzte ärgerlich beim Abstreichen... Ihm war zu Mut, als müsse er sofort umkehren und das Mädel an die Hand nehmen: „Komm mit! Laß' den ganzen Kram stehen und komm' mit mir!“

2.

Als ich den Kawaljer kennen lernte, war er ein stiller ernster Mann von nahezu vierzig Jahren. Seine Eltern waren tot, sein Bruder Liba auch. Die väterliche Besitzung hatte er verkauft und Dlugossen übernommen, das ihm der kinderlose Onkel Sareyka hinterlassen hatte. Durch Zukauf hatte er es vergrößert, so daß man es als Gut ansprechen mußte, besonders seitdem er das alte Haus abgerissen und durch ein großes massives Gebäude ersetzt hatte. Schon seit zehn Jahren führte er den Namen Kawaljer, das heißt der Hagestolze, denn er war noch unbeweibt, was in Masuren zu den größten Seltenheiten zählt. Eine ältere Person führte ihm die Wirtschaft. Auch die Olitzka lebte bei ihm. Er hatte sie aus Woscellen mitgebracht. Jetzt war es ein verschrumpeltes, altes Weibchen, das hüstelnd im Hause umherschlich.

In der ganzen Umgegend galt der Kawaljer als ein tüchtiger Landwirt, der seine Besitzung musterhaft verwaltete. Er las die „Georgine“, das Fachblatt der ostpreußischen Landwirte und hielt sich sogar einige Tageszeitungen. Vor mehreren Jahren lernte ich ihn auf einer Jagd kennen. Er war auf jedem Stand mein Nachbar, auch abends beim Schlüsseltreiben. Wir hatten uns schnell angefreundet, und als wir uns nach der Jagd zum Souper umkleideten, lud er mich ein, ihn auf ein paar Tage zu begleiten. Ich könnte bei ihm jagen, fischen, reiten, ohne jede Beschränkung, denn er sei Junggeselle, wie ich wohl schon aus seinem Namen Kawaljer gehört haben werde. Gewohnt, jede Gelegenheit beim Schopfe zu fassen, sagte ich zu. Noch in derselben Nacht fuhr ich mit ihm mit. Er war mit dem Reitwagen gekommen, einen hochbeinigen Traber davor. Wir saßen rittlings hintereinander, die Flinten umgehängt, den Rucksack auf dem Rücken. Eine längere Unterhaltung war unter diesen Umständen ausgeschlossen. Nur manchmal bog er sich halb zu mir zurück und rief mir etwas zu, was ich meist nicht verstand, denn es wehte ein strammer Ost, und auf dem hartgefrorenen Landwege ratterten die Räder. Erst kurz vor dem Gutshof ließ er den Gaul langsam gehen und wies mit der Peitsche nach einem erleuchteten Fenster.

„Da wartet meine alte Olitzka noch auf mich. Wir bekommen noch ein Glas Grog.“

Der Kawaljer hatte mich auf die Seite des Hauses geführt, die wie eine richtige masurische Bauernstube eingerichtet war. Gleich links von der Tür ein gewaltiger dunkelbrauner Kachelofen. An den Wänden mehrere alte Schränke und in der gegenüberliegenden Ecke der lange, weißgescheuerte Tisch mit einer Holzbank davor und dahinter. Darüber hing eine einfache Lampe mit breitem Blechschirm. In derselben Ecke eine Wanduhr, deren langer Pendel rechts und links aus dem Gehäuse hervorkam. Vernehmlich tönte das Knack, Knack der alten Uhr durch den weiten Raum.

Vor dem Herdfeuer auf der Ofenbank saß die Olitzka und spann. Die Arbeit schien nicht sehr schnell vorwärts zu gehen, denn alle Augenblicke sank dem alten Weiblein der Kopf an die Brust. Nach ein paar tiefen Atemzügen schrak sie auf, netzte den Finger an der Zunge und ließ das Rad schnurren.

Wir waren schon beim zweiten Glas Grog und hatten schon von allem Möglichen gesprochen, als ich die Frage tat, weshalb Sunda Einspänner geblieben sei. Ein Landwirt ohne Frau sei doch schlimm daran.

Ohne weitere Aufforderung hatte der Kawaljer zu erzählen angefangen. Von seiner Jugend, von der schönen Soldatenzeit. Seitdem er zu erzählen begonnen, war die Alte nicht mehr eingeschlafen. Und sehr oft unterbrach sie ihn, um Einzelheiten zu berichtigen, die er entweder vergessen hatte oder für unwesentlich hielt. Mir belebten sie das Bild. Von der späteren Geschichte wußte leider die Olitzka nichts und der Kawaljer Kuba erzählte so kurz und abgerissen, daß meine Phantasie das meiste dazu tun mußte...

***

Noch einmal hatte Kuba, ehe er zu den Eltern zurückkehrte, seine Liebste gesehen und gesprochen. Als er im Abendgrauen die Dorfstraße entlang ging, fand er sie vor dem Hoftor stehen. Sie habe seit seinem Besuch die Hölle im Haus. Er drang in sie, alles im Stich zu lassen und nach Potsdam oder Berlin zu kommen. Dort werde sie jederzeit eine Stellung als Dienstmädchen bei einer feinen Herrschaft finden, und nach zwei, drei Jahren, wenn er Wachtmeister geworden sei, könnten sie heiraten.

Sie schüttelte den Kopf.

„Dann geht hier alles drunter und drüber. Der Kerl, der Grubi, möchte mich ja gern zur Frau haben, aber noch lieber möchte er bloß hier alles an sich raffen, was hier noch zu nehmen ist. Dann werden Mutter und Bruder wie Bettler auf die Straße geworfen. Sollen sie ins Armenhaus gesperrt werden und bei lebendigem Leibe verhungern? Nein, Geliebter, laß mich meine Wege gehen, und gehe du deine Wege, sie können nie zusammenführen.“

Er drang noch einigemale in sie, aber vergebens. Später hat er sich oft den Vorwurf gemacht, daß er nicht energischer aufgetreten war. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er mit der Mutter ein ernstes Wort gesprochen hätte. Und dann hätte er nach einem Jahr wiederkommen müssen und die Wirtschaft übernehmen... Die kurze Zeit hätte das Mädel sich wohl noch durchgerungen...

Er hatte wohl damals noch nicht gewußt, wie sehr er die Kleine liebte. Die tiefe Sehnsucht nach ihr kam auch erst später, als sie für ihn verloren war!

Zum Abschied hatte sie ihm nur die Hand gereicht, so daß er sich gekränkt fühlte, als sie sich umwandte und ins Haus ging. Nachher in Potsdam kam die Sehnsucht über ihn. Er setzte sich hin und schrieb ihr einen langen Brief, daß er nicht von ihr lassen werde. Sie sollte ihm umgehend schreiben, was sie zu tun gedenke. Wenn sie nicht dorthin kommen wollte, werde er zu Weihnachten Urlaub nehmen, um selbst mit der Mutter alles in Ordnung zu bringen. Als zukünftiger Schwiegersohn könne er es verlangen, daß der Grubi entlassen würde. Mit seinem kleinem Vermögen und tüchtiger Arbeit wäre die Besitzung wieder hochzubringen.

Vergeblich hatte er auf Antwort gewartet. Auch ein zweiter Brief blieb unbeantwortet. Vergeblich zerbrach er sich den Kopf darüber. Manchmal kam ihm der Gedanke, als habe die Margell doch etwas anderes von ihm erwartet. Wenn er sie in seine Kammer getragen hätte anstatt vor ihr Hoftor... Dann rief er sich wieder ins Gedächtnis zurück, was sie in jener Nacht und noch später miteinander gesprochen hatten. Wahrscheinlich hatte Anna an der Ernsthaftigkeit seiner Absichten gezweifelt. Dann mußten aber seine beiden Briefe sie eines andern belehrt haben...

