30 Friedbert Ficker 4
Ais Ergebnis derartiger Einflusse sind auch in der Wiedergeburtszeit auftauchende Themen aus der christlichen Kunst Westeuropas wie die Illustrationen zur Apokalypse zu betrachten, die in den vorangegangenen Jahrhunderten in der Bilderwelt der Ostkirche nicht dargestellt werden durften und nun ais eine Bereicherung empfunden wurden. Szenen aus der Offenbarung des Johannes finden sich sowohl unter den Wandmalereien des Preobraźenski -Klosters ais auch auf der Narthex-Westseite der Hauptkirche im Rila-Kioster12. Die neuen Motive haben ihren Weg nach Bulgarien ebenfalls iiber den Berg Athos gefunden, wo in den Klóstem Dionysiu und Dochiarion jeweils ein Zyklus von 21 Fresken die Wandę schmiickt. Ais Vorlagen dienten die von der Diirerschen Holzschnittfolge angeregten Nachschnitte Cranachs und Holbeins aus den Jahren 1522 und 1523. Die Malereien sind im Zusammenhang mit den Stiftungen des Groflwojwoden Johannes Peter IV. Raresch von der Moldau-Walachei sowie dessen Tochter, der Fiirstin Roxandra, und ihres Gatten, des Fursten Alexander IV. Lapuschneanu, entstanden. Wahrend die Wandbilder in den Athos-Klóstem in der groflen Gesamtkonzeption von den deutschen Holzschnittfolgen ubemommen wurden, haben die unbekannten Maler die Details in die orthodoxe Bildsprache umgeformt und in diese eingefiigt. Demgegeniiber ist in den bulgarischen Klóstem wieder eine Annaherung an die westeuropaischen Formen festzustellen13.
Ein wesentlicher Teil dieses Wandlungsprozesses, der eng mit der gesuchten volkstiimlichen Breitenwirkung ais einer wichtigen Voraussetzung fur die notwendige Reorganisation der Kirche zusammenhangt, ist ein offensichtlich auf die Zeitverhaltnisse und damit auf den zunehmenden Widerstand gegen die osmanische Fremdherrschaft ausgerichteter Bedeutungswandel oder besser gesagt, eine aufkommende inhaltliche Mehrschichtigkeit, wie sie z.B. in der Kunst der Renaissance unter dem Einflufi des Humanismus in vergleichbarer Weise zu finden ist. Diese Anpassung an die Erfordemisse der Zeit laflt sich auffallig an den Darstellungen der beiden Reiterheiligen Georg und Demetrius studieren14.
Nach einer von der Legenda Aurea aufgenommenen Uberlieferung wird der HI. Georg reitend auf einem weiflen Pferd wiedergegeben, wie er mit der Lanze einen Drachen besiegt und damit die vom Opfertod bedrohte Kónigstochter in Lybiarettet Er giltso ais Kampfer gegen das Bose und ais Bezwinger des Feindes15.
12 Ders., Das Rila Kloster, nationales Glaubens- und Kulturheiligtum in Bulgarien. Miinchen, Regensburg 1993.
13 P. Huber, Die apokalyptischen Holzschnitte von Cranach und Holbein. In: Ders., Athos, Leben, Glaube, Kunst. 2. Aufl., Ziirich u. Freiburg/Br. 1978, S. 365-383.
14 S. dazu L. Kretzenbacher, St. Georg mit dem Jiingling auf dem Streitrofl. In: Miinchner Zeitschrift fur Balkankunde 1. Bd. 1978, S. 181-196; ders., Griechische Reiterheilige ais Gefangenenretter. Ósterr. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. KI., Sitzungsber. 421, Wien 1983; Th. Raff, Der hl. Georg ais Knabenretter. In: Miinchner Zeitschrift fur Balkankunde, 3. Bd. 1980, S. 113-126.
15 A. Chatzinikolaou, Heilige. In: Reallexikon zur byzantin. Kunst Bd. 2, Stuttgart 1971, Sp. 1058; H. Z. Keller, Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. 3. Aufl., Stuttgart 1975, S. 216-219; H. Sachs, E. Badstubner, H. Neumann, Christliche Ikonographie in Stichworten. Leipzig 1980, S. 147-148.
14 E. Lucchesi Palli, Georg. In: Lexikon der christlichen Ikonographie Bd. IV Freiburg i. Br. 1974, Sp. 371.