Apache Cochise 34 Barfuss durchs Indianerland

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Dan Roberts

Barfuß durchs Indianerland

Apache Cochise

Band Nr. 34

Version 1.0

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3

Prolog

Ihr Land war es, in das Mexikaner und Amerikaner
eindrangen. Das Land ihrer Väter. Karstig und elend,
wasserarm und unfruchtbar schmorte es unter heißer
Arizonasonne. Wüste, bizarre Klippen, himmelansteigende
Berge und Giftschlangen. Trotzdem verteidigten sie es mit der
Stärke ihrer Seele und dem wilden Schlag ihrer Herzen. Zu
diesem Zeitpunkt waren sie längst keine Athapasken mehr,
sondern deren Nachfahren: Apachen.

Sie selbst nannten sich T'Inde – Volk, auch Naizhan – Unsere

Rasse. Und sie besiedelten ein Land so groß wie Deutschland
und Frankreich zusammen. In diesen ihren Jagdgründen
leisteten sie Eindringlingen Widerstand und verteidigten jeden
Fußbreit Boden mit ihrem Herzblut.

Zur Zeit der Handlung unserer Geschichte APACHE

COCHISE lebten 6000-7000 Apachen, die in Arizona und
Neumexiko Angst und Schrecken verbreiteten, besonders im
amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet und weit in Sonora,
bis hinunter zur Sierra Madre Occidental.

Ihren Haß gegen die Nachfahren der Spanier und den

Erzfeind, die Comanchen, übertrugen sie auf ihre neuen
Unterdrücker. Von ihnen ist die Rede in unserer Serie. Sie ist
die historiengetreue Basis der Thematik APACHE COCHISE.

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4

***

Noch immer prahlten die Krieger von ihren Taten. Die Horde
ritt, nach Norden, zur Reservation zurück. Und alle
Mimbrenjos waren im Siegesrausch. Ihr Raubzug war
erfolgreich gewesen. Silber, Gold, geprägte Münzen und
Decken, Kleidung und Waffen, all das erbeuteten die
Mimbrenjos in Mexiko.

Mehr als drei Dutzend Skalps wehten an den Kriegslanzen,

Skalps der Gelbhäutigen, der alten Feinde aller Apachen.

Grell blinkten die Quarzkristalle im Wüstensand im Schein

der Mittagssonne. Die letzte große Anstrengung lag vor der
Horde.

Lone Wolf saß stolz im Sattel. Er war einer der wenigen

Apachen, die den Sitz der Weißen benutzten. Und dieser Sattel
war ebenfalls ein Beutestück, gestohlen in San Rosario, der
Stadt, die jetzt nur noch ein schwelender Trümmerhaufen war.

»Weiter, meine Brüder, lassen wir das heiße Land hinter

uns«, sagte Lone Wolf laut. »Wir bringen reiche Beute zu
Victorio. Wir bringen Sklaps, und wir werden von unserem
Stamm geehrt. Denn wir sind Krieger und keine Weiber, wie
die Männer der Chiricahuas.«

Ohne zu zögern leitete Lone Wolf seinen struppigen Pinto

auf die weite Sandfläche. Die Hufe des Tieres sanken etwas
ein. Wie eine saugende Flüssigkeit zerrte der Sand an den
Beinen der Mustangs.

Die Apachen wußten um die sicheren Wege, kannten die

Treibsandlöcher und witterten Wasser vor ihren Pferden.

Aber heute waren sie wie betrunken von ihrem großen

Kampf, dem Sieg über die Gelbhäutigen.

Lone Wolf wußte ganz sicher, daß er einer der größten

Anführer der roten Menschen war. Er hatte den Kampf geleitet,

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immer wieder seine Krieger an andere Punkte geschickt und so
den Widerstand der Gelbhäutigen schnell gebrochen.

Stolz wallte in dem untersetzten Krieger auf, der sich bisher

nur durch übergroße Tapferkeit im Kampf ausgezeichnet hatte.
Aber er dachte an Geronimo, der auch nur ein einfacher
Krieger gewesen war. Heute aber, da gehörte Geronimo zum
Rat der Mimbrenjos. Heute war er ein Mann, auf den Victorio
hörte. Und genau dieses Ziel strebte auch Lone Wolf an. Er
wollte ein geachteter Krieger werden, ein erfahrener Mann, auf
dessen Meinung der Häuptling und die Ältesten hörten.

Noch zwei oder drei erfolgreiche Raubzüge ins Land der

Gelbhäutigen mußten genügen, um Lone Wolfs Ansehen derart
zu steigern. Erst danach wollte er mit seinem großen Plan
herausrücken. All das Gold und die Münzen sollten die
Ältesten der Mimbrenjos ihm geben. Er würde dafür moderne
Gewehre und genügend Patronen kaufen. Gewehre, die
dreizehnmal hintereinander den heißen, krachenden Tod
ausspuckten.

Mit diesen Waffen wollte Lone Wolf die Mimbrenjos gegen

die Weißen führen, die sich seit einiger Zeit im Land der
Apachen festsetzten. Denn die Bleichgesichter mußten
verschwinden. Sie gehörten nicht hierher, in das heiße,
grausame Gebiet der Halbwüsten und Wüsten. Dies war seit
undenklichen Zeiten Apachenland.

Schon die Eisenmänner hatten vor vielen Wintern vergeblich

gegen die roten Herren angekämpft. Aus dieser Zeit rührte die
Feindschaft zwischen Apachen und Mexikanern.

Heiß sengte die Sonne herab. Die zähen Ponys der Krieger

trabten unermüdlich voran. Sand wölkte unter ihren Hufen auf,
wehte wie ein kniehoher Schleier im schwachen Mittagswind
davon.

»Rasten wir am Felsenwasser?« fragte einer der Krieger den

Anführer.

»Ja, wir warten, bis die Mustangs gesoffen haben«, erwiderte

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Lone Wolf. »Wir vermeiden das Gebiet der Chiricahuas.
Cochise braucht nicht zu erfahren, daß die Mimbrenjos einen
neuen Raubzug unternommen haben.«

Das Felsenwasser war eine der verborgenen Quellen in der

Halbwüste. Kaum ein weißer Mann kannte diesen Ort, dachte
daran, daß inmitten der kahlen Granitmassen kühles Wasser
rann.

Die Rotte erreichte die Felsen. Vier Krieger trieben ihre

Mustangs an, rissen erst an den Graszügeln, als die hohe Platte
vor ihnen aufragte.

Die Mimbrenjos saßen ab, liefen zu dieser Platte und

schoben sie zur Seite. Kühl und feucht stieg der Hauch des
Wassers auf. Zuerst soffen die Ponys der vier Kämpfer, ehe die
Krieger selbst ein wenig tranken. Sie benötigten kaum
Flüssigkeit. Die Apachen waren der Wüste angepaßt. Eine der
zahllosen Proben, die sie in den Stand eines Kriegers führten,
hatte mit Wasser zu tun. Der junge Mann mußte lange Meilen
durch die Gluthitze der Wüste laufen und dabei hatte er den
Mund voll Wasser. Am Ziel durfte nichts von dieser
Flüssigkeit fehlen. Hatte er ein wenig geschluckt, setzte er sich
dem Spott seiner Krieger aus und bestand diese Probe nicht.

Die vier Krieger ließen ihre Ponys stehen und kletterten mit

ihren Waffen in das zerklüftete Gestein, um dort oben Wache
zu halten. Es galt einmal, die eigene Spur zu beobachten. Das
war eine normale Vorsichtsmaßnahme der Apachen. Sie hielten
auf ihrem Weg, auf einem Rückzug, manchmal zwei oder drei
Stunden an und warteten auf Verfolger. Zum anderen sollten
die vier Krieger Ausschau nach anderen Feinden halten. Nichts
warnte diese Männer vor der Gefahr. Sie kletterten lautlos und
geschickt über das mürbe Gestein. Gewandt wie Bergziegen
arbeiteten sie sich hinauf.

Ein Schwirren ließ die Krieger aufmerken. Drei aufblitzende

Klingen wirbelten durch die Luft, fanden ihre Ziele, und drei
der Apachen waren tot.

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Der vierte Mann wollte einen Warnruf ausstoßen, riß den

Bogen hoch, zog die Sehne zurück, als ein dicker Steinbrocken
auf seinen Kopf prallte.

Ohne einen Laut von sich zu geben, sank der Apache zu

Boden.

Männer traten aus ihren Deckungen, weiße Männer und

Mexikaner. Sie wirkten hart und gemein. Ihre Gesichter waren
von der Sonne gebräunt, von der Hitze faltig. Und die Augen
wirkten merkwürdig kalt.

Ein hochgewachsener Kerl machte ein paar

Handbewegungen. Die übrigen Burschen huschten davon.
Keiner von ihnen trug die Stiefel der Weißen. Alle hatten
weiche Apachenleggins an den Füßen.

Der Anführer wartete kurze Zeit. Schließlich hob er beide

Hände vor den Mund und stieß den Ruf des Rennkuckucks aus.

Ein Dutzend Gewehre peitschte. Pferde wieherten grell vor

Todesangst.

Unter dem Anführer der weißen Banditen gellten die

Kriegsschreie der Mimbrenjos auf.

»Zastee!« hallte es. »Tötet!«
Die Apachen hatten nicht die Spur einer Chance. Immer

wieder hämmerten die Winchestergewehre der Banditen. Der
Bleihagel mähte die tapferen Krieger nieder. Kein einziger
überlebte dieses Massaker.

»Feuer einstellen!« brüllte der hochgewachsene Anführer.

»Seht nach, ob sich noch einer der roten Hunde rührt.«

Die Weißen und Mexikaner bewegten sich kaum lauter als

die Apachen. Als die Banditen die Wasserstelle erreichten,
öffnete einer der Krieger die Augen. Er spürte das harte Metall
unter seinem Oberkörper, tastete vorsichtig und packte den
Griff eines Revolvers.

Langsam, unendlich vorsichtig, zog der Mimbrenjo den Colt

hervor, legte mit dem Daumen den Hahn zurück und feuerte
aus dem Liegen.

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Fast zugleich mit dem Aufwummern des Revolvers brach

einer der weißen Banditen zusammen. Sofort wirbelte der
Apache über den Boden, veränderte innerhalb von Sekunden
immer wieder seinen Standort und jagte alle Kugeln aus der
Trommel.

Vier Banditen starben, ehe die anderen zum Schuß kamen.
Der letzte überlebende Krieger spürte die gewaltigen Hiebe

gegen seinen Körper, spürte, wie das Leben aus ihm
herausrann und war sicher, im jenseitigen Reich als tapferer
Mann aufgenommen zu werden.

Er ließ den Revolver fallen, wollte beide Arme ausbreiten,

um sie der Sonne entgegenzustrecken, als ein riesiges Gewicht
an ihm zu zerren schien.

Und während er fiel, glaubte der Mimbrenjo den Ruf der

Eule zu hören, den Schrei des Todesboten Bù, der seine Seele
in die ewigen Jagdgründe geleitete.

»So eine hinterhältige Ratte!« brüllte einer der Mexikaner.
Er rannte auf den toten Indianer zu, wollte dem leblosen

Körper noch ein paar Fußtritte versetzen, aber der scharfe Ruf
des Anführers hielt den Greaser zurück.

»Laß das, Felipe!« brüllte Jed Bowson, »der Kerl ist tot. Los,

seht nach, was wir erbeutet haben. Ich wette, die roten Stinker
hatten einen Raubzug in Mexiko unternommen.«

Eine halbe Stunde danach lag ein ansehnlicher Berg vor den

Banditen. Gold, Silber, Schmuck, geprägte Münzen und
Waffen, Sättel, silberne Gürtelschnallen und kostbare Kleidung
bildeten eine reiche Beute.

»Heiliger Rauch«, sagte einer der Weißen, »das hat sich ja

richtig gelohnt. Wo verkaufen wir den Kram, Jed?«

Bowson grinste und erwiderte: »In Tombstone, wo sonst?«
Einer der anderen zog die Brauen hoch und erwiderte: »Das

ist mächtig gefährlich, Jed. Sicher, Tombstone ist 'ne Town, wo
du alles bekommen kannst, wenn du genügend Dollars auf den
Tisch blätterst. Aber die Kerle dort sind nicht mehr so

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leichtgläubig wie früher.«

Jed Bowson lachte laut und antwortete: »Wir sagen die

Wahrheit, Henry. Ich verwette meinen Kopf darauf, daß die
Menschen dort begeistert sind, wenn sie hören, woher wir
diesen Kram haben.«

Oben, auf dem Gipfel der Felsen, kämpfte ein Mimbrenjo

gegen den rasenden Schmerz an, der in seinem Kopf tobte. Der
Krieger, der von dem Stein getroffen worden war, lebte noch.
Er verstand ein wenig von der Sprache der Bleichhäutigen und
merkte sich alle Worte.

»Reiten wir alle in die Stadt?« fragte ein Mexikaner in

schlechtem Englisch.

»Rodrigo ist mißtrauisch«, rief Henry und lachte. »Keine

Angst, Greaser, wir bringen dir deinen Anteil schon mit ins
Versteck.«

Es dauerte eine Weile, ehe der Apache den Klang der

Hufeisen auf dem Felsboden hörte.

Der Mimbrenjo wartete und lauschte. Seine Geduld schien

grenzenlos zu sein. Obwohl in seinem Herzen der Haß brannte,
ließ er die weißen Teufel entkommen. Es war wichtiger,
Victorio zu berichten als, den Banditen zu folgen.

Endlich wagte sich der Mimbrenjo aus seiner Deckung. Als

er hinab zur Wasserstelle kletterte, wirbelten rote Schleier vor
seinen Augen. Er kniete nieder und trank, ehe er sich das
kräftigste Pferd aussuchte. Bogen, Pfeile, Tomahawk und zwei
Messer nahm der Krieger mit.

Er ritt nach Norden, mußte das Gebiet der Chiricahuas

meiden, mußte ungesehen in die San Carlos Reservation
gelangen, um dem Häuptling zu berichten.

*

Tombstone, Stadt des Goldes, der großen Minen und der
Schürfer, die jeden Quadratyard Boden umwühlten.

