Ritter Roland 25 Joachim Honnef Die Bluthochzeit

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Die Bluthochzeit

von Joachim Honnef

scanned by : horseman

kleser: Larentia

Version 1.0

Das Bersten von Zweigen und Ästen war nah vor ihm.

»Weiche zur Lichtung, Lothar!« hallte die helle Stimme

eines Mannes durch den Tann. »Der Keiler bricht durch!«

Der blondgelockte Knabe packte den Speer in seiner

Rechten fester. Er dachte nicht daran, dem Befehl seines
Begleiters Folge zu leisten. Ein Lothar von Ludgershall
wich nicht vor einem Keiler!

In das Bersten der Zweige mischte sich ein heftiges

Schnaufen. Lothar stemmte die Füße fest in den
Waldboden und hob die Lanze an. Dann war der Keiler da.

Der Knabe konnte sein Erschrecken nicht verbergen.

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Seine hellen Augen waren weit aufgerissen. Er starrte das
mächtige Tier vor sich entsetzt an.

Noch nie hatte er einen Keiler mit so gewaltigen Hauern

gesehen. Schaum troff ihm vom Gebrech. Kleine,
gefährlich glitzernde Augen starrten Lothar an, der wie
gelähmt stand und die Lanze in seiner erhobenen rechten
Hand vergessen zu haben schien.

»Lothar...«

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Die Stimme aus dem undurchsichtigen Dickicht trieb den Keiler
vorwärts. Er nahm dem Knaben vor ihm an, senkte den mächtigen
Schädel und blies wild.

Lothar von Ludgershall stieß einen spitzen Schrei aus, als er die

Lanze schleuderte. Gleichzeitig warf er sich zur Seite und sah aus
den Augenwinkeln, wie sich die Eisenspitze dicht hinter dem
Schädel des Keilers ins Blatt bohrte.

Der Keiler kreischte und warf sich herum. Seine Läufe knickten

ein. Der Schaft der Lanze splitterte.

Lothar stolperte über eine Baumwurzel und schlug der Länge nach

hin. Sofort überrollte er sich am Boden. Schaum spritzte ihm ins
Gesicht. Der abgebrochene Schaft der Lanze streifte seine Schulter
und riß sein Wams entzwei.

Lothar zerrte sein Messer aus dem Gürtel.
Auf einmal war der mächtige Schädel des Keilers über ihm. Das

bis zum Äußersten gereizte Tier schlug mit seinen Gewehren, doch
im letzten Augenblick stieß Lothar ihm die Klinge in den weit
aufgerissenen Rachen.

Der Keiler taumelte.
Schweiß befleckte Lothars Gewand.
Der Knabe kroch hastig von dem auf der Hinterhand

eingebrochenen Keiler davon.

Ein helles Sirren war in der Luft. Mit einem leisen klatschenden

Laut schlug ein zweiter Pfeil ins Blatt des Keilers, der einen
klagenden Schrei ausstieß und zur Seite kippte. Die Läufe zuckten
noch ein paarmal, dann streckte sich das mächtige Tier.

Durch sein eigenes Keuchen vernahm der Knabe hastige Schritte.

Zweige brachen, und dann rief die helle Stimme: »Lothar, beim
Henker! Hat dich wieder der Hafer gestochen? Du versprachst mir,
auf meine Weisungen zu hören, wenn ich dich ...«

Der Knabe sah, wie der Mann vor ihm den Kopf hob und über ihn

hinwegstarrte. Sein gerötetes Gesicht, in das naßgeschwitzte
Strähnen seines schwarzen Haares hingen, war auf einmal wie eine
Maske. Der Blick seiner dunklen Augen änderte sich abrupt.

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Lothar von Ludgershall riß erschrocken den Kopf herum.
Kaltes Grauen preßte ihm den Brustkorb zusammen und schnürte

ihm die Luft ab.

Er sah einen Mann aus dem Dickicht treten.
Das von einem wilden schwarzen Bart überwucherte grinsende

Gesicht erschien ihm wie die Fratze des Teufels, der sich seiner
Beute sicher ist.

*

Breitbeinig stand der untersetzte Mann mit dem wilden schwarzen
Bart vor Lothar von Ludgershall und seinem schlanken Begleiter, der
in ein leichtes Jagdgewand gekleidet war.

Das Bartgestrüpp klaffte auf, und ein dröhnendes Lachen scholl

durch den Tann, in dem die Tiere den Atem anzuhalten schienen.

»Einfältiges Diebesgesindel!« röhrte er. »Wenn man in fremden

Wäldern jagt, sollte man wenigstens nicht so dumm sein, sich
erwischen zu lassen!«

Lothar von Ludgershall sprang auf die Beine.
Die blauen Augen des Knaben blitzten.
»Der Schwarztann gehört den Ludgershallern, Walram von

Wolfeneck!« rief er. »Hier hast du Mordgeselle nichts verloren!«

»Hoho!« der Schwarzbärtige wandte den Kopf, und erst jetzt

entdeckte der Knabe den Riesen, der hinter dem Stamm einer Tanne
hervortrat. »Hast du gehört, was der Däumling mir ins Ohr quakte,
Lodewik?«

Der Riese grinste dümmlich. Der Blick seiner grauen Augen ging

jedoch an dem Knaben vorbei und blieb auf dessem schlanken
Begleiter haften. Er kratzte sich in seinem verfilzten Haar.

»Ist es Euch recht, Herr, wenn ich dem Sänger meine Flötentöne

beibringe?« fragte er mit kratzender Stimme.

Der Schwarzbart lachte grob.
»Sieh dich vor, Lodewik!« erwiderte er dröhnend. »Der Bursche ist

geschwind und sticht wie eine Biene!«

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Der Riese hob seine Pranken.
»Ich hab' die richtigen Klatschen dafür«, brummte er.
Der Schwarzbart nickte.
Grinsend stampfte der Riese los.
»Flieh, Floris!« schrie Lothar und sprang auf. Er hielt immer noch

das Messer in der Hand, von dessen Klinge der Schweiß des Keilers
tropfte. Mutig streckte er es dem Schwarzbart entgegen.

Walram von Wolfeneck warf den Schädel in den Nacken und

lachte dröhnend. Seine ausladenden Schultern zuckten, und sein
Lachen brach erst ab, als er den Stich in seinem linken Unterarm
spürte.

Instinktiv hieb er zu.
Der Knabe überschlug sich und landete im Dickicht.
Die dunklen Augen des Schwarzbarts glitzerten so tückisch wie

vorhin die Lichter des Keilers.

Der Riese war stehengeblieben. Er schien im Augenblick nicht zu

wissen, wen er zuerst angreifen sollte. Den schlanken Mann, der
keine Anstalten getroffen hatte, ihm auszuweichen, oder den Knaben,
der es tatsächlich gewagt hatte, seinen Herrn mit dem Messer
anzugehen.

Es gab ein helles, metallisches Geräusch, als das Kurzschwert des

schlanken Mannes aus der Scheide fuhr.

»Der Knabe hat recht, Walram von Wolfeneck«, sagte er mit seiner

hellen Stimme. Sie war auf einmal von einer Härte, die den
Schwarzbärtigen zusammenzucken ließ. »Der Schwarztann gehört
zum Besitz von Ludgershall. Der König selbst hat den Streit
zwischen Euren Familien vor Jahresfrist zugunsten der Ludgershaller
entschieden.«

Der Schwarzbart schob den eckigen Kopf vor.
»Der Schwarztann mag den Ludgershallern gehören!« fauchte er.

»Doch der Keiler dort ist mein! Versuche, mich zurückzuhalten, mir
zu nehmen, was mir gehört, Floris Starkmuth, und du hast zum
letztenmal im Leben den Weibern deine Lieder unter die Röcke
gesungen!«

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Der Knabe hatte seine Benommenheit abgeschüttelt und erhob sich

taumelnd. Trotz brannte in seinem Blick.

»Wir haben den Keiler getötet, also gehört er uns!« sagte er fest.
»Hält's Maul, Bursche!« entgegnete Walram grollend. »Hat man

dir nicht beigebracht, daß Kinder zu schweigen haben, wenn Männer
miteinander reden?«

Lothar wurde wütend. Ehe Floris Starkmuth ihn zurückhalten

konnte, sprang er abermals vor. Die blutbefleckte Klinge zischte
durch die Luft. Doch diesmal war der Schwarzbart auf der Hut.

Seine behaarte Faust schnappte zu.
Lothar von Ludgershall zappelte plötzlich in der Luft. Er trat mit

den Beinen um sich und schrie wütend auf, aber er fand kein Mittel
gegen die Kraft des untersetzten Mannes, dessen schwarzes
Kettenhemd an den Armen die Strahlen der Sonne reflektierte.

»Laßt den Knaben los!« rief Floris Starkmuth. Er hatte sein

Kurzschwert erhoben und war im Begriff, auf Walram von
Wolfeneck loszugehen.

Der Riese neben dem Schwarzbart bewegte sich trotz seiner Größe

leichtfüßig und schnell. Der mehr als einen Klafter lange Stecken,
den er mit beiden Pranken führte, zischte durch die Luft.

Floris Starkmuth wich dem Hieb geschmeidig aus. Ein kurzer

Schlag genügte, und die Schneide des Kurzschwertes trennte den
Stecken in der Mitte zwischen den Pranken durch.

Der Riese starrte einen Moment verblüfft auf die beiden Teile, die

er in den Händen hielt. Dann brüllte er auf. Er schleuderte Floris den
einen Teil entgegen, und der schlanke Mann wurde am Hals
getroffen.

Starkmuth geriet ins Stolpern.
Er sah den Riesen auf sich zustampfen. Benommen schüttelte er

den Kopf. Die Beine waren ihm schwer wie Gefels geworden. Panik
stieg in ihm hoch, denn er hatte von der Kraft Lodewiks gehört, dem
man den Beinamen »der Hammer« gegeben hatte, weil er einen Stier
mit bloßer Faust töten konnte.

Instinktiv riß Starkmuth sein Kurzschwert hoch. Die Klinge blitzte

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durch die Luft.

Lodewik der Hammer brach zusammen, als hätte ihm jemand die

Beine unter dem Leib weggezogen.

Die flache Seite des Kurzschwertes war ihm gegen die Schläfe

geknallt und hatte ihm auf der Stelle das Bewußtsein geraubt.

Floris Starkmuth spürte das Zittern des Waldbodens unter den

Füßen, als der schwere Körper des Riesen zu Boden schlug.

Der Schrei Lothars ließ ihn zusammenzucken.
Der drehte sich hastig um.
Walram von Wolfeneck hatte sein Schwert gezogen und die Spitze

an den Hals des Knaben gesetzt.

»Wirf dein Schwert weg, Sänger!« brüllte er. »Oder ich steche den

Knaben ab!«

Der Schwarzbart hatte Lothar näher zu sich herangezogen und

achtete nicht auf seine Füße.

Lothar trat heftig zu und traf den Schwarzbärtigen dicht unterhalb

des Leibriemens.

Walram schrie. Wut und Schmerz blitzten in seinen dunklen

Augen.

Floris Starkmuth warf sich auf ihn, denn er befürchtete, daß der

jähzornige Mann seine Drohung in die Tat umsetzen könnte. Sein
Kurzschwert klirrte gegen die Klinge von Walrams Schwert und
stieß es aus der Richtung.

Walram ließ den zappelnden Knaben los, weil der ihn behinderte.

Mit beiden Händen schwang er sein Schwert hoch und hieb es durch
die Luft. Die Spitze verfehlte die Kehle Starkmuths nur um
Fingerbreite.

Walram setzte sofort nach. Er hatte den Schmerz, den ihm der Tritt

des Knaben verursacht hatte, inzwischen überwunden. Grimm war
von seinen Zügen abzulesen - und die Entschlossenheit, den Gegner
zu stellen und zu töten.

Floris Starkmuth begann zu keuchen.
Jedesmal, wenn ihre Waffen aufeinanderprallten, erschütterte ihn

der Schlag bis in die Schultergelenke. Noch gelang es ihm, die Kraft

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Walrams und die Überlegenheit des langen Schwertes durch
Geschicklichkeit und Schnelligkeit auszugleichen, doch er spürte,
wie seine Beine allmählich schwächer wurden.

Das dröhnende Lachen Walram von Wolfenecks hallte durch den

Schwarztann, nur unterbrochen vom Klirren des geschmiedeten
Stahls und dem Keuchen Floris Starkmuths, der mit dem Mut einer
Wildkatze um sein Leben focht.

*

Es schien, als ob Samum der Gesang Volker vom Hohentwiels
plötzlich nicht mehr gefiel.

Roland spürte das heftige Reißen des schwarzen Schimmels an den

Zügeln und hörte sein leises Schnauben.

Volker vom Hohentwiel unterbrach seine Ballade vom Ritter

Engelbert, der die Belagerer der Burg Montauban in die Flucht
schlug, weil sie ihn daran hinderten, ein Stelldichein mit der Dame
seines Herzens einzuhalten.

Ein mißbilligender Blick aus den schwarzen Augen Volkers traf

den Hengst.

»Ihm geht jeder Sinn für die Kunst des Gesangs und der Dichterei

ab«, bemerkte der Sänger und befestigte seine Laute hinter sich am
Sattel. »Ich weigere mich, in Gegenwart von derart unmusikalischen
Wesen meine Kunst zum besten zu geben. Das hieße, Perlen vor die
Säue werfen.«

Roland lachte, doch er war nicht ganz bei der Sache. Er wußte, daß

Volker den dunklen Tann, den sie durchritten, nicht liebte. Er hatte
einmal gesagt, daß man als Künstler die Weite des Blicks brauche.
Die drohenden, in den Himmel ragenden Tannen, die kaum Licht bis
zum Boden durchließen, bedrückten ihn. Er hatte sich sein ungutes
Gefühl mit seinem Gesang vertreiben wollen, doch Samum hatte ihm
mit seinem Schnauben die Lust genommen.

Roland fühlte sich wohl in dieser Umgebung. Er war als Sohn

eines Köhlers aufgewachsen und hatte seit frühester Jugend den

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Wald geliebt.

Er war mit den Lauten vertraut. Er kannte die geheimen Pfade der

Tiere. Und er konnte sich tagelang im dunkelsten Tann bewegen,
ohne die Orientierung zu verlieren.

»Ich hoffe, du weißt noch, wo wir uns befinden, Roland«, sagte

Volker in diesem Augenblick skeptisch. »Es ist mir ein Rätsel, wie
man um dieses dunkle Höllenloch von einem Wald so sehr streiten
kann, daß man sich seit Generationen bis aufs Blut bekämpft und
umbringt.«

Roland hatte die Hand gehoben.
»Still, Volker«, sagte er leise.
Er lauschte in die Richtung, in die Samum witterte.
Kaum vernehmbare Geräusche drangen an seine Ohren. Sofort

wußte er, daß es Laute waren, die nicht in diesen Wald gehörten.

Roland zog seinen schwarzen Schimmel herum und lenkte ihn auf

ein schier undurchdringlich erscheinendes Dickicht zu.

Volkers Pferd scheute, während Samum sich unerschrocken einen

Pfad durch die Büsche und schlingenden Ranken bahnte. Roland
hatte sein Schwert gezogen und hieb eine Gasse in das Dickicht,
wenn es gar zu verästelt oder zu dornig wurde.

Das Brechen der Zweige und das harte Stampfen der Pferdehufe

verschluckte für eine Weile jedes andere Geräusch.

Dann erreichten sie eine Lichtung, die von einem saftigen

Grasteppich bewachsen war.

Roland atmete den Geruch von Pilzen und feuchtem Gras ein.
Das Gekreische eines Eichelhähers störte die erhabene Stille.
Dann war ein helles Klirren in der Luft.
Volker schaute Roland an.
»Kampfeslärm!« rief er überrascht.
Roland nickte und trieb Samum an.
Das Pferd galoppierte an. Jenseits der Lichtung tat sich ein Pfad

wie ein schwarzes Tor auf. Roland lenkte den Hengst darauf zu.

Das Klirren von Stahl wurde schnell lauter. Es hörte sich an, als

schalle es von allen Seiten. Doch Roland hatte es gelernt, Geräusche

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in einem Tann von ihrem Echo zu unterscheiden.

Der helle Schrei eines Knaben drang an Rolands Ohren.
Jetzt mischte sich das Schnaufen und Keuchen von Männern in das

Stahlgeklirr der Waffen.

»Achtung, Floris!« rief die helle Knabenstimme. »Der Hammer ist

wieder aufgewacht!«

Samum brach aus dem von dichtem Laub verdunkelten Pfad

hervor. Seine Hufe trommelten auf dem weichen Waldboden.
Sonnenstrahlen blitzten wie Speerspitzen durch das Dach des Tanns.

Vor Roland lag der Kampfplatz.
Roland übersah alles mit einem Blick, während er sich aus dem

Sattel warf, sein Schwert in beiden Händen.

Es war ein ungleicher Kampf.
Der schwarzbärtige Mann, der das Wappen der Wolfenecks auf

seinem Leinengewand über dem Kettenhemd trug, drang mit seinem
Schwert auf einen Schlanken, schwarzhaarigen Burschen ein, der mit
dem Rücken am Stamm einer Tanne stand und sich mit seinem Kurz-
schwert wie eine Wildkatze gegen den überlegenen Gegner wehrte.

Der Bursche tauchte gerade unter einem mächtigen Hieb des

Schwarzbärtigen hindurch. Die blitzende Klinge donnerte gegen den
Stamm. Borkenfetzen wirbelten durch die Luft.

Der Schwarzbart brüllte auf. Für einen kurzen Moment saß die

Klinge seines Schwertes im Stamm fest. Er zerrte daran, und in
diesem Augenblick traf ihn die Waffe des jungen Mannes, der in
einem Jagdgewand steckte.

Der Wolfenecker röhrte wie ein waidwund geschossener Hirsch

und taumelte zurück, als der Stamm der Tanne sein Schwert endlich
wieder freigab.

Das Kurzschwert des Burschen hatte sein Kettenhemd nicht

durchschlagen, aber Roland wußte, welchen Schmerz ein
Schwerthieb dennoch verursachen konnte.

Ein Knabe von vielleicht zwölf Jahren tauchte hinter der Tanne auf

und warf sich dem Riesen gegen die Beine, der den kämpfenden
jungen Mann von hinten angreifen wollte. Weiter hinten auf der

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schmalen Lichtung lag ein mächtiger Keiler, aus dessen Blatt zwei
Pfeile ragten.

Der Riese stolperte, aber der bekam mit seinen Pranken den jungen

Burschen noch zu fassen und riß ihn mit sich zu Boden.

Wie ein Knäuel wälzten sich die drei Gestalten durchs Gras.
»Ho!« brüllte der schwarzbärtige Wolfenecker.
Das Schwert in seinen Fäusten erhob sich über seinem Kopf. Die

Klinge blitzte in den Sonnenstrahlen, die das Dach des Tanns
durchbrachen.

Der Schwarzbart hatte die Reiter entdeckt, die auf dem Kampfplatz

erschienen waren, aber bevor er sich ihnen zuwandte, wollte er die
Entscheidung in seinem Kampf erzwingen.

»Halt!« rief Roland. »Nehmt das Schwert herunter, Schwarzbart!

Ist das ein ehrlicher Kampf für Euch, wenn Euer Feind von einem
Dritten zu Boden gezwungen wird?«

Die kleinen Augen des Wolfeneckers glitzerten hinterhältig, als er

sich Roland zuwandte.

Das Menschenknäuel im Gras war erstarrt. Die Köpfe der drei

hoben sich. Erstaunte Augenpaare musterten die beiden Ritter, die
auf der Lichtung erschienen waren. Einer saß teilnahmslos im Sattel
seines Pferdes, während der andere von seinem temperamentvoll tän-
zelndem Hengst gesprungen war und sich dem Schwarzbart mit
gezogenem Schwert entgegenstellte.

Der Knabe und der junge Bursche im Jagdgewand lösten sich aus

der Umklammerung des Riesen und sprangen auf.

»Wer wagt es, Walram von Wolfeneck entgegenzutreten!« rief der

Schwarzbart, auf dessen Brust der Wolfskopf seiner Sippe prangte.

Roland hatte die Spitze seines Schwertes zwischen seinen Füßen in

den Waldboden gebohrt und stützte sich auf den Knauf.

»Es ist Ritter Roland, der Euch, Walram von Wolfeneck, gebietet,

diesen ungleichen Zweikampf einzustellen'« erwiderte Roland mit
klarer, furchtloser Stimme.

Der Schwarzbart kniff die kleinen Augen zusammen. Das dichte

Gestrüpp seines Bartes öffnete sich, und Roland sah, wie die Zunge

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über die dicken Lippen glitt.

Der Knabe hatte seine Überraschung überwunden. Mit ein paar

Schritten war er bei Roland und wies auf den Wolfenecker.

»Wir jagten in unserem Tann, Ritter Roland!« rief er mit seiner

hellen Knabenstimme. »Floris Starkmuth tötete den Keiler mit seinen
Pfeilen. Doch dann tauchte Walram von Wolfeneck auf und
behauptete, es sei sein Wild!«

»Das Wild gehört demjenigen, in dessen Tann es sich aufhält«,

erwiderte Roland. »Und dieser Tann gehört denen von Ludgershall,
wie es König Artus vor Jahresfrist entschieden hat.«

Der Knabe strahlte.
»Mein Name ist Lothar von Ludgershall, Ritter Roland«, sagte er

voller Stolz. »Und das«, seine kleine Hand wies auf den Burschen im
Jagdgewand, »ist mein Freund Floris Starkmuth, der Walram von
Wolfeneck im Zweikampf getötet hätte, wäre ihm Lodewik der
Hammer nicht zu Hilfe geeilt.«

Walram von Wolfenecks bärtiges Gesicht verzerrte sich vor Zorn.
»Geschwätz!« fauchte er. »Was habt Ihr in diesem Tann verloren,

Roland?«

»Volker vom Hohentwiel und ich sind auf dem Weg von Burg

Wolfeneck nach Burg Ludgershall«, erwiderte Roland. »Der Tod
Eures Onkels Waldemar und der Tod Lienharts von Ludgershall,
Lothars ältestem Bruder, hat König Artus erzürnt. Er gab mir den
Auftrag, Eure Sippen aufzusuchen und der Blutfehde ein Ende zu
setzen. Der König gab mir strenge Befehle mit und schwor, den
Namen auszulöschen, dessen Träger nicht bereit sind, dem Morden
ein Ende zu setzen.«

»Die Wolfenecker sind die Mörder!« rief der Knabe. »Waldemar

fiel im ehrlichen Zweikampf gegen meinen Bruder Lienhart!
Lienhart aber wurde mit einem Pfeil der Wolfenecker im Rücken im
Schwarztann aufgefunden!«

»Vielleicht hatte Lienhart einen Nebenbuhler, der ihn in der Gunst

seiner Gemahlin Leona ausstechen wollte und dazu einen Pfeil
benutzte«, gab Walram hämisch grinsend zurück.

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Roland sah, wie Floris Starkmuth das Blut ins Gesicht schoß.

Blitzschnell riß er sein Kurzschwert hoch und schleuderte es nach
dem Schwarzbart, der die Gefahr jedoch erkannt hatte und sich noch
zur rechten Zeit bücken konnte. Die Waffe flog über ihn hinweg und
fiel ins raschelnde Gebüsch.

»Diese Verleumdung werdet Ihr mit Eurem Blut bezahlen, Ritter

Walram!« rief der vor Erregung zitternde Bursche.

Roland trat vor und faßte den Schwarzbart scharf ins Auge.
»Ihr seid mit Eurer Zunge ebenso wenig ritterlich wie mit Eurem

Schwert, Walram«, sagte er zornig. »Hört, was ich mit Eurem Vater
auf Wolfeneck besprach, und dann geht heim! Die Fehde zwischen
den Wolfeneckern und den Ludgershallern hat ein Ende! Ihr,
Walram, werdet derjenige sein, der dafür bürgt, denn der König hat
befohlen, daß Ihr Libussa von Ludgershall zu Eurer Gemahlin nehmt.
Durch diesen heiligen Bund werden Eure Familien zu einem Blut,
und der Zorn des Königs und Gottes wird Euch heimsuchen, wenn
Blut von gleichem Blut vergossen wird!«

Der Schwarzbart stand wie eine Säule. Er starrte den Ritter vor

sich an. Dann ging ein Zittern durch seine Schultern, und ein
dröhnendes Lachen erschütterte seinen gedrungenen Körper.

»Ho, die holde Libussa!« brüllte er.
»Sie wird sich glücklich schätzen, einen Gemahl wie mich ihr

Eigen nennen zu dürfen!«

Der Knabe schrie auf und wollte sich auf ihn stürzen, doch Roland

packte ihn am Kragen seines Wamses und hielt ihn zurück.

»Der König hat es entschieden, Lothar«, sagte er.
Die hellen Augen des Knaben schauten ihn an, und Roland las in

ihnen, daß König Artus den Haß, der zwischen diesen beiden
Familien seit Generationen herrschte, vielleicht unterschätzt hatte.

»Wollt Ihr mich auf der Stelle mitnehmen, damit ich meine holde

Braut heimführen kann, Roland?« fragte Walram von Wolfeneck und
wischte sich eine Träne aus dem Auge.

»Geht nach Hause, Walram«, erwiderte Roland. »Euer Vater wird

Euch sagen, was Ihr zu tun habt. Die Hochzeit wird auf Wolfeneck

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stattfinden. Im nächsten vollen Mond.«

»Das hat mein Vater beschlossen?« fragte Walram lauernd.
»So hat er mir gesagt.«
Ein breites Grinsen zog das bärtige Gesicht in die Breite.
»Komm, Lodewik!« rief Walram. »Es bleibt mir nicht mehr viel

Zeit, für die Hochzeit alles vorzubereiten!«

Der Riese stolperte hinter ihm her, als er in den Büschen

verschwand. Noch eine ganze Weile war das Brechen von Zweigen
und Walrams dröhnendes Lachen zu vernehmen.

Floris Starkmuth hatte seine Erregung abgeschüttelt, und nachdem

er sein Schwert und seinen Langbogen mit dem Pfeilköcher
zusammengesucht hatte, trat er an Volker vom Hohentwiel heran, der
sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte.

Er verbeugte sich galant.
»Euer Name klingt schon wie Musik in den Ohren eines

Menschen, der der Minne sein Leben gewidmet hat, Volker vom
Hohentwiel«, sagte er artig. »Ich darf mich bescheiden Sänger
nennen, aber die Verse, die ich verfasse, sind im Vergleich zu den
Euren feingeschnitzten wie grob gehauene Klötze.«

Roland fing einen Blick des Minnesängers auf, und er wußte, daß

diese Worte Volker wie Labsal erscheinen mußten.