Die Angelegenheit beschäftigte ihn so, daß er manchmal mitten beim Exerzieren wie aus einem Traume aufwachte, bis ihn schließlich sein Wachtmeister beiseite nahm und ihn ganz energisch vermahnte, sich zusammenzureißen. Ob ihm ein Mädel im Kopf stecke, oder ob er irgendwelche andre Sorgen habe. Er hatte ausweichend geantwortet, sich dann aber mehr zusammengenommen.

Zu Ostern rief ihn eine traurige Pflicht in die Heimat. Sein Vater war ganz plötzlich gestorben; er war zu den Fischern auf den See gegangen, um ein Gericht Fische zu holen. Abends in der Dunkelheit war er in eine Wuhne geraten und hatte sich heiser geschrien, bis ihm vom Dorfe Rettung gebracht wurde. Zwei Tage danach war er tot. Eine heftige Lungenentzündung hatte sein Ende herbeigeführt. Die Sache war so schnell gegangen, daß Vater Sunda kein Testament mehr hatte machen können. Infolgedessen ging die Besitzung zu gleichen Teilen an die beiden Söhne. Gleich nach dem Begräbnis, im Beisein der Verwandten, ging die Erbteilung vor sich. Es war nur die übliche Hypothekenschuld bei der Landschaft vorhanden, dafür aber noch ein schönes Stück Geld da, das in kleinen Posten zu guten Zinsen auf Grundbesitz ausgeliehen war. Kuba drang selbst darauf, daß die Besitzung nicht zu hoch abgeschätzt würde, damit dem Bruder das Wirtschaften nicht zu schwer gemacht würde. Dann stattete er die Mutter noch von seinem Teil mit einem reichen Altenteil aus, und trotzdem blieben ihm noch zwölftausend Taler übrig.

Er war also ein wohlhabender Mann, der tun und lassen konnte, was er wollte. Nach Dlugossen zu Anna hinüberzufahren, dazu war die Zeit zu kurz. Bei einem Gang auf das Feld hatte er Ohm Sareyka, der natürlich zum Begräbnis gekommen war, nach dem Mädel gefragt. Der hatte beide Hände in die Seiten gestemmt und mit dem Kopf geschüttelt.

„Nimm mir's nicht übel, Kuba, wenn ich das sage: Aber du bist doch ein großes Schaf. Schon mehr ein Merino! Du hast sie auf den Armen getragen die ganze Dorfstraße, bist zu ihr ins Haus gegangen... Wie kann man bloß so dumm sein? Na, ich will nichts weiter sagen...“

„Onkel, nu hör' mal ruhig zu. Was du meinst, hätte ich haben können, wenn ich gewollt hätte.“

„Na ja, na siehst du!? Wenn du sie wirklich heiraten wolltest, dann mußtest du...“

„Nein, Onkel. Darüber sind wir andrer Meinung. Ich habe ihr deutlich genug gesagt, daß ich sie heiraten will… auch nachdem ich ihre Mutter gesehen hatte.“

„Na, nimm mir's nicht übel, Kuba, darüber muß ich mich doch wundern. Wer die Mutter gesehen hat, nimmt die Tochter nicht. Laß mich mal ausreden, mein Jungchen! Ich will nicht sagen, daß der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, das trifft hier nicht zu, aber wer wird sich solch ein Pack auf den Hals laden! Nicht nur die Mutter, sondern auch den verrückten Bruder und den Grubi dazu. Die Margell hat sich gesagt: Wer nicht ganz verrückt hinter mir ist, der kommt nicht wieder...“

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Dann fragte Kuba: „Ist denn dort noch alles beim alten?“

„Mach' dir doch keine Gedanken darüber, schlag' dir doch bloß die Margell aus dem Kopf! Die wird noch ein paar Jahre nach einem reichen Mann suchen...“

„Du hast mir doch im Herbst gesagt, daß sie schon mehrere reiche Freier abgewiesen hat...?“

„Ja, das habe ich gesagt. Stimmt auch. Wer sie auf dem Tanzboden sieht, ist Feuer und Flamme. Aber sie weist jeden ab. Sie weiß ja, wenn er ins Haus kommt, und die Alte hält ihm eine Predigt, dann ist's aus. Ganz aus. Du bist eben ein... ein… na, wie sagt' ich doch... ein Schafskopf... Du hast dir von der Alten vorpredigen lassen und hast doch nicht genug daran gehabt.“

Den ganzen Tag grübelte Kuba darüber nach, was der Onkel ihm gesagt hatte. Jedes Wort bestätigte doch, daß die arme Margell sich für Mutter und Bruder opferte. Und am Ende hatte der Onkel doch recht, wenn er meinte, daß er zu zaghaft gewesen war. Wenn sie wirklich erwartet hätte, daß er... sie nicht vor ihr Hoftor tragen würde... Er faltete die Hände über den Kopf und preßte seinen Schädel zusammen, bis die Haut ihn schmerzte.

Am andern Tage, ehe Onkel Sareyka abfuhr, nahm er ihn noch einmal beiseite.

„Onkel, ich muß dir noch etwas sagen. Von Potsdam aus habe ich zweimal an die Anna geschrieben, daß ich hinkommen will und als zukünftiger Schwiegersohn alles glatt machen werde. Sie hat mir nicht geantwortet.“

„Na, du!“

„Nein, Ohmchen! Ich kann mir aber die Sache erklären. Nun habe ich eine große Bitte an dich. Du bist doch Ortsvorsteher. Du kannst sie unter einem Vorwand zu dir rufen lassen und sie fragen, weshalb sie von mir nichts mehr wissen will.“

„Das werde ich schön bleiben lassen, mein lieber Kuba. Die Menschen dort in den Städten mögen vielleicht anders darüber denken, wir Bauern sehen bei solch einer Sache nicht sowohl auf die Margell selbst wie auf die Familie. Und das hat seinen guten Grund, mein Jungchen. Der Vater ist ein Säufer gewesen, die Mutter ist halb verrückt und der Bruder ist verkrüppelt zur Welt gekommen. In solch eine Familie heiratet man nicht. Man hat auch Pflichten gegen seine Kinder... Kreuzschwerenot noch einmal! Nun mach' kein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter! Ist denn bloß die eine Margell auf der Welt? Und hast du noch eine Ursache, hinter ihr herzulaufen? Noch ein paar Jahre, dann wird sie auch fromm werden, wird den Grubi heiraten und die Sache ist richtig! Basta!“

***

Kurz vor dem Manöver wurde Kuba nachmittags zum Wachtmeister gerufen. Er zog sich vorschriftsmäßig an, denn er glaubte, der Rittmeister wäre da und er sollte in seinem Beisein die Kapitulation für ein weiteres Jahr unterschreiben. Statt dessen erhielt er ein Telegramm. Es lautete: „Liba tot. Komm sofort nach Hause! Deine Mutter.“

Mit einer Handbewegung faßte er sich nach der Stirn, mit der andern reichte er mechanisch das Papier dem Wachtmeister, der es kopfschüttelnd las.

„Ein bißchen viel Unglück in Ihrer Familie, lieber Sunda... Tut mir leid, herzlich leid, besonders deshalb, weil wir Sie verlieren werden. Wie ich annehme, wird Ihre Mutter Sie reklamieren... Der Rittmeister kommt in einer halben Stunde... Sie können inzwischen packen. …Richten Sie sich gleich darauf ein, daß Sie nicht wieder kommen... Sie werden ja sowieso einen längeren Urlaub beanspruchen. Vom Appell sind Sie vorläufig dispensiert.“

Wie im Schlaf ging Kuba auf seine Stube zurück. Es war, als wenn die Fähigkeit zu denken ihn verlassen hätte. Ein dumpfes, betäubendes Gefühl war über ihn gekommen. Sein Beritt trat auf der Stube zusammen, der Gefreite führte die Leute weg... er merkte es kaum!