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Wyatt Earp lehnte am Corralgatter und drehte sich eine

Zigarette. Sein Bruder Virgil verhandelte im Store mit dem
Keeper: Virgil war der Meinung, daß er neue Kleidung
brauchte. Er wollte an den Spieltischen der großen
Amüsierschuppen ordentlich aussehen.

Die sogenannten Schneider in dieser Boomstadt taugten alle

nicht viel. Aber im General Store gab es fertige Kleidung. Das
einzige Problem war die Bezahlung. Denn die Earps besaßen
wieder mal kaum Bargeld.

Wyatt leckte mit der Zungenspitze über das gelbliche Papier,

formte das Tabakröllchen ein wenig nach und steckte sich die
Zigarette zwischen die Lippen.

Ein halbes Dutzend Reiter hielt auf den Corral zu.
Wyatt vergaß, das Schwefelholz anzureißen, als er die Kerle

sah. Sie wirkten auf ihn wie ein Rudel wilder Wölfe,
gefährlich, angriffslustig und stets zum Töten bereit.

Diese Männer gehörten auf die andere Seite des Zaunes.
Die sechs Kerle leiteten ihre Pferde am Corral vorbei,

zügelten sie vor dem Store und saßen ab. Aufmerksam
musterte Earp die Packen hinter den Sätteln.

Er war neugierig und folgte den Männern in den Store. Nur

fünf traten ein. Der sechste blieb bei den Pferden und
beobachtete Wyatt mißtrauisch, als er in den Laden ging.

Virgil lehnte mit der Hüfte am Tresen, befingerte eine

Tuchhose und schüttelte den Kopf. Wyatt wußte den
verdrießlichen Gesichtsausdruck seines älteren Bruders richtig
zu deuten. Er war an der Hose interessiert, wollte aber den
geforderten Preis nicht zahlen.

»Hier, Mann, wir bringen dir ein paar feine Sachen«, sagte

einer der fünf Fremden.

Sie warfen die Bündel auf den Tresen und zogen die Schnüre

zurück.

Mexikanische Kleidung, Messer, Schmuckstücke und eine

Menge anderer Dinge kamen zum Vorschein.

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Mißtrauisch blickte der Storekeeper die Kerle an. Sie

machten keinen vertrauenerweckenden Eindruck.

»Mister, kauf deine Hose und verschwinde«, sagte ein

hochgewachsener, schmalschultriger Bursche befehlend zu
Virgil.

Das war genau der Ton, den Wyatts Bruder nicht ausstehen

konnte. Er wandte sich träge dem scharfgesichtigen Fremden
zu, legte die rechte Hand hinters Ohr und fragte langsam: »Was
hat dich denn gebissen? Oder habe ich mich verhört?«

Die vier Begleiter des Schlanken verteilten sich blitzschnell.

Wyatt trat drei Schritte zur Seite. Er wurde von einem Regal
halb verdeckt und zog den Colt.

Als der Hahn knackend einrastete, drehten die Halunken die

Köpfe.

Virgil zog beinahe gemütlich und sagte: »So, ihr Spinner,

jetzt dürft ihr noch mal was sagen. Ihr seid wohl
übergeschnappt? Kommt hier rein und wollt mich davonjagen.
So was gibt's doch gar nicht.«

Der schlanke Anführer der Kerle musterte Virgil eingehend.
»Hör zu, Mann«, sagte Jed Bowson, »das hier sind Sachen,

die wir einer Apachenhorde abgenommen haben. Die roten
Hurensöhne kamen aus Mexiko. Wir haben sie alle getötet. Wir
sind keine Straßenräuber, Mister, wir haben nur das Gefühl,
daß mit der roten Brut endlich aufgeräumt werden muß. Und
damit wir weiterhin Munition kaufen können, damit wir was zu
essen haben, nahmen wir den Roten ihre Beute ab. Nun weißt
du, warum du verschwinden solltest. Es gibt ja in dieser
Gegend Weiße, die nichts gegen die Apachen haben. Ich habe
keine Lust, mich mit so einem verfluchten Indianerfreund
anzulegen.«

Virgil nickte und steckte den Colt ins Halfter zurück.
»Bruder, sind wir Indianerfreunde?« fragte der ältere Earp.
Wyatt halfterte ebenfalls seine Waffe und erwiderte grinsend:

»Wir sind doch nicht verrückt, Virgil.«

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Jed Bowson atmete erleichtert auf.
Diese beiden Kerle schienen mächtig gefährlich zu sein. Und

eine Schießerei hier im Store wollte der Halunkenboß nicht
riskieren. Er brauchte Tombstone, um seine Beute
loszuwerden.

»Was waren das denn für Apachen, die ihr umgenietet habt?«

fragte Virgil. »Es gibt doch eine Menge von diesen Kerlen.«

»Mimbrenjos«, erwiderte einer der anderen Halunken. »Sie

müssen aus der San Carlos Reservation ausgerissen sein.«

Wyatt pfiff schrill durch die Zähne und sagte anschließend:

»Das wird Old Vic aber gar nicht gefallen. Er hat 'ne Menge
dagegen, wenn seine jungen Leute zur Hölle geschickt werden.
Hoffentlich dreht der alte Kerl nicht durch und geht mit seinen
Männern auf den Kriegspfad.«

Jed Bowson lachte überheblich und rief: »Laßt sie nur

kommen. Wir werden auch mit denen fertig.«

Virgil nickte dem Mann zu und kaufte die Hose, ohne noch

weiter zu handeln. Überrascht strich der Storekeeper das Geld
ein.

»Komm, Bruder, ich werde meine neue Hose anprobieren«,

sagte Virgil zu Wyatt. »Und heute abend sitze ich wie ein
richtiger Gentleman am Spieltisch.«

Die Earps verließen den Laden. Sie beachteten den sechsten

Mann bei den Pferden überhaupt nicht. Daß die Waren im
Laden aus einem Überfall auf Apachen stammte, schien sie
nicht zu interessieren.

Sie marschierten nebeneinander zum Hotel, in dem Virgil

sein Zimmer hatte. Wyatt lebte noch immer bei der blonden
Myriam. Ihr Blockhaus im Osten der Stadt war zu einer
gemütlichen Wohnhöhle geworden. Die blonde Frau pokerte
bei Dick Clark im Alhambra Saloon. Dort hatte sie von dem
Besitzer einen Pokertisch gemietet.

Wyatt spürte, daß sich die Liebe zwischen ihm und Myriam

abkühlte. Die schöne Frau würde wieder in den Osten ziehen,

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wenn sie genügend Dollars beim Pokern gemacht hatte. Sie
gehörte nicht richtig in dieses wilde Land, in den heißen
Südwesten.

»Was hältst du davon?« fragte Virgil seinen Bruder, als sie in

seinem Zimmer standen.

»Das gibt gewaltigen Ärger«, erwiderte Wyatt nachdenklich.

»Diese Kerle sind skrupellose Wölfe. Sie überfallen alles, was
ihr Gebiet durchquert. So sehe ich das. Und wenn Old Vic
überschäumt, ist wieder mal ein richtiger Krieg in Sicht. Er läßt
doch niemals zu, daß Weiße seine Männer niedermachen.«
»Das denke ich auch«, sagte Virgil und legte seine neue Hose
sorgfältig aufs Bett.

»Was unternehmen wir?« fragte Wyatt. »Warnen wir

Haggerty oder den General?«

»Warum nicht gleich Cochise?« fragte Virgil spöttisch. »Du

brauchst nur durch die Dragoon Mountains zu reiten und laut
nach ihm zu rufen. Zehn Minuten später spürst du eine Klinge
an deinem Skalp.«

Wyatt verzog das Gesicht, als hätte er Essig getrunken.

Virgils Vorschlag gefiel ihm nicht besonders.

»Haggerty ist ständig unterwegs«, sagte Wyatt. »Es wäre

Zufall, wenn wir ihn finden. Cochise hat uns ein paarmal aus
der Klemme geholfen, Virgil. Trotzdem möchte ich nicht so
einfach in sein Gebiet reiten.«

»Bleibt nur der Postmeister«, erwiderte Virgil. »Vielleicht

kann er eine Verbindung herstellen. Er ist doch auch ein
Freund des großen Chiefs.«

Wyatt nickte und erwiderte: »Klar, Jeffords, an den habe ich

gar nicht gedacht. Wann reiten wir, Bruder?«

Virgil stieß die Luft zwischen den Zähnen aus und sagte

leise: »Wenn die Wüstenwölfe verschwunden sind, vorher
nicht. Sie dürfen keinen Verdacht schöpfen. Wittern Sie
irgendwas, fallen sie über uns her. Diese Kerle sind
mißtrauischer als ein erfahrenes Freudenmädchen, dem du die

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Ehe versprichst.«

So richtig wohl war den Earps nicht bei dieser Sache. Mehr

als einmal waren sie mit Thomas Jeffords, John Haggerty und
Cochise zusammengestoßen. Und meistens standen die Earps
hart an der Grenze des Zaunes, der die ordentlichen Menschen
von den Halunken trennte. Bisher gelang es ihnen immer, sich
herauszureden, die richtige Seite zu wählen. Wenn sie jetzt
aber die Indianer warnten, so machten sie sich bestimmt keine
Freunde in Tombstone.

Denn in dieser wilden Boomtown regierte das Gold, das

Silber, der allmächtige Dollar. Und alles, was sich den
Diggern, Kartenhaien und Gaunern im weißen Kragen
entgegenstellte, galt als Feind. Die Apachen gehörten sowieso
ausgerottet, das war die Meinung der meisten Menschen im
Südwesten. Die Schuld lag bei den Verantwortlichen der
Weißen, bei der Regierung, die das Gebiet zur Besiedelung
freigegeben hatte. Aber der Staat war nicht stark genug, die
Apachen in den Reservaten zu halten. Die jungen Krieger
suchten Abenteuer, Kämpfe, suchten jenes Leben, von dem die
Alten abends an den Feuern erzählten.

Und waren sie nicht Apachen? Waren sie nicht die Herren

der Halbwüste, der Dornbuschsteppe? Seit Jahrhunderten
beherrschten die Wüstenkrieger dieses Land. Sie kämpften
gegen die Spanier in ihren eisernen Rüstungen, gegen die
Texaner und Comanchen. Nun drängte der weiße Mann in
dieses Gebiet. Gier nach Gold trieb ihn an, Hunger nach Land,
und sei es noch so trocken und wüstenhaft, jagte ihn. Und alles,
was sich ihm entgegenstellte, zerbrach er mit seinen
überlegenen Waffen und der merkwürdigen Einstellung, daß
sich jeder andere Mensch dem Weißen anzugleichen hätte.

Der Untergang der Apachen war nicht aufzuhalten, wohl

aber aufzuschieben. Zeit brauchten die Stämme, wie der weise
Cochise sagte. Es galt, Apache zu bleiben, und doch in Frieden
mit den Eindringlingen zu leben.

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Aber die Stämme waren gespalten. Victorio, der Jefe der

Mimbrenjos, haßte die Bleichgesichter wie eine tödliche
Krankheit. Er wollte den Krieg, die Weißen dorthin
zurückjagen, wo sie hergekommen waren.

Cochise wußte, daß die große Zeit der Wüstennomaden

vorbei war. Gemeinsam mit seinen wenigen weißen Freunden
versuchte er, die große Auseinandersetzung zu vermeiden, um
die Apachen als Menschengruppe zu erhalten.

*

Der Krieger hatte sich den geflochtenen Graszügel um das
Handgelenk gewickelt. Schwankend saß der Mimbrenjo auf
dem Rücken des Ponys. Grelle Farben waberten vor den Augen
des Mannes, rissen nur ab und zu auf und gaben den Blick auf
die Halbwüste frei.

Seit Minuten schon saß der Krieger zusammengesunken auf

seinem Pferd. Das Tier wich einem Dornbusch aus und geriet
für eine Sekunde mit dem Vorderhuf in das Loch eines
Erdhörnchens. Mit einem Ruck befreite sich der Mustang. Die
jähe Bewegung ließ den Mimbrenjo hinabgleiten.

Er spürte den harten Ruck an seiner Hand, öffnete die Augen

und sah die Welt verschwommen und verzerrt. Mühsam stand
der Krieger auf. Dreimal versuchte er, wieder auf sein Pferd zu
klettern. Endlich hockte er auf dem Rücken des Ponys.

Der junge Mimbrenjo wußte, daß er die Reservation nicht

lebend erreichen würde. Sein gesamtes Denken bäumte sich
dagegen auf. Sollten die weißen Hunde und die Gelbhäutigen
ungestraft davonkommen?

»Cochise«, murmelte der Krieger kaum hörbar, »ja, der

große Jefe soll erfahren, was geschehen ist.«

Er preßte dem Tier die Hacken in die Weichen. Das Pony

marschierte los. Es folgte den uralten Pfaden der Apachen,
witterte den Geruch seiner Artgenossen und den roten

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Menschen, die es als seine Herren erkannte.

Ganz von selbst stapfte der zähe, struppige Mustang auf die

Dragoon Mountains zu. Wo die Apacheria des großen
Häuptlings lag, wußte der Krieger nicht. Bisher war er noch nie
im Lager der Chiricahuas gewesen. Nur die Witterung leitete
das Tier. Es stapfte über kaum fußbreite Felsenstege, über
Gesteinsbänder, die unter dem Gewicht nachgaben und
prasselnde Steinlawinen abrutschen ließen.

Der Mimbrenjo ahnte nicht, daß er den gefährlichsten Weg

zu Cochises Lager nahm, einen Trail, der nur noch von
Kriegern zu Fuß überwunden wurde.

Ab und zu schreckte der Reiter hoch, starrte aus fiebrig

glänzenden Augen die grauen Felsen an, sah kaum das karge
Grün der Bergkräuter.

Die Dämmerung legte sich wie ein dunkelgraues Tuch über

das Land. Alle Konturen verzeichneten sich, bekamen
merkwürdige Schatten, als ein Ruf aufklang.

Wie durch dichten Nebel hörte der Mimbrenjo diesen

fragenden Schrei. Er versuchte zu antworten, aber nur ein
Krächzen brach über seine Lippen. Schlaff sank er wieder
zusammen, verlor beinahe die Besinnung. In seinem Kopf
herrschte ein Schmerz, der jedes Denken unterband.