»Wenn deine Verse die Anmut deiner Gestalt und deiner Worte in

sich vereinen, wird man vielleicht deinen Namen bald vor dem
meinen nennen, junger Freund«, erwiderte er geschmeichelt.

»Ihr scherzt, Ritter Volker!« rief der errötende Floris. »Hört erst

einmal meine Verse, und Ihr werdet Euch mit Grausen abwenden!«

Roland wurde das Gesäusel zuviel. Er ging zu dem Keiler hinüber.
Das Tier hatte neben den beiden Pfeilen einen Lanzenstich im

Blatt. Das Gebrech war voller Schweiß, die Schwarte wies einen
Schnitt von einem Messer auf.

Der Knabe war neben ihn getreten. Seine hellen Augen leuchteten

voller Stolz. Er hob eine abgebrochene Lanze auf, dessen eiserne
Spitze dunkel von Blut war, und hielt sie Roland entgegen.

»Ich stieß sie dem Keiler ins Blatt!« sagte er. »Aber er griff mich

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dennoch an, und Floris tötete ihn mit seinen Pfeilen, bevor er mich
mit seinen Hauern annehmen konnte.«

»Das braucht einen mutigen Mann«, sagte Roland und legte dem

Knaben, der keine Furcht zu kennen schien, die Hand auf die
Schulter. »Während die beiden Sänger sich Schmeicheleien in die
Ohren stopfen, werden wir eine Schleppbahre bauen, auf der wir den
Keiler nach Burg Ludgershall bringen können.«

*

Burg Ludgershall überragte das Tal, durch den sich der Wallerfluß in
engen Schleifen windete. Sie stand auf einer felsigen Anhöhe, von
der aus man das lange, aber enge Tal gut überblicken konnte.

Roland und Volker sahen nur wenige Äcker.
Der Wald, der zur Burg hin immer mehr Laubbäume auf wies,

stand weit die Hänge des engen Tales hinunter. Nur in der Nähe des
Wallerflusses wich er vor Wiesen und vereinzelten Äckern zurück.

Ludgershall hatte nicht die Mächtigkeit der Mauern und Zinnen

wie Wolfeneck und wirkte dadurch nicht so düster. Die Burg war
von Ludger von Ludgershall errichtet worden, und es sollte erst drei
Jahre her sein, seit der letzte Stein gesetzt worden war.

Lothar lief voraus, als sie das Fallgattertor zwischen der äußeren

und inneren Vorburg passierten.

Gesinde kam ihnen entgegen. Jungen und Mädchen stießen

erschrockene Schreie aus, als sie den mächtigen Keiler sahen, den
Samum auf der Schleppbahre hinter sich herzog.

Vor dem Stall erschienen zwei Burschen, die den Reitern

überrascht entgegenblickten.

Roland erkannte seine Knappen Pierre und Louis, die auf direktem

Wege von Yanten aus nach Ludgershall geritten waren, um ein
Schreiben von König Artus an Ludger von Ludgershall zu
überbringen.

Roland wußte, daß in dem Schreiben noch nichts von König Artus'

Befehl zu lesen war, die beiden ältesten Kinder der verfeindeten

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Familien miteinander zu vermählen.

Louis und Pierre liefen auf ihren Herrn zu.
»Ihr habt lange für den Weg gebraucht, Herr!« rief Louis. »Pierre

und ich überlegten schon, ob wir Euch nicht entgegenreiten sollten.«

»Ihr seht, manchmal komme ich auch ohne Eure Hilfe zurecht«,

erwiderte Roland lächelnd. Er ließ sich aus dem Sattel rutschen.
Pierre hatte die Zügel Samums genommen, während Louis sich um
das Pferd Volkers kümmerte.

»Habt Ihr den Keiler mit Eurem Gesang erlegt, Ritter Volker?«

fragte Louis, den Schalk in den blitzenden Augen.

»Schelm!« grollte Volker. »Ich werde eines Tages einen Vers über

deine Lästerzunge schmieden, der dich zum Gespött am ganzen
Rhein macht!«

Louis, den so leicht nichts erschrecken konnte, erbleichte.
»Verzeiht, Ritter Volker«, stieß er hastig hervor. »Ich sah die

Pfeile nicht, die den Keiler töteten.«

»Sperr nächstens deine Augen besser auf, Lümmel!« gab Volker

grob zurück, doch in seinen Augenwinkeln nistete ebenfalls der
Schalk.

»Ich führe Euch zu meinem Vater, Ritter Roland!« rief der Knabe.
Roland und Volker überließen ihre Pferde Rolands Knappen und

folgten Lothar von Ludgershall zum Innentor, dessen Zugbrücke
herabgelassen war.

Floris Starkmuth gab dem Gesinde Anweisungen, was mit dem

Keiler zu geschehen hatte, während die beiden Knappen die Pferde
zur Roßwette führten, um sie saufen zu lassen.

Roland und Volker gingen über den Innenhof auf den Palast zu,

dessen Fenster zum Hof mit buntem Glas versehen waren. Ihre
Rüstungen klirrten, als sie zum Eingangstor hinaufstiegen und die
große Halle betraten, deren hohe Wände mit allerlei Waffen
behangen waren.

Eine Tür wurde von einem Bediensteten geöffnet.
Der Knabe vor Roland und Volker blieb stehen. Er wartete, bis der

große, grauhaarige Mann, der aus der Tür getreten war, zu seinem

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thronartigen Stuhl am Ende der. Halle gegangen war und sich gesetzt
hatte.

Roland wollte hinübergehen, als er sah, wie sich die Galerie über

dem Thronstuhl mit Frauengestalten füllte. Es waren vier an der
Zahl, und er hätte nicht sagen können, welche von ihnen er
liebreizender als die andere gefunden hätte.

Er hörte, wie Volker hinter ihm einen Seufzer ausstieß. Der

Minnesänger hatte von der Schönheit der Frauen von Ludgershall
gehört, aber die Berichte für Übertreibungen gehalten. Jetzt mußte er
erkennen, daß die hohen Worte, mit denen der Liebreiz derer von
Ludgershall gepriesen worden waren, nicht ausreichten, um der
Wirklichkeit gerecht zu werden.

Er fühlte sich geblendet von dem Anblick der samtenen, wie Milch

und Honig zarten Gesichter. Große, wie Sterne blinkende Augen
betrachteten ihn und Roland mit kaum verhohlener Neugier.

Nicht oft schienen fremde Ritter den Weg nach Ludgershall zu

finden. Die Blutfehde der Wolfenecks und Ludgershaller ließ viele
Ritter diesen Teil des Reiches meiden.

Wüßten sie von dem Garten Eden, der hier blüht, dachte Volker

schwärmerisch, sie würden die Suche nach dem Gral aufgeben und
nach Ludgershall wallfahren!

Die helle Stimme des Knaben hallte durch den großen Raum.
»Vater, ich bringe dir zwei Ritter, die ich im Schwarztann traf, als

Floris Starkmuth einen Kampf auf Leben und Tod mit Walram von
Wolfeneck focht.«

Leise, unterdrückte Schreie wehten von der Galerie herunter an

Rolands Ohren. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Dieser
Floris Starkmuth mochte sich selbst vielleicht für einen schlechten
Sänger halten. Die Damen schienen eine bessere Meinung von ihm
zu haben.

»Floris ist unverwundet«, fuhr Lothar mit einem Blick zur Galerie

fort, »doch das hat er dem Eingreifen Ritter Rolands zu verdanken,
der Walram in seine Schranken verwies.«

Leise Seufzer auf der Galerie.

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Roland hätte gern gewußt, ob einer von ihnen vielleicht ihm

gegolten hatte.

»Tretet näher, Ritter«, sagte die dunkle, wohltönende Stimme

Ludgers von Ludgershall.

Bedienstete hasteten herbei und stellten zwei Stühle zurecht, auf

denen Roland und Volker Platz nehmen konnten.

»Laßt meinen Sohn berichten, was im Schwarztann vorfiel, dann

läßt mich hören, welche Nachricht Ihr mir von meinem König bringt,
der Euer Kommen in einem Schreiben ankündigte.«

Lothar berichtete, was sich ereignet hatte, nachdem der Keiler tot

vor ihm zu Boden gesunken war. Der Knabe sprach hastig von dem
Kampf, und ehe Roland eingreifen konnte, hatte er schon ausge-
plaudert, was Roland zu Walram von Wolfeneck gesagt hatte.

Der Schrei von der Galerie war diesmal schrill. Roland hob den

Kopf und sah, wie sich drei der Frauen um die vierte kümmerten, die
offensichtlich in Ohnmacht gesunken war.

Er konnte sich vorstellen, daß es Libussa war, diejenige, die dazu

ausersehen war, Walram von Wolfeneck, diesen düsteren,
schwarzbärtigen Mann zu heiraten, der sich zwischen
Wildschweinen wohler zu fühlen schien als zwischen gesitteten
Menschen.

Ludger war bleich geworden. Seine blauen Augen musterten die

beiden Ritter kalt.

»Hat mein Sohn Eure Worte vielleicht in seinem Eifer falsch

verstanden, Roland?«

»So lautet der Befehl des Königs«, erwiderte Roland, obwohl ihm

dabei nicht wohl in seiner Haut war. Er begann zu ahnen, daß dieser
Auftrag doch nicht so einfach werden würde, wie er ausgesehen
hatte. »Das Blutvergießen soll ein Ende haben. Wer sich nicht an
seine Anweisungen hält, ist seines Lebens ledig.«

»Der König mag mit seinem Befehl nur Gutes gewollt haben«,

brach es aus Ludger hervor. »Doch er wird nur neues Unheil säen.
Wulf von Wolfeneck ist ein gemeiner, hinterhältiger Hund, dem ich
nicht einmal traue, wenn er vor dem Kreuz betet! Ihr sagt, er habe

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eingewilligt, daß sein Sohn Walram meine Tochter Libussa zum
Weibe nimmt, und uns zur Hochzeit nach Wolfeneck lädt. Aber wißt
Ihr auch, was das bedeutet, Ritter Roland? Er wird die Gelegenheit
nutzen, meine Sippe bis zum letzten Glied abzuschlachten, denn
Wulf von Wolfeneck fürchtet den König, der sein Lehnsherr ist,
nicht! Er glaubt, daß seine Burg unbezwingbar ist. Und er wird damit
rechnen, daß König Artus das Tuch des Vergessens über alles
ausbreiten wird, wenn es keinen Ludgershaller mehr gibt!«

Roland wich dem harten Blick Ludgers nicht aus.
»Ich kann nicht beurteilen, ob Eure Befürchtungen zu Recht

bestehen, Ludger«, erwiderte er heiser. »Aber damit das nicht
geschieht, was Ihr mir ausmaltet, werden Volker vom Hohentwiel
und ich Euch und Eure Familie begleiten. Wulf von Wolfeneck wird
es nicht wagen, zwei Ritter des Königs zu töten!«

Ludger lachte auf.
»Hütet Euch davor, Wulf zu unterschätzen, Roland!« rief er.

»Wenn Ihr erst in Eurem Blut liegt, kommt jede Einsicht zu spät!«

»Eure Anklagen stimmen mich bedenklich, Ludger«, sprach

Volker mit einem raschen Blick zur Galerie hinauf. »Euer Haus und
Eure liebreizenden Frauen und Töchter geben uns die Gewißheit, daß
nicht Ihr es seid, der mit Mord dem anderen zu schaden sucht. Aber
das Wort des Königs ist Gesetz. Seid versichert, Ludger, daß Roland
und meine Wenigkeit mit unserem Blut und Leben dafür einstehen,
daß den Euren auf Wolfeneck kein Leid geschieht!«

Die Ritter erhoben sich.
»Die blauen Augen Ludgers von Ludgershall waren klar wie das

still ziehende Wasser des Wallerflusses. »Ihr habt mein Wort, daß
ich des Königs Befehl gehorche, Ritter. Wenn dereinst mein Name
neben den Euren genannt werden wird, so soll es mir Lohn genug
sein für meine Treue zur Krone.«

Auf der Galerie erklang leises Schluchzen, das Volker in sein

empfindsames Herz schnitt.

Auch Roland hätte die junge Frau gern getröstet, aber er wußte,

daß er warten mußte, bis Ludger ihm die Damen beim abendlichen

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Fest vorstellen würde.

*

Walram von Wolfeneck schleuderte sein Wehrgehänge mit dem
Schwert zu Boden, als er die düstere Halle von Burg Wolfeneck
betrat. Aus den kleinen Fenstern hoch oben im letzten Drittel der
klafterdicken Mauern drang nur wenig Licht herunter, so daß
blakende und rußende Pechfackeln in Halterungen an den Wänden
zusätzlich Licht spenden mußten.

Das Rasseln und Klirren des Schwertes schreckte am Ende der

Halle Wulf von Wolfeneck hoch, der hinter einer langen Tafel in
einem hölzernen Sessel gelegen und geschnarcht hatte.

Der Tisch war mit Resten vom Essen bedeckt. Ein Krug mit Met

war umgekippt. Die ganze Halle stank nach dem sauer gewordenen
Getränk.

»Wer wagt es, mich in meiner Ruhe zu stören?« brüllte der

schwere Mann mit dem wilden Lockenkopf. Aus verquollenen
Augen starrte er Walram entgegen, dessen harte Schritte über den
Steinboden der Halle klopften.

Wulf von Wolfeneck spuckte auf den Tisch, als er seinen Ältesten

erkannte. »Wo treibst du dich herum, Haderlump?« schrie er ihn an.
»Ich hab' dich überall suchen lassen! Ich werde dich ...«

Walram brüllte zurück. »Spiel dich nicht auf! Ich weiß, um was es

geht. Ich soll eine von den Weibern von Ludgershall heiraten, damit
die Ludgershaller Ruhe vor unseren Schwertern haben. Aber, beim
Sensenmann, ich werde weiterhin jedem Ludgershaller, der mir seine
Visage in den Weg hält, die Kehle durchschneiden!«

Wulf starrte seinen Sohn einen Augenblick an, dann begann er,

dröhnend zu lachen und ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Mit
einer heftigen Armbewegung wischte er Schüsseln und Speisereste
vom Tisch.

»Da hast du recht, mein Sohn«, gurgelte er. »Aber wenn das

Hochzeitsfest vorüber ist, wird es nicht einen einzigen Ludgershaller

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mehr geben, dem du die Kehle durchschneiden könntest!«

Er wollte sich schier ausschütteln vor Lachen.
Walram schaute verblüfft mit offenem Mund dem Anfall seines

Alten zu. Hatte er den Verstand verloren? Erst allmählich begriff er.

»Willst du ...«, er zögerte fast, es auszusprechen, »du willst die

Ludgershaller trotz des Verbots des Königs auf Wolfeneck
ausrotten?«

Das Lachen des Alten brach abrupt ab. Seine Fäuste donnerten auf

die Tischplatte. Er beugte sich wieder vor. Mit dem Speichel in den
wirren Barthaaren und dem ungepflegten Lockenkopf sah er in
diesem Augenblick aus wie ein Troll.

»König Artus ist weit weg!« zischte er. »Und seine Ritter? Ich

habe mir diesen Drachentöter angesehen, Sohn. Ihn und diesen
weibischen Minnesänger, dessen Finger vielleicht taugen, eine Laute
oder den Schoß eines Weibes zu streicheln, aber nicht, ein Schwert
zu führen. Sind das Gegner für dich, mein Sohn?«

Walram schluckte.
Er hatte den Anblick Rolands vor seinem geistigen Auge.
Nein, er hatte nicht mit ihm gekämpft. Aber wie er dagestanden

hatte, die Hände auf dem Knauf seines blitzenden Schwertes, war
ihm, Walram, für einen Moment ein Schauer den Rücken
hinabgelaufen. Wenn sein Alter wüßte, daß er mit diesem Sänger
Floris Starkmuth gefochten und der Bursche nicht einen Kratzer
davongetragen hatte, Wulf hätte ihn mit bloßer Faust gegen die
Mauern der Halle geschleudert.

»Sind das Gegner für dich, Sohn?« brüllte der Alte, der eine

Antwort erwartete.

»Nein, Vater«, erwiderte Walram gepreßt.
Wulf kniff die Augenbrauen zusammen. Das Wort Vater sagte sein

Ältester nur noch, wenn er ein schlechtes Gewissen hatte. Er rülpste
und winkte ab. Er wollte sich jetzt nicht streiten. Sein Schädel
brummte vom zuviel genossenen Met.

Taumelnd erhob er sich.
»Hol deinen Bruder, Sohn«, sagte er mit schwerer Zunge. »Ich

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werde mit meinem Weibe reden, damit alles trefflich für das Ende
der Ludgershaller vorbereitet werde.«

Er gab dem Hund unter dem Tisch, der friedlich an einem Knochen

nagte, einen Tritt, daß er jaulend aufsprang.

Walram blieb stehen und wartete, bis der Alte aus der Halle

gewankt war. Er wußte, daß er vorsichtig sein mußte. Sein Vater war
in diesem Zustand unberechenbar. Mit der Linken tastete er nach
seiner Wange. Dort fehlten ihm zwei Backenzähne, die der Alte ihm
in seiner Wut mit einem einzigen Hieb ausgeschlagen hatte.

Wulf von Wolfenecks Rülpsen hallte durch den düsteren Palast

von Burg Wolfeneck, unterbrochen vom Fluchen, wenn er gegen
eine Kante stieß auf seinem Weg in den Kemenatenbau, wo sein
Weib sich wahrscheinlich wieder ihre langen Haare, auf die sie so
stolz war, von der Zofe flechten ließ.

Der Gedanke an die Zofe erregte Wulf weit mehr als der an sein

Weib, obwohl Weda von Wolfeneck erst dreißig Jahre alt war. Sie
war seine dritte Frau, und er hatte sie wegen ihrer
außergewöhnlichen Talente im Bett geehelicht.

Doch Wulf von Wolfeneck war ein Mann, der die Abwechslung

liebte. Er würde der niedlichen Salme in den süßen Po kneifen, wenn
sein Weib ihn gerade nicht anschaute, was sehr häufig vorkam. Diese
jungen Dinger wußten genau, mit wie wenig Anstrengung sie sich
ein gutes Zubrot verdienen konnten.

*

Die Zofe Salme hielt sich nicht in der Kemenate der Herrin von
Wolfeneck auf. Sie ließ sich gerade von dem jungen Ritter Werinher
verwöhnen, dem jüngeren Bruder Walrams. Werinher war ein
Draufgänger, ein blendender Fechter. Mit dem Schwert und mit
seiner natürlichen Waffe, die einer Zofe wie Salme ungeheure
Freude bereiten konnte.

Weda von Wolfeneck vermißte ihre Zofe keineswegs.
Sie lag sich in den Haaren mit ihrem Schwager Wirnt von

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Wolfeneck. Und das im wörtlichen zweifachen Sinne.

Sie hatte nämlich ihre Finger in Wirnts braunen Haarschopf

verkrallt und sein Gesicht fest gegen ihren schwellenden Busen
gepreßt. Gleichzeitig bog sich ihr schlanker Leib mit dem herrlichen
schwarzen Dreieck seiner Männlichkeit entgegen, die Einlaß
verlangte in ihren Schoß, der vor Lust erbebte.

Wirnt versuchte, sich von ihren krallenden Fingern in seinem Haar

zu befreien. Das hieß nicht, daß er ihren Busen verschmähte, denn
am liebsten hätte er in die weiche, samtene Haut gebissen. Doch in
dieser gekrümmten Haltung schaffte er es nicht, sein Ziel zu
erreichen.

»So komm doch!« stöhnte sie auf.
Sie verstand seine Antwort nicht, denn ihre schwellenden Brüste

erstickten seine Worte. Sie mißverstand seine heftigen Bewegungen
und drückte seinen Kopf noch fester an ihren Busen, so daß er kaum
noch Luft kriegte.

Er biß zu. Mit einem leisen Schrei riß sie seinen Kopf hoch.
Er nutzte die einmalige Gelegenheit, warf sich nach vorn und

stürmte die bereits geschleifte Festung.

Wedas Schrei ging in einen langen Seufzer über. Sie spürte, wie ihr

vor Lust die Sinne vergingen.

Wirnt verstärkte seine Bemühungen. Er wußte, wie man den

Damen Vergnügen bereiten konnte. Sein Atem ging heftig.

Weda vernahm das leise Rülpsen im Unterbewußtsein. Im ersten

Augenblick dachte sie, daß Wirnt ein Ferkel sei, in seiner
Leidenschaft derart profane Laute von sich zu geben. Doch dann
begriff sie, daß sie Wirnt noch nie in dieser abscheulichen Weise
hatte rülpsen hören.

Einen anderen dafür aber um so öfter!
Wirnt wußte im ersten Augenblick nicht, wie ihm geschah.
Ihre kleinen Fäuste verursachten ihm einen stechenden Schmerz,

als sie in seine Seiten stießen.

Nanu, dachte er, seit wann gefällt ihr meine Art nicht mehr?
»Geh weg!« zischte sie. »Hörst du nichts? Wulf torkelt die Treppe

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herauf!«

Wirnt sprang auf, als hätte ihn eine Kreuzotter gebissen.
Wenn ein Name ihn in Angst und Schrecken versetzen konnte, so

war es der seines Bruders Wulf.

Hastig glitt er von dem breiten Lager und grabschte nach seinen

Kleidern. Er hörte das leise Klirren von Stahl.

Weda legte ihren Keuschheitsgürtel um.
Sie trug das Ding, seit Wulf sie einmal in enger Umarmung mit

einem Gast auf Wolfeneck erwischt hatte. Doch inzwischen besaß
Weda längst einen zweiten Schlüssel, den ihr der einfältige Schmied
von Weimersbach gemacht hatte.

Wirnt nahm sich nicht die Zeit, in seine Kleider zu schlüpfen. Er

klemmte sich alles unter den Arm und rannte auf bloßen Sohlen zum
Turmfenster hinüber, unter dem zu seinem und Wedas Glück ein
Vorsprung verlief.

Wirnt kletterte rückwärts hinaus. Er sah, wie Weda hastig ihren

Unterrock überstreifte, das Lager glattstrich und sich an den kleinen
Kommodentisch setzte und die Haare zu bürsten begann.

Wirnt zog den Kopf ein, als die Tür zur Kemenate aufgestoßen

wurde und Wulfs trunkene Stimme sagte: »He, warum bürstest du dir
deine Haare selber, Frau? Wo ist deine Zofe Salme?«

»Vielleicht läßt sie sich gerade von deinem jüngsten Sohn die

Haare bürsten«, gab Weda bissig zurück.

Wirnt wartete die Antwort seines Bruders nicht ab. Er wollte nicht

hören, was Wulf und Weda sich zu sagen hatten. Wichtig war ihm
nur, daß sein Bruder ihn nicht erwischte. Er kannte Wulfs Jähzorn.
Wenn er ihn mit Weda erwischte, würde er nicht zögern, ihn auf der
Stelle zu erwürgen!

Er war froh, als er das kleine Fenster erreichte, das in die kleine

Nebenkammer führte, in dem die Zofe Salme schlief.

Einen Augenblick überlegte er, ob er nicht auf sie in ihrem Bett

warten sollte, um sich von ihr zu holen, was er bei Weda versäumt
hatte. Doch es schien ihm zu gefährlich. Er kannte seinen Bruder
schließlich genau. Ihm war nicht der lüsterne Blick entgangen, den

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Wulf der kleinen Zofe seit ein paar Tagen zuwarf.

Und Wulf hier in Salmes Kammer zu treffen, war das letzte, was er

sich im Moment wünschte.

Sein hartes Herzklopfen beruhigte sich erst, als er die Treppe zu

Wedas Kemenate lautlos hinter sich gebracht hatte und die Tür zu
seinem Schlafgemach hinter sich verriegelte ...

Indes war Wulf von Wolfeneck zu seinem Weibe hinübergetorkelt.

In seinen schwarzen Augen schwelte Mißtrauen. Der Herr von
Wolfeneck hatte einen ausgezeichneten Geruchssinn. Ihm war die
Schwüle, die in der Kemenate herrschte, nicht entgangen.

Er sah, daß Weda verschwitzt war. Als sie die Haare hob, um einen

Bürsten strich zu tun, sah er die kleinen Schweißperlen in ihrem
Nacken.

Es war nicht sehr warm in der Kemenate. Und daß sein Weib

Weda noch nie einen Besenstiel angefaßt hatte, wußte er nur allzu
gut. Wobei sonst als bei ihrer Lieblingsbeschäftigung konnte sie ins
Schwitzen geraten sein?

Er rülpste ihr ins rechte Ohr, bevor er sich bückte und ihren

Unterrock hochriß, um nach dem Keuschheitsgürtel zu schauen.

Weda schrie leise auf. Wulf hatte mit seiner heftigen Bewegung

ihren Stuhl ins Wanken gebracht. Sie hielt sich an ihrem Gemahl
fest, als sie umkippte, und zusammen gingen sie zu Boden.

Wulf wühlte sich unter ihren weiten Unterrock, die spitzen Schreie

Wedas nicht beachtend. Seine Hand spürte die Feuchtigkeit unter
dem Eisen des Keuschheitsringes. Vor Wut begann er zu brüllen.

Er begann, sich aus dem Wust ihres Unterrockes hervorzuwühlen,

doch das war nicht einfach, da Weda in ihrer Furcht, Wulf könne
sich in seinem Zorn vergessen, alle Anstrengungen unternahm, ihn
auf andere Gedanken zu bringen.

Ihre Finger fanden seine kitzlige Stelle, und sein Schnaufen ging in

ein Kichern über.

»Laß das, Weib!« brüllte er lachend. »Du wirst mich nicht - ha -

hoho -hihihi...«

Sie kannte ihren Grobian nur allzu gut.

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Er hatte einige Dinge für sein Leben gern, und Weda dachte an die

Zeit zurück, wo sie selbst verrückt nach diesem tapsigen Bär
gewesen war.

Wulf keuchte.
Dieses Teufelsweib! dachte er. Keine verstand es so gut wie sie,

seine Lust zu erwecken - wenn sie wollte. In letzter Zeit hatte sie
nicht mehr sehr oft gewollt.

Sie biß ihm ins Ohr und flüsterte heiser: »Du wunderst dich über

meine Erregung, Mann? So selten habe ich in letzter Zeit etwas von
dir, daß ich mich selbst beglücken muß ...«

Seine Pranke zitterte, als er den Schlüssel ins Schloß des eisernen

Ringes schob.

Er war wild wie lange nicht mehr. Doch in seinem Hirn blieb der

Gedanke daran, daß sie ihn betrog. Er glaubte ihrem Geständnis
nicht. Weda war ein Weib, das einen Mann brauchte, um Lust zu
empfinden. Und wer der Mann war, der ihr die Lust verschafft hatte,
das wußte Wulf genau.