Allmählich kam Ordnung in seine Gedanken. Die Nachricht vom Tode des Vaters hatte ihn nicht so betroffen. Als er damals nach dem Begräbnis zurückgekehrt war, hatte er sich mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß sein Leben fortan so verlaufen werde, wie er es sich von Anfang an vorgenommen. Noch acht, neun Jahre beim Regiment, dann eine kleine Beamtenstellung... Jetzt warf das Ereignis wieder alle seine Pläne über den Haufen. Jetzt mußte er die Wirtschaft übernehmen. Verkaufen und die Mutter unter fremden Menschen allein sitzen lassen? Nein, das war nicht denkbar! Also Abschied nehmen von seinem Regiment... Dazwischen blitzte der Gedanke auf, wie es wohl der Anna ginge... Jetzt kam er wieder dorthin, jetzt war er frei... Konnte tun und lassen, was er wollte...

Die Kameraden hatten ihn alle zur Bahn begleitet. Sogar der Rittmeister war mit den beiden Leutnants gekommen... Er hatte ihm zum Abschied noch gesagt; „Wenn es möglich wäre, Sunda, kommen Sie zurück... Ihren Platz in der Eskadron will ich Ihnen offen halten.“

Es war ein trauriges Wiedersehen mit der Heimat. Den Tod des Vaters hatte die Mutter in ziemlicher Fassung überstanden. Mein Gott, der Mann hätte bei seiner Gesundheit noch zwanzig Jahre leben können, aber einmal ist jedem das Ziel gesetzt... Früher oder später... Der Tod des Sohnes hatte sie viel mehr mitgenommen. Mit einem Scherzwort war er vom Frühstückstisch von ihr gegangen... Zehn Minuten später brachten die Arbeiter ihn leblos ins Haus getragen. Er hatte nachsehen wollen, ob das Heu ordentlich bis unter das Dach verstaut war; er brauchte Raum für das Getreide, das in diesem Jahre so gut geraten war, daß man nicht wußte, wo man den Segen lassen sollte. Dabei war er von dem festgepackten Heu hinabgeglitten und durch die Luke auf die Tenne gestürzt. Bei ähnlichen Unfällen hat einer mal ein Bein gebrochen oder den Arm... aber nein... Liba mußte mit dem Kopf aufschlagen und sich das Genick brechen...

***

Wir hatten zusammen seine Feldmark bejagt, und hatten in finsterer Nacht stundenlang im kleinen Kahn zusammen gesessen. Ich saß an den Rudern, der Kawaljer warf das Netz aus. Das gibt reichlich Gelegenheit, von Dingen zu sprechen, die einem das Herz füllen. Und mir wollte das nicht klar werden, weshalb die beiden Menschen nicht zusammengekommen waren, der Kuba und die Anna. Auf wessen Seite lag die Schuld? Oder mußte man sich mit mageren Redensarten begnügen, daß die Verhältnisse stärker gewesen als die Menschen? Der Kawaljer entwickelte eine rührende Geduld beim Beantworten meiner vielen Fragen. Es waren ja dieselben Gedanken, die auch ihn beschäftigten: hätte er durch keckes Zugreifen das Mädel an sich fesseln können?

...Bald nach dem Begräbnis des Bruders hatte er die Olitzka nach Dlugossen zur Anna geschickt. Sie hatte den festen Auftrag, nicht eher zurückzukommen, als bis sie völlige Klarheit geschaffen habe. Die Besitzung dort sollte gleich nach der Hochzeit verkauft werden. Was da rauskam, war ganz egal. Kuba wollte ein reichliches Altenteil für ihre Mutter und den Bruder sicherstellen. Nach acht Tagen kam die Olitzka, wie der Kawaljer erzählte, mit dem Bescheid zurück: es sei alles vergebens. Der Onkel habe recht behalten: die Anna sei fromm geworden, lasse die Gromadki Betversammlungen bei sich abhalten und werde wohl bald den Grubi heiraten. Der sei jetzt ein großer Mann unter den Frommen und predige.

„Weshalb haben Sie sich denn auf die Olitzka verlassen? Weshalb sind Sie nicht selbst hingefahren?“

Ich merkte, daß dem Kawaljer die Antwort auf meine Frage schwer wurde. Er setzte mehrmals an, schließlich sagte er tonlos: „Man kann doch hinter einer Margell nicht immerfort herlaufen! Ich war doch schon damals ein Mann, der etwas hinter sich hatte. Und ich wollte sie aus dem Dreck ziehen. Was soll man denn schließlich tun? Jetzt glaube ich beinahe, der Onkel Sareyka hat Recht gehabt, daß ich ein Schafskopf war, als ich die Margell vor ihr Hoftor trug.“

In mir war ein unbestimmter Verdacht aufgestiegen. Nach einer Weile fragte ich ganz harmlos: „Na sagen Sie mir mal, was ist eigentlich das alte Weib, die Olitzka, für eine Person? Nach allem, was ich gehört habe, muß sie doch bei ihrem Geschäft ein schönes Stück Geld verdient haben. Das werden Sie doch zugeben.“

„Nicht einen Pfennig...“ Ich hörte in der Dunkelheit, wie er mit dem Mittelfinger und Daumen gegen seine Kehle knipste.

„Das ist alles bei ihr hier durchgegangen. Sie hat einen feinen Geschmack für ein gutes Glas Wein, und noch heute geht sie mir über die Rumflasche, wenn ich sie nicht verschließe.“

Ich hatte eigentlich am andern Tage schon abfahren wollen, aber diese Auskunft erschien mir so wichtig, daß ich noch ein paar Tage zulegen wollte. Ich hatte ja nichts zu versäumen. Vielleicht gelang es mir, das alte Weib unter vier Augen zum Sprechen zu bringen. Schon der nächste Tag kam mir zur Hilfe. Der Kawaljer mußte nach der Stadt fahren, um einen Holztermin wahrzunehmen. Ich schlug die Aufforderung, ihn zu begleiten, unter dem Vorwand aus, daß ich noch ein paar Hasen auf der Suche schießen wollte. Bei der Abfahrt gab mir mein Wirt die Schlüssel zum Keller.

„Sie werden verklammt nach Hause kommen. Die Olitzka weiß Bescheid, wo der gute Rum liegt… Es ist auch ein milder Rotwein da...“

Ich ging nicht zur Jagd, ich blieb zu Hause. Schon beim zweiten Frühstück äußerte ich das dringende Verlangen, ein Glas Grog zu trinken. Dabei zeigte ich den Kellerschlüssel vor. In den Augen der alten Olitzka leuchtete es auf. Bereitwillig humpelte sie mit mir die ausgetretenen Kellerstufen hinunter und suchte mir auf mein Verlangen eine Flasche Rum und eine Flasche Rotwein aus.

„Die können Sie trinken, das ist wirklich was Gutes.“

„Suchen Sie bloß was Gutes aus, Olitzka, Sie werden ja auch ein Gläschen mittrinken.“

„Na, wenn es nicht anders sein kann, wieso nicht? Ein Gläschen Wein ist für einen alten Menschen doch ein Labsal.“

Es fiel mir nicht schwer, die Rede auf die Anna Jezorek zu bringen: ich meinte, es wäre doch ein Glück, daß der Kawaljer nicht die Margell geheiratet hätte. Der Onkel Sareyka habe doch recht gehabt...

Die Alte blinzelte mich aus ihren schwarzen Augen verständnisvoll an und nickte mir eifrig zu.