Der Mustang prustete, als er ein breites Gesteinsband

erreichte und zitternd stehenblieb, um neue Kraft zu sammeln.
Das Tier schnaubte, warf den Kopf hoch und zeigte die
kräftigen Zähne, als zwei rote Krieger plötzlich auf dem Weg
standen.

Die Chiricahuas redeten besänftigend auf den Mustang ein.

Sie glitten näher heran, musterten den roten Krieger und hoben
ihn vorsichtig vom Pferd.

Einer der beiden Wächter stieß den trillernden Ruf der

Wüstenspottdrossel aus. Kaum zehn Minuten später rannten
sechs Krieger im Wolfstrab heran. Einige kehlige Worte
genügten. Die sechs Apachen teilten sich in zwei Gruppen.

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Drei liefen über den mürben Felsenweg. Die anderen nahmen
die Stellungen der beiden Wächter ein.

Folgte dem verletzten Mimbrenjo eine Rotte Feinde, so

würden sie hier an dieser Stelle aufgehalten.

Die beiden eigentlichen Posten trugen den besinnungslosen

Mann behutsam zu den Jacales der Chiricahuas. Sie liefen bis
zum Feuer, das vor Cochises Hütte brannte. Behutsam legten
sie den Mimbrenjo vor dem Flammenring nieder.

Drei Männer richteten sich wachsam auf, musterten den

Bewußtlosen.

Cochise kannte den Krieger nicht. Er beobachtete Victorio

und Geronimo, der in letzter Zeit die Position des zweiten
Anführers der Mimbrenjos errungen hatte.

Die beiden Männer beherrschten sich nur mit Mühe. Sie

erkannten den Krieger ihres Stammes, der sterbend vor ihnen
lag. Warum hatte der Mann Zuflucht bei den Chircahuas
gesucht? Warum verriet er den eigenen Stamm?

»Meine Brüder«, sagte Cochise leise, aber durchdringend,

»jetzt ist nicht die Zeit für einen Streit unter den
Apachenvölkern. Eines unserer Kinder stirbt vor unseren
Augen. Wir wollen hören, was uns der tapfere Mimbrenjo zu
berichten hat.«

Victorio atmete pfeifend aus. Er strich sich das wilde

Haarbündel aus dem Gesicht. Seine Augen glommen in
dunklem Feuer.

»Wenn die Bleichgesichter an Zwei-Pferdes Tod schuld

sind«, sagte der Häuptling grimmig, »dann werden für ihn
hundert Bleichgesichter …«

»Genug!« erwiderte Cochise scharf, »du bist nicht hier, um

Schwüre abzulegen. Deine Männer verließen das Reservat. Mit
deinem Einverständnis, wie alles im Stamm der Mimbrenjos
mit deinem Wissen geschieht. Wenn deine jungen Krieger nach
Blut und Kampf und Skalps dürsten, müssen sie mit dem Tod
rechnen. Und der Tod im Kampf ist der einzige Tod für einen

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Apachen. Laßt uns hören, was Zwei-Pferde zu sagen hat, ehe
ihn Bù in das andere Land geleitet, in dem die Krieger auf
goldenen Mustangs reiten und mit silbernen Bögen und Pfeilen
die weißen Hirsche jagen.«

Victorios Gesicht wirkte wie eine haßvolle Maske. Er beugte

sich vor und redete leise aber eindringlich zu Zwei-Pferde. Die
Lider des todwunden Kriegers zuckten.

Geronimo stand auf, hockte sich dicht neben den

Verwundeten und beobachtete ihn aufmerksam. Zögernd
tastete der Mimbrenjo den Kopf des Mannes ab und nickte
schließlich.

»Die Knochen sind gebrochen«, sagte Geronimo.
Zwei-Pferde öffnete die Augen, starrte blicklos in den blauen

Himmel und atmete flach.

Allmählich kam der Mann zu sich. Er unterdrückte ein

Stöhnen, wollte sich aufrichten, aber Geronimo drückte ihn
sanft hinab.

»Jefe«, murmelte Zwei-Pferde kaum hörbar, »Usen hat mich

gerufen. Ich wollte zu meinem Stamm reiten. Als ich den Ruf
hörte, änderte ich die Richtung. Unsere Freunde werden
helfen.«

»Was ist geschehen?« fragte Victorio eindringlich. »Wir

müssen es erfahren, Krieger.«

»Am Felsenwasser«, antwortete Zwei-Pferde,

»Bleichgesichter und Gelbhäutige griffen aus dem Hinterhalt
an. Die Krieger um Lone Wolf sind alle tot. Unsere Beute, die
Skalps verloren. Sie tauchten wie Wölfe auf.«

Erschöpft schwieg Zwei-Pferde. Er spürte seine Kraft

zerrinnen, wußte nicht, wie er sie halten sollte.

»Singt das Todeslied für mich«, sagte er klar und deutlich.
Er richtete sich auf, starrte zur Sonne, ein Krampf schüttelte

seinen Körper, und danach fiel er schlaff zurück.

Geronimo stimmte das Sterbelied der Mimbrenjo-Krieger an.

Victorio fiel mit harter, zorniger Stimme ein. Nach den ersten

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Sätzen gab Cochise ein Zeichen.

Sein Sohn Naiche lief zu den Chiricahuas und redete mit

ihnen. Kurze Zeit später hämmerten die Hände der Männer auf
die Felle der Trommeln, und die Kürbisrasseln klapperten im
Rhythmus des einfachen Liedes.

Ein Eulenschrei ließ die Krieger zusammenzucken. Voller

Angst und Ehrfurcht blickten sie zu den schrundigen
Felsgipfeln hinauf. Eine große Eule segelte mit lautlosem
Flügelschlag aus ihrem Versteck, umkreiste das Lager der
Apachen einmal und verschwand wieder zwischen den bizarren
Gesteinsformationen.

Bù, der Todesbote, hatte Zwei-Pferdes Seele aufgenommen

und in das andere Land gebracht.

Geronimo verstummte abrupt, als er die Eule sah. In seinem

Gesicht mischte sich Furcht mit Trotz und Auflehnung. Der
tapfere Krieger konnte die Legenden der Väter, den
Aberglauben, nicht einfach beiseite schieben.

Als der Vogel verschwunden war, drehte sich Geronimo um,

sah seinen Jefe an und dessen Nicken.

»Weiße und Gelbhäutige brachten Zwei-Pferde den Tod«,

rief Geronimo plötzlich anklagend. »Es geschah am
Felsenwasser. Unsere Brüder unter Lone Wolf sind alle tot.«

Victorio beobachtete Cochise. Der große Häuptling ließ sich

nichts anmerken. Geronimos Worte hatten ihm verraten, daß
die Führer der Mimbrenjos über diesen Raubzug unterrichtet
waren. Aber Cochise beschloß, Victorio nicht zu rügen.

»Wenn die Chiricahuas Männer und keine Weiber sind«,

brüllte Geronimo, »dann zieht ihr mit uns, und es wird ein
gewaltiges Töten geben im Land des heißen Sandes. Ströme
von Blut werden die Erde nässen, und weiße Haut hängt an den
Zweigen der Dombüsche, damit sie im Wind trocknet.«

Cochise blickte den Krieger starr an und sagte: »Unrecht mit

anderem Unrecht zu vergelten, Geronimo, holt sämtliche
Pferdesoldaten hierher. Die Blauhosen werden uns jagen wie

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20

die Wüstenwachteln, und unsere Völker sterben.«

»Unrecht!« brüllte Geronimo so laut er konnte, »unser

Unrecht ist wie ein handbreiter Bachlauf in der Wüste. Das
Unrecht der Bleichgesichter jedoch ist wie ein Ozean, den kein
Mensch und kein Tier durchwaten kann. Die Tränen unserer
Stämme füllen diesen Ozean. Und die Weißen sollen ihn
austrinken, daß Usens Kinder wieder durch ihr eigenes Land
gehen können, daß ihre Mokassins nicht mehr von den Tränen
ihrer Brüder und Kinder durchnäßt werden. Die Weißen sagen
doch, daß der Mensch sterben muß, der einen anderen
Menschen getötet hat. Wir handeln nach ihrem eigenen Gesetz,
wenn wir Lone Wolf rächen.«

Victorio gab dem zornigen, rachedurstigen Krieger ein

Handzeichen. Geronimo schwieg, obwohl seine Augen
verrieten, welche Erregung ihn gepackt hielt. Am liebsten
würde er sofort aufbrechen und jeden Weißen niedermetzeln,
jedem Mexikaner die Haut abziehen.

»Cochise«, sagte Vicotrio mit grausamem Lächeln, »du bist

gegen diesen Kampf, wie du in den letzten Monden gegen
jeden Kampf mit den Bleichgesichtern warst. Sitzt vielleicht
ein weißer Mann als Häuptling am Feuer der Chiricahuas? Ist
nur noch deine Haut rotbraun? Ist dein Herz, ist dein Geist
schon weiß wie das deines Freundes Falke? Wo ist das
Kämpferherz des größten Jefes der Apachen? Ist es in den
Körper seiner Schwester geschlüpft, die um den Falken
kämpfen will?«

Naiche packte den Dolchgriff. Der Sohn des Jefes stand mit

angespannten Muskeln in lauernder Stellung wie ein Puma, der
in der nächsten Sekunde angreifen wird.

Victorios Männer hielten plötzlich die Kriegsbögen in den

Händen. Ein Pfeil lag jeweils auf der Sehne. Einen zweiten
hielten die Finger der Rechten, und der dritte stak zwischen
den Zähnen der Mimbrenjos.

Ein falsches Wort konnte ein Gemetzel in der Apacheria der

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Chiricahuas zur Folge haben. Und es war einfach, auf diese
Beleidigung eine hitzige Erwiderung zu geben.

Tla-ina vergaß, daß die Squaws nichts bei den Beratungen

der Häuptlinge zu suchen hatten. Die schöne junge Indianerin
glitt lautlos um den Jacale herum, trat vor Victorio und spuckte
vor ihm auf den Boden. Anschließend verrieb sie mit ihrem
Mokassin den Speichel im Sand, ehe sie sich mit verächtlichem
Gesichtsausdruck abwandte.

Victorios Augen glühten vor Wut über diese Beleidigung.

Aber er wagte kein weiteres Wort. Denn er wußte, wie die
Weiber kämpften, wurden sie herausgefordert.

»Mein Bruder ist krank und blind vor Haß«, sagte Cochise

gelassen. »Usen hat seinen Geist verwirrt. Vergißt er, daß die
Weißen Waffen besitzen, die im Verlauf von zehn Atemzügen
hundertfachen Tod verbreiten? Vergißt er die dicken Gewehre,
die unaufhörlich so heiser bellen, wie der Wüstenfuchs?«

Cochise meinte die Gatling Guns, die eine mörderische,

verheerende Bleisaat aus den neun Läufen jagten.

»Victorio, die Bleichgesichter und Gelbhäutigen, die deine

Krieger töteten, gehören selbst bei den Weißen zu Verbrechern.
Sie werden bestraft. Ich gebe dir mein Wort. Aber sie werden
nicht dadurch bestraft, daß du wahllos jeden weißen Menschen
tötest, den du siehst. Dies ist keine Strafe, dies ist die
Aufforderung zum Krieg mit den Bleichhäutigen. Zu einem
Krieg, der unsere Völker endgültig vernichtet. Ich habe
gesprochen, meine Brüder.«

Die letzten Worte waren Abschluß und Warnung zugleich.

Victorio und Geronimo wußten dies wohl. Sie verspürten
Unbehagen, sahen sich um, entdeckten hinter jedem ihrer
Krieger zwei Chiricahuas, die mit schlagbereiten
Schädelbrechern bereitstanden.

»Wir reiten«, befahl der Jefe der Mimbrenjos. »Cochise

glaubt, daß nur er entscheiden kann, welcher Weg richtig ist.
So soll denn Cochise die Rache der Apachen vollenden.«

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22

Der Spott in diesen Worten wirkte gezwungen und kläglich.

Denn der hochgewachsene Häuptling der Chiricahuas stand
auf, kreuzte die Arme über dem muskulösen Oberkörper und
lächelte nur.

Nichts Überhebliches lag in diesem Lächeln. Es war eher

eine ruhige Gewißheit darüber, daß er den Überfall auf die
Kriegerhorde der Mimbrenjos nach Art und Sitte der
Wüstenvölker bestrafen würde.

Victorio und Geronimo schritten davon. Nicht lange danach

tackten die unbeschlagenen Hufe der Indianermustangs über
die Felsenwege, die aus der Apacheria der Chiricahuas
hinausführten.

»Naiche«, sagte der Häuptling zu seinem Sohn, »Falke soll

zu mir kommen. Die Krieger sollen ihn suchen. Gemeinsam
mit meinem weißen Bruder nehme ich die Fährte der Mörder
auf.«

*

Burt Kelly schlenderte vom Stationshaus zu den Ställen.
Norman hämmerte in der Schmiede auf einem Stück
Wagenachse herum. Irgendwas hatte den Mann zornig
gemacht, und er ließ seine Wut an dem glühenden Metall aus.
Funken sprühten, und der Klang des Hammers übertönte alle
anderen Geräusche.

Burt blieb stehen, sah zu, wie sich sein Freund den Zorn aus

dem Leib schuftete. Endlich blickte Norman auf. Er lächelte
matt, ließ den Hammer sinken und warf die Achse in die Glut
des Schmiedefeuers.

»Was hat dich denn gebissen?« fragte Kelly freundlich. »Du

schuftest wie ein Verrückter. Was ist dir denn in Tombstone
passiert?«

Norman war vor zwei Tagen mit der Stage in die Boomtown

gefahren. In Jeffords Auftrag hatte er dort in der Zentrale der

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Overland Mail einige Dinge zu erledigen gehabt.

Gestern abend war er zurückgekommen. Die Tasche mit den

Papieren hatte er auf den Tisch geworfen und war wortlos in
seiner Schlafkammer verschwunden.

Heute morgen hatte er das Frühstück nicht beachtet, sondern

war direkt in die Schmiede gerannt und tobte nun seit zwei
Stunden wie ein Verrückter mit dem Hammer herum.