Warte, Bruderherz, dachte er, während er sich keuchend auf Weda

walzte, daß ich dir die Flügel und sonst noch etwas stutze!

*

Volker vom Hohentwiel und Floris Starkmuth schienen ihren
Charme und ihre Ausstrahlung auf die holde Weiblichkeit verloren
zu haben.

Auf Ludgershall herrschte Trauerstimmung.
Libussa weinte ununterbrochen.
Sie hatte ihrem Vater gedroht, sich von den Zinnen der Burg zu

stürzen, wenn er dem Befehl des Königs gehorchte und ihr Glück
einem zweifelhaften Frieden mit den Wolfeneckern opferte.

Volker vom Hohentwiel und Roland waren am Abend nach ihrer

Ankunft enttäuscht worden.

Nicht eine der Damen war bei Tische erschienen. Nicht einmal

Ludgers Weib Liebtraut hatte sich von den Tönen aus Volkers Laute

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herbeilocken lassen.

So waren sie unter sich gewesen. Ludger von Ludgershall, sein

Sohn Lothar,

Floris Starkmuth und der Abt des nahen

Zisterzienserklosters Wallerfurt, der es verstand, Unmengen von
Wein in sich hineinzuschütten, ohne auch nur die geringste Wirkung
zu zeigen.

Der Abt Johannes von Kirchheim hatte noch am frühen Abend

versucht, Libussa von der Notwendigkeit der Heirat mit Walram von
Wolfeneck zu überzeugen. Doch auch er hatte es nicht geschafft,
nicht einmal mit der Androhung des ewigen Fegefeuers, Libussas
Starrsinn zu brechen.

Bis zum nächsten vollen Mond waren es noch zehn Tage.
Zwei Tage würden sie benötigen, nach Wolfeneck zu gelangen.
Roland hatte gedacht, daß es Zeit genug war, einem jungen

Mädchen Einsicht in die Notwendigkeiten des Lebens einzugeben.
Bei Libussa schien jedoch alles vergebens.

Volker vertrieb sich die Zeit mit Floris Starkmuth, der ihm seine

Verse vortrug. Pierre und Louis schienen sich im Gesindehaus der
Vorburg ziemlich wohlzufühlen. Jedenfalls gab es schon nach zwei
Tagen einen mächtigen Streit mit den männlichen Dienstleuten, der
jedoch dank Louis' starken Fäusten zu deren ungunsten ausging.

Ludger von Ludgershall wurde still in diesen Tagen.
Der Burgherr hatte sich in seiner Kammer eingeschlossen. Nicht

einmal der Abt wurde zu ihm vorgelassen.

In Roland breitete sich Unruhe aus.
Er wußte, was es für die Ludgershaller bedeutete, wenn sie nicht

zur vereinbarten Zeit auf Wolfeneck erschienen. Sie hatten dann ihr
Leben und ihr Lehen verwirkt.

Es war am sechsten Tag ihrer Ankunft auf Ludgershall.
Kein lauter Ton war mehr auf der Burg zu vernehmen. Die

Menschen schlichen einher, als stünde der Weltuntergang bevor.

Roland hatte sich in den Burggarten begeben. Er saß auf der

weichen Erde, mit dem Rücken gegen den Stamm einer Kastanie
gelehnt. Sein Blick galt dem Mond, dessen volle Hälfte auf ihn

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herabschien.

Er wußte, daß am nächsten Tag etwas Entscheidendes geschehen

mußte, wenn der Untergang der Ludgershaller Sippe abgewendet
werden sollte.

Er dachte an Ludgers Worte. Der Burgherr bezweifelte die

redlichen Absichten der Wolfenecker. Roland mochte es zwar nicht
glauben, daß Wulf von Wolfeneck so verwegen war, dem Befehl des
Königs zu trotzen, doch Ludger kannte die düstere Sippe besser.

Es muß einen Weg geben! überlegte Roland verzweifelt.
Ein leises Rascheln war in der Luft.
Im ersten Augenblick dachte Roland, ein Windstoß wäre durch die

Krone der Kastanie gefahren. Doch dann sah er das Weiß eines
Stoffes durch den nahen Rosenbusch schimmern.

Er bewegte sich nicht, um die lauschende Gestalt nicht zu

verschrecken.

Ein Seufzer glitt über seine Lippen, und er fand, daß er ihm gut

gelungen sei.

Wieder raschelte es. Diesmal wußte Roland, daß es der Stoff eines

Kleides war. Die weiße Gestalt hatte sich ihm genähert. Deutlich
waren die Konturen eines schlanken Leibes im blassen Mondlicht zu
erkennen.

Roland bewegte sich nicht.
Er hatte den Hinterkopf gegen den Stamm der Kastanie gelegt und

tat, als sei er in den Anblick des Mondes versunken. Er wagte es
nicht, noch einen Seufzer zum samtenen Nachthimmel
hinaufzuschicken.

Die Gestalt glitt hinter dem Rosenbusch hervor.
Aus den Augenwinkeln sah Roland, wie das engelsgleiche Wesen

zu der Kastanie herüberhuschte, an dessen Stamm er saß.

In diesem Augenblick wünschte er, Volker zu sein. Mit dem

lockenden Klang der Laute und einer sanften Stimme, die
einschmeichelnde Weisen sang, war der Weg zum Herzen einer Frau
nicht weit.

»Dreht Euch nicht um, Ritter Roland!« hauchte eine allerliebste

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Stimme. Das leise Zittern in ihr, das ihn an den Flügelschlag eines
Schmetterlings erinnerte, verursachte ein heftiges Herzklopfen in
Rolands Brust.

»Seid Ihr ein Engel, der vom Himmel schwebte?« fragte er leise

zurück; als würde ein allzu lauter Ton das Himmelswesen
verscheuchen.

»Ich bin die Frau, die durch Euer Kommen in tiefstes Unglück

gestürzt wurde, Ritter Roland. Bitte - dreht Euch nicht um. Mein
Antlitz ist gezeichnet von den unzähligen Tränen, die ich vergoß, seit
ich von der Schmach erfuhr, die der König mir antun will.«

Roland, der sich hatte erheben wollen, lehnte sich wieder an den

Stamm. Er schloß die Augen und lauschte der zarten, unglücklichen
Stimme, deren Klang sein Herz zu durchbohren schien.

»Sagt nichts, Ritter Roland«, fuhr sie fort. »Ich kenne alle Worte,

die Ihr mir sagen könntet. Mein Vater und der Abt haben meinen
armen Kopf voll davon gestopft. Ich weiß, daß der König die
Ludgershaller mit dem Tode bestrafen wird, wenn ich das Opfer
nicht bringe. Lange habe ich wachgelegen, wie auch in den Nächten
zuvor. Ich war so bereit für das Leben, für die Liebe zu einem Ritter,
der mein Herz erobert. Deshalb fällt es mir so schwer, auf dieses
Leben zu verzichten. Doch ich weiß, daß mir keine andere Wahl
bleibt. Weigere ich mich, werde ich mit meiner Familie sterben.
Stimme ich jedoch zu, so sterbe ich nur allein.«

Roland stützte sich am Stamm ab und erhob sich langsam.
Er wartete auf Libussas Stimme. Daß sie ihm befahl, sich nicht

umzudrehen. Doch sie schwieg. Und so wandte er sich langsam um,
und der Blick seiner blauen Augen erfaßte die holde Gestalt der
jungen Frau.

Roland meinte, der Herzschlag müsse ihm aussetzen. Der Atem

stockte ihm vor der Schönheit Libussas. Sie war wirklich ein Engel.

Blondes Haar, in das Perlen geflochten waren, fiel ihr wie

Silberfäden in leichten Wellen auf die Schultern. Ihre Haut war wie
Milch und Honig. Große Augen blickten ihn mit einem Ausdruck der
unendlichen Trauer an. Ihre fein geschwungenen Lippen erschienen

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ihm wie der ewige Quell der Jugend und Schönheit.

Sie schwiegen.
Ihre Blicke versanken ineinander.
Die Zeit schien für sie beide stillzustehen.
Tränen, die im bleichen Mondlicht wie die Perlen in ihrem Haar

schimmerten, liefen über ihre Wangen. Sie senkte die Lider und den
Kopf.

Ihre Stimme war nur ein Hauch, und die Worte, die sie sprach,

verletzten Roland mehr, als es ein Schwerthieb vermocht hätte.

»Ihr tötet mich jetzt zum zweitenmal, Ritter Roland«, flüsterte sie.

»Ich habe Euch angesehen und weiß, daß Ihr der Ritter seid, dem ich
meine Liebe und mein Leben voller Freude gegeben hätte. Doch Ihr
seid der Mörder meines Herzens und meiner Liebe und meines
Lebens.«

Sie wich zurück, als er die Hände hob und einen Schritt auf sie

zutrat.

»Libussa ...«
»Fügt mir nicht noch mehr Schmerzen zu, als es Euer Anblick

schon getan hat«, sagte sie schluchzend. »Ich werde dem Befehl des
Königs gehorchen, Ritter Roland. Ich werde daran sterben. Sagt
König Artus, daß er mit seinem Befehl nicht nur ein unschuldiges
Mädchen, sondern die Liebe selbst getötet hat!«

Sie drehte sich um und lief davon.
Roland stand bewegungslos da und starrte ihr nach. Es schien ihm,

als würden ihre Füße den Boden nicht berühren. Hatte ihn eine
übernatürliche Erscheinung genarrt?

Er stand noch lange so da, als Libussa schon längst im

Kemenatenbau verschwunden war.

Erst Volkers Stimme brachte ihn wieder zur Besinnung.
»Du siehst aus, als wäre dir der Himmel auf den Kopf gestürzt,

Roland.«

Roland sah den Freund neben dem Küchenbau an der Brustwehr.

Er wußte nicht, wie lange Volker dort schon stand.

»Nicht der Himmel auf den Kopf, doch ein Engel ins Herz«, sagte

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er leise wie zu sich selbst.

»Hast du etwas gesagt?« Volker trat näher.
Roland schüttelte den Kopf.
»Du siehst müde aus, Roland«, sagte Volker, »Morgen werden wir

Ludger zwingen müssen, eine Entscheidung zu treffen.«

»Das tut nicht not, Volker«, erwiderte Roland gepreßt und legte

ihm die Hand auf die Schulter. »Bereite morgen alles für den Abritt
nach Wolfeneck vor.«

Volker blickte Roland sinnend nach, als dieser mit schleppenden

Schritten davonging.

Hatte Roland etwas von einem Engel gesagt, oder hatte er sich da

verhört? Ich werde ihn morgen danach fragen, wenn er sich endlich
mal wieder ausgeschlafen hat, sagte er sich.

*

Libussa von Ludgershall konnte die Tränenflut nicht mehr
zurückhalten, als sie die Stufen zu ihrer Kemenate hinaufeilte.

Ihr Innerstes war aufgewühlt. Ein nie gekanntes Gefühl hatte ihre

Brust zu zersprengen gedroht, als ihr Blick in den Ritter Rolands
getaucht war. Sie hatte ihn hassen wollen - ihn, der ihr den Tod
gebracht hatte. Doch sie wußte, daß sie Roland niemals hassen
konnte.

Ein tiefes Schluchzen ließ sie erzittern. Sie erschrak vor einem

Schatten, den die blakende Fackel in der Wandhalterung gegen die
Mauer des Kemenatenganges warf.

Ein leiser Schrei drang über ihre blutleeren Lippen, als sie eine

Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie wandte ihren Kopf, und ihr
Entsetzen wich.

»Leona!« hauchte sie. »Hast du mich erschreckt!«
Das Gesicht ihrer Schwägerin war ernst. Libussa kannte es nicht

anders, seit sie Lienhart, ihren Bruder und Leonas Gemahl, mit dem
Pfeil eines Meuchelmörders im Rücken im Schwarztann aufgefunden
hatten.

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»Ich habe dich beobachtet, wie du mit Ritter Roland im Burggarten

sprachst, Libussa«, sagte Leona sanft. »Ist dir aufgefallen, wie sehr
er Lienhart ähnlich ist?«

Libussa preßte die Lippen aufeinander und nickte.
Ahnte Leona etwas von ihren Gefühlen, die wie ein Sturm über sie

gekommen waren?

Zum erstenmal seit Lienharts Tod sah sie ein Lächeln auf Leonas

schönem Gesicht. Doch es verschwand schnell wieder.

»Ich kann deine Gefühle verstehen, Libussa«, sagte sie leise.

»Vielleicht kannst du jetzt ermessen, was dein Bruder Lienhart mir
bedeutet hat.«

Libussa nickte heftig. Sie spürte, daß Leona etwas auf dem Herzen

hatte.

»Ich muß mit dir reden, Libussa«, flüsterte Leona. »Komm in

meine Kemenate.«

Libussa folgte ihr, ohne zu zögern.
Ein Leuchter mit vier Kerzen erhellte den kargen Raum, in dem

Leona seit Lienharts Tod lebte. Ihre gemeinsamen Räume hatte sie
nie wieder betreten.

Leona drückte Libussa auf ihr Lager nieder und setzte sich neben

sie.

»Lieblingsschwester meines Gemahls«, sagte sie sanft. »Es tut mir

weh, dich so sehr leiden zu sehen. Lange habe ich überlegt, wie ich
dir helfen kann, der Schmach zu entgehen, die der König dir
auferlegt hat. Mein Leben hat seinen Sinn verloren, seit ich Lienhart,
meinen Gemahl, durch die Hand eines Meuchelmörders verlor. Doch
dein Leben, liebe Libussa, sollte erst seinen Anfang nehmen. Noch
hast du die süßen Früchte der Liebe nicht einmal genossen und sollst
Weib eines Mannes werden, der einem Wildschwein ähnlicher ist
denn einem menschlichen Wesen.«

Libussa lehnte ihren Kopf an die Schulter der Schwägerin und

begann wieder leise zu weinen.

»Niemand kann mir helfen, Leona«, flüsterte sie, »auch du nicht.

Wir werden alle sterben, und unser Name wird auf ewig verflucht

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sein, wenn ich mich dem Befehl des Königs widersetze.«

»Ich werde dir helfen, Libussa!« erwiderte Leona fest.
Libussa blickte auf. Sie sah die Entschlossenheit auf Leonas Zügen

und schüttelte langsam den Kopf.

»Nein, Leona«, hauchte sie. »Ich kann es nicht zulassen, daß du

dich für mich opferst. Ewig würde dein Blut an meinen Händen sein.
Nein, ich werde dein Opfer nicht annehmen.«

Leona glitt vom Lager und kniete sich vor Libussa hin. Ihre Hände

umspannten Libussas Arme, daß es schmerzte.

»Liebste Libussa, ich will dir kein Opfer bringen! Du sollst mir die

Gelegenheit geben, meine unendliche Trauer zu beenden!«

Ein harter Schimmer war auf einmal in Leonas dunklen Augen.

Libussa erschrak vor dem Ausdruck in Leonas Gesicht, das seine
Schönheit verloren zu haben schien.

»Mein Herz schreit nach Rache, Libussa!« stieß Leona hervor.

»Ich kenne den Mörder Lienharts, meines Gemahls! Ich sah ihn oft
im Traum wie er den Pfeil abschoß, der Lienhart, und zugleich mich
tötete! Es ist Walram von Wolfeneck, der Teufel, der dich zur Frau
nehmen soll!«

»Nein!« hauchte Libussa. Ihr drohten die Sinne zu schwinden.
»Ich weiß es so sicher, wie ich nicht ohne Lienhart leben kann!«

sagte Leona heftig. »Laß mich an deine Stelle treten, Libussa, damit
ich meine Rache vollenden und den Mörder meines Gemahls
bestrafen kann!«

Libussa brachte kein Wort hervor. Aus weit aufgerissenen Augen

starrte sie ihre Schwägerin an.

»Du willst...« Sie brachte die Worte nicht über ihre zitternden

Lippen.

Leona nickte.
»Ich will deinen Platz einnehmen, Libussa, und Walram von

Wolfeneck die Hand zur Vermählung reichen. Ich will mit ihm das
Hochzeitslager teilen, und dann werde ich ihn töten!«

Libussa erschrak vor dem Haß und der Härte in Leonas Stimme.

Sie spürte erst jetzt, wie sehr Leonas Seele durch den Tod Lienharts

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verwundet worden war.

»Aber Walram wird dich nicht heiraten wollen«, flüsterte sie.
»Nein«, erwiderte Leona kalt auflachend. »Er soll denken, daß er

die jungfräuliche Libussa ins Hochzeitsgemach führt! Eine
verschleierte Libussa, die ihm ihre Schönheit erst auf dem
Hochzeitslager offenbart. Und wenn er erkennt, daß der Teufel ihm
einen Streich gespielt hat, wird ihm die Klinge meines Messers ins
Herz fahren!«

Leonas Lachen erschreckte Libussa.
»Sprich den Namen des Gehörnten nicht aus, Leona!« flüsterte sie

entsetzt. »Bete zur Mutter Gottes, daß sie dich von deinem unseligen
Haß befreit und einer Seele wieder Ruhe schenkt, damit der Herr sie
dereinst in Gnaden aufnehmen kann!«

»Libussa!« rief Leona. »Laß mich der Rächer meines Gemahls sein

und dein junges Leben schützen!«

»Nein, Leona«, flüsterte Libussa. »Nichts kann mich retten. Wenn

Walram von Wolfeneck durch die Klinge einer von Ludgershall
stirbt, so verwirkt sie gleichzeitig das Leben ihrer Sippe. Ich kann
und darf dir nicht zuwillen sein, Leona. Den bitteren Kelch hat der
Herr mir zugedacht!«

Sie wand sich aus Leonas Griff und stürzte aus der Kemenate. Wie

von Furien gehetzt, hastete sie den Gang entlang, schlug den Riegel
ihrer Kemenate hinter sich zu und warf sich aufweinend auf ihr
Lager.

Leona aber hockte wie zu Stein erstarrt immer noch vor ihrer

Lagerstatt und spürte, wie der Haß und der Wunsch nach Rache sie
zu zerfressen drohte.

*

»Verzeiht, Volker«, sagte Liebtraut von Ludgershall, »Eure Verse
und Euer Gesang würde uns zu anderer Zeit sicher sehr erfreuen.
Doch jetzt steht uns nicht der Sinn danach.«

Volker vom Hohentwiel ließ den letzten Akkord seiner Laute

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verklingen und verneigte sich vor der schönen Frau, die die Vierzig
bereits überschritten hatte und dennoch den Liebreiz eines jungen
Mädchens ausstrahlte.

Seit dem Morgen waren sie unterwegs. Wieder hatte Volker

dumpfe Beklemmungen gespürt, als sie den Weg durch den
Schwarztann eingeschlagen hatten. Das düstere Dämmerlicht des
Waldes hatte den Wunsch in ihm geweckt, die Beklemmung mit den
Tönen seiner Laute und mit seinem Gesang zu verscheuchen.

Er hängte seine Laute hinter sich an den Sattel seines Pferdes und

ließ seinen Blick über die Reisegesellschaft gleiten.

Die Mienen der Damen waren düster.
Zu gern hätte Volker sie mit seinen Liedern aufgemuntert, aber zu

ernst und traurig war der Anlaß, der sie zu dieser Reise gezwungen
hatte.

Volker vom Hohentwiel war am Morgen, als er die Damen von

Ludgershall zum erstenmal aus allernächster Nähe hatte betrachten
können, in einen Taumel der Begeisterung gefallen. Soviel Liebreiz,
soviel edle Schönheit und Anmut hatte er noch nie bei vier Frauen
zugleich gesehen.

Keine konnte die andere übertreffen. Jede von ihnen hatte eine

Eigenart, die sie von der anderen unterschied, aber Volker mochte
sich nicht entscheiden, wem er sein erstes Lied widmen sollte.

Liebtraut, die Gemahlin Ludgers, war eine Gestalt von adligem

Stolz und fast überirdischer Schönheit.

Leona, die Witwe Lienharts, Ludgers älterem Sohn, beeindruckte

ihn durch ihr trauriges Wesen, das ihn mitleiden und ihren Kummer
fast körperlich spüren ließ. Sie war vielleicht die schönste aller
Frauen. Ihr ovales Gesicht mit der geraden Nase und den vollen
Lippen schien vor allem Floris Starkmuth immer wieder
sehnsüchtige Seufzer zu entlocken.

Libussa, die ältere von Ludgers Töchtern, hatte ihr blondes Haar

und ihr hübsches Gesicht, das von Tränenspuren gezeichnet war,
unter einem dunklen Tuch verborgen. Volker hatte nur kurz einen
Blick ihrer großen blauen Augen erhascht, mit dem sie Roland

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nachgeschaut hatte, als dieser mit seinen Knappen und Lothar von
Ludgershall vorausgeritten war, um den Weg zu erkunden und
Wegelagerern rechtzeitig kundzutun, daß bei dieser Karawane nichts
als blutige Nasen zu holen waren.

Volker dachte an den wischenden Schatten, den er zu sehen

geglaubt hatte, als er Roland vor zwei Tagen im nächtlichen
Burggarten aufgespürt hatte.

War es vielleicht Libussa gewesen?
Volker hatte nicht gewagt, Roland danach zu fragen, denn von

diesem Abend an war der Freund wie verwandelt gewesen. Er schien
seine Fröhlichkeit verloren zu haben.

Volker betrachtete voller Freude Luitberga, Libussas um ein Jahr

jüngere Schwester. Das jungfräuliche Mädchen, dessen Wangen sich
bei Volkers Anblick jedesmal heftig röteten, schien Mühe zu haben,
den Ernst des Augenblicks auf ihren hübschen Zügen sichtbar
werden zu lassen. Oft gruben sich ihre kleinen, perlweißen Zähne in
die blutrote Unterlippe, wenn sie sich eines kecken Blicks auf den
Reiter neben sich bewußt wurde.

Grübchen zierten ihre Wangen. Der Blick ihrer dunkelblauen

Augen spiegelte ihren jugendlichen Übermut wider.

Volker fühlte sich zu dem Wesen hingezogen. Und erst, als er

daran dachte, wie sehr es ihn treffen würde, wäre Luitberga als Braut
für den Bären Walram auserwählt, erfaßte auch ihn ein tiefer
Kummer, der ihn in Schweigen versinken ließ.

Ludger von Ludgershall ritt vor den Frauen. Johannes von

Kirchheim, der Zisterzienser-Abt, hielt sich auf seinem Tier, das eine
Mischung aus einem Esel und einem Drachen zu sein schien, neben
ihm und betete einen Rosenkranz nach dem anderen. Wahrscheinlich
flehte er den Herrn an, ihm einen Krug kühlen Weins
herbeizuzaubern.

Floris Starkmuth, der neben der Zofe Rigunthe ritt, ließ Leona

nicht einen Moment aus den Augen. Wie ein Schlafwandler saß er im
Sattel seines Pferdes und entging oftmals nur knapp
herunterhängenden Ästen.

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Reinhardt und Berchthold, Ludgers Knappen, hielten sich am Ende

des Trosses. Ihre Gesichter waren verschlossen. Volker konnte sich
manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß die Treue zu ihrem
Herrn nicht stark genug war, ihn in den Tod nach Wolfeneck zu
begleiten.

Sie tuschelten dann und wann miteinander, und die Blicke, die

daraufhin Ludger und auch Volker trafen, waren alles andere als
freundlich.

Volker entschloß sich, noch mehr Augenmerk auf sie zu legen,

wenn sie sich am morgigen Tag Burg Wolfeneck näherten.

Ludger von Ludgershall hatte seinen Rappen gezügelt.
Sein Sohn Lothar war ihm entgegen geritten und berichtete seinem

Vater, daß Roland einen geeigneten Lagerplatz für die Nacht
ausfindig gemacht hätte.

Volker lenkte sein Pferd an die Spitze des Trosses. Er sah, daß

Lothar sehr aufgeregt war.

Mit sich überschlagenden Worten schilderte er eine alte

Köhlerhütte, in der sich ein Wurzelweib niedergelassen hatte, die
nach seiner Ansicht mit dem Teufel im Bunde stand.

Sein Vater gebot ihm Schweigen, damit die Frauen nicht noch

mehr als .ohnehin schon geängstigt würden.

»Führe uns, Lothar«, sagte er ernst. »Deine Mutter und deine

Schwestern sind müde vom langen Ritt.«

Lothar wendete sein Pferd und preschte voraus. Er schien es nicht

erwarten zu können, seinem Vater das Wurzelweib zu zeigen.

Volker konnte ein schmales Lächeln nicht verbergen.
Er kannte Roland und wußte, daß der Freund mit einer

Unbefangenheit sondergleichen mit Wesen umging, die im Gerüche
standen, Magie zu treiben.

Eines Tages wird ihn eine Hexe in einen Frosch verwandeln, ehe er

Quark sagen kann, dachte Volker.

Nach einer halben Stunde sahen sie Licht durch die dichtstehenden

Tannen schimmern. Eine breite Lichtung tat sich vor ihnen auf. Aus
dem Dach eines mit Borke gedeckten Köhlerhauses stieg Rauch.

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Volker sah Pierre und Louis abseits auf Baumstümpfen sitzen und

mit skeptischen Gesichtern zu der Hütte hinüberstarren.

Der schwarze Schimmel Rolands tänzelte erregt und warf immer

wieder den Kopf hoch. Ihm schien es auch nicht zu gefallen, daß sein
Herr sich in der Köhlerhütte aufhielt.

Der Hufschlag und das Klirren der Rüstungen hatte Roland

hervorgelockt.

Volker sah, wie eine gebeugte alte Frau neben ihn trat. Ein

verrunzeltes, mit Warzen bedecktes Gesicht starrte die Ankömmlinge
an.

Ein Schauer lief Volker über den Rücken.
Lothar hatte recht. Wenn das keine Hexe war, dann hatte Volker

noch nie in seinem Leben eine gesehen!

*

Roland floh der Schlaf.

Er blickte von der Köhlerhütte zu dem Zelt hinüber, in dem die

Damen und die Zofe Rigunthe untergebracht waren. Die Männer
hatten ein leichtes Feldlager aufgeschlagen und schliefen im Freien,
da es nicht regnete. Das Schnarchen des Zisterzienser-Abtes erfüllte
die Lichtung und hatte die Stimmen der Nachttiere zum Schweigen
gebracht.

Der Anblick der unglücklichen Libussa schnitt ihm ins Herz.
Er hatte ihre Nähe gesucht, als der Troß bei der Köhlerhütte eintraf

und die Knappen damit beschäftigt waren, das Zelt zu errichten, doch
sie war ihm ausgewichen.

Die anderen Frauen hatten sich um sie bemüht. Auch ihre

Stimmung war sehr niedergedrückt. Nur die junge Luitberga konnte
ihr Interesse an Volker nicht verbergen.

Volker hatte ihm zugeflüstert, daß er den Knappen Ludgers nicht

traue. Doch sie schliefen in der Nähe des Zeltes. Wahrscheinlich
täuschte sich Volker. Daß die Burschen Angst hatten, auf Wolfeneck
ihr Leben zu lassen, durfte man ihnen nicht übelnehmen.

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Roland hörte ein leises Geräusch neben sich.
Er drehte den Kopf und erkannte die Alte, die allen anderen

unheimlich erschien. Volker hatte behauptet, daß die alte Beringa
eine Hexe sei.

Roland hatte in seiner Jugend viele von diesen Waldfrauen

kennengelernt, die mit ihren Kräutern Wunden heilen konnten und
oftmals das zweite Gesicht besaßen und Geschehnisse voraussahen.

Sie kicherte leise und beugte sich zu ihm hinab.
»Euer Herz ist entflammt, Ritter Roland«, sagte sie. »Ich sehe zwei

Drachen, die sich in Eurer Seele bekämpfen.«

Roland blickte auf.
Die Alte hatte ihn durchschaut.
Ja, er spürte den Zwiespalt, der in ihm tobte, deutlich. Dort war

sein Treueschwur als Ritter seinem König gegenüber, und hier das
junge Leben einer liebreizenden Frau, das geopfert werden sollte, um
einen Frieden zwischen zwei Familien zu stiften, der niemals halten
würde.

»Kannst du mir helfen, Beringa?« fragte 'er leise. »Weißt du, was

die Zukunft mir und dem armen Geschöpf bringt, das seine Liebe
und sein Leben opfern muß für seine Sippe?«

»Über allem liegt ein Tuch, das mit Blut getränkt ist«, sagte die

Stimme Beringas, die aus dem Jenseits zu kommen schien. »Hütet
Euch vor den weißen Dolchen über dem Wasser, Roland!«

Er starrte die Alte an. Ihr Blick war weit entrückt.
Was hatten ihre Worte zu bedeuten?
Er sprang auf und rüttelte sie an den Schultern.
»Beringa!« flüsterte er. »Wird Libussa ihr Leben lassen müssen?«
Es schien, als erwache die Alte aus einer Trance. Sie blickte

Roland mit ihren kleinen Augen an. Er sah kleine Feuer darin tanzen.

»Ein Leben ist nicht das andere«, erwiderte sie.
Roland schüttelte sie heftiger.
»Wessen Blut hast du gesehen, Alte?« stieß er hervor. »Sag es

mir!«

»Mein Blick ist trübe, Ritter Roland«, erwiderte sie. Müdigkeit war

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auf einmal in ihrer Stimme. »Laßt mich gehen.«

»Sag mir, was du mit den weißen Dolchen über dem Wasser

gemeint hast, Alte!« zischte Roland.

Sie antwortete nicht. Der lodernde Blick ihrer kleinen Augen ließ

ihn zurückschrecken. Seine Hände gaben ihren hageren Körper frei.
Er trat einen Schritt von ihr fort.

Wortlos drehte sie sich um und verschwand in der Köhlerhütte.
Roland hörte sie rumoren, und nach einer Weile trat sie wieder

heraus, ein Bündel an einem Stecken über der Schulter. Ohne Roland
noch einen Blick zu schenken, ging sie mit gebeugtem Rücken
davon.

Er beobachtete ihre krumme Gestalt, bis sie die mondbeschienene

Lichtung verlassen hatte und im dunklen Tann untergetaucht war.

Rolands Kopf ruckte herum, als er ein leises Geräusch neben sich

hörte.

Volker stand dort, ein breites Grinsen im Gesicht.
»Hast du ihr einen unsittlichen Antrag unterbreitet, daß sie. so

hastig Reißaus nimmt?«

Roland blieb ernst.
Ihm war es nicht entgangen, daß die Richtung, die Beringa

eingeschlagen hatte, von Burg Wolfeneck wegführte.

»Sie hat Blut gesehen, Volker«, sagte er gepreßt.
Volker lachte leise.
»Du glaubst dem Geschwätz einer alten Hexe? Der Name des

Königs wird Wulf von Wolfeneck erschauern lassen, und wenn nicht,
werden unsere Schwerter ihn an sein heiliges Gelöbnis erinnern!«

Roland nickte, aber er vermochte nicht, die Worte Beringas

abzuschütteln.

*

Roland spürte den heftigen Schlag an seinem Schild. Doch er ließ
sich nicht ablenken. Die Spitze seiner Lanze glitt haarscharf am
Halsschutz Walrams von Wolfeneck vorbei. Ihre Schilde klirrten

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gegeneinander, als Samum auf gleicher Höhe mit dem Braunen
Walrams war.

Roland hörte das Aufstöhnen auf der kleinen Tribüne, die vor dem

Palast im Innenhof von Burg Wolfeneck errichtet worden war.

Ein kurzer Blick hinüber zeigte ihm das Erschrecken der Damen.
Roland wendete Samum. Der schwarze Schimmel schnaubte vor

Angriffsfreude, und Roland mußte ihn zurückhalten, damit er nicht
gleich wieder losstürmte.

Walram von Wolfeneck war ein ausgezeichneter Kämpfer. Roland

hatte dem schwerfällig erschienenden, gedrungenen Mann diese
Reitfertigkeit nicht zugetraut. Zum zweitenmal hatte er es nicht
geschafft, ihm mit seiner Lanze aus dem Sattel zu stoßen.

Fanfaren schmetterten.
Wulf von Wolfeneck schrie etwas, das Roland unter seinem

buschbewehrten Helm nicht verstand. Er sah, wie der Kampfrichter
die Fahne schwenkte, und ein leises Wort genügte, um Samum
anspringen zu lassen.

Durch das Visier sah er Walram von Wolfeneck auf seinem

Braunen jenseits der Barriere heranpreschen. Er spürte, daß es dem
Sohn Wulfs um mehr ging als einen Sieg in diesem Turnier.

Der haßerfüllte Blick Walrams verfolgte ihn, seit sie auf

Wolfeneck eingetroffen waren.

Wulf, sein Vater, hatte die Zeit bis zum Eintreffen der

Ludgershaller trefflich genutzt. Die Burg erstrahlte förmlich in
neuem Glanz. Die Düsterheit, die Roland und Volker bei ihrem
ersten Besuch vor zehn Tagen angefallen hatten, schien wie von
einem Zauberbesen hinweggefegt zu sein.

Das Gesinde war ordentlich gekleidet und sauber gewesen. Die

Männer hatten sich die Bärte geschnitten, und selbst Walram hatte
nicht mehr gestunken wie ein Wildschwein.

Der Empfang durch die Wolfenecker war laut gewesen. Zu laut für

Roland, der Ludgers Worte und die Weissagungen Beringas nicht
vergessen konnte.

Volker hatte ihn einen Narren geschimpft, der überall Unheil

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witterte. Der Sänger schien in Weda von Wolfeneck eine neue
Verehrerin gefunden zu haben, was ihm manch bösen Blick der
Ludgershaller Damen eingebracht hatte.

Libussa war still geworden.
Sie ging nur noch verschleiert, seit Walram sie einmal gesehen

hatte. Die schnaufenden Töne des gedrungenen Mannes, der ihr
Gemahl werden sollte, hatten ihr kalte Schauer durch den Leib
gejagt. Von Luitberga, die ihre Fröhlichkeit ebenfalls verloren zu
haben schien, wußte Roland, daß Libussa bereit war, sich zu töten,
bevor Walram ihren nackten Leib berühren konnte.

Roland wußte nicht, ob Walram etwas von den Blicken gespürt

hatte, mit denen er in unbeobachteten Momenten von Libussa
bedacht worden war.

Fast schien es so.
Denn Walram von Wolfeneck wollte Roland töten.
Der wilde Schrei, den sein Gegner in der schwarzen Rüstung

ausstieß, war voller Wut.

Roland hatte zweimal nach dem Halsschutz Walrams gezielt, aber

der Wolfenecker war jedesmal seiner Lanzenspitze geschickt
ausgewichen.

Diesmal wollte Roland versuchen, Walram unterhalb des Schildes

zu treffen.

Das Donnern der Hufe dröhnte in Rolands Ohren.
Durch den Schlitz seines Visiers sah er Walram heranpreschen.
Die Lanzenspitze des Wolfeneckers, dessen Helm ein Wolfschädel

mit aufgerissenem Rachen schmückte, hob sich langsam an. Roland
wußte, was Walram vorhatte. Er neigte sich leicht vor.

Im letzten Augenblick vor dem Zusammenprall senkte er selbst

seine Lanzenspitze.

Dann ging ein starker Ruck durch seinen rechten Arm.
Die Lanze Walrams glitt klirrend an seinem hochgerissenen Schild

ab. Gleichzeitig war das Bersten von Holz zu hören, in das sich der
wütende Schrei Walrams mischte.

Das heftige Scheppern von Blech sagte Roland schon, bevor er

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sich umgedreht hatte, daß sein Angriff diesmal erfolgreich gewesen
war.

Er hatte Walram von Wolfeneck mit der Lanze aus dem Sattel

gestoßen.

Samum war kaum zu halten. Er schnaubte stark und tänzelte erregt.
Roland zog den schwarzen Schimmel herum und klappte sein

Visier hoch. Er warf nur einen kurzen Blick zur kleinen Tribüne
hinüber, wo Wulf von Wolfeneck aufgesprungen war und mit
hochrotem Kopf auf seinen Sprößling starrte, der alle viere von sich
gestreckt im Sande des Innenhofes lag und benommen den Kopf
schüttelte.

Die Fanfaren schmetterten.
Der Kampfrichter rief Roland als Sieger aus und kündigte mit

Volker vom Hohentwiel und Werinher von Wolfeneck die beiden
nächsten Gegner an.

Louis war an Samums Seite, als Roland den Hengst zu den Zelten

neben dem Bergfried gelenkt hatte.

»Ihr seid mit Euren Gedanken nicht bei der Sache, Herr«,

murmelte der Knappe. »Seit wann braucht ihr drei Lanzenstiche, um
einen Kartoffelsack aus dem Sattel zu stoßen?«

Pierre, der Volker vom Hohentwiel bei diesem Turnier als Knappe

diente, trat heran. Sein breites Gesicht war zu einem Grinsen
verzogen. Er reichte Roland ein Tuch, das aus hauchdünnem Stoff
bestand.

»Die Herrin von Wolfeneck hat sich Euch zum Ritter erwählt«,

sagte er.

Pierre und Louis starrten sich an und zuckten mit den Schultern,

als Roland das Tuch achtlos einsteckte. Sie folgten seinem Blick
hinüber zur Tribüne, und ihnen entging nicht das leichte Nicken der
verschleierten Libussa.

Nicht weit von ihnen entfernt torkelte der benommene Walram,

gestützt von zwei Knappen, auf sein Zelt zu. Er hatte den Helm
abgenommen. Das schwarze Haar hing ihm verschwitzt und wirr ins
Gesicht. Der Blick, mit dem er Roland bedachte, war erfüllt von

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Mißgunst und Haß.

»Nehmt Euch vor seinem Dolch in acht!« flüsterte Louis. »Er

würde Euch auf der Stelle töten, wenn sein Vater es erlaubte!«

»Er würde es versuchen«, gab Roland kalt zurück. »Hab ein Auge

auf ihn, Louis. Und achtet auf Volker, der glaubt, daß Wulf von
Wolfeneck ein treuer Diener König Artus' ist.«

Sie hörten den pochenden Hufschlag, als Volker und Werinher ihre

Pferde antrieben.

Werinher von Wolfeneck war mit seinen 22 Jahren ein

unerfahrener Kämpfer. Für den erfahrenen Volker war der
ungestüme Jüngling kein ernstzunehmender Gegner. Schon mit dem
ersten Lanzenstoß hob er ihn aus dem Sattel. Die Spitze hatte seinen
Halsschutz getroffen und ihm den Helm vom Kopf gerissen.

Die Damen auf der Tribüne schrien auf, als sie sahen, daß

Werinhers linke Wange auf einmal blutüberströmt war. Der Junge
wurde von zwei Knappen hochgerissen. Er war benommen, und als
er das Blut an seiner Rüstung hinuntertropfen sah, schrie er auf.

Wulf von Wolfeneck war aufgesprungen und hechtete mit einem

Satz über die Barriere vor der Tribüne.

Im ersten Augenblick erschien es Roland, als wolle er seinem

jüngsten Sohn zu Hilfe eilen, doch dann drehte er sich zur Tribüne
um und forderte mit lauter Stimme Ludger von Ludgershall zum
Zweikampf mit dem Schwerte.

Werinher taumelte an Roland vorbei, die Wunde in seinem Gesicht

war nicht gefährlich. Die Haut war aufgeplatzt, und wenn der
Feldscher die Blutung zum Stillstand brachte, würde dem jungen
Ritter nichts geschehen.

Volker hatte sein Pferd zu Roland herüber gelenkt. Vor lauter

Erregung hatte der Kampfrichter vergessen, ihn zum Sieger zu
erklären.

Roland sah Volkers Blick und wußte, was der Freund damit sagen

wollte. Aber es gab keine Möglichkeit für Ludger von Ludgershall,
der Herausforderung Wulfs von Wolfeneck auszuweichen.

Ludger dachte auch nicht daran.

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Stolz erhob er sich, und nachdem er sich vor seiner Gemahlin

verneigt hatte, schwang er sich ebenfalls über die Barriere und blieb
vor Wulf stehen, der ihm grimmig entgegenstarrte.

Wulf schien wie von Sinnen. Die Niederlagen seiner Söhne hatten

ihn schwer getroffen. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit, mit dem er
sich umgab, hatte einen starken Dämpfer erlitten.

Unbeweglich blieben die beiden Männer voreinander stehen.
Die Knappen eilten herbei, um ihnen die Kettenhemden anzulegen

und ihnen die Schwerter und Schilde zu reichen.

Roland trat vor.
»Ich werde Kampfrichter sein im Namen des Königs«, sagte er mit

seiner klaren Stimme, die über den Innenhof der Burg hallte. »Der
Kampf geht, bis einer der Kämpfer zu Boden gezwungen wird. Hütet
Euch, Euren Gegner zu töten, denn dann wird der Zorn des Königs
den Sieger treffen!«

Zorn blinkte ihm aus Wulfs schwarzen Augen entgegen.
Dann wurden den Rittern die Helme aufgesetzt.
Roland gab das Zeichen.
Die Schwerter klirrten gegeneinander, und von einem Augenblick

zum anderen war ein wilder Kampf entbrannt, wie Roland ihn nicht
erwartet hatte.

Wulf von Wolfeneck hatte die Statur eines Bären. Dennoch war er

gewandt und leichtfüßig wie eine Wildkatze. Seine Bewegungen
schienen etwas eckig, doch sie unterstrichen nur die unbändige Kraft,
die in seinen muskulösen Oberarmen steckte.

Ludgers Streiche wurden nicht mit der Wildheit geführt wie die

Wulfs, doch sie waren genauer placiert. Mit fast tänzelnden
Fußbewegungen ließ Ludger seinen ungestümen Gegner immer
wieder ins Leere laufen oder die Schwerthiebe von seinem Schild
abprallen.

Dann griff er selbst überfallartig an und brachte Wulf in arge

Bedrängnis.

Das Klirren der Waffen wurde heftiger. Ludger wich jetzt nicht

mehr zurück, sondern bot Wulf Paroli.

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Roland achtete darauf, daß sich keiner der beiden einen

unerlaubten Vorteil erschlich. Sein Gesicht war unbeweglich, doch
hinter seiner Stirn wurde seine Besorgnis größer, daß Ludger der ur-
wüchsigen Kraft Wulfs auf die Dauer nicht gewachsen war.

Vielleicht mochte Ludger sich das selbst gesagt haben.
Anders konnte Roland sich seine Angriffswut nicht erklären, die er

plötzlich entwickelte. Wahrscheinlich suchte Ludger von Ludgershall
eine schnelle Entscheidung, bevor die größere Kraft Wulfs den
Ausschlag geben konnte.

Wulf begann zu taumeln. Die Schwerthiebe, die links und rechts

auf seinen Schild niederprasselten, waren wie ein Trommelwirbel.
Wulf selbst kam eine ganze Weile nicht mehr dazu, einen
Schwertstreich zu führen. Er war voll damit beschäftigt, die Hiebe
Ludgers abzuwehren.

Doch Ludgers Kraft reichte nicht ewig.
Die Hiebe wurden langsamer geführt und hatten schließlich nicht

mehr die Wucht, um einen Gegner wie Wulf aus dem Gleichgewicht
zu bringen.

Plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, erfolgte ein Hieb

Wulfs, der Ludgers Schild spaltete.

Ludger taumelte zurück, ging aber nicht zu Boden. Er schleuderte

den Rest des Schildes von sich und stellte sich wieder zum Kampf.

Roland durfte nicht eingreifen.
Ludger hätte den Zweikampf verloren geben können, nachdem er

seinen Schild verloren hatte, aber er wollte weiterkämpfen.

Ein röhrendes Lachen hallte über den Burghof.
Die Ludgershaller Frauen waren bleich geworden vor Schreck.

Liebtraut, Ludgers Gemahlin, hatte eine Hand entsetzt vor das
Gesicht geschlagen, und Luitberga konnte einen spitzen Schrei nicht
zurückhalten.

Wulf von Wolfeneck dachte nicht daran, seinen Schild ebenfalls

sinken zu lassen, damit die Gleichheit des Kampfes wiederhergestellt
war.

»Euer Tanz ist lahm geworden, Ludger!« brüllte er. »Ihr müßt

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Euch schon ein wenig schneller bewegen, wenn Ihr meiner Klinge
entgehen wollt. Gebt lieber auf, Ludger, und geht vor mir in die
Knie!«

Ludger war bleich geworden.
Nach diesen Worten war ihm eine Aufgabe unmöglich gemacht

worden.

Wulfs Schwert zischte durch die Luft.
Ludger wich nicht.
Die Klingen hieben klirrend gegeneinander, und Wulfs dunkles

Gesicht verzerrte sich vor Wut, als er bemerkte, daß Ludger von
Ludgershall noch lange nicht am Ende war.

»Springt, Ludger!« zischte Wulf unter seinem Helm. Sein Schwert

pfiff in einem Halbkreis auf Ludgers Beine zu.

Doch er hatte rechtzeitig die Absicht Wulfs durchschaut und war

zurückgetreten. Sein Schwert fiel herab. Die Klinge stand der Waffe
Wulfs plötzlich im Wege.

Wulf spürte die Erschütterung bis in sein Schultergelenk. Er wollte

das Schwert hochreißen, doch in diesem Moment hatte Ludger
bereits wieder reagiert.

Der Knauf von Ludgers Schwert sauste auf Wulfs Helm zu.
Wulf schrie auf.
Ihm blieb keine andere Wahl, als sein eigenes Schwert fahren zu

lassen, wenn er nicht getroffen werden wollte.

Wild sprang er zurück. Sein Schwert klirrte zu Boden! Der Knauf

Ludgers zischte an seinem Helm vorbei. Wulf hieb mit dem Schild
nach seinem Gegner und traf ihn am Helm.

Ludger taumelte zurück. Der Schlag war heftig gewesen. Ein

Dröhnen erfüllte seine Ohren. Er sah rote Kreise vor seinen Augen
tanzen.

Zurück! dachte er noch und krallte die rechte Hand um sein

Schwert, damit es ihm nicht entfiel.

Wulfs Schild donnerte gegen seine Seite und trieb ihn weiter auf

die Tribüne zu.

Die Frauen waren aufgesprungen. Liebtrauts helle Stimme forderte

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Roland auf, dem Kampf ein Ende zu bereiten, doch noch war
niemand von den Kämpfenden zu Boden gegangen. Das allein oder
die Aufgabe eines der beiden Kämpfer hätte ihn berechtigt, das Ende
des Zweikampfes anzuzeigen.

Ludger stürzte, als Wulfs Schild ihm ein drittes Mal mit voller

Wucht gegen den Leib gestoßen wurde!

Aber er ging nicht zu Boden!
Wulfs Hieb hatte ihn gegen die Barriere befördert, die den

Kampfplatz von der Tribüne trennte.

Es gab ein dumpfes Geräusch. Die Planken zitterten von der Wucht

des Aufpralls.

Wulf warf sich mit einem röhrenden Schrei vorwärts.
Das Bersten von Holz erfüllte die Luft.
Ludger hatte sich im letzten Augenblick zur Seite werfen können.

Das Schwert glitt ihm dabei aus der Hand.

Wulf hatte mit seinem Schild die Plankenwand der Barriere

zertrümmert. Der Schild verfing sich in den zersplitterten Planken.
Wild zerrte er daran, doch es dauerte ein paar Lidschläge, bis er ihn
wieder befreit hatte.

Die Zeit hatte Ludger gereicht, um seine Sinne wiederzufinden und

sein Schwert vom Boden aufzuheben. Mit ein paar Schritten war er
zwischen Wulf und dessen Schwert, das auf dem Kampfplatz
gleißend in der Sonne lag.

Wulf atmete schwer. Er hatte den Kopf etwas vorgereckt. Der

Wolfskopf, den auch er auf dem Helm trug, sah aus, als wolle er
nach Ludger schnappen.

Dann begann Wulf, sich langsam zu bewegen. Er schlich um

Ludger herum, doch der folgte seinen Bewegungen und achtete
darauf, daß der Wolfenecker sich seinem im Sand liegenden Schwert
nicht nähern konnte.

Wulf war auf einen Angriff Ludgers gefaßt. Als der Gegner

vorsprang und die Klinge durch die Luft sausen ließ, tat er, als wolle
er zurückweichen, doch dann stürzte er sich vor. Der Schild hielt
Ludgers Schwert auf und ließ es seitlich abgleiten. Wulfs rechter Fuß

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schnellte hoch. Die Spitze traf Ludgers rechtes Bein und riß es ihm
unter dem Leib weg. Mit einem wilden Gebrüll rannte Wulf gegen
seinen Feind an und stieß ihn mit Macht zu Boden.

Sofort wandte er sich ab und rannte zu seinem Schwert hinüber, riß

es vom Boden hoch und drehte sich um. Er war bereit, den
Zweikampf fortzusetzen.

Ludger hatte sich überschlagen, stand aber bereits wieder auf den

Beinen.

»Der Kampf ist beendet!« rief Roland. »Ich erkläre Wulf von

Wolfeneck zum Sieger, denn er hat Ludger zu Boden gestoßen!«

Ludger stand starr.
Wulf riß sich seinen Helm vom Schädel und warf Roland einen

wütenden Blick zu. Ja, er hatte siegen wollen, aber nicht gegen einen
Ludger, der unverletzt auf seinen eigenen Beinen stand! Er hatte ihn
in seinem Blut liegen sehen wollen!

Johannes von Kirchheim, der Zisterzienser-Abt, eilte mit

wehendem Rock herbei.

»Genug des Kampfes und des Blutvergießens!« rief er. »Bedenket,

daß wir im Namen des Herrn zwei junge Leute dem heiligen Bund
der Ehe zuführen wollen! Beendet das barbarische Schauspiel, ihr
Väter der ungeduldigen Kinder, die sich dem Spruch König Artus'
beugen wollen!«

Wulf starrte Ludger böse an, als dieser seinen Helm vom Kopf

nahm.

Ludgers klare blaue Augen blickten voller Stolz. Er hatte diese

Niederlage nicht als solche hingenommen. Er wußte, daß Roland den
Kampf nur beendet hatte, um ein Blutvergießen im Keime zu
ersticken. Denn auch er, Ludger von Ludgershall, war mit dem
Willen in diesen Kampf gegangen, seinen Gegner zu töten.

Wulf wandte sich mit dröhnendem Lachen ab.
»So laßt uns zur Hochzeit schreiten!« rief er. »Ihr habt gehört, was

der Pfaffe gesagt hat: Die Kinder können es nicht mehr erwarten, das
Lager miteinander zu teilen!«

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*

Die Zeremonie war schnell vorüber gewesen.

Walram hatte Johannes von Kirchheim, der die Trauung

vorgenommen hatte, ein paarmal grob unterbrochen und ihm gesagt,
er solle sich gefälligst beeilen, er hätte mächtigen Hunger.

Libussa stand schmächtig und gebeugt neben ihm. Ihr Gesicht war

verschleiert.

Die anderen Frauen hatten versteinerte Gesichter. Liebtraut,

Ludgers Gemahlin und Libussas Mutter war der Schmerz, den sie
empfand, von den Augen abzulesen. Luitberga hielt ihre Tränen nicht
zurück. Nur Leonas Gesicht zeigte keine Regung. Immer wieder
streiften ihre kalten, glitzernden Blicke Walram, den Bräutigam.

Roland hätte am liebsten mit seinem Schwert

dazwischengeschlagen. Die grobe, unritterliche Art der Wolfenecker
stieß ihn ab. Er hoffte, daß dieses unselige Schauspiel bald ein Ende
haben möge.

Er wollte fort von hier, wollte die Wolfenecker und Ludgershaller

vergessen

- und damit seine Ohnmacht, Libussa in ihrer

Verzweiflung nicht helfen zu können.

Die Halle von Burg Wolfeneck war mit Hunderten Kerzen erhellt.

Gedeckte Tische, blitzendes Geschirr und bunt gekleidete
Bedienstete ließen das düstere Gemäuer freundlich erscheinen.

Es gab keine geladenen Gäste. Außer den Ludgershallern hatten an

den gedeckten Tischen ein Dutzend Männer Platz genommen, die
sich in ihrer vornehmen Kleidung sichtlich unwohl fühlten.

Roland betrachtete sie voller Mißtrauen.
Der Troß der Ludgershaller war nicht sehr groß, aber mit Roland

und Volker und Rolands beiden Knappen doch von einer
Kampfkraft, die die der Wolfenecker übertraf. Das hatte Wulf beim
Turnier feststellen müssen.

Metkrüge kreisten.
Roland trank wenig.
Volker und der Abt langten jedoch schon kräftig zu, bevor die

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Speisen aufgetragen wurden.

An einem breiten Tisch, über den ein Baldachin aus rotem Stoff

gespannt worden war, saßen das Brautpaar sowie Ludger neben
seiner Tochter Libussa und Wulf neben seinem Sohn Walram.

Wulf führte lautstark die Unterhaltung, das hieß, er sprach

ausschließlich mit seinem Sohn über die Jagd.

Der Tisch mit den Frauen stand abseits.
Weda, Wulfs Gemahlin, fühlte sich nicht recht wohl inmitten der

schweigenden, ernsten Frauen von Ludgershall. Sie hatte ein paarmal
versucht, mit Liebtraut ein Gespräch zu beginnen, aber schließlich
hatte sie es aufgegeben.

Nun beschäftigte sie sich damit, den beiden Rittern an der

gegenüberliegenden Tafel heimliche Blicke zuzuwerfen.

Dort saßen neben Volker und Roland der Bruder Wulfs, Wirnt, und

Werinher, der einen Verband im Gesicht trug, ansonsten jedoch
schon wieder guter Dinge war. Auch der Zisterzienser-Abt hatte
seinen Platz an dieser Tafel.

Zwei lange Tafeln waren im vorderen Teil der Halle aufgestellt.

An ihr hatten die Knappen Platz genommen. Am zweiten Tisch
saßen die Zofen und einige hübsche Mägde, die dazu ausersehen
waren, den fremden Knappen Gesellschaft zu leisten.

Louis schien einige Schwierigkeiten zu haben. Roland wußte, daß

er auf Ludgershall der Zofe Rigunthe ziemlich heftig den Hof
gemacht hatte. Jetzt warf er mehr als einmal einem anderen jungen
Ding feurige Blicke zu, was Rigunthe gar nicht zu gefallen schien.

Floris Starkmuth, der am Knappentisch saß, hatte nur Augen für

Leona, die unbeweglich auf ihrem Stuhl saß und kaum einen Blick
von Walram ließ.

Von einem kleinen Balkon über dem seitlichen Tor der Halle

erschollen Fanfaren.

Bedienstete erschienen in langer Reihe.
Auf großen Tellern und Schüsseln wurden Speisen hereingetragen.
Wulf von Wolfeneck hatte sich nicht lumpen lassen.
Vier Männer trugen ein Tablett herein, auf dem sich ein halbes

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Jungschwein befand, das mit einem halben Kapaun zusammengenäht
worden war.

»Laßt es Euch schmecken, verehrte Damen und Ritter!« grölte

Wulf und langte selbst als erster zu. »Mehr Met!« brüllte er mit
vollem Mund. »Schenkt die Krüge nach!«

Wulfs Männer am Knappentisch verloren allmählich ihre

Hemmungen. Sie rissen sich gegenseitig die Leckerbissen von den
Tellern und dachten nicht daran, die bereitliegenden Messer zu
benutzen, um das Fleisch zu teilen.

Wulf mußte neuerdings einen Koch beschäftigen. Bei Rolands und

Volkers letztem Besuch auf Wolfeneck war der Fraß nicht zu
genießen gewesen, den Wulf ihnen vorgesetzt hatte, doch jetzt
kitzelte jede einzelne Speise die Gaumen.

Der in Wein gekochte umgestülpte Aal, die Lerchenpasteten, der

gebratene Karpfen und die Schmalzmilch hatte Roland auf Camelot
nicht besser zubereitet gefunden.

»Musik!« brüllte Wulf.
Volker erhob sich. Er wankte bereits etwas. Roland warf dem

Freund einen warnenden Blick zu, doch der schien nichts zu
bemerken und nach seiner Laute zu suchen.

»Setzt Euch hin und sauft, Ritter Volker!« rief Wulf. »Euer

Gesäusel verdirbt mir nur den Appetit. Ich liebe Musik ohne störende
Verse!«

Volker ließ sich beleidigt in seinen Stuhl zurückfallen. Paß auf,

Grobian! dachte er zornig, daß ich dir meine Laute nicht um die
Ohren schlage. Vielleicht ist das der Takt, den du liebst!

Vier Musiker erschienen mit Fiedeln, Flöten und Schalmeien. Sie

schafften es, ein Höllenspektakel zu machen. Eine Melodie war nicht
herauszuhören. Jeder schien das zu spielen, was ihm gerade gefiel.

Roland waren die Blicke der Herrin von Wolfeneck nicht

entgangen. Es war auch schwerlich möglich, denn Weda ließ nur zu
offensichtlich erkennen, daß sie sich gern mit Roland zurückgezogen
hätte.

Roland bemerkte die Unruhe, die in Wirnt von Wolfeneck

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gefahren war, seit Weda ihre Anstrengungen verdoppelt hatte, den
Ritter auf sich aufmerksam zu machen.

Der Lärm an den Tischen der Knappen und Zofen artete langsam

in eine Orgie aus.

Rigunthe hatte sich aus Rache für Louis' Interesse an der Zofe

Wedas auf ein Gerangel mit einem Knappen aus Wolfeneck
eingelassen.

Ein Ellenbogenstoß, der dem Kerl den Atem nahm, beendete die

Romanze vorerst. Louis entschuldigte sich sofort für die ungestüme
Bewegung, und der Knappe akzeptierte sie, weil auch er schon voll
des Mets war.

Wulf hielt es nicht mehr an seiner Tafel aus. Rülpsend erhob er

sich und torkelte auf die Tafel der Damen zu, die bis auf Weda kaum
eine Speise angerührt hatten.

»Ihr Ludgershaller seid ein fades Volk«, stieß er hervor und rülpste

herzhaft. »Was sagst du, Weda? Amüsierst du dich bei ihnen?«

Roland hatte sich von seinem Platz erhoben.
»Ritter Wulf!« rief er. »Tut Euch keinen Zwang an, wenn es Euch

beliebt, Euch wie ein Schwein aufzuführen, doch wenn Eure
mettrunkene Zunge noch einmal eine Dame in dieser Halle beleidigt,
werdet Ihr meinen Handschuh an Eurer Wange spüren!«

Wulf drehte sich schwankend um. Sein Gesicht war zorngerötet. Er

tat sehr trunken, doch Roland ließ sich nicht täuschen. Wulfs
schwarze Augen glitzerten kalt.

»Verzeiht mir, Ritter Roland«, sagte er und rülpste. »Ich wollte die

Damen nur ein wenig aufmuntern.«

Er wartete Rolands Antwort nicht ab, sondern torkelte weiter auf

den Zofentisch zu. Die Mädchen kreischten, als er sich zwischen sie
auf die Bank fallen ließ und nach ihren Brüsten und Hintern griff.

Wedas Blick wurde für einen Augenblick dunkel, als sie sah, wie

er Salme, ihre Zofe, betatschte, doch dann ruckte ihr Kopf herum,
und ihr feuriger Blick traf Roland.

Walram hatte sich ebenfalls erhoben und wollte es seinem Vater

nachtun, doch die brüllende Stimme Wulfs ließ ihn erstarren.

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»Du ungehobelter Klotz!« brüllte der Alte. »Wirst du bei deiner

Braut bleiben und ihr artige Worte ins Ohr flüstern! Wehe dir, wenn
ich eine Beschwerde über dein lausiges Benehmen höre!«

Wütend ließ Walram sich auf seinen Stuhl zurückfallen. Ein

schiefer Seitenblick traf seine Braut, die den ganzen Tag noch kein
Wort gesagt hatte. Am liebsten hätte er ihr den Schleier vom
hübschen Gesicht gerissen, aber er ahnte, daß er darunter Tränen
sehen würde. Und nichts störte ihn mehr als Weibertränen.

Dennoch spürte er Begierde nach dieser Frau.
Sie wollte ihn nicht. Wahrscheinlich verabscheute sie ihn sogar.

Aber das stachelte seine Begierde nur noch mehr an. Er würde ihr
zeigen, was ein richtiger Mann war, und bald hatte sie vergessen, daß
es einen anderen als Walram gab, dessen war er sich sicher.

Die Musik wurde lauter und schriller.
Bedienstete begannen, die Tafeln abzuräumen. Dazwischen

tauchten die ersten Gaukler auf, die Kunststücke vorführten.

Wulf bemerkte nicht viel davon. Er war von der Bank gerutscht

und lag mit Salme unter dem Tisch. Das weiße Linnen, mit dem die
Tafel bedeckt war, verbarg sie vor den Blicken der anderen.

Es war ein dichtes Gewimmel zwischen den einzelnen Tafeln.
Roland sah sich nach Volker um, der schmollend einen weiteren

Krug Met leerte. Johannes von Kirchheim hatte einen Bediensteten
am Arm gepackt und ließ sich hinausführen.

An der Tür stand Weda von Wolfeneck. Sie warf Roland einen

schmachtenden Blick zu und zwinkerte mit einem Auge. Dann war
sie seinen Blicken entschwunden.

Roland dachte nicht daran, ihrer Einladung Folge zu leisten. Immer

wieder streifte sein Blick Libussa, die das verkörperte Unglück war.
Ludger hatte ihre Hand in die seine genommen, um ihr Trost zu
spenden.

Sie wird ihren Plan, sich selbst den Tod zu geben, hoffentlich nicht

in die Tat umsetzen, dachte Roland verzweifelt. Er wußte, daß er sich
ewig schuldig fühlen würde, wenn dieses engelsgleiche Geschöpf
sich selbst entseelte und damit dem ewigen Fegefeuer anheimfiel.

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Ein Arm streifte ihn. Er blickte sich um und sah, wie Wirnt von

Wolfeneck sich erhob und wankend zur Tür ging, als hätte er vor,
sich zu erleichtern.

Roland kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er wußte, daß er Wulf

von Wolfeneck im Auge behalten mußte. Denn ohne den Befehl des
Burgherren würde in dieser Halle nichts geschehen.

Roland dachte an die Weissagungen der alten Beringa.
Sie hatte ein mit Blut beflecktes Tuch gesehen.
>Hüte dich vor den weißen Dolchen über dem Wasser !< Was

konnte sie damit gemeint haben?

Roland spürte die Gefahr, die ihn umgab, fast körperlich.
Er faßte nach Volkers Schulter und rüttelte den Freund.
»Hör auf zu trinken, Volker!« zischte er eindringlich. »Wulf selbst

hat nicht viel getrunken. Wir müssen auf der Hut sein!«

»Ich werde dem Banausen meine Laute um die Ohren schlagen«,

erwiderte Volker mit schwerer Zunge. »Vielleicht liebt er diesen
Trommelschlag.«

Roland riß ihm den Krug aus der Hand, den er gerade an den Mund

hatte setzen wollen.

Überrascht blickte Volker auf.
Erst jetzt schien er zu bemerken, daß Roland es ernst meinte.
Er kriegte einen Schluckauf.
»Gut«, sagte er, »hupp - ich gehe mal an die frische Luft, dann

werde ich wieder einen klaren Kopf haben.«

Roland bezweifelte es, aber es war immerhin besser, als wenn

Volker an der Tafel sitzen blieb und in Versuchung geriet, noch mehr
Met in sich hineinzuschütten.

Volker verschwand gerade nach draußen, als Walram sich erhob

und mit lauter Stimme Gehör verschaffte.

»Es ist Zeit für das Brautlager!« rief er. »Ihr Frauen, nehmt euch

meiner Gemahlin an und führt sie mir in mein Gemach!«

Er torkelte etwas, als er sich ab wandte und Libussa nicht einmal

einen Blick schenkte.

Walram verstellte sich nicht, dessen war Roland sicher. Der

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Bräutigam hatte Unmengen von Met in sich hineingeschüttet, und
auch jetzt nahm er sich noch einen großen Krug mit, den ein
Bediensteter gerade hereintrug.

Die Frauen hatten sich erhoben.
Ludger reichte Libussas Hand an seine Gemahlin weiter. Sein

Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Der Blick seiner blauen Augen
war voller Abscheu, als er zur Zofentafel hinüberschaute, hinter dem
Wulfs wirrer Lockenkopf auftauchte.

Wulf lachte brüllend und verschwand wieder unter dem Tisch.
»Hier, Salme!« war sein Keuchen zu vernehmen. »Hier kitzelt es

am schönsten!«

Die Frauen führten Libussa hinaus, um sie fürs Brautgemach

vorzubereiten.

Ein Tuch, mit Blut getränkt, dachte Roland. Hatte die alte Hexe

sich getäuscht?

*

Weda von Wolfeneck drückte sich in eine Nische, als sie Wirnt
hastig den Gang heraufkommen sah. Zorn trat in ihre Augen. Der Tor
verdarb ihr die ganze Freude, die sie sich erhofft hatte.

Mit ein paar Schritten war sie aus der Nische und in der Mitte des

Ganges.

Wirnt blieb überrascht stehen.
»Willst du die anderen allein weiterfeiern lassen, Schwager

Wirnt?« fragte sie böse.

»So wie du, Schwägerin Weda«, erwiderte Wirnt mit einem breiten

Grinsen. »Ich dachte, daß die Gelegenheit günstig sei, unser Gefecht
von vor zehn Tagen fortzusetzen, das mein Bruder unterbrochen
hatte.«

»Du hattest Gelegenheit genug dazu!« fauchte sie. »Aber deine

Furcht vor deinem Bruder war offensichtlich größer als dein
Begehren nach mir!«

»Weda, ich ...«

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»Geh mir aus den Augen!« zischte sie.
Er legte den Kopf schief.
»Du hast den ganzen Tag den Rittern schöne Augen gemacht«,

erwiderte er wütend. »Du hoffst wohl, daß Roland dir folgt und du
dich mit ihm auf deinem Lager vergnügen kannst, während Wulf sich
wie ein Schwein mit den Mägden unter dem Tisch wälzt!«

»Geh!« zischte sie. Auf einmal hielt sie einen Dolch in der Hand,

und Wirnt wich erschrocken zurück.

»Ich könnte meinem Bruder verraten, daß du einen zweiten

Schlüssel für deinen Keuschheitsgürtel hast!« drohte er.

Sie lachte leise.
»Dann wird er von mir erfahren, für wen ich meinen Gürtel bisher

geöffnet habe, lieber Schwager! Spürst du nicht schon das Schwert in
deinem Nacken?«

Wirnt wurde blaß. Weda hatte recht.
Sie selbst würde vielleicht Prügel beziehen, ihn aber würde Wulf

auf der Stelle töten, wenn er von ihrem Zusammensein erfuhr.

Er drehte sich heftig herum und lief den Gang zurück. Er hörte

Schritte, die aus dem Vorraum der Halle kamen, und glitt durch eine
Tür. Drei Bedienstete waren damit beschäftigt, Met aus Fässern in
Krüge zu füllen. Sie starrten Wirnt an, doch er gab ihnen mit einer
kurzen Handbewegung zu verstehen, daß sie schweigen sollten.

Durch den Spalt sah er einen der Ritter den Gang hinaufwanken.
Es war Volker, der Sänger.
Wirnt war überrascht. Hatte Weda ihr Auge nicht auf Roland

geworfen, der den bärenstarken Walram beim Turnier besiegt hatte?

Er wartete, bis Volker vorbei war, dann huschte er wieder hinaus

und folgte ihm so, daß er nicht gesehen wurde.

Wieder wurde Wirnt überrascht, als Volker nicht den Gang

hinaufging, in dem Weda wartete. Es schien, als wolle der Ritter ins
Freie.

Wirnt wollte sich schon grinsend abwenden, Weda die

Enttäuschung gönnend, die ihr die Abfuhr der beiden Ritter bereiten
würde, als er ihre leise Stimme hörte.

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Volker blieb stehen und blickte den Gang hinauf.
Wirnt drückte sich gegen die Mauer und hielt den Atem an.
Weda trat vor den Ritter.
Und wie sah sie aus!
Sie hatte ihr eng geschnürtes Kleid geöffnet. Wie reife Früchte

sprangen ihre prallen Brüste hervor, die Knospen weit vorstehend
vor Erregung.

Ihre Stimme klang gurrend. Die schmalen Hände glitten über den

Körper des Ritters, und dann zog sie Volker in den Gang hinein.

Wirnt atmete tief. Eine ganze Weile stand er unbeweglich, doch

dann gab er sich einen Ruck und folgte den beiden. Er wollte es
genau wissen.

Er sah noch, wie Weda den Ritter in ihre Kemenate schob und die

Tür hinter sich zuzog.

Wirnt huschte hinüber zu Salmes Kammer. Von dort aus konnte er

über den Mauervorsprung zum Fenster von Wedas Kemenate
gelangen. Er dachte über das was er tat, nicht nach. Zu sehr wühlte
der Zorn in ihm, daß Weda ihn verschmähte.

*

Volker war überrascht gewesen, als Weda von Wolfeneck plötzlich
vor ihm stand und ihre Brüste präsentierte wie zwei Äpfel auf dem
Tablett.

Er versuchte, etwas Ordnung in seine vom Met benebelten

Gedanken zu bringen, doch er war noch nicht damit fertig, als er sich
schon in Wedas Kemenate befand und ihre fleißigen Hände damit
begannen, ihn zu entkleiden.

»Im Kampf wart Ihr eifriger als in der Minne«, flüsterte sie mit vor

Erregung heiserer Stimme. »Ich hoffe, Ihr führt bei mir eine ebenso
treffliche Lanze wie beim Turnier, Volker.«

Sie hatte es schon vergessen, daß sie eigentlich Roland erwartet

hatte. Auch Volker war eine willkommene Abwechslung. Sie hatte
den Ritter, dessentwegen sie den Keuschheitsgürtel tragen mußte,

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noch nicht vergessen.

Da Volker seine Gedanken nicht in die richtige Reihenfolge

bringen konnte, gab er es schließlich auf und begann, sich um das zu
kümmern, was ihm so offenherzig angeboten wurde.

Weda begann zu kichern, als sie Volkers erfahrenen Hände unter

ihrem Kleid spürte.

Doch auf einmal zuckte er zusammen.
Seine Finger lösten die Verschnürung ihrer Röcke und ließen sie

zu Boden gleiten. Überrascht starrte er auf den Keuschheitsgürtel,
der ihren schmalen Schoß umspannte.

»Zur Hölle!« stieß er hervor. »Ihr treibt einen Scherz mit einem

verliebten Ritter!«

Weda stieß ihn lachend auf ihr Lager, als er sich erheben wollte.

Sie wälzte sich zu dem kleinen Schränkchen hin, der neben dem
Lager stand, und holte einen Schlüssel aus der Schublade.

Volker verstand gar nichts mehr.
»Weshalb zwängt Euer Gemahl euch in dieses Eisen, wenn er Euch

gleichzeitig den Schlüssel dazu gibt?«

»Einfältiger!« rief sie. »Er hat seinen Schlüssel - aber ich habe

meinen!«

Volker lachte leise.
»Jeder hat seinen Schlüssel«, sagte er mit schwerer Zunge. »Dann

beeilt Euch, Weda, damit ich Euch meinen Schlüssel ins Schloß
führen kann.«

Sie spürte die Lust, die ihren Körper erschauern ließ. Der

Keuschheitsgürtel klirrte laut, als er auf den steinernen Boden fiel.
Aber das hörte Weda schon nicht mehr. Sie bog ihren Leib unter den
schmeichelnden Händen des Ritters und suchte erregt nach dem
Schlüssel, der ihr die Pforten zur Glückseligkeit erschließen sollte.

Sie hatte ihn gerade gefunden und war bemüht, ihn an die richtige

Stelle zu führen, als Volker über ihr zusammenzuckte.

Er hatte ein Geräusch gehört, das draußen vor dem Fenster

gewesen sein mußte.

»Was ist, Liebster?« rief Weda. Sie ließ ihn nicht los, und es

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bereitete ihm einige Mühe und Schmerzen, sich aus ihrem festen
Griff zu befreien.

Dann hastete er, nackt wie Gott ihn geschaffen hatte, zum Fenster.
Er beugte sich hinaus und erkannte die Gestalt, die Mühe hatte, auf

dem schmalen Mauervorsprung das Gleichgewicht zu halten.

Volker griff blitzschnell zu und kriegte Wirnt an seinem Wams zu

fassen. Der Wolfenecker schrie unterdrückt auf. Er versuchte, sich an
der Außenmauer festzukrallen, doch er fand kaum Halt, so daß er
Volkers Kraft nichts entgegenzusetzen hatte.

Wütend zerrte Volker den Schwager Wulfs durch das Fenster in

die Kemenate. Als er sich umdrehte, hatte Weda ihren
Keuschheitsgürtel bereits wieder umgelegt. Ihr hübsches Gesicht war
mit dunkler Röte übergössen.

Volker erkannte sofort, daß es nicht von der Scham herrührte, von

zwei Männern zugleich nackt gesehen zu werden. Es war Wut. Wut
auf die Unterbrechung und Wut auf den Störenfried.

Volker stieß Wirnt zu Boden.
»Du Hundsfott!« sagte Volker heftig. »Ich sollte dir mit meinem

Schwert beibringen, daß die Kemenate einer Dame heilig ist!«

Wedas Gesicht wurde plötzlich blaß.
Jetzt hörte auch Volker den Lärm auf dem Gang, der sich schnell

näherte.

»Rasch, Volker!« hauchte sie. »Kleidet Euch an und verschwindet

durch das Fenster! Haltet Euch nach links. Das nächste Fenster führt
in die Kammer meiner Zofe. Von dort aus könnt Ihr wieder hinunter
in die Halle gelangen!«

Volker ließ sich das nicht zweimal sagen. Er raffte seine Sachen

zusammen und versuchte, seine wirbelnden Gedanken in die richtige
Reihenfolge zu bringen.

Was würde mit Wirnt geschehen? Würde er seinem Bruder Wulf

von seinen Beobachtungen berichten? Wie konnte sich Weda
herauswinden aus dieser heiklen Lage?

Er stolperte zum Fenster hinüber.
Erst einmal mußte er aus Wedas Kemenate verschwinden. Solange

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Wulf ihn nicht bei seiner Gemahlin erwischte, würde ihm immer
noch eine Ausrede einfallen.

Er kletterte durch die Öffnung. Hinter sich vernahm er ein heftiges

Schnaufen.

Als seine Füße Halt auf dem schmalen Mauervorsprung fanden,

warf er noch einen schnellen Blick zurück in die Kemenate. Er
glaubte, seinen Augen nicht zu trauen.

Weda und Wirnt lagen in enger Umklammerung auf dem Boden.

Wirnt versuchte immer wieder, sich von seiner halbnackten
Schwägerin zu befreien, aber Weda kämpfte wie eine Löwin und ließ
ihn nicht aus ihren Klauen.

Eine tiefe Stimme dröhnte draußen auf dem Gang. Es war

zweifelsfrei Wulfs Organ.

Volker mochte nicht länger warten. Er tastete sich an der Mauer

entlang. Als er einen kurzen Blick in die Tiefe warf, wurde ihm fast
schwindlig. Er mußte sich eine Weile ganz still verhalten und lehnte
sich eng an die Mauer.

Er hörte, wie die Tür zu Wedas Kemenate heftig aufgestoßen

wurde. Hastig tastete er sich weiter. Er erwartete ein wildes Gebrüll,
aber von Wulf war nichts zu hören. Nur Wirnts schrille Stimme sagte
einige Worte, dann erklang ein seltsamer Laut. Jemand schien zu
Boden zu fallen. Weda schrie auf, dann herrschte Stille.

Volker kroch durch das Fenster in die dunkle Kammer der Zofe.

Hastig kleidete er sich an. Dann faßte er nach dem Riegel der Tür,
hob ihn an und schob sie langsam auf.

Zu seiner Überraschung hielt sich niemand auf dem Gang auf.
Es war still.
Warum brüllte Wulf von Wolfeneck nicht mehr?
Wieso berichtete Wirnt seinem Bruder nicht, was er beobachtet

hatte?

Volker nutzte die Gelegenheit und huschte aus der Kammer. Mit

vorsichtigen Schritten bewegte er sich den Gang entlang. Am
liebsten hätte er in Wedas Kemenate geschaut, was dort vorgefallen
war, doch er wollte das Schicksal nicht herausfordern.

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Ungesehen gelangte er in den Vorraum der Halle.
Lärm scholl ihm entgegen. Die Musiker schienen alle betrunken zu

sein. Die Laute, die sie ihren Instrumenten entlockten, waren
schauerlich und schmerzten Volker in den Ohren.

Am Rundbogeneingang zur Halle blieb er stehen.
Mit einem Blick überschaute er die Halle.
Wulf von Wolfeneck war nicht da.
Die Frauen hatten sich zurückgezogen.
Ludger, Roland, der Abt, Lothar und Floris Starkmuth saßen

ziemlich vereinsamt an ihrer Tafel und beobachteten das Spektakel,
das ein paar Gaukler und die Knappen und Mägde der Wolfenecker
aufführten.

Louis und Pierre hatten sich mit Ludgers beiden Knappen ein

wenig von den anderen abgesondert.

Rolands Blick traf Volker.
Der Sänger begriff auf einmal die Spannung, die in der Halle

herrschte. Der Lärm erschien ihm schrill und unnatürlich. Irgend
etwas lag in der Luft.

Volker spürte, wie die Wirkung des Met langsam in ihm nachließ.

Er ging zu Roland und den anderen hinüber, und als er hinter der
Tafel saß, blickte er überrascht auf die Waffen, die neben Roland und
Ludger auf dem Boden verborgen waren. Auch sein eigenes Schwert
war dabei.

»Hast du Wulf gesehen?« rief ihm Roland leise entgegen.
Volker wollte ihm erzählen, daß sich Wulf in der Kemenate seiner

Gemahlin befand, als ein fürchterlicher Schrei durch Burg
Wolfeneck hallte.

Die Musik setzte schlagartig aus.
Der Lärm der Menschen verstummte abrupt.
Louis, Pierre, Reinhardt und Bechthold lösten sich vom Tisch der

Knappen und traten neben die Tafel Ludgers und Rolands. Die
Knappen Ludgers waren totenbleich im Gesicht.

Jeder in der Halle starrte zu dem Rundbogeneingang.

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*

Roland blickte zu Walram hinüber, der mit blitzendem Schwert in
die Halle stürzte. Mit einer heftigen Bewegung gab der
wildaussehende, schwarzbärtige Wolfenecker der langen Tafel, an
der er vorhin mit seiner Braut gesessen hatte, einen Stoß, daß sie von
ihren hölzernen Böcken stürzte. Teller und Becher klirrten auf den
Boden. Mit wütenden Fußtritten beförderte er sie aus dem Weg.

Sein Schwert wies auf den Rundbogeneingang.
»Seht Euch das an, Ludger von Ludgershall!« brüllte er.
Roland sah, wie Ludger neben ihm erstarrte. Auch er blickte

hinüber.

Wulf von Wolfeneck erschien. Sein Gesicht war verzerrt zu einer

grausamen Fratze. Auf den Armen trug er seinen Bruder Wirnt, und
jeder in der Halle konnte erkennen, daß Wirnt durch einen
Schwerthieb getötet worden war, der ihm den halben Oberkörper
gespalten hatte.

Wulf achtete nicht auf das Blut, das an seiner Kleidung hinablief.

Mit schweren Schritten stampfte er auf die Tafel der Ritter zu und
blieb vier Schritte davor stehen. Langsam ließ er den Leichnam
Wirnts zu Boden gleiten.

Dann erhob er sich wieder. Seine rechte Hand wies anklagend auf

den entseelten Mann.

»So also, Ludger von Ludgershall, achtet Ihr die Befehle unseres

Königs!« rief er, und seine kleinen schwarzen Augen funkelten.

Ludger hatte den Kopf stolz erhoben.
»Ich habe die Halle nicht verlassen, Wulf«, gab er ruhig zurück.

»Ihr wollt doch nicht mich beschuldigen, Euren Bruder getötet zu
haben?«

Wulf von Wolfeneck riß sein Schwert hervor, das er sich

umgebunden hatte. Die blitzende Klinge wies auf Volker vom
Hohentwiel.

»Weda!« rief er. »Meine Gemahlin, erscheint und berichtet, was in

Eurer Kemenate geschah!«

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Roland wandte den Kopf und blickte den Freund an, der ein wenig

Farbe aus dem Gesicht verloren hatte.

»Wulf selbst hat ihn erschlagen!« zischte der Sänger. »Ich ließ

Wirnt lebend in Wedas Kemenate zurück, als Wulf auftauchte!«

Roland starrte Volker an. Die Worte des Sängers waren

verwirrend.

Volker und Wirnt zusammen in der Kemenate der Herrin von

Wolfeneck? Hatten sie zugleich ihr Vergnügen bei der lüsternen
Weda gesucht?

Weda von Wolfeneck erschien im Rundbogen. Ihr Haar war

aufgelöst und zerzaust. Ihr Gesicht bleich und von Tränenspuren
gezeichnet.

Wulf drehte sich heftig nach ihr um, als sie nicht näher trat.
»Habt keine Furcht, Gemahlin!« rief er. »Mein Schwert wird Euch

beschützen!«

Sie trat in die Halle.
Roland entging nicht, daß sie Volkers Blicken auswich. Mit

gesenktem Kopf begann sie, zu berichten. Zuerst waren ihre Worte
kaum zu verstehen. Doch allmählich wurden sie klarer und waren in
der ganzen Halle zu vernehmen.

Roland begriff, was die Stunde geschlagen hatte.
Wulf hatte die Falle zuschnappen lassen!
Er wußte, daß Wedas Worte gelogen waren.
Niemals wäre Volker in ihre Kemenate mit Gewalt eingedrungen,

um sich von ihr zu rauben, was sie nur allzu deutlich den ganzen Tag
über angeboten hatte. Und Wirnt sei ihr zu Hilfe geeilt, um ihre Ehre
zu verteidigen? Der Schwächling Wirnt ging gegen Ritter Volker an?
Und Volkers Schwert lag neben ihm unter dem Stuhl! Mit wessen
Waffe also hätte Volker den Bruder Wulfs getötet?

»Seid auf der Hut, Ludger!« zischte Roland Ludger zu, und sein

warnender Blick traf Louis und Pierre, die begriffen hatten, daß Wulf
von Wolfeneck sein blutiges Spiel aufzuziehen begann.

»Ihr steht für Volkers Taten ein, Ludger von Ludgershall!« rief

Wulf mit dröhnender Stimme. »Ich werde Euch und die Euren

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festsetzen und das Urteil des Königs über die böse Schmach ab-
warten, die Ihr meinem Namen angetan habt!«

Das Klirren von Waffen erfüllte die Halle, als Roland, Volker und

Ludger sich bückten und ihre Schwerter aufhoben.

Die Knappen waren herbeigeeilt. Auch sie hielten plötzlich ihre

Schwerter in den Händen. Floris Starkmuths Augen blitzten Walram
an, der immer noch wie erstarrt neben der umgestürzten Tafel stand.

Johannes von Kirchheim, der Zisterzienser-Abt, hielt eine Pike in

den Händen. Er schien zu wissen, daß sein heiliger Rock ihm in
dieser Burg nichts nützen würde.

Lothar, der sich vordrängen wollte, wurde von seinem Vater

zurückgeschoben.

Roland hob sein Schwert an und wies auf den Toten vor Wulfs

Füßen.

»Das Blut Wirnts wird über Euch kommen, Wulf von Wolfeneck!«

rief er scharf. »Seht Euch Euer Schwert an! Ihr vergaßt, es sorgfältig
zu säubern! Es klebt noch das Blut Eures Bruders daran. Ihr seid ein
Brudermörder, Wulf! Und Ihr versucht, diesen Mord zu nutzen,
indem Ihr die Ludgershaller beschuldigt, daran beteiligt zu sein!«

Wulf von Wolfeneck wich ein paar Schritte zurück. Seine

mächtige Brust hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen. Er
bewegte sich nicht, als Weda, sein Weib, ihre Röcke raffte und wie
von Furien gehetzt aus der Halle stürmte.

»Walram!« brüllte er.
Walram wirbelte herum. Sein Ruf hallte durch die Halle.
Eisen klirrte in den Vorräumen.
Männer mit Kettenhemden, Helmen, Lanzen und Schwertern

erschienen an den Zugängen zum Saal.

Roland erkannte, daß sämtliche Eingänge versperrt waren. Sie

saßen in der Falle.

Ihm fielen die Worte Beringas ein.
Die alte Hexe hatte ein blutgetränktes Tuch gesehen.
Sollte sich ihre Weissagung bewahrheiten?

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*

Sie hatten nur eine Wahl. Sie mußten aus der Halle hinaus und zu
den Gemächern der Frauen. Noch war Wulf nicht auf den Gedanken
verfallen, die Frauen als Geiseln zu nehmen. Wahrscheinlich hatte er
gedacht, die Falle, die er hier unten aufgebaut hatte, würde für
Roland und Volker und die Ludgershaller genügen.

Roland rief Louis und Pierre zu, sich an Ludgers und Lothars Seite

zu stellen.

Zusammen mit Volker sollten sie den Durchbruch am

Rundbogeneingang erzwingen, vor dem Walram sein Schwert
schwang.

Wulf von Wolfeneck warf sich mit einem wilden Schrei vorwärts.
Roland gab der Tafel einen Stoß. Sie rutschte von den Böcken,

Wulf entgegen. Das Schwert des Burgherrn donnerte auf die
Plankentafel und hieb eine tiefe Kerbe hinein.

Reinhardt und Berchthold, Ludgers Knappen, fochten mit den

herandrängenden Männern, die mit ihnen zusammen an der Tafel
gesessen hatten. Sie waren plötzlich alle bewaffnet, und die
Trunkenheit war von ihnen abgefallen, als hätten sie nicht einen
Tropfen Met getrunken.

Die große Halle war erfüllt vom Lärm der kämpfenden Männer.

Immer mehr Soldaten drängten durch die anderen Türen der Halle
herein und stürmten gegen Roland und die beiden Knappen Ludgers
an.

Rolands Schwert trieb Wulf von Wolfeneck zurück.
Der bärenstarke Mann, der den Kampf gegen Ludger bestanden

hatte, mußte erkennen, daß Roland noch ein weitaus besserer Fechter
war. Wulfs Gesicht war gerötet. Er hatte Mühe, der wirbelnden
Klinge des jungen Ritters zu entgehen.

Er brüllte sich die Kehle heiser und hetzte seine Männer auf den

Pulk der Ludgershaller, die sich allmählich den Weg durch den
Rundbogen freikämpften.

Roland hatte keine Mühe, ihnen den Rücken freizuhalten.

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Jedesmal, wenn Wulf vor seinen blitzschnell geführten Schlägen

zurückwich, sprang er Reinhardt oder Berchthold zu Hilfe und jagte
ihre Gegner in kopflose Flucht.

Berchthold ging plötzlich zu Boden.
Roland sah, wie sein Mund aufklaffte. Von den Augen war nur

noch das Weiße zu sehen. In seiner Brust steckte ein kleiner Bolzen,
der von einer Armbrust abgeschossen worden war.

Auch Reinhardt sah den blutigen Fleck auf der Brust seines

Freundes. Wie von Sinnen schrie er auf und stürzte sich den
Angreifern entgegen. Er focht mit dem Mut der Verzweiflung, doch
der Zorn über den Tod Berchtholds ließ ihn unvorsichtig werden.

Roland, der Wulf abermals abwehren mußte, wollte ihm eine

Warnung zurufen, doch in diesem Augenblick stieß einer der
Soldaten dem Knappen eine Lanze in die Seite.

Reinhardt wurde gegen die Mauer der Halle geschleudert. Er warf

sein Schwert mit einem Schrei dem Soldaten entgegen, dessen Lanze
er im Leib hatte. Die Klinge traf den Mann am Hals und tötete ihn
auf der Stelle.

Reinhardt ging zu Boden. Roland sah, wie sein Kopf zur Seite

sackte. Er wußte, daß er jetzt allein auf sich gestellt war.

Schon drängten sie von allen Seiten auf ihn ein.
Wulfs Schwert nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Nur selten konnte er seinen Blick von dem wild fechtenden Herrn
von Wolfeneck nehmen. Er dachte an den Armbrustschützen und
hoffte, daß er es in dem Kampfgetümmel nicht wagte, auf ihn zu
schießen, weil die Gefahr zu groß war, einen Kameraden zu treffen.

»Roland!«
Das war Volkers Stimme gewesen.
Sie hatten den Durchbruch geschafft!
Roland wagte einen plötzlichen Ausfall, der ihm nach allen Seiten

Luft verschaffte. Sofort wich er wieder zurück und rannte zum
Rundbogen hinüber, durch den die Ludgershaller und seine Knappen
verschwunden waren.

Volker wartete auf ihn, und gemeinsam schlugen sie einen

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weiteren Angriff Wulfs und seiner Männer zurück.

»Vorsicht!« brüllte die helle Stimme Lothars über ihnen.
Sie konnten den Knaben nicht sehen, aber Roland ahnte, daß er

sich auf dem kleinen Balkon über dem Rundbogen befand, auf dem
sich während des Speisens die Fanfarenbläser aufgehalten hatten.

»Zurück!« rief Lothar.
Roland und Volker sprangen zurück. Sie hörten das Rasseln einer

Kette. Dicht vor ihnen donnerte ein Eisengitter herab und krachte mit
ohrenbetäubendem Lärm auf den steinernen Fußboden.

Wulf von Wolfeneck schrie vor Zorn auf. Sein Schwert hieb gegen

das Gitter, daß die Funken stoben. Doch dann begriff er, daß die
Ritter ihn hereingelegt hatten.

Brüllend gab er einem Dutzend Männern den Befehl, das Gitter zu

bewachen. Er selbst stürzte mit den anderen durch die Halle, um auf
anderem Wege in den Vorraum zu gelangen, den jetzt die
Ludgershaller besetzt hielten.

Roland fing Lothar auf, als er von der schmalen Steintreppe, die

zum Balkon hinaufführte, heruntersprang. Das Gesicht des Knaben
glühte vor Eifer.

»Gut gemacht, Lothar!« rief Roland und schlug ihm auf die

Schulter. Doch dann hastete er schon weiter.

Walram machte Ludger und Floris Starkmuth ziemlich zu schaffen.

Der Schwarzbart verteidigte mit Löwenmut eine niedrige Tür, die zu
den Frauengemächern führte.

Roland rief Ludger etwas zu, und dieser wich zur Seite, um den

Ritter vorzulassen.

In diesem Augenblick stürzte Floris Starkmuth mit einem wilden

Schrei vor. Walram wich aus, geriet aber ins Stolpern.

Starkmuths Schwert hieb nach dem Fallenden, doch Walram warf

sich zur Seite, riß gleichzeitig das eigene Schwert hoch, dessen
Klinge Floris Starkmuth durchbohrte.

Der Schrei des jungen Sängers brach ab. Sein Schwert klirrte auf

den Steinfußboden.

Roland sprang vor. Sein Schwert hieb nach der blutigen Klinge

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Walrams, die dieser sofort wieder aus Floris Starkmuths Leib
gerissen hatte.

Doch Walram wich geschickt aus.
Rolands Schwert hieb ins Leere.
Dann war der Schwarzbart wieder auf den Beinen. Roland sah, wie

sich seine dunklen Augen weiteten, als er die Ludgershaller und
Volker und die beiden Knappen Rolands durch die schmale Tür
huschen sah.

Er stand mit dem Rücken an der Wand, das Schwert in beiden

Händen und auf Roland gerichtet.

Roland griff ihn nicht an.
»Lauft zu den Gemächern der Frauen, bevor Wulf sie als Geiseln

nehmen kann!« rief er über die Schulter.

Louis und Pierre zögerten, doch Roland befahl ihnen, mit den

anderen zu gehen.

»Ich folge euch!« rief er ihnen nach. Wenn ich mit Walram

abgerechnet habe, dachte er grimmig.

Er sah den Zisterzienser-Abt als letzten um die Biegung des

Ganges verschwinden, dann wandte er das Gesicht Walram zu, der
mit dem Rücken an der Wand zur Seite auswich, als suche er ein
Loch in der Mauer, durch das er verschwinden konnte.

Waffenlärm war hinter Roland. Er schallte aus dem Gang, in den

die Ludgershaller hineingelaufen waren. Offensichtlich wurden sie
schon wieder von Wachen aufgehalten.

Wulf kann noch nicht hier sein, dachte Roland. Er wird Augen

machen, wenn ich seinen Sohn Walram in meiner Hand habe!

Langsam machte er die Bewegungen Walrams mit.
Das Schwert kreiste in seiner Hand.
Walrams schwarze Augen glitzerten tückisch. Hatte der

Schwarzbart noch eine Überraschung für ihn bereit?

Roland wollte den ersten Angriff beginnen, als sich die Wand

hinter Walram von Wolfeneck plötzlich bewegte. Mit einem leisen
Zischen öffnete sich eine schmale Geheimtür, und ehe Roland sein
Schwert vorschnellen lassen konnte, war der Schwarzbart in dem

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dunklen Loch verschwunden.

Roland sah, daß die Tür offenblieb.
Er zögerte nicht lange.
Mit einem Sprung war er an der Mauer und warf sich todesmutig

in das Loch hinein. Walram sollte ihm nicht entgehen!

*

Volker trieb die Schildwachen, die Wulf vor den Gemächern der
Frauen postiert hatte, ohne große Mühe zurück. Ludgers volltönende
Stimme war durch die Eichentüren gedrungen, und als der letzte
Gegner keuchend vor dem wild um sich schlagenden Volker floh,
wurden die Türen geöffnet und die Männer eingelassen.

Hinter ihnen im Gang ertönte Wulf von Wolfenecks Gebrüll.
»Wo bleibt Roland?« rief die helle Stimme Lothars.
Volker wirbelte herum und lief bis zur Ecke des Ganges zurück,

von der aus er zur Treppe blicken konnte.

Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er Louis durch ein

Fenster klettern sah. Er wollte dem Knappen noch etwas zurufen,
doch in diesem Moment tauchte der schwarze Lockenkopf Wulfs
auf.

Der Burgherr brüllte auf, als er Volker erkannte. Er beschleunigte

seine Schritte, aber er vermochte nicht, den Sänger einzuholen.

Volker huschte durch die Tür, die hinter ihm von Pierre und Lothar

zugeschlagen und verriegelt wurde.

Wütende Schwerthiebe hallten von draußen dagegen.
Erst nach einer ganzen Weile verstummte das hämmernde

Krachen.

Wulfs dröhnende Stimme rief: »Ihr sitzt dennoch in der Falle,

Ludger! Nichts kann Euch jetzt mehr vor meiner blutigen Rache
retten!«

»König Artus wird Euch für Euren Frevel strafen, Wulf!« rief

Volker durch die Tür.

Ein dröhnendes Lachen war die einzige Antwort. Schwere Schritte

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entfernten sich. Es war nicht zu hören, ob sich noch jemand draußen
im Gang aufhielt, aber Volker war überzeugt, daß Wulf alle
Fluchtwege versperrt hatte. Und diesmal gründlich. Er würde den
gleichen Fehler nicht ein zweitesmal begehen.

Volker dachte an Roland.
Wo war der Freund geblieben? Wulf hatte nicht ein Wort von ihm

gesagt. Hieß das, daß Roland noch nicht in seiner Hand war?

Und was war mit Louis?
Der Knappe hatte sicher seinen Herrn nicht im Stich lassen wollen.

Volker konnte nur hoffen, daß die beiden nicht ein grausamer Tod
ereilte, wenn sie Wulf in die Fänge gerieten.

Er drehte sich um.
Die Frauen hatten sich um Ludger geschart. Libussa und Luitberga

weinten. Ludger hatte ihnen vom heldenhaften Tod Floris
Starkmuths berichtet.

Leonas Gesicht war immer noch wie eine Maske. Sie hatte

natürlich gespürt, daß der junge Floris seine Verse nur für sie
geschrieben hatte. Aber sie hatte ihm nie Mut gemacht, geduldig in
seinem Werben fortzufahren. Für sie gab es niemals einen Mann
nach Lienhart von Ludgershall.

Johannes von Kirchheim schnaufte wie ein Schlachtroß. Das

Laufen hatte ihn mächtig angestrengt. Immer noch hielt er seine Pike
in den Händen. Die Spitze war rot vom Blut der Männer, die er damit
gestochen hatte.

»Weint nicht, meine Töchter!« stieß er schweratmend hervor. »Der

Herr wird seine schützende Hand über uns legen.«

Libussas verweintes Gesicht hob sich Volker entgegen.
»Habt Ihr Ritter Roland nicht mehr gesehen?« fragte sie mit

ängstlicher Stimme.

Volker schüttelte den Kopf, und mit einem Schluchzen warf sie

sich an die Brust ihres Vaters.

Sie denkt nicht mehr an ihren eigenen Kummer, dachte Volker. Sie

liebt Roland mehr als ihr eigenes Leben!

Doch dann lenkte er seine Gedanken auf Naheliegenderes. Er

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winkte Pierre herbei und sagte: »Wir müssen die Türen befestigen,
Pierre, Wulf wird bald ungeduldig werden und die Türen mit
Axthieben zu sprengen versuchen.«

Pierre nickte, und gemeinsam machten sie sich daran, ihr Vorhaben

in die Tat umzusetzen.

Bis auf das Schluchzen der Frauen war in den Gemächern bald

nichts mehr zu hören. Alle harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Ihre Gedanken waren bei Roland. Was war mit ihm geschehen?
Hatte er sich in Sicherheit bringen können? Würde er Hilfe
herbeiholen, um sie vor den Wolfenecker Mordgesellen zu schützen?

Die Zeit dehnte sich, und mit ihrem Fortgang schwand allmählich

die Hoffnung, daß es für sie noch eine Rettung gab.

*

Roland atmete feuchte Luft ein.

Er sah die Mauern vor sich im Schein einer entfernten Fackel

grünlich glitzern. Er zuckte zusammen, als er hinter sich das leise
Zischen hörte, mit dem die steinerne Tür in ihre alte Lage zurückglitt
und ihn von der Außenwelt abschnitt.

Entschlossen trat er ein paar Schritte in den modrigen Gang vor.
Wo war Walram geblieben?
Der Schwarzbart konnte sich schließlich nicht in Luft aufgelöst

haben.

Von dem kleinen Raum, der sich hinter der Geheimtür befand,

führten drei Gänge in verschiedene Richtungen.

Roland wählte den zur Fackel. Er brauchte Licht. Walram dagegen

kannte sich in diesen unterirdischen Räumen sicher aus.

Ein hämisches Lachen hallte von den Wänden wider.
Roland lauschte, doch diesmal konnte er die Richtung nicht

bestimmen. Sein Schwert schrammte über eine Wand, als er sich
drehte. Es gab ein häßliches Geräusch, das in seinen Ohren
schmerzte.

Er beschleunigte seine Schritte.

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Der Geruch im Gang wurde schlimmer. Es roch nach verfaultem

Wasser und nach den Exkrementen von Tieren. Und dann war da
noch ein Gestank, den Roland nicht definieren konnte. Irgendwo
hatte er ihn schon einmal gerochen, doch sein Erinnerungsvermögen
ließ ihn im Stich.

Dann hatte er die Fackel erreicht.
Das Pech war noch nicht zur Hälfte heruntergebrannt. Sie konnte

also noch nicht lange in der eisernen Halterung stecken.

Von hier aus sah Roland einen Lichtschein am Ende des feucht

glitzernden Ganges. Er eilte darauf zu.

Eine Felshöhle öffnete sich vor ihm. Jedenfalls erschien es ihm so.

Die Wände waren aus unbehauenem Stein, nur der Boden war glatt.
Rundherum in dem ovalen Raum hingen Fackeln an den Wänden, die
nicht länger brannten als diejenige im Gang.

Wieder war das hämische Lachen da.
Roland erkannte Walrams Stimme.
Ein Schatten geisterte über die Felswände, und dann trat aus einem

anderen Gang die gedrungene Gestalt Walram von Wolfenecks.

Das schwarze Haar klebte ihm in Strähnen in der Stirn, als hätte er

unter einem Wasserfall gestanden. Sein schwarzes Kettenhemd
glitzerte von Nässe, und auch von seinem Schwert und seinem Schild
fielen glänzende Wassertropfen zu Boden und zerplatzten dort mit
leisem Geräusch.

Walram lachte und verzog das bärtige Gesicht zu einer haßvollen

Grimasse.

Langsam hob er sein Schwert an.
»Nun, Ritter Roland?« stieß er hervor. »Gefällt Euch dieser Platz

für einen Zweikampf?«

Roland antwortete nicht.
Er spürte, daß Walram ihn in eine Falle gelockt hatte.
Der Gestank war bestialisch geworden und erschwerte ihm das

Atmen. Er drehte langsam den Kopf, denn er wurde das Gefühl nicht
los, daß er mit Walram nicht allein war.

Roland hob sein Schwert an.

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Er wollte es kurz machen.
Walram war nicht der Gegner, der ihm lange Widerstand

entgegensetzen konnte.

Das Grinsen in Walrams Gesicht wurde breiter.
»Habt Ihr das Beinkleid voll, Ritter Roland?« höhnte er. »Oder

gefällt Euch die Luft hier unten nicht?«

»Sie war oben nicht anders, wenn Ihr in meiner Nähe wart,

Walram«, gab Roland bissig zurück. »Und nun stellt Euch! Genug
des Geredes!«

Walram blieb stehen.
»Ich warte auf Euch, Roland!« zischte er. »Kommt her, wenn Ihr

mein Schwert nicht fürchtet!«

Roland hörte den lauernden Ton. Wo war Walrams Falle? Was

hatte sich der Schwarzbart ausgedacht, um ihn zu überlisten?

Rolands Blick glitt über den glatten Boden.
Wollte Walram ihn vielleicht über eine Falltür locken?
Nirgends war etwas zu sehen.
Roland blieb dicht an der Felswand. Im Bogen bewegte er sich

vorsichtig auf Walram zu, der seinen Standort nicht änderte.

Noch fünf Klafter trennten ihn von dem Schwarzbart, als er das

kratzende Geräusch hörte. Der Boden unter seinen Füßen bewegte
sich!

Roland wollte mit einem gewaltigen Satz auf Walram zuspringen,

doch rechtzeitig erkannte er, daß sich der dunkle Spalt im Boden von
dem Schwarzbart zu ihm verbreiterte.

Er wich hastig zurück.
Modrige Fäulnis, klamm und kalt, schlug ihm ins Gesicht.
Dann hatte er wieder festen Boden unter den Füßen.
Der Spalt war drei Klafter breit. Nicht breit genug, um Roland von

Walram zu trennen. Grimmig trat er noch einen Schritt zurück, um
etwas Anlauf zu nehmen.

Plötzlich stellten sich ihm die Haare im Nacken auf.
Irgendein kleines Geräusch war ihm an die Ohren gedrungen. Er

dachte daran, daß Walram sich nicht bewegt, also auch nicht den

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Mechanismus der Falltür ausgelöst haben konnte!

Ein großer Schatten fiel neben ihn.
Roland wirbelte herum.
Sein Schwert beschrieb eine Kreisbahn, aber die Klinge zischte nur

durch die Luft.

Roland sah den Riesen, den Walram schon im Schwarztann bei

sich gehabt hatte.

»Stoß ihn hinein, Lodewik!« brüllte Walram.
Eine lange Stange mit einer ellengroßen hölzernen Platte an der

Spitze schoß auf ihn zu.

Roland riß sein Schwert zurück. Er traf die Platte, doch er konnte

nicht verhindern, daß sie ihn in die Seite traf und ihn zum Straucheln
brachte.

Er konnte nicht ausweichen.
Links von ihm war die Felswand, hinter ihm der dunkle Spalt.
Er glitt aus.
Mit rudernden Armen versuchte er, sein Gleichgewicht zu halten.
Da traf ihn der zweite Stoß.
Roland schrie auf.
Sein linker Fuß trat ins Leere.
Er warf sich herum. Mit dem rechten Fuß stieß er sich von der

Kante des Spaltes ab und hechtete auf die andere Seite zu. Das
Schwert warf er mitten im Fluge Walram entgegen.

Der Schwarzbart brüllte auf und riß seinen Schild hoch. Dennoch

stieß ihn die Wucht des Aufpralls zu Boden.

Rolands Arme knallten auf die gegenüberliegende Kante des

Spaltes. Er rutschte ab. Im letzten Augenblick fanden seine Hände
Halt.

Eisig kroch es seine Beine herauf. Er hatte das Gefühl, als würden

kalte Schlingpflanzen nach ihm tasten und ihn in die Tiefe ziehen.

Das Rasseln und Klirren von Walrams Schild und Schwert erfüllte

die Felshöhle. Der Schwarzbart begann zu brüllen, als er im
Herumwälzen sah, daß Roland noch immer nicht in den Spalt
gestürzt war, Roland spannte die Armmuskeln an. Seine Füße glitten

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von der glitschigen Wand des Spaltes ab. Allein mit der Kraft der
Arme mußte er es schaffen, sich über die Kante zu ziehen.

Walram rappelte sich hoch.
Roland wußte, daß er aus dem Loch hinaus sein mußte, bevor

Walram mit seinem Schwert vor ihm stand.

Mit ungeheurer Kraftanstrengung schaffte er es, sich

hochzuziehen. Er holte ein paar Lidschläge Atem, um die Beine über
die Kante zu schwingen, als ihn der fürchterliche Stoß in den Rücken
traf.

Roland schrie auf.
Seine Hände verloren den Halt. Der kalte Abgrund zog ihn mit

unbarmherziger Macht hinab.

Im Herum wirbeln erkannte Roland, daß Lodewik drohend mit der

langen Stange über ihm stand.

Und dann hörte er nur noch das gellende Lachen Walrams, das

seinen Sturz in die Tiefe begleitete.

*

Libussa schrie leise auf und schlug die Hände vors Gesicht.

Liebtraut von Ludgershall legte den Arm und die Schultern ihrer

Tochter.

»Was ist mit dir, mein Kind?« fragte sie besorgt.
Mit weit aufgerissenen Augen blickte Libussa von einem zum

anderen.

Sie wußte selbst nicht, was sie hatte aufschreien lassen. Etwas

Kaltes war in ihren Körper gedrungen. Der Name des Geliebten hatte
sie durchzuckt, als wenn er in höchster Not nach ihr gerufen hätte.

Roland! War etwas mit ihm geschehen?
Sie schaute zu Boden. Nein, sie konnte den anderen nichts davon

erzählen, was sie in ihrem Innersten gespürt hatte. Tränen quollen
aus ihren Augen. Roland! War er tot? Ermordet von den grausamen
Wolfeneckern, die den Befehl des Königs zur Versöhnung dazu
benutzten, die Ludgershaller auszurotten?

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In Libussa erstarb in diesem Augenblick der Wille zum Leben. Das

kleine Flämmchen, das ihre Liebe zu dem jungen Ritter am Brennen
gehalten hatte, verlosch flackernd.

Sie lehnte ihren Kopf an die Schulter der Mutter, und ihr Gesicht

war bleich wie der Tod.

Volker schnitt es ins Herz, mit ansehen zu müssen, wie die Frauen

von Ludgershall litten. Zorn erfüllte ihn. Seine Hände krampften sich
um den Griff seines Schwertes. Am liebsten wäre er hinausgestürzt,
um sich Wulf zum Kampf zu stellen.

Doch Wulf von Wolfeneck dachte nicht wie ein Ritter. Er war

gemein und hinterhältig.

Volker erinnerte sich der Worte, die Ludger von Ludgershall zu

ihnen gesprochen hatte. Sie hatten ihm nicht geglaubt. Jetzt würden
sie es wahrscheinlich mit dem Leben bezahlen, darauf gedrungen zu
haben, daß der Befehl des Königs ausgeführt wurde.

Die Abwesenheit Rolands beunruhigte ihn.
Hatte Louis es wenigstens geschafft, bis zu seinem Herrn

vorzudringen? Volker hoffte es.

Er wollte sich umdrehen, weil er die Tränen Libussas nicht mehr

mit ansehen konnte, als er die stampfenden Schritte auf dem Gang
vernahm.

Auf einmal war draußen Waffenlärm.
Ein paar Dutzend Schildwachen mußten aufgezogen sein.
Wulfs dröhnende Stimme ließ die Wachen verharren. Das Geklirr

der Rüstungen, Waffen und Schilde verstummte.

Ludger war neben Volker getreten.
Sein Gesicht war wie eine Maske, aber an seinen kalten blauen

Augen erkannte Volker, daß er entschlossen war, bis zum Tode zu
kämpfen.

»Meine Geduld ist erschöpft!« brüllte Wulf, »öffnet die Türen der

Gemächer, Ludger von Ludgershall! Wartet nicht auf Hilfe von
außen! Roland ist tot! Mein Sohn Walram hat ihn im Zweikampf
getötet!«

Libussa schrie auf.

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Volker hieb voller Zorn mit seinem Schwert auf die schwere

Truhe, die er vor die Tür geschoben hatte.

»Das lügt Ihr, Wulf!« rief er. »Und wenn Roland nur mit den

bloßen Händen gegen Walrams Schwert angegangen wäre, er hätte
Euren feigen Sprößling besiegt! Wenn Roland tot ist, dann habt Ihr
ihn aus dem Hinterhalt ermordet!«

»Roland ist tot!« brüllte Wulf wütend. Axtschläge donnerten auf

einmal gegen die schwere Eichentür, »öffnet, oder ich werde Euch
herausholen, Ludger, und dann werdet Ihr mit den Euren sterben!«

»Wir werden noch schneller sterben, wenn wir Euch die Türen

öffnen!« gab Ludger zurück.

Eine Weile blieb es still.
»Ich will nur Volker«, sagte Wulf durch die Tür. »Er wird für den

Mord an meinem Bruder Wirnt sterben. Euch und den Euren wird
kein Haar gekrümmt, Ludger, wenn Euer Töchterlein die Ehe mit
meinem Sohn Walram vollzieht.«

»Ich traue Euch nicht, Wulf!« rief Ludger zornig.
»Ihr müßt mir aber trauen, Ludger«, erwiderte Wulf mit hämischer

Stimme. »Denn sonst werdet ihr in Euren Gemächern lebendigen
Leibes verbrennen - es sei denn, Ihr springt von Euren Fenstern aus
zum Hof hinab in den Tod.«

Volker hielt den Atem an, als er den weißen Qualm durch die

Türritzen quellen sah. Er hatte die ganze Zeit schon gespürt, daß es
wärmer geworden war. Jetzt begriff er, daß die Schildwachen an
dieser Tür ein Feuer entfacht hatten.

Er drehte sich zu Ludger um und blickte ihm fest in die Augen.
»Ihr müßt das Risiko eingehen, Ludger«, sagte er. »Wir geben auf.

Wenn nur einer der Euren am Leben bleibt, so haben wir schon
gewonnen.«

Ludger schüttelte den Kopf.
»Ihr dürft Euer Leben nicht für die unsrigen opfern, Volker«,

erwiderte er gepreßt.

Volker wischte den Einwand beiseite.
»Mein Leben ist dem Kampf und der Minne geweiht«, sagte er.

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»Ich habe oft mit dem Tod einen Streit ausgefochten. Heute bleibt er
der Sieger.«

Er gab Pierre einen Wink, und ehe Ludger sie zurückhalten konnte,

hatten sie die Truhe von der Tür weggezerrt und den Riegel aus der
Halterung gehoben.

Flammen fauchten ihnen entgegen, als die Tür aufschwang.
In ihrem zuckenden Schein waren die dunklen Konturen Wulfs zu

erkennen.

»Löscht das Feuer!« rief er. »Und dann legt Volker in Ketten!«

*

Der Sturz in die Tiefe erschien Roland unendlich lang. Seine
rudernden Arme streiften die glitschige Wand des Verlieses.
Walrams gellendes Lachen hallte ihm in den Ohren. Ein Gestank
umfing ihn, der ihm den Magen umdrehte.

Dann kam der fürchterliche Aufprall.
Seine Füße stießen in einen modrigen, glitschigen Boden.
Sie rutschten .sofort weg, und er schlug mit dem Hinterkopf gegen

eine Wand. Sterne wirbelten vor seinen Augen. Ein kreischendes
Geräusch über ihm löste Walrams gellendes Lachen ab.

Dann lag er still in einer sumpfigen Schicht.
Der Lichtspalt über ihm wurde immer schmaler, bis die

Bodenplatte der Falltür sich krachend schloß. Das Geräusch hallte
dumpf von den Wänden des Verlieses wider.

Roland schloß die Augen. Er versuchte, seine Benommenheit

abzuschütteln.

Die Beine und die linke Hüfte schmerzten höllisch.
Vorsichtig tastete er sich ab. Zum Glück hatte er sich bei dem

Sturz nichts gebrochen.

Das Stechen im Hinterkopf ließ nach.
Stöhnend setzte er sich auf. Seine Hände griffen in den fauligen

Schlamm, der ihn aufgefangen und ihm wahrscheinlich das Leben
gerettet hatte.

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Seine Gedanken begannen sich zu jagen.
Wie tief war er gefallen?
Er starrte nach oben.
War da nicht ein Lichtschimmer?
Er versuchte, aufzustehen. Ein paarmal glitt er aus und stürzte

zurück in den Schlamm. Dann hatte er es geschafft. Wankend stand
er da und starrte nach oben, wo sich in drei Klafter Höhe eine
Öffnung in der Mauer befand, durch die ein schwacher Lichtschein
fiel.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Dunkel. Er konnte

jedoch nicht erkennen, wie tief er gefallen war.

Der Gestank hier unten war lange nicht so stark, wie er ihn

während des Sturzes empfunden hatte.

Seltsame Laute drangen an seine Ohren.
Er blickte wieder nach oben.
Ein Rauschen schien sich zu nähern. Es wurde immer lauter, bis es

in seinen Ohren zu dröhnen begann. Seine Hände, die an der
glitschigen Wand lehnten, spürten die leise Vibration.

Dann schoß es über ihm hervor und donnerte auf ihn herab.
Roland schrie auf und wollte sich zur Seite werfen, doch von

überall her platschten ellenbreite Wasserstrahlen auf ihn herab.

Er stürzte mit dem Gesicht in den Schlamm, von den kräftigen

Wasserstrahlen niedergedrückt.

Sie wollten ihn ersäufen!
Panik stieg in Roland hoch.
Zum erstenmal erfüllte ihn etwas wie Todesahnung. Schauer

durchrannen seinen Körper. Mit heftigen Bewegungen stieß er sich
wieder hoch und kroch zur Mauer hinüber, wo ihn die mächtigen
Wasserstrahlen nicht trafen.

Keuchend hockte er im Schlamm und starrte auf den sprühenden

Wasserfall, der aus mehreren Löchern auf ihn herabstürzte.

Er dachte an den Turm, den er neben dem Bergfried gesehen hatte.

Louis hatte von einem Wolfenecker Knappen erfahren, daß es ein
Wasserturm war. Befand er sich genau darunter?

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Das Wasser stieg schnell.
Es kroch an seinen Beinen hoch, und bald stand er bis zu den

Hüften darin. Er spürte, wie sich seine Kleider mit Wasser vollzogen.
Hastig zog er sie aus.

Das Wasser stand ihm nach Minuten schon bis zur Brust. Mit

Urgewalt stürzte die Nässe herab. Seine Füße standen immer noch im
ekligen Schlamm, doch schon bald hob ihn das steigende Wasser an.

Er mußte schwimmen.
Wann hört es endlich auf? schrie es in ihm.
Seine Hände tasteten immer wieder über die glitschigen Mauern

des Verlieses, doch nirgends gab es auch nur den kleinsten
Vorsprung, an den er sich klammern konnte.

Er begann zu frieren. Zeit und Raum verloren für ihn an

Bedeutung. Die eisige Kälte des Wassers, die seinen ganzen Körper
durchdrang, erstickte alle Gedanken.

In seinen Ohren hatte sich das Dröhnen und Platschen des

stürzenden Wassers zu einem monotonen Rauschen verwandelt.
Seine Beine fühlten sich an, als hingen Steingewichte daran.

Die stürzenden Wasser erfaßten ihn wieder, und er begriff nach

einiger Zeit, daß sich der Wasserspiegel den Löchern näherte, aus
denen es hervorschoß.

Er stieß sich von der Mauer ab und schwamm in die Mitte des

runden Verlieses.

Dann sah er den Lichtschimmer dicht über sich!
Vor Schreck ging er unter und schluckte Wasser. Er schlug mit den

Armen um sich. Hustend und spuckend tauchte er wieder auf und
brauchte eine ganze Weile, ehe die Schmerzen in seinem Brustkorb
nachließen.

Er schwamm durch einen Wasserstrahl hindurch auf den

Lichtschimmer zu.

Er mußte die Augen schließen, weil die stürzenden Wassermengen

in sein Gesicht spritzten. Langsam tastete sich seine rechte Hand an
der Mauer empor.

Ein ungeahntes Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn. Seine

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Finger hatten eine Kante ertastet, an der er sich festklammern
konnte!

Der Lichtschimmer!
Bedeutete er Rettung für ihn?
Gab es hier einen Ausstieg aus dem Verlies?
Roland spürte die Kälte in seinem Körper nicht mehr. Alles in ihm

zitterte vor Erregung. Noch war er nicht verloren!

Das Dröhnen des Wassers war immer noch in seinen Ohren, doch

es wurde weniger!

Roland starrte zu den Löchern hinauf, aus denen es hervorschoß.

Rasch wurden die Strahlen dünner und versiegten schließlich ganz.

Er starrte hinauf zu der Öffnung in der Mauer, die nur eine

Ellenbreite über dem Wasserspiegel lag.

Mit dem Versiegen des Wassers war auf einmal wieder der

fürchterliche Gestank da.

Roland hatte das Gefühl, als würde ihm aus der Öffnung ein

Pesthauch entgegenwehen.

Er preßte die Lippen hart aufeinander. Es blieb ihm keine andere

Wahl. Wenn er nicht steiffrieren und schließlich jämmerlich ersaufen
wollte, mußte er in diese Öffnung hinein. Zumindest war er dort
nicht mehr im eiskalten Wasser.

Er griff auch mit der anderen Hand nach der Kante und holte tief

Luft. Dann zog er sich hoch. Die Armmuskeln schmerzten ihn. Alles
an ihm war steif und klamm. Dennoch schaffte er es.

Keuchend zog er sich über die Kante und starrte in die Öffnung

hinein.

Er sah einen niedrigen Gang, durch den er nur kriechen konnte.
Drei Klafter weiter schien er einen Knick zu machen. Dort vorn

schimmerte Licht.

Roland blieb keuchend sitzen.
Sein Atem ging abgehackt. Er wollte tief Luft holen, doch der

fürchterliche Gestank, der ihn aus dem Gang anwehte, raubte ihm
fast die Sinne. Er würgte. Sein Magen krampfte sich zusammen.

Die Anstrengung und der bestialische Gestank waren zuviel. Sein

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Magen gab das wieder her, was er beim Festmahl gegessen hatte.

Erschöpft hockte Roland in dem kleinen Gang. Sein keuchender

Atem mischte sich mit seltsamen Geräuschen, die sich wie das
Tappen kleiner Füße auf nassem Steinboden anhörten.

Er tastete nach seinem Gürtel, der die Leinenhose hielt, sein

einziges Kleidungsstück. Das Messer in der Scheide war zum Glück
noch da.

Er brauchte noch Minuten, um sich so weit zu erholen, daß er den

Gang entlangkriechen konnte.

Er versuchte, so flach wie möglich zu atmen. Immer noch

überfielen ihn Magenkrämpfe, und er mußte ein paarmal innehalten,
um ihn zu beruhigen.

Dann hatte er die Biegung des Ganges erreicht.
Narrten ihn seine Ohren?
Er hatte ein Knurren und Fauchen gehört.
Er kroch noch ein Stück weiter, bis er um die Ecke des Ganges

blicken konnte.

Seine Augen weiteten sich.
Entsetzen kroch in ihm hoch.
Auf einmal war das Gesicht der alten Beringa vor seinem geistigen

Auge, und er hörte ihre Stimme sagen: »Hütet Euch vor den weißen
Dolchen über dem Wasser, Roland!«

Das Fauchen und Knurren wurde in seinen Ohren zu einem Orkan.
Er starrte auf die Meute der zähnefletschenden Wölfe hinter dem

Eisengitter, das den Gang einen Klafter vor ihm abtrennte.

Reißzähne blinkten ihm wie weiße Dolche entgegen.
Die Wölfe gebärdeten sich wie wild.
Roland sah ihre mageren, struppigen Körper. Geifer troff von ihren

Lefzen, als hätten sie wochenlang nichts zu fressen gehabt.

Roland hob instinktiv seinen Dolch an.
Er biß sich die Unterlippe blutig, als er den Riegel sah, der sich auf

seiner Seite befand.

Er konnte den Riegel öffnen!
Aber damit ließ er gleichzeitig den Tod auf sich los!

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Keuchend starrte er zum Eisengitter hinüber. Die gelblichen

Lichter der Bestien funkelten ihn an.

Roland glaubte in diesem Augenblick, in die Augen Wulfs und

Walrams zu schauen.

Zorn und Trotz stiegen in ihm auf.
Nein, er würde niemals aufgeben! Wulf von Wolfeneck sollte

seiner Strafe nicht entgehen!

Seine Gedanken waren plötzlich bei Volker und Libussa und den

anderen Ludgershallern. Was war mit ihnen inzwischen geschehen?
Waren Louis und Pierre bereits tot?

Ein wilder Zorn wühlte in Roland.
Das zähnefletschende Fauchen und der bestialische Gestank

konnten ihn nicht mehr zurückhalten.

Er kroch bis zum Gitter vor, und langsam näherte sich seine Hand

dem Riegel der Eisengitterpforte ...

*

Louis hatte Wulf von Wolfeneck und die Schildwachen an sich
vorbeilaufen sehen. Auch Werinher war bei ihnen gewesen. Dann
war er wieder durchs Fenster in den Gang gekrochen und hatte die
Schwerthiebe Wulfs gegen die Eichentüren der Frauengemächer
vernommen.

Lautlos war er zurückgeglitten, bis er an der Stelle anlangte, an der

Roland mit Walram gekämpft hatte.

Nirgends war etwas von den beiden zu sehen.
Louis wurde von einem eigenartigen Gefühl erfaßt. Sie hatten

schon oft zusammen in einer Klemme gesteckt, sein Herr und er.
Doch diesmal erschien ihm die Gefahr, in der sie schwebten, tödli-
cher als je zuvor.

Er irrte durch die angrenzenden Gänge. Immer, wenn er

Waffengerassel hörte, verbarg er sich, aber jedesmal waren es nur
Schildwachen, die durch die Gänge hasteten.

Er fand nicht die kleinste Spur von Roland.

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Er wollte schon zurücklaufen zu den anderen, als er ein schabendes

Geräusch vernahm. Er befand sich gerade an der niedrigen Tür zum
Vorraum, der zur Halle führte. Das Gitter im Rundbogeneingang war
noch immer herabgelassen.

Sofort drückte er sich neben der Tür an die Wand.
Seine dunklen Augen weiteten sich. Draußen auf dem breiten Gang

öffnete sich die Wand!

Louis sah zwei Gestalten hervortreten, und ein kalter Schauer lief

ihm über den Rücken, als er den Riesen sah, der sich hinter Walram
durch die schmale Öffnung in der Mauer zwängte.

Die beiden Männer warteten, bis sich die Mauer wieder

geschlossen hatte, dann rannten sie den Gang zu den
Frauengemächern hinauf, aus dem ihnen Lärm entgegenscholl.

Louis huschte in den Gang.
Seine Finger tasteten über Steinritzen, doch nirgends konnte er den

Auslöser für den Mechanismus der Geheimtür finden.

Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Roland mußte sich dort hinter der Mauer befinden!
Sicher hatte Walram ihn in eine Falle gelockt und mit Hilfe des

Riesen ausgeschaltet!

Verzweiflung packte Louis, als er nicht den kleinsten Vorsprung

fand.

Aus einem zweiten Gang drangen Stimmen. Schritte hallten. Dann

das dröhnende Organ Wulfs von Wolfeneck, der nach seinem Sohn
Walram rief.

Walram antwortete vom Gang zu den Frauengemächern.
Louis huschte zurück in den Vorraum und verbarg sich hinter

einem breiten Vorhang.

Er konnte die gedämpften Stimmen nicht verstehen. Die Schritte

entfernten sich wieder. Er wartete nicht länger, sondern glitt wieder
hinter dem Vorhang hervor.

Axtschläge hallten durch die Burg. Wulfs laute Stimme forderte

Ludger von Ludgershall auf, die Türen der Gemächer zu öffnen.

»Roland ist tot! Mein Sohn Walram hat ihn im Zweikampf

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getötet!« rief er.

Louis war wie erstarrt.
Nein! dachte er entsetzt. Nein, das kann niemals sein! Irgend etwas

sagte ihm, daß Ritter Roland noch am Leben war.

Wie durch eine dicke Wand hörte er Wulfs weitere Worte. Das

Geräusch von knisternden Flammen drang an seine Ohren.

Dann rief Wulfs tiefe Stimme: »Löscht das Feuer! Und legt Volker

in Ketten!«

Die Ludgershaller und Volker hatten sich ergeben!
Louis fluchte lautlos.
War das das Ende?
Walram grölte seinen Triumph hinaus. Louis sah ihn und den

Riesen den Gang herunterkommen. Sie hatten den gefesselten Volker
vor sich und stießen ihn in den Rücken, damit er schneller lief.

Louis drückte sich gegen die Wand. Er hoffte, daß Walram seinen

Gefangenen durch die Geheimtür in das verborgene Verlies brachte,
in dem auch schon Roland schmachten mußte.

Doch Walram und der Riese gingen an der Stelle vorbei.
Enttäuscht starrte Louis ihnen nach.
Dann gab er sich einen Ruck und folgte ihnen. Die Stimmen von

den Frauengemächern vernahm er schon nicht mehr. Er konzentrierte
sich auf die Schritte der Männer vor sich.

Dumpf hallte es aus einer schmalen Nische. Louis glitt hinein und

hätte in der Dunkelheit fast nicht die Stufen gesehen, die wendelartig
in einer schmalen Röhre nach unten führten.

Ohne lange zu überlegen, huschte er die Stufen hinunter.
Walrams hämisches Lachen war zu hören.
Lichtschein schimmerte vor Louis durch die Dunkelheit. Er

bewegte sich langsamer. Vorsichtig schob er den Kopf vor.

Sie hatten Volker in eine Art Folterkammer gebracht. Der Riese

war dabei, dem Sänger Arm und Fußeisen anzulegen.

Walram stand vor ihm und bedrohte ihn mit dem Schwert.
»Was habt Ihr mit Roland gemacht?« fragte Volker gepreßt. »Ich

hab' ihn ersäuft wie eine Ratte!« stieß Walram haßerfüllt hervor.

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»Und wenn er ein guter Schwimmer ist, wird er zum Fraß für meine
Wölfe!«

Louis sah, wie Volker erbleichte. Ihm selbst erging es nicht besser.

Wenn er doch nur gewußt hätte, wo Roland war!

Der Riese war fertig.
Walram trat von Volker zurück.
»Viel Vergnügen, Ritter Volker!« höhnte er. »Wenn Ihr die Ohren

spitzt, könnt Ihr vielleicht hören, wie Euer Freund stirbt!« Sein
Lachen hallte von den engen Wänden der Kammer wider, und Louis
drehte sich hastig um, als Walram und der Riese auf die Wendel-
treppe zukamen.

Lautlos huschte er die Stufen hinauf und verbarg sich oben auf

dem Gang, bis die beiden zur Halle hin verschwunden waren.

Sofort glitt er wieder in die Nische und eilte die Stufen hinunter.

Die Tür zur Kammer war nicht verschlossen.

Louis schob sie auf.
Volker starrte ihm entgegen. Der Sänger brauchte eine Weile, ehe

er sich von seiner Überraschung erholt hatte.

»Louis!« rief er leise. »Dich schickt der Himmel! Ich wußte, daß

du mich nicht im Stich läßt! Wärest du nicht in Freiheit gewesen, ich
hätte mich niemals den Wolfeneckern ergeben!«

Louis glitt zu Volker hinüber und zerrte an den Eisen.
»Dort!« sagte Volker und zeigte auf die gegenüberliegende Wand.
Louis wandte den Kopf, sprang auf und holte den Schlüsselbund,

an dem drei fingerlange Schlüssel hingen. Schon der erste paßte. Die
Eisen klirrten, als sie zu Boden rutschten.

Volker und Louis verharrten und lauschten.
Sie hatten beide das Rauschen und Dröhnen vernommen, das

diesen unterirdischen Raum erfüllte. Der Boden erzitterte unter ihren
Füßen.

»Was ist das?« fragte Louis entsetzt.
Volker wußte es ebenfalls nicht.
Er lief hinüber zur Wand, an der sich die Ritzen einer Tür

abzeichneten. Sein Blick glitt über die aus großen Quadern

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bestehende Mauer. Eine kleine Erhebung über der Tür erregte seine
Aufmerksamkeit. Er faßte danach.

Knirschend öffnete sich die Tür.
Volker drehte sich um und gab Louis einen Wink. Nacheinander

huschten sie durch die Öffnung.

Das donnernde Rauschen war zu einem Orkan angewachsen. Es

ließ die Luft erzittern. Doch Volker und Louis hatten erst ein paar
Schritte in den dunklen Gang getan, als das Rauschen langsam
erstarb.

Etwa zehn Klafter vor ihnen mündete der Gang in einen Raum, der

von einer Fackel erhellt sein mußte.

Volker und Louis zögerten nicht länger.
Sie liefen los.
Ein fürchterlicher Gestank schlug ihnen entgegen.
Volker versuchte, den Atem anzuhalten. Es wurde immer

schlimmer, je weiter sie sich dem Ende des Ganges näherten.

Sie ließen sich nicht davon zurückhalten. Louis, sein Schwert in

den vorgereckten Fäusten, sprang als erster in den Raum hinein.

Er war leer. Sein Durchmesser betrug etwa fünf Klafter. Auf der

gegenüberliegenden Seite zweigte ein zweiter Gang ab. Es war
deutlich zu erkennen, daß er schon nach zwei Klaftern in eine
weitere Kammer mündete.

»Da!« Volker, der neben Louis getreten war, zeigte auf den Boden,

der in der Mitte mit einem runden Eisengitter von zwei Klaftern
Durchmesser abgedeckt war.

Fauchende und knurrende Geräusche drangen zusammen mit

einem nach Aas und tierischen Exkrementen stinkenden Hauch zu
ihnen herauf.

Louis rannte an dem Gitter vorbei und durch den anderen Gang. Er

gelangte in eine hohe Höhle mit glatten Felswänden. Überall steckten
brennende Fackeln in eisernen Halterungen. Sie waren fast
herabgebrannt.

Und dann weiteten sich Louis' Augen.
Er stürzte auf die Stelle zu, an dem die Klinge eines Schwertes im

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Licht der Fackeln blitzte.

Es war Rolands Schwert!
Louis schaute sich wild um. Doch nirgends war etwas von Roland

zu sehen. Er raffte das Schwert auf und rannte zurück.

»Volker!« brüllte er. »Seht, was ich gefunden habe!«
Volker, der auf dem Boden kniete und durch das Eisengitter in die

Tiefe starrte, hob den Kopf.

Er schien nicht überrascht. Grimmig nickte er.
»Leg es hin, und dann hilf mir!« preßte er hervor.
Louis verstand erst nicht, doch als Volker nach dem Eisengitter

faßte, wußte, er, was der Sänger vorhatte. Er legte Rolands Schwert
beiseite, ging ans andere Ende des Gitters und packte zu.

Sie mußten ihre ganze Kraft aufwenden, um das Gitter aus seinem

Lager zu heben und über die Kante zu schieben. Der Rest war
einfacher. Sie zogen beide an einer Seite und schafften es, das Gitter
halb vom Loch wegzuzerren.

Sie starrten beide voller Entsetzen in die Tiefe. Drei Klafter unter

ihnen tobten mehr als ein Dutzend Wölfe. Geifer tropfte ihnen von
den Lefzen. Sie gebärdeten sich wie wild.

»Hol alle Fackeln her, die du findest!« zischte Volker Louis zu.
Der Knappe lief in die Felsenhöhle hinüber.
Volker sah, daß sich mehr als die Hälfte der Wölfe an einer Stelle

drängten. Er schaute genauer hin. Plötzlich sah er das Gitter, und als
sich ein paar von den Wölfen mit einem Sprung rückwärts von der
Stelle wegbewegten, erkannte er das Gitter und den schwachen
Schein eines menschlichen Gesichtes dahinter.

Er sah die Hand, die das Gitter gepackt hatte und langsam nach

innen in den Wolfszwinger schob.

»Nein, Roland!« rief er. »Warte, bis wir die Bestien getötet

haben!«

Nur ein paar Lidschläge lang verharrte die Hand. Dann schob sie

das Gitter weiter auf. Eine Dolchklinge blitzte.

Volker griff nach Rolands Schwert, das Louis neben ihm abgelegt

hatte, und warf es hinunter zwischen die Wölfe, die jaulend zur Seite

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sprangen. Dicht neben dem Gitter klirrte es auf die Steine und blieb
liegen.

»Louis, wo bleibst du?« rief Volker.
Doch als er sah, wie der Dolch Rolands dem ersten Wolf in die

Kehle fuhr, zog er sein Schwert und ließ sich mit einem wilden
Schrei hinab in das Höllenloch fallen.

*

Gier glitzerte in Walram von Wolfenecks Augen. Stumm und mit
offenem Mund starrte er seine verschleierte Braut an, mit der er vor
Stunden vermählt worden war.

Nicht einmal eine halbe Stunde war vergangen, seit er Volker im

Verlies angekettet hatte. Roland war bestimmt schon ersoffen oder
von den Wölfen zerfetzt, wenn er es gewagt hatte, die Eisenpforte zu
öffnen. Vielleicht aber hockte er auch noch - im Gang und überlegte,
welche Todesart ihm lieber sei.

Walram lachte leise in sich hinein.
Er dachte an die Ludgershaller, die jetzt wieder mit seinem Vater

und seinem kleinen Bruder in der Halle an der großen Tafel saßen.
Der Alte würde sich mit Met vollaufen lassen und darauf warten, daß
er, Walram, ihm ein Zeichen gab, mit ihnen endgültig Schluß zu
machen. Wenn er Libussa erst einmal auf ihrem Lager bezwungen
hatte, würde sie keine eigene Familie mehr brauchen. Dann war sie
eine Wolfeneckerin.

Der Alte würde die Sippe der Ludgershaller eigenhändig mit

seinem Schwert töten. Weder Ludger noch Lothar oder der dicke
Knappe Rolands, der sich noch bei ihnen befand, hatte eine Waffe
bei sich. Sie hatten ihnen alles abgenommen. Der dicke Abt war
sowieso keine Gefahr. Vielleicht würden sie ihn sogar auf dem
Scheiterhaufen brennen lassen.

Um die drei Frauen der Ludgershaller und die kleine Zofe war es

eigentlich schade. Sie sahen alle verdammt hübsch aus. Selbst die
Mutter seiner Braut hätte Walram nicht verschmäht.

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Doch sie waren Zeuginnen, und deshalb mußten sie sterben.
Und wenn alle Ludgershaller tot waren, gab es nur einen Erben,

der Burg Ludgershall und das reiche Land ringsum beanspruchen
konnte: Walram von Wolfeneck, der Gemahl Libussas.

»Warum legt Ihr nicht endlich den Schleier ab, holde Libussa?«

fragte er mit rauher Stimme. Seine Hand griff nach ihr, aber sie wich
ihm aus.

»Versteht die Scham einer Jungfrau, Walram«, erwiderte sie

gepreßt.

»Hoho!« rief er. »Ich hoffe, Eure Scham geht nicht so weit,

Jungfer Libussa, daß Ihr mir mein eheliches Recht verweigert!«

Diesmal wich sie nicht zurück, als er dicht an sie herantrat und

seine starken Arme um ihren schlanken, biegsamen Körper schlang.

Er spürte ihre Brüste durch sein Leinenhemd, und ein Feuer der

Begierde schlug in ihm hoch.

Er hatte sich die Frauen genommen, die er hatte haben wollen.

Meistens waren es Mägde gewesen, die es nicht gewagt hatten, sich
ihm zu widersetzen. Er hatte seine Lust an ihnen gestillt und sie
fortgeschickt.

Bei Libussa war es anders. Er spürte es deutlich. Noch nie hatte er

dieses Gefühl der Begierde in sich gespürt, das nicht allein von
körperlicher Art war.

»Gebt mir einen Kuß!« stieß er erregt hervor und beugte seinen

Kopf zu ihr hinab.

Sie wich zurück und wandte den Kopf ab.
Sein Griff wurde härter. Er drängte sie zum Lager hinüber. Seine

Pranken nestelten an ihrem Kleid, und dann griff er nach ihrer Brust,
daß sie vor Schmerzen aufstöhnte.

»Ihr seid grob, Walram!« rief sie.
Er lauschte einen Moment. Hatte ihre Stimme nicht anders

geklungen als sonst? Er vermißte den glockenhellen Klang.

Doch seine Begierde vertrieb diese Gedanken. Sie waren auf das

Lager gestürzt, und Libussas Röcke hatten sich über die Knie
geschoben.

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Seine Hand fuhr unter die Röcke.
Sie schrie leise auf. Er nahm eine Bewegung an seiner Seite wahr,

doch in diesem Augenblick spürte er ihren warmen Schoß. Er zwang
ihre Schenkel mit der Hand grob auseinander und stöhnte vor
Wollust auf, als sie ihm ihren Schoß entgegendrängte.

Jetzt ist sie soweit! dachte er. Sie braucht nur eine starke Hand.
Er beugte sich über sie und wühlte mit seinem Gesicht in den

Falten ihres Kleides, die die Brüste bedeckten.

Sie wälzte sich etwas zur Seite. Ihr rechter Arm hob sich, als wolle

sie ihn umarmen, und auf einmal spürte er den fürchterlichen
Schmerz in seinem Rücken, der seinen Körper in zwei Hälften zu
teilen schien.

Die Frau wollte sich unter ihm hervorwinden, als er schreiend

seinen Rücken nach oben krümmte.

Seine rechte Pranke packte zu.
Er kriegte sie am Stoff ihres Kleides zu fassen, das mit einem

häßlichen Geräusch riß.

Bunte Kreise tanzten vor Walrams Augen. Etwas Feuchtes tränkte

das Hemd auf seinem Rücken. Mit der Linken tastete er nach der
Stelle, von der aus der fürchterliche Schmerz durch seinen Körper
pulste, doch er konnte sie nicht erreichen.

Ein Messer! dachte er voller Entsetzen. Sie hat mir ein Messer in

den Rücken gestoßen!

Auf einmal zerrissen die roten Wolken und Kreise vor seinen

Augen. Er brüllte auf und zerrte der Frau den Schleier vom Gesicht.

Dunkles Haar quoll hervor.
Dunkle, haßerfüllte Augen starrten ihn an.
Er sah, wie sich die vollen Lippen der Frau spitzten, dann traf ihn

ihr Speichel mitten im Gesicht.

»Das ist für den Tod Lienharts, Meuchelmörder!« rief sie. »Sei auf

ewig verflucht, Walram von Wolfeneck! Das Fegefeuer wartet auf
dich!«

Zorn packte ihn.
Die roten Wolken wallten wieder vor seinen Augen auf. Das Bild

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Leonas, der Witwe Lienharts von Ludgershall, den er mit einem Pfeil
im Schwarztann zu seinen Ahnen geschickt hatte, verschwamm in
diesen roten Wolken.

Seine Hände schlossen sich um die Kehle der Frau.
Unbarmherzig drückte er zu.
Es war, als schlügen Blitze in seinem Gehirn ein. Er spürte nicht,

wie die Frau unter seinen stählernen Pranken erschlaffte. Es war, als
müßte er sich an ihr festhalten, um den Knochenhänden des
Sensenmannes zu entgehen.

Er wußte nicht, wie lange er schon über Leona gelegen hatte, als

sich die roten Wolken wieder verflüchtigten.

Das Gesicht der Frau war bleich. Leer starrten ihre dunklen Augen

an ihm vorbei.

Zitternd löste er seine Finger von ihrem Hals. Das Herz pochte in

seinen Schläfenadern. Voller Entsetzen sah er die blauen Würgemale
auf Leonas milchiger Haut.

Er taumelte zurück.
Die Bewegung ließ den Schmerz in seinem Rücken zurückkehren.

Seine Knie wurden ihm weich. Er stützte sich an der Wand ab und
wartete, bis der Schwindel etwas nachließ. Noch einmal versuchte er,
nach dem Messer in seinem Rücken zu tasten, doch es steckte
zwischen seinen Schulterblättern, so daß er es nicht erreichen konnte.

Ich brauche Hilfe! schrie es in ihm. Ich muß hinunter in die Halle

zu dem Alten, damit er mir das Messer aus dem Rücken zieht!

Torkelnd fiel er gegen die Tür. Jede Bewegung verursachte ihm

ungeheure Schmerzen. Es brannte wie Feuer in seinem ganzen Leib.

Mühsam taumelte er auf den Gang hinaus, als die Tür aufschwang.

Mit beiden Händen stützte er sich an der Wand ab.

Sein Mund war plötzlich voller Flüssigkeit, und er spuckte aus.
Der Schrei erstarb ihm in der Kehle. Seine schwarzen Augen

weiteten sich, als er das helle Blut an der Wand hinablaufen sah.

Tränen liefen ihm auf einmal in das Bartgeflecht. Er fühlte sich

hilflos wie ein Kind. Er wollte nach seinem Vater schreien, doch ein
neuer Blutsturz erstickte ihm die Worte auf den Lippen.

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Der Wille zum Leben trieb ihn vorwärts. Unendlichkeiten schienen

ihm zu vergehen, bis er den Vorraum zur Halle erreicht hatte.

Die Stimme seines Vaters drang durch das Rauschen seines Blutes

an seine Ohren. Er tastete sich an der kleinen Treppe zum Balkon
über dem Rundbogeneingang vorwärts.

Schnaufend holte er Atem.
Er sah den Rundbogen vor sich. Mit einem Ruck stieß er sich von

der Steintreppe ab und torkelte durch den Eingang.

Ein gellender Schrei löste sich von seinen blutbefleckten Lippen.

*

Roland hatte den Riegel der Eisengitterpforte gelöst und schob es
langsam auf. Die weißen Dolche der Wolfsreißzähne schnappten
nach ihm und schlugen mit hellem Klappern gegen das Eisen.

Er packte seinen Dolch fester.
Ein Schrei war plötzlich über ihm. Narrte ihn ein Spuk? Das war

Volkers Stimme gewesen!

Er zögerte. Doch dann stieß er die Pforte weiter auf.
Wenn Volker in der Nähe war, so würde er ihm helfen!
Die Wölfe vor dem Eisengitter sprangen plötzlich jaulend und

knurrend zurück. Einer schnappte nach Rolands Hand. Im selben
Augenblick klirrte ein Schwert dicht vor der Pforte auf den Boden.

Roland stieß mit dem Dolch zu. Die Klinge schlitzte die Kehle des

geifernden Raubtieres auf. Zuckend brach der Wolf zusammen.

Roland stieß den wieder herandrängenden Wölfen die Eisenpforte

entgegen. Das Messer hatte er in die linke Hand genommen und hieb
damit wild um sich.

Die Rechte schloß sich um den Griff des Schwertes. Er erkannte

sofort, daß es sein eigenes war.

Das Messer trieb die reißenden Tiere, die vor Hunger verrückt

waren, nur kurz zurück, aber es genügte Roland, das Schwert
anzuheben und mit beiden Händen zu packen.

Ein Schatten war von oben auf ihn gefallen. Er hörte einen wilden

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Schrei.

Er sah auf einmal die blitzenden Augen Volker vom Hohentwiels

vor sich. Des Freundes Blick traf ihn nur für einen Lidschlag, dann
hieb Volker mit seinem Schwert zwischen die Bestien, die fauchend
und knurrend angriffen. Der Hunger hatte ihre natürliche Furcht vor
den Menschen erstickt.

Rücken an Rücken kämpften sie. Die Hälfte der Bestien lag schon

in ihrem Blut, als Louis am Rand des Zwingers auftauchte und
Fackeln zu ihnen herabwarf.

Das Feuer ließ die Wölfe für einen Moment zurückweichen.
Volker bückte sich, um eine der Fackeln aufzuheben, doch in

diesem Moment schnappte eine Bestie zu.

Rolands Schwert trennte dem Wolf den Schädel vom Leib.
Die Bestien spielten verrückt. Der Blutgeruch schien sie

wahnsinnig zu machen. Der erste Wolf warf sich auf einen seiner
toten Artgenossen und hieb ihm seine Reißzähne ins Fell.

Roland und Volker wichen zur Wand zurück. Jetzt waren auch die

anderen Tiere nicht mehr zu halten. Knurrend und mit gefletschten
Zähnen zerrten sie an den Kadavern.

Roland hatte Mühe, den abgeschlagenen Wolfskopf von Volkers

Arm zu trennen. Erst als er den Dolch zwischen, das Gebiß schob,
schaffte er es, es aufzubrechen.

Volker stöhnte leise auf, als er den blutüberströmten Arm

anwinkelte.

Sie starrten auf die Bestien, die von ihnen kaum noch Notiz

nahmen. Erst Louis' Stimme riß sie aus ihrer Erstarrung. Eine Kette
klirrte. Louis mußte sie aus der kleinen Kammer geholt haben, in der
Walram Volker angekettet hatte.

Roland nickte Volker zu. Er schob nach, als Louis die Kette anzog

und Volker, der sich nur mit der rechten Hand festhalten konnte,
hinaufzerrte.

Die Kette klirrte sofort wieder herunter, als Volker oben war. Sie

baumelte neben Roland, der die Wölfe beobachtete und das Schwert
in der erhobenen Rechten hielt.

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Vorsichtig griff er mit der Linken nach der Kette neben sich.
Das leise Klirren schien einen der Wölfe verrückt zu machen. Er

warf sich mit gefletschten Zähnen herum und sprang Roland an.

Ein Schwerthieb warf das Tier zurück zwischen die anderen. Sie

wichen knurrend aus. Zu dritt griffen sie an, aber Louis und Volker
hatten Roland bereits zur Hälfte hinaufgezogen. Die blutige Klinge
von Rolands Schwert traf noch eine der Bestie, dann war er oben,
hockte keuchend neben Volker auf dem kalten Steinboden und starrte
in das Höllenloch, das ihm beinahe den Tod gebracht hatte.

Roland zitterte am ganzen Leib. Er fror erbärmlich. Wasser tropfte

aus seiner knielangen Hose.

Louis hatte sein Wams heruntergerissen und reichte es seinem

Herrn. Dankbar nahm Roland das Kleidungsstück entgegen und
streifte es über.

Er wollte nach Volkers verletzten Arm greifen, doch der Sänger

zog ihn zurück und schüttelte den Kopf.

»Dafür ist jetzt keine Zeit«, stieß er hervor. »Wir müssen hinauf in

die Halle, bevor Wulf von Wolfeneck Ludger und die Seinen töten
läßt!«

Roland erhob sich. Seine Beine fühlten sich an, als seien sie aus

Eisen.

Louis wollte ihn stützen, doch Roland winkte ab.
»Schnell, zeig uns den Weg nach oben!« sagte er.
Louis lief voraus. Die Steintür zur Folterkammer stand noch offen.

Louis hielt sofort auf die Wendeltreppe zu.

»Sie ist eng, Herr!« rief er. »Seid vorsichtig, daß Ihr nicht

ausgleitet!«

Rolands Keuchen wurde von den engen Wänden zurückgeworfen.

Er mußte sich zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, doch er
merkte, wie die Lahmheit langsam von ihm wich. Ihm war lange
nicht mehr so kalt wie vor Sekunden.

Der Gedanke an Libussa trieb ihm vom Herzen her die Hitze durch

den Körper.

Louis wartete oben in der Nische und zog Roland die letzten

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Stufen empor. Das Licht blendete die Augen Rolands. Er kniff sie
zusammen. Neben sich spürte er Volker.

Er zuckte zusammen, als er den gellenden Schrei hörte.
Sofort wußte er, daß Walram von Wolfeneck ihn ausgestoßen

hatte.

Er riß die Augen auf und stieß Louis zur Seite.
Mit weit ausholenden Schritten rannte er den Gang entlang auf den

Vorraum zur Halle zu.

*

Ludger von Ludgershall wurde bleich, als er Walram in die Halle
stürzen und vor der langen Tafel zusammenbrechen sah.

Deutlich war der Griff des Messers zu erkennen, der aus seinem

Rücken ragte.

Die Stunde der Entscheidung war da.
Ludger hatte gewußt, daß Wulf von Wolfeneck sie nicht am Leben

lassen würde. Er hatte eingestimmt, daß Leona wenigstens ihre
Rache am Mörder ihres Gemahls vollenden konnte. Es schien, als
hätte der Teufel Walram zur Seite gestanden. Mit dieser Wunde
konnte kein Mensch überleben!

Wulf von Wolfeneck hatte sich von der Tafel erhoben. Er hatte an

ihrem Ende gesessen, neben sich seinen jüngsten Sohn Werinher,
und hatte Ludger und die Seinen die ganze Zeit über belauert, als
warte er auf etwas Besonderes.

Drei Krüge Met hatte er in der Zwischenzeit geleert, doch er war

nicht trunkener als vorher.

Walram sackte plötzlich zusammen. Sein Gesicht schlug auf den

Steinfußboden. Ein Zucken ging durch seinen gedrungenen,
schweren Körper, dann streckte er sich und lag still.

Wulf brüllte auf. Seine Rechte fegte einen halbvollen Metkrug von

der Tafel und riß das Schwert hervor.

»Mörder!« brüllte er. »Auch Eure Weiber sind Natterngezücht,

Ludger! Dafür werdet ihr alle sterben!«

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Ludger stieß die Tafel vor. Sie traf Wulf in den Leib. Der schwere

Mann ging brüllend zu Boden, war aber schnell wieder auf den
Beinen. Auch Werinher hatte sein Schwert gezückt und rief nach den
Schildwachen.

Ludger hatte keine Waffe. Er hatte gegen Wulf einen

Schwertkampf ausgefochten und wüßte, wie stark er im Zweikampf
war. Ein unbewaffneter Gegner konnte ihm nicht gewachsen sein.

Hastig zerrte er einen Bock heran, auf dem die Tafelplatte gelegen

hatte, zertrümmerte ihn und riß ein Bein hoch.

Johannes von Kirchheim, der Zisterzienser-Abt, reagierte trotz

seiner Leibesfülle erstaunlich behende. Er hatte das weiße Linnen
von der Tafel gezerrt und warf es dem mit seinem Schwert
zuschlagenden Werinher über den Kopf.

Der Junge schrie auf. Sein Schwert verfing sich in dem Linnen.

Stoff riß mit einem kreischenden Laut.

Ludger hatte geistesgegenwärtig mit seinem Knüppel

zugeschlagen. Er traf Werinhers Hand. Schreiend ließ der Junge sein
Schwert fallen.

Ludger warf sich vorwärts. Er sah nicht, wie die Frauen

zurückdrängten. Liebtraut hatte Lothar an den Armen gepackt, um zu
verhindern, daß er Wulf angriff und von dessem Schwert getötet
wurde.

Ludger spürte den Griff von Werinhers Schwert an seinen Fingern.

Er warf sich sofort herum, zog das Schwert mit sich und wollte es
hochreißen.

Ein Schatten war über ihm. Er sah das bärtige, verzerrte Gesicht

Wulfs, der das Schwert mit beiden Händen über den Kopf
geschwungen hatte und es in diesem Augenblick auf ihn
niedersausen ließ.

Johannes von Kirchheim erkannte das Unheil und stieß den jungen

Werinher zwischen die beiden Kämpfenden.

Wulf konnte sein Schwert nicht mehr zurückhalten.
Es sauste auf das weiße Linnen zu und traf es mit einem dumpfen

Laut.

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Ludger hatte sich zur Seite gewälzt, und als er wieder auf den

Beinen war, sah er den gebeugt dastehenden Wulf, der auf den vor
ihm im Linnen verwickelten Werinher starrte. Das weiße Linnen sog
sich langsam mit dunkelrotem Blut voll.

Wulf schrie auf. Seine Stimme überschlug sich. Wild drehte er sich

um und starrte Ludger wie ein Verrückter an. Mord stand in seinen
dunklen Augen - und Wahnsinn.

»Vorsicht, Ritter Ludger!« rief Pierre.
Ein riesiger Mann war neben Wulf von Wolfeneck aufgetaucht. Er

hielt eine Streitaxt in der erhobenen Rechten und wollte schon
zuschlagen, als Wulf von Wolfeneck den linken Arm hob.

»Nein, Lodewik!« brach es aus ihm hervor. »Dieser Mann wird

durch mein Schwert sterben! Töte die anderen! Ludger von
Ludgershall ist mein!«

Lodewik wich zurück. Die Frauen schrien auf, als er mit

stampfenden Schritten auf sie zuging. Pierre baute sich vor ihnen auf.
Er war totenbleich im Gesicht. Aber er war entschlossen, das Leben
der Frauen mit bloßer Hand zu verteidigen, solange noch ein Funken
Leben in ihm war.

»Das Schwert wird dir nichts nützen, Ludger!« zischte Wulf. »Ich

werde dich töten und deinen Kadaver meinen Wölfen zum Fraß
vorwerfen!«

»Ihr werdet niemanden mehr töten, Wulf von Wolfeneck!« erklang

eine laute, klare Stimme vom Rundbogeneingang her. »Ihr habt den
Befehl von König Artus mißachtet, und mein Schwert wird Euch
dafür strafen!«

*

Die große Halle war auf einmal von Grabesstille erfüllt.

Alle starrten Roland an. Sein blondes Haar hing ihm in nassen

Strähnen in die Stirn. In seinem leinenen Beinkleid und dem etwas
zu kleinen Wams seines Knappen mochte er einen lächerlichen
Anblick bieten, doch seine blitzenden blauen Augen und das Schwert

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in seinen Händen sprachen eine andere Sprache.

Wulf beachtete Ludger nicht mehr.
Der Herr von Wolfeneck hatte sich Roland zugewandt, neben den

jetzt Volker vom Hohentwiel und der Knappe Louis getreten waren.

Der Riese Lodewik stieß plötzlich einen Schrei aus. Er warf sich

vorwärts und schwang die Streitaxt über dem Haupt. Mit einem
wilden Zischen ließ er die Axt fahren.

Volker war vorgesprungen, duckte sich unter der heranfliegenden

Waffe hindurch und stieß sein Schwert vor.

Der dumpfe Laut, mit dem die Streitaxt gegen die Wand donnerte,

fiel mit dem Röcheln des Riesen zusammen, der in Volkers Schwert
gestürzt war.

Volker trat sofort zurück und stellte die blutige Spitze seines

Schwertes klirrend auf den Steinboden.

Wulf von Wolfeneck stand auf einmal allein.
Er blickte sich wild um.
Am hinteren Eingang zur Halle erschienen Wachen, doch sie

wagten sich nicht näher heran.

Wulfs bärtiges Gesicht hatte nichts Menschliches mehr an sich.
Langsam begann er sich zu bewegen.
Sein Blick schien nichts anderes zu erfassen als Rolands ernstes

Gesicht.

Roland bewegte sich erst, als Wulf sein Schwert hochschwang.
Er wehrte den mächtigen Hieb mit, Leichtigkeit ab.
Wulf brüllte wie ein Tier. Er warf sich vorwärts, hieb mit wilden

Bewegungen immer wieder zu und traf doch nicht ein einziges mal.

Die blitzenden Klingen der Schwerter wirbelten durch die Luft.

Das Klirren verdichtete sich zu einem einzigen langen Ton.

Bisher hatte Roland Wulfs Hiebe nur abgewehrt, doch jetzt griff er

selbst an.

Wulf begann zu lachen, während er Schritt für Schritt zurückwich.

Er schien den Verstand verloren zu haben, doch noch führte er sein
Schwert mit kräftiger Hand.

Roland hieb zu, als er eine Lücke in Wulfs Deckung erkannte. Er

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glaubte, daß der Herr von Wolfeneck geschickt genug sei, diesem
Streich auszuweichen, doch in diesem Moment verfing sich Wulfs
linker Fuß in dem Tafellinnen, das auf dem Boden lag.

Roland konnte den Hieb nicht mehr aufhalten. Er spürte, wie der

scharfe Stahl in Wulfs Seite drang.

Wulf von Wolfeneck öffnete das Bartgestrüpp zu einem Schrei.

Doch kein Ton drang über seine Lippen.

Sein Schwert fiel klirrend zu Boden.
Dann brach er zusammen. Er rollte über den Boden, und das weiße

Linnen, das sich um seinen Fuß gewickelt hatte, breitete sich über
ihm aus.

Roland starrte auf das Linnen, unter dem Werinher durch den

Schwerthieb seines eigenen Vaters gestorben war. Große Flächen
hatten sich mit seinem Blut vollgesogen.

Jetzt breiteten sich auch dort rote Flecken aus, wo Wulf von

Wolfeneck lag.

»Über allem liegt ein Tuch, das mit Blut getränkt ist!«
Die Worte Beringas hallten in Rolands Schädel wie

Glockenschläge wider. Sie hatten sich auf eine grausame Art
bewahrheitet.

Roland spürte die Stille um sich herum.
Er erwachte wie aus einer Art Trance.
Er sah die Schildwachen schreiend davonlaufen und drehte sich

langsam um.

Seine Augen wurden groß, als eine der Frauen ihren Schleier

anhob und er das holde Antlitz Libussas erkannte.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
»Ich stehe ewig in Eurer Schuld, Ritter Roland«, sagte die dunkle

Stimme Ludgers von Ludgershall. »Laßt uns dieser Burg des
Schreckens den Rücken kehren und nach Ludgershall gehen. Meine
Töchter werden Euch und Ritter Volker vergessen lassen, was Euch
Furchtbares auf Burg Wolfeneck widerfahren ist.«

Roland antwortete nicht. Er hatte das sanfte Lächeln auf Libussas

liebreizendem Gesicht gesehen, und er dankte Gott, daß er dieses

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Geschöpf vor bösem Unheil bewahrt hatte.

ENDE

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Invasion, Plünderung, Erpressung, Mord: Das Chaos regiert im
Herzogtum Orplid. Dafür verantwortlich ist der General Ortwin
Sengal. Er ist

Im Rausch der Macht

König Artus versteht nicht mehr die politischen Entscheidungen
seines nördlichen Nachbarn, und Königin Ginevra bangt um das
Leben ihrer Halbschwester Inger, die mit dem Herzog von Orplid
verheiratet ist. Ritter Roland wird Licht in das Dunkel der
Gerüchte und Hiobsbotschaften bringen.

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26. Er bietet spannende Unterhaltung für DM 1,60.


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