„Aber gewiß doch, liebes Herrchen. Meinen Sie, daß ich nicht hätte die Heirat zustande bringen können? Wer das glaubt, der kennt die alte Olitzka nicht!“

„Sie haben wohl damals, als Sie hier waren, auch in diesem Hause beim Sareyka gewohnt?“

„Na, gewiß doch, wo werde ich denn anders hingehen.“

„Der Ohm Sareyka war ja immer gegen diese Heirat.“

„Und mit Recht, liebes Herrchen. Ganz mit Recht. Er hat mir doch selbst gesagt: Wenn ich die Augen zumache, soll meine Besitzung nicht zerschlagen und unter die Erben verteilt werden! Ich werde den Kuba einsetzen, aber nur wenn die Margell hier nicht hineinkommt. Nun sagen Sie selbst: ich soll zu der Margell gehen und mit ihr alles bekunkeln und dafür geht dem Kuba dies schöne große Gut vor der Nase weg? Nein, so dumm bin ich doch nicht.“

„Haben Sie denn gar nicht mit der Anna gesprochen?“

„War ja gar nicht nötig, liebes Herrchen!“

„Wenn aber der Kawaljer selbst noch hingefahren wäre, wenn er ihnen nicht geglaubt hätte?“

„Ach wo! Der ist ja so... na ich will sagen... gutmütig, der glaubt jedem aufs Wort, was man ihm sagt. Bloß in einem ist er stiernackig. Er will nicht mehr heiraten. Nun sagen Sie selbst, liebes Herrchen, ist das nicht jammerschade? Dieses schöne große Gut und keinen Erben dazu. Das heißt: Erben sind genug, die lauern schon darauf.“

Sie hob ihr Glas, stieß mit mir an und schlürfte behaglich ein Schlückchen. Ich mußte an mich halten, um ihr nicht zu sagen, was ich dachte. Da saß die Alte vor mir, seelenvergnügt, mit dem Bewußtsein, eine gute Tat vollbracht zu haben, und im Grunde war sie es doch gewesen, wenigstens aller Wahrscheinlichkeit nach, die das Lebensglück zweier Menschen zerstört hatte.

…Sollte ich dem Mann die Augen öffnen? Jetzt, wo Jahre darüber verflossen waren, die ganze Geschichte wieder aufrühren? Wozu? Weshalb? Damit der Kawaljer sich mit Recht Selbstvorwürfe machte, während er jetzt nur darüber grübelte, ob und wieweit ihn eine Schuld träfe? Schließlich fragte ich die Alte, was denn aus der Anna geworden sei.

„Das wissen Sie nicht? Die hat ja geheiratet. Nicht den Grubi. Davon war nie die Rede. Einen Fischereiaufseher Bimbinnek. Der verkrüppelte Bruder starb ja gleich im nächsten Jahr. Die Mutter haben sie mitgenommen... Die soll ja auf ihre alten Tage beinahe vernünftig geworden sein. Aber lange hat sie nicht mehr gemacht.“

„Wann war das ungefähr?“

„Sie meinen, Herrchen, wann die Anna geheiratet hat? Das war wohl bald nach dem Tode des Sareyka. Der Bimbinnek hat schon eine ganze Zeit um sie herumgeschwänzelt, aber sie wollte von ihm auch nichts wissen. Bis mit einem Male Verlobung und Hochzeit war, beinahe auf einmal. Die Leute meinten ja, das wäre von wegen... Aber das war nicht wahr, sie haben keine Kinder miteinander.“

Mit erschreckender Deutlichkeit stand die ganze Entwickelung vor mir. Das Mädel war dem Kawaljer aus dem Wege gegangen und hatte den ersten besten genommen, der die Hand nach ihr ausstreckte...

3.

Ein Jahr später führte mich das Schicksal wieder in die Heimat. Ich hatte den Auftrag, die Seen fischwirtschaftlich zu erforschen, ihre Tiefen zu messen, die Flora und Fauna jedes einzelnen genau zu beschreiben und die Ergebnisse auf einer Karte einzutragen. Die Beamten hatten den Auftrag, mich dabei zu unterstützen. Am großen Selmentsee meldete sich bei mir ein Fischereiaufseher Bimbinnek. Ein kleiner, untersetzter Mann, semmelblond, mit farblosen Augen, die unstät umherstackerten. Mein erster Gedanke war: ein unangenehmer Kerl. Der zweite: Sollte das der Mann der Anna Jezorek sein? Tagelang fuhren wir zehn, zwölf Stunden auf dem See umher. Kein Beamter hatte mir noch so gute Auskunft geben können wie er. Er kannte das große Gewässer wie seine Tasche. Seine Antworten waren stets kurz und präzis, nie sprach er ein überflüssiges Wort.

So sehr ich seine Tüchtigkeit anerkennen mußte: mir war der Mensch unbequem. Wenn man so den ganzen Tag über auf einem engen Kahn zusammengeschmiedet ist, die beiden Bauernjungen, die den Kahn ruderten, zählten doch nicht mit..., dann möchte man doch manchmal ein Wort sprechen, das nicht gerade nur dienstlich ist. Sonst hatte ich gerade im Gespräch mit den Beamten manches erfahren, was mir wertvoll zu wissen war, aus diesem Menschen mußte ich alles und jedes durch eine Frage herausholen. Schließlich wurde ich ärgerlich und fragte ziemlich scharf: „Weshalb machen Sie den Mund gar nicht auf? Sie sehen ja aus, als wenn Ihnen die Petersilie verhagelt wäre?“

„Haben Sie etwa den Auftrag, auch über uns Beamte geheimen Bericht zu erstatten?“

Der gereizte Ton ärgerte mich, denn ich war in diesem Augenblick sein Vorgesetzter. Ich konnte ihn scharf anblasen und er mußte still sein, ohne zu mucken. Dies Bewußtsein gab mir wohl die Ruhe wieder. Und mein ruhiger Ton war es, der ihn entwaffnete, als ich antwortete: „Nein, Herr Fischereiaufseher. Ich fragte nur als Mensch den Menschen. Vielleicht aus dem Gefühl heraus, daß ich Ihnen helfen könnte, wenn Sie eine Sorge drückt.“

Erst nach einer ganzen Weile kam die Antwort. „Was mich drückt, können Sie mir nicht abnehmen, Herr Doktor.“

Der Ton klang ganz anders. Er reizte mich, weiter zu fragen. „Sagen Sie mal, Bimbinnek, ist ihre Frau vielleicht eine geborene Jezorek aus Dlugossen?“

Mit einem Ruck drehte er sich auf der Ruderbank zu mir herum. „Woher wissen Sie das?“

„Sehr leicht erklärlich... Es gibt doch fast kein Dorf in der Masurei, das ich nicht kenne. Da hört man mal einen Namen, der bleibt im Gedächtnis.“

„Kennen Sie meine Frau?“

„Nein, Bimbinnek, ich habe das Vergnügen nicht gehabt.“

„Vergnügen? Wenn Sie das Vergnügen genießen wollen, sie kennen zu lernen, dann bitte ich gehorsamst, heute bei mir einzukehren. Wir wollen ja sowieso in Sentken landen.“

„Weshalb nicht... Nun will ich Ihnen auch sagen, was ich von Ihrer Frau weiß. Sie hat als Mädchen schwere Tage gehabt mit dem krüpplichen Bruder und der frommen Mutter.“

Er lachte auf mit einem Ton in der Stimme, der mir durch und durch ging. „Fromm? Gesoffen hat das Weib... Steine aus der Erde hat sie gesoffen... den letzten Unterrock ging sie verkaufen, bloß um sich Schnaps zu beschaffen. Den Jungen hat sie auch mit Schnaps gefüttert, daß er schließlich ganz blödsinnig wurde, und wenn sie beide dann ganz voll waren, dann fingen sie an, zu singen und zu beten.“

Er schlug mit der Faust auf den Kahnbord. „Der Deuwel hat mir geraten, daß ich mir die Margell angeheiratet habe.“

„Aber, lieber Bimbinnek, dafür konnte doch das Mädel nicht! Und soviel ich von ihr gehört habe, war sie nicht nur ein bildhübsches, sondern ein ordentliches Mädel, das unter den traurigen Verhältnissen furchtbar litt.“

„Ganz richtig, Herr Doktor. Aber ich war eben der Notnagel. Ich weiß alles, auch daß der Unteroffizier sie auf den Armen nach Hause getragen hat... daß sie sich mit ihm gebrautet hat... wie lange, weiß ich nicht... Ist ja jetzt auch egal...“

„Weshalb haben Sie sie denn genommen?“

„Das frage ich mich auch, Herr Doktor. Sie wissen ja, wenn der Mensch hinter einem Mädel verrückt wird...“