»Nichts hat mich gebissen«, antwortete Norman mürrisch.
Burt kannte seinen Freund genau. Er wußte, daß es nicht

mehr lange dauerte, bis Walker seinen Ärger loswerden mußte.

»Diese verfluchten Earps!« sagte Norman wütend. »Ich hielt

zum erstenmal in meinem Leben einen Royal Flush auf der
Hand. Stell dir das vor! Einen Royal Flush! Sämtliche Karten
in Pik. Alle, von der Zehn bis zum As.«

Burt Kelly hob die Brauen, strich sich über seinen

Sichelschnurrbart und sagte mitfühlend: »Ich wette zwanzig
Dollar, daß sie dich mit einem Vierständer geschlagen haben.«

»Natürlich!« brüllte Norman, »was denn sonst? Wyatt

blätterte grinsend alle vier Sechsen auf den Tisch und kassierte
den ganzen Berg Bucks. Am liebsten hätte ich ihm die Karten
zu fressen gegeben.«

Erschöpft sank Norman auf den Amboß. Der Stationshelfer

stützte die Arme auf die gespreizten Oberschenkel. Schlaff
baumelten die Hände herab. Normal Walker starrte den
schmutzigen Boden an, als gäbe es dort etwas Wunderbares zu
sehen.

Burt marschierte aus der Schmiede zur Station hinüber. Es

dauerte nicht lange, bis er mit einer Flasche Whisky und zwei
Gläsern zurückkam.

Norman sah nicht auf, als der Whisky in die Gläser

gluckerte. Aber er nahm den Schnaps und leerte das Glas
meinem Zug.

»Viel verloren?« fragte Burt halblaut.
»Hundertfünfzig Dollar«, murmelte sein Freund.

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24

Kelly pfiff schrill durch die Zähne und schenkte nach. Sie

tranken, ohne sich weiter zu unterhalten.

Erst als Hufschlag aufklang, drückte Burt seinem Freund die

Flasche in die Hand und rannte aus der Schmiede. Hier oben,
auf der Station des Apache Passes, war Vorsicht unbedingt
notwendig.

Kelly griff sich eine Winchester und kletterte in die Felsen.

Von dort überblickte er beide Seiten des Berges und das weite
Land.

Thomas Jeffords verließ das Stationshaus. Er sah zu Burt

hoch, der aufmerksam nach Osten spähte.

»Scheint Haggerty zu sein«, rief Kelly.
Jeffords hatte den ehemaligen Chiefscout lange nicht mehr

gesehen. Seit John aus dem Dienst der Armee ausgeschieden
war, ritt er auf eigene Faust durch den heißen Südwesten.
Jeffords wußte, daß der Freund des großen Jefes auf seine Art
für Ruhe und Ordnung sorgte. Gemeinsam mit Cochise
versuchte er, Banditen, Siedler, Goldsucher und Mexikaner
ruhig zu halten.

Haggertys Grauer bog um die Ecke. Der hochgewachsene

Mann, der von Cochise Falke genannt wurde, stieß mit dem
Daumen den Hut in den Nacken und grinste.

»Hay, Tom«, sagte er, »lange nicht gesehen.«
»Sie machen sich rar, John«, erwiderte Jeffords und reichte

dem ehemaligen Chiefscout die Hand, als er abgesessen war.

»Es kocht überall im Land«, sagte Haggerty. »Ich müßte

mich zugleich an hundert Orten aufhalten, um überall
eingreifen zu können. Gibt's was zu essen bei euch?«

Kelly rutschte von den Felsen herab, grinste und stapfte zum

Haus. Minuten später roch es nach Speck.

»Kommen Sie, erzählen Sie, was Sie in den letzten Tagen

getrieben haben, John«, sagte der Postmeister. »Hier ist es
ziemlich ruhig. Victorios Krieger verhalten sich friedlich. Seit
zwei Wochen haben wir keine Mimbrenjos mehr gesehen. Ab

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und zu entdecken wir einen Späher der Chiricahuas. Sicher läßt
Cochise die Station beobachten. Greift er ein, wenn Old Vic
seine Männer losläßt?«

Haggerty zuckte mit den Achseln.
»Schwer zu sagen«, antwortete er. »Der Jefe will den

Frieden, das weiß ich genau. Aber ich kann mir nicht denken,
daß er sich offen gegen die Mimbrenjos stellt.«

Burt Kelly brachte die gußeiserne Pfanne auf den Tisch und

legte eine Gabel daneben. Ohne zu zögern griff John zu und aß
die Pfanne leer.

»Ich kümmere mich um das Pferd«, sagte Burt und verließ

den Raum.

Zehn Sekunden später war er wieder da.
»Zwei Reiter kommen«, sagte Kelly. »Sie kommen die

Fahrstraße entlang von Südosten.«

»Weiße?« fragte Jeffords.
»Ja, sehen nicht wie Digger aus.«
»Bleib auf deinem Posten«, befahl der Postmeister. »Laß

dich nicht sehen. Wo steckt Norman?«

»Immer noch in der Schmiede«, erwiderte Kelly. »Er ist

stocksauer. Die Earps haben ihm in Tombstone hundertfünfzig
Bucks abgenommen. Und dabei hielt er 'nen Royal Flush auf
der Hand.«

»Die Kerle sind Schlitzohren«, sagte Haggerty. »Aber wenn's

haarig wird, kämpfen sie wie die Teufel.«

Es dauerte nicht lange, bis Kelly wieder hereinstürzte und

nach Luft japste.

»Das sind die Earps, die dort kommen«, verkündete er

keuchend. »O Mann, hoffentlich gibt das keinen Verdruß.
Wenn Norman den Schmiedehammer in der Hand hält,
hämmert er den Kerlen ihre Colts in den Rachen.«

»Sorg dafür, daß er in der Schmiede bleibt«, befahl Jeffords.

»Wir können keinen Ärger brauchen.«

Burt hetzte hinaus, lief mit langen Schritten zur Schmiede

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26

hinüber, denn der Hufschlag der beiden Pferde war bereits
deutlich zu hören.

Kellys Sorge war überflüssig. Norman Walker lag neben

dem Amboß. Statt des Schmiedehammers hielt der stämmige
Mann den Hals der leeren Whiskyflasche umklammert und
schnarchte, als wollte er einen ganzen Wald absägen.

Virgil und Wyatt saßen ab und warfen die Zügel über den

obersten Balken des Corrals. Langsam stiefelten die beiden
Männer zur Station.

Sie wurden freundlich begrüßt.
»Das ist gut, daß Sie hier sind, Haggerty«, sagte Wyatt ernst.

»Wir wollten zu Ihnen. Da Sie aber nie zu finden sind, wollten
wir Jeffords Bescheid geben.«

»Hört sich ja mächtig ernst an«, erwiderte der Postmeister.

»Wo brennt's denn? In Tombstone?«

Wyatt berichtete kurz, was sie im General Store erlebt hatten

und beschrieb den Anführer der Bande.

»Heiliger Jason«, sagte Haggerty wütend, »das fehlt gerade

noch. Eine wilde Horde, die mitten in der Halbwüste alles
ausraubt, was dort durchtrailt.«

»Was ist zu tun?« fragte Jeffords gepreßt.
Er war sich darüber klar, daß die Hölle aufbrach, wenn

Victorio davon erfuhr. Der Chief der Mimbrenjos würde mit
seinen Kriegern wie ein Ungewitter über alle Weißen herfallen.

Haggerty stand auf und sagte hart: »Ich muß zu Cochise,

sofort. Wenn jemand etwas unternehmen kann, dann nur der
Jefe. Hoffentlich hört Old Vic auf ihn. Gibt er seinem Haß
gegen alles, was weiß ist, nach, dann haben wir einen Krieg.«

Jeffords begleitete den ehemaligen Scout hinaus. Burt und

Thomas blickten John nach, der seinen Grauen auf die Dragoon
Mountains zugaloppieren ließ. Dort lag Cochises Apacheria,
das uneinnehmbare Versteck der Chiricahuas.

*

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27

Haggerty zügelte seinen Grauen vor den zerklüfteten Felsen
der Dragoon Mountains. Kaum ein Weißer hatte dieses Gebiet
je durchquert. Inmitten der Gesteinswildnis lag Cochises
Apacheria. Sie war eine Felsenfestung, die von weißen
Soldaten kaum einzunehmen war.

Das langgestreckte Tal, in dem die Chiricahuas lagerten, bot

dem ganzen Stamm Unterschlupf. Wasser und Wild gab es
genügend, und die Pferde fanden Gras und Bergkräuter.

John blickte sich um, hielt nach Spähern Ausschau, entdeckte

jedoch keinen Menschen.

Im Schritt ließ Haggerty den Mustang auf einen schmalen

Durchgang zumarschieren, der in ein weites Geröllfeld führte.
Die Felsblöcke wirkten, als hätte sie ein Riese wahllos
verstreut.

John spürte auf einmal, daß er beobachtet wurde. Er ließ sich

nichts anmerken, saß gelassen im Sattel und hielt die Zügel des
Grauen locker.

Dies war einer der Wege zum Hochtal. Es gab zahllose

andere, und nur wenige kannte der ehemalige Scout, obwohl er
ein Freund des großen Jefes war. Aber die Sicherheit des
Stammes zählte mehr als die Freundschaft zu einem Weißen.

Der schmale Pfad wand sich in merkwürdigen Bögen

zwischen Gesteinshalden, hoch aufragenden Felsnadeln und
hausgroßen Trümmern hindurch.

Eine weite Biegung gab den Blick auf eine scheinbar

unüberwindliche Steilwand frei. Plötzlich standen sechs
Apachen auf dem Weg. Sie hielten ihre Kriegsbögen
schußbereit.

Haggerty ließ den Grauen weiter marschieren und zügelte ihn

erst eine Länge vor den Kriegern.

»Falke möchte seinen Freund sprechen«, sagte John in der

Sprache der Chiricahuas.

Einer der Indianer nickte, gab seinen Gefährten ein Zeichen,

und sie traten zur Seite. John ritt weiter. Er überlegte sich, daß

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der Jefe seinen Besuch zu erwarten schien. Denn
normalerweise gaben die Wächter nicht so einfach den Weg
frei, selbst für den Falken nicht.

Es dauerte noch eine halbe Stunde, ehe Haggerty den

eigentlichen Zugang zur Apacheria erreichte. Die Wächter
nickten ihm zu. Sie hatten wohl eindeutige Befehle erhalten.

Die Jacales standen in weitem Halbkreis. John entdeckte den

Jefe sofort. Er saß vor seiner Hütte und blickte ins Feuer.
Naiche, Cochises Sohn, stand seitlich von seinem Vater und
stützte sich auf eine Winchester.

Der Blick des jungen Mannes, der beinahe so groß und

muskulös wie der Jefe war, schien in endlose Fernen zu
schweifen.

Haggerty saß ab, als er noch drei Längen vom Wicki-up des

Häuptlings entfernt war. Der Graue blieb reglos stehen.

»Mein Bruder«, sagte John, »ich muß mit dir sprechen. Ich

habe Nachricht über tote Mimbrenjos erhalten. Weiße und
Gelbhäutige überfielen die Apachen. Wenn Victorio davon
erfährt, brennt das Land.«

Cochise deutete mit der Linken auf den Platz neben sich.

Naiche musterte den Falken aufmerksam, als er sich setzte.

»Mein Bruder, Victorio weiß von dem Mord an den

Kriegern«, sagte Cochise. »Er und Geronimo waren hier, als
der letzte Mimbrenjo meine Apacheria erreichte. Er starb vor
meinem Feuer. Und er berichtete von der Falle am
Felsenwasser.«

Für Sekunden verspürte Haggerty Furcht in sich aufsteigen.

Wenn der erbarmungslose Weißenhasser Victorio bereits auf
dem Kriegspfad war, konnte ihm niemand mehr Einhalt
gebieten.

»Woher weißt du, was geschah?« wollte der Jefe wissen.
Er blickte John an, und die schwarzen Augen des Häuptlings

funkelten wie Kohlenstücke in der Sonne.

»Die Banditen verkauften ihre Beute in Tombstone«,

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erwiderte Haggerty. »Zufällig waren die Earps dabei. Sie ritten
zu Hellauge, wollten ihm berichten, da sie nicht wußten, wo
ich war. Ich traf vor ihnen dort ein und ritt sofort zu dir.«

Cochise nickte. Nach einer Weile sagte er: »Diese beiden

Männer sind anders als viele Weiße und doch genauso. Es ist
gut, daß sie keinen Krieg wollen.«

John dachte über diese merkwürdigen Worte nach. Ja, die

Earps waren Weiße, waren hinter schnellem Geld her und
ließen sich auch manchmal auf Dinge ein, die zumindest
zwielichtig wirkten. Andererseits jedoch hatten sie gelernt, daß
die Apachen auch Menschen waren, daß der große Kampf
zwischen der roten und der weißen Rasse zum Untergang
führen mußte.

»Was werden wir tun?« fragte Haggerty den Jefe.
Cochise erwiderte lächelnd: »Meine Späher sind unterwegs,

Falke. Wir warten ab, was sie berichten, ehe wir reiten.« John
mußte herausfinden, wer alles reiten sollte. Gingen die
Chiricahuas auf den Kriegspfad gegen die Halunkenbande?
Oder hatte der Jefe einen anderen Plan?

»Was unternimmt Victorio?« fragte Haggerty. »Hält er

Frieden, oder schickt er seine Krieger aus, um den Tod der
anderen zu rächen?«

»Ich habe ihm versprochen, die weißen und gelbhäutigen

Männer zu bestrafen«, erwiderte Cochise ernst. »Wir beide,
Falke, nur du, mein Bruder, und ich werden der Spur der
Mörder folgen. Meine Späher beobachten. Das ist alles. Ich gab
mein Wort.«

John ließ die Worte des Häuptlings auf sich einwirken.

Innerlich erschrak er etwas. Denn die Halunkenbande würde
ein gefährlicher Gegner sein. Wie konnten sie zu zweit diese
Mannschaft harter Wüstenwölfe niederkämpfen?

»Wieviel Männer müssen wir bekämpfen?« fragte Haggerty.

»Genügen wir beide, um diesen Banditen das Handwerk zu
legen? Ich verstehe, daß du keinen Kriegszug unternehmen

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willst. Aber sollten wir nicht doch ein Dutzend deiner Kämpfer
mitnehmen?«

Naiche blickte Haggerty spöttisch an und fragte grinsend:

»Spürt der Falke den Adler im Rücken?«

John beherrschte sich und erwiderte gelassen: »Du irrst dich,

Naiche, ich habe keine Angst. Ich will nur sicher sein, daß
diese Brut ausgerottet wird. Entkommen auch nur zwei, so
bilden sie eine neue Bande, und der Friede zwischen Apachen
und Weißen ist abermals gefährdet.«

Cochise hob die Rechte, als sein Sohn etwas erwidern wollte.

Naiche schwieg und richtete seinen Blick wieder auf den
Horizont.

»Falke«, sagte der Jefe. »Wenn ich ein Dutzend meiner

Männer mitnehme, prahlen sie mit ihren Heldentaten, wenn wir
zurückkehren. Die übrigen Krieger werden ungehalten, unruhig
und brechen aus. Das darf nicht sein, denn sie wissen nicht zu
unterscheiden. Sie greifen an, wenn sie Beute sehen. Und diese
Kriegszüge lassen den Haß wieder auflodern, der jetzt nur
schwelt.«

Haggerty nickte. Er war einverstanden. Der Jefe schien

seiner Sache sicher zu sein. Innerlich verspürte John jedoch
Zweifel. Denn es würde ein gefährliches Unternehmen werden,
nur zu zweit gegen eine Horde Buschräuber anzutreten.

Es gab nichts mehr zu sagen. Haggerty konnte nur abwarten.

Er stand auf, kümmerte sich um den Grauen und führte ihn,
nachdem er abgesattelt hatte, zum Weidegrund.

Als John zurückkam, kniete Tla-ina neben dem Feuer und

bereitete für Cochise und Naiche und den Gast Essen.

Die schöne Indianerin sah auf. Ihre dunklen Augen glichen

schwarzen Edelsteinen, die den Weißen anstrahlten.

Haggerty lächelte, wollte mit der Hand über das Gesicht der

schönen Frau streichen und hielt sich im letzten Moment
zurück. Eine solche Geste war nicht angebracht in Cochises
Beisein.

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Der Jefe wußte, daß seine Schwester den weißen Mann

liebte. Und er wußte auch, daß Falke Tla-ina liebte, aber der
Häuptling sah keinen Weg, wie die beiden zusammenleben
konnten. Denn Rot und Weiß galten in dieser Zeit als
unvereinbar. Und vor allem Apachen waren für die
Eindringlinge mörderische und grausame Krieger, die es
auszurotten galt.

»Die Späher kehren nicht vor dem Morgengrauen zurück«,

sagte Cochise beiläufig. »Wenn sich der Falke zurückziehen
will, so kann er dies tun.«

John unterdrückte ein Lächeln. Er hatte den Hinweis genau

verstanden. Cochise liebte seine Schwester. Er gönnte ihr das
Glück der wenigen Stunden, die sie mit Haggerty zusammen
sein konnte.

Nach dem einfachen Essen, das aus Wildgemüse und Fleisch

des Eselhasen bestand, verabschiedete sich John von Cochise
und seinem Sohn.

Haggerty spürte die Blicke der beiden förmlich auf seinem

Rücken, als er zwischen den grasenden Mustangs zur Westseite
des Hochtales ging.

Dort lag der See, dessen Ufer mit Büschen dicht bewachsen

war. Dort gab es zahllose Verstecke für zwei Menschen, die
nicht gestört werden wollten.

Fast lautlos glitt der Freund des großen Jefes zwischen den

Büschen hindurch. Nur ab und zu raschelten die Blätter,
blinkten sie im Licht des Mondes silbrig auf.

Die Wasserfläche glänzte wie ein Spiegel. Kein Windhauch

kräuselte dieses Schimmern. Ein Fisch sprang hoch, und eine
Kaskade silberner Tropfen sprühte herab, ehe der schlanke
Leib wieder eintauchte.

»Falke«, raunte Tla-ina dicht neben John.
Sie schmiegte sich an ihn, sog seinen Geruch ein, der so

anders war als der Duft ihrer eigenen Rasse. Haggerty zog das
Mädchen dicht zu sich heran, umarmte es, als wollte er es nie

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wieder loslassen.

Ihre Lippen fanden sich in einem langen Kuß.
Und als sie viel später im dichten, weichen Gras des Seeufers

lagen, als Tla-ina sich aufrichtete, den weißen Mann prüfend
ansah, verspürte Haggerty den ganzen Kummer ihrer
Beziehung.

»Du bist nicht glücklich, Falke?« flüsterte die Indianerin.
»Ich bin glücklich«, erwiderte John leise, »weil ich bei dir

bin, Sanfter Wind. Und ich bin unglücklich, weil wir nicht
wissen, wie unsere Zukunft aussieht. Ich kenne unseren Weg
nicht, vermag nicht zu sehen, ob wir jemals in Frieden
miteinander leben werden.«

Tla-ina legte ihre Finger auf Johns Lippen und murmelte:

»Denke an heute, Falke. Und wenn du an morgen denkst, dann
glaube daran, daß Usen uns wieder zusammentreffen läßt.«

Erst nach langer Zeit, der Stand der Sterne zeigte Mitternacht

an, schliefen die beiden Menschen ein. Sie lagen dicht
aneinandergeschmiegt im Gras.

Cochise wanderte zum See. Es faszinierte ihn immer wieder,

diese ungeheure Menge Wasser zu betrachten, diese
Kostbarkeit im wüstenhaften Südwesten.

Der Häuptling entdeckte die beiden Schlafenden. Er lächelte

mild und zugleich schmerzlich. Denn er wußte, daß es keinen
Ausweg für seinen weißen Bruder und seine Schwester gab.

Sofort wandte sich der Jefe ab. Es war ungehörig, Liebende

zu beobachten, selbst wenn sie schliefen.

*

Der rote Krieger hob den Kopf und lauschte. Er hatte ein
Geräusch gehört, das nicht in dieses Stück Wüste paßte. So
sehr sich Gelber Fuchs auch anstrengte, er hörte dieses fremde
Geräusch nicht wieder. Der Wind hatte gedreht, trug den Schall
in die andere Richtung.

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33

Aber der Apache war gewarnt. Er spürte, daß er nicht mehr

allein war.

Lautlos glitt er über den Boden, vermied die staubgefüllten

Vertiefungen und erreichte schließlich die Felsenrinne. Sie
führte nach oben, war vom Schmelzwasser der Frühjahre
ausgewaschen und wirkte glatt, wie poliert.

Wie eine Schlange schob sich Gelder Fuchs hinauf. Er

wußte, daß er von der Oberkante aus das Gebiet des
Felsenwassers übersehen konnte. Denn die mächtige
Steinplatte, die diese Quelle verdeckte, lehnte halblinks vor der
Wasserstelle.

Endlich erreichte der Späher den höchsten Punkt. Lauschend

blieb der Chiricahua liegen. Da, wieder dieses Geräusch. Es
war Leder, das über Metall rieb.

Behutsam glitt Gelber Fuchs weiter vor, hob den Kopf und

zuckte sofort wieder zurück, denn er hatte die blaue Uniform
der Pferdesoldaten entdeckt.

Der Krieger beobachtete ein paar Minuten lang mißtrauisch

die Ebene unter sich, die mit Steinbrocken übersät war, die wie
zerfressene Gebilde aus dem Sand aufragten.

Erst als er sicher war, daß ihm keine Gefahr drohte, schlich

der Späher weiter. Nach langer Zeit erreichte er einen Felsen,
der so hoch wie ein Mann aufragte. Gelber Fuchs verharrte
hinter seiner Deckung, wartete, aber nichts hatte ihn verraten.

Endlich huschte er hinter dem Steinbrocken hervor, kniete

nieder und hielt mit der Linken seinen kostbarsten Besitz, ein
Gewehr der Weißen, fest.

Der Pferdesoldat, der die Abzeichen eines Offiziers trug,

blickte zu dem Ort des Massakers hinüber. Der Blaubauch
stützte sich auf einen Karabiner. Neben einem verkrüppelten
Baum weiter hinten verhielten weitere Pferdesoldaten. Die
Fahne der Weißen wehte im schwachen Wind.

Gelber Fuchs lächelte spöttisch. Der Anführer der

Pferdesoldaten schien zu glauben, daß die Angreifer noch in

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der Nähe waren. Dabei mußte doch jedem Mann klar sein, daß
die Mimbrenjos seit langen Stunden tot waren. Nichts wies
darauf hin, daß ihre Mörder noch in der Umgebung lauerten.

Aber was vermochte ein Weißer schon aus den

offensichtlichen Anzeichen zu schließen? Sie waren alle blind
und taub und trampelten wie eine Herde Büffel durch das
Land.

Fast alle, dachte Gelber Fuchs, Falke ist anders.
Nach langer Zeit erst veränderte der Offizier seine Haltung.

Er schien endlich davon überzeugt zu sein, daß keine Gefahr
mehr drohte. Er drehte sich zu seinen Männern um und gab ein
paar Befehle. Gelber Fuchs spürte Wut in sich aufsteigen, als er
den Apachen sah, der die Blaubäuche begleitete. Er war ein
Apache, ein Verräter, der für die Bleichgesichter Spuren las.

Der Scout trieb sein sattelloses Pony an, beugte sich zur Seite

und leitete das Tier nur mit den Schenkeln. In immer weiteren
Kreisen umritt der Scout den Ort des Massakers. Endlich stieß
er einen Ruf aus und deutete mit der Rechten nach Süden.

Der Offizier ritt heran und musterte den Boden.
Gelber Fuchs wußte, daß er warten mußte. Er war allein und

durfte nicht zu nahe an die Pferdesoldaten heranschleichen,
zumindest so lange nicht, wie der Scout in der Nähe war.

Nun erkannte der Chiricahua, daß der Fährtensucher ein

Halbblut sein mußte. Er schien mit den White Mountain
Apachen verwandt sein, die weit gegen Sonnenaufgang lebten.
Wenn er beim Stamm aufgewachsen war, beherrschte er jede
List und jeden Trick der Wüstenkrieger.

Gelber Fuchs glitt hinter den Felsbrocken und musterte

prüfend die Umgebung. Ja, es gab einen Weg, der ihn näher an
die Pferdesoldaten heranführte. Er war schwierig, und sein
Gewehr konnte er nicht mitnehmen. Aber er wollte ja auch
nicht kämpfen, sondern erfahren, was die Blaubäuche
vorhatten.

Sorgfältig versteckte der Chiricahua seine Waffe in einer

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Felsspalte und steckte einige kleine Steine in die Öffnung. Ein
prüfender Griff nach Dolch und Streitaxt am Gürtel, und
Gelber Fuchs glitt davon.

Immer im Schatten der Felsen, hinter dürren Sträuchern und

staubbedeckten Palmlilien huschte der Späher weiter.

Endlich war er nahe genug, um die Worte des Anführers der

Pferdesoldaten zu hören. Gelber Fuchs verstand die Sprache
der Weißen, wenn er sie auch kaum aussprechen konnte.

*

»Gut, Sergeant, ich folge diesen Fährten«, sagte der
Halbblutspäher. »Sie sollten wissen, daß ich kaum eine Chance
habe, wenn ich auf die Banditen stoße.«

Sergeant Ryker zog die Brauen hoch und antwortete: »Wieso

Banditen, Büffelhorn? Warum redest du so, als ob du Weißen
folgen würdest?«

Der Scout grinste und erwiderte: »Sergeant, jeder, der Augen

im Kopf hat, sieht das an den Fährten. Diese Kerle haben
Pferde mit Hufeisen geritten. Das waren keine Apachen. Das
ist eine Horde weißer Halunken, die hier in der Wüste Beute
machten. Und wenn Old Vic davon erfährt, ist die Hölle ein
gemütlicher Ort gegen diese Gegend.«

Der Sergeant fluchte halblaut und zog den Kopf etwas ein. Er

griff an seine Haare. Wollte er prüfen, ob sein Skalp noch
festsaß?

»Laß dich nicht sehen«, befahl er Büffelhorn, »folge einen

halben Tag weit der Fährte, nein, in einem halben Tag mußt du
zurück sein. Wir begraben die Toten inzwischen. Gibt es
irgendwas, das wir beachten müssen?«

Der Scout erwiderte: »Legt sie mit dem Kopf nach

Sonnenuntergang. So sehen sie im Reich des Todes die Sonne
aufgehen, denn sie ist die Mutter jeglichen Lebens. Ich reite
jetzt.«

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Gelber Fuchs nickte anerkennend. Einmal wunderte er sich

über die Soldaten. Sie ließen die toten Indianer nicht einfach
liegen, sondern wollten sie begraben. Und zweitens kannte der
Scout die Sitten der Stämme und wollte, daß sie befolgt
wurden.

Der Chiricahua sah dem Fährtensucher nach und überlegte.

Was geschah, wenn Büffelhorn zurückkehrte, wenn er die
Spuren nicht verlor? Setzten sich die Pferdesoldaten auf die
Fährte der weißen Mörder?

Gelber Fuchs entschied, daß er Cochise benachrichtigen

mußte. Sicher war es dem Jefe nicht recht, wenn sich die
Blaubäuche einmischten. Denn er hatte Victorio sein Wort
gegeben, die Mörder der Mimbrenjos selbst zu bestrafen.

Der Chiricahua schlich zurück, holte sein Gewehr und

verschwand durch die trockene Rinne.

Er hörte noch die Geräusche der Soldaten, die mit kurzen

Spaten Gräber schaufelten und fluchten, wenn sie auf Gestein
stießen.

Während er sein Pony antrieb, dachte Gelber Fuchs an das

Halbblut.

Büffelhorn hingegen ahnte nicht, daß sie beobachtete worden

waren. Er beherrschte zwar alle Tricks der roten Männer, hatte
aber nur auf die Fährten geachtet. Die Abdrücke der
beschlagenen Hufe hatten den Boden aufgewühlt. Mehr als
zwanzig Reiter mußten der Bande angehören. Der Scout
verspürte eine schwache Vorahnung. Er blickte zur Sonne
hoch, lächelte schwach und murmelte: »Wir alle sind ins Usens
Hand. Wenn es mir bestimmt ist, heute zu sterben, so werde ich
nichts dagegen unternehmen können.«

Er saß scheinbar gleichgültig auf dem Rücken seines

struppigen Ponys. In Wahrheit jedoch beobachtete er die
Umgebung genau. Nichts entging ihm, und als er den Ort
erreichte, an dem sich die Spuren teilten, verhielt er den
Mustang und studierte eine Weile die Trittsiegel.

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Endlich entschied Büffelhorn, welcher Fährte er folgen

wollte. Er war zu der Ansicht gekommen, daß die abzweigende
Spur zu einer Ansiedlung der Weißen, wahrscheinlich
Tombstone, führte. Dort hatte er keine Chance, die Halunken
ausfindig zu machen.

Er trieb seinen Mustang wieder an. Willig griff das Tier aus,

trabte eine Länge neben dem Trail dahin, der nach Süden
führte.

Der Scout lächelte grimmig, als er die Richtung erkannte.

Die Halunken waren geradewegs auf die bewaldeten Hänge der
Pedregosa Mountains zugeritten. Und irgendwo vor den
Bergen würden die Spuren einfach aufhören.

Eine halbe Stunde später erreichte Büffelhorn felsiges

Gebiet. Geröll wechselte mit Sand ab. Sagoaro-Kakteen ragten
hoch auf, und Joshuabäume warfen lange Schatten.

Ein Kaktuskauz rief seinen Unmut über die Störung aus

seiner Höhle im Stamm einer Pflanze, die wohl ein Gilaspecht
gehackt hatte.

Allmählich wurde der Boden fester, felsiger. Die Spuren

verschwanden, wie sich der Scout gedacht hatte. Er ließ sich
nicht beirren und ritt weiter auf die Berge zu. Irgendwo
erschienen die Fährten schon wieder, und dann war es keine
Kunst mehr, das Versteck der Banditen ausfindig zu machen.

Plötzlich verstärkte sich die Ahnung in Büffelhorn zur

Gewißheit. Er fühlte, daß sein Tod nahe war. Aber kampflos
wollte er nicht sterben.

Er hieb dem Mustang die Absätze in die Flanken. Das Tier

streckte sich, griff weit aus, und dieser Sprung rettete dem
Scout für Minuten das Leben.

Drei Gewehre peitschten. Die Kugeln surrten eine Armlänge

hinter Büffelhorns Kopf vorbei. Er duckte sich hinter den Hals
des Ponys, trieb das Tier an und riß seine Winchester aus dem
Scabbard. Es war sinnlos, im Galopp zu feuern, denn so
erzielte er höchstens einen Zufallstreffer. Aber er wollte bereit

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sein, wenn es zu kämpfen galt.

Plötzlich blieb das Tier stehen, als sei es gegen eine

Felswand geprallt. Es zitterte, knickte ein, und Büffelhorn
sprang ab. Der Mustang fiel zur Seite. Mit einem Satz gelangte
das Halbblut hinter den Rücken seines toten Ponys in Deckung.

Da! Zwischen den Bäumen auf halber Höhe des Hanges

blitzte es grellorange auf. Büffelhorn jagte sechs Kugeln
dorthin. Als er die siebte Patrone in den Lauf hebelte, verspürte
er einen reißenden, brennenden Schmerz in seiner linken Seite.

Der Scout blickte hinab. Rhythmisch schoß ein Blutstrahl aus

einer Wunde in Höhe des Herzens.

Einer der Banditen hatte weiter seitlich gelauert und den

Verfolger tödlich verwundet.

Mit letzter Kraft feuerte der Halbindianer noch zweimal. Er

ließ die Winchester sinken. Ihm fehlte ganz einfach die Kraft,
die schwere Waffe weiterhin zu halten, abermals abzudrücken.

Es war merkwürdig, aber die grellgelbe Scheibe der Sonne

überzog sich mit einer mattschwarzen Farbe. Dieses Schwarz
verfärbte sich, kam näher, hüllte Büffelhorn wie in einen
Mantel ein, der weich und wohlig wirkte.

Zufrieden sang der Halbindianer das Todeslied. Er wußte

nicht, daß er nur die Lippen bewegte, daß kein Laut aus seiner
Kehle drang. Aber er hörte die Worte ganz deutlich.

Und mit dem letzten Ton sank Büffelhorn zurück und starrte

in die glühende Sonne, die sich nach Westen senkte.

*

Haggerty erwachte im Morgengrauen. Tla-ina hatte sich in
seinem Arm bewegt, schmiegte sich dichter an ihren Geliebten
und legte ihre Hand auf seinen Oberkörper.

John lauschte, hörte aber nichts Ungewöhnliches. Er schloß

die Augen, wollte noch ein wenig dösen, genießen, daß er die
schöne Indianerin so dicht bei sich hatte.

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Der Ruf eines Falken durchschnitt die Dämmerung. Sofort

zuckte Tla-ina hoch; Sie war übergangslos wach und
aufmerksam.

»Mein Bruder ruft dich«, sagte sie leise. »Du mußt gehen

Falke. Ihr werdet davonreiten, und niemand weiß, wann ich
dich wiedersehe.«

Noch einmal küßten sie sich, ehe Haggerty in den See glitt,

sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht schleuderte und so
eine flüchtige Morgenwäsche vornahm.

Er sah sich nicht um, als er auf die Jacales zuging. Immer

wieder blickte er die Krieger und die Squaw an, versuchte ihre
Mienen zu ergründen, aber außer Gleichgültigkeit und
manchmal Freundlichkeit entdeckte er nichts in den Gesichtern
der Menschen. Sie hatten ihn also erkannt. Er war der Freund,
der Bruder ihres Jefes und das genügte. Alles andere war seine
Privatsache. Unternahm der Chief nichts gegen die Beziehung
seiner Schwester zu dem Weißen, so ging die Sache keinen
anderen etwas an.

John erreichte die Hütte und setzte sich neben Cochise.

Naiche saß auf der anderen Seite seines Vaters. Gegenüber
hockte ein Chiricahua, dessen Körper staubbedeckt war.

»Gelber Fuchs ist mein Späher«, sagte der Jefe übergangslos.

»Er war am Felsenwasser. Berichte, Krieger.«

Der Späher erzählte gleichmütig von den Soldaten und dem

Halbblutscout, der auf Befehl des Sergeanten der Fährte der
Mörder gefolgt war.

Endlich schwieg Gelber Fuchs, starrte in die niedrigen

Flammen.

»Welche Chance hat der Scout?« fragte John.
Der Späher fuhr mit der Rechten waagerecht durch die Luft.

Haggerty kannte dieses Zeichen. Es bedeutete, daß der
Fährtensucher der Patrouille tot war.

»Wir reiten«, sagte der Jefe und stand auf. »Naiche sorgt für

die Pferde. Nahlekadeya gibt uns Proviant. Bist du bereit, mein

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Bruder?«

Forschend blickte Cochise seinen weißen Freund an und war

zufrieden, als John energisch nickte.

Nahlekadeya, die zweite Frau des Jefes, huschte aus dem

Wicki-up und brachte Trockenfleisch, sowie etwas Essen als
Frühstück. Cochise lächelte ihr zu. Haggerty beobachtete die
beiden und wußte, daß sie sich so liebten, wie Tla-ina und er
sich liebten.

Naiche führte zwei Pferde heran.
Cochise ritt einen prachtvollen Pinto. Haggertys Grauer war

fachgerecht gesattelt und aufgezäumt.

Der Jefe nahm das Gewehr, Bogen, Pfeilköcher und

Tomahawk, und sprang mit einem Satz auf den Mustang.

Niemand schien sich darum zu kümmern, daß der Häuptling

davonritt. In der Apacheria würde alles weiterhin so bleiben,
wie es bisher war.

Als die beiden Reiter die letzten Felsbarrieren hinter sich

gelassen hatten, gab der Chief seinem Pinto die Graszügel frei.
Das Tier stürmte voran, als gelte es ein Rennen zu gewinnen.

Johns Grauer hielt ehrgeizig mit. Auch er war voller Kraft

und ausgeruht, und wollte zeigen, daß er nicht zu schlagen war.

»Ein weiter Ritt, Cochise«, rief Haggerty. »Wie lange sind

wir unterwegs?« Der Häuptling lächelte und erwiderte: »Nicht
so lange, wie du denkst, Falke. Wir nehmen Wege, die nur die
Apachen kennen. Die Pfade der Weißen sind lang und
umständlich.«

»Wir müssen die Soldaten erreichen, ehe sie die Banditen

verfolgen«, gab John zu bedenken. »Wenn die Bande wirklich
so stark ist, werden sie die halbe Schwadron niedermachen.
Die Beute wäre für die Halunken riesig. Denk nur an die
Pferde, Sättel und Waffen. Die bringen in Mexiko ein
Vermögen ein. Benito Juárez braucht doch Unterstützung.«

Cochise wußte, daß in Mexiko ein Bürgerkrieg ausgebrochen

war. Benito Juárez war der gewählte Präsident des Landes.

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Aber nun lebte dort ein Kaiser, dessen Truppen den Indianer
Juárez in den Norden des Landes getrieben hatten. Sorgenvoll
dachte der Häuptling daran, daß auch die Apachen von diesen
Kämpfen nicht verschont bleiben würden.

»Wohin reiten wir?« fragte John, als die Tiere in Trab

zurückfielen. »Dein Späher sprach davon, daß der Halbindianer
in einem halben Tag wieder bei der Truppe sein sollte. Taucht
er nicht auf, folgen die Soldaten ihrem Scout.«

»Wir reiten dorthin, wo er gestorben ist«, antwortete

Cochise. »Die Mörder haben ihn getötet, ehe er die Berge
erreichte.«

John wunderte sich nicht über die Sicherheit in Cochises

Tonfall. Der Jefe kannte sein Land, kannte das Denken der
Weißen und Mexikaner und hatte sicherlich recht mit seiner
Annahme.

Stunde um Stunde trabten die Pferde dahin. Wüstenhafte

Gebiete wechselten mit Waldstücken ab, in denen sich
Eichhörnchen und Murmeltiere tummelten. Einmal sprang ein
Luchs aus einem Gestrüpp und fauchte die Pferde an.

Aber nach ein paar Sekunden erschien der Raubkatze die

Beute wohl doch zu groß und schnellte wieder ins Gesträuch.

Als die Freunde am Fuß der Swiss Helm Mountains

entlangritten, sahen sie im Süden schon die Gipfel der
Pedregosas.

Cochise schwenkte nach links. Im Zickzack trabte der Pinto

durch den Sand. Schließlich hob der Jefe die Hand. Haggerty
leitete sein Tier zum Häuptling und entdeckte die breite Spur,
die eine große Gruppe beschlagener Pferde hinterlassen hatte.

»Du hattest recht, wie immer«, sagte John nur.
Sie folgten dieser deutlichen Fährte. Es dauerte kaum eine

halbe Stunde, bis sie die Soldaten erkannten.

»Eine halbe Schwadron«, sagte Haggerty. »Was treiben die

Kerle hier?«

»Wir werden es erfahren, Falke«, erwiderte der Jefe.

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Die Soldaten hatten einen weiten Halbkreis gebildet. Auf den

Gewehrläufen spiegelte sich das Sonnenlicht. Alle
Uniformierten hielten die Waffen mit den Kolben auf die
Oberschenkel gestützt. Im Bruchteil einer Sekunde konnten die
Männer feuern.

Drei Soldaten gruben im Sand. John kniff die Augen

zusammen, um besser sehen zu können.

»Tatsächlich, ein Staff Sergeant führt die halbe Schwadron

an«, sagte John erstaunt. »Ich hatte gedacht, daß sich Gelber
Fuchs getäuscht hätte. Was mag das bedeuten?«

Ein Ruf hallte, und die Soldaten rissen die Gewehre an die

Schultern. Haggerty und Cochise blickten in die Mündung von
mehr als vierzig Gewehren.

Die drei Männer ließen ihre Schaufeln sinken. Der Sergeant

trat einen Schritt vor.

Cochise und John zügelten ihre Tiere.
»Ihr Scout, nehme ich an«, sagte Haggerty und saß ab.
Er trat an den Rand der Grube und sah, daß die schob halb

mit Erde gefüllt war. John nahm den Hut ab und blieb einige
Sekunden schweigend am Grab des Fährtensuchers stehen.

Als er zurücktrat, fragte der Sergeant scharf: »Was haben Sie

hier zu suchen, Mister? Woher wissen Sie, daß wir unseren
Scout begraben? Das ist ziemlich merkwürdig, denke ich. Sie
reden besser schnell, ehe ich meinen Männern Befehl zum
Abdrücken geben.«

Haggerty lächelte leicht und schüttelte den Kopf.
»Sie bekämen mächtigen Ärger mit Howard«, erwiderte er.

»Ich weiß sogar noch mehr. Sie fanden eine Rotte toter
Mimbrenjos, ermordet von den weißen Banditen, ermordet und
ausgeraubt. Ihren Scout setzten sie auf die Fährte der
Halunken, und darum ist er nun ebenfalls tot, Sergeant.«

Der Unteroffizier kniff die Augen zusammen und sagte

scharf: »Nehmen Sie die Hände hoch. Ich bringe Sie und den
Indianer nach Fort Buchanan.«

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»Ganz bestimmt nicht«, erwiderte John lächelnd. »Woher

kommen Sie überhaupt?«

»Das geht Sie nichts an«, erwiderte der Sergeant schroff.
»Hören Sie zu«, sagte Haggerty seufzend, »ich hole jetzt aus

meiner Tasche ein paar Papiere. Sie lesen, und dann fangen wir
von vorne an, ja? Mein Name ist John Haggerty. Sagt Ihnen
der was?«

»Sicher, Sie waren früher Chiefscout für den gesamten

Südwesten.«

Langsam griff John in die Tasche, achtete nicht auf die

nervösen Reiter, die ihn und Cochise mit den Gewehren
bedrohten, und zog die Unterlagen heraus, die General Howard
ihm vor einiger Zeit gegeben hatte.

Zögernd nahm der Staff Sergeant die Papiere entgegen und

las.

»Donnerwetter«, sagte er nach ein paar Minuten, »Sie sind ja

mächtiger als …«

»Stop, kein Wort weiter«, befahl John schneidernd scharf,

»Sie vergessen sofort alles wieder, klar?«

»Jawohl, Sir!« rief der Unteroffizier und salutierte vor dem

Zivilisten.

Den Soldaten quollen die Augen aus den Höhlen, als sie das

sahen.

Während Haggerty die Papiere wieder einsteckte sagte er:

»Auf dem Pinto sitzt Cochise, der Chief der Chiricahuas und
oberster Führer aller Stämme.«

Und nun zweifelten die übrigen Uniformiertem endgültig am

Verstand ihres Sergeanten. Denn der vollführte eine exakte
Wendung wie auf dem Appellplatz und salutierte auch vor dem
Indianer.

»Häuptling, es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen«,

dröhnte der Unteroffizier. »Ich weiß genau, daß wir nur Ihnen
zu verdanken haben, daß wir nicht im offenen Krieg mit den
Apachen stehen.«

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Cochise grinste freundlich und sagte in tadellosem Englisch:

»Danke, Staff Sergeant. Es freut mich, daß außer General
Einarm und meinem Freund hier noch jemand davon überzeugt
ist.«

»Schluß jetzt mit dem Zeug«, sagte John energisch. »Was

suchen Sie hier, Sergeant?«

»Ich heiße Ryker, Otis Ryker«, erwiderte der Unteroffizier.

»Wir sind in Fort Campstone stationiert. Unser Kommandeur
ist Major Livingstone. Er benötigt einen Stellvertreter, und wir
sind auf dem Weg nach Fort Buchanan, um Captain Melford
abzuholen. Unterwegs stießen wir auf eine Menge toter
Apachen und …«

»Geschenkt, Ryker«, sagte Haggerty. »Okay, sie begraben

Ihren Scout und marschieren auf geradem Weg nach Fort
Buchanan.«

Der Sergeant riß die Augen weit auf und fragte: »Und die

verdammten Banditen kommen so davon?«

»Aber nein«, erwiderte John. »Cochise und ich sind hinter

ihnen her. Das genügt. Wir wollen jeglichen Aufruhr, jede
Unruhe vermeiden.«

Der Unteroffizier starrte die beiden Freunde an, als wären

ihnen plötzlich weitere Köpfe gewachsen.

»Dies ist eine Sache der Apachen, Ryker«, sagte John leise.

»Victorio will Krieg. Cochise, Howard und ich wollen ihn
vermeiden. Und eine Horde weißer Banditen könnte die Lunte
sein, die das Pulverfaß zur Explosion bringt. Darum schwor
Cochise, daß er die Mörder der Mimbrenjos-Rotte finden und
bestrafen wird. Verstehen Sie jetzt? Es ist eine Frage der Ehre.
Kommt die Armee mit ins Spiel, verliert der Chief Ansehen bei
den Stämmen, und alles brodelt wieder. Berichten Sie Howard,
aber nur ihm, keinem anderen Offizier. Erzählen Sie denen nur,
daß Sie nichts Besonderes auf Ihrem Ritt gesehen haben.
Howard wird begreifen, wenn er alles erfährt.«

Sergeant Otis Ryker salutierte. Er war kein Indianerfeind,

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war froh, daß es keinen Feldzug gegen die erprobten,
kampfgewohnten Wüstenkrieger gab. Und er würde Haggertys
Befehle befolgen.

Cochise und John warteten, bis das Grab geschlossen war

und blickten der halben Schwadron nach, die in Richtung
Nordwesten ritt. Entlang der Pedregosa Mountains erreichten
sie nach einem harten Trail Fort Buchanan.

Der Häuptling und sein Falke hingegen wollten der Fährte

der Mörder folgen.

*

»Verflucht, wir hätten doch die Waffen und den Sattel
mitnehmen sollen«, sagte der bärtige Mann, der als letzter ritt.
»Die Kerle in Mexiko zahlen mit blanken Goldpesos dafür.
Und die bringen ihr Geld auch hier in den Staaten.«

»Halt endlich dein Maul, du Narr«, rief der vorderste Reiter.

»Der Kerl war ein Armeescout. Willst du uns die verdammten
Soldaten auf die Fährte locken?«

»Ich begreife nicht, was das damit zu tun hat«, erwiderte der

Bärtige.

»Du bist ja auch dämlich, Nat«, sagte einer der anderen

grinsend. »Die Soldaten haben die toten Apachen gefunden. Ihr
Scout folgte unserer Fährte. Er hätte sicher die Blaujacken
geholt. Nun ist er tot.«

»Aber sie finden ihn doch, die Kerle sind stur genug, hinter

ihm herzureiten, wenn er nicht wiederkommt«, sagte Nat
hartnäckig. »Und dann sausen sie auch hinter uns her.«

Der Anführer der fünf Männer stöhnte. Nat war ein

Hohlkopf, ganz sicher. Aber hatte er einmal etwas begriffen,
war es gut.

»Hör zu, die Blauröcke sind unterwegs, weil sie bestimmte

Befehle haben«, sagte Teddy, der Anführer der kleinen
Gruppe. »Hätten wir das Halbblut ausgeraubt, wären sie uns

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gefolgt. So aber denken sie an ihren Befehl und geben auf. Das
ist bei den Spinnern von der Armee nun mal so.«

Nat schien endlich zufrieden zu sein.
Schweigend ritten die fünf Banditen durch die Berge nach

Osten. Mitten in den Pedregosas lag ihr Versteck, der
Unterschlupf für mehr als zwanzig Männer, die für ein paar
Cents einen Mord begingen. Sie alle, gleichgültig ob Weiße
oder Mexikaner, gehörten zur anderen Seite des Zaunes, waren
Gesetzlose, die sich mit Überfällen und heißen Aufträgen ihre
Dollars verdienten.

Nach und nach hatten sie sich gefunden und unter Jed

Bowson eine große Bande aufgebaut, die teilweise sogar den
Schmuggel nach Mexiko beherrschte.

Immer wieder durchstreiften kleine Gruppen das weite

Gebiet und suchten nach lohnenden Zielen für ihre Überfälle.
Durch die Verbindungen zu den Mexikanern waren sie in der
Lage, fast alles zu Geld zu machen.

Der Coup gegen die Horde Apachen schien eine Menge

Dollars abzuwerfen. Die Indianer schleppten reiche Beute mit.
Sie mußten in Mexiko ein Dorf überfallen und ausgeplündert
haben.

Allmählich standen die Bäume nicht mehr so dicht.

Aufmerksam musterten die Halunken die Senke, die sich bis zu
dem großen Krater hinzog, von dem niemand wußte, wie er
entstanden war.

»Mann, ein Wagenzug!« sagte einer der Banditen laut. »Seht

euch das an. Zehn Conestogas mindestens, das bringt harte
Dollars, Jungs!«

»Langsam, Brian, immer schön langsam«, erwiderte Teddy.

»Die fahren uns nicht davon. Wir beobachten sie erst mal eine
Weile.«

Der Anführer der Gruppe holte aus der Satteltasche ein

Armeefernglas und hob es vor die Augen.

»Na, was siehst du?« fragte Brian aufgeregt, »lohnt sich die

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Sache?«

»Auf jeden Fall, denke ich«, erwiderte Ted. »Es sind zehn

Wagen. Sechs haben Mulis vorgespannt und vier Ochsen.
Scheinen Siedler zu sein, die nach Westen wollen.«

Die Männer benötigten keine Befehle. Sie trieben ihre Pferde

an, ritten weit auseinander, um jederzeit eine
Richtungsänderung erkennen zu können.

Die zehn Wagen rollten nur langsam. Schwer stampften die

Tiere durch den Sand, boten all ihre Kraft auf, um die
Conestogas weiterzuziehen.

Endlich erreichte das führende Fahrzeug die Bäume. Der

Mann auf dem Kutschbock lenkte die Tiere in den Schatten der
Laubkronen und hielt an.

Es dauerte beinahe eine halbe Stunde, ehe die übrigen Wagen

ebenfalls stillstanden.

Brian glitt aus dem Sattel und schnallte die Sporen ab. Als er

sie in der Satteltasche verstaute, blickte er zu Teddy hinüber,
der nach unten deutete. Brian stieß die Rechte hoch in die Luft
und verschwand zwischen den Sträuchern.

Geräuschlos pirschte sich der Bandit den Hang hinab, nutzte

jede nur mögliche Deckung aus und blieb schließlich in
Hörweite liegen.

Er lauschte fast eine halbe Stunde und fand heraus, daß der

Treck an dieser Stelle lagern würde. Zufrieden zog sich Brian
zurück. Das war eine gute Meldung für Teddy.

Inzwischen war der Boß mit den anderen sicherlich schon

wieder im Versteck angelangt. Jed Bowson konnte zufrieden
sein mit dieser Woche. Die Beute aus dem Treck mußten sie
natürlich nach Mexiko schaffen. Denn so hielten sie es: was sie
jenseits der Grenze erwischten, brachten sie in den Staaten an
den Mann, und Dinge aus der Union wurde nach Mexiko
gebracht.

Brian erreichte sein Pferd, schnallte die Sporen wieder an

und saß auf.

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Es dauerte nicht lange, bis er Teddy erreichte und sagte: »Sie

sind reif. Sie lagern dort unten. Wir brauchen sie morgen früh
nur mit heißem Blei zu wecken.«

Teddy hielt das Glas vor die Augen und sagte: »Das sind 'ne

Menge Leute, Brian, mindestens dreißig. Vielleicht sogar
mehr. Wenn jeder zweite 'ne Schrotflinte hat, werden sie uns
ganz schön einheizen.«

Der andere Halunke lachte unbekümmert und erwiderte:

»Darüber soll sich Jed den Kopf zerbrechen. Er behauptet, im
Krieg Captain gewesen zu sein. Also darf er auch den Plan
machen. Oder willst du diese fette Beute einfach davonfahren
lassen?«

Teddy senkte das Fernglas und erwiderte grinsend: »Ich

müßte verrückt sein, Mann. Los, reiten wir. Hol die anderen
zusammen.«

Es dauerte nicht lange, bis die fünf Halunken quer durch die

Pedregosas zurückritten.

»Hee, da kommen unsere Kundschafter!« brüllte Jed

Bowson. »Was habt ihr entdeckt, Freunde? Gibt's neue Beute
für die Wüstenwölfe?«

Teddy drängte sich zu Ted durch und starrte auf die

zweiundzwanzig Säulen blanker Dollars, die der Boß aufgebaut
hatte.

»Mann, genau hundert«, erwiderte der Anführer der

Halunken. »Und die Goldpesos habe ich gar nicht erst
umgetauscht. Die bleiben unsere Reserve, Partner. Die zählen
noch mal für rund achthundert Bucks.«

Jeds Begleiter schnallten die Packen ab und öffneten sie.

Teddy hatte richtig vermutet, sie enthielten überwiegend
Whiskyflaschen.

»Jed, ich muß mit dir reden«, sagte der Halunke. »Die

Männer sollen nicht zuviel trinken. Wir entdeckten einen Treck
von zehn Conestogas.«

Bowson blickte Teddy grinsend an. Die wasserhellen Augen

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des Halunkenbosses schienen erwartungsvoll zu glänzen.

»Raus mit der Sprache, wo stecken die Schollenbrecher?«

wollte Jed wissen. »Können wir sie überrumpeln? Wieviel
Männer sind dabei?«

Teddy berichtete, was sie beobachtet hatten, und der Boß

überlegte. Schließlich nahm er einen Zweig vom Boden,
wischte über den Sand und zeichnete mit dem Stock die
Umgebung des Trecks auf.

Teddy verbesserte einige Punkte und war schließlich

zufrieden.

»Gut, wirklich sehr gut«, murmelte Bowson nachdenklich.

»Paß auf, wir kommen im Morgengrauen, zu der Zeit, in der
die Roten angreifen. Ich wette, daß die Kerle dann alle wach
sind. Wir erledigen sie auf einen Schlag. Mit den Weibern
haben wir dann leichtes Spiel. Wenn ein paar brauchbare dabei
sind, schenken wir sie in Fronteras oder Colonia Marelas den
dicken Senoritas, denen die Bordelle gehören.«

»Schenken?« fragte Teddy entgeistert, »bist du

übergeschnappt, Jed?«

Bowson lächelte schlau und erwiderte: »Ganz im Gegenteil,

Partner. Wir brauchen Freunde, Verbindungen. Und die
Senoritas kennen jeden. Kapierst du das?«

»Ich bin ja nicht so blöd wie Nat«, antwortete Teddy

grinsend.

Jed entwickelte seinen Plan, rief die anderen herbei und teilte

die Banditen ein. Sogar Nat, der Hohlkopf, begriff ziemlich
schnell, was er am nächsten Morgen zu tun hatte. Ihm paßte
nur nicht, daß er die Finger vom Whisky lassen sollte.

*

Sanft strich der Wind durch die Zweige der Bäume. Die Blätter
wisperten, teilten sich und ließen goldene Speere aus
Sonnenlicht auf den Waldboden scheinen.

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Cochise war eins mit seiner Umgebung. Der Jefe schien alles

zugleich in sich aufzunehmen. Er sah die Fährten, die Spuren
der Tiere, beobachtete ihren eigenen Weg zurück und blickte
voraus.

Die Bäume ragten in größeren Abständen zum Himmel auf.

Haggerty blickte zu Boden. Deutlich zeichneten sich die
Trittsiegel der fünf Pferde in der weichen Walderde ab.

Waren die Halunken zu ihrem Versteck geritten? Führte

diese Fährte die Verfolger direkt zur Höhle der Wüstenwölfe?

Cochise zügelte seinen Pinto, blickte zu Boden und sah

danach in das wüstenhafte Gebiet, das östlich der Pedregosa
Mountains begann. Die weite Senke wirkte auf Haggerty
bedrohlich. Sand, glitzernde Kristalle im grellen Sonnenlicht,
ab und zu Speerdornsträucher, eine Palmlilie und
Orgelpfeifenkakteen.

Der Übergang vom Waldgebiet zur Halbwüste schien ihm zu

hart. Aber dies war Apachenland. Und ein Mann wie Cochise
kannte jeden Winkel dieses Gebietes.

»Sieh, Falke, die weißen Mörder haben sich getrennt«, sagte

der Jefe und deutete mit der Rechten zu Boden.

Ja, der Boden war zerwühlt. Fünf Fährten führten in

verschiedene Richtungen. John versetzte sich in die Halunken,
versuchte, ihre Überlegungen nachzuvollziehen und nickte.

»Sie haben etwas entdeckt«, sagte Haggerty. »Vielleicht

neue Beute, Jefe. Wir müssen den Spuren folgen. Die
Halunken dürfen nicht wieder zuschlagen. Weißt du, ob
Apachen unterwegs sind?«

Cochise schüttelte leicht den Kopf, eine Geste, die er den

Weißen abgeschaut hatte.

»Rollende Jacales sind dort unten vorbeigezogen«, sagte der

Häuptling. »Erkennst du nicht die schmalen Rinnen der
Räder?«

Nein, so gut waren Falkes Augen wieder nicht. Als er die

Lider zusammenkniff, entdeckte er zwar einen zerwühlten

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Streifen, konnte aber nicht mit Sicherheit sagen, was diese
Spuren verursacht hatte.

»Wir reiten nach Westen«, bestimmte Cochise. »Wenn wir

auf die Weißen stoßen, müssen wir sie warnen.«

Die Stimme des Häuptlings hatte ausdruckslos geklungen.

Sicher war er nicht davon begeistert, daß wieder neue Siedler
in sein Land zogen. Aber er wußte auch, daß er die Flut der
Weißen nicht aufhalten konnte.

Schweigend ritten die beiden Freunde nebeneinander her. Sie

beobachteten wachsam die Spuren, die Umgebung, spähten
immer wieder ins freie Land hinunter.

Endlich erreichten sie den Ort, an dem die Banditen verharrt

hatten.

»Wahrhaftig, ein Treck«, sagte John. »Du meinst, wir sollen

uns diesen Menschen anschließen, Cochise? Ist es nicht besser,
wenn wir uns hier verbergen und abwarten, was geschehen
wird?«

Der Jefe schüttelte den Kopf und erwiderte: »Bruder, die

Wüstenwölfe greifen an. Ich weiß es. Die Menschen dort unten
müssen gewarnt werden. Wir sind nur zu zweit, Falke, und wir
können den weißen Banditen nicht so in den Rücken fallen,
daß sie aufgeben.«

Haggerty nickte. Er wußte, daß Cochise recht hatte. Und

John mochte nicht zugeben, daß er seinem Freund das
Mißtrauen der Weißen ersparen wollte. Denn ritten sie zu den
Siedlern, würde gerade ein Apache mit Feindschaft betrachtet
werden.

Cochise preßte dem Pinto die Hacken in die Weichen. Das

gescheckte Pferd schritt ohne Zögern auf den Hang zu. In
weiten Zickzackbögen leitete der Häuptling sein Tier hinab.

John trieb den Grauen an.
Während der Falke ins Tal hinabritt, beobachtete er die

Siedler. Die Menschen wirkten müde, wie nach einer großen
Anstrengung. Sicher waren sie froh, diesen Lagerplatz erreicht

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zu haben. Es gab Schatten, genügend Gras für die Ochsen und
Mulis und Wasser.

Daß sie in eine Falle gelaufen waren, ahnten die

Auswanderer nicht.

John schätzte sie als Farmer, als Ackerbauern ein, als er nahe

genug gekommen war.

Auf einmal wirkten die müden Menschen zwischen den

Wagen angespannt. Sieben, acht versammelten sich, starrten zu
den beiden Fremden hinüber, hielten Schrotflinten schußbereit.

Cochise zügelte seinen Pinto und hob die Linke. John ließ

sein Tier weitergehen. Als er den Kopf wandte und über die
Schulter zurückblickte, sah er, daß der Jefe ihm in zwei Längen
Abstand folgte.

»Halt!« rief ein älterer Mann, dem das grauweiße Haar bis

auf die Schultern fiel.

»Ihr bleibt in dieser Entfernung, Fremde«, befahl er. »Wir

sind keine Kämpfer, aber wir müssen Frauen und Kinder
schützen. Sie, Mister, sehen wie eine harte Nummer aus. Ich
frage mich, warum Sie mit 'nem Apachen durch die Gegend
reiten.«

Offenes Mißtrauen schwang in diesen Worten mit.
Haggerty lächelte, zeigte seine leeren Hände und erwiderte:

»Mister, wenn Sie mehr wissen wollen, muß ich näher
kommen. Meine Papiere stecken in meiner Jacke. Und ehe sie
etwas Unbesonnenes unternehmen, sollten Sie sich diese
Papiere ansehen.«

Langsam, mit deutlichen Bewegungen, griff Haggerty in

seine Jacke und zog die Unterlagen hervor, die von General
Howard unterschrieben waren. Darin wurde bestätigt, daß John
Haggerty im Auftrag der Kavallerie, im Auftrag des
Oberkommandierenden des Südwestens handelte. Gleichzeitig
wurden alle militärischen Befehlshaber angewiesen, die
Wünsche des Scouts zu befolgen.

»Ich heiße John Haggerty«, rief der ehemalige Chiefscout.

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53

»Vielleicht hat einer von euch schon von mir gehört. Neben
mir reitet Cochise, der Häuptling aller Apachen. Ihr solltet
wissen, daß Cochise für den Frieden eintritt. Schickt jemand
herüber, der die Papiere holt.«

Die Männer redeten erregt aufeinander ein. Cochise, diesen

Namen kannte jeder Weiße im Südwesten. Aber kaum ein
Bleichgesicht hatte den obersten Führer der Apachenstämme je
selbst gesehen.

Ein untersetzter Mann von vielleicht zwanzig Jahren stapfte

näher. Die Greenerflinte hatte er zurückgelassen. Der Bursche
wirkte offen und ehrlich, wie ein Mann, der bedächtig seinen
Weg geht.

Flaggerty musterte ihn und wußte, daß dieser

Menschenschlag den Südwesten prägen würde. Nicht die
Glücksspieler und Goldsucher waren es, die für das neue
Territorium arbeiteten. Nein, es waren die Ackerbauern, die
Siedler, die sich eine Heimstatt schaffen wollten. Sie bildeten
die Grundlage der weißen Bevölkerung. Und sie mußten in
Frieden mit den Apachen zusammenleben. Aber der Weg
dorthin war noch weit und schwer.

John übergab dem jungen Mann die Unterlagen. Der

marschierte zurück, gab dem Grauhaarigen die Papiere, die der
Mann entfaltete und langsam las.

Schließlich musterte er prüfend den ehemaligen Scout und

den hünenhaften Indianer und lächelte.

»Ich bin Abe Prendergast«, sagte der Ältere, »kommt an

unsere Feuer.«

Zugleich mit John saß Cochise ab. Sie führten ihre Pferde an

den Zügeln weiter.

»Wah, die Weißen sind seltsame Menschen«, murmelte der

Häuptling. »Sie haben dich doch gesehen, mich auch. Und
doch mußten sie erst das sprechendes Papier lesen, ehe sie uns
willkommen hießen. Was sagt ein Papier über einen Mann aus?
Sagt es mehr, als in seinem Gesicht steht, in seinen Augen,

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Falke?«

John lächelte flüchtig und erwiderte: »Die meisten Weißen

lassen sich von beschriebenem Papier mehr beeindrucken, als
von einem Menschen selbst.«

»Das ist falsch«, erwiderte Cochise. »Das Papier kann sich

nicht wehren, gegen das, was ein schlechter Mensch
aufschreibt. Und andere Bleichgesichter glauben dann, daß
dieser schlechte Mann gut ist. Der große Geist hat die
Gedanken deiner Rasse mit einem Wirbelsturm
durcheinandergebracht, Falke.«

John konnte nicht mehr antworten. Und er war froh darüber.

Denn er hätte keine Worte gefunden, um die Art der Weißen zu
rechtfertigen. Vielleicht lag es an der völlig anderen Kultur
seiner Rasse, und irgendwie ahnte Haggerty, daß der Weg der
Apachen, der Weg aller Indianer eigentlich besser war.

»Mr. Prendergast«, sagte John, »wir danken Ihnen. Wir sind

nicht gekommen, um ein paar kostenlose Mahlzeiten zu
ergattern. Wir wollen Sie warnen.«

Die übrigen Männer drängten sich dichter um die beiden

Fremden, blickten Cochise scheu an und warteten auf die
Erklärung.

»Dieser Treck wird überfallen werden«, sagte Haggerty

gelassen. »Der Jefe und ich sind hinter einer Bande weißer
Halunken her. Sie metzelten eine Horde Mimbrenjos nieder.
Die Spuren führen in diese Berge hier. Wir fanden einen toten
Armeescout und die Fährten von fünf Pferden. Diese Reiter
haben euch beobachtet.«

Haggerty sah deutlich, daß den Siedlern die Furcht im

Nacken saß. Er bezweifelte, daß diese Menschen sich mit
Klauen und Zähnen verteidigen würden. Am liebsten wären sie
wohl umgekehrt oder hätten sich irgendwo verkrochen.

John sah Cochise an. Der Jefe blickte die Weißen

gleichmütig an, achtete nicht auf die ängstlichen Blicke, die er
spürte.

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»Es sind weiße Banditen«, sagte Haggerty eindringlich. »Sie

werden im Morgengrauen, während der Dämmerung angreifen.
Fahrt die Wagen zu einer Burg zusammen. Die Deichseltiere
müssen innerhalb des Kreises bleiben. Wir helfen euch, den
Angriff abzuschlagen. Oder wollt ihr etwa aufgeben? Es gibt
keine Sicherheit für euch. Dazu ist der Treck zu unbeweglich.«

Abe Prenderast fing sich als erster. Er winkte mit der Hand,

und Cochise und John folgten ihm zu einem Feuer.

Ein junger, schmal gebauter Bursche hockte nach Cowboyart

auf den Hacken und stocherte in einem Topf, der auf drei
Steinen über der Glut stand. Das dunkle Haar fiel dem jungen
Mann weit in den Nacken.

»Das ist Olivia, meine Tochter«, sagte Abe. »Ihre Mutter war

die schönste Mexikanerin, die ich je sah. Sie starb vor vier
Jahren am Biß eines Kupferkopfs. Seitdem versorgt Olivia
mich.«

Geschmeidig stand das Mädchen auf. Es war wie ein Junge

gekleidet. Nur die sanften Rundungen unter dem karierten
Hemd verrieten, daß der junge Mann in Wirklichkeit ein
Mädchen war.

»Wer sind die Fremden, Daddy?« fragte das Girl, nachdem

es Haggerty und Cochise prüfend angeschaut hatte.

Ihr Vater stellte die Besucher vor und sprach auch vom

Überfall, den der Scout erwartete.

Die dunklen Augen des Girls blitzten, als es rief: »Dann

werden wir kämpfen! Wir sind von Animas weggezogen, um
uns eine neue Heimat zu suchen. Wir lassen uns nicht von ein
paar Halunken aufhalten!«

Haggerty lächelte anerkennend.
Selbst der Jefe nickte Olivia freundlich zu und sagte kehlig:

»Das Ziel, das sich ein Mensch setzt, muß er erreichen.«

Olivia neigte den Kopf.
Selbst Cochise verschmähte nicht die Pfannkuchen, die das

junge Mädchen gebacken hatte. Sie waren mit Kräutern gefüllt

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56

und schmeckten dem Jefe.

Nach dem Essen erzählte Prendergast, daß sie alle aus

Animas im Osten stammten. Dort war der Boden zu karg. Mehr
als vier Ernten hatte er nicht hervorgebracht. Westlich von
Tombstone, am San Pedro River, gab es gutes Land für
Farmer. Die Schollenbrecher hatten ihre Parzellen eintragen
lassen, wie es das Heimstättengesetz vorsah.

Im Verlauf des Abends entwickelte Haggerty mit den

Siedlern seinen Abwehrplan.

Allmählich erloschen die Feuer. Im Licht des Mondes

schoben die kräftigen Männer die Wagen eng zusammen,
klappten die Deichseln hoch, so daß kaum Zwischenraum
blieb.

Die meisten Siedler fanden nur schwer Schlaf. Sie waren

aufgeregt, dachten fortwährend an den Kampf, der sie morgen
erwartete.

*

Cochise und Haggerty erwachten, noch ehe im Osten der erste
graue Schimmer über den Horizont glitt. Der Chief huschte
davon, nachdem er Johns Arm kurz berührt hatte. Haggerty
wußte, was der Apache vorhatte. Er wollte so dicht wie
möglich an den Bergwald schleichen und lauschen.

Besorgt blickte Haggerty nach Osten. Die goldenen

Lichtspeere der Sonne stachen bereits in das Dunkel der Nacht.

Die Dämmerung zog auf. Wo blieb Cochise?
Angestrengt spähte John zum Bergwald hinüber. Nichts

rührte sich dort. Und doch spürte der erfahrene Mann, daß die
Gefahr bereits zwischen den Bäumen lauerte.

Ein Körper rollte unter einem Conestoga durch. Geschmeidig

stand der großgewachsene Apache auf und trat neben
Haggerty.

»Falke, es sind zwanzig Männer«, sagte der Jefe halblaut.

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»Sie reden nicht. Ihr Plan steht also fest.«

John nickte und murmelte: »Sie kommen in breiter Linie von

den Bergen herab, denke ich. Die Flankenreiter galoppieren
weiter und umzingeln das Lager. Sobald der Ring geschlossen
ist, feuern die Kerle aus allen Rohren. Ja, so wird es ablaufen,
mein Bruder.«

Der Häuptling war zum gleichen Ergebnis gekommen.

Haggerty huschte von Wagen zu Wagen und weckte die
Männer. Sie alle umklammerten ihre Flinten. Einen Karabiner
besaßen die wenigsten.

John überlegte sich, daß dies eigentlich gut war. Denn mit

weittragenden Waffen würden die Verteidiger die Halