werden. (Man soli nicht vergessen, wer aller von »der neuen Ord-nung« gesprochen hat). Es ist aber mehr ais lacherlich, dafi jene, die schon seit Jahren kontinuierlich auf der Position des Kampfes um das wirklich Neue stehen, jetzt wegen aller Sunden des Alten angeklagt werden, gerade von denen, die keinen geringen Anteil an der Etabli-rung dieses Alten hatten. Die Mystifizierung mit dem Nationalen ais dem »Neuen« soli das faltige, abgezehrte Gesicht des alten Weibes Biirokratie maskieren und mit dicker Schminke bedecken, weil sie glaubt sich sich verjiingen zu kónnen, wenn sie kokett dreifarbige Bandchen tragt.
Die Mystifizierung mit dem Nationalen hat noch ein anderes Ziel: sie ist tatsachlich ein sehr effektvolles und anziehendes Medium, um die Massen zu gewinnen, das niemand etwas kostet, niemand zu etwas verpflichtet, es stellt aber eine Waffe dar, mit der man die Unter-stiitzung breiter Schichten gewinnt, den Kreis der sonst unpopularen biirokratischen Creme popular macht. Wie kommt es dazu?
Vor allem besteht im politischen Staat (der nach Marx nicht einmal in seiner hóchsten demokratischen Form die menschliche Emanzipa-tion ermoglichen kann) ein fest aufgebautes System von Manipula-tionsmechanismen (Massenmedium u. a.), die heute - trotz aller Skep-sis und Abwehr, die Einzelne gegen sie empfinden - aufierordentlich stark wirken, sogar auf den, der glaubt, nicht unter ihrem Einflufi zu stehen. Die politische Macht ist starker denn je, und deshalb verfugt diese Macht mehr ais jemals in der Geschichte iiber die Moglichkeit, dauernd mit Wahrheiten und »Wahrheiten« pragmatisch zu verfah-ren. Es war aber immer so, dafi der, der die Wahrheit ais das hochste Gesetz ansah, keinesfalls irgend ein System der politischen Macht und Gewalt ais Hochstes ansehen konnte. Heute aber wurde es klarer, wie sehr in politischen Systemen Wahrheit und Unwahrheit relativistisch angeglichen sind, und welchen Wert sie erhalt, je nachdem, ob sie der Macht dient. Die Massenmedien ais Instrumente dieser Macht schaf-fen eine allgemeine Atmosphare, der sich in iedem Fali nur eine Min-derheit entziehen kann. AuFerdem bedeutet in der Politik und den politischen Kombinationen das Kennen des Menschen eigentlich die »Brauchbarkeit« des Menschen kennen, und so entscheiden sich die Menschen oft nach einem oft kaum sichtbaren Mechanismus ihrer Instikte. die man mit Hilfe der Angst vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung dirigieren kann. In einer Analyse, die auf eine Reihe an-derer fur diese Unterstutzung relevanten Momente verwiese (von einigen haben wir bereits gesprochen) sollte man ein ganz spezifisches Element in der Situation, in der man annimmt, dafi das nationale Kri-terium das einzige und erste zur Bewertung der Menschen und die sogen. Personalpolitik ist, nicht unterschatzen. Die Gefahr, von der die Rede ist, wird erst dann zur Wirklichkeit, wenn die »Cr£me« die Valorisierung ubernimmt, d. h. wenn von oben das Nationale ais das Grundlegende, Wichtigste, Entscheidende zur Charakterisierung Ein-zelner und von Gruppen dekretiert wird. Dann namlich werden oft Mediokritaten (und Mediokritaten sind nicht in der Minderheit, son-dern, in ihrer gutmiitigen Mittelmaftigkeit genahrt, yermehren sie sich
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