Ritter Roland 09 Götz Altenburg Der falsche König Artus

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Der falsche König Artus

von Götz Altenburg

scanned by : horseman

kleser: Larentia

Version 1.0

Der Gewappnete auf dem Turm setzte die Tuba an die
Lippen. Ein urgewaltiger Ton dröhnte über Land und Meer.
Die trotzige Burg auf den Uferklippen erinnerte an die
hochgereckte Schwurhand eines Riesen. Die Sonne sank.
Das scheidende Licht schenkte der glatten See so
ziemlich alle Farben, die es gibt. Die Sonne verschwand.
Feuer schien vom Himmel zu tropfen. Rot und golden. Der
Horizont brannte. Furisto blies die Meldung des
Abendbeginns in alle vier Himmelsrichtungen. Dabei sah
er genau, was unten am Fuß der Burg geschah. Da
sprengte ein Reiter über die Brücke. Das Pferd mußte mit

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der Last auf seinem Rücken nicht ganz einverstanden
sein. Es bockte. Doch der Reiter bekam es unter Kontrolle.

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Seitlich der Burg stand jemand auf einer Klippe, der schlank war wie
ein Knabe. Der Jemand hatte einen Mantel getragen. Den Mantel
löste er jetzt, schlug ihn auf und ließ ihn fallen.

- Die verdammte Hexe -, dachte Furisto.
Der Jemand war ein Mädchen mit feuerrotem Haar. Die letzten

Sonnenstrahlen rahmten das langhaarige Mädchen ein wie eine
Gloriole. Es hatte einen makellos schönen Körper.

Reite nur -, dachte Furisto. Dies galt dem Reiter, welcher in den

violetten Abendschatten landein verschwand. - Reite schnell! Denn
wenn du Saladins Tochter so siehst, wie sie sich jetzt zeigt in all ihrer
Schamlosigkeit, wirst du noch verrückter auf sie werden, als Saladins
Reden dich ohnehin schon gemacht haben. Reite und kehre sobald
nicht wieder zur Burg deiner Väter zurück! Ich werde inzwischen
tun, wozu du nicht zu bringen warst, Herr! - Das nackte Mädchen
schnellte mit weitem Sprung in die gegen die Klippe dümpelnde See.
Furisto, der Gewappnete, holte das Banner ein. Die Fahne zeigte auf
blauschwarzem Seidengrund einen goldenen Milan, die Gabelweihe.
Den Wappenvogel des Geschlechtes der Grafen von Montgelas.

Furisto war groß und breitschultrig. Er hatte flinke, geschmeidige

Bewegungen. Jetzt, wo er von der Zinne des Turms ins Treppenhaus
ging, füllte er beinahe die ganze Breite der steinernen Spindeltreppe
aus. Er trug kurze Auerochsenhörner am Helm. Die hielt Furisto
hoch in Ehren. Sie waren Erbstücke seines Großvaters. Mit seiner
hohen Stirn, der Adlernase und dem energischen Kinn unter dem
vollen, gut geschnittenen Mund wäre Furisto ein schöner Mann
gewesen. Doch da gab es leider die Narbe, welche sein
Männergesicht diagonal in zwei Hälften teilte. Auf der Burg Sankt
Michael lebte niemand mehr, der die Geschichte dieser Narbe
kannte. Nur Furisto wußte sehr genau, welchem Tag und welchem
Schwert er dieses Zeichen verdankte. Er hatte nichts vergessen.

Damals hatte er die erste Schwertreise unternommen. Dag Tumber

war sein liebster Bankgenosse gewesen. Vor dem ersten Stahltanz
mit dem Feinde zeigte sich der sonst stets gut aufgelegte Dag von
einer völlig neuen Seite. Er gab ungeniert zu, daß er den Strauß

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fürchtete, den der morgige Tag mit Sicherheit brachte. Ja, er machte
sogar kein Geheimnis daraus, daß er jetzt viel lieber auf dem
väterlichen Hof und bei seinen Geschwistern wäre, als auf riesiger
Fahrt.

Furisto betrachtete den Freund und Bankgenossen mit so großen

Augen, als sähe er ihn zum ersten Male. Dann sagte er:

»Wenn du denn so an deinem Leben hängst, Dag, so bleib morgen

nur dicht hinter mir, wenn das Büffelhorn bläst und der Sturmlauf
beginnt. Ich will für dich in die Schanze springen und mein Leben
für deines wagen. Kein Wort mehr darüber. Es ist mir ernst.«

Der Morgen war gekommen. Mit dem Morgen kam der Sturm auf

den stark verschanzten Feind. Der Zufall hatte es gefügt, daß Furistos
und damit auch Dag Tumbers Rotte an die besten Fechter der
berannten Stadt gerieten. Dags trübe Ahnungen erfüllten sich. Er fiel
und starb im Angriff. Furisto empfing die fürchterliche Wunde. Doch
mochte auch er als einziger von seiner Rotte den Sturm überstehen,
ihm ging fortan der Ruhm vorauf, ganz allein die Verteidiger der
reichen Stadt bezwungen zu haben. Das wog die entstellende Narbe
mehr als auf.

Seltsam, daß er gerade jetzt an Dag Tumber dachte. Der Weg von

der oberen Plattform zum Fuß des Turmes war lang. Ungeübte
Männer kamen dabei hinter Atem. Furisto atmete ganz normal, als
die Treppe mit ihren zahllosen Stufen hinter ihm lag. Sein Anzug
schien unvollständig. Er hatte zwar den Helm mit den
Urochsenhörnern auf dem Kopf, dafür aber war sein Wehrgehänge
leer.

Ihm stand weder Schwert noch Dolch zur Verfügung.
Eine schwere Bohlentür schloß den Turm ab. Furisto klopfte gegen

das Eichenholz. Nichts geschah. Da vollführten die Fäuste des
Türmers ein wahres Wirbeltrommeln.

»Aufmachen!« schrie er.
Stahl rasselte. Ein Schloß wurde betätigt. Der Doppelposten

schaute mißgelaunt in den Turm.

»Geht das alte Spektakel wieder los? Wir dachten doch, das hinter

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uns zu haben. Im Ernst und im Frieden, Furisto. Steig hoch und
kriech ins Bett. Wir dürfen dich nicht herauslassen.«

Mochte der Himmel wissen, was Furisto dazu gebracht hatte, sich

bisher zu fügen. Die Lage mußte für seine Begriffe anders geworden
sein. Er gab der halb offenen Tür einen kräftigen Stoß. Sie flog dem
einen Posten derb gegen die Stirn und prallte dem ändern heftig
gegen die Schulter. Zwei Spieße und zwei Schilde polterten auf das
Pflaster.

»Bist du von allen guten Geistern verlassen, Furisto?«
»Mach keinen Unsinn, Türmer! Du hast im Turm zu bleiben. So

befahl es der Herr.«

Furisto hatte den Turm verlassen. Er schien zu wachsen. Das sah

so aus, als hätte der Türmer seine Wohnung schon lange nicht mehr
von außen gesehen. Es mochte für ihn typisch sein, daß er einen
Speer und einen Schild derart schnell aufhob, daß die Posten nicht
einmal eine Bewegung wahrnahmen. Furisto hob Speer und Schild.

»Ich würde an eurer Stelle nichts mehr versuchen.«
Das sagte der Türmer in der Art, wie man einen guten Rat gibt. Die

beiden Posten aber hörten nicht darauf. Sie schüttelten die dicken
Köpfe. Dann rappelten sie sich hoch. Sie taumelten noch. Aber wie
auf Verabredung griffen Sie an. Sie glaubten sich in der Übermacht.

Nun wurde erst richtig deutlich, wie hochgewachsen Furisto war.

Und wie stark. Er packte einen der Wächter mit rechts und den
ändern mit links. Sie bebten in seinen Fäusten und zappelten, was das
Zeug hielt. Doch sie kamen nicht los. Furisto schlug beide Männer
mit den Köpfen gegeneinander. Es gab einen Laut, als zerbrächen
Ziegelsteine. Furisto ließ die Männer fallen.

»Ich hatte euch gewarnt«, murmelte er. Er schloß die Turmtür

sorgfältig ab. Dann ging er.

Er trug den Anzug der Männer dieser Zeit. Die kräftigen Beine

steckten in ganz feinen Kettenhosen. Es war erstaunlich, daß die
Schmiedekunst derart dünne Kettenglieder zu fertigen vermochte.
Darüber kam die blauglänzende Brünne, welche unter einem Lentner
steckte, einem tuchenen Leibrock in den Farben der Grafen von

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Montgelas. Blau schwarz und gold.

Während Furisto den Hof überquerte, wurde kein Schritt hörbar.

Dieser große, schwere Mann bewegte sich so lautlos wie ein Geist.
Er hatte nach Ausschaltung der Posten wieder einen Speer
hochgenommen.

Er strebte dem Ostturm der Burganlage zu. In dessen Kellern

befanden sich die Verliese. Mit der Wachsamkeit eines wilden Tieres
beobachtete Furisto den Hof. Aus dem Rempter fiel Licht. Sicher
räkelte sich der rote Saladin vor dem Kaminfeuer in der Halle.
Furisto beschleunigte seinen Schritt. Zuerst würde er die Verliese
besuchen. Danach kam die Reihe an Saladin.

Plötzlich prallte Furisto gegen zwei Speere. Die Waffen kreuzten

sich unmittelbar vor ihm und versperrten ihm den Weg.

»Das ist doch... Furisto ... Alarm!«
Die Stimme mußte einem stattlichen Mann gehören. Furisto kannte

sie genau.

»Lodwin«, rief er grimmig. »Nur heran. Es ist hohe Zeit, daß wir

unsere Rechnung begleichen.«

Die gekreuzten Speere konnte Furisto zur Seite schieben. Das

nötigte ihm nicht mehr Mühe ab, als ein Spiel. Dann jedoch tauchten
immer mehr Bewaffnete auf. Die Burg Sankt Michael schien eine
ganze Armee zu beherbergen. Immer wieder schrien die Männer:

»Alarm!«
Da öffnete sich das breite und hohe Tor zur Halle. Ein hagerer

Mann mit schulterlangem, brandrotem Haar trat auf die Treppe.
Furisto schrie:

»Darauf habe ich gewartet.«
Und er verstärkte seine Bemühungen, sich derer zu entledigen,

welche ihn aufhalten wollten.

Auch der hagere Rothaarige hatte die Situation erkannt. Er griff in

sein faltenreiches Gewand, zog einen Lederbeutel hervor und hielt
ihn hoch.

»Das gehört dem, der den Verrückten gebunden vor mich bringt.«

Seine Stimme wurde unangenehm laut und überschlug sich schier.

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»Worauf wartet ihr? Gibt es außer mir und dem Verrückten da keine
Männer in Burg Montgelas?«

Furisto wütete unter den Männern, die ihn aufhalten wollten wie

ein Keiler unter der Hundemeute. Unwiderstehlich bahnte er sich
seinen Weg.

»Bringt ihn zu mir«, sagte der rothaarige Saladin nochmals. Dann

wandte er sich zum Gehen. Es war deutlich genug zu hören, daß und
wie er die Tür zum Rempter verschloß und verriegelte.

»Feigling«, röhrte Furisto ebenso heiser wie wütend. Sein Zorn

machte ihn unvorsichtig. Der Bruchteil einer Sekunde genügte. Ein
Armbrustbolzen fand eine Lücke in seiner Nackenbrünne. Furisto
war ins Leben getroffen. Er wankte, drehte sich und brach langsam
zusammen.

Seine Widersacher stimmten ein frenetisches Siegesgeschrei an. -

Sie hatten zu früh triumphiert. Der erstaunliche Mann erhob sich
nochmals, ehe sie ihn mit ihren Schwertern hätten durchbohren
können. Mit nichts als dem Speer als Waffe, schlug Furisto sich
durch die Reihen seiner Feinde. Er gelangte ans Tor. Sie wollten ihn
daran hindern, doch jeden, der ihm zu nahe kam, traf die
Lanzenspitze.

Jetzt war das Tor auf. Furisto rannte los. Er wurde immer

schneller. Erstaunlich bei seiner Verwundung. Vor den Klippen
verloren die Verfolger seine Spur. Sie gaben nur zu gern auf.

»Er ist in die See gestürzt«, meldeten sie dem hageren Rothaarigen

in der Halle.

»Ja, Herr! Wir alle wurden Zeugen. Er fiel ins Meer. Gerade jetzt,

wo doch die Abendflut einsetzt.«

Der Hagere hatte den Lederbeutel zur Hand genommen, als die

Verfolger Meldung machten. Jetzt brachte er den Beutel mit dem so
angenehm klingenden Inhalt wieder in seinem weiten Gewand unter.

»Möge er der See gut bekommen. Da das Meer ihn verschlang,

steht dem Meere auch die ausgesetzte Belohnung zu. Hinweg mit
euch.«

Sie trollten sich und glichen geprügelten Hunden.

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Furisto war tatsächlich im Meer, dessen Wasser jetzt, wo die

Abendflut kam, doppelt gefährlich drohte. Er hatte das Gefühl, in
eine ganz andere Bewußtseinsebene einzugehen. Bis kräftige Hände
ihn ergriffen.

In einem Buchtenwinkel, weitab vom Berge des streitbaren Engels

mit der Burg, wurde Furisto an Land gezogen. Ein fast nacktes
Mädchen beugte sich über ihn. Ein Mädchen mit feuerrotem Haar.

Es untersuchte die Nackenwunde. Der Armbrustbolzen steckte

noch im Fleisch.

Das Mädchen mußte etwas von Wundversorgung verstehen.
»Ein Wunder, daß du noch lebst. Aber zäh wie du bist, wirst du

den Schuß überwinden.«

Das Mädchen kannte sich hier gut aus. Es schleifte den Mann um

Klippenecken und durch Engpässe. Bis es ihn schließlich in einer Art
Wetterzuflucht für Fischer auf ein Strohlager bettete.

»Ich kenne deinen Ruf«, murmelte das Mädchen dazu. »Es wird

schon seinen Grund haben, wenn das Volk dich den Henker vom
Michelsberg nennt. Warum helfe ich dir? Allein deshalb, weil ich
nicht zusehen kann, wie viele über einen einzelnen herfallen?«

Das Mädchen verband und versorgte den Mann.

*

Als die Königsfanfare erschallte, hob Waffenmeister Waidenhold
den Arm.

»Halt, hohe Herren. Wir wollen tun, was unsere Stellung und der

Anstand gebieten und dem heimkehrenden König Spalier stehen.«

Auf dem weiten Vorfeld um Schloß Camelot hatten sie in Gruppen

und in Einzelkämpfen geübt. Daß dabei niemanden der Hafer stach
und daß aus dem Schimpfrennen kein Scharfrennen wurde, dafür
sorgte Waidenhold. Die Augen des Waffenmeisters verfolgten alles,
was geschah. So gewahrte er jetzt auch die Staubfahne als erster.

»Der König ist gleich da, edle Herren«, verkündete er.
König Artus war in den gallischen Ländern unterwegs. Das war

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kein Geheimnis. Daß er aber jetzt allein zurückkehrte und daß er
zudem so scharf ritt, als sitze ihm der böse Feind auf den Fersen,
erschien vielen ungewöhnlich.

Die Wache blies immer wieder neu die Königsfanfare vom hohen

Turm. Das Signal machte auch Königin Ginevra mobil. Mit freudig
geröteten Wangen eilte sie an der Spitze ihres Hofstaates herbei. Das
Tor zum Schloß brauchte nicht erst geöffnet zu werden. Es wartete
sowieso auf die Ritter, welche ihre Turnierübungen jeden
Augenblick abbrechen konnten, um einzurücken.

Während Königin Ginevra oben auf der Freitreppe wartete und

dem König mit halber Geste die Arme entgegenstreckte, sprang
König Artus unten knapp vor der ersten Stufe vom Roß. Das Pferd
rannte dorthin, wo nach der Anstrengung eines offenbar recht langen
Laufes der Stall mit süßem Hafer und kühlem Wasser wartete. Zuvor
war König Artus die Reihe seiner Ritter entlanggesprengt, ohne
irgendwen besonders zu grüßen. Jemand, der König Artus so genau
kannte wie Volker vom Hohentwiel, wertete das als ganz
außergewöhnliches Zeichen.

»Was ist nur da geschehen?« raunte der Sänger seinem Freunde

Roland zu. »Vor allem, wo ist des Königs Gefolge?«

Die Majestät war vor Wochen mit kleiner Begleitung nach Gallien

aufgebrochen. Zum Gefolge gehörten unter anderem Ritter
Wilhelmus und dessen Neffe Douglas. Wenn er ehrlich war, mußte
Roland zugeben, daß er dem einen wie dem ändern die Ehre geneidet
hatte, König Artus zu begleiten.

Roland gab dem Freund leise Antwort.
»Wahrscheinlich hat er es vor Sehnsucht nach Camelot nicht mehr

ausgehalten. Das Gefolge blieb bei dem unbeweglicheren Troß und
er hat mindestens einen halben Tag und eine ganze Nacht
gewonnen.«

Doch auch zwischen Königin Ginevra und König Artus fiel die

Begrüßung heute anders aus, als sonst. Normalerweise umarmte sich
das Königspaar in aller Öffentlichkeit. Heute gab es zur Begrüßung
nur einen flüchtigen Händedruck. Nicht genug damit, wichen König

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Artus Augen dem Blick seiner königlichen Gemahlin aus. Königin
Ginevra schob das auf die Ermüdung des Königs. Sie war zunächst
einmal froh, ihren Gemahl wieder sicher in Camelot zu haben.

Die Herren Ritter formierten sich zum Spalier. Doch niemand

nahm Notiz von den Helden, deren jeder genug Ruhm trug, um ein
Menschenleben zu verklären und die gemeinsam eine starke Armee
aufwogen.

Königin Ginevra klatschte in die Hände.
»Das Mahl wird zur üblichen Zeit aufgetragen. Sobald seine

Majestät sich umgezogen hat, treffen wir uns in der Halle.
Tischordnung wie gewohnt.«

In einem Haushalt wie dem von Camelot konnten die Köche nur

schwer durch irgendwelche besonderen Wünsche in Verlegenheit
gesetzt werden. Königin Ginevra pflegte mit ihrer Hofwirtschafterin
den Speiseplan von Woche zu Woche festzusetzen. Dabei wurde
jeder Tag so gestaltet, daß Besuch und besondere Ereignisse wie die
Heimkehr des Königs einkalkuliert waren.

Alles war wie sonst. Und dennoch irgendwie anders. Ritter Roland

suchte seinen Freund Volker vom Hohentwiel auf.

»Bilde ich mir das nur ein, oder ist der König tatsächlich

verändert?«

Volker war dabei, in sein samtenes Staatswams zu schlüpfen. Die

Tätigkeit nahm in voll in Anspruch. Er wehrte ab.

»Er wird sich gefreut haben, zu Hause zu sein.«
Roland beharrte auf seiner Meinung.
»Er ist verändert.«
»Vielleicht ist er nur besonders gut in Form, weil die Reise ihn so

richtig durchtrainiert hat. Jedenfalls sprang er so federnd aus dem
Sattel, wie es ihm bestimmt nur wenige Zwanzigjährige nachmachen
können.«

»Willst du dich etwa nicht umziehen?« staunte Volker vom

Hohentwiel den Freund an.

»Wozu? Heute ist ein Tag wie jeder andere. Wenn nicht alles trügt,

gehen wir sogar besonders früh schlafen.«

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Volker wollte den Freund auf andere Gedanken bringen. Er

schenkte den Wein ein, den Roland so liebte.

»Auf dein Wohl, Roland. Heute warst du beim Buhurt' und Tjost

'

wieder besonders gut, hast also keinen Grund, mißgelaunt zu sein.
Prosit.«

Der Rotwein tat Roland gut. Doch seine Stimmung wurde auch

durch diese besondere Stärkung vor Tisch nicht besser. Als Freund
Volker nachschenken wollte, legte Roland flink die Hand über das
Glas.

»Danke für die gute Meinung, aber ich möchte nicht mehr. Bis

später.«

»Wo willst du denn hin?«
»In die Ställe. Sehen, ob mit meinem Samum alles in Ordnung ist.«
»Was soll dem wohl fehlen?« murmelte Volker enttäuscht hinter

dem Freund her.

Samum schnaubte seinem Herrn aus der vertrauten Box entgegen.

Roland legte dem Hengst die Hand auf die blanke Kruppe. Die
Burschen im Marstall waren noch dabei, Artus' Pferd trocken zu
reiben und zu versorgen.

Samum wieherte verhalten.
»Wenn du nur reden könntest, Samum« , murmelte Roland und

lehnte sich voll gegen den Hengst. »Dann käme wohl schnell heraus,
was den König nach meiner Meinung so verändert hat.«

Samum wieherte seinem Herrn nach, als Roland den Stall verließ.
Es gab als Tischgetränk zur Feier des Tages köstlichen Malvasier.

Roland trank ihn gern. Heute jedoch hielt er sich mit dem Trinken
besonders zurück. Irgendwie bedrückte ihn die Ahnung, an diesem
Tage noch besonders gefordert zu werden. Doch Roland teilte seine
Befürchtung niemandem mit. Sogar seinem Freund Volker vom
Hohentwiel gegenüber blieb er verschlossen. Er gab sich so einsilbig,
daß der Sänger schließlich zur Laute griff und eines seiner neuesten
Lieder dazu sang.

Sofort verstummte jedes Gespräch. Die Männer und Frauen hörten

andächtig zu. Vom zweiten Refrain an summten sie die Melodie mit.

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Schließlich sangen sie gar. Ritter Rolands Stimmung wurde
aufgelockert. Er verglich Volkers Gesang mit den Lauten, welche
mehr und mehr die Kehrreime unterstrichen. Er glaubte, seinen
Knappen Louis herauszuhören. Der war wahrhaftig ein wackerer
Mann, doch mit dem Singen hatte er es nicht sonderlich.

Knappe Louis saß ganz am unteren Ende der Gesindetafel. Sein

nächster Nachbar war Knappe Pierre. Der hatte einen besonders
großen Humpen mit zu Tisch gebracht. Irgend jemand mußte ihm
verraten haben, daß es Malvasier gab.

Alles schien wie sonst, wenn auf Camelot gemeinsam

genachtmahlt wurde. König Artus hatte wenigstens tüchtig Hunger
mitgebracht von seiner weiten Reise.

Knapp eine Stunde nach dem Essen befiel den König

unwiderstehliche Müdigkeit. Königin Ginevra neigte sich zu ihrem
Gemahl. Sie fragte, ob es Zeit wäre, schlafen zu gehen. Das konnte
sich jeder denken, der in der Halle war. Jetzt gab Königin Ginevra
mit Handzeichen zu verstehen, daß die Tafel aufgehoben sei.

Sänger Volker war mit seiner Ballade, welche den Glanz des Hofes

von Camelot besang, gerade zu Ende. Roland hatte es denkbar eilig,
in seine Kammer zu kommen. Louis und Pierre, die sich nach den
Wünschen ihres Herrn erkundigen und ihm einen Gutenachtgruß
entbieten wollten, schickte er mit einer Handbewegung fort.

Nun lud Knappe Pierre seinen Kameraden Louis ein. »Wenn dir

nach einem abschließenden, guten Schluck ist, so komm mit in
meine Kammer. Wenn du willst, lade ich auch die beiden neuen
Küchenmägde ein, die mir schon zugezwinkert haben.«

Louis nahm an.
»In Ordnung. Ich komme, sobald ich anderes Schuhzeug an den

Füßen habe.«

Als Louis kam, hockten schon die rotbäckigen Mägde kichernd auf

den Hockern, Pierre schenkte Wein ein. Sie kamen jedoch nicht
dazu, auch nur einen Schluck zu trinken. Denn im Schloß erhob sich
ein Höllenlärm.

Pierre und Louis schickten zuerst die Mägde fort.

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»Weiß der Himmel, was da los ist. Vielleicht ist eine

Nachtbesichtigung der Quartiere angesetzt worden. Tut uns leid.
Weg mit euch.«

Dergleichen Kontrollen wurden hin und wieder schon angeordnet.

Pierre aber argwöhnte, ein eifersüchtiger Küchengehilfe habe es
wegen der Mägde speziell auf ihn abgesehen und ihn irgendwo
angeschwärzt.

Die Mägde protestierten: »Aber ...«
Louis wie Pierre ließen sich nicht stören. Sie schafften die Mägde,

so schnell es nur ging, aus der Kammer. Die beiden gelangten auch
unbehelligt ins eigene Quartier.

Auf den Gängen vernahmen die Knappen deutlich, daß aller Lärm

dort herkam, wo die königlichen Gemächer lagen. Jetzt glaubten sie,
die Stimme ihres Herrn Roland zu vernehmen.

»Was ist denn das für ein Lärm mitten in der Nacht?« Sie rannten

los und kamen gerade recht. Sie erkannten Ritter Roland, er war im
Nachtgewand. Dann sahen sie seine Majestät, den König. Der trug
keine Brünne mehr. Dafür aber hielt er sein Schwert in der Faust. Ein
blankes Schwert? War Camelots König etwa bedroht worden? Die
dritte Person war Königin Ginevra. Die hohe Frau trug ein dünnes,
kostbares Seidenhemd. Sie zeigte mehr von ihrer Schönheit, als ihr
bewußt wurde.

»Meiner Seel!« stöhnte Pierre. Er mußte sogleich einen derben

Rippenstoß von Louis kassieren. Louis verstand es sehr wohl, was
seinem Kameraden zusetzte, machte er doch die gleichen
Wahrnehmungen und hatte also auch die gleichen Gefühle. Doch er
hatte sich besser unter Kontrolle.

»Untersteh dich und verwechsle eine solche Majestät mit

gewöhnlichen Küchenmägden«, brummte Louis. »Wenn du dir so
was erlaubst, so werd ich dich beuteln, daß dir solche Ideen vollends
abhanden kommen.«

»Was du gleich denkst«, setzte sich Pierre zur Wehr. »Nicht im

Traum würd' mir so was einfallen. Wahrscheinlich bist du's, der so
denkt.«

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Diese Schlußbemerkung trug dem guten Pierre gleich doppelte

Rippenstüber ein. Er machte auch nur andeutungsweise den Versuch,
sich gegen Louis zu wehren. Louis war nicht nur erfahrener und
älter, sondern auch zweifelsfrei stärker.

Was die Knappen sahen, ging munter weiter. Durch die lauten

Stimmen bekam der Vorfall mit jeder vergehenden Sekunde mehr
Zeugen.

Die Königin zeigte mit ausgestrecktem Arm auf ihren Mann und

ihre Worte riefen Roland zur Hilfestellung auf.

»Nimm ihn fest, Ritter Roland! Dieser Mann will uns betrügen! Er

ist weder mein Gemahl und unser König!«

Königin Ginevra wirkte schier aufgelöst und war völlig außer sich.

»Worauf wartest du? Läßt auch du dich von der Ähnlichkeit
täuschen? Ergreife den Mann! Reiße ihm die Maske vom Gesicht!
Bring ihn hinter Schloß und Riegel!«

Da sprach der falsche König: »Hinter Schloß und Riegel bringen?

Ergreifen? Das wird so einfach nicht sein, Ritter! Wehrt Euch!«

Ritter Roland begriff. Solange er unter Camelots Dach lebte, hatte

der König ihn immer mit dem vertrauten »Du« geehrt. Das da ist
nicht König Artus! Wenngleich er dem König gleicht wie ein Ei dem
ändern.

Roland bekam plötzlich mehr zu tun, als ihm lieb war. Der Mann,

welcher Artus so ähnelte, griff ihn an. Mit den schnellen, plazierten
Schlägen des geübten Fechters. Roland stand nur sein kleiner
Parierdolch zur Verfügung. Was war so eine kurze Waffe schon
gegen ein Langschwert?

*

Wer weiß, was geschehen wäre, hätte Ritter Volker vom Hohentwiel
nicht die beiden Kämpfenden getrennt?

Königin Ginevra war von ihren Damen in Obhut genommen

worden. Man hatte ihr einen langen, kostbaren Zobelmantel
übergeworfen und sie weggeführt.

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Louis und Pierre, die Knappen, waren nicht unentdeckt geblieben.

Sänger Volker winkte sie zu sich. Dann hatte er den tobenden König
zum Leibarzt gebracht. »Wo ist Roland?« fragte er, als er
zurückkam.

»In seiner Kammer!«
»Gut so! Packt das Nötigste zusammen! Sagt ihm, er solle unter

allen Umständen den Begleittroß aufsuchen. Von denen soll er sich
sagen lassen, welche Strecke der König geritten ist. Die soll er dann
abreiten. Bis hierher nach Camelot.«

Knappe Louis nickte nachdenklich. Er hatte begriffen, worauf

Sänger Volker hinaus wollte.

Der Ritter vom Hohentwiel, Rolands Freund, hatte noch weitere

Weisungen.

»Louis, du hilfst dem Herrn beim Packen. Du, Pierre, kümmerst

dich um Samum. Hast du den Hengst verabschiedet, meldest du dich
wieder bei mir.«

Ärgerlich zeigte Pierres Daumen auf Louis.
»Soll das heißen, der da darf mit? Und ich muß hier bleiben?«
»Genau, so ist es! Los, kein wenn und kein aber. Tut, was ich

gesagt habe. Es ist Eile geboten.«

Die Knappen fügten sich.
»Wo finden wir dich?« wollten sie von Volker wissen.
»Ich werde hier in der Nähe der königlichen Gemächer bleiben.

Einer muß ja schließlich genau verfolgen, wie das Spiel weitergeht.«

Ohne anzuklopfen, betrat Louis die Kammer seines Herrn.
»Wir sollen uns schleunigst aus dem Schloß begeben.« Wortgetreu

wiederholte Knappe Louis den Auftrag, welchen ihm Ritter Volker
gegeben hatte.

Roland war mit den Geschehnissen noch nicht im Reinen. Doch

lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, auf Weisungen seines Freundes
Volker zu hören. Louis begann, zu packen.