„Ihre Frau mußte ihnen doch dankbar sein, daß Sie sie aus den unleidlichen Verhältnissen erlöst haben und aus reiner Liebe, wie ich annehmen muß, denn Geldeswert war doch dort aus der Besitzung nicht zu holen.“

Er machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. „Wollen lieber davon nicht reden, Herr Doktor. Sie werden ja heute abend selbst sehen, wie die Dankbarkeit sich äußert. Ein Stein wird warm, wenn man ihn ins Feuer legt, aber meine Frau nicht. Und wissen Sie weshalb?“

Er sprang so heftig auf, daß der Kahn schaukelte. „Weil ich ihr gar nichts bin... Sie läßt sich von mir nicht einmal anfassen. Der andere, der Kawaljer, wie sie ihn jetzt nennen, steckt ihr noch im Kopf.“

Ich mußte wohl unwillkürlich den Kopf geschüttelt haben, denn er fuhr noch heftiger fort: „Sie hat es mir ja selbst gesagt, als ich ihr zum erstenmal Vorwürfe machte.“

„Aber, lieber Bimbinnek, weshalb quälen Sie sich denn die langen Jahre mit einer Frau, die nichts von Ihnen wissen will? Weshalb lassen Sie sich nicht scheiden?“

„Damit sie zu dem andern geht? Nein, Herr Doktor. Ich bitte bloß den lieben Gott, daß er mich nicht mit dem Menschen zusammenführt. Das gäbe ein Unglück.“

„Weshalb? Der Mann ist ebenso unglücklich wie Sie! Teils durch seine Unentschlossenheit, teils durch eigenartige Schicksalsfügungen ist er um das Mädchen gekommen, das er noch heute mit ganzer Seele liebt. Ja, ich weiß es sehr gut. Noch im vorigen Herbst war ich einige Tage bei ihm, da haben wir darüber gesprochen. Das Mädel war Wachs in seinen Händen, gleich in der ersten Nacht. Aber er hat seine Macht nicht mißbraucht. Ich glaube einen Eid darauf ablegen zu können. Wäre er weniger gewissenhaft gewesen, wäre die Anna Jezorek jetzt seine Frau. Welchen Grund haben Sie, sich an ihm zu rächen?“

Nach einer Weile fuhr ich dringender fort: „Jetzt sind drei Menschen unglücklich! Geben Sie Ihre Frau frei, dann können zwei noch glücklich werden. Und auch Sie werden Frieden finden. Jetzt schafft Ihnen das Zusammenleben mit der Frau doch nur Qualen. Sie gehen aneinander zugrunde.“

Seine Brust hob und senkte sich in heftigen Atemzügen.

Schließlich schüttelte er den Kopf.

„Ich kann nicht! Ich würde wahnsinnig werden, wenn sie von mir ginge.“

***

Am Abend lernte ich Anna Bimbinnek geborene Jezorek kennen. Nach meiner Berechnung mochte sie drei- bis vierunddreißig Jahre alt sein. Beim ersten Anblick verstand ich, warum sich der Kawaljer in Sehnsucht nach ihr verzehrte und ihr Mann mit glühender Leidenschaft an ihr hing. Dieses feingeschnittene Gesicht mit dem vollen Mund und den dunklen, schwermütigen Augen mußte jeden Mann gefangen nehmen.

Die kleine Wohnung sah äußerst einladend aus. Auf dem weißgedeckten Tische brannte hell eine tadellos saubere Lampe. Das Essen, ein Fischgericht, stand schon fertig. Die ganze Anordnung so anheimelnd, daß man die Sorglichkeit der Hausfrau auf den ersten Blick erkannte. Bimbinnek stellte mich kurz vor und nötigte mich, Platz zu nehmen, von seiner Frau nahm er scheinbar keine Notiz. Nur manchmal streiften sie seine Augen mit einem schnellen Blick, in dem sich scheue Zärtlichkeit mit einer seltsamen Erregung mischte. Und diese Blicke wiederholten in jeder Minute alles, was der Mann mir vorhin gesagt hatte. Es war peinlich, das stumme hoffnungslose Ringen, das Betteln um Liebe anzusehen. Wie sehr ihn seine Gedanken beschäftigten, merkte ich deutlich daran, daß er mitten im Gespräch den Faden verlor und sich gewaltsam aufraffen mußte, um weiter zu sprechen.

Die Frau mischte sich nicht in unsre Unterhaltung, die sich um die Ergebnisse des Tages drehte. Sie sorgte mit kühler Aufmerksamkeit für uns und nötigte ihren Mann ebenso wie mich zum Zulangen. Dann räumte sie das Geschirr ab, stellte uns Gläser, die Rumflasche und eine Kanne mit heißem Wasser hin und verließ uns. Als sie die Tür zur Küche hinter sich geschlossen hatte, brach Bimbinnek mitten im Gespräch ab.

„Jetzt haben Sie meine Frau kennen gelernt, was sagen Sie nun?“

Ich hatte das Gefühl, daß ich meine Worte sehr sorgsam abwägen mußte, deshalb zuckte ich die Achseln und meinte, nach den wenigen Minuten des Beisammenseins wäre kein Urteil zu fällen. Eins sei jedoch sicher, daß er eine gute Hausfrau habe, die ihn mit stiller Sorgfalt umgebe.

Er zuckte die Achseln.

„Wäre auch noch schöner, wenn die Wohnung bei zwei kinderlosen Menschen nicht wie ein Schmuckkästchen aussehen sollte! Aber still? Das ist nur äußerlich! Sie sollen mal sehen, wie die lebendig werden kann.“

„Um Gottes willen, Bimbinnek, Sie werden doch nicht etwa mit Ihrer Frau eine Szene machen?“

„Ich denke nicht daran, Herr Doktor. Aber versuchen Sie mal! Erzählen Sie ihr nachher, daß Sie in Dlugossen gewesen sind und den Kawaljer kennen.“

„Das werde ich nicht tun. Das hieße ja mit dem Feuer spielen.“

Ehe ich's verhindern konnte, war er aufgestanden und hatte die Tür zur Küche geöffnet. „Du, Frau, komm mal rein. Der Herr Doktor kennt deine Heimat ganz genau. Er ist im vorigen Herbst beim Kawaljer zu Besuch gewesen.“ Zögernd legte die Frau den Teller weg, den sie in der Hand hatte und trat näher. Ihr forschender Blick ging zuerst zu ihrem Mann, dann zu mir. Sie wußte augenscheinlich nicht, was diese Einleitung bezweckte. Wenn es noch möglich war, wollte ich die Szene, die der Mann herbeiführen wollte, vereiteln. In möglichst gleichgültigem Tone erzählte ich, daß ich im vorigen Herbst den Herrn Sunda kennen gelernt und einige Tage mit ihm gejagt und gefischt hätte.

„Ein schönes, großes Dorf“, fuhr ich eifrig fort. „Aber die Jagd ist schlecht. Wir haben in den acht Tagen bloß ein paar Hasen geschossen, dafür aber um so schönere Fische gefangen. Einen Hecht von mindestens 18 Pfund, mit dem Staknetz. Sie wissen doch, Bimbinnek, das ist meine Leidenschaft…“

Mir schien es, als habe die kurze Zeit genügt, um der Frau ihre Fassung wiederzugeben, denn sie sagte ganz gleichmütig: „Ja, ich bin auch aus Dlugossen. Meine Eltern hatten dort eine Hufe Land. Der zweite Sohn von den Dolingas aus Lasken hat sie gekauft.“

Während sie sprach, hatte ich mein Glas ausgetrunken und griff nach meiner Mütze. „So, meine verehrten Herrschaften, haben Sie Dank für Speis' und Trank, ich will noch meine Notizen ordnen und mit den Bauern reden, man erfährt doch so manches.“

Bimbinnek sprang zu und nahm mir dienstfertig die Mütze aus der Hand. „Bleiben Sie doch noch, Herr Doktor. Jetzt wird's ja erst gemütlich. Jetzt können Sie mit meiner Frau von Dlugossen plaudern.“

Der heisere Ton, in dem der Mann halb lachend diese Worte hervorstieß, zeigte mir deutlich, was er beabsichtigte. Wenn ich ging, fing Bimbinnek eine Auseinandersetzung mit seiner Frau an über das alte Thema, das sie wohl schon tausendmal miteinander durchgesprochen hatten. Wenn ich blieb, konnte ich das vielleicht verhindern. Also blieb ich. Zu meinem Erstaunen schloß der Aufseher die Tür hinter seiner Frau, kam auf mich zu und nahm meine Hand.

„Herr Doktor, ich habe wohl gefühlt: Sie haben ganz richtig bemerkt, was ich beabsichtigte. Tun Sie mir den Gefallen und sprechen Sie mit meiner Frau von dem Kawaljer. Ja, sprechen Sie!“

„Was soll das für einen Zweck haben?“

„Den Zweck, den Sie mir heute nahegelegt haben. Die Frau soll offen sagen, ob sie mich wie ihren Mann behandeln will, der sie lieb hat, der getreulich für sie sorgt... Ich habe sie aus dem Dreck gezogen, in dem sie versaufen mußte...“

„Haben Sie denn auch Geduld gehabt mit Ihrer Frau?...“

Wir hatten gar nicht laut gesprochen, aber durch die dünne Tür hatte die Frau alles verstanden. Plötzlich stand sie bei uns. „Herr Doktor, Sie haben das erlösende Wort gesprochen. Nein, er hat mit mir keine Geduld gehabt. Ich mußte weinen und sollte lachen und mit ihm zärtlich tun. Und wenn ich das nicht konnte, dann hat er mich...“ sie schrie es fast heraus... „mißhandelt.“

Sie schob das Haar, das sie mit einem Scheitel in der Mitte tief über die Ohren hinabgestrichen trug, zurück, so daß eine dicke rote Narbe sichtbar wurde.

„Das war das erste Liebeszeichen von ihm. Ich habe schweigend geduldet, selbst unsre Flurnachbarn haben nie gemerkt, wie es bei uns herging... Und dann verlangt der Mann Liebe von mir. Ich habe ihn auf den Knien gebeten, er möchte mich loslassen. Ich will weggehen, in die weite Welt, wo mich der... der andre nicht findet.... Aber nein... er hält mich fest wie in Ketten...“

„Ihr Mann liebt Sie, liebt Sie sehr...“

„Das nenne ich nicht Liebe, Herr Doktor. Wenn er mich wirklich lieb hätte, dann würde er mich freigeben...“

Sie reichte mir die Hand: „Entschuldigen Sie, Herr Doktor, daß wir Sie mit unseren häuslichen Verhältnissen behelligt haben.“

Mit völlig ruhiger Stimme wandte sie sich zu ihrem Mann: „Du begleitest wohl den Herrn mit der Laterne nach dem Krug. Es ist sehr finster draußen, und der Weg ist schmutzig.“ Ohne die Erwiderung abzuwarten, ging sie nach der Küche und brachte die Laterne.

„Gute Nacht, Herr Doktor, und gute Fahrt morgen.“

***

Unterwegs hatten wir beide wenig gesprochen. Ich hatte Bimbinnek offen gesagt, daß er durch seine Heftigkeit alles verdorben habe. Es sei ja nachträglich nicht zu entscheiden, ob er durch gleichmäßige Nachsicht und Freundlichkeit seine Frau gewonnen haben würde. Aber so viel stehe fest, daß es unsinnig sei, jetzt noch auf eine Besserung ihres gegenseitigen Verhältnisses zu hoffen. Das Richtige wäre, die Frau freizugeben. Wenn er das nicht wollte, so müßte er sich wenigstens so weit beherrschen, daß sie beide friedlich nebeneinander hergehen könnten.

Beim Abschied vor dem Kruge bedankte er sich bei mir für den guten Rat, er werde versuchen, ihn zu befolgen.

Am nächsten Tage arbeiteten wir fleißig. Ich wollte schon um Vesper Schluß machen und in Mrosen landen, um noch mit einigen Bauern über die Ablösung ihrer Fischereigerechtsame zu verhandeln. Meine Leute sollten den Aufseher noch nach Hause bringen. Der Wind stand gut; sie konnten hin- und zurücksegeln. Den ganzen Tag über hatten wir seine häuslichen Verhältnisse mit keinem Wort gestreift, obwohl Bimbinnek, wie mir schien, Lust dazu hatte. Abends saß ich im Dorfkrug mit den Bauern des Dorfes zusammen, die mir bereitwillig ihre Beschwerden und Wünsche vortrugen. Die Regierung hatte ihnen die Verwendung des Zugnetzes als nicht zum „kleinen Gezeug“ gehörend untersagt. Sie fanden sich dadurch beschwert und wollten die Angelegenheit gerichtlich austragen.

Plötzlich stand der Fischereiaufseher im Zimmer. Er sah ganz verstört aus, und die Stimme bebte ihm, als er mich hat, mit ihm hinauszugehen, er habe mir unter vier Augen etwas mitzuteilen. Wir traten vor die Tür in die Dunkelheit hinaus und gingen noch zwanzig Schritt die Dorfstraße entlang. Dann blieb Bimbinnek stehen und sagte mit tonloser Stimme: „Meine Frau ist weg.“

Bei diesen Worten atmete ich auf, denn ich hatte die Befürchtung, die Frau habe sich gewaltsam vom Leben geschieden. Vielleicht hatte der Mann sich auch nur ungenau ausgedrückt.

„Hat sie nichts hinterlassen, was über ihren Verbleib Auskunft gibt?“

„Nichts! Die Schlüssel zu dem Schrank lagen auf dem Tisch. Der Haustürschlüssel lag in seinem Versteck, wo sie ihn immer hintut, wenn sie während meiner Abwesenheit das Haus verlassen muß.“

„Hat niemand aus der Nachbarschaft sie weggehen sehen?“

„Ich habe noch niemand gefragt. Es ist auch nicht anzunehmen, daß sie jemand gesehen hat. Sie brauchte nur zwischen den Bäumen zum See hinunter zu gehen und dann am Ufer entlang, bis die Straße an den See kommt.“

„Haben Sie denn gestern abend noch einen Aufruhr mit ihr gehabt?“

„Nein, bei Gott nicht! Ich habe noch in meinem Tagebuch geschrieben und ein Glas Grog getrunken. Dann wurde ich müde und ging in die Klappe. Sie lag schon und schlief fest. Als ich heute morgen aufstand, hatte sie schon den Kaffee fertig und mir das Essen für den Tag eingepackt. Ich habe ihr noch zum Abschied die Hand gereicht, was ich seit langer Zeit nicht mehr getan habe.“

„Wenn Sie jetzt zurückdenken, war ihr nichts anzumerken?“

„Wenn ich offen sein soll: ja! Sie sah mich mit einem Blick an, der mir den ganzen Tag zu denken gab.“

„Was haben Sie sich denn gedacht?“

„Mir schien es, daß Ihr Rat sehr gut wäre, als wenn ich durch gutes Benehmen doch noch mit ihr in ein leidliches Verhältnis kommen könnte. Ich habe mich geirrt. Das war der Abschied von mir.“

An seiner Stimme merkte ich, daß der harte Mann weinte. Ich wartete eine ganze Weile, bis ich fragte, was er nun zu tun gedenke.

„Auf mich brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen. Ich behelfe mich die wenigen Tage, die ich noch hier zu tun habe, auch ohne Sie. Ich werde Ihnen einen Brief an den Fischmeister mitgeben, daß er sie für einige Tage freigibt, bis Sie vom Oberfischmeister einen längeren Urlaub erhalten haben. Und wenn Sie gleichzeitig ihre Versetzung beantragen wollen, will ich das gern befürworten. Ob ich Ihnen Glück bei Ihren Nachforschungen wünschen soll, weiß ich nicht. Ich meine: reisende Leute soll man nicht aufhalten. Selbst wenn Sie Ihre Frau auffinden, was nicht ganz leicht sein dürfte, was hoffen Sie davon? Sie hat sich von Ihnen gelöst und ich muß ehrlich sagen, daß ich mich darüber wundere, daß es so spät geschehen ist. Sie wird sich also weigern, zu Ihnen zurückzukehren. Dann bleibt Ihnen nichts weiter übrig, als die Scheidungsklage wegen böswilligen Verlassens einzuleiten.“

„Nein, das wird nie geschehen. Daß sie von mir weg gegangen ist, das möchte ich schon überwinden, aber daß sie womöglich zu dem andern geht, das werde ich verhindern.“

„Mir scheint, Sie sind auf dem Holzwege, Bimbinnek. Wenn Ihre Frau die Vereinigung mit dem Kawaljer suchen würde, dann wäre sie schon lange von Ihnen gegangen. Sie will nur Ruhe haben vor Ihnen. Das Bewußtsein mag für Sie schmerzlich sein, doch dagegen ist nichts zu machen. Ziehen Sie einen Strich unter diese traurige, verfehlte Episode Ihres Lebens und versuchen Sie, ganz davon loszukommen, indem Sie sich von der Frau scheiden lassen.“

Der Fischereiaufseher hatte in der großen Krugstube ganz schnell hintereinander, während ich den Brief an den Fischmeister schrieb, mehrere Glas Bier hinuntergestürzt, hatte mir wortlos zum Abschied die Hand gedrückt und war dann gegangen.

Ich habe ihn nie wiedergesehen.

Etwa drei Wochen später erhielt ich einen eingeschriebenen Brief. Er hatte mich schon einige Tage gesucht. Ganz dienstlich meldete mir Bimbinnek, daß er die Spur seiner Frau bis nach Königsberg verfolgt habe. Seitdem seien alle Nachforschungen vergeblich gewesen. Er habe sich dann nach Berlin gewandt, aber umsonst. Jetzt sehe er ein, daß er seine Frau für immer verloren habe. Das Leben habe für ihn keinen Wert mehr, er werde selbst ein Ende machen. Zum Schluß bedankte er sich, daß ich ihn durch meine Worte davon abgebracht hätte, noch einen zweiten in das Unglück hineinzuziehen. Es sei ihm in diesem Augenblick lieb, daß er ohne schwere Schuld ins Jenseits gehe. Was er seiner Frau gefehlt, wolle er dadurch sühnen, daß er sie frei gebe. Er habe nichts dagegen, daß der Kawaljer die Versuche, die Frau zu finden, mit besserem Glück fortsetze.

Spuren von Tränen auf dem Papier und die zittrige Schrift bezeugten nur zu deutlich, daß der arme, unglückliche Mensch in furchtbarer Erregung diese Zeilen geschrieben hatte. Später erfuhr ich, daß er auch seiner vorgesetzten Behörde den Entschluß, aus dem Leben zu scheiden, mitgeteilt hatte. Aus einer Zeitungsnotiz, die ich bald darauf in Berliner Blätter fand, ersah ich, daß er seinen Entschluß noch an demselben Tage zur Ausführung gebracht hatte.

4.

Der Schluß des Briefes hatte mir gewissermaßen einen Auftrag gegeben, den ich dem Kawaljer ausrichten mußte. Ohnedies hätte ich mich verpflichtet gefühlt, ihm alles zu melden, was ich wußte. So setzte ich mich denn noch an demselben Abend hin und schrieb ihm ausführlich über meine Begegnung mit Bimbinnek und seiner Frau. Ich teilte ihm auch mit, was die alte Olitzka mir gesagt hatte und bat ihn, das Weiblein nicht entgelten zu lassen, was es aus guter Absicht gefehlt. Zum Schluß sprach ich die Erwartung aus, daß er unverzüglich sich aufmachen werde, Anna zu suchen.

Einige Tage später nahm mich das Schicksal zwischen seine harten Hände und schleppte mich weit weg. Erst nach einigen Jahren war es mir vergönnt, die Heimat wiederzusehen. Wie es so kommt, wurde viel von alten Bekannten gesprochen. Schließlich fragte ich auch nach dem Kawaljer.

Dlugossen lag zwar einige Meilen weit ab, aber ich wußte, daß die Grünröcke, mit denen ich zusammen saß, ihn kannten, denn er kam zu den Treibjagden im Winter bis hierher. Meine Frage löste ein kräftiges Hallo aus.

„Das wissen sie nicht? Der hat ja seine alte Liebe gefunden und geheiratet. Es ist auch schon ein Stammhalter da.“

Sofort stand mein Entschluß fest. Am nächsten Morgen sattelte ich mein Stahlroß und fuhr nach Dlugossen. Es herrschte an dem Tage eine so erschreckliche Hitze, bei völliger Windstille, daß ich über Mittag lange Rast halten mußte und erst gegen Abend ankam.

Genau so hatte ich mir das Bild ausgemalt, das ich zu finden hoffte. Das Ehepaar Sunda saß auf der geräumigen Veranda des Hauses. Der Kawaljer las die Zeitung. Nicht weit von ihm saß seine Frau und schäkerte mit dem drallen Buben, der auf ihrem Schoß lag. Eine ganze Weile stand ich hinter dem deckenden Strauch und freute mich des lieblichen Anblicks...

Nach dem Abendbrot hatte Frau Anna uns allein gelassen. Es war eine der hellen Nächte kurz nach Johanni. Die Nachtigall sang noch, am nördlichen Himmel stand der lichte Schein, den das scheidende Tagesgestirn hinterlassen hatte und rückte allmählich nach Osten weiter, bis er kurz nach zwei Uhr sich rötlich zu färben begann und die Vögel erwachten. Kawaljer erzählte. Mein Brief hatte ihn in furchtbare Aufregung versetzt. Er konnte aber nicht sofort weg. Er mußte erst für einen zuverlässigen Menschen sorgen, der die Leitung der Wirtschaft übernahm. Als er den in einem älteren Verwandten gefunden, machte er sich auf den Weg. Nach vielem Überlegen hatte er sich entschlossen, seine Nachforschungen in Berlin zu beginnen.

Er hatte vorher über alles nachgedacht und hatte sich gesagt, ohne Ausweispapiere kann sie auch in der Großstadt nicht auskommen. Sie wird sich von dem Ortsvorsteher in Sentken eine Bescheinigung über ihre Person beschafft haben.

Seine Voraussetzung war richtig. Der Ortsvorsteher in Sentken bestätigte ihm, daß von der Polizei in Berlin kurz nach dem Tode des Bimbinnek eine Anfrage über die Frau eingelaufen wäre, die er beantwortet habe. Die Spur war gefunden, aber in Berlin ging sie sofort verloren. Anna war auf der Polizei „unbekannt wohin“ verzogen abgemeldet. Mit vieler Mühe machte er die Frau ausfindig, bei der sie einige Wochen gewohnt hatte, bis der Schein aus der Heimat eingetroffen war. Sie hatte der Frau die Schlafstelle für einen ganzen Monat im Voraus bezahlt und war eines Tages mit ihrem kleinen Koffer in ihrer Abwesenheit davongegangen.

Nun war die Spur wieder verloren. Bei seinem ziellosen Hin- und Herwandern in Berlin hatte Kawaljer eines Tages einen Kameraden vom Regiment getroffen, der als Kriminalbeamter angestellt war. Sie hatten miteinander ein fröhliches Wiedersehen gefeiert, und schließlich hatte er dem Freund sein Leid geklagt. Und das war sein Glück.

Denn nach einigem Hin- und Herreden hatte der erfahrene Beamte die Vermutung ausgesprochen, daß Frau Bimbinnek ihren Namen abgelegt und unter ihrem Mädchennamen irgendwo einen Unterschlupf gefunden habe. Schon nach wenigen Tagen brachte der Freund die Nachricht: eine gewisse Anna Jezorek sei in Steglitz in der Gartenstraße bei einem Professor als Köchin in Stellung.

„Mein Freund“, so erzählte der Kawaljer, „hatte Mühe, mich davon abzuhalten, daß ich nicht noch an demselben Abend hinausfuhr. Aber am nächsten Morgen stand ich schon, als der Tag graute, an der nächsten Straßenecke, von der ich das Haus und jeden, der aus- und einging, sehen konnte. Kurz vor neun Uhr trat sie aus der Gartenpforte, ging über die Straße und kam an der Seite entlang, wo ich stand. Ich hatte mich gleich so weit zurückgezogen, daß sie mich nicht sehen konnte, und als sie um die Ecke bog, stand ich vor ihr. Ein bißchen ungeschickt bin ich ja immer gewesen, also auch diesmal. Was ich zu ihr im ersten Augenblick gesagt habe, weiß ich nicht mehr, ich besinne mich nur, daß ich sie in meine Arme schließen wollte, und daß sie in demselben Moment einen Schritt zurückgetreten war. Dann drehte sie sich kurz um und ging zurück. Ich neben ihr, erzähl' ihr so schnell wie nur irgend möglich alles, was ich sagen will. Sie geht ins Tor, ohne mir eine Antwort zu geben, schlägt mir die Tür vor der Nase zu und ist mit ein paar Schritten in der Haustür und weg.“

„Das war doch aber sonderbar.“

Frau Anna mochte schon eine ganze Weile im dunklen Zimmer gestanden und zugehört haben. Denn jetzt trat sie vor.

„Herr Doktor, Sie müssen sich in meine Lage versetzen. Ich kam nach Berlin mit dem Gefühl wie ein gehetztes Wild, denn ich sagte mir immer, daß mein Mann mir folgen und alles aufbieten werde, um mich ausfindig zu machen. Viel Geld hatte ich nicht bei mir. Ich mußte also gleich darauf bedacht sein, eine Stellung zu finden. Zudem war ich mit den dortigen Verhältnissen ganz unbekannt. Ich sah aber bald, daß es unmöglich war, ohne einen Schein aus der Heimat durchzukommen.

Endlich fand ich eine Gesindevermieterin, die mich für einige Zeit aufnehmen wollte, ohne mich anzumelden. Als ich aber immer wieder das Schreiben in die Heimat aufschob, setzte sie mich an die Luft. Ich hatte inzwischen eine arme Frau kennen gelernt, die ein paar Häuser davon wohnte und froh war, als ich zu ihr zog und ihr die Schlafstelle teuer genug und dazu einen Monat im voraus bezahlte. Um das Geld dafür aufzubringen, hatte ich schon etwas von meinen Sachen versetzen müssen, wozu sie mir ihren Mietskontrakt borgte. Ich war nur einige Tage bei ihr, da las ich in der Zeitung, die sie trotz ihrer Armut mit mehreren andern Frauen zusammen hielt, die Nachricht von dem Tode meines Mannes.

Unsre Ehe war nicht glücklich gewesen, aber wir hatten doch mehr als zehn Jahre miteinander verbracht und ich mußte mir sagen, daß mein Verschwinden ihn… ich muß es ohne Beschönigung aussprechen... in den Tod getrieben hat. Das ist der einzige Schatten, der auf unserem Glück liegt.

Nimm mir nicht übel, Jakob, daß ich das sage, aber: hätte ich das vorausgesehen, dann wäre ich nicht von ihm gegangen. Ich habe es nicht für möglich gehalten, daß ein Mann das Weib, das er in manchen Zeiten fast täglich prügelt, so lieb haben kann, daß er ihretwegen in den Tod geht.“

Sie schwieg, von der Erinnerung überwältigt, und streckte ihrem Manne die Hand entgegen, die er mit kräftigem Griff umschloß.

„Das waren schwere Tage für mich, so daß ich beinahe die Sorge um die Zukunft vergessen hätte, wenn meine Wirtin mich nicht daran erinnert hätte. Sie meldete mich nun sofort bei der Polizei an und sorgte dafür, daß ein Abzugsschein von Sentken eingefordert wurde. Sie sorgte auch sonst für mich. Wohl auf ihr Betreiben kam eines Tages eine Vermieterin und bot mir die Stelle in Steglitz an. Ich fuhr mit ihr hin, stellte mich vor und wurde angenommen. Nun stellen Sie sich meinen Seelenzustand vor, als plötzlich Jakob vor mir steht. Ich habe es ihm schon gesagt: das Herz sprang mir vor Freude, meine Hände flatterten und dabei schnürte mir etwas die Kehle zu, daß ich ihm nicht antworten konnte. Und wissen Sie was: ich fürchtete mich vor ihm.“

„Das habe ich mir nicht erklären können“, fiel jetzt der Mann ein. „Ich wartete den ganzen Tag vergeblich auf ihr Erscheinen. Abends kam ein ganz junges Mädel aus dem Hause. Ich sprach die Kleine an und gab ihr einen Taler und bat sie, die Anna zu bewegen, daß sie zu mir herauskäme. Bis nach zehn Uhr habe ich gewartet, dann fuhr ich nach Berlin zurück. Da gab mir mein Freund einen guten Rat.

Am andern Morgen ging ich ganz früh ins Hans und zog die Klingel. Wer öffnet mir? Die Anna! Aber im nächsten Augenblick schlägt sie mir die Tür vor der Nase zu. Nun klingelte ich aber so lange, bis das kleine Mädel erschien und mich bei dem Herrn Professor meldete. Ich hatte mir eine Visitenkarte geschrieben und bat den Herrn um eine dringliche Unterredung. Ich habe wohl etwas weit ausgeholt und ihm meine ganze Lebensgeschichte erzählt, aber der freundliche alte Herr hatte Ausdauer beim Zuhören. Er muß wohl auch gemerkt haben, woran ich hinaus wollte, denn gleich nach den ersten Minuten holte er seine Frau herein.

Da habe ich denn vor den beiden alten Leuten mein Herzeleid ausgeschüttet. Zuletzt haben sie mit mir geweint und mir die Hände gedrückt. Dann ging die Frau Professor raus und kam schließlich mit der Anna wieder. Und wissen Sie, was bei ihr den Ausschlag gegeben hat? Die letzten Worte in dem Brief, den Bimbinnek an Sie geschrieben hat. Deshalb denke ich auch ohne Groll an ihn. Er hat die Anna auf seine Art sehr lieb gehabt. Er hat Ruhe gefunden und wir ehren sein Andenken.“

Wir hoben still die Gläser und ließen sie leise aneinanderklingen. Dann fuhr der Kawaljer fort: „Wir feierten bei Professors eine stille Verlobung. Ich ging in die Heimat und Anna blieb dort, bis die gesetzliche Zeit, daß ich sie heiraten konnte, um war. Dann fuhr ich wieder nach Berlin. Die lieben Professorsleute waren die einzigen Trauzeugen auf dem Standesamt und in der Kirche. Dann aßen wir zusammen und abends fuhren wir in die Heimat.

Im vorigen Sommer waren Professors bei uns zu Besuch. In acht Tagen kommen sie wieder; da ist dann Taufe von dem Jungen. Dabei dürfen Sie nicht fehlen. Ich werde ihm jetzt meinen Namen Kawaljer` übergeben, denn bei mir trifft er doch nicht mehr zu...“

Er stand auf und winkte mit den Augen seine Frau zu sich heran. Ohne zu wissen, was er von ihr wollte, kam sie näher. Da bückte er sich und nahm sie mit einem schnellen Griff vom Boden auf in seine Arme.

„Nun sehen Sie bloß, Herr Doktor, dieser Arm voll Mensch kann das ganze Glück oder Unglück eines Mannes ausmachen.“

Frau Anna schlug lächelnd die dunklen Augen zu ihm auf:

„Dein Glück ist noch viel kleiner, das liegt dort in der Wiege.“

Am fernen Horizont über dem schwarzen Waldessaume schoß der erste Strahl der aufgehenden Sonne empor. Aus dem Roggenfeld hinter dem Garten klang der weiche Lockruf der Wachtel, die ihre Jungen um sich sammelte...

Ende.

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