»Zieht Euch derweil schon an, Herr. Pierre ist im Stall und sattelt

Samum. Es wäre schön, wenn wir vor ihm am Treffpunkt sein
könnten.«

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»Und wo ist der Treffpunkt?« wollte Roland wissen.
»An der hinteren Zugbrücke.«
»Und Volker?« wollte Roland weiter wissen.
Louis zuckte die stämmigen Schultern.
»Er hat gesagt, wir fänden ihn in der Umgebung seiner Majestät,

des Königs. Fragt mich nicht, was das zu bedeuten hat. Das ist mir zu
hoch.«

Roland war in sagenhaft kurzer Zeit fertig. Sie brachen auf.
Roland schloß eigenhändig ab. Er brachte den Schlüssel in der

Mauerspalte unter, welche von seinen Knappen und ihm häufig als
Versteck benutzt wurde.

Die königlichen Schlafgemächer lagen in einem ganz anderen

Trakt des Schlosses. Dennoch hörten sie, daß dort drüben nach wie
vor heftig und gegeneinander geredet wurde. Was war mit dem
König geschehen? Was wurde aus Schloß Camelot?

Mit dieser bangen Frage im Herzen verließ Roland in Begleitung

seines Knappen das Schloß.

Niemand stellte sich ihnen in den Weg. Kein Mensch versuchte,

sie aufzuhalten. Die Wachen der hinteren Zugbrücke winkten ihnen
zu.

»Viel Glück!« wünschten sie.
Jenseits des Schloßgrabens war der Weg beinahe komplett

zugewachsen. Knappe Pierre pfiff auf den Fingern. Das klang
ungefähr so wie der Ruf eines Nachtvogels.

Ein Pferd schnaubte. Samum. Gleich darauf teilte sich das

Gebüsch. Knappe Pierre stand vor den beiden. Pierre half Louis, den
Mantelsack hinter Samums Sattel zu befestigen. Während dieser
Tätigkeit drängte sich ein zweites Pferd ungestüm an Louis.

»Sieh einer an. Und ich dachte schon, du hättest vergessen, daß

auch ich zu reiten habe.«

Pierre lachte.
»Bin ich etwa ein Kind?«
Vor dem Abschied überlegte Pierre laut, ob es nicht doch,

entgegen Volkers Befehl, für ihn besser wäre, Ritter Roland zu

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begleiten.

Roland klopfte ihm auf den Rücken und gab ihm einen kleinen

Stoß.

»Nichts da. Zwar würdest du uns vielleicht sogar hin und wieder

eine Stütze sein, aber Volker kann auch nicht allein bleiben. Er hat
außer dir im Schloß nur den alten Waidenhold, wenn es
Schwierigkeiten gibt. Wir werden miteinander Verbindung halten.
Grüß den Sänger vom schwäbischen Meer.«

Ritter Roland und Knappe Louis saßen auf. Schnaubend setzten

sich die Pferde in Trab. Pierre ging erst zum Schloß zurück, als vom
Ritter und seinem Knappen nichts mehr zu sehen war.

Die nächtliche Geschäftigkeit im Schloß hatte sich eher vergrößert,

als daß sie nachgelassen hätte. Besonders der Hofdamen hatte sich
nervöse Verstörtheit bemächtigt. Was sollte man von so einer Lage
halten? Die Ehe des Herrscherpaares hatte immer als Vorbild
gegolten. Und jetzt schienen auch sie so weit zu sein, daß sie sich
trennen wollten! Was in aller Welt mochte Königin Ginevra zu der
Behauptung getrieben haben, der Heimkehrer sei gar nicht der
König?

Königin Ginevra vertraute sich keiner ihrer Hofdamen an. Sie

erhielt auch keine Gelegenheit mehr dazu. Denn es war dem König
gelungen, sich der Fürsorge des Arztes zu entziehen. Unversehens
und ohne angeklopft zu haben, stand er in der Kemenate der Königin.
Hier roch es angenehm nach Lavendel, Minze und Pomeranzen.
Ginevra lag auf ihrem Ruhebett. Eine kühlende Kompresse bedeckte
ihre verweinten Augen.

Eiskalt, aber unverkennbar mit König Artus' Stimme und in des

Königs Art, sagte der Mann:

»Steh auf, Weib, wenn dein König erscheint!«
Einige Hofdamen stellten sich vor das Ruhebett. Sie waren

entschlossen, die Königin zu schützen, wenn es zum Äußersten
käme. Und es kam dazu.

Denn als die Königin sich auf die rauhe Ansprache hin nicht

rührte, da tat der König etwas Unerhörtes. Er gab dem Ruhebett

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einen derben Tritt und schrie:

»Legt dieses treulose Weib in Eisen!«
Die Befehlsstimme des Königs ließ nicht allein die Butzenscheiben

der Kemenate zittern. Sie war bis in den letzten Winkel des
Schlosses zu hören.

Die Gewappneten, welche mit dem König gekommen waren, sahen

einander zwar zweifelnd an, doch sie gehorchten. Was blieb ihnen
auch anderes übrig?

Mit Würde und sehr gefaßt erhob sich die Königin.
»Rührt mich nicht an«, sagte sie hoheitsvoll. »Ich werde freiwillig

mitkommen.«

Des Königs Gesicht wurde zur Fratze. »In den feuchtesten Turm

mit der Vettel. Ihre königlichen Privilegien sind ab sofort gestrichen.
Sie erhält Stroh als Lager und nichts anderes als die Büßerkost
Wasser und Brot.«

Königin Ginevra würdigte den »König« keines Blickes. Die

Damen ihres Gefolges schluchzten. Sie hatten wenig später reichlich
Gelegenheit, laut zu weinen. Des Königs Zorn machte vor
niemandem Halt und schonte keinen.

»Sperrt die weiblichen Hofschranzen genau so ein. Aber legt bitte

jede in Einzelzellen. Wenn den Damen dabei das eine oder andere
Mißgeschick widerfährt, wie es nicht ungewöhnlich ist, wenn
Weiblichkeiten mit Rittern allein bleiben, so soll es mich nicht
kümmern.«

»Gilt das etwa auch für die Königin?« fragte eine Stimme aus dem

Hintergrund.

Einmal mehr verzerrte sich das Gesicht des Königs. »Das gilt auch

für die Königin. Sie hat keinen Anspruch mehr darauf, als Majestät
behandelt und geachtet zu werden.«

Der König hielt nach dem Manne Ausschau, welcher diese Frage

gestellt hatte. Doch er entdeckte den Sprecher nicht. Volker vom
Hohentwiel zwängte sich an der Reihe der Gewappneten entlang.
Dabei raunte der Sänger: »Wer diesen Zornesbefehl des Königs
befolgt, der kommt vor mein Schwert.«

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Jeder, welcher den Sänger kannte, wußte, welch ernstzunehmender

Gegner Volker vom Hohentwiel war.

»Von uns hat keine der Damen etwas zu befürchten«, raunte der

eine und andere der Gewappneten zurück. Ritter Volker nickte
zufrieden. Der König fragte nicht nach dem Ritter, der den Einwand
hinsichtlich der Königin gemacht hatte. Er strebte jetzt dorthin, wo
Roland wohnte. Dabei fiel sein Blick auf Volker, den Sänger.

»Hast du mich vorhin nicht daran gehindert, diesem Roland den

Garaus zu machen?«

Volker vom Hohentwiel musterte den König aus dunkel glosenden

Augen. »Es ist bisher auf Camelot nicht Brauch gewesen, daß Ritter
der Tafelrunde ihrem König mit dem Schwert entgegentreten. Wenn
es nach mir geht, kommt so etwas bei uns auch nicht in Mode.«

Volker sagte das mit ruhiger Stimme. Doch seine Linke lag ganz

leicht auf dem Schwertknauf. Wer den Sänger kannte, wußte genau,
wie blitzschnell Volker vom Hohentwiel zu ziehen verstand.

Der König entgegnete barsch: »Was Mode ist auf Camelot,

bestimme ich allein, Ritter.«

Volker machte im Gehen eine Verbeugung.
»Hohentwiel ist mein Name, Majestät. Ich sage dies nur, falls es in

Vergessenheit geraten sein sollte.«

Der König richtete sich bolzengerade auf. »Nichts ist vergessen,

meine Herren Ritter. Das werden wir alle noch merken.«

Sie marschierten alle zusammen zu der Kammer, welche Roland

bewohnte. Jemand klopfte an.

»Auf ein Wort, Herr Ritter!« sagte einer der Gewappneten.
»Warum so zimperlich?« erkundigte sich der König ungeduldig.

»Los, brecht die Tür auf. Der Kerl soll ruhig merken, daß jetzt ein
anderer Wind weht auf Camelot. Wer sich gegen mich stellt, wird
vernichtet.«

In Rolands Kammer rührte sich nichts. Im gleichen Augenblick, in

welchem Königin Ginevra abgeführt wurde, war Knappe Pierre
zurückgekommen. Jetzt drängte er sich an Ritter Volker heran. Sie
wechselten kein Wort. Die Augen genügten ihnen als

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Verständigungsmittel.

- Sind sie fort? - So fragte der Sänger.
- Es ist alles so, wie es befohlen wurde! - antwortete Knappe Pierre

auf stumme Weise.

Die Stimme des Königs wurde dringlicher.
»Aufbrechen!«
Es wäre sowohl für Pierre als auch für Sänger Volker ein Leichtes

gewesen, den Schlüssel aus dem Versteck zu holen und die Kammer
aufzuschließen. Allein Volker wollte das Spiel bis zum bitteren Ende
durchstehen. Längst war für ihn die Ahnung zur Gewißheit
geworden, daß dieser Mann mit König Artus so wenig gemein haben
konnte, wie ein Paar ausgelatschter Pantoffeln mit neuen,
hochkarätigen Reitstiefeln.

Nach langem Zögern und nicht ohne sich vorher durch einen Blick

auf Volker vergewissert zu haben, wie der Sänger über den Fall
dachte, gingen die Gewappneten daran, die Kammertür zu öffnen.
Das geschah mit den wenig angenehmen Hintergedanken, Ritter Ro-
land stieße plötzlich die Tür auf und stellte sich ihnen mit blankem
Schwert entgegen. Niemand auf Camelot legte sich gerne mit Roland
an.

Doch nichts geschah, was der Situation noch einen weiteren

dramatischen Akzent verliehen hätte. Splitternd flog die Tür aus dem
Schloß. Die Kammer war leer. Leer und aufgeräumt.

Zornbebend stand der König vor dieser Sachlage.
»Wo ist der Rebell hin?« wollte er wissen.
Rebell! Dieses Wort ließ Volker vom Hohentwiel im

Zusammenhang mit der Person seines Freundes nicht zu.

»Man sollte ihm wenigstens Gelegenheit geben, seine Sache zu

verantworten, Majestät«, gab der Sänger zu bedenken.

Doch der König blieb jedem guten Zureden unzugänglich.
»Los! Verfolgt ihn! Fangt ihn und bringt ihn zu mir.«
Die Männer stoben auseinander. Volker vom Hohentwiel und

Knappe Pierre lächelten. Sie wußten Ritter Roland in Sicherheit.

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*

Dort, wo die Burg der Montgelas auf dem Berg des streitbaren
Engels lag, hatten scharfe Bluthunde die Spur des Türmers
aufgenommen. Schließlich stießen sie auch auf sein Versteck. Es war
der reinen Hartnäckigkeit des rothaarigen Mannes zu danken, daß die
Hunde letzten Endes den unglücklichen Türmer doch aufstöberten.

Aus sicherer Entfernung verfolgte der Rothaarige das Treiben der

Jäger. Er saß auf einem prächtig aufgezäumten Pferd und war kostbar
gekleidet. An seiner Seite ritt ein wunderschönes Mädchen. Es hatte
das gleiche, feuerrote Haar wie der hagere Mann, doch sein Gesicht
war ganz anders.

»Dachte ich mir's doch!« sagte der Hagere triumphierend. »Die

Wetterhütte gehört zu deinen Lieblingsplätzen, Aischa. Du hast den
Türmer also gefunden, hierher geschleppt und verbunden. Aus Dank
dafür darfst du zusehen, wenn meine Männer ihm gleich die Haut
vom Körper schinden.«

Längst war das schöne Mädchen bleich wie Linnen geworden,

doch es wehrte sich bis zuletzt.

»Ich weiß nicht, worauf du aus bist, Vater!«
Der hagere Mann lachte. »Das wird sich bald ändern. Ich glaube,

ich ändere meine Einstellung zu dir, Aischa. Dein Verhalten verdient
Strafe, sobald du dich gegen mich stellst. Da kommt jemand!«

»Das sehe ich auch so«, sagte das Mädchen herrisch und eine

unbändige Hoffnung klang aus seiner Stimme.

Der Mann, ein Treiber, näherte sich in höchster Gangart. Wenn das

Mädchen schon nicht Gedanken lesen konnte, so mußte es sich
hervorragend auf die Deutung menschlicher Mienen verstehen. Ihm
wurde immer zuversichtlicher zu Mute.

»Was gibt's?« fragte der Rothaarige.
»Unsere Hunde spuren weiter, erhabener Saladin. Es war kein

Mensch in dem Unterschlupf.«

»Aber es ist doch jemand da gewesen, oder nicht?«
»Er war da. Das stimmt. Aber er ist fort. Wie gesagt, die Hunde

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spuren weiter.«

Der Hagere fluchte. Um die vollen roten Lippen des schönen

Mädchens spielte für den Bruchteil einer Sekunde der Anflug eines
Lächelns. Der Mann sah das genau. Und er ärgerte sich. Er schlug
des Mädchens Pferd klatschend auf die Hinterhand. Das Pferd tat
erschreckt einen Satz. Die unvorhergesehene Bewegung brachte
indes das Mädchen nicht in Verlegenheit. Es hatte das tänzelnde
Pferd sehr schnell wieder unter Kontrolle.

»Ich wäre an deiner Stelle nicht so leichtsinnig«, sagte das

Mädchen.

»Ich kann mit dir machen, was ich will«, schnaubte der Mann. »Du

hast Strafe verdient. Ich hätte gute Lust, dir eine Lektion zu geben.«

»Das sähe dir ähnlich. Aber bleib vorsichtig. Denn wenn in deinem

Spiel die Dame ausfällt, hast du verloren. Die Dame bin ich. Oder ist
es dir inzwischen gelungen, eine Doppelgängerin ausfindig zu
machen?«

Der hagere Mann beugte sich so stark zu dem Mädchen hinüber,

daß er beinahe aus dem Sattel rutschte.

»Hör auf. Sag mir lieber, wo du ihn versteckt hast, Aischa!«
Der Wind wehte von See. Das schöne Mädchen gab sein Haar frei.

Die glänzenden Haare umwehten es jetzt wie ein Seidenbanner.

»Ich kann dir nicht helfen.«
Der Hagere sagte sich wohl, wenn das eine Eisen nicht schmiedbar

sei, ließe sich vielleicht mit einem anderen Eisen etwas anfangen.

»Habe ich dein Benehmen so zu verstehen, daß du mit meinen

Plänen künftig einverstanden bist, Aischa?«

Die Lippen des Mädchens wurden strichschmal.
»Hör zu. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich deinen

Freund, den Grafen, nicht mag. Er ist falsch, hinterhältig, gemein und
grausam. Soll ich noch mehr aufzählen?«

»Du wirst an seiner Seite einen der besten Throne dieser Welt

besteigen.«

Das schöne Mädchen spähte dorthin, woher der Wind wehte. Auf

die graue See.

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»Thron oder Schafott oder Galgen«, hörte der hagere Mann das

junge Geschöpf murmeln. »Immer hast du hoch hinaus gewollt, nicht
wahr? Irgend etwas Hohes mußte es stets sein, dem du nachjagtest.«

»Später wirst du einsehen, wie gut ich es mit dir gemeint habe,

Aischa.«

Die Hunde jagten weiter. Ihr Gebell wurde immer leiser.
»Wieso bringst du mich mit der Flucht in Verbindung? Meinst du

vielleicht, ich hätte vergessen, daß dieser Türmer der Henker vom
Michelsberg war und ist? Wieso hätte ich ihm helfen sollen?«

Jetzt war die Reihe, zu lächeln, an dem hageren Mann. »Weil er

mich haßt. Und weil auch du mich haßt. Wenigstens zeitweise,
Aischa! Ist es nicht so?«

»Und warum fragst du nicht bei den Fischern nach, wenn du ihn

fangen willst?«

Das Mädchen gab seinem Pferd die Sporen. Es saß wie ein Junge

im Sattel. Trotz des Kleides.

»Wer sagt dir, daß ich das nicht längst hinter mir habe?«
»Mein Instinkt. Ich kenne dich ja so genau. Ist er zu dem Ziel

geritten, das du für ihn ausgemacht und das du ihm eingeredet hast?«

»Ja«, sagte der Mann hart. »Im übrigen bist du im Irrtum, wenn du

glaubst, ich hätte ihm das eingeredet, was er jetzt tut. Im Gegenteil.
Ich habe zur Mäßigung geraten. Da staunst du, was?«

»Das wäre für mich etwas ganz Neues an dir. Nun, ich glaube

nicht, daß du heute noch fündig wirst. Gehab dich wohl. Ich habe
anderes zu tun.«

»Warte«, rief der Mann. »Ich reite mit dir.«
Doch genau so gerne, wie er die Tochter begleiten wollte, blieb er

hier. Er wollte mit eigenen Augen sehen, wie sie den Mann fingen,
welcher ihm den hartnäckigsten Widerstand entgegengesetzt hatte in
der Grafschaft Montgelas.

Er hatte dafür gesorgt, daß er aus dem Angesicht seines Herrn, des

Grafen, verbannt wurde. Es war seinem intriganten Treiben zu
verdanken, daß Furisto sämtliche Hofämter verlor und am Ende gar
Türmer wurde.

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Wo hielt er sich auf? Nach allem, was Saladin von Furisto gehört

hatte, war er so etwas wie ein Waldtier, ein Bär vielleicht. Der Graf
hatte sich in der Beurteilung dieses Mannes getäuscht. Immer, wenn
die Rede auf Furisto kam, lachte der Graf von Montgelas.

»Der Türmer dient mir genau so treu, wie er schon meinem Vater

gedient hat. Der vergißt seinen Eid nicht einmal dann, wenn ich mich
entschließe, ihm die Ohren abschneiden zu lassen.«

Nun, an diesem Tage wartete der rote Saladin vergebens auf den

Triumph über seinen Feind. Der ausgerissene Türmer wurde nicht
gefunden. War das zu beklagen oder war es eher ein gutes, ein
günstiges Zeichen?

Saladin kam mit seinen Überlegungen nicht zu Rande. Er war

unruhig wie selten. Dieser Tag entschied viel. Zwar hatte er mit
Drogen und anderen gewissenlosen Künsten dem Gefangenen im
Turm, um welchen es auch Furisto gegangen war, seine Geheimnisse
so gut wie lückenlos abgeschmeichelt. Doch wer schon konnte genau
wissen, wie alles ablief? Wenn nun Graf Henry von Montgelas gar
nicht der großartige Politiker und Schauspieler war, als der er sich
fühlte?

Der rote Saladin lächelte. Was ging die Sache ihn im Falle eines

Fehlschlages an? Er hatte nichts getan, sondern nur geraten. Dies
auch sorgfältig stets nur unter vier Augen. Es waren so gut wie keine
Zeugen gegen ihn aufzubieten. Außer Aischa versteht sich. Und
Aischa würde sich hüten, gegen ihren Vater auszusagen. Auch die
Halsstarrigkeit des Mädchens und ihre Abneigung gegen den Grafen
würde sich legen, sobald erst aus dem Gräflein ein König geworden
war.

War man erst so weit, so fand sich alles danach bestens. Wo

schließlich stand geschrieben, wo war abgemacht, daß der königlich
gekrönte Graf tatsächlich bis ans Ende seiner Tage ein König bleiben
mußte? Seine Frau, die rechtmäßig gekrönte Königin, würde ihn
beerben, falls ihm etwas zustieße. Und Königinnen brauchen
unbedingt einen Regenten, wenn sie so jung sind wie Aischa.

Der rote Saladin sah die Zukunft in rosigsten Farben. Er fand, es

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sei ein außergewöhnlich günstiger Zufall gewesen, der ihn ins Land
der Montgelas und auf die Burg des streitbaren Engels geführt hatte.

Langsam ritt der Mann hinter den Treibern, den Jägern und ihren

bellenden Hunden her. Es war günstig, wenn die Leute ständig
glaubten, der Herr sehe ihnen auf die Finger. Jetzt näherten sie sich
einem Fischerdorf. Die Häuser des Ortes klebten wie
Schwalbennester an den klippigen Felsen.

Der Rothaarige gab seinem Pferd die Schenkel. Er schloß schnell

auf.

»Seid ihr fündig?« wollte er von dem ersten Treiber wissen, der

ihm begegnete.

»Nichts zu sagen. Wir sind auf den Zufall angewiesen.«
Das hörte der rote Saladin gern. Vom Zufall hatte er eine hohe

Meinung. Der hatte ihm bisher nie schlecht mitgespielt.

Doch als der Abend sank und die Dunkelheit von der See aufs

Land kroch, da hatten sie den Mann, den sie suchten, immer noch
nicht gefunden.

In Saladin keimte eine vage Hoffnung. War es nicht ganz gut

möglich, daß Furisto, der Türmer jetzt doch dahin geraten war, wo er
hin gehörte? In die See nämlich! Oder gab es nicht daneben die
Möglichkeit, daß Fischer ihn zwar gefunden, aber ihn mitgenommen
hatten, um ihn auf irgendeinem der Sklavenmärkte jenseits der See
zu verkaufen?

Saladins Gemüt hellte sich mehr und mehr auf. Wenn nicht alles

trog, dann durfte er ruhig sein. Bei sachlicher Betrachtung der Dinge
hatte er von Furisto nichts mehr zu befürchten. Gleichgültig, wie
fürchterlich der Türmer früher auch gewesen sein mochte.

Der rothaarige Mann war nicht so allein, wie er sich einbildete.

Seine Tochter, die schöne Aischa, folgte ihm. Verstohlen aber mit
einer Hartnäckigkeit, wie sie größer auch die Bluthunde nicht
aufbrachten, welche den Türmer jagten. Das Mädchen hielt sich im
verborgenen.

Das sollte ihm schlecht bekommen. Denn als sie wieder eines

dieser Fischerdörfer durchritt, welche für die Küste im

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Montgelasland typisch sind, verstellten ihr plötzlich abgerissene
Gestalten mit bettlerhaft gierigen Augen den Weg. Schmutzige
Hände griffen nach ihr.

»Zurück!« schrie Aischa. Sie schlug mit der Reitpeitsche nach den

Händen. Sie erntete keinen Erfolg. Im Gegenteil, der Kreis derer, die
sie umringten, wurde eher zahlreicher. Schließlich rettete sich das
Mädchen in die Frage: »Was wollt ihr von mir?«

»Dich«, brüllte die Masse heiser und wie aus einem Mund. Längst

hielten die vor Schmutz starrenden Hände das Pferd des Mädchens
an Zügel und Kopfzaum. Längst hatten ganz dreiste den Sattelgurt
gelockert.

Sie grinsten. Daraus entnahm Aischa, daß die Menge auf etwas

ganz Bestimmtes wartete.

Sie reckte sich hoch im Sattel. Sie würde das Pferd auf die

Hinterhand zwingen. Dann würde die Menge schon Raum geben. Es
kam danach nur darauf an, die Sekunde richtig zu nützen und
auszubrechen.

Doch die Bewegung des Hochreckens lockerte den Sattelgurt

vollends. Aischa schrie entsetzt, als sie aus dem Sattel rutschte. Nicht
nur das. Sie fiel den Vordersten in der Menge vor die Füße wie eine
reife Frucht.

»Nein!« schrie das schöne Mädchen entsetzt.
»Doch«, lachten die triumphierenden Männer. Einige hatten längst

das Pferd des Mädchens fortgeführt. Aischa hörte es aus einem der
vielen Nachbarhöfe wiehern. Hoffentlich schlachteten die
Unmenschen das Pferd nicht einfach ab. Es war ein teures Tier von
gutem Blut.

»Doch!« Damit beugte sich ein heißer, übel riechender

Männermund über Aischas Gesicht. Sie konnte sich drehen und
wenden, wie sie wollte. Der Mann bekam seinen Willen. Andere
Männerhände hielten Aischa fest. Bis sie sich küssen ließ. Ihr wurde
so übel, daß sie die Sinne verlor.

*

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Sie ritten eine Stunde. Und führten dann eine weitere Stunde ihre
Pferde am Zügel. Die ganze Nacht hindurch. Längst hatten sie
Camelots äußerste Grenze hinter sich gelassen. Aber das beunruhigte
Roland nicht.

Wenn es stimmte, daß nämlich der falsche König nach Camelot

geritten war, so würde dieser Doppelgänger alles daran setzen,
seiner, Rolands, Herr zu werden. Aber nahm er sich da nicht zu
wichtig?

»Es gibt die tollsten Geschichten über solche Doppelgänger«,

behauptete Knappe Louis. »In Byzanz haben sie vor vielen hundert
Jahren einmal so einen falschen Herrscher gehabt.«

»Und wie geriet der in Verdacht, wie fiel er auf?«
»Seine Mutter hat ihn überführt. Ich meine, die Mutter des echten

Kaisers.«

Louis steckte voll von derartigen Geschichten. Meistens war ein

wahrer Kern an dem, was er erzählte. Als Roland keine weiteren
Fragen stellte, brachte Louis die Geschichte von sich aus zu Ende.

»Nach der Entlarvung haben sie ihn im Zirkus von Byzanz mit

wilden Tieren kämpfen lassen. Mit Bären und Löwen.«

»Gehen die nicht zu allererst aufeinander los?« wollte Roland

wissen.

»Schon möglich. Aber damals müssen sie sich ihrer Erbfeindschaft

gegeneinander erst erinnert haben, als der falsche Kaiser schon tot
war.«

»Schade, daß so etwas in unserem Falle nicht möglich sein wird.«
»Und warum nicht?« wollte Knappe Louis wissen.
»Weil Camelot ein zivilisiertes Land ist. Die Zivilisation hat ihren

Preis, wie du siehst. Täusche ich mich oder wird es da hell?«

Sie verließen just den Schatten eines Waldes, als Roland diese

Frage stellte.

»Ja. Es tagt. Ich glaube, wir tun gut daran, zunächst einmal zu

lagern.«

Roland widersprach.
»Müßten wir nicht in der Nähe des Begleittrosses sein, Louis?«

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»Ja. Aber wenn sie nicht hier irgendwo lagern, dann sind sie noch

viel weiter zurück, als wir ahnen können. Ich habe schon die ganze
Nacht hindurch die Augen und besonders die Ohren aufgehalten. Es
war nichts da.«

»Und wir reiten doch auf dem Hauptweg zwischen Camelot und

Gallien, nicht wahr?«

»So ist es, Herr. Wenn wir bis in einer Stunde noch keine Spur

vom königlichen Troß gefunden haben, lagern wir selbst. Ist der
Vorschlag angenommen?«

»Ja.«
Es tagte immer mehr. Federgewölk bedeckte den Himmel. Die

Sonne trat ihre Reise an. Der Horizont wurde nicht rot. Das
versprach gutes Wetter.

Sie waren stracks nach Süden geritten. Seit Camelot hatten sie

noch kein Dorf gesehen. Roland erinnerte sich, daß früher zwischen
Gallien und Camelot häufig Krieg gewesen war. Nun herrschte
Frieden. An Krieg war nicht mehr zu denken.

Louis entdeckte ein vom Wald beinahe vollständig zugewachsenes

Gehöft.

»Ist der Platz für uns nicht gut?«
»Hm. Ehe wir uns ausstrecken, wollen wir den Ort genau

untersuchen.«

Eine Viertelstunde später hatten sie die Pferde zum Grasen auf der

eingewilderten Waldweide und lagen selbst unter ihren Decken im
Schatten mächtiger Buchen.

Sie hatten schon lange genug die Augen zu, um ausgeschlafen zu

sein, als Samum hell wieherte.

»Verdammtes Vieh«, schimpfte eine rauhe Männerstimme

verhalten. Jemand warf einen Stein gegen Samum und traf. Der
Hengst wieherte schmerzvoll.

Ritter Roland war auf den Beinen. Er ertappte zwei Menschen,

groß der eine, klein und gebückt der andere, die fliehen wollten.

Wie der Wind setzte Roland dem Größeren nach. Da war auch

Louis wach. Er nahm sich des kleineren Menschen an. Es stellte sich

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heraus, daß sie ein Paar gefangen hatten, welches miteinander
ungeachtet des hellen Tages dem Diebesgewerbe nachging. Sie
hatten Rolands und Louis gesamtes Gepäck gestohlen.

»Ja, soll man so etwas glauben?« erkundigte sich Roland grimmig.

Er beutelte den Mann, welchen er beim Genick hielt. Der war nicht
so ohne weiteres bereit, sich zu ergeben. Er trat, versuchte zu
kratzen, biß sogar und spuckte. Vor allem aber schimpfte er.

»Ihr aus dem Maul stinkenden Bastarde, wolltet ihr uns wohl

loslassen?«

Die Stimme des Mannes zeterte derart unangenehm und laut, daß

ganze Scharen von Hähern im Busch erwachten. Die Tiere
beteiligten sich nach Leibeskräften an dem heiseren Geschrei. Es gab
keinen Zweifel, daß Ritter Roland den männlichen Teil des
Diebespaares erwischt hatte. Die kleinere Frau wand sich in den
Fängen des Knappen Louis. Das saubere Pärchen war mit allen
Wassern gewaschen. Das bekam zuerst Ritter Roland zu spüren.
Denn der ständig sich drehende, laut schimpfende Mann hatte
tatsächlich das Glück, den Ritter zu Fall zu bringen. Er schrie noch
lauter als zuvor. Wahrscheinlich, um den Zufall so richtig für sich
auszunützen. Doch, was er so dringend erstrebte, nämlich die volle
Bewegungsfreiheit, blieb ihm versagt. Roland ließ nicht los, was er
einmal in den Fäusten hielt. Ja, er packte jetzt erst voll zu. Der
schimpfende Mann fürchtete um sein Leben. Er verlegte sich auf's
Betteln.

»Gebt uns frei, Herr! Wir sind arme Wandersleute, die Hunger bis

unter die Haare haben. Erbarmen!«

»Von wegen Freilassen! Von wegen Erbarmen«, sagte Roland

wütend. Er krabbelte hoch. Dabei ließ er den diebischen Bettler aber
nicht los. »Stine!« rief der. Das hörte sich so an, als packe er jetzt
eine besonders wirksame Waffe aus.

Knappe Louis hielt die Frau fest. Abgesehen davon, daß sie wie ein

Wiedehopf stank, war es gar nicht so unangenehm, sie in den Händen
zu haben. Sie hatte fest Formen. Die Frau gab ihrem Begleiter
Antwort. »Moment, Hannes, ich komme.«

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Knappe Louis lachte. Was er einmal festhielt, war ihm nur schwer

zu entreißen. Das Lachen verging ihm bald. Denn das Weib trat
unversehens. Es traf Louis' empfindlichste Stelle. So hart, als hätte
ihn ein Pferd getroffen. Oder als habe ein weißglühender Blitz in
seiner Lendengegend eingeschlagen. Louis ließ die Frau los.
Stöhnend krümmte er sich und fiel zu Boden.

Die Frau jedoch griff Roland an. Der Ritter hatte schon viel

gesehen und erlebt. Gegen ein Weib aber hatte er sich bisher nicht zu
wehren brauchen. Ehe er die Situation begriff, hatte sie Roland
bereits zahllose Tritte verabreicht. Jeder Tritt traf eine empfindliche
Stelle an Rolands Körper. Die Frau war ein Teufel.

»Stine«, winselte der Mann erneut. Roland hielt den Dieb

unverändert fest. Der fürchtete wahrscheinlich, die Luft werde ihm
knapp. »Stine!«

Roland tat das, was ihm bisher stets aus allen Schwierigkeiten

geholfen hatte. Er schlug zu. Er traf das Weib so heftig, daß es gegen
den nächsten Baum prallte. Mit einem ächzenden Wehlaut brach die
Frau zusammen. Sie blieb am Fuß des Baumes liegen.

»Louis«, befahl Roland. »Das wäre die Gelegenheit, den

Weibsteufel dingfest zu machen und zu binden.«

Der Knappe war wieder so weit, daß er sich bewegen konnte. »Na,

der werd ich was zeigen«, versprach er. Er band die Frau. Ohne
fremde Hilfe würde sie die Fesseln nicht los werden.

Ritter Roland spendierte seinem nach wie vor fluchenden und

randalierenden Fang eine Maulschelle. Darob sah der Dieb am hellen
Morgen Sterne. Mit einem letzten Fluch glitt er in die Bereiche
empfindungsloser Ohnmacht.

»Das nenn ich ein Duett!« murmelte Roland. Er sah zu, wie der

diebische Bettler von Louis genau so gebunden wurde wie die Frau.
Zur gleichen Sekunde wurden Ritter und Knappe auf ein Heulen im
Busch aufmerksam. Es kam ungefähr aus Richtung jener Wildweide,
wo die Pferde grasten. Auch Samum hörte die Laute. Der Hengst
weidete wie zufällig so, daß er den Geräuschen näherkam. Roland
ging darauf zu. Er fand im Gebüsch eine Karre, welche von einem

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riesigen Hund gezogen wurde. Mit diesem Fahrzeug mußten die
Bettler unterwegs sein.

Roland sprach den Hund an. Der war still geworden. Doch er

wußte offensichtlich nicht, ob er nun knurren oder schwanzwedeln
sollte. Nach dem er eine ordentliche Prise von Rolands Witterung
genommen hatte, entschied er sich für Freundlichkeit.

Roland überließ es seinem Knappen Louis, die Karre zu

untersuchen. Der Ritter aus Camelot tätschelte den Hundekopf. Diese
Geste sah Samum, der Hengst, gar nicht gern. Er kam schnaubend zu
seinem Herrn.

Knappe Louis zog alles Mögliche aus dem Wagen. Das Bettlerpaar

war alles andere als faul. Sie hatten ihre Beute säuberlich geordnet.
Da lagen Tischdecken neben Kleidungsstücken. Unten drunter fand
Knappe Louis Tafelsilber und einen Becher, den sowohl der Knappe
als auch Ritter Roland kannte.

Das Metall blitzte in der Sonne, als Louis den Becher hochhielt.

Das schwere Silber hatte eine Gravur. - Fortes fortuna adjuvat - stand
da zu lesen. »Den Tapferen hilft das Glück!«

»Sag mal, hat unser Douglas Heißblut von der Aue nicht so einen

Becher?«

Knappe Louis schnupperte an dem Metall. Doch dieser Musterung

war nichts anderes zu entnehmen, als daß der Becher vor nicht
allzulanger Zeit mit Heringslake in Berührung gekommen sein
mußte.

»Soll ich die beiden eingehend und peinlich befragen, Herr? Ich

meine, du kannst ja derweil dir die Beine vertreten, wenn dich das
Geschrei stört. Lange brauche ich sowieso nicht. Die haben mich in
Harnisch gebracht. Ich will ihnen ihre Heimtücke vergelten.«

Sieh einer an. Die beiden waren nicht halb so ohnmächtig, wie sie

taten. Stine und Hannes schlugen einträchtig die Augen auf. Sie
hatten gehört, daß Knappe Louis Hand an sie legen wollte.

»Wir sagen, was wir wissen. Über den Becher und auch sonst. Nur

schlagt uns nicht.«

So äußerte sich der Mann. Bettelweib Stine echote hinterher.

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»Im Guten kann man bei uns viel mehr erreichen.«
Knappe Louis dämpfte ihre Hoffnungen.
»Eh ich euch losbinde oder auch nur die Fesseln lockere, müßt ihr

schon mit was Handfesterem rübergekommen sein. Zum Beispiel
damit, wie ihr zu diesem Becher gekommen seid.«

Die Stimmen der Bettler überschlugen sich schier.
»Den hat mein Hannes im Würfelspiel einem vornehmen Herrn

abgenommen. Er würfelt nämlich gut, mein Hannes.«

»Wo?« erkundigte sich Ritter Roland kurz und bündig.
Knappe Louis befand, das saubere Paar habe eine etwas gröbere

Behandlung verdient. Er trat den krumm geschlossenen Mann in sein
verlängertes Rückgrat.

»Heraus mit der Sprache, wo hast du den Becher gewonnen?«
»Na, auf der Schwarzenburg«, schrie der Mann. Er sprach jetzt in

einem Ton, der mehr auf Wahrheit als auf Lüge deutete.

»Und wo liegt diese Schwarzenburg?« forschte Ritter Roland

weiter.

Der Bettelmann nickte dorthin, wo hinter einem Ring von Wäldern

wahrscheinlich irgendwelche Siedlungen lagen.

»Dort, Herr Ritter.«
»Und wem gehört sie, diese Schwarzenburg?«
Die Antwort auf diese Frage kam ebenfalls schnell.
»Dem Ritter von der Schwarzen Rose eben, dem hochedlen

Freiherrn Sebastian. Hütet euch wohl, seinen Weg zu kreuzen. Denn
im Lanzenstechen findet er nicht seinesgleichen. Auch sonst versteht
er sich auf den Umgang mit Waffen.«

Die Befragung nahm kein Ende.
»Ist augenblicklich Besuch auf der Schwarzenburg?«
Täuschte sich Knappe Louis, oder zwinkerte sich das

Bettelpärchen tatsächlich zu »O ihr Herren«, sagte die Frau. »So ein
großmächtiger Herr wie der Freiherr Sebastian, der Ritter von der
Schwarzen Rose, wird doch mit einem unserer Art kein wirklich
vertrautes Wort wechseln. Wie also sollten wir wissen, ob Besuch
auf der Schwarzenburg ist?«

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»Nun, gehört der Ritter, dem du diesen Becher abgewannst, zur

Schwarzenburg, oder war er dort Gast?«

»Wenn ich die Knöchlein über das Kalbfell rasseln lasse, frage ich

wenig danach, woher einer kommt und wes Art er ist, solang er
bezahlen kann.«

Plötzlich wurde die Stimme des Mannes schrill und unvorstellbar

laut. Er brüllte:

»Hilfe ... Gewalt... Schockschwerennot ... Herbei, ihr Leut!«
Ehe Ritter Roland oder Knappe Louis begriffen, was geschah,

donnerte eine Rotte gepanzerter Reiter in den Wald und auf die
Lichtung.

»Beim Himmel! Das nenn ich Rettung in letzter Sekunde, Vogt

Hermann.«

So brüllte Hannes, der Bettler. Auch Stine mischte mit.
»Sie haben mir Gewalt angetan, die beiden Bastarde. Ich glaub, die

Schande werde ich nicht überleben.«

Ein riesenhaft gewachsener Mann griff Roland an.
»Wehr dich, räudiger Hund.«
Schon klang Stahl gegen Stahl. Die Schläge fielen so dicht wie

Hagel bei einem Ungewitter.

*

Roland und sein Knappe Louis fochten Rücken an Rücken. Louis
stand Roland hinsichtlich der Fertigkeit im Umgang mit Waffen
kaum nach.

Neben dem Bogen war Louis' liebste Waffe die Streitaxt, die

Franziska, wie das einfache Volk sagte.

Knappe Louis verschaffte sich sehr schnell Respekt. Auch Ritter

Roland stand seinen Mann. Vogt Hermann hatte mit ihm alles andere
als ein leichtes Spiel.

Nur eine knappe halbe Minute brauchte Ritter Roland, um den

Überraschungsschock zu überwinden. Dann blitzte das Schwert in
Rolands nerviger Faust wie eine pausenlos rotierende

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Sonnenscheibe. Wenn es dem Riesen, welchen der Bettelmann
Hannes »Vogt Hermann« nannte, um eine wirklich gute Fechtpartie
ging, so kam er voll auf seine Kosten. In der Person seines Freundes
Volker vom Hohentwiel stand Roland täglich der beste
Übungspartner zur Verfügung, welchen sich ein Ritter zu wünschen
vermag.

Im ersten Ansturm sah es so aus, als wäre Hermann, der Vogt, dem

Ritter aus Camelot überlegen. Doch er konnte keinen einzigen
Treffer buchen. Was Rolands Schild nicht abblockte, das glitt am
Kettenhemd ab. Sobald er richtig warm geworden war, machte Ritter
Roland ernst. Er wechselte blitzschnell die Schwerthand und ging
gleichzeitig vom Hieb zum Stich über. Schon kassierte Vogt
Hermann den ersten Treffer. Sein Lentner bekam an der rechten
Schulter einen dunklen Fleck. Der Fleck wurde immer größer.

»Wenn Ihr genug habt, laßt es mich wissen«, bot Ritter Roland

dem Gegner an. »Ich gebe Euch Quartier!«

Hermann, der Vogt, lachte hart.
»Gut gemeint, aber nicht nötig, Herr Ritter. Es wird an Euch sein,

um Quartier und gut Wetter zu bitten.«

Bettelmann Hannes verstand offenbar ebenfalls genug vom

Fechten, um zu sehen, daß Vogt Hermann auf die Verliererstraße
geraten war.

»Wechselt die Auslage, Vogt Hermann«, riet er dringend. Doch

der Hinweis kam viel zu spät, um dem wackeren Vogt zu nützen.
Roland wechselte einmal mehr die Schwerthand. Jetzt kämpfte er
also wieder mit rechts. Das trug dem Vogt einen weiteren Treffer ein.
Diesmal wurde der Lentner auf der linken Seite, zwischen Schulter
und Hals dunkel. Der Vogt fluchte.

»Helft ihm doch! Tut was!« So zeterte Hannes, der Bettelmann. Er

mußte längst nicht so unbedeutend sein, wie man auf den ersten
Blick glaubte. Die Gewappneten Begleiter des Vogts hörten auf ihn.
Das heißt, diejenigen hörten, die noch dazu in der Lage waren. Denn
Louis' Franziska, die scharfe Streitaxt, hatte tüchtig unter ihnen
gewütet. Von den ursprünglich zwölf Angreifern waren nur noch

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sieben übrig. Fünf davon wandten sich jetzt Ritter Roland zu. Sie
mochten denken, Vogt Hermann gewänne spielend die Oberhand,
wenn sie den Ritter aus Camelot zusätzlich beschäftigten. Welch
folgenschwerer Irrtum. Zwar kam Roland tatsächlich so richtig in
Fahrt. Aber davon hatten die fünf Angreifer den Schaden. Denn
Ritter Roland bediente sie mit seinem Schild. Er schlug damit ebenso
gezielt wie kraftvoll auf seine Widersacher ein. Und er traf. Zugleich
wehrte er weiterhin den Vogt Hermann ab. Der Vogt war
mittlerweile vier Mal getroffen worden.

Die Entscheidung kam von einer ganz anderen Seite und völlig

unerwartet.

Da Roland und sein Knappe mit ihren Gegnern beschäftigt waren,

entging ihnen, was Bettelmann Hannes und seine Frau Stine trieben.
Denen war es gelungen, so nahe aneinander heranzurücken, daß sie
sich anfassen konnten.

»Steckt der Nothelfer da, wo er immer ist?« flüsterte Stine.
»Ja.« Der Mann blieb bei der Antwort so leise wie eine Maus.

Bettelweib Stine fingerte an seinen Stiefeln herum. Nicht lange und
sie hatte gefunden, was sie suchte. Es war ein schmales Messer mit
fingerlanger Klinge.

Zuerst fielen Hannes' Fesseln. Dann kam Stine an die Reihe. Der

Kampf zwischen den Rittern und den Gepanzerten ging inzwischen
weiter.

Ritter Roland war gerade so weit, daß er sich wieder

uneingeschränkt dem Vogt zuwenden konnte. Knappe Louis hatte die
beiden letzten Gegner mit der Franziska erwischt.

Da sah Bettelmann Hannes, daß und wie Stine eine lange scharfe

Nadel, die an einem kleinen Glasrohr hing, aus den Falten ihrer
Kleidung holte. Hannes nickte begeistert.

»Gib es ihnen, Stine!«
Das Bettelweib glich einer Spinne, die sich erstaunlich behend zu

bewegen wußte. Plötzlich stand sie hinter Roland. Der Ritter aus
Camelot warf sein volles Gewicht in den Stoß, der gerade den Vogt
Hermann traf. Der Vogt machte die Miene eines Kindes. Das

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Schwert Rolands durchbohrte des Gegners Brust.

Klirrend entfiel das Schwert der Faust des Vogtes. Er knickte in

den Knien ein. Ganz langsam sank er zu Boden.

Stine, die Bettlerin, erkannte weit früher als der Vogt, was mit dem

Mann geschehen war.

»Mörder«, schrie sie schrill. »Was hast du mit unserem Vogt

gemacht, der ein so guter Mann ist? Wenn keiner seiner Männer ihn
zu rächen vermag, ich räche ihn. So!«

Sie sprang den Ritter aus Camelot an. Ehe Roland wußte, wie ihm

geschah, war er bereits von der Nadel getroffen. Das scharfe, dünne
und lange Gerät durchbohrte das Kettenhemd in Nackenhöhe. Ritter
Roland brach wie ein gefällter Baum zusammen.

Als sei es damit noch nicht genug, fiel das Bettelpaar nunmehr

über den Knappen Louis her. Der glaubte nicht anders, der Kampf sei
aus und gewonnen, weil ja kein Gegner mehr auf den Beinen stand.
Da schlug ihm Bettelmann Hannes die Franziska aus der Faust. Er
umklammerte Louis' Oberarme. Wahrscheinlich hätte der Bettler den
ehemaligen Gastwirt auf die Dauer so nicht zu halten vermocht.
Doch es reichte immerhin, Stine die Gelegenheit zu geben, erneut
mit ihrer Nadel tätig zu werden. Wie sein Herr Roland, so sank auch
Knappe Louis ohnmächtig zu Boden.

»So«, sagte Bettelmann Hannes erleichtert. »Die hätten wir.« In

seiner Stimme schwang unverkennbarer Triumph. »Und wem
verdanken wir das? Nicht dem Vogt Hermann oder einem seiner
Panzerreiter, auf die er so stolz ist. Dir und mir ist der Sieg zu
danken.«

Bettlerin Stine eilte zu der Karre. Da holte sie Blockketten. Sie

legte Roland und Louis die Eisen an und verschraubte sie.

»Ich schicke Grippo los«, murmelte der Mann. Grippo hieß der

Hund. »Schreib du eine Botschaft für die Burgleute. Sie sollen ein
Fahrzeug und vor allem einen Feldscher herschicken.«

Die Burg, von welcher die Rede war, mußte ziemlich nahe liegen.

Denn der riesige Hund war noch nicht lange genug fort gewesen, daß
die Bettelleute die Verwundeten hätten versorgen können, da

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rumpelte es heran. Hufschlag weckte das Echo und die Tiere im
Wald.

Inzwischen hatte Bettlerin Stine zumindest den Vogt Hermann

untersucht und verbunden. Dabei klagte sie, daß es einen Stein
gedauert hätte.

»So ein guter Mann, so ein starker Mann. Und jetzt liegt er

darnieder, als käme er nie wieder richtig auf die Beine.«

Stine verstand anscheinend das eine und andere von Heilkunst und

Pflege. Denn sie brachte die Blutung der Brustwunde zum Stillstand.
Das gelang ihr mit großen Blättern, welche sie gesucht hatte und die
sie dann unmittelbar auf die Wunde legte, ehe der ordentliche
Stoffverband darüber kam.

Irgend etwas am Werken der Frau und an ihren Worten mißfiel

Bettelmann Hannes.

»Wenn man dich so reden hört, könnte man glatt glauben, der Vogt

stünde dir genauso nahe wie ich.«

Während er das sprach, flackerten Hannes' Augen in einer Weise,

welche das Bettelweib warnte.

»Fängst du etwa wieder an, eifersüchtig zu werden? Wie oft soll

ich dir noch sagen, daß die Geschichte zwischen dem Vogt und mir
längst ausgestanden ist und vorbei?«

»So was ist nie vorbei; und einem Weib sitzt es unter der Haut,

wenn sie sich mit einem Mann gemischt hat.«

Stine wollte den Hannes streicheln. Dabei aber hielt sie die lange

Nadel mit dem Glasrohr in der anderen Hand. Der Bettler winkte
heftig ab.

»Laß mich!«
Die Frau lächelte nachsichtig. »Ich mag den Vogt Hermann gut

leiden. Mehr ist aber auch nicht übrig von dem früheren Feuer. Auf
jeden Fall hast du keinen Grund, mir auszuweichen, wenn ich dich
anfassen will. Trag die zusammen, die sich nicht mehr rühren
können. Und leg die Verwundeten zurecht, damit sie gleich
aufgeladen werden, wenn der Wagen kommt.«

Es war gleich so weit, der Feldscher sprang ab, noch ehe der

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Wagen hielt. Er winkte seine Gehilfen an. Die saßen zu Pferde. Aber
sie gehorchten ihrem Herrn und Meister aufs Wort. Außerdem waren
sie eingearbeitet und wußten, was er meinte, wenn er dieses oder
jenes Gerät haben wollte.

Auch der Wagenkutscher war mit entsprechenden Gehilfen

gekommen. Unter großem Wehklagen luden sie einmal die
Gefallenen auf. Dann schotteten sie den für solche Zwecke
präparierten Wagen ab, und die Verwundeten bekamen ihren Platz.

»Nicht, daß du gleich wieder verrückt spielst«, raunte Stine dem

Bettelmann zu. »Aber ich muß neben dem Vogt sitzen. Irgendwer
muß während der Fahrt seine Hand halten und ihn stützen.«

»Ich fürchte, da ist alles, was du tust, vergebene Mühe. Du siehst

ihn ja anders, aber ich meine, er hat sein Schicksal verdient.«

Einmal mehr wehrte die Frau ab. »Du bist voreingenommen und

kannst nicht klar denken. Wenigstens nicht in diesem Fall. Auf der
Burg werden sie uns eine Belohnung geben. Streich sie ruhig ein. Ich
will weder Lob noch Lohn für mich haben. Vielleicht beweist dir
das, daß ich auf deiner Seite stehe.«

»Hm«, machte der Mann. Er begann, zu husten. Das sah verdächtig

nach einem Ablenkungsmanöver aus.

Stine wandte sich an den Feldscher. »Meinst du, du kriegst den

Vogt wieder gesund, Leopold?«

Der Feldscher gab sich skeptisch.
»Ich tue, was ich kann. Aber versprechen will ich nichts. Es hat ihn

schwer erwischt.«

Roland und sein Knappe wurden wie Vieh auf den Wagen

geschafft. Da kamen sie in getrennte Verschlage, so eine Art von
Holzkäfigen. Sie waren immer noch ohnmächtig.

Das Bettlerpaar schirrte den Hund Grippo wieder ein. Sie ließen

den Karren mit seiner Last ruhig abziehen. Wenn sie jemand so sah,
wäre er wohl kaum auf die Idee gekommen, sie gehörten ebenfalls
zur Burg.

»Meinst du, er wird halten, was er versprochen hat, Stine?«
»Aber ja doch, Hannes. Sei nicht hasenherzig. Bislang ist es uns

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gut bekommen, daß wir uns von den Milanen haben einspannen
lassen. Was die Versprechungen angeht, welche uns gemacht worden
sind, so kann der, den ich meine, gar nicht anders, als sie bis zum
letzten Buchstaben zu halten. Was glaubst du, wie gut es uns dann
geht?«

»Hoffentlich«, seufzte der Mann. Er sah aus, als traue er der Frau

nicht restlos, wolle sie andererseits aber nicht verärgern.

Sie schritten zügig durch den Wald. Grippo, der Hund, legte sich

fest in die Sielen. Häher begleiteten keckernd ihren Weg. Raben
stoben in Gruppen hoch. Sobald aber die schwarzen Vögel mit der
heiseren Krächzstimme sich über den Wald erhoben, fielen sofort
und pfeilschnell Milane ein. Die Gabelweihen trieben Raben, Krähen
und Dohlen rücksichtslos in den dichten Busch zurück.

»So geht es auch den Menschenfeinden, die unsere großen Pläne

durchkreuzen wollen«, murmelte die Frau.

Der Wald endete plötzlich. Hinter einem Streifen Wiesenland

erstreckten sich bestellte Äcker. Dahinter winkte von der Kuppe
eines Hügels eine Burg. Eine wehrhafte Anlage. Vom Burgfried
wehte eine bunte Seidenfahne. Wenn man genau hinsah, erkannte
man unter der Fahne, in den Farben der Grafen von Montgelas, einen
Wimpel. Der zeigte eine silberne Wolfsrune auf schwarzem Grund.
Unter der Wolfsrune, diesem blitzähnlich gezackten Zeichen, war
eine große Rose zu sehen. Die gestickte Blume war schwarz und hob
sich durch eine unterlegte weiße Seidenraute von dem Wimpel
wirkungsvoll ab.

Die Wiesen glitzerten silbrig vom Tau der Nacht. Der Karren mit

den Verwundeten rollte die Windungen zur Burg auf dem Hügel
empor.

»Ich bin froh, daß du jetzt doch nicht neben dem Vogt hockst und

seine Hand hältst, Stine.«

»Hm«, machte das Bettelweib. Sie gab dem Hund einen Klaps.

»Lauf, Grippo! Lauf zu!«

*

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Als Ritter Roland aufwachte, schmerzte sein Kopf so stark, daß er
die Stirn in beide Hände stützen wollte. Er war denkbar erstaunt, daß
das nicht ging. Er hörte die klirrenden Ketten. Zugleich mit dieser
Wahrnehmung sah er auch den Schatten des Menschen neben seinem
Strohlager.

Jede Minute, die dahintropfte, schenkte ihm mehr Klarheit. Er

erkannte seine Gefangenschaft. Er strengte sich an, daß die Muskeln
an seinen Armen und Schultern wie Tauknoten hervortraten.
Zwecklos. Die Eisen trotzten auch seiner Riesenkraft.

Er trug kein Kettenhemd und auch keinen Lentner mehr. Fluch

über den, der ihm Panzer und Waffen genommen hatte. Er lag auf
Stroh. Die Stimme, welche ihn ansprach, gehörte einem weiblichen
Wesen.

»Peinlich, so in die Wirklichkeit zu erwachen, nicht wahr?«
So sprach die Bettlerin. Roland erkannte das Weib genau. Jetzt sah

er auch Louis. Irgend jemand wollte den Knappen offenbar
besonders quälen. Louis hing in den Ketten. Offenbar war er noch
ohnmächtig.

»Pest und Schwefel über dich, Weib.«
Roland fühlte, wie ein Fuß ihn derb stieß. »Hör zu«, sagte die

Bettlerin.

»Verstelle dich nicht. Ich weiß, daß du wieder gut bei Verstand

bist. Du hörst mich genau. Deshalb sage ich dir: wir können es hart
und wir können es menschlich miteinander halten. Das liegt ganz bei
dir.«

Roland spürte, daß tödlicher Ernst hinter den Worten des

Bettelweibes steckte. Er richtete sich darauf ein. Und er gab sich den
Anschein, als habe er seine Niederlage eingesehen.

»Was willst du?«
Das fragte er, ohne die Augen zu öffnen. Roland kam sich vor wie

unter den kalten Glitzeraugen eines Geiers, denen rein gar nichts
entging. Das Weib lachte auf ebenso harte wie eigentümliche Weise.
»Was ich will oder denke, ist nicht so wichtig, wie das Planen derer,
welche hinter mir stehen.«

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Sie gab also offen zu, in dem Spiel nur die Regeln zu kennen und

mitzumachen. Bestimmend, führend, war sie nicht.

»Und wer steht ... hinter dir?« Ehe das Weib antworten konnte,

stellte Roland schon seine nächste Frage. »Haben deine Vorgesetzten
befohlen, dem armen Teufel da so übel mitzuspielen?«

Ritter Roland nickte zu dem denkbar unglücklich in seinen Ketten

hängenden Knappen Louis. »Das ist ein besonders guter Mann. Und
wenn deine Weisungen dem nicht entgegenstehen, möchte ich dich
bitten, wenigstens seine Füße auf den Kerkerboden zu lassen.«

Das Bettelweib lachte. Sie betrachtete Roland aus listigen Augen.

Das Gesicht der Frau wirkte seltsam faltenlos. Sie konnte längst nicht
so alt sein wie sie durch ihre Kleidung erschien.

»Du läßt wohl nichts aus, was? Er liegt dir am Herzen, dieser

Louis, nicht wahr?«

Das leugnete Roland nicht. »Wir sind lange zusammen, weißt du?«
Wieder lachte das Weib. »Ist er früher nicht mal irgendwo Gastwirt

gewesen?«

»Du kennst ihn?«
»Ja!« Sie kicherte. Ihre Stimme wurde unverkennbar hart.

»Deshalb hab ich es ihm ja verschafft, daß er vergeblich strampelt,
wenn er die Beine auf die Erde setzen will. Er soll was davon haben
und die richtigen Schmerzen in den Armen spüren ... Aber wenn du
mich für ihn bittest, schönedler Ritter, könnte ich Nachsicht walten
lassen und alle Rache vergessen.«

Was immer Louis in der Vergangenheit an diesem Weibe

gesündigt haben mochte, er durfte unter keinen Umständen in der
Gewalt der Bettlerin bleiben.

»Gut!« nahm Roland an. Dem Klang seiner Stimme war nicht zu

entnehmen, was er dachte. »Ich bitte für ihn. Laß ihn niedriger
hängen. Menschlich gewissermaßen!«

Roland hatte geglaubt, sie werde die Wache rufen. Das Bettelweib

aber packte selber zu. Mit erstaunlicher Kraft hielt sie den Knappen
Louis fest. Sie nestelte einen klobigen Kantschlüssel aus ihrer
Kleidung. Rolands Augen glühten, als er diese Wahrnehmung

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machte. Sie hatte die Möglichkeit, die Ketten zu öffnen. Das war
dem Ritter jeden Einsatz wert. Er beschloß, auf der Stelle die
Gelegenheit zu nützen.

»Weiß der Himmel, wäre ich jetzt frei in der Bewegung, so würd'

ich dir meinen Dank anders bezeigen, als nur durch leere Worte.«

Die Bettlerin legte den Kopf schief. Sie glich einmal mehr einer

Elster.

»Du glaubst wohl auch, ich bin zu ziemlich allem zu bringen, wenn

man mir nur genug Honig ums Maul schmiert, wie? Aber sei es
drum. Ich mag dich und deine Art. Deshalb geb’ ich mir ja auch so
viel Mühe mit dir.«

»Mühe?« Roland tat so, als seien der Bettlerin Pläne ihm nicht

bekannt.

»Nun ja! Wenn es um eine andere Haut ginge, strengte ich mich

nicht so an.«

»Hm. Und was verschafft mir, genau gesagt, die Ehre?«
Die Bettlerin lachte. Ihre Stimme war ungemein wandlungsfähig.

Sie klang jetzt wie eine Silberglocke.

»Du bist Roland, der Ritter von Camelot. Es hat nicht erst des

Zusehens bedurft, als du mit unserem Vogt Hermann kämpftest, um
mich zu überzeugen. Dein Ruf geht dir voraus. Und so sage ich mir,
daß ein Mann deiner Art zum Orden der Brüder vom roten Milan
paßt. Komm zu uns. Verpflichte dich zur Treue und zum Gehorsam
gegen die Ordensoberen. Du wirst reiches Glück und reichen Segen
finden. Das kann ich dir versprechen. Das Leben im Orden paßt
einem Mann deiner Art wie ein Maßhandschuh.«

Orden vom roten Milan. Der Name war Ritter Roland neu.

Darunter konnte er sich nichts vorstellen. Er mußte die Frau in Laune
halten. Von ihr konnte er viel erfahren.

»Gut. Kannst du denn meine Aufnahme in diesen Orden betreiben?

Wenn ja, welche Ziele verfolgt diese Bruderschaft? Verstößt sie
nicht gegen die Gesetze von Camelot?«

Das Bettelweib lachte einmal mehr. »Die Gesetze von Camelot

werden eher als du denkst außer Kraft gesetzt. Der Milan diktiert,

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was geschieht. Zu unser aller Nutz und Frommen. Was nun deine
Aufnahme angeht, Ritter Roland, so kann ich in der Tat einiges dafür
tun. Dich zum Beispiel mit den Oberen der Ordensführung
zusammenbringen und dich ihnen empfehlen. Mit deinem Entschluß,
Mitglied des Ordens zu werden, ist schon viel gewonnen.«

»So strebt der Milan-Orden also an, Schloß Camelot und seinen

König abzulösen. Habe ich das richtig verstanden?«

»Besser ist es kaum auszudrücken. Der Milan macht sie frei. In

allen Ländern, die wir kennen, wird er herrschen, der rote Milan.
Erkläre mir, daß du Mitglied werden willst und deine Gefangenschaft
hat heute ein Ende.«

»Gilt das auch für meinen Knappen?«
Das Weib zögerte. Dann stimmte sie zu. »Möglich, daß ich mich

falsch entscheide, aber es sei. Tritt in den Orden der Brüder vom
Roten Milan ein. Und nimm den da mit.«

Ritter Roland erklärte sich einverstanden. »Ich will Mitglied

werden. Was ich für mich begehre, strebe ich auch für meinen
Knappen an.«

Ganz langsam tasteten die Finger der Frau dahin, wo im Gefält

ihrer Kleidung der Kettenschlüssel stecken mußte. Ein
eigentümliches Blitzen war in ihren Augen. Roland gab dieses
Zeichen zurück, so gut er konnte. Das Bettelweib raunte:

»Darf ich zur Nacht auf deinen ganz persönlichen Dank hoffen,

Ritter Roland?«

Roland wich ihren dreisten Blicken nicht aus. Das war ungefähr so,

als müsse er nackt im geschäftigen Betriebe eines Marktes stehen.

»Ja.«
Knappe Louis lag auf der Erde. Er kam zu sich und stöhnte.
»Hör zu«, sagte die Frau hastig. »Ich kenne ein Mittel, welches

euch beiden wieder so richtig auf die Beine hilft. Moment.«

Sie nahm eine der Eisenschüsseln, welche zum Bestand dieser

Verlieszelle gehörte und schlug sie heftig gegen die Wand. Das gab
einen Höllenlärm. Sofort wurden draußen Schritte laut. Schlüssel
klirrten. Riegel quietschten. Ein gewappneter Knecht spähte in den

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Kerker.

»Gibt es was Besonderes, Stine?«
Das Bettelweib sah aus, als habe es Lust, dem Waffenknecht die

Eisenschale an den Kopf zu werfen.

»Wer hat dir erlaubt, mich dreist beim Vornamen zu nennen, he?

Weißt du nicht, wer ich bin?«

Der Wachknecht beeilte sich, den Fehler zu verbessern.
»Freilich, Frau Feldscherin. Nichts für ungut, Frau Feldscherin. Es

wird keinen Grund zur Klage mehr geben. Mein Wort darauf.«

Das Weib befahl: »Bring mir mein Felleisen, welches ich in der

Kerkerwache abgestellt hab.«

Der Wachknecht gehorchte sofort. Er war so schnell zurück, als

wäre er geflogen. Das Felleisen war prall voll mit allen möglichen
Dingen, die man bei einem Bader oder Feldscher weit eher vermuten
sollte als bei dieser Frau.

»Gut, Soldat. Sobald ich dich brauche, mache ich mich

bemerkbar.«

Die Frau packte das Felleisen aus und nahm eine Flasche zur

Hand. Der Inhalt der Flasche schillerte wie Gold. Das Weib ging
daran, den Knappen Louis auszuziehen. Dabei machte es kein Hehl
daraus, in dem ehemaligen Gastwirt einen alten Bekannten
wiederzusehen.

»Die Geschichte zwischen uns ist lange vorbei.« Sie schüttete ein

wenig von dem Flascheninhalt in ihre Hand. Sie verteilte die
Flüssigkeit auf dem nackten Oberkörper des Knappen. »Wenn ich
ihn behandelt habe, dann kommst du an die Reihe. Nach einer
Abreibung mit meinem »Aqua vitae« wirst auch du dich wie
neugeboren fühlen.«

Das Weib hatte die Medizin exakt richtig geschildert. Louis'

Oberkörper war mit der scharf riechenden, goldfarbenen Flüssigkeit
kaum ordentlich eingerieben, da sah man geradezu, daß und wie die
Lebensgeister des Knappen erwachten.. Die Hände und Finger des
Bettelweibes mußten sich nicht unangenehm auf der Haut anfühlen.
Louis war sichtlich wohl gelaunt. So etwas wie Erkennen

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durchzuckte seinen Blick.

»Sag an, kennen wir uns nicht?«
Das Weib lächelte.
»Dämmert es dir? Hast du die Schober Christel also doch nicht

vergessen... obschon du sie hast sauber sitzen gelassen zur damaligen
Zeit?«

»Christel Schober«, wiederholte Louis den Namen. »Meiner Seel‘,

wie lang ist das her! Denkst du auch noch daran ...«

Eiskalt fiel sie ihm ins Wort »Daß du etwa der erste Mann warst,

der mir's hat besorgen dürfen? Was besagt das schon? Einen ersten
Mann wird es immer geben, genauso wie es einen letzten gibt. Was
dazwischen liegt und das, was Leben heißt, darauf kommt's an. Nun,
wie fühlst du dich jetzt, Grannenwirt?«

»Wie ich mich fühle?« wiederholte Knappe Louis. Er machte eine

Miene, als sei er ganz gegen seine Absicht in den tiefen Schacht der
Erinnerung gestürzt. »Grannenwirt! Wie weit liegt das zurück!«

Das Weib gab ihm einen klatschenden Schlag auf den Brustkorb.
»Es geht schon wieder mit dir. Zieh dich an.«
Knappe Louis setzte durchaus richtig zwei und zwei zusammen. Er

wußte ohne Erklärung, daß sie nicht als Ehrengäste der Burg geführt
wurden, zu welcher dieses Verlies gehörte.

Die Frau sah Louis, den Knappen, so an, als sei er aus Glas und

vollkommen uninteressant. Daß sie einstens auf gänzlich anderem
Fuß miteinander gestanden hatten, war vergangen und vorbei. Sie
hatte begonnen, Rolands Ketten zu öffnen. Es mußte ihr Vergnügen
bereiten, den Mann zu entkleiden. Ihre Augen blitzten neugierig.
Sobald sie Rolands nervigen Körper unter den Händen hatte,
erinnerte ihr Gesicht an einen Menschen, der einen besonderen
Genuß erwartet.

»Sorge dafür, daß der Knappe uns nicht stört... wenn ich heute

abend komme.« Obwohl sie flüsterte, verstand Louis jedes Wort. Sie
setzte hinzu: »Sage ihm, daß du dem Orden der Brüder vom Roten
Milan beitrittst und daß du ihn mit in die Gemeinschaft nimmst.«

Obschon sie sich alle Mühe gab und obwohl sie nicht genug davon

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bekommen konnte, seine festen Muskeln und Gelenke zu berühren,
blieb Roland kalt wie Eis. Was sie von ihm verlangte, wenn sie
abends erschien, war ihm völlig klar. Für seine und des Knappen
Freiheit war er zu jedem Opfer bereit.

»Gefällt dir mein Aqua vitae, Ritter?«
Das Gold aus der Flasche war in den ersten Minuten gar nicht auf

der Haut zu spüren. Dann brannte es, als sei man in loderndes Feuer
geraten. Danach wiederum ging das Brennen in ein lösendes Gefühl
vollkommener Entspannung über. Roland fühlte sich wie
neugeboren.

»Sehr.«
Die Frau schien sich kaum von dem Anblick seiner starken Arme

lösen zu können. Sie streichelte ihn und hauchte ihm zu. »Was
glaubst du, wie schön es erst heute abend sein wird ... Wenn du
Mitglied im Orden bist und ich dich besuche!«

Nachdem auch Roland ihrer Meinung nach hinreichend gesalbt

und durchgeknetet worden war, packte die Frau ihr Felleisen wieder
ein.

»Adieu«, grüßte sie. Von der Sekunde an, in der sie entschlossen

war, zu gehen, hatte sie weder für Roland noch für den Knappen
Louis einen Blick. In irgendeiner Weise mußte das Verlies von
draußen einsehbar sein. Denn kaum sprach die Frau den
Abschiedsgruß aus, da ging die Tür auf.

»Bis später«, hörten Ritter Roland und sein Knappe sie sagen.

Dann fiel die schwere Kerkertür wieder ins Schloß. Die Riegel
wurden vorgeschoben. Die beiden aus Camelot waren allein.

*

Louis kam seinem Herrn ganz nahe.

»Was ist das für eine Brüderschaft oder Orden?«
»Pst«, machte Roland. Knappe Louis konnte sich nicht erinnern,

seinen Herrn schon einmal so leise und vorsichtig erlebt zu haben.
»Mir will scheinen, hier haben die Wände Ohren. Über diesen Orden

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der Brüder vom Roten Milan weiß ich genau so wenig wie du. Doch
ich habe angenommen, als sie mir gegen den Preis unserer
Freilassung die Mitgliedschaft anbot. Erstens müssen wir hier heraus,
zweitens sind wir um Nachrichten und Kundschaft um den Verbleib
unseres Königs verlegen. Also machen wir gute Miene zum bösen
Spiel. Woher kennst du das Weib?«

Knappe Louis wurde dunkelrot. Die Bettlerin gehörte

offensichtlich zu jenem Teil seiner Vergangenheit, über welche er
nicht gern sprach. Dennoch, wenn sein Herr ihn fragte, blieb er bei
der Wahrheit.

»Aus jenen Tagen, Herr, da ich als Wirt mein Geld verdiente. Sie

stammte aus der Nachbarschaft. Wenn meine Erinnerung richtig ist,
so hat sie keinen Grund, mit Freude an mich zu denken. Wer hätt
denn denken können, daß ich der jemals begegnen muß?«

Nun, diese Auskunft schien Ritter Roland zu genügen. Er stellte

jedenfalls keine weiteren Fragen. Er war ziemlich einsilbig, ging in
dem an und für sich engen Gelaß hin und her. Knappe Louis
gewahrte eben jenen wie abwesenden Blick in seinen Augen, der
immer dann festzustellen war, wenn Ritter Roland vor schweren
Abenteuern stand.

Wie hieß diese Burg? Burg der Schwarzen Rose? Ritter von der

Schwarzen Rose. Freiherr Sebastian. Vogt Hermann. So langsam
setzte das Erinnern ein. Roland spürte einen üblen Geschmack im
Mund. Sein Leib begann überall dort zu glühen, wo dieses
Bettelweib ihn berührt hatte.

Im Kellerbereich der Verliese herrschte ein dauerndes Kommen

und Gehen. Nur um Ritter Roland und seinen Knappen kümmerte
sich niemand.

»Ob sie wohl was zu essen mitbringt?«
Ähnlich wie Louis setzte auch Roland der Hunger mächtig zu. Die

Zeit verging langsam. Endlich aber bemächtigte sich draußen die
Dämmerung der Erde.

Sobald die Schatten des Abends blau wurden, ging langsam die

Tür zu ihrem Gefängnis auf.

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»Da bin ich!«
Roland enthielt sich eines Grußes. Knappe Louis gab einen Laut

von sich, der mehr an Schweinegrunzen als an die Artikulierung
eines Menschen denken ließ.

Ritter Roland wippte auf den Zehen. Die Frau richtete auf dem

Lagerstroh der Zelle so etwas wie einen Tisch her. Sie hatte Brot,
Fleisch, Wein, Butter und Käse mitgebracht. Und natürlich Messer
und Zinnteller, um all diese Köstlichkeiten in der rechten Weise
genießen zu können. So, als hantiere sie in der gemütlichen
Atmosphäre ihres eigenen Heimes, zündete das Bettelweib
Kienfackeln an. Sie steckte das Holz in Halteringe an den klobigen
Bruchsteinmauern.

»Es hätte keiner Beleuchtung bedurft«, brummte Ritter Roland. Er

tat sich so wie Louis an den Lebensmitteln gütlich. Die Frau
schenkte Wein in die Zinnhumpen.

»Nicht einmal unser Freiherr Sebastian trinkt einen feineren

Tropfen.«

Ritter Roland kam sofort zur Sache.
»Auf unser aller Wohl.« Damit leerte er den Humpen. »Wirklich

ausgezeichnet. Der Orden vom Roten Milan scheint von Getränken
etwas zu verstehen. Wann findet die Aufnahme statt?«

Abwehrend hob das Weib die Hand. Jetzt, wo das rötliche Licht

der Kienfackeln das Verlies erhellte, sahen Roland und sein Knappe,
daß sie sich umgezogen hatte. Auch war sie gewaschen. Das Kleid
mit Mieder und Steifrock machte einen gänzlich anderen Menschen
aus ihr.

»Zum Wohl, Herr Ritter. Und der Schinken, ist der etwa gar

nichts? Ich meine, er war besonders fein im Gewürz und in der
Räucherung gelungen.«

Sie trank in durstigen Zügen. Erst, als sie den Humpen absetzte,

beantwortete sie Rolands Frage.

»Die Aufnahme findet heute noch statt. Der Ritter von der

Schwarzen Rose, unser Freiherr Sebastian, will den Mann sehen, der
unseren Vogt Hermann in den Sand geworfen hat.«

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Sie neigte sich vertraulich zu Roland hin. »Daher brauchen wir

auch für unser kleines privates Treffen nicht diese Mauern hier
zweckzuentfremden. Du wirst deine eigene Kammer haben wie auf
Camelot. Wahrscheinlich sogar eine Kleinigkeit bequemer
ausgestattet. Dort werde ich dich besuchen. Heute ist ein besonderer
Tag. Ein ganz besonderer Tag. Nicht etwa wegen dir und mir ...
sondern weil die Milane einen Sieg errungen haben. Einen wichtigen
Sieg.«

Sieg für die Milane. Das hieß Unglück oder gar Schmach für

Camelot und König Artus' Land.

»Eure Kammern werden gerade hergerichtet. Sowie sie fertig sind,

werdet ihr abgeholt.«

Die Augen der Frau spendeten Roland einen zärtlichen Blick.

Dann sagte sie in lobendem Ton:

»Du wirst als der Mann, welcher Hermann, den Vogt besiegte, viel

Macht, viel Ruhm und viel Ansehen im Orden gewinnen.«

»Wie sieht er denn aus, der Sieg der Milane?« wollte Ritter Roland

wissen.

Die Frau wehrte ab.
»Noch seid ihr nicht Ordensbrüder. Aber sobald die Aufnahme

beendet ist, wird niemand mehr euch irgendwelche Auskunft
verweigern.«

Roland sprach dem wirklich köstlichen Schinken, dem Käse und

dem Brot kräftig zu. Nur beim Wein hielt er sich zurück. Mochte das
Getränk von noch so hervorragender Qualität und erstklassigem
Geschmack sein.

Mit halbem Ohr horchte Roland hinaus auf den Flur. So vernahm

er vor den anderen die Wache, die näher kam und schließlich vor der
Zellentür hielt.

Roland und sein Knappe sahen sich einem halben Dutzend bis an

die Zähne bewaffneter Kriegsknechte gegenüber.

»Wollet uns folgen, Ritter«, sagten sie. Es entging Roland nicht,

daß der Führer der Wache und das Weib einen schnellen Blick
tauschten. Die Bettlerin mußte über alles, was da kam, genau

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orientiert sein. Auch mußte sie Einfluß besitzen.

Ohne daß es eines Befehles oder einer Weisung bedurft hätte,

begann ein Kriegsknecht die provisorische Tafel zu-
sammenzupacken. Erst jetzt sagte das Weib: »Bringt alles Geschirr
und die Verpflegung in des Ritters Kammer.«

»Sehr wohl.«
Die Wache ging voran. Das Widerspiel von Licht und Schatten

ihrer Fackeln tanzte an den Wänden. Die Burganlage konnte sich
hinsichtlich der Größe sehr wohl mit Schloß Camelot messen. Auch
hier unten lag Verlies an Verlies. Wenn die Treppe ganz am Ende
des Kellerflurs nicht trog, so war unter diesem Geschoß noch ein
weiterer Keller. Ritter Roland und Knappe Louis machten sich
darüber sehr wohl ihre Gedanken und nahmen jede Einzelheit wahr.

Plötzlich trennte sich die Frau von den Männern.
»Wir sehen uns später«, raunte sie Roland zu. Die Treppe ins

Erdgeschoß lag hinter ihnen. Ein breiter Flur nahm sie auf. Rechts
und links standen in sauber ausgerichteter Reihe Rüstungen und alle
möglichen Waffen. Knappe Louis hatte für Sekunden gegen die
heftige Versuchung anzukämpfen, sich einfach einer Streitaxt zu
bemächtigen und wie der Leibhaftige um die Freiheit zu kämpfen.

Rechts herum, links herum. Endlich hielten sie vor einer Kammer.

Ein Knecht stieß die Tür auf.

»Bitte sehr. Wir wünschen angenehmen Aufenthalt auf der

Schwarzenburg.«

Das Bettelweib hatte nicht zuviel versprochen. Sobald Roland für

seinen Knappen und für sich die Aufnahme in den Milan-Orden
begehrte, sei die Gefangenschaft zu Ende. Das stimmte genau.

Roland sah sich in der Kammer um. Sie hatte einen Vorraum oder

ein Nebengelaß, die durch eine Tür miteinander verbunden waren.

Auf dem Bett der Kammer lag Rolands komplette Rüstung samt

einem frischen Lentner. Der Lentner zeigte im Brustteil und in
Wappenform den Roten Milan. Roland betrachtete das
Kleidungsstück.

»Willst du den etwa anziehen, Herr?« erkundigte sich Louis.

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»Ich denke gerade darüber nach. Das Kleid des Verräters ist nicht

gerade der Anzug, der zu mir paßt. Louis, was geht mit uns vor? Wo
treibt unser herrliches Camelot hin?«

Die Fragen sollten schneller Antwort finden, als Ritter Roland sich

jetzt vorstellte. Sie fanden in ihren Räumlichkeiten auch einen
Waschtisch. Der war mit allem bestens versehen, dessen der Mensch
zur äußeren Pflege bedarf.

Sie waren beide fast zur gleichen Zeit fertig. Knappe Louis grinste.
»Ob der Abend ein gutes Ende findet, Herr?«
»Wir geben nicht auf, Louis.« Das klang wie eine endgültige

Entscheidung.

Zur gleichen Minute klopfte es.
»Bitte?«
Ein Page erschien. Sauber. Es war eine Freude, den

Halbwüchsigen anzusehen.

»Wenn die Herren mir folgen wollen?«
Er hielt ihnen artig die Tür auf. Knappe Louis klärte ihn im

Vorbeigehen über die eigene Person auf.

»Ich bin Ritter Rolands Knappe. Also fast deinesgleichen.«
Der Page war sich seines Standes durchaus bewußt. Er machte eine

tiefe Verbeugung. »In einem Jahr werde ich meinen augenblicklichen
Dienst beendet haben und Jung-Milan sein. Danach erwartet mich
wiederum zwei Jahre später mit der Schwertleite Amt und Titel eines
Barons von Schweckingen.«

Sieh einer an. Der Junge würde Nachfolger des Freiherrn Sebastian

sein, wenn Rolands Vermutungen nicht trogen.

In würdevoller Haltung führte der Page die beiden Cameloten

dorthin, woher vielstimmiges Gemurmel eine größere
Menschenversammlung vermuten ließ.

Die Führung endete in einem Saal, der mindestens so groß war wie

die Halle auf Schloß Camelot. Schlagartig verstummte jede
Unterhaltung. Es wurde still in dem riesigen Saal. Roland
verlangsamte seinen Schritt nicht und ging auch nicht schneller.
Knappe Louis paßte sich den Bewegungen seines Herrn vollkommen

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an. Er hatte die unbekümmerte Meinung, solange er im Schatten
Rolands atmete, könne ihm nichts passieren.

Wenn Ritter Roland auch so tat, als nähme er nichts um die eigene

Person wahr, sah er in Wirklichkeit genau, was geschah. Da waren
die beiden Doppelreihen rechts und links. Von der Saaltür bis zum
Thron. Konnte man diesen schwer geschnitzten Eichenstuhl auf der
Empore überhaupt einen Thron nennen? Die Doppelreihen wurden
von Gewappneten gebildet. Das waren die Kriegsknechte. Sie
standen bei dem Besitzer der Burg oder dessen Lehnsherrn in Dienst
und Sold. Dahinter kam die Menge der Ritter und adeligen Freireiter.
Roland fiel manch kühnes, gut geschnittenes Gesicht auf. Wenn
diese Herren alle zum Orden der Brüder des Roten Milans gehörten,
dann mochte Camelot sich vorsehen. Auf der Empore, neben dem
Stuhl, stand ein bemerkenswerter Mann. Er hatte ein kühnes Gesicht
in einem langschädeligen Kopf, der auf einem großen,
durchtrainierten Körper saß. Wenn er sich bewegte, so sah man
genau, wie die Muskeln unter dem dünnkettigen Panzerhemd
spielten. Stolz sah er Ritter Roland und seinem Knappen entgegen.

»Ihr also seid Roland, der Held aus Camelot«, rief er laut. Seine

Stimme trug weit und klang angenehm.

Roland hatte inzwischen die Empore erreicht und verneigte sich

leicht. »Habe ich die Ehre, vor dem Herrn der Schwarzenburg zu
stehen, vor dem Freiherrn Sebastian, dem Ritter von der Schwarzen
Rose?«

»So ist es.«
Die Stimme des Burgherrn wurde um eine Kleinigkeit härter im

Klang.

Ritter Roland ließ sein Gegenüber keine Sekunde lang aus den

Augen. Freiherr Sebastian, der Herr der Schwarzenburg und Ritter
von der Schwarzen Rose stand drei, vier Handbreiten höher als
Roland. Das gab ihm in den Augen unbeteiligter Dritter etwas von
Überlegenheit. Freiherr Sebastian hatte mächtig breite Schultern. Er
konnte Roland an Stärke kaum nachstehen. Auch war ihm der
kampfbereite Mut gegeben, seine Kraft ständig mit stets neuen

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Gegnern zu messen. Mit Gegnern, welche ihm zumindest
gleichwertig waren. Auch einem Strauß mit überlegenen
Widersachern wich er nicht aus.

»Seid Ihr der oberste Mann der Gemeinschaft, welche sich Orden

der Brüder vom Roten Milan nennt?«

»Ja. Ihr wollt doch Mitglied werden, wie man mir sagte, Ritter

Roland?«

Roland hob die Hand. Das machte jedem klar, daß er Einwände

hatte und keinesfalls daran dachte, sich jeder Bedingung zu beugen.

»Ja! Vorausgesetzt, ich verliere den Holmgang, zu dem ich den

besten Ritter des Ordens zu fordern habe. Um Camelots und um
meines Königs willen.«

Stille folgte diesen Worten. Der Burgherr schien um Handbreiten

zu wachsen. Dann sprach Freiherr Sebastian.

»Gut gesprochen. Als oberster Vertreter des Ordens im hiesigen

Bereich nehme ich die Forderung an. Holmgang. Kampf bis zur
Entscheidung. Der Sieger bestimmt das weitere Schicksal des
Unterlegenen. Männer, bringt dem Ritter aus Camelot Rüstung und
Gewaffen.«

Ein Tosen ohnegleichen erfüllte den Saal. Die zwei Doppelreihen

Gewappneter schlugen Schwerter und Äxte gegen ihre Schilde, daß
es nur so dröhnte. Ein Wort beherrschte wie schwerer Glockenschlag
die Burg:

»Holmgang!«

*

Sie standen einander im Saal gegenüber. Jeder hatte zwei
Sekundanten. Herren vom Stand. Alle vier auch dem Orden vom
Roten Milan zugehörig. Jeder besaß daneben außer dem Schild und
dem Harnisch nur das Schwert.

Das Schwert des Burgherrn war doppelt so breit wie die üblichen

Waffen. Außerdem wies es am Ende der Klinge nach Art
orientalischer Säbel eine leichte Biegung auf.

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Die Sekundanten bestimmten den Takt der Begegnung. Ihre

Kommandos kamen so zur gleichen Zeit, als hätten sie das Ritual
wieder und wieder geübt. »Bindet die Klingen!«

Die Schwerter fuhren hoch. Sie trafen sich genau in der Mitte zu

Häupten der Zweikämpfer.

»Los!«
Die Schwerter zuckten gegeneinander. Wieder. Wieder und zum

dritten Mal. Keiner gab nach. Weder der Ritter von der Schwarzen
Rose noch Roland aus Camelot verbuchte einen Treffer. Der Kampf
blieb unentschieden bis zum vierten Gang. Da sah es so aus, als
könne der Herr der Schwarzenburg einen Treffer landen. Doch in
allerletzter Sekunde gelang es Roland, die Kombination von Schlag,
Stich und wieder Schlag des Gegners abzuwehren. Dafür traf
Rolands Klinge jetzt mit einem starken Preßschlag den Gegner.
Sofort setzte Roland mit dem Schild nach. Er traf. Freiherr Sebastian
schwankte. Jetzt hätte Ritter Roland zäh nachsetzen müssen. Das
aber ließen die Sekundanten nicht zu. Sie schirmten ihren Schützling
gleich doppelt ab. Roland wartete die nächste Gelegenheit ab. Die
kam nicht so bald. Denn der Herr der Schwarzenburg war gewarnt.

Jeder Gang dauerte zwei Minuten. Danach wurden zwei Minuten

Pause eingelegt. Alles in allem kam durch die Last von Rüstung,
Harnisch und dem ständig bewegten Schwert eine große
Anstrengung zusammen.

Während man Ritter Roland kaum Müdigkeit ansehen konnte,

zeichneten sich auf dem Lentner des Freiherrn dunkle Flecke ab.

Die Zuschauer im weiten Rund des Saales machten jede Bewegung

mit. Sie gaben auch ihren Empfindungen in gedämpfter Lautstärke
Ausdruck.

Nach dem siebten Gang wurde Roland überlegen. Sein Gegner

konnte das verhängnisvolle Geflecht ineinanderfließender
Schwerthiebe nur noch mühsam abwehren.

Bestimmt kannte Freiherr Sebastian den Trick, einem Gegner

durch den Griffhebel das Schwert zu entwinden.

Dennoch aber fiel er just darauf herein. Zwar versuchte er entsetzt,

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dem Verhängnis zu entkommen. Aber da half weder ein Schritt
zurück noch zur Seite. Rolands Schwertspitze blieb im Griffkorb des
Gegners. Der Ritter aus Camelot setzte den Hebel an. Freiherr Seba-
stian fluchte lästerlich, als ihm sein Schwert entrissen wurde. Die
Klinge mit der seltsam gebogenen Spitze schwirrte über die Köpfe
der Zuschauer hinweg. Einer aus der Menge der Ritter entging nur
dadurch einer Verletzung, daß er sich duckte und das Schwert des
Herrn der Schwarzenburg so über ihn hinwegsauste.

»Aus«, kommandierten die Sekundanten vierstimmig.
Rolands Schwert glitt vor dem Gesicht des Gegners nach rechts

und nach links.

»Ich biete Euch Quartier, Freiherr Sebastian.« Ritter Rolands tiefe

Stimme klang so, als läge ihr daran, ein Echo zu wecken.

»Quartier angenommen. Was sind Eure Bedingungen, Ritter

Roland?«

»Sagt mir die Wahrheit über Ergehen und Geschick meines Königs

Artus. Sagt mir bei Eurer Ritterehre, was aus dem Gefolge des
Königs wurde. Zum Beispiel aus einem gewissen Percy Heißblut von
der Aue, dessen Silberbecher uns unlängst und hier auf Eurem Besitz
in die Hand fiel.«

Da erhob sich drohendes Murmeln ringsum.
»Stopft dem Riesen und Schlagetot das Maul!« forderte eine grobe

Stimme aus der Menge.

Die Zuschauermasse hatte auch andere Vorschläge zu bieten.

»Laßt sie weitermachen. Was sie bis jetzt gezeigt haben, war ein
Probegalopp.«

Die Aufforderung zum Weitermachen überwog. Freiherr Sebastian

aber dachte zu ritterlich, um einmal getroffene Vereinbarungen
wegzuleugnen. Er hob die Hand. Seine Autorität wirkte auch jetzt
noch. Denn sofort wurde es still im Saal.

»Ich räume ein, daß ein überlegener Gegner mich in ehrlichem

Kampf besiegte. Zu Geschick und Ergehen des Mannes, welchen du
deinen König nennst, kann ich dich nur an die nächste Station
verweisen. Reite hin nach Pontenor. Suche die Burg des Ritters von

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der Roten Rose. Fordere den Standesherrn Armand zu Buhurt oder
Tjost. Er wird dir weiterhelfen können.«

»Und der Mann, dessen Becher wir fanden?«
Die Augen im kühnen Gesicht des Freiherrn Sebastian wirkten

erloschen, als er jetzt den Blick Ritter Rolands suchte.

»Ich kenne ihn nicht. Bei meiner Ehre. Bleibt dein Antrag auf

Mitgliedschaft im Orden der Brüder vom Roten Milan bestehen?«

Längst hatte Ritter Roland sein Schwert vom Gesicht des

Duellgegners fortgenommen. Er wiegte sich leicht in den Knien.

»Du legst Wert darauf, die Wahrheit zu hören. Ist es so, Freiherr?«
»Natürlich.«
»Es wird dich weder kränken noch wundern, wenn du hörst, daß

ich alles einsetzte, was möglich war, um dich zu sehen und zu
sprechen.«

»Es wäre nicht nur gut, sondern auch schön gewesen, dich als

Ordensbruder zu begrüßen. Doch bist du mir als ehrlicher Feind
lieber, denn als weicher, halbherziger Freund. Glück mit dir auf allen
Wegen, Roland, Ritter aus Camelot.«

Freiherr Sebastian, Herr der Schwarzenburg und Ritter der

Schwarzen Rose hatte sein Kettenhemd am Halse geöffnet. In diesem
Augenblick surrte etwas heran, was einem bunten Schwirrvogel
glich. Es landete genau in der Halsgrube des Freiherrn Sebastian, riß
ihn von den Beinen und stellte sich als ein vierfarbig befiederter
Armbrustbolzen heraus.

Die Menge im Saal stöhnte. Freiherr Sebastian lag auf dem Boden!

Doch in schier übermenschlicher Anstrengung zwang er sich zum
Sprechen.

»Freies Geleit für Roland und Begleiter. Sie haben zwölf Stunden

Vorsprung. So will es der Milan.«

Die Stimme des wunden Mannes war bis in den letzten Winkel zu

hören und zu verstehen. Was er sagte, galt auf der Schwarzenburg.
Eine dichte Menschentraube umstand den Ritter. Schließlich wurde
er aufgehoben und weggetragen.

»Platz«, forderten rauhe Stimmen. »Platz für unseren Herrn.«

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Roland wußte, ohne sich umzusehen, daß Knappe Louis hinter ihm

stand.

»Wir haben zwölf Stunden«, sagte er leise. »Sie werden uns nicht

verfolgen. Hast du gesehen, wo der Armbrustschütze stand, Louis?«

»Nicht einmal einen Schatten. Dem Ritter wird nicht mehr zu

helfen sein. Verletzungen dieser Art sind kaum zu heilen.
Armbrustbolzen bringen meistens den Tod.«

»So geht der Orden vom Roten Milan mit seinen Mitgliedern um.

Das sollten wir uns merken, Louis.«

»Ist schon zur Kenntnis genommen, Herr.«
Machte es die allgemeine Verwirrung über die Niederlage und den

Anschlag auf den Burgherrn, daß man ihnen den Weg bereitete?
Niemand hielt den Ritter aus Camelot und seinen Knappen auf. Hier
und da tastete einer der Kriegsknechte zur Waffe. Doch die beiden
sahen sich keiner Drohung ausgesetzt. Unangefochten erreichten sie
ihre Kammer. Es rauschte, als werde Seidenstoff hastig bewegt.
Dann wurde aus dem Geräusch ein Mensch. Eine Frau. Das
Bettelweib.

»Hat das sein müssen?« fragte sie vorwurfsvoll.
Sie tat so, als sei sie mit den Männern aus Camelot einer Meinung

und habe auch die gleichen Aufgaben. Roland packte ihren Arm. Der
Griff war so hart, daß das Weib aufschrie.

»Du tust mir weh. Schuldest du mir keinen Dank?«
Ritter Roland entgegnete kalt: »Dank und Treue schulde ich allein

Camelot und meinem König Artus.«

Da begann die Frau offenbar zu ahnen, wohin sich das Schiff

wendete und was auf sie zukam. Sie wollte sich zurückziehen.
»Hannes!« rief sie. »Hannes!«

Zuerst zitterte ihre Stimme, aber schon beim zweiten Namensruf

war sie selbstsicher und fühlte sich in gewohnter Weise überlegen.

Roland gab das Weib nicht frei, obwohl es heftig von ihm fort

strebte.

Der Mann, nach welchem Stine schrie, mußte sich offenbar ganz in

der Nähe aufgehalten haben. Er rannte unversehens Roland an.

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»Laß sie los, du Strolch!«
Den Schimpfnamen hätte er sich besser gespart. Denn jetzt

sprengte Rolands Zorn alle Dämme. Als dann der Mann gar noch
verwegen oder besser verblendet genug war, den Ritter aus Camelot
tätlich anzugreifen, da sah es gar übel für das Bettelpaar aus.

Stine versuchte, zu retten, was zu retten war. Sie rief schrill: »Aber

du gehörst doch zum Orden!«

Das half gar wenig.
»Ich gehöre Camelot und meinem König. Der Orden hat seinen

Anspruch auf mich verloren, wie du selbst sehen konntest. Und nun,
hinweg mit euch.«

Er schleuderte Stine gegen den Bettelmann. Hannes hatte ein

langes, dünnes Stilett gezogen. Bettlerin Stine stürzte genau in die
Klinge. Die Frau schrie. Das Wehklagen und Lamentieren half
wenig. Der Anprall riß den Bettelmann von den Beinen.

Die empörte Frau hatte ihm das Stilett entrissen, den Mann also

waffenlos gemacht. Dazu rief sie aufgebracht: »Ja, was fällt denn dir
ein? Den eigenen Partner, das eigene Weib abzustechen? Willst du
am Ende einem helfen, der mich hat entehren wollen?«

Die Rede weckte heftigen Protest.
»Der und dich entehren wollen? Das Gegenteil ist die Wahrheit.

Du hast zu ihm gewollt, damit er...«

Blitzschnell verabreichte das Bettelweib dem Mann eine

Maulschelle. »Wirst du wohl ruhig sein?«

Ohne Ritter Roland wäre der eheliche Streit wahrscheinlich jetzt so

richtig aufgeflammt, und sie hätten einander mit Hand und Fuß
tätlich zugesetzt. Roland aber ergriff links die Frau und rechts den
Mann. Rauh stieß er sie erst gegen die nächste Wand und danach mit
der Stirn gegeneinander. Sie heulten fürchterlich. Sobald Roland sie
losließ, flohen sie. Erst als sie sich in Sicherheit glaubten, hoben sie
drohend die Fäuste.

»Das wird euch noch leid tun.«
Knappe Louis setzte zum Spurt an. Bettelmann und Bettelweib

steigerten ihre Anstrengung. Niemand war ihnen zu Hilfe

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gekommen. Dies mochte als Zeichen dafür gelten, daß Freiherr Seba-
stians Wort immer noch bestimmte, was auf der Schwarzenburg
geschah. Sie hatten zwölf Stunden Vorsprung. Das war viel, konnte
aber auch nicht genug Zeit sein, um die Burg Pontenor zu finden.

Der Gang wurde still. Das Bettlerpaar mußte Unterschlupf

gefunden haben.

»Wo finden wir Samum und unsere Saumpferde?«
»Die Burgen sind überall gleich angelegt, Herr«, meinte Louis. Der

Knappe war innerlich nicht annähernd so gelassen und ruhig, wie er
tat. Doch er wußte, daß in ihrer Situation nichts so tödlich sein
konnte wie ein unsicheres, furchtvolles Herz.

»Gehen wir?«
Sie hatten zusammengepackt, was in der Kammer ihnen gehörte.

Sie gingen.

Vom Saal her drang kein Laut zu ihnen. Es hätte sie sehr

interessiert, obwohl Freiherr Sebastian die geringste Aussicht hatte,
den Armbrustschuß zu überleben.

Die Schwarzenburg schien ausgestorben. Nirgendwo waren

Wachposten zu sehen. Niemand hielt sie auf. Ohne Mühe fanden sie
die Stallungen. Die Pferdeburschen hatten ihre Arbeit längst
eingestellt.

Ein machtvolles Wiehern schallte ihnen entgegen. Samum hatte

seinen Herrn gewittert.

Knappe Louis sattelte die Pferde.
Fünf Minuten später trabten sie über den Burghof. Mit hochrotem

Gesicht und deutlich erkennbar gegen seinen eigentlichen Willen,
drehte der Wachhabende die Zugbrücke hinunter. Die Hufe
donnerten über die Bohlen.

Sie hatten zwölf Stunden Vorsprung. Ritter Roland war grimmig

entschlossen, diese Zeit gut zu nützen.

*

Erst am folgenden Morgen begegneten sie einem Menschen. Die

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Wälder lagen hinter ihnen. Ein Schäfer führte seine blökende Herde
über die Heide. Wachsame Hunde umkreisten die Schafe. Von Ritter
Roland und seinem Begleiter nahmen die Hunde kaum Notiz.

Wenn Louis' Zeitberechnung stimmte, so mußten just zu dieser

Zeit die Brüder des Ordens vom Roten Milan von der
Schwarzenburg zur Verfolgung ansetzen.

Sie hatten während der Nacht eine ziemliche Strecke zurückgelegt.

Nun wollten sie feststellen, in welchem Teile Galliens sie sich
aufhielten und wie sie zur Burg Pontenor kamen, wo der Ritter von
der Roten Rose residierte.

Gelassen sah der Schäfer Roland entgegen.
Die Augen des Mannes bezeugten, daß er ein beneidenswert

ausgeglichenes Gemüt besaß. Während er die Ankömmlinge
musterte, wobei ihm bestimmt keine Einzelheit entging, vergaß er
sein Amt nicht. Ein Pfiff weckte die Aufmerksamkeit der Hunde. Ein
Wurf mit der Schäferschaufel gab den Hunden die Richtung an, in
welcher sie tätig werden sollten. Der Schäfer besaß genügend
Selbstbewußtsein, zu warten, bis Roland und Louis grüßten.

»Kann ich helfen?« fragte er dann.
»Ja«, gab Roland unumwunden zu. »Wohin müssen wir reiten, um

nach Pontenor zu kommen?«

Roland hatte den Milan längst gesehen, der in großer Höhe über

der Heide kreiste. Doch, was er jetzt miterlebte, würde er dem
Raubvogel nicht einmal annähernd zugetraut haben. Zwei Lämmer,
unsicher staksig noch auf ihren Beinen, waren dickköpfig genug
gewesen, sich der Aufsicht ihrer Mutter zu entziehen. Sie grasten
unmittelbar neben einem Dornengebüsch. Niemand gewahrte den
Milan, der zum Sturzflug ansetzte. Der Raubvogel fiel wie ein Stein.
Erst unmittelbar über dem Erdboden bremste er seinen Flug ab. Jetzt
rauschten die Fittiche, als stiebe ein ganzes Taubenvolk hoch. Die
Lämmchen wußten nicht, wie ihnen geschah. Der Milan hatte in
beiden Fängen je ein blökendes Lamm. Er stieg auf. Das geschah
während der ersten Flügelschläge noch schwerfällig. Doch von
Sekunde zu Sekunde wurde er schneller. Er wäre ohne Frage mit

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seinem Raub entkommen, hätte nicht Knappe Louis blitzschnell nach
Pfeil und Bogen gegriffen. Louis brauchte nicht lange zu zielen. Er
traf den Milan in die Brust. Der Räuber glitt zu Boden. Seinen Fang
aber ließ er nicht los. Die Lämmchen taten, was sie konnten, den
stahlharten Raubvogelkrallen zu entkommen. Doch der würgende,
schmerzende Griff lockerte sich nicht einmal, als der Milan schon tot
im Heidekraut lag.

Louis half den Tieren. Sie hüpften zu ihrer Mutter. Der Schäfer sah

aus, als wolle er Louis seine spitze Wurfschaufel wie eine Lanze in
den Körper rennen.

Schon hatte Ritter Roland sein Schwert gezogen. Er hielt die Waffe

so, daß er jederzeit eingreifen konnte.

»Mir scheint, die Tat meines Knappen ist nicht des Tadels wert,

sondern hat Lob verdient. Oder sind dir die Lämmer nicht bedeutend
genug?«

Das Gesicht des Schäfers drückte Unsicherheit und Angst aus. »Ich

würde mich ehrlich bedanken, hätte er nicht ausgerechnet dem roten
Milan eine schon geschlagene Beute entrissen. Das geht gegen das
oberste Gesetz bei uns.«

»So steht das Leben eines Raubvogels höher im Kurs, als ein

nützliches Schaf?«

Rolands Frage wurde prompt beantwortet.
»Bei uns. Und wenn Ihr und Euer Knappe nicht schleunigst das

Weite sucht, so ist Euer Leben verwirkt. Sie hängen den Knappen
auf. Ohne Erbarmen und ohne Verhandlung.«

»Wegen einem Milan? Einem Raubvogel?«
Der Schäfer nickte. »Ja. Und wie ich selber über den Fall denke,

hat gar nichts zu sagen. Im Gegenteil. Ich muß den toten Milan
genau so abliefern wie die ihm entrissenen Lämmer. Außerdem habe
ich eine genaue Meldung zu machen. Versäume ich das, so hängen
sie mich an Stelle des Knappen.«

Der Schäfer wurde immer aufgeregter. »Laßt den Milan liegen!«
Knappe Louis hatte den Milan ergriffen und hielt den Raubvogel

hoch wie ein geschlachtetes Huhn. Es war ein besonders stattliches,

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ausgewachsenes Exemplar der Milanrasse.

»Bei uns sind schon Bauern an den Galgen gekommen, weil sie die

Milane mit dem Reisigbesen ihren Hühnerställen fernhielten.«

Louis hielt den Schäfer für verrückt. »Wenn es nach euren

Gesetzen so schlimm ist, was ich tat, so vergiß es doch einfach. Du
hast deine Lämmer zurück, ich tat, was tun zu müssen ich glaubte,
und niemand außer uns hat etwas gesehen.«

Der Schäfer machte eine Geste, welche das ganze Himmelsrund

umschloß. »Das weiß man bei uns nie genau. Milane sind überall.«

Und als gehörten diese Worte des Schäfers in der richtigen Weise

unterstrichen, kreisten plötzlich zwei dunkle Punkte über dem
Gewölk. Sie wurden größer und wurden kleiner und blieben
allgegenwärtig.

»Ich werde sagen, ja, es sei um diese Zeit Bewegung in der Heide

gewesen. Doch, was da genau los war, konnte ich leider nicht
erkennen. Mehr als das kann ich nicht tun.«

Roland meinte: »Wie war das Leben eigentlich bei euch, ehe es die

Milane gab, die jetzt alles bestimmen?«

Der Schäfer ging nicht darauf ein. Er trieb seine Hunde an. Mit

Worten, grellen Pfiffen und Spatenwurf. Die Herde geriet in
Bewegung. Die Tiere begannen, zu wandern. Die Lämmchen, welche
den Milanfängen entkommen waren, hielten sich jetzt dicht bei der
Mutter. Jedes Tier hatte drei rotglänzende Punkte im Fell. Die Fänge
der Milane waren sehr scharf. Der Schäfer sah sich kein einziges Mal
um. »Man könnte den Milan direkt um die Stellung beneiden, die er
hier einnimmt.« Das brummte Knappe Louis. »Reiten wir weiter,
Herr?«

Roland hatte Samum schon zu verstehen gegeben, daß die Rast zu

Ende war. Sie trabten über die Heide. Nicht lange und irgendwo
hinter dem Horizont wurden Glocken geläutet. Der Wind brachte den
Klang mit. Unwillkürlich wurden die Pferde schneller. Dann sahen
sie das Dorf. Es war klein. Sechs, sieben Haushöfe scharten sich um
einen Kirchturm, der ganz gut der Turm einer Burg hätte sein
können.

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Im Schatten des Kirchturms stand ein Dutzend Menschen. Männer

und Frauen. Sie warteten vor einem offenen Grab. Der Priester im
schwarzen Ornat hatte wohl gerade seine Rede beendet. Der Sarg lag
noch auf den Querbalken. Die Augen aller Anwesenden starrten
Roland und seinem Knappen entgegen.

»Frieden euch allen und Frieden besonders dem da, dessen

Erdenfahrt beendet ist.« So sprach Knappe Louis. »Ist jemand so
nett, uns den Weg zur Burg Pontenor zu beschreiben? Wir meinen
die Burg, welche dem Ritter von der Roten Rose gehört. Nanu, habe
ich etwas Falsches gesagt? Mit Verlaub, wir wollten niemanden
kränken.«

Das war auf die Reaktion der Menschen gemünzt. Die ganze

Trauergemeinde betrachtete den Knappen Louis und seinen Herrn
Roland mit allen Anzeichen äußersten Erschreckens. Verschiedene
Frauen hielten sich die Finger der rechten Hand gespreizt vor Augen
und Stirn. Das galt damals unter abergläubischen Gemütern als
sicheres Mittel gegen den bösen Blick. Keiner achtete so richtig auf
das, was im Umfeld von Dorf und Kirchturm geschah. Da sprengte
ein Reitertrupp auf schnellen Pferden heran. Die Lentner der
Kriegsknechte, ihre Helmzier sowie die Schilddekoration und die
Lanzenbemalung wiesen vorwiegend die Farbe Rot auf. Sie mußten
in einem bestimmten Auftrag unterwegs sein.

»Wer wagt es, den Befehlen des großen Milan-Ordens zuwider zu

handeln und dem Verräter Bantin ein ordentliches Begräbnis zu
geben? Bantin hat wie ein Hundsfott gelebt, starb wie ein Hundsfott
und soll auch als Hundsfott auf dem Schindanger enden. So will es
Engelbert, unser Herr, so will es der große Milan-Orden. Zum letzten
Mal: Nehmt die Bahre auf und schafft sie zum Schindanger!«

Die Trauergemeinde mochte Angst haben, daß die Knie

schlotterten. Doch sie blieben dem Vorsatz treu, der sie auf den
Kirchhof und an das offene Grab geführt hatte.

Trotzig rief ein grauhaariger Mann: »Bantin ist uns ein guter Herr

gewesen. Wir erweisen ihm Ehre, aber wir tun ihm keine Schande
an.«

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Das hatte der Graukopf kaum gesagt, da traf ihn schon der derbe

Schlag mit einer Lanze quer über den Rücken. Niemand konnte ihm
helfen. Denn unversehens hatte die ganze Trauergemeinde und sogar
der Pfarrer alle Hände voll zu tun. Nur um Ritter Roland und seinen
Knappen kümmerte sich vorerst niemand. Die Gewappneten hatten
leichtes Spiel. Die Trauergemeinde war unbewaffnet. Beinahe
zwangsläufig gerieten die Kriegsknechte an Roland und den
Knappen.

»Seid ihr Verwandte oder Freunde des Hundsfotts Bantin?« fragten

rauhe Kriegerkehlen.

Sie bekamen prompt Antwort: »Hört zu: Wenn mein Knappe und

ich Verwandte oder Freunde eines Hundsfotts sind, so seid ihr
allesamt die widerlichsten Bastarde unter der Sonne. Wer seine
Stimme hier und jetzt dagegen erhebt, der wird es bereuen!«

Die Trauergemeinde hatte sich in alle Winde zerstreut.

Wahrscheinlich beobachteten sie jetzt aus einem ihrer Meinung nach
sicheren Winkel, was geschah. Die Gewappneten glaubten sich in der
Überzahl. Zehn gegen zwei. Das war eine sichere, leichte Rechnung.
Sie ritten schon lange genug miteinander, um sich gut zu kennen und
eingespielt zu sein. Daß alle bisherigen Regeln nicht auf den
heutigen Tag und auf diese Stunde anzuwenden waren, wurde ihnen
erst klar, als sie die Verliererstraße schon betreten hatten.

Sie wollten es mit Roland und dem Knappen genauso machen wie

vorher mit der Trauergemeinde. Wahllos droschen die Lanzen auf
die Menschen ein. Hier und da versuchte auch einer, zuzustechen. Da
machte Roland Ernst. Er packte zu. Da die Besitzer der
Lanzenschäfte, welche er attackierte, ihre Waffen unbedingt behalten
wollten, flogen sie von ihren Pferden. Dann brach Roland beide
dicke Lanzen mitten im Schaft ab und drosch mit den Resten auf die
Gewappneten ein. Was die Kriegsknechte nie für möglich gehalten
hätten, geschah jetzt. Sie standen zu zehn gegen zwei und wurden
trotzdem derb verprügelt.

Hätten sie die Niederlage akzeptiert, es wäre ihnen kaum mehr

geschehen. Aber da zogen ihrer drei das Schwert, weil sie sich

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einbildeten, so eine schimpfliche Niederlage nicht ertragen zu
können.

Sie überschätzten die eigenen Kräfte und Möglichkeiten restlos.

Denn Roland brauchte genausowenig sein Schwert zu ziehen wie
dies Knappe Louis nötig hatte. Die Kriegsknechte rutschten in die
Niederlage ihres Lebens. Nur zwei entkamen und glaubten sich
schon durch die Schnelligkeit ihrer Pferde endgültig in Sicherheit.
Welch verhängnisvoller Irrtum. Die zwei aus Camelot holten sie just
da ein, als sie die Masse ihrer Kameraden erreichten.

Die bildeten einen mehrfach gestaffelten Einschließungsring um

eine Burg. Die lag hinter fünf durch Steinwälle voneinander
getrennten, breiten Wassergräben im flachen Land. Der Hügel, den
sie bedeckte, mußte künstlich aufgeschüttet worden sein.

Während die Belagerer an vier verschiedenen Stellen je drei große

Katapulte in Stellung gebracht hatten, blieben die Mannschaften in
der Burg auch nicht tatenlos. Sie feuerten mit Bogen und Armbrust,
was immer die Sehne hergab. Wer unvorsichtig genug war, an den
ersten Wassergraben zu kommen, den beschossen sie mittels
sogenannter »Krebse«, handlicher, leistungsstarker Kleinkatapulte
mit Steinkugeln, flüssigem Blei oder heißem Erdpech. Gerade
führten drei, vier Soldaten so einen Unglücklichen zum Zelt des
Feldschers. Der Mann hatte eine Krebs-Ladung glühenden Bleis über
Kopf und Oberkörper bekommen. Der Schmerz setzte ihm derart zu,
daß er nicht einmal mehr schreien konnte. Jetzt feuerten die
Belagerungskatapulte eine volle Ladung ab. Steine, Brandtöpfe und
sogar Weidenkörbe mit zappelnden Giftschlangen landeten irgendwo
in der Burg.

Ritter Roland und Knappe Louis hatten ihre Gegner eingeholt und

niedergeschlagen. Die beiden aber konnten noch laut schreien.

»Freunde von Bantin.«
Der Name mußte hier keine Empfehlung sein. Denn kaum war er

gefallen, sahen die aus Camelot sich von Dutzenden Männern
umgeben. Kein einziger davon machte ein freundliches Gesicht.
Schon prallte der erste Schwertstreich von Rolands Kettenhemd.

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Flugs stellte sich Knappe Louis Rücken an Rücken mit seinem
Herrn.

»Camelot«, schrie Knappe Louis und spürte im Schwertarm, daß er

soeben einen Gegner schwer getroffen hatte.

»König Artus«, brüllte Ritter Roland mit Donnerstimme. Der

Mann vor Rolands Schwertspitze brach zusammen, als habe ihn der
Blitz gefällt. Es gehörte zu Ritter Rolands Natur, keinem Kampf
auszuweichen. Er schrie laut und drang auf seine Gegner ein.
Gegner? Feinde? Er konnte sie nicht anders einordnen. Denn sie
waren erklärte Feinde seines Königs und Feinde Camelots.

»Camelot!«
»Artus!«
Roland und sein Knappe schlugen sich in des Wortes wahrster

Bedeutung in Richtung belagerte Burg durch. Da gingen die
Zugbrücken herunter. Und ehe die Katapulte auf neue Ziele, wie
eben die Zugbrücken, eingerichtet werden konnten, galoppierten
schon sechs Gruppen Geharnischter gegen die Belagerer. Sie schrien
den gleichen Schlachtruf, dessen sich auch Roland und sein Knappe
bediente. »Camelot!« »König Artus!« Sie mußten das Eintreffen und
Kämpfen Ritter Rolands als Entsatz werten.

Die Belagerer wichen. Erst zäh. Sobald aber eine pfiffige Gruppe

der Ausbrecher aus der Burg zwei von den vier Katapultstellungen
im Handstreich eroberte, da war kein Halten mehr in den Kriegern.
Sie wendeten die Pferde. Wer kein Pferd besaß, rannte zu Fuß. Er
holte an Schnelligkeit aus sich heraus, was immer ihm von der Natur
gegeben war.

Ein Ritter mit eisgrauem Haar löste sich aus der Schar der

Katapulteroberer.

»Sei gegrüßt, Ritter Roland. Selten war mir dein Anblick so

willkommen wie heute.«

Mißgelaunt sah Knappe Louis zu, wie sich sein Herr Roland mit

Ritter Wilhelmus umarmten.

*

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Es war und blieb immer das gleiche Ritual, mit welchem auf Schloß
Camelot der Tag endete. Der König kontrollierte die Wachen.
Sodann stieg er in die Verliese. In den Kerkern vergewisserte er sich,
daß vor allem Königin Ginevra nicht versucht hatte, ihre Freiheit zu
gewinnen.

Für jemanden wie Volker vom Hohentwiel war der Fall völlig klar.

Dieser Mann, der sich als König ausgab, konnte unmöglich Artus
sein. Mochte er ihm auch noch so sehr gleichen. Die Verschiedenheit
der beiden lag im Charakter. Von Roland war noch keine Botschaft
gekommen.

Die einfachen Leute hatten auf Camelot noch nie eine für sie derart

gute Zeit erlebt. Der König verwöhnte jeden, der sich anstellig und
willig zeigte, mit Geschenken. Kein Wunder also, daß die Wachen
bis hinauf zum Schloßhauptmann willfährig gehorchten.

So wäre wohl auf absehbare Zeit alles in der gewohnten Ordnung

geblieben, hätte Volker vom Hohentwiel nicht die Gewohnheit
angenommen, die Majestät beim abendlichen Rundgang zu begleiten.

Als Sänger Volker mit eigenen Ohren hören mußte, wie Königin

Ginevra gequält aufschrie, da legte er alle Zurückhaltung ab.

»Mit Verlaub, Majestät, aber es geziemt auch einem gekrönten

Haupte nicht, die Hand gegen wehrlose Damen zu erheben.«

Damit trat Sänger Volker unaufgefordert in das Verlies. Nur

spärlich bekleidet hing Königin Ginevra in den Ketten, mit welchen
sie an die Wand geschmiedet war. Sie warnte Volker.

»Mach dich nicht unglücklich Ritter vom Hohentwiel. Der Himmel

wird schon ein Einsehen haben und mir helfen, wenn die Not am
größten ist. Schweig und halte dich zurück.«

Das war ein guter Rat. Doch Volker vom Hohentwiel nahm

Zureden nicht mehr auf. Der Anblick der hilflosen Königin ließ ihm
den Zorn unwiderstehlich zu Kopf steigen. »Da es keinen anderen
Weg zu geben scheint, dich zu dir selber zurückzuführen, fordere ich
Sie auf, »König«, diese Frau hinfort in Frieden zu lassen.«

»Ach?« sagte der König und fuhr auf dem Absatz herum. Er stellte

sich dem Manne, der da wagte, ihm Vorschriften zu machen. »Ist es

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Zeit, in meiner Umgebung ein Exempel zu statuieren? Wohl an denn,
es sei!«

Auch der König zog. Mit der Schnelligkeit und in der Art eines

geübten Schwertkämpfers. Trotzdem erkannte Volker vom
Hohentwiel, daß er eine Idee langsamer war als der echte König
Artus.

Die Klingen prallten gegeneinander. Gleich im ersten Gang gelang

es Volker, dem Sänger, den Schultertrick anzuwenden. Der besteht
darin, den Gegner mit einem heftigen Stich oder einem wuchtigen
Schlag genau in der Schulterbeuge zwischen Arm und Brust zu
treffen. Entweder gibt der Harnisch nach und der Gegner wird
verwundet, oder das Schwert fliegt ihm aus der Faust. Hier klirrte des
Königs Schwert gegen die Kerkerwand.

Leider hatte Sänger Volker nicht darauf geachtet, was sich hinter

seinem Rücken und an der Tür abspielte, während er mit dem König
kämpfte.

Da waren drei, vier Wachen lautlos hereingekommen. Sie hatten

sich durch Blicke verständigt. Klar, daß sie dem König helfen
würden. Sie vergötterten den Mann, der sie verwöhnte.

»So«, sagte Sänger Volker. »Und jetzt wollen wir sehen, wie weit

die Unvernunft eines Königs geht.«

Die Schwertspitze des Sängers zeigte auf das Gesicht des Königs.

Just da schlug die Wache mit dem kurzen Morgenstern zu. Die
Stachelkugel an der Kette sauste wuchtig gegen Volkers Kopf. Ihm
war, als explodiere ein Stern in seinem Kopf.

- Schade -, dachte er, während er zusammenbrach.
»Schafft den Hund fort, der Schwert und Hand gegen seinen König

zu erheben wagte. Werft ihn in den tiefsten Kerker. Er soll
verhungern und verdursten. Jeder kann sehen, wie ich Verrat bestrafe
und wie ich Treue belohne.«

Er griff unter seinen Lentner. Da brachte er Ringe und

Goldmünzen zum Vorschein. Eine Handvoll und mehr.

»Nehmt, meine Getreuen«, sagte er. »Nehmt diesen bescheidenen

Lohn, und laßt mich dann mit dem Weibe allein. Sie wird bestraft

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werden, wie ich noch nie jemanden bestraft habe.«

Die Wachen gehorchten. Sie schafften den Sänger Volker vom

Hohentwiel tatsächlich in den tiefsten Keller des Schlosses. Der
Mann, welcher vorgab, König Artus zu sein, kühlte seinen Zorn an
der hilflosen Königin.

»Gib mir das, was ich als dein Mann verlangen kann, dann bist du

frei.« Das sagte er bei jedem Schlag, welcher die weiße, glatte Haut
der Königin traf. Königin Ginevra aber verlor keinen Zoll ihrer
Haltung.

»Du wirst niemals erhalten, was du begehrst. Niemals! Zittere vor

dem Tag und vor der Stunde, da der echte Artus im Schloß erscheint
und Rechenschaft von dir fordert.«

Der König oder vielmehr der Mann, welcher vorgab, Artus zu sein,

hatte heute seinen besonders aktiven Tag. Nachdem er vergebens
versucht hatte, den Trotz der Königin zu brechen, fiel ihm ein, daß es
auch noch andere Wege und Möglichkeiten gab, Camelot und seinem
Monarchen zu schaden.

»Wachen.«
Es gab genügend willfähige Kreaturen. Dienstfertig eilten sie

herbei.

»Herr?«
»Holt Maultiere und alles sonst, was Lasten tragen kann. Kommt

zur großen Schatzkammer. Die ist mir seit neuem nicht mehr sicher
genug. Ladet alles auf. Ich werde genaue Weisung geben, wohin
alles gebracht werden soll.«

Was der falsche König verlangte, geschah. Alle Wagen, alle

Maultiere, Karren, Saumpferde und was es sonst noch gab in
Camelot und in der Umgebung des Schlosses, erschien und wurde
beladen. Aber der König hatte sich verschätzt. In der Schatzkammer
gab es weit mehr Geld, Gold, Edelgestein und Kostbarkeiten, als die
königliche Majestät angenommen hatte. Die Wagen und Lasttiere
reichten bei weitem nicht aus.

»Sollen wir noch mehr Pferde und Wagen beschlagnahmen, mein

König?«

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Der König winkte ab. »Nicht nötig. Wir warten mit der weiteren

Auslagerung, bis die erste Kolonne zurück ist. Erst dann geht es
zügig weiter. Bis alles von Wert sicher auf der Burg des streitbaren
Engels lagert, die ich zur Schatzkammer meines Reiches zu machen
gedenke.«

So lagen die Dinge also. Camelot sollte langsam aber sicher

entmachtet und ausgeplündert werden.

Die Menschen im Schloß ahnten nicht, was da auf sie zukam. Die

Männer und Frauen im Land glaubten, auf Camelot wäre alles in
bester Ordnung.

Nur wenige wußten Bescheid. Waidenhold, Rolands

Waffenmeister gehörte zu ihnen. Waidenhold brachte es fertig,
Königin Ginevra trotz aller Weisungen und Befehle des Königs mit
Lebensmitteln zu versorgen. Das Gleiche gelang dem alten
Nordlandrecken auch im Falle Volkers.

Im Verhältnis zu dem König legte sich Waidenhold größte

Zurückhaltung auf. Vor allem hütete er seine Zunge. Denn der
Zuträger gab es ähnlich viele wie Speichellecker. Und gar mancher
in Schloß Camelot versprach sich persönliche Vorteile von dem
Umschwung im Schloß. Nur Rolands Knappe Pierre wurde von dem
alten Waffenmeister ins Vertrauen gezogen. Wenigstens in etwa.

Als die erste Wagenkolonne samt Saumpferden und Maultieren bis

an die Grenzen ihrer Tragfähigkeit beladen waren und kurz vor dem
Aufbruch standen, rief Waidenhold lauthals nach dem Knappen.
»Pierre!«

»Was gibts denn?«
»Mach dich sofort für einen Jagdritt fertig.«
»Jagdritt und um diese Tageszeit? Das ist doch ein Witz.«
»Frag nicht und maule nicht, sondern tu, was ich dir anschaffe.

Und komm!«

Pierre machte sich fertig. Immer wieder ging der Waffenmeister

zum Fenster. Von da aus konnte man die Gewölbe der
Schatzkammer sehen.

»Was haben wir vor, Waidenhold?«

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»Nimm ruhig an, wir hätten einen feisten Rehbock abzuholen, den

ich bei der Frühpirsch vergessen habe.«

Sie ritten noch vor dem Aufbruch der Wagenkolonne aus dem

Schloß. Von Reh oder anderem Wildbret konnte keine Rede sein.
Zwar legte sich Waidenhold in der Waldesdickung auf die Lauer,
und er zwang den Knappen Pierre, seinem Beispiel zu folgen. Doch
seine ganze Mühe galt einzig und allein dem Schatztransport.

»Sind wir etwa unter die Räuber gegangen, Waidenhold?« wollte

Pierre wissen.

Der Waffenmeister grinste breit: »Höchstens für einen guten

Zweck, mein Freund!«

Der Platz war gut ausgewählt. Er lag über einer kleinen Schlucht,

wie sie um Camelot hier und da anzutreffen sind. Diese
Geländeeinschnitte sind mitunter als gediegene Verstecke ganz
nützlich.

Waidenhold brachte es fertig, sämtliche Wagen, die gesamten

Maultiere sowie alle Saumpferde abzufangen. Kein Wagenlenker,
Beifahrer, Maultiertreiber oder Saumpferdereiter kam auch nur zu
einem Schrei. Auch hinterher, viel später, wußten sie nicht mehr zu
sagen, als daß ein riesiger Schatten sie gleich hinter Camelot im
Walde angehalten habe. Sie berichteten übereinstimmend von einem
Schlag auf den Kopf und anschließender Bewußtlosigkeit. Als sie
wieder zu sich kamen, waren sie an Händen und Füßen gebunden.
Wie Vieh, ehe es zum Markt gekarrt wird.

Pierre geriet bei seinem Arbeitsteil tüchtig ins Schwitzen. Ihm fiel

die Aufgabe zu, die kostbaren Lasten in der Schlucht zu verbauen.
Das gelang ihm zu Waidenholds vollster Zufriedenheit.

Pünktlich zum Wecken waren Waidenhold und Pierre wieder in

Camelot. Sie warteten der Dinge, die da kamen. Es gab kein Gebrüll,
als die ersten Kutscher erschienen und Meldung machten. In sich
gekehrt hörte der König, was geschehen war.

»Die Transporte sind ab sofort eingestellt. Die Verlagerung des

Staatsschatzes wird zu einem späteren Zeitpunkt aufgeschoben.«

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*

Die Besatzung der Burg fühlte sich auf wunderbare Weise verstärkt,
als Roland und Louis zu ihnen gestoßen waren.

»Ist unser König auch in der Festung?« wollte Roland von Ritter

Wilhelmus wissen.

»Nein.«
Es stellte sich heraus, daß König Artus' Unternehmen nach der

sogenannten Salami-Taktik, scheibchenweise ins Unglück gefallen
war. Zunächst fehlte zwei Tage nach dem Aufbruch von Camelot der
König. Danach konnten sie jeden Morgen neue Verluste beklagen.
Schließlich war Ritter Wilhelmus allein übriggeblieben. Den Neffen
Percy vermutete er in einer Burg, welche einem Schwarzen Ritter
gehören sollte.

»Es herrschen gar merkwürdige Sitten in diesem Gallien«, schloß

Ritter Wilhelmus seinen Bericht. »Was glaubst du, wie glücklich ich
sein werde, höre ich erst wieder unseren Türmer von den Zinnen
Camelots die Zeit ausposaunen!«

»Ihr habt also gar nicht erst in den gallischen Ländern die Runde

gemacht?« wiederholte Ritter Roland. Roland massierte sein Kinn.
Der Fall wurde für sein einfaches Gemüt immer undurchsichtiger.
Nur, daß es dabei um Camelot ging, um das Schloß, um das Land
und um den Thron, das begriff er. Begriffen war auch, daß er König
Artus in jeglicher Art von Bedrängnis helfen mußte.

»Wir kamen ja gar nicht erst zu irgendwelchen Handlungen«, sagte

Ritter Wilhelmus trotzig. »Nach der Einsatzbesprechung für den
nächsten Tag war die Majestät... verschwunden ... einfach weg.«

Für einen bürokratisch denkenden Mann wie Ritter Wilhelmus

mußte der Vorgang in der Tat unerhört sein. Ohne Beispiel.

»Und auf welche Weise seid Ihr in die belagerte Burg gekommen,

die bei unserem Erscheinen entsetzt werden konnte, Herr
Wilhelmus?«

Es herrschte eine Art Bürgerkrieg in diesem Teile der gallischen

Länder. Da war die in der Übermacht stehende Partei der Milane,

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genau gesagt die Partei des Ordens der Brüder vom Roten Milan und
die wenigen, welche sich nicht an den Aktionen des Ordensbundes
beteiligten.

»Der Ritter Antoine de Forets, ein ehrbewußter, adelsstolzer Herr,

hat schon immer seinen eigenen Kopf gehabt. Er schloß seine
Herrschaft von den Unternehmungen des Ordens aus. Er duldete es
nicht, daß sich die Brüder vom Roten Milan bei ihm breit machten.
Als sie einen seiner treuesten Anhänger, den Ritter Bantin,
erschlugen, igelte er sich in seiner Burg ein und verweigerte die
Übergabe der Festung. Er verbündete sich mit allem, was gegen den
Orden war. Und so nahm er auch meinen Knappen und mich sofort
auf.«

»Kam er in Schwierigkeiten, weil er dir Obdach gab, Ritter

Wilhelmus?«

»Ja. Erst verlangte der Orden meine Auslieferung. Als Antoine de

Forets den Boten, der mich übernehmen sollte, mit Hohn, Schimpf
und reichlich Schande wegschickte, rückte das Heer des Ordens an.«

Ritter Wilhelmus wischte über seine Stirn.
»Wir hätten uns nicht lange mehr gegen die Belagerer halten

können. Die Lebensmittel in der Burg sind knapp. Wir sollten die
jetzige Kampfpause ausnützen und uns nach Camelot durchschlagen.
Aber davon will Antoine de Forets, der Dickkopf, nichts wissen. Was
gibt's?«

Das galt dem Ritter, der auf gar prächtig geschmücktem Roß

dahertrabte und hinter welchem ein Knappe ritt. Den Vortrab bildete
ein Trompeter. An dessen Instrument hing ein Wimpel in Rot und
Gold. Darauf war der Rote Milan auf Seide gestickt. Dieser stilisierte
Raubvogel bildete auch das Schmuckmotiv auf dem Lentner sowie
auf dem Schild des Mannes. Auch die Schabracke des starken,
temperamentvollen Pferdes zeigte in schwerer, gekonnt ausgeführter
Stickerei, immer wieder den Roten Milan. Rot mußte die Lieblings-
farbe des Mannes sein. Sogar Harnisch, Kettenhemd und Helm
mußten rot brüniert sein. Jedenfalls schimmerten die Eisenteile, als
würden sie von der sinkenden Sonne beschienen.

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Er verhielt sein schnaubendes Roß wenige Meter vor dem ersten

Graben. Auf sein Zeichen blies der Trompeter und rief nach dem
Signal mit lauter Stimme.

»Roland von Camelot. Bertram de Lucetier, der Rote Ritter und

Schildmeister im berühmten Orden vom Roten Milan, fordert dich in
die Schranken. Stelle dich zum Holmgang.«

Diese Forderung wurde so ungewöhnlich selbstsicher vorgebracht,

daß es Ritter Roland schier die Sprache verschlug. Er winkte seinem
Knappen zu.

»Bring den Schreihals zum Schweigen, Louis.«
Ritter Roland schätzte die Situation richtig ein. Der Trompeter

schickte sich an, Signal und Forderung allen vier Windrichtungen
mitzuteilen. Louis ritt neben den so prächtig gekleideten Trom-
petenbläser.

»Hör zu: Den Ritter Roland aus Camelot siehst du drüben. Er hat

nichts gegen einen Holmgang mit dir oder irgendeinem anderen
Ordensmitglied.«

Der Ritter in Rot trabte heran. Er stellte sich in Positur. Roland

lenkte seinen Samum auf eine Stellung gegenüber dem roten Ritter.

»Bist du einverstanden, nach dem Kampf in einer Weise, die ich

bestimme, meinem Orden zu dienen?« Die Stimme des roten Ritters
klang denkbar selbstbewußt.

»Wenn ich unterliege, ja.«
»Daß du verlierst, ist so klar wie die Sonne. Bertram de Lucetier

wurde noch nie im Holmgang besiegt. Bist du bereit?«

»Ja.«
Roland wirkte gegen diesen Gegner ungefähr so wie ein schlichter

Haussperling gegen einen Buntspecht im Hochzeitskleid. Auch
Samum sah nicht halb so stark aus wie das Pferd des Gegners.

»Ist es ausgemacht, daß wir erst den vollen Tjost reiten und nach

dem dritten Anritt zum Schwert greifen, zur Axt oder jeder anderen
Waffe, die uns liegt?«

»Ausgemacht«, stimmte Roland zu. »Und nun laß uns nicht länger

die Zeit verlieren.«

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Der Trompeter blies das Signal, mit welchem gemeinhin die

Reiterei zur Attacke gerufen wird.

Roland nahm die Lanze in die linke Hand und den Schild rechts.

Samum hatte die kleinen Ohren angelegt. Der Hengst tänzelte
nervös. Er wußte sehr genau, was jetzt kam und was von ihm
erwartet wurde. Auf Rolands Schenkeldruck sprengte er aus dem
Stand an und gewann bereits auf den ersten Metern Tempo und
Schwung.

Der rote Ritter lag beinahe auf dem Rücken seines stämmigen

Pferdes. Die Spitze der Lanze zeigte auf Rolands Hals. Roland ritt in
leicht vornüber gebeugter Haltung.

Sekunden vor dem Zusammenprall nahm Roland den Schild hoch.

Er vollführte eine leichte Drehung. Das erfolgte genau in dem
Moment, wo die Lanze des roten Ritters am Mann war. Es gab einen
Laut, als würde ein Eschenstamm gebrochen. Die Lanze splitterte.
Rolands Speer aber hatte den Gegner auf die Brust getroffen. Der
rote Ritter schwankte, fing sich aber und blieb im Sattel.

Er warf die gesplitterte Lanze fort. Sein Knappe brachte ihm einen

neuen Speer. Wieder Signal. Wiederum Angriff. Jetzt aber legte auch
Roland Wucht ins Anreiten. Unmittelbar nach dem Aufprall der
Lanzen - der Speer des roten Ritters brach erneut - warfen sich die
Körper der Pferde gegeneinander. Siehe da: Samum, welcher doch
um so vieles zierlicher wirkte, war stärker als sein Gegenüber.

Auch der dritte Anlauf blieb ohne entscheidendes Ergebnis.

Abgesehen davon, daß der rote Ritter die dritte Bruchlanze
wegwerfen konnte.

Flugs waren sie aus den Sätteln. Roland schickte seinen Samum

mit einem freundlichen Klaps zum Knappen Louis.

»Hast dich wacker gehalten, mein Lieber.«
Samum schnaubte und gesellte sich zu Louis. Bei den Rittern

schlug jetzt Schwert gegen Schwert. Der gute, harte Stahl sprühte
regelrecht Funken.

Der rote Ritter war ein ausgezeichneter Fechter. Auch hatte er

gelernt, daß es kein besseres Mittel gegen Tricks und unliebsame

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Überraschungen gibt, als mit der Klinge am Schwert des Gegners zu
bleiben, ihn also zu binden. Roland begann, echte Freude an der
Auseinandersetzung zu finden. Wie mochte sein Gegner aussehen?
Das Visier entzog das Gesicht jeglichem Blick. Von Gestalt war
dieser Bertram de Lucetier, der Ritter von der Roten Rose, eher leicht
als schwer. Er bewegte sich flink und hatte die gleitende Art der
Bewegung, wie sie für Jäger typisch ist. Der Ritter der Roten Rose
war ungefähr eine Handbreit kleiner als Roland. Auch besaß er nicht
die wuchtig ausladende Schulterbreite, über welche der Ritter aus
Camelot verfügte. Dafür hatte er aber unwahrscheinlich kräftige
Handgelenke. Er wirbelte sein schweres Langschwert, als handele es
sich um leichtes Holz.

Beide Gegner gönnten einander nicht die Chance einer Blöße. Es

war Roland, der unerwartet und blitzschnell die Fechthand und damit
auch die Auslage wechselte. Das zwang den Roten Rosenritter,
seinerseits die Abwehr zu ändern. Doch er schaffte die
Schwierigkeit, ohne aus dem Rhythmus zu kommen. Roland
erwischte den Gegner zwar nicht so, daß er ihn ausschalten konnte,
allein er witterte, daß schneller Wechsel dem Rosenritter nicht lag.
Daher wechselte er erneut die Schwerthand. Der Schwertknappe des
Rosenritters tat so, als sei ihm ein langer, dicker Tjostspeer entfallen.
Knappe Louis aber sah sehr wohl, daß die schwere Lanze seinem
Ritter Roland durchaus nicht zufällig so vor die Füße rollte, daß es
schon einer ganzen Portion Geschicklichkeit bedurfte, nicht darüber
zu stürzen.

Mit wenigen Schritten war Louis bei dem Schwertknappen. Er zog

ihm die Ohren lang.

»Dich werd ich lehren, einem Holmgang auf deine Weise

nachzuhelfen, Saubub.«

Er ließ das Ohr nicht los. Ja, er zwirbelte es kräftig, so daß der

Rosenknappe richtig was davon hatte, mochte er auch kein
Vergnügen daran finden.

Da sprach der Rosenritter: »Findest du es rittermäßig und in

Ordnung, daß dein Knappe meinen Schwertknappen beutelt, Roland

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aus Camelot?«

Roland lächelte grimmig. »Er tut nur seine Pflicht. Es gehört

nämlich zu seinen Aufgaben, mir den Weg frei zu räumen.«

Louis hatte den Schwertknappen des Rosenritters tüchtig ins

Laufen gebracht. Er hastete am ersten Wassergraben entlang, der
rotgolden Gewandete. Immer, wenn er spürte, daß Louis' Faust ihm
praktisch im Nacken hing, machte er einen besonders weiten Satz.
Dadurch gewann der Schwertknappe fatale Ähnlichkeit mit einem
fliehenden Hasen.

Der Kampf der Ritter ging derweilen weiter. Was der Ritter von

der Roten Rose an Behendigkeit zu bieten hatte, glich Roland durch
die eindeutig größere Kraft aus.

Plötzlich erschallten besonders laute Trompetenstöße, welche vom

dumpfen Wirbeln einer gekonnt geschlagenen Kesselpauke untermalt
wurde. Ein Zug von Kopf bis Fuß golden aussehender, gewappneter
Männer erschien.

»Bei allen Himmelsmächten«, rief der Ritter von der Roten Rose

ärgerlich. »Seine Ehrwürden, der Truchseß, zieht auf, und ich bin mit
meinem Holmgang noch nicht fertig. Das wird sich ändern.«.

Was immer Bertram de Lucetier, Ritter von der Roten Rose und

Schildmeister des Ordens der Brüder vom Roten Milan, auch
vorhaben mochte, der Plan kam im rechten Augenblick. Denn zur
nämlichen Sekunde wurde sein Schwert so getroffen, daß die
blaublitzende Klinge dicht unterhalb des Heftes zerbrach. Der
Rosenritter schleuderte die jetzt nutzlose Waffe auf Roland, verfehlte
den Ritter aus Camelot jedoch. Bertram de Lucetier versuchte sein
Glück im Nahkampf. Doch als er Roland im Griff hatte und sich
seine Hände hinter dem Rücken des Camelot-Ritters verschränkten,
ahnte er, daß er den Kampf verlieren würde. Er legte alle Kraft und
alle Energie in den Ringergriff. Doch genau so gut und
wahrscheinlich ähnlich ebenso vergeblich, wie seine Mühe bei einem
Wildbären gewesen wäre, zeigte der Klammergriff bei Roland keine
Wirkung. Im Gegenteil. Obschon er sein Schwert behielt,
umschlossen die riesenstarken Arme des Camelot-Ritters den

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Gegner. Bertram de Lucetier begann, zu stöhnen.

»Ergib dich«, riet Roland und zog noch eine Kleinigkeit stärker an.
Der Ritter von der Roten Rose wollte nicht nachgeben. Er wehrte

sich bis zum Letzten.

»Nein.«
Er tat wirklich, was in seinen Kräften stand. Doch gegen Roland

kam er nicht an.

Die notvolle Lage des Rosenritters übertrug sich auch prompt auf

seinen Schwertknappen. Der machte einen besonders weiten Sprung.
Er glitt ab und landete im Graben. Just da, wo besonders dicke
Entengrütze schwamm. Der Graben war außerdem tief genug, ihn
restlos unter Wasser geraten zu lassen. Als der Schwertknappe
auftauchte und an Land watete, da glich er einem Tritonen, der
Wasser speit und der nichts anderes als Entengrütze in seinen aufge-
blähten Backen hielt. Rot und grün ist an und für sich schon eine
recht kühne Farbenkombination. In diesem Falle aber und durch das
Wasserbad noch unterstrichen, gab sie den Schwertknappen rundum
der Lächerlichkeit preis. Besonders die neu angekommenen Herren
in Gold konnten sich nicht genug tun mit Lachen. Der Ranghöchste
von ihnen aber wandte sich an Roland und den Rosenritter, den der
Mann aus Camelot unerbittlich im Griff hatte.

»Du hast verloren, Schildmeister de Lucetier. Gib es zu und

schluck die Niederlage. Ich werde den Holmgang für dich fortsetzen.
Das heißt, wenn Ritter Roland aus Camelot meine Forderung
annimmt.«

*

Jetzt erst sah Roland den Mann, der da in Reichweite vor ihm hielt.
Er schien größer zu sein als er. Mächtiger im Körperbau. Das
hochgeschlagene Visier zeigte ein gutes Männergesicht. Besonders
die großen, steingrauen Augen strahlten Ruhe aus und flößten
Vertrauen nein. Die Art, in welcher er Roland musterte, hatte
eigentlich nichts Feindseliges.

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»Ich heiße Tasso von Ifferzheim. Man nennt mich den Ritter von

der Goldenen Rose, seit ich Truchseß des Ordens der Brüder vom
Roten Milan bin.«

Roland hatte seinen Gegner losgelassen. Jetzt erst wurde klar, wie

ausgepumpt sich Bertram de Lucetier fühlen mußte. Er taumelte nur
noch und brach laufend in die Knie. Sein Schwertknappe kümmerte
sich um ihn.

Roland faßte den neuen Gegner ins Auge. Schwarze Rose. Rote

Rose. Goldene Rose. Das kam ihm vor wie die Stufen einer Treppe.
Jede brachte ihn seinem König näher. Artus.

Ritter Roland verneigte sich leicht. Das konnte er mit

unnachahmlicher Eleganz. »Ich bin Roland aus Camelot. Wenn ich
den Holmgang gewinne, habe ich das Anrecht, meinen König Artus
in die Freiheit zu geleiten. Ist das abgemacht?«

Der Truchseß des Milan-Ordens nickte zustimmend. »Wenn du

gewinnst, ja. Falls du verlierst, Ritter Roland, so wirst du dem Orden
vom Roten Milan Gefolgschaft und Gehorsam schwören.«

Die Stimme des Ritters von Ifferzheim klang ausgesprochen

angenehm. Sie hallte weit und schien irgendwie dem nachhallenden
Echo verwandt.

Ritter Wilhelmus hatte sich kurz bevor der Ordenstruchseß eintraf,

in die Burg zurückgezogen, welche die Milan-Brüder schon aus
Prinzip einnehmen mußten, wollten sie in Gallien und darüber hinaus
die Rolle spielen, auf die sie Wert legten.

Der Ritter der Goldenen Rose hatte fast ein ganzes Heer an

Begleitung mitgebracht. Das Gleißen und Blitzen der Rüstungen und
Kleider stach ordentlich in den Augen.

Tasso von Ifferzheim, der Ordenstruchseß, erklärte Ritter Roland

die Bräuche im Ordensland.

»Du hast gegen die Schwarze und gegen die Rote Rose obgesiegt.

Daher folgen dir die Ritter-Banne. Sieh genau hin. Es reitet gar
mancher Degen in der Menge, welcher Beachtung verdient. Sie sind
und bleiben an deiner Seite, was immer du auch unternehmen
magst.«

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Das waren ja ganz neue Aussichten. Theoretisch standen ihm also

genügend Mitstreiter zur Verfügung. Auch wenn es gegen den Orden
vom Roten Milan gehen sollte.

Knappe Louis schob sich an seinen Herrn. »Muß der Holmgang

unbedingt noch heute stattfinden?«

»Ja.«
Wann schon wäre Roland einem Kampfe ausgewichen?
Ganz leise flüsternd gab Louis zu bedenken, ob es nicht ein

unverantwortlich hohes Risiko sei, hier inmitten all des fremden
Volks zu buhurtieren. Ritter Roland wischte alle Einwände einfach
weg. »Sie sind anders als wir, aber ebenso ritterlich und ehrenhaft.
Wir wollen den Weg gehen, den uns der Truchseß des Ordens
vorgeschlagen hat. Diese Geduld sind wir unserem König Artus
schuldig.«

König Artus. Das umschloß einen derart großen Fragenkomplex,

daß Louis erst gar nicht darauf einstieg. Dennoch hatte er ungeachtet
aller Unsicherheit die vage Ahnung, sein Herr Roland werde auch in
diesem Falle über alle ängstlichen Zweifel siegen. Es war schon ein
Vorzug, mit so einem Herrn zu leben.

Die Gefolgschaft der Rosenritter umdrängte in straffer Ordnung

den Platz, worauf der Holmgang ausgetragen werden würde. Anders
als beim Kampf gegen den Ritter von der Roten Rose, gab es jetzt
wieder Sekundanten. Zwei für jede Partei.

Mit so einem Sekundanten, einem Mann mit hochmütigen Augen

in einem flachen Gesicht, prallte Knappe Louis zusammen.

Der Sekundant gab dem Knappen einen derben Stoß. »Platz da.

Und setz mich nicht in die Verlegenheit, dich ein zweites Mal in
deine Schranken zu verweisen. Es würde dir übel bekommen.«

Knappe Louis wurde weiß vor Zorn. Doch er beherrschte sich.

»Bist du ritterbürtig und ein Herr, oder bist du ein Knappe wie ich?«
erkundigte er sich.

Gesicht und Miene des Sekundanten trogen nicht. Er war

tatsächlich ein Ausbund an Hochnäsigkeit. Das bewies seine
Reaktion auf Louis' Frage. Ohne lange zu überlegen, schlug er so

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hart zu, wie er nur konnte. Er traf Louis am Ohr. Doch Rolands
Knappe fiel nicht um. Der Sekundant hielt ihn keines weiteren
Wortes für wert. Louis handelte ebenso schnell wie gründlich. Er riß
den Sekundanten derb am Wams. Der Mann fuhr wie ein Kreisel
herum. Louis versetzte ihm noch weitere, kräftige Stöße. Dann trat er
so schnell zu, daß nur ganz wenige Zuschauer überhaupt erfaßten,
was er tat. Louis' Fuß traf das verlängerte Rückgrat des Sekundanten.
Der Mann, einer aus der Gefolgschaft der Schwarzen Rose,
vollbrachte einen Sprung, dessen Weite einem Katapultgeschoß alle
Ehre gemacht hätte. Der Sekundant glich einem wutschäumenden
Keiler, als er sich hochgerappelt hatte und gegen den Knappen aus
Camelot stürmte. Jetzt sprach er.

»Dich werde ich lehren, wie man mit unsereinem umgeht«, drohte

er. Er schwang sein Schwert. Es war ungeschriebenes Gesetz, daß
Roland seinem Knappen in dieser Situation nicht helfen durfte. Louis
stand für sich allein. Das machte ihn aber keineswegs hilflos. Er
wartete den Zusammenprall ab. Im gleichen Moment, wo das
Schwert hätte zuschlagen sollen, war Louis seinerseits am Mann. Er
packte den Schwertarm. Die blanke Waffe klirrte zu Boden. Dann
duckte sich Knappe Louis mit einer leichten Drehung des Körpers
und warf sich den Sekundanten so auf die Schulter, als sei der Mann
ein Maltersack, der zur Mühle mußte. Der Sekundant flog durch die
Luft und knallte mit dem flachen Rücken auf die Erde. Louis richtete
sich auf und klopfte seine Hände ab, als müsse er sie reinigen.

»Das war's dann wohl«, brummte er und schaute auffordernd in die

Runde. »Möchte noch jemand so eine Runde mit mir tanzen?«

Es meldete sich aber niemand. Dem Sekundanten war die Luft

derartig knapp geworden, daß er, einem begossenen Pudel ähnlich,
vom Platze schlich. Ein anderer aus der Mannschaft der Schwarzen
Rose trat an seine Stelle. Die Vorbereitungen zum Holmgang
nahmen ihren Fortgang. Ein Mann, der wie ein Falkner gekleidet
war, bemühte sich, zwei Milane in einen großen Käfig zu bugsieren.
Bei einem, wahrscheinlich dem kleineren Männchen, der Terzel,
gelang ihm das auch. Doch das Weibchen, ein besonders prächtig

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entwickeltes Exemplar seiner Rasse, machte Schwierigkeiten. Es
trachtete danach, den Falkner in die Finger zu beißen oder die ganze
Faust in den Stahlgriff seiner Klauen zu bekommen. Es zischte wie
eine Schlange und wurde von Minute zu Minute hysterischer. Dabei
flatterte es und entfaltete seine mustergültig gefärbten Schwingen
und den gegabelten Stoß.

Ritter Rolands Holmgang-Gegner beobachtete den Kampf Falkner

gegen Gabelweihe interessiert. Als das Milan-Weibchen immer
aufgeregter wurde, wandte sich der Truchseß des Milan-Ordens an
Roland.

»Ist mir noch eine knappe Minutenfrist gegönnt?«
»Jede Zeit, die gebraucht wird«, entgegnete Roland und war

sichtlich darauf gespannt, was er jetzt zu sehen bekam. Manche
Ritter waren begeisterte Anhänger der Beizjagd, der Jagd mit
abgerichteten Greifvögeln. Sie hatten ein Verhältnis zu ihren Falken,
wie man es als Jäger sonst nur zu seinen Hunden gewinnt. Das mußte
wohl auch für den Truchseß zutreffen. Jedenfalls wußte er genau,
wie man mit Beizvögeln umgeht. Roland sah ihn an einer goldenen
Pfeife nesteln. Er setzte das fingerlange Gerät an die Lippen. Den
Ton vermochten nur die feinen Ohren eines Raubvogels zu
vernehmen. Für Menschenohren war er viel zu hoch. Das Milan-
Weibchen beruhigte sich auf der Stelle. Es flatterte hoch und
schwang sich auf des Truchseß Schultern. Da trachtete es danach, die
Augen des Ritters von der Goldenen Rose in den bannenden Blick
seiner gnadenlos starren Raubvogelaugen zu bekommen. Ehe das
gelang, fegte ein überaus groß gewachsener Mann auf einem
hochbeinigen, derbknochigen Pferd aus dem Walde. Eine schreiende,
johlende Horde jagte den Mann. Der hielt ein Mittelding zwischen
Keule und Streitaxt in der nervigen Faust. Außerdem trug er einen
glänzenden Helm mit Auerochsenhörnern rechts und links. So etwas
sah man selten. Es gab nicht mehr viele Urochsen in den Wäldern.
Daß dieser Mann floh, paßte gar wenig zu seinem Erscheinungsbild.
Man konnte ihn sich weit eher als jemanden vorstellen, der kämpfend
untergeht. Er saß in vollendeter Manier zu Pferde. Seine Flucht hatte

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Methode. Sie schien weit weniger darauf angelegt, dem Gegner zu
entkommen, als dem Gegner Schaden zuzufügen.

Immer wieder ließ er einen Verfolger herankommen, drehte sich

im Sattel, suchte eine Blöße. Schlug dann zu. Dabei verringerte das
Pferd in keiner Weise sein Tempo.

Das hatte er drei, vier Mal durchgespielt. Immer wieder waren die

Verfolger darauf hereingefallen. Immer wieder verloren sie einen
Mann. Jetzt begann das Manöver erneut. Doch da brach ein zweiter
Reitertrupp aus dem Wald. Ein hagerer Mann in einem Umhang, wie
ihn die Morgenländer tragen, führte diese Gruppe an. Er hatte einen
langen roten Bart und brandrotes, langes Haupthaar. Wie eine
Mischung aus Blitz und rasendem Wind fegte er zu dem Platz, wo
sich Ritter Roland und sein Ordensgegner auf den Holmgang
vorbereiteten.

Zornig hob er die geballte Faust. Zornig erschallte laut seine

Stimme:

»Warum beteiligst du dich nicht an unserer Jagd, Truchseß des

Milan-Ordens?«

Der Ritter von der Goldenen Rose ließ sich in seinen

Vorbereitungen nicht stören.

»Ein Holmgang geht allem anderen vor.«
Der hagere Rothaarige wurde derart zornig, daß die Adern auf

seiner Stirn zu platzen drohten.

»Und das wagst du, mir ins Gesicht zu sagen, Truchseß?«
»Warum sollte ich nicht, Ratgeber der Montgelas? Sollte mir das

Wagnis zu groß sein? Gefahr hat mich seit jeher gelockt. Ich glaube
nicht, daß ich diese Unart jemals verliere.«

Der hagere Rothaarige zeigte dorthin, wo der Flüchtling mit der

eigentümlichen Keule seinen Verfolgern einmal mehr ein
Schnippchen schlug.

»Setzt sofort all eure Männer gegen den Türmer vom Michelsberg

ein, Truchseß Ifferzheim. Sofort, sagte ich, sonst wird Euer Zögern
Euch reuen.«

Es stellte sich immer mehr heraus, daß der Rothaarige mit sieben

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Leibwächtern erschienen war. Er mußte auf fanatische Weise
machtbesessen sein. Stets schien er auf dem Sprung, sich
durchzusetzen. Dabei verteilte er die Lasten so, daß auf ihn der
Arbeit geringster Teil entfiel.

Der Truchseß und Ritter von der Goldenen Rose bekam ein rotes

Gesicht.

»Dieser Ton gefällt mir nicht, Saladin, Ratgeber der Montgelas. Ihr

könnt viel höher noch steigen, als Ihr heute schon steht, doch werde
ich Euch niemals erlauben, so mit mir zu reden.«

Über den Kopf des Ritters von der Goldenen Rose wandte sich der

Hagere jetzt an dessen Männer.

»Alles, was auf unserer Seite steht, nimmt die Verfolgung jenes

Mannes auf, der vor unseren Knechten flieht. Auf, Leute! Wer sich
bei der Jagd echt auszeichnet, erhält von uns seinen Lohn in purem,
gutem Gold.«

»Niemand hört auf diesen Mann. Bei meinem Zorn.«
Das sagte die tiefe Stimme des Truchseß. Auch der Letzte seiner

Männer wußte, was damit gemeint war. Da handelten die sieben
Leibwächter. Drei von ihnen stachen den Ritter von der Goldenen
Rose von hinten nieder. Das war nicht ritterlich, aber sehr
wirkungsvoll.

Der Truchseß glitt aus dem Sattel.
Heißer Zorn brandete in Roland auf. Seit jeher verachtete er Verrat

und Heimtücke. Sofort trat er für den Mann ein, der sein
Holmganggegner hätte werden sollen.

»Ich räche die Meintat«, brüllte Roland mit Donnerstimme.
Ob dem Truchseß überhaupt noch zu helfen war? Seine Männer

trugen ihn fort. Die drei Leibwächter aus dem Kreis um den hageren
Rothaarigen aber büßten ihre Hinterlist auf der Stelle. Ritter Roland
traf sie mit schweren Schlägen. Nicht genug, damit wollte er auch
dem Rothaarigen, der Saladin zu heißen schien, an den Hals. Der
schrie in höchster Not.

»Hilfe! Rettet mich vor dem Haß des Feindes. Zwei Beutel Gold

für den, der diesen Ritter erlegt.«

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Nun, es war in diesem Falle nicht damit getan, allein Roland

auszuschalten. Genauso wichtig war Louis, der Knappe. Doch da
viele Hunde des Hasen Tod sind, erlagen die beiden aus Camelot der
Übermacht.

Die Gruppe seiner Verfolger hatte inzwischen den Flüchtling mit

dem Urochsenhelm gestellt. Einige von ihnen mußten ihm den
Vorteil genauer Geländekenntnis voraus haben. Sie trieben ihn
nämlich zu einer ganz bestimmten Stelle hin. Dort brach er in eine
tiefe Fallgrube. Sein derbknochiges Pferd entkam. Er selber aber
stürzte in die Tiefe.

»Gut so«, sagte der Rothaarige, als Roland fiel. »Werft ihn und

seinen Diener in die Grube, welche uns gerade den Furisto geliefert
hat, den meineidigen Türmer vom Michelsberg.«

Sprach's und wandte sich ab, als gäbe es gar wichtige Geschäfte,

die jetzt seiner warteten.

*

Nachts, als spät die Sterne schon zu erblassen begannen, setzte die
Kälte ein.

Ritter Roland wurde wach. Er brauchte Minuten, um sich

zurechtzufinden. Das erste, was er bewußt sah, war der Mann mit
den Hörnern des Auerochsen am Helm.

Die Fallgrube war so tief, daß glatt ein Kirchturm darin Platz

gefunden hätte. Der Mann mit dem eigentümlichen Helm beugte sich
immer wieder über jemanden, in dem Roland seinen Knappen Louis
erkannte.

Langsam erinnerte er sich. Und lodernder Zorn setzte ihm so zu,

daß er kaum noch atmen konnte. Wenn er zum Rande der Fallgrube
sah, erkannte er ein Stück Himmel, welches glitzernde Sterne zeigte
und von irgendwoher rosig angestrahlt wurde. Außerdem war Lärm
in der Nacht. Gedämpft wirkendes Geschrei aus vielen rauhen
Männerkehlen. Ob da der Rothaarige die Burg des dickköpfigen
Ritters Antoine de Forets berannte und ihrer vielleicht gar Herr

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wurde?

Es mußte einen Weg geben, der Grube zu entkommen. Täuschte er

sich oder sprach der Mann im Helm mit Louis? Jetzt vernahm
Roland die Stimme des Knappen ganz deutlich.

»Ich spüre, daß er lebt und wach ist. Ja, jetzt sehe ich es sogar. Er

ist aufgestanden.«

Nach einer Pause klang es: »Herr? Ritter Roland? Hoffentlich geht

es dir so wie mir, und du kannst dich auch so gut bewegen.«

»Ich habe mich selten so gefreut, deine Stimme zu hören, Louis.

Wer ist der wackere Kämpe an deiner Seite?«

Der Mann im Helm stellte sich gleich selber vor.
»Ich bin in Diensten des Grafen von Montgelas und heiße Furisto.«
Roland war den beiden jetzt so nahe, daß er das Gesicht des

Mannes sehen konnte. Er wußte, was ein Schwertschlag anzurichten
vermag. Doch solch eine Verwüstung hatte er noch nie sehen
müssen. Dennoch ahnte er, daß dieser Mann von der verläßlichen
und der treuen Art war.

Knappe Louis übernahm es, seinen Herrn und sich selbst

vorzustellen.

»Wir stammen aus Camelot, dem Schloß und der Herrschaft des

König Artus. Mein Herr war gerade dabei, mit einem der Herren des
Ordens vom Roten Milan zu tjosten, als ...«

»Als der Saladin auftauchte, dieser Ohrenbläser.«
Der Mann, welcher sich Furisto nannte, hatte sich bei dem Sturz in

die Fallgrube keinen Schaden zugezogen. Sogar seine Keule war ihm
geblieben. Mit dieser Waffe beschäftigte sich im Augenblick Knappe
Louis.

»Darf ich?«
Dieser Furisto gehörte nicht zu der Sorte Mann, deren Eigentum

man unerlaubt auch nur anfaßt.

»Natürlich.« Furisto lächelte. »So was wie meinen Grundbaß habt

ihr noch nirgendwo gesehen, nicht wahr?«

»Ja«, gaben Roland und Louis zu.
Furisto erzählte, wie ihm eines Tages die Idee gekommen wäre,

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eine Keule mit einer Axt zu vereinen. Diesen Grundbaß habe er aus
dem Wurzelstock eines uralten Eibenbaumes geschnitzt und dann mit
den Schneiden einer Doppelaxt versehen, welche er ebenfalls
persönlich geschmiedet habe. Er war durchaus in der Lage, zwei und
zwei zusammenzusetzen. Er erriet oder erahnte, was die beiden aus
Camelot in die gallischen Lande geführt hatte.

»Ihr wollt euren König befreien, ist es so?«
»Ja«, sagten Roland und sein Knappe wie aus einem Munde. Ritter

Rolands nächste Frage sprang ein respektables Stück weiter. »Hast
du eine Ahnung, wo König Artus steckt?«

Furisto nickte. Er war aufgestanden und hatte sich zu voller Größe

gestreckt. Sein Wuchs überragte Roland um eine Handbreite.

»Das will ich meinen!«
Roland fuhr auf Furisto zu und packte die Arme des Türmers. Der

duldete seinen Griff sekundenlang. Dann machte er sich frei. Knappe
Louis hatte noch nie erlebt, daß das jemand bei seinem Herrn
fertigbrachte.

»Wo ist König Artus?«
Furisto gab gelassen Antwort. »Ich kann und werde euch

hinführen. Genaugenommen ist er der Grund, warum ich meinen
Posten als Türmer auf dem Michelsberg verlassen habe. Ich wollte
ihm die Freiheit geben. Obschon ich eigentlich dem Manne, der ihn
in den Kerker warf, Respekt und Gefolgschaft schuldig bin. Laßt uns
zuerst aus dieser Kloake steigen.«

Die Bezeichnung war nicht übertrieben. Mochte der Himmel

wissen, was im Laufe ihres Bestehens alles in die Fallgrube geraten
war. Es stank jedenfalls entsetzlich.

Aus dem tiefen Loch zu gelangen, war nicht einfach. Die Wände

erwiesen sich als morsch. Unter der geringsten Belastung brachen sie
aus. Furisto mußte ein Mann der Praxis sein. Jedenfalls setzte er sein
Vorhaben gleich in die Tat um. Er prüfte die Wände.
Nichtsdestotrotz sprach er.

»Wenn ich dich und deinen Knappen aber führe, Ritter Roland von

Camelot, so mußt du mir schwören, einen Mann zu schonen, wenn

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du Rache für deinen König nimmst.«

Roland nahm jede Bedingung und jede Auflage an, wenn es darum

ging, zu seinem König zu kommen. Mit echter Sorge in der Stimme
erkundigte er sich.

»Wie geht es ihm? Hat er viel zu leiden? Natürlich werde ich den

Mann schonen, an dem dir so viel gelegen ist. Wer ist es denn?«

Das sagte Furisto ohne Stocken. »Es handelt sich dabei um meinen

Herrn, den Grafen Henry von Montgelas. Er wäre niemals auf den
Einfall gekommen, seine Ähnlichkeit mit dem König von Camelot
auszunützen.«

Roland runzelte die Brauen. Er hatte begriffen. Dann handelte es

sich bei dem so verfremdeten Heimkehrer nach Camelot um Henry
von Montgelas. »Hoffentlich hat er sich unserer Königin gegenüber
nicht allzu grob betragen.«

»Das kann ich kaum glauben. Graf Henry verehrt die Damen.«
»Hoffentlich«, knurrte Ritter Roland. »Sag an, Furisto, wie steht es

um meinen König?«

Der Türmer vom Michelsberg mußte gestehen, den König selber

nur aus der Ferne gesehen zu haben.

»Als sie ihn in den Kerker brachten. Später weiß ich nur, daß sich

der rote Saladin mit ihm beschäftigt hat.«

»Hat er ihn etwa der Folter unterworfen?« wollte Roland wissen.
Furisto zuckte die Schultern. »Das glaube ich nicht. Saladins Art

deutet mehr auf Kräuter hin und so was. Es gibt Pflanzen, deren
Säfte lockern den Menschen auf. Wißt ihr? Darin kennt Saladin sich
aus. Der schreckt doch nicht einmal vor der eigenen Tochter zurück,
wenn es um seine Alchimie geht und die Experimente im
Laboratorium.«

»Und Saladin ist der, den wir vorhin sahen und der den Truchseß

niedermachen ließ.«

Roland sah zum Fürchten aus. Knappe Louis wurde von der

Ahnung befallen, daß diese gallische Reise die größten Abenteuer
enthielt, welche sein Herr und er bisher hatten bestehen müssen.

»Wo finden wir diesen Saladin?« Rolands Stimme klang bei dieser

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Frage ganz ruhig und gelassen.

»Laßt uns erst dieses Loch hinter uns haben. Dann reiten wir

spornstreichs zum Michelsberg, befreien euren König und warten auf
Saladin, diesen Erzschelm und falschen Ratgeber. Wir brauchen
wirklich nicht mehr daran zu setzen, als das Warten.«

Mit erhöhtem Eifer untersuchten sie die Wände. Im Gegensatz zu

den beiden Cameloten war Furisto mit seinen Waffen in die
Fallgrube gestürzt. Die Keulenaxt, Schwert und ein Fechtdolch
standen zu ihrer Verfügung. Es blieb nichts anderes übrig, als zu
versuchen, mit diesen bescheidenen Hilfsmitteln dem Gefängnis zu
entkommen.« Furisto zeigte auf Louis, den Knappen.

»Du bist der Leichteste und machst daher den Anfang. Droben

wirst du schon ein Stück Tau finden. Dann holst du uns heraus.«

In der Grube stank es nicht nur bestialisch. Der Boden war auch

derart verschlammt, daß sie bis über die Waden im Morast steckten.

»Hier hast du den Grundbaß. Treib ihn in die Wand. Stelle dich

drauf. Dann verwendet Schwert und Dolch in gleicher Weise. Stehst
du auf dem Schwert, so zerre die Keule aus der Wand. So hantele
dich hoch.«

Knappe Louis handelte so, wie Furisto ihm angab. Es dauerte

ziemlich lange und ging nicht immer glatt vonstatten. Doch dann
zitterte noch lange, ehe der neue Morgen wach wurde, ein
schweißbedeckter Louis in der kühlen Luft.

Der Knappe hütete sich wohl, seinen Triumph allzu laut in die

Welt zu posaunen. Er reckte nur beide Arme hoch und wendete sein
Gesicht dem Himmel zu.

Er hatte Glück. Denn kaum begann er, ein Tau oder ein Stück Seil

zu suchen, da erinnerte er sich, daß die Burg hinter den
Wassergräben ja belagert worden war. Da hatte es doch Katapulte
gegeben. Der Knappe setzte sich in Bewegung.

An der vermuteten Stelle fand er genug Seil. Die Qualität der

Katapulte fiel und stand ja mit der Menge und der Qualität ihres
Tauzeuges.

Bald danach hatte Ritter Roland die Fallgrube verlassen. Wenig

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später reckte auch Furisto die ebenso muskulösen wie sehnigen
Arme.

»Und jetzt nichts wie weg und nach Sankt Michael.«
Natürlich hatten die Männer um den roten Saladin Rolands Samum

sowie die Saumpferde und Louis Reittier mitgenommen.

»Nicht, daß ich etwa die Auseinandersetzung oder das Wagnis

scheute«, murmelte Furisto. »Aber das Wichtigste scheint mir im
Augenblick zu sein, euren König zu befreien. Wenn deinem Streitroß
im Kampfe nichts geschehen ist, wirst du es unverletzt wieder
bekommen. Der rote Saladin ist geizig wie ein Öljude. Der gibt
nichts ab, was er gefunden hat und einmal besitzt. Wenn es um eine
Reitgelegenheit geht, so kann ich wahrscheinlich damit dienen. Mein
Mistral ist kein schönes Pferd, aber einmalig anhänglich.«

Die beiden aus Camelot sahen nur, daß und wie Furisto die Hände

zu einer Muschel formte und an die Lippen legte. Ein dumpfer Laut
entstand. Das klang wie die Balz schwerer Nachtvögel. Beim dritten
Schrei drang verhaltenes Wiehern aus dem Wald. Furisto lachte.

»Das ist Mistral.«
Es war noch dunkel. Nur am Osthimmel zeigte sich ein schmaler,

apfelgrüner Streifen. Hufschlag erklang. Dann rieb ein Pferd sein
weiches Maul zärtlich an Furistos Schulter. Das Tier wieherte ganz
leise.

Furisto streichelte den Hals des Pferdes. Das Fell war löwengelb.

Die schwarze Mähne kontrastierte gut dazu.

»Sitz auf«, sagte Furisto einladend. Er sah Ritter Roland an. Der

wurde rot.

»Ist das mein Pferd oder dein Pferd? Der Sitz im Sattel steht doch

wohl dir als dem Besitzer zu, oder?«

»Wir werden uns abwechseln«, bestimmte Furisto. »Ich habe

genau das Richtige getan, als ich Mistral vor meinem Ritt aus dem
Stall auf unserem Michaelsberg holte.«

Roland zierte sich nicht lange. Doch er spürte, wie sich Mistral

gegen den fremden Reiter wehrte. Es bedurfte viel guten Zuredens
von Furisto, daß das Pferd nicht bockte.

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Dann ging es los. Furisto packte Mistrals Zaumzeug von links und

hieß Louis an, das Gleiche auf der rechten Seite zu tun.

»Lauf«, sagte Furisto und meinte damit Mistral. Das löwengelbe

Pferd setzte sich in Bewegung. Furisto und Knappe Louis liefen
ebenfalls. Louis glaubte, sein Brustkorb platze gleich. Doch
ungeachtet Seitenstechens und anderer Schwierigkeiten hielt er
durch.

»Wie weit ist es bis zu diesem Michaelsberg?«
»Viele Meilen.«
Ritter Roland mußte bereits von diesem Berg des streitbaren

Engels gehört haben. Er zeigte sich jedenfalls in etwa orientiert.

»Er liegt an der Küste und muß ein Traum von einer Burg auf

einem steilen Klippfelsen sein.«

Furisto lächelte seltsam.
»Ihr werdet den Michaelsberg sehen.«

*

Als der Tag sich erhob, waren ihre Kleider so naß geschwitzt, als
seien sie in den schwersten aller Landregen geraten. Doch zäh hielten
sie durch. Wie Furisto gesagt hatte, wechselten sie auf Mistrals
Rücken ab. Das löwenfarbige Pferd bewies alle Härte, welche von
einem Reittier guter Rasse zu erwarten ist.

Das Land fiel hier zur Küste hin ab. Von Mittag an sahen sie am

Horizont einen silbergrauen Streifen.

»Das Meer«, sagte Furisto und zeigte dorthin.
Wenig später sahen sie eine Burg. Das war ähnlich, als throne der

wehrhafte, mächtige Bau auf einem Kissen aus balligem Gewölk.

»Ist das der Michaelsberg?« wollte Knappe Louis wissen.
»Du sagst es.«
Unterwegs hatte Furisto zu erzählen begonnen. Er tat dies

ungefragt. Er berichtete von dem Tage, an welchem der rote Saladin
mit seinen Alchimistentricks zum Michaelsberg gekommen war.

Damals hatte Henry, der Graf von Montgelas an einer lästigen

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Allergie gelitten, einer Empfindlichkeit gegen Hühnerfedern. Es war
dem roten Saladin gelungen, den Grafen von diesem lästigen Übel zu
heilen.

Saladin nutzte die Dankbarkeit des Grafen von Montgelas in

geschickter Weise aus. Er verstand es immer mehr, sich in Szene zu
setzen. Ehe jemand richtig begriff, daß von einem Gastspiel des
Gauklers und Scharlatans auf den Besitzungen der Montgelas keine
Rede mehr sein konnte, hatte er sich schon derart fest in die
Vorstellungen des jungen Grafen geschmeichelt, daß er
unentbehrlich geworden war.

In diesen Tagen reiste Saladin noch ungefähr so wie ein

Zigeunerprinz. Er liebte Pomp und grelle Farben. Für seine
unmündige Tochter und für sich selber wußte er stets das Beste zu
ergattern. Seine Wünsche trug er derart bescheiden vor, daß kein
Mensch in der Hofhaltung Montgelas begriff, daß sie längst schon
Befehle geworden waren.

Henry Graf von Montgelas hatte vor knappen fünf Jahren seine

Eltern verloren. Der Vater war ein vitaler, autoritärer Mann gewesen,
die Mutter eine Frau, welche nur der eigenen Schönheit lebte. Henry
kam zwar in den Genuß einer hervorragenden Erziehung, allein er
vermochte nie die eigenen Gefühle und die eigenen Neigungen
durchzusetzen. Stets ordnete er die persönlichen Interessen dem
unter, was er das »Wohl des Staates« nannte. Der rote Saladin, mit
allen Wassern gewaschener Gaukler und Trickkünstler erkannte die
Schwachstellen im Charakter des Jung-Grafen sehr schnell. Er spürte
auch, wie geltungsbedürftig Graf Henry war.

Flugs redete er ihm ein, der Besitz der Montgelas genüge trotz

allen Umfangs und trotz der hohen Einkünfte den Zielen nicht,
welche jemand wie er, Graf Henry, einfach aus der Veranlagung
heransteuere.

Zunächst habe er die Aufgabe, für eine Hausmacht zu sorgen,

welche seinem Reichtum und seiner Stellung entsprächen. Ein Orden
wurde gegründet. Der Orden der Brüder vom Roten Milan. Die
Gabelweihe war seit Urzeiten der Wappenvogel der Grafen von

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Montgelas.

Lange, wirtschaftlich erfolgreiche Friedensjahre hatten die Jugend

des Adels direkt süchtig gemacht nach kühnen Abenteuern, nach
Bewährung und nach erfüllten Idealen. Jeder, der auf sich hielt,
ersuchte um Aufnahme in der Brüderschaft.

Bald besaß Graf Henry das, was der rote Saladin »eine

Hausmacht« nannte. Die Herren Ritter entwickelten gar bald einen
strengen, eigenen Sittenkodex. Sie übten sich fleißig in den Waffen
und stellten insgesamt das dar, was der rote Saladin zufrieden als den
»Heerbann des Hauses Montgelas« bezeichnete.

Sie übten sich in ritterlichem Brauchtum, marschierten, ritten und

bereiteten sich auf Dinge vor, welche niemand mit Namen nennen
oder auch nur ahnen konnte.

Furisto, welcher bereits dem Vater des jetzigen Montgelas als

Waffenmeister gedient hatte, spürte als erster Mann am Hofe der
Michaelsburg so etwas wie Unbehagen. Als väterlicher Freund Graf
Henrys traute er sich durchaus zu, dem jungen Grafen Vorhaltungen
zu machen. Er forderte schlicht und geradenwegs, der Graf solle den
roten Saladin fortschicken.

Furisto hatte seinen Einfluß und seine Möglichkeiten überschätzt.

Was half ihm seine lange Verbundenheit mit den Montgelas? Was
nutzte es, daß er stets die Interessen der gräflichen Familie über das
eigene Wohl gestellt hatte? Vor Jahrzehnten hatten die Bauern aus
dem Umfeld der Burg des streitbaren Engels einen Aufstand gegen
den Vater des jetzigen Grafen gewagt. Furisto hatte den Versuch
einer Revolte hart niedergeschlagen und die Rädelsführer mit eigener
Hand bestraft. Seither nannte ihn das Volk hinter vorgehaltener Hand
»den Henker vom Michelsberg«. Furisto trug den Schimpf mit
Fassung.

Während der letzten Jahre war der einzige Verwandte des roten

Saladins, Tochter Aischa, zu einem bemerkenswert schönen
Mädchen herangewachsen. Graf Henry war darauf versessen, das
Mädchen zu bekommen. Aischa aber spielte nur mit ihm. Sie hielt
ihn für grausam, für einen Schwächling und lehnte ihn rundweg ab.

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Das aber stachelte die Gier des Grafen nach dem Mädchen nur noch
mehr an. Es fiel dem roten Saladin leicht, dem Grafen Aischas Hand
zu versprechen, wenn er verschiedene Vorbedingungen erfüllte.

Irgendwann und irgendwo war der rote Saladin König Artus von

Camelot begegnet. Sofort fiel ihm auf, daß der König und der Graf
von Montgelas einander wie Zwillinge glichen. Von Stund an kannte
Saladin kein anderes Ziel, als Graf Henry anstelle König Artus auf
den Thron von Camelot zu heben.

Mit einer Hartnäckigkeit sondergleichen wehrte Furisto jeden

Versuch des Grafen ab, den Waffenmeister mit Saladin zu
versöhnen. Als Furisto einmal ungeniert verlauten ließ, er wünsche
sehnlich, der rote Saladin liefe ihm bei Nacht und Nebel über den
Weg, auf daß er ihm endlich zeigen könne, wie er und zugleich das
Volk von Montgelas über ihn dachte, da hatte Graf Henry Furisto
kurzerhand all seiner Ämter entkleidet und zum Türmer gemacht.

Wenig später fiel es König Artus ein, die gallischen Besitzungen

Camelots zu inspizieren. Das war die Stunde des roten Saladins oder
- wie der Gaukler dies selber nannte - die Stunde der Milane.

Sie bemächtigten sich des Königs und seiner Begleitung. König

Artus wurde zur Burg auf dem Berg des streitbaren Engels gebracht.
Das Gefolge verteilte sich auf zahllose andere Festungen im Land.
Doch kam keiner so ungeschoren davon wie zum Beispiel Ritter
Wilhelmus.

»Dieser Saladin wird eine Rechnung zu begleichen haben, um

deren Höhe ich ihn wahrlich nicht beneide«, erklärte Ritter Roland
mit grollender Stimme.

Furisto hob die Hand.
»Ich habe auch Ansprüche gegen den Gaukler. Das Beste wird

sein, wir würfeln um ihn, Ritter Roland.«

Knappe Louis bemerkte schon lange, daß Roland und Furisto in

freundschaftlicher Weise Gefallen aneinander fanden. Unbehagen
regte sich in ihm. War diesem Furisto zu trauen? Gewiß, er hatte gute
Augen, aber diese Narbe Furisto erzählte seinen Begleitern auch, wie
es zu seinem Ausbruch aus der Burg gekommen war und wie

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ausgerechent Aischa, des roten Saladins Tochter, ihm in
aussichtsloser Lage geholfen hatte.

»Seit sie mich ins letzte Versteck schleppte, wo ich mich von dem

Bolzenschuß erholen konnte, ist Aischa allerdings verschwunden.
Weg, als hätte sie der Erdboden verschluckt.«

Sie ritten an einem Fischerdorf vorbei.
»Es ist nicht mehr weit bis zur Burg des streitbaren Engels«, sagte

Furisto. »Ich weiß nicht, wie wir dort aufgenommen werden. Am
besten, wir stärken uns hier, wo die Menschen noch unbefangener
sind.«

Furisto schien seine Landsleute sehr genau zu kennen. Was er

sagte, leuchtete auch Roland und Louis ein. Niemand erhob
Einwände, als der ehemalige Waffenmeister des Grafen Montgelas
ins Dorf abbog.

Genau in diesem Moment setzte ein Brausen, ein Dröhnen und ein

Beben ein, als habe sich ein Erdbeben mit allen Möglichkeiten des
Menschen vereint, Lärm zu veranstalten. In dem kleinen Fischerdorf
gab es keine Kirche. Trotzdem aber vernahmen die drei das
rhythmische Läuten von Glocken. Daneben hüllte sie scharfer
Trompetenton ein und der weithin tragende Klang von Luren, diesen
seltsamen Bronzeinstrumenten, welche dem Norden eigentümlich
sind. Mistral, Furistos löwenfarbenes Pferd wurde zögernd im
Schritt. Es hob den Kopf und wieherte leise. Furisto tätschelte den
Hals des Tieres, das schon ziemlich lange sein Begleiter in mitunter
recht gefährlichen Unternehmungen war.

»Er kennt den Klang«, hörten Ritter Roland und Louis den Türmer

murmeln.

»Wir würden auch liebend gern erfahren, was all der Lärm

bedeutet«, meinte Roland.

Furisto sah die beiden aus Camelot an, als gehörten sie zu einer

Welt, welche von allem Menschenleid sternenweit entfernt ist.

»Das ist der Generalalarm. Sie haben lange genug daran geübt, die

Ordensbrüder. Heute wird es ernst. Der rote Saladin bietet alles auf,
was in Montgelas und den mit der Grafschaft verbündeten Gebieten

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Waffen trägt.«

»Es gibt Krieg?« Ritter Roland wollte das ganz genau wissen.

»Krieg gegen Camelot vielleicht?«

Furisto wich nicht aus. »Es gibt Krieg gegen alles, was sich gegen

Saladin stellt. Beim Himmel, der Mann ist konsequent. Höchste Zeit,
daß ich mich um ihn kümmere.«

»Er darf gar nicht erst nach Camelot kommen.«
Furisto widersprach Roland.
»Wir müssen ihn vor Schloß Camelot stellen. Dann hat er nicht

mehr die Möglichkeit, abzustreiten, zu verfälschen oder zu schönen.
Wir stellen ihn, und die Strafe folgt auf dem Platz.«

Für ein Fischerdorf war es nicht außergewöhnlich, daß sich am

späten Vormittag kein Leben in den Häusern zeigte. Die Männer
verrichteten ihre Arbeit meistens nachts. Erst wenn zu Tisch gerufen
wurde, krochen sie aus den Federn, aßen und machten sich daran,
Netze und Boote auszubessern.

Furistos Schritte wurden immer behutsamer. Der Türmer traute

dem Frieden nicht. Ab und zu prüfte er kurz die Netze, welche
allenthalben zum Trocknen hingen.

»Ich glaube, es wäre klug, einen Ort weiter zu reiten«, sagte er.
Da bekam er Antwort. Von völlig unerwarteter Seite.
»Zu spät, Mann. Es gibt kein Entkommen. Stellt euch an die Wand.

Was ihr bei euch führt an Waffen, Geld und Kleidung gehört uns.
Nach altem Räuberbrauch.«

Furisto hatte an einer Haustür klopfen wollen, um für seine

Begleiter und für sich eine Mahlzeit zu bestellen. Jetzt hatten rechts
und links von diesem Hause abenteuerlich gewandete Bewaffnete die
Gasse gesperrt. Die Bewaffneten glaubten sich haushoch überlegen.
Sie grinsten.

»Wird's bald?« fragte der Wortführer der Bande erneut, ein wahrer

Schlagetot von Mann.

Gerade jetzt erschallte der Hilferuf einer Frauenstimme. Wenn der

Klang nicht trog, schwebte die Frau in höchster Gefahr.

Das war für Furisto das Signal zum Angriff. Ohne ein Wort der

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Erklärung brach er los. Mit der Unwiderstehlichkeit eines Orkans,
der alles flach walzt, was seinen Weg versperrt, kam er über die
Wegelagerer. Die Keulenaxt tanzte.

Es dauerte nur den Bruchteil von Sekunden, dann hatten Roland

und sein Knappe begriffen. Sie beteiligten sich spontan an der
Auseinandersetzung. Roland schlug sich dorthin durch, von wo das
Jammergeschrei kam. Fehlende Bewaffnung war für den Ritter aus
Camelot weiter kein Hindernis. Drei, vier Schläge, mit Nachdruck
geführt, und er hatte Schwert, Schild und Lanze dazu. Jetzt machten
die Räuber einen Bogen um ihn. Die Wegelagerer hatten überhaupt
ihre Lektion gelernt. Sie zogen sich vorsichtig zurück.

Furisto hatte den Wortführer der Bande mit seinem »Grundbaß«

voll erwischt und ausgeschaltet. Wo der Türmer hinschlug, da wuchs
mit Sicherheit kein Gras mehr.

Roland hatte den Ort ausfindig gemacht, von dem aus die Frau so

gellend um Hilfe geschrien hatte. Er drang in das Kellergelaß ein.
Der Keller lag unter einer windschiefen Strohkate. Früher mußte hier
ein anderes Gebäude gestanden haben. Die Fundamente waren breit
und massiv.

Ritter Roland brauchte keine Tür aufzusprengen. Die Banditen

fühlten sich absolut sicher und hatten sich gar nicht erst die Mühe
gemacht, abzuschließen.

Was in dem düsteren Keller vor sich ging, empörte Roland zutiefst.

Da hielten vier schmierig grinsende Kerle eine nackte, schlanke Frau
fest. Die Frau wehrte sich. Ein fünfter Mann wollte sich an ihr
vergnügen.

Roland kam wie das Wetter über die Bande. Schild und Schwert

traten unverzüglich in Tätigkeit. Als der Fünfte merkte, wie schlecht
es um ihn stand, waren seine vier Kameraden schon stumm. Zu
Abwehr oder gar Gegenwehr waren sie nicht erst gekommen.

»Zieh dich aus«, verlangte Roland von dem fünften Mann. Der

hatte alle Gier verloren. Aus seinen Augen blinzelte nur noch nackte
Angst.

Mit zitternden Gliedern gehorchte er. Roland ergriff den Lentner

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mit der Schwertspitze. Er schob der Frau das Kleidungsstück hin.
Die Frau sah den Ritter derart schwärmerisch an, als halte sie ihn für
einen Erzengel.

»Zieh das an.«
Ein Blick aus großen, graugrünen Augen belohnte Roland. Schnell

wie eine Eidechse schlüpfte sie in den Lentner.

»Danke.«
Sie hatte eine tiefe, leicht heisere Stimme.
Louis, der Knappe, stand in der Tür. Er sah, daß sein Herr Roland

durchaus allein mit der Lage fertig geworden war.

»Gib ihm, was er verdient«, wies Roland seinen Knappen an. Er

geleitete das Mädchen aus dem Keller.

Draußen schaute das junge Ding geblendet ins Tageslicht. Es

zitterte. Dann lehnte sie sich gegen Rolands breite Brust. Sie weinte
hemmungslos. Die Tränen machten ihr Gesicht blank.

Furisto war inzwischen der Wegelagerer restlos Herr geworden. Er

kam heran. Zeigte auf das Mädchen.

»Das ist sie ja! Wo hast du sie gefunden?«
»Du kennst sie?« Roland verzichtete darauf, die näheren Umstände

zu erläutern, unter welchen er die junge, rothaarige Frau entdeckt
hatte.

»Ja. Sie ist die Tochter des roten Saladins und heißt Aischa. Ich

schulde ihr Dank.«

*

Die Banditen, welche rechtzeitig aus dem Fischerdorf flohen, waren
gut beraten. Denn mochten sie auch noch so rauhe Gesellen sein,
gegen Ritter Roland, Furisto den Türmer und den Knappen Louis
hatten sie keine Chance.

Furisto hatte die Hütten und Katen durchstöbert. Dabei waren ihm

nur wirklich uralte Frauen- und Mädchenkleider in die Hände
gefallen. Es ging darum, Aischa, Saladins Tochter so mit Kleidung
zu versorgen, daß sie sich frei unter Menschen bewegen konnte.

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»Das ist zwar nicht das Neueste, und die Sauberkeit läßt erheblich

zu wünschen übrig, aber bis wir daheim auf dem Michelsberg sind,
muß es genügen.«

Einem Teil der Banditen war die Flucht gelungen. Die

Entkommenen hatten ihre Pferde natürlich mitgenommen. Die
Reittiere der Gefallenen hingegen standen in den Ställen. Sie ließen
derart die Köpfe hängen, als wüßten sie, daß sie ohne menschlichen
Beistand verhungern und verdursten mußten.

»Wird in Gallien vielleicht nie etwas gegen Straßenräuber

unternommen?« Knappe Louis stellte die Frage so, als hege er die
Absicht, sich dem Gewerbe der Wegelagerer zu ergeben.

»Früher machten wir mit solchem Gesindel kurzen Prozeß«,

belehrte Furisto den Knappen. »Seit aber der rote Saladin bei uns das
Sagen hatte, war von Recht und Ordnung höchstens noch ein
geringer Hauch zu spüren. In jeder Beziehung hatte der Orden vom
Roten Milan den Vorrang.«

Furistos Augen funkelten wild.
»Ich habe mir das Dorf gemerkt. Kehren die, welche heute

geflohen sind, zurück, so wird es ihr schwerer Schaden sein.«

Das schlanke Mädchen, die Tochter des roten Saladins, hatte sich

gewaschen und umgezogen. Ernst und mit den tieftraurigen Augen
eines tödlich gekränkten Menschen trat sie zu den Männern. Sie gab
sich alle Mühe, bescheiden zu wirken. Doch die Männer sahen nur
ihre exotische Schönheit.

Furisto gab mit umwerfender Ehrlichkeit kund und zu wissen, was

er dachte.

»Ich hab' dir zu danken, Aischa. Magst du auch die Tochter eines

Mannes sein, von dem es zu mir keine Brücke gibt, ich werde nie
vergessen, was du für mich getan hast.«

Aischas Nacken wurde roter als ihr Haar.
»Jeder andere Mensch an meiner Stelle würde dir ebenfalls

geholfen haben, Henker vom Michelsberg.«

Henker vom Michelsberg. Das ließ Louis aufhorchen. Der Knappe

legte den Kopf schief und glich einer Elster, welche sprechen lernen

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möchte.

Furisto hatte nichts zu verbergen. Er gab seine Vergangenheit zu,

auch Dinge und Situationen, welche für ihn nicht gerade ein
Ruhmesblatt waren.

»Richtig. Den Namen habe ich mir verdient. Aber ich bereue

nichts von dem, was ich tat.«

Das Lärmen, das Brausen, Dröhnen und Beben war zwar leiser

geworden, aber nicht gänzlich vergangen. Auch das Glockengeläut
hing verhalten in der Luft.

Furisto hob den Kopf, als wittere er dorthin, wo die Burg auf dem

Berg des streitbaren Engels lag, die ein ganzes Menschenleben lang
der Mittelpunkt seines Denkens und Fühlens gewesen war.

»Jetzt ziehen sie aus allen Himmelsrichtungen heran. Sie sammeln

an der alten Grenze.«

»Und brechen dann in die Gaue Camelots ein«, ergänzte Ritter

Roland die Rede des Türmers.

Furisto nickte einmal mehr. »So ist es geplant, aber wir werden es

verhindern. Ich tue jetzt das, wozu ich meinen Turm verließ, und
befreie deinen König. Dann reiten wir gemeinsam nach Camelot. Es
wird nicht leicht sein, aber es geht.«

Offenbar war der Türmer der Meinung, ein Unternehmen, an

welchem er teilnahm, glückte.

»Reiten wir?«
»Ja«, sagten die Männer wie aus einem Munde. Aischa zog die

geliehenen Kleider enger um ihre Schultern, als friere sie.

Furisto sah das Mädchen an. Er war gewöhnt, daß weibliche

Wesen schaudernd den Blick wandten, sobald sie die Narbe in
seinem Gesicht gewahrten. Nicht so Aischa. Sie sah Furisto mit viel
Gefühl an. Und um ihren Mund spielte die Andeutung eines
Lächelns. War die Tochter des roten Saladins schon so über die
hinter ihr liegenden Erlebnisse hinweg, daß sie lachen konnte? Der
Türmer sah grüblerisch aus.

Ritter Roland rechnete damit, Gefolgsleuten zu begegnen, welche

den Sammelpunkten zustrebten. Er hatte sich für diesen Fall genau

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wie Knappe Louis mit Waffen wohl versehen.

Die Pferde trabten an. Louis hatte auch die Tiere mitgenommen,

welche jetzt keinen Reiter zu tragen brauchten. Er lachte seinem
Herrn Roland zu.

»Das alte Glück ist wieder da, Herr. Unser altes Glück. Immer,

wenn wir Pferde erbeutet haben, ging es uns gut.«

Es begegnete ihnen niemand. Nur hin und wieder sahen sie

zwischen dem Horizont und der eigenen Gruppe lange Reihen
bewaffneter Reiter dahinziehen. Die Bewegung schien kein Ende zu
nehmen. Genau da hakten die nächsten Worte des Türmers ein.

»Ein Gutes hat das Theater um den Orden vom Roten Milan schon

gehabt, Freunde. Er zeigte uns, wie stark das Volk von Montgelas
und von Armorika wirklich ist. Der König, dem so ein Volk gehört,
darf sich glücklich schätzen.«

Furisto war ebenso furchtlos wie stark, zugleich aber listig wie ein

erfahrener Fuchs. Er richtete es so ein, daß sie die Stammburg der
Montgelas zwischen dem letzten Sonnenstrahl und dem Einfall der
Dämmerung erreichten. Und selbst dann noch riet er zur Vorsicht. Er
hatte den Abzug des letzten Kontingents von Söldnern aus der Burg
verfolgt.

Dann erst begann er, die Rampe zur Fallbrücke hochzureiten. Auf

Mistral, seinem Pferd. Ganz so, als kehre er von einem langen
Jagdausflug heim.

»Hör zu«, sagte er zu Roland. »Du brauchst mir nicht zu helfen.

Die Torwachen schaffe ich allein. Ich meine, es ist besser, dein
Knappe und du, ihr haltet euch aus dem Streit. Falls etwas schief-
geht, könnt ihr jederzeit sagen, der wilde Furisto habe euch zu
Dingen gezwungen, die ihr jetzt selbst nicht mehr verstehen könnt.«

Roland ließ eine solche Weisung nicht gelten. »Gleiche Brüder,

gleiche Kappen«, sagte er. »Ich will an deiner Seite bleiben, du
erstaunlicher Mann. Solange teile ich alle Last mit dir, bis mein
König befreit und in all seine Rechte voll eingesetzt ist.«

Das schien genau das zu sein, was Furisto hören wollte.
»Mit so einem bin ich gern zusammen, Held Roland.«

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Sie hatten die Hälfte der Wegstrecke hinter sich. Knappe Louis und

das Mädchen Aischa folgten in einigem Abstand. Der Türmer hatte
dem Knappen Befehle gegeben, falls etwas fehlschlüge. »Dann mußt
du unbedingt danach trachten, heil mit ihr nach Camelot zu gelangen,
wo du Freunde hast, die dir helfen. Im Lande des Roten Milans
findest du nur wenig Hilfe.«

»Ich komme schon durch«, versicherte Knappe Louis. Seine

Stimme hatte einen grimmigen Klang. Im Herzen war Louis leider
weit weniger selbstsicher, als es den Anschein hatte. Mitunter erlebte
er Augenblicke, wo er sich und seinen Herrn glatt aufgab. Wie
sollten sie sich je in dieser fremden Welt behaupten können, in der es
nur Feinde für sie gab?

Furisto war am Tor.
Die Wache tat ihre Pflicht.
»Halt, wer da?«
»Kennst du mich nicht? Ich bin Furisto, der Türmer. Laß uns ein!

Mich und die, die bei mir sind.«

Die Wache drüben murmelte ihrem Kameraden zu: »Der Narr hat

anscheinend glatt vergessen, daß der Rote Saladin einen hohen
Goldpreis auf seinen Kopf gesetzt hat. Leichter können wir das Gold
nicht verdienen. Lassen wir ihn ein.«

Rasselnd ging die Zugbrücke nieder. Im Burggraben sprangen

schnalzend Fische.

»Kommt«, rief Furisto seiner Begleitung zu. Er ritt gemächlich

über die Brücke. Der löwengelbe Mistral wieherte. Er witterte seinen
Stall. Kaum hatte er die Brücke hinter sich, federte Furisto aus dem
Sattel. Die Torwachen wollten sich gerade des Türmers bemächtigen.
Da kam Furisto über sie. Als könne er Gedanken lesen.

Er packte einen mit der linken und den anderen mit der rechten

Faust.

»Wie wollt ihr's haben?« erkundigte er sich. »Soll es grob sein und

rauh und viel blaue Flecken geben? Oder seid ihr manierlich und tut
hübsch, was ich sage?«

Die Torwachen beteuerten, sie würden in allem und jedem Furistos

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Weisung folgen. Etwas anderes hätten sie niemals im Sinn gehabt.

»Hört zu«, fauchte Furisto. »Sagt den Wachen im inneren Ring

Bescheid, daß ich mit Sondervollmacht vom Herrn der Milane
gekommen bin. «

Die Torwachen taten, was ihnen befohlen wurde. Fünf Minuten

später waren Furisto und seine Begleiter in der Burg. Als vorsichtiger
Mann schaltete der Türmer sämtliche Wachen aus. Diesmal konnte
und sollte ihn nichts davon abhalten, den gefangenen König zu
befreien.

Dann ging die grobe Bohlentür zum Kerker auf. Furisto hielt Ritter

Roland einen kantigen Schlüssel hin.

»Du sollst die Ketten lösen.«
König Artus hing bleich, abgehärmt und erkennbar hoffnungslos in

seinen Banden, welche ihn an die rauhe Kerkerwand fesselten.
Roland befreite ihn.

»Herr«, sagte er, und echte Rührung durchbebte seine Stimme.

»Mein König, jetzt wage ich selber wieder an unser Glück zu
glauben, und daß sich für Camelot alles zum besten wendet.«

Knappe Louis wartete bescheiden an der Kerkertür. Das Mädchen

Aischa hatte sich im Laufschritt zu den Zimmern begeben, welche
sie in dieser weiträumigen Burg bewohnte.

Ritter Roland wollte vor seinem König das Knie beugen. Artus

aber duldete den Kniefall nicht. Er hob Roland auf und umarmte ihn.

»Sobald ich daheim in Camelot bin, werde ich deine Dienste

vergelten, treuer Mann.«

Der König war nicht davon abzuhalten, auf der Stelle den Heimritt

anzutreten. Auch Furisto meinte, dies sei wohl das Beste. Für alle
Beteiligten und auch für den Lauf der Dinge. Er nahm Roland und
den König mit in die Rüstkammer der Montgelas. Da gab es
Kettenhemden, Vollpanzer, Beinschienen, Helme und alles, was ein
Ritter an Ausrüstung braucht in allen Größen und reichlich.
Genausowenig fehlte es an Waffen, den Schwertern, Hellebarden,
Morgensternen, Streitkolben und allem sonst, womit sich ein Mann
ritterlich zur Wehr setzt.

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Während sich die beiden aus Camelot und der Knappe mit Rüstung

und mit Waffen bedienten, war auch Furisto in seine
Kampfgewandung gestiegen, wie er sagte. Dieser Kampfanzug
bestand aus fein gegerbten, dicken Bärenfellen, in welche auch die
Beine eingebunden waren.

»So sind meine Vorväter in manche Schlacht gezogen. Ich fühle

mich in meinen Fellen einfach sicherer als im besten Staatspanzer.«
Als Waffe hatte Furisto immer noch die Axtkeule. Aus der
Rüstkammer hatte er für sich lediglich einen runden Reiterschild
genommen, aus Leder und blankem Erz.

Ehe sie die Rüstkammer verließen, stieß der Türmer Ritter Roland

an:

»Es ist doch abgemacht, daß du meinen Herrn, den Grafen Henry

allein mir überläßt, nicht wahr, Kamerad?«

»Ja. Abgesehen davon natürlich, daß mein Herr und König ein

Anrecht darauf hat, dein Gräflein im Holmgang zur Rechenschaft zu
ziehen. Keine Angst, König Artus ist ein gar ritterlicher Herr. Es
wird deinem Herrn schon nichts ins Leben gehen.«

»Wir werden sehen«, seufzte Furisto.
Da erschien Aischa, die Tochter des roten Saladins. Sie trug einen

Anzug aus feinstem, grünem Rehleder. Als wolle sie jagen. Aischa,
die sich sonst denkbar kokett gab, hatte nur Augen für Furisto.
Seltsam, obschon Ritter Roland sie aus dem Gefängnis der
Wegelagerer befreit hatte, erblickte sie dennoch in dem Türmer ihren
eigentlichen Retter.

Nach wie vor wußte sie, daß sie schön war. Jetzt aber trug sie ihre

Schönheit nicht mehr zur Schau als ein Mittel, allgemeine
Verwirrung unter die Männer zu streuen.

Seit der Ausschaltung der Burgwachen hatte Furisto die

Festungsanlage unentrinnbar im Griff. Stallknechte führten einen
Zelter herbei. Das Pferd gehörte Aischa.

»Ich darf doch mitreiten, nicht wahr?«
Sie sah bei ihrer Frage nur den Türmer an. Furisto betrachtete das

Mädchen.

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»Das Anrecht daran hast du dir erworben, als du mich in das

Wundversteck an der See schlepptest.«

Aischa sprang aus dem Stand auf den Zelter. Die kleine Gruppe

setzte sich in Bewegung. Auf dem Burgfried wurde die Flagge
gekippt. Die Fahne mit dem Roten Milan auf dem Untergrund von
blauer und schwarzer Seide und goldener Stickerei.

Ein langgezogenes Trompetensignal begleitete die Reiter. Der Zug

nach Camelot hatte begonnen.

*

Der mächtige Heerbann des Ordens der Brüder vom Roten Milan
brach in vier gleichstarken Säulen über die Grenzen Camelots. Die
Ritter, Reisigen und Knechte benahmen sich überaus gesittet.

Es kam kein einziger Fall von Plünderung oder Gewalttat vor.
Saladin hielt ungeduldig Ausschau nach dem Mann, den er vom

Grafen zum König zu erheben gedachte. Henry de Montgelas aber
blieb aus. Er schickte auch keinerlei Nachricht.

Erstaunlicherweise wurde Saladin mit der Leitung der

Heeresmassen gut fertig. Seine Anweisungen hatten Hand und Fuß.
Wer immer ihm entgegentrat, er würde keinen leichten Stand haben.
Im Moment hatte er keinen ernsthaften Widerstand zu befürchten.
Camelot. Das fiel und stand mit König Artus und den Rittern seiner
Tafelrunde. Ohne den König blieb von aller Macht nichts übrig.

Im Weichbild des Schlosses Camelot vereinigten sich die vier

Heersäulen unter dem Zeichen des Roten Milans. Fast zur gleichen
Stunde gelangten auch König Artus und die Männer um den
Herrscher auf einen Waldhügel, von dem aus sie Schloß Camelot wie
einen friedlichen Traum im Ring seiner Eichen, Buchen und Tannen
liegen sahen.

In Camelot, dem Schloß, sahen sie den Heerbann genau, der da

Camelot immer enger einschloß. Sie sahen auch, wer die
Operationen befehligte. Doch nur der Mann, der sich als König Artus
ausgab, wußte, wer Saladin war. Er fühlte sich erleichtert, als er des

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rotbärtigen Gauklers ansichtig wurde. Und er befahl: »Zieht eure
beste Kleidung an! Wir wollen Saladin und seine Getreuen würdig
begrüßen.«

Waidenhold hatte das kaum gehört, als er sich zum Handeln

entschloß. Während er sich umzog und rüstete, brummte er:

»Ich mag es noch so lange hinauszögern, einmal muß es doch sein.

Warte ich weiter, so liefere ich der Gegenseite zu viele Vorteile ein.
Es schlägt mir nur zum Gewinn aus, wenn ich jetzt handele.«

Ganz fest und so wie auf sich selbst konnte er sich allerdings nur

auf den Knappen Pierre verlassen. Waidenhold befreite als erste
Königin Ginevra und Volker.

»Steht Artus schon vor den Mauern?« erkundigte sich die Königin

hoffnungsvoll.

»Ich habe ihn noch nicht gesehen, Majestät«, sagte Waidenhold.

»Aber wie ich Roland kenne, sitzt er dem wimmelnden Heer da
draußen auf den Fersen.«

Wie sich später herausstellte, hatte Waidenhold die Situation ganz

richtig eingeschätzt.

Weiß der Himmel, wie es dem Gerücht gelungen war, in die

gallischen Burgen einzudringen, wo Gefangene einsaßen. Aber es
hieß, Artus, der König von Camelot, sei befreit worden und dabei,
den Thron und seine alte Herrschaft zurück zu erobern. Jedenfalls
wurde in Folge dieses Gerüchts der eine oder andere Herr aus des
Königs Gefolge in Freiheit gesetzt. Er hatte natürlich nichts eiligeres
zu tun, als in die Heimat zu reiten. Als der König und seine
Begleitung auf dem Waldhügel hielten und beratschlagten, was zu
tun sei, stießen die ersten dieser Heimkehrer zu ihnen.

In die Begrüßung hinein gewahrte Roland, daß aus Camelot nicht

nur der falsche König anritt, sondern, daß wohlbekannte Ritter, mit
vertrauten Wimpeln an den Lanzen, folgten.

»Das ist Volker vom Hohentwiel«, murmelte Roland. »Ich weiß

nicht, was ihn so aufgeregt hat, aber ich möchte jetzt nicht unter
denjenigen sein, die ihm gegenüber stehen.«

Die Wahrnehmung stimmte genau. Volker vom Hohentwiel hatte

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beschlossen, sich des falschen Königs zu bemächtigen. Der hatte sich
inzwischen dem roten Saladin zugesellt. Sänger Volker glich einem
Schwimmer, der in wild brandendem Meer zum Ufer trachtet.

Da gab auch König Artus das Signal zum Angriff: »Drauf und

dran. Nieder mit allen Feinden Camelots.«

Furisto hatte Aischa bewegen wollen, den Ausgang allen Streites

in sicherem Versteck abzuwarten. Aischa aber sah den Türmer nur
an.

»Verstehst du nicht, daß ich an deiner Seite sein möchte, was

immer auch kommt?«

»Doch! Aber bin ich nicht viel zu alt für dich, Mädchen?«
»Du und zu alt? Nie und nimmer!«
Sie ritt mit. Und so hatten Furisto und Roland in der Hitze des bald

beginnenden Kampfes nicht nur für die eigene Haut, sondern auch
noch für die Sicherheit Aischas Verantwortung.

Je näher König Artus und sein Doppelgänger einander kamen,

desto deutlicher wurde jedermann klar, wie stark sie einander
glichen. Sie waren in der äußeren Erscheinung, in Haltung,
Bewegung, Stimme und Ausdruck vollkommen gleich.

Wie falsch das Spiel, welches er auf Camelot getrieben hatte, auch

immer sein mochte, an Mut gebrach es dem falschen Artus nicht.
Kaum erkannte er, wer da mit Sturmesheftigkeit auf ihn eindrang, als
er sich ihm auch schon stellte. Dabei äußerte er erstmals heftigen
Tadel über den roten Saladin.

»Hast du nicht behauptet, es wäre unmöglich, den Mann zu

befreien?«

Saladin war blaß wie Leinen geworden. Er fluchte. »Der Donner

soll mich holen. Das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.
Und Aischa ist bei den Männern. Sie ist zum Feinde übergelaufen
und hat mich verraten.«

Henry von Montgelas fragte mit blitzenden Augen: »Stimmt es,

was du behauptet hast, daß ich nämlich unverwundbar bin, Saladin?«

Zerstreut gab der Gaukler Antwort.
»Natürlich stimmt es. Solange ich neben dir atme, bist du fest

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gegen Eisen und beißenden Zahn. Es kann dir nichts geschehen.«

»Dann ist noch nichts verloren, Saladin! Drauf! Holen wir unser

Glück! Aischa wird dem zulächeln, der Sieger bleibt.«

Auf der einen Seite König Artus mit Roland, Furisto und dem

Knappen Louis. Dazu noch die Herren, welche gerade der
Gefangenschaft hatten entrinnen können. Sie suchten gleichfalls
doppelt den Kampf. Wahrscheinlich, weil sie sich sagten, daß sie auf
die Weise am besten jeglichen Fragen entkommen könnten. Von der
anderen Seite drangen Volker vom Hohentwiel, der Knappe Pierre
und Waidenhold in des Feindes Masse. Ihnen schlössen sich immer
mehr an. Ritter und Söldner, die fanden, es sei nun mehr höchste
Zeit, die Seiten zu wechseln. Gegen die wilde Entschlossenheit geriet
der Heerbann des Milan-Ordens gar schnell in arge Bedrängnis.

Aischa ritt Seite an Seite mit Furisto. Der strebte unerbittlich

dahin, wo er Saladin und Henry de Montgelas wußte. Den einen
würde er schützen. Dem anderen brachte er gnadenlos den Tod.

Die Lösung und Entscheidung aber kam von gänzlich anderer

Seite. Denn Volker vom Hohentwiel, Waidenhold und der Knappe
Pierre waren zuerst am Mann, vielmehr an dem Grafen von
Montgelas und seinem rotbärtigen Berater.

Mit wildem Kampfgeschrei deckte Volker den Grafen mit einem

Wirbel von Schwerthieben ein. Der Sänger traf hier und da und
nochmal. Das Ende jedoch war dem Unglück oder dem Mißgeschick
des Grafen zuzuschreiben. Er rannte im Ansatz eines Ausfalls mit der
Brust in Volkers Schwertspitze. Er spießte sich selber auf.

Furisto quittierte den Fall seines Herrn mit lautem Ruf. Er

verdoppelte seine Anstrengungen, an Saladin heranzukommen. Die
Mühe wurde ihm abgenommen. Denn Waidenhold packte den
Gaukler, der fliehen wollte wie ein Jäger einen Hasen hochhebt.

»Nichts da, die Zeche, die wir gemacht haben, müssen wir auch

bezahlen. Der Brauch wird nicht gebrochen. Mir scheint, du hast
mehr auf dem Kerbholz als mancher andere, der heute zum
Kassensturz gezwungen wird.«

Sprach's, drückte zu, und Saladin hatte gesühnt, was ein Mensch

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nur zu sühnen vermag. Tränenlos sah Aischa, was geschah.

»Gut so«, hörte Furisto das Mädchen sagen. »Sehr gut, daß du es

nicht hast tun müssen. Verdient hatte er das Ende.«

Wenig später hatten Camelot und sein wiedergekehrter König

gesiegt. Artus und Ginevra ritten einander entgegen. Viele Menschen
schauten der Begrüßung zu. König und Königin aber war es so, als
seien sie mutterseelenallein.

»Ginevra!«
»Artus, mein Mann!«
Sie umarmten sich und gingen Arm in Arm ins Schloß. Erst, als sie

verschwunden waren, brandeten Beifallsrufe auf.

»Lang sollen sie leben.«
»Viel Glück!«
Wieder hatte sich Aischa Furisto, dem Türmer, zugesellt. Sie hörte

ihn murmeln:

»Und was wird aus uns? Ich konnte nichts für meinen Herrn tun.

Ist das verziehen, oder wird es mir angekreidet ... dereinst?«

Furisto spürte, wie sich Aischas kleine Hand in seine Faust stahl.
»Es gibt niemanden, der dir Schuld gäbe«, hörte er das Mädchen

sagen. »Und was aus und wird ... aus dir und aus mir ... hängt allein
davon ab, ob du festhältst, was deine Faust jetzt umschließt oder
nicht.«

Der Griff des Türmers wurde stärker. Roland sah, daß Aischas

Gesicht verzückte Seligkeit widerspiegelte. Und er selbst war auch
zufrieden, denn der König rechnete ihm dieses Abenteuer hoch an.

Um ein Ritter der Tafelrunde zu werden, mußte Roland aber 50

Aufgaben lösen.

ENDE

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Der Räuberhauptmann Gregor versteht sein gemeines Geschäft.
Mit seinen brutalen, ungewaschenen Kerlen zieht er sengend und
mordend durch die Lande. - Diese bärtigen Schufte können weder
schreiben noch lesen, für einen Kampf aber zeigen sie beinahe
gieriges Interesse. Sie mischen überall mit, bis sie an den
Richtigen geraten - Ritter Roland. Der sprengt ihr wildes Gelage
und setzt ihnen heftig zu, als sie die Entführung der hübschen
Isabella feiern. Roland beendet

Die Siegesfeier der

Banditen

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und nicht zurückschrecken, wenn die derben Ausdrücke
jener Zeit fallen, dann besorgen Sie sich in 14 Tagen den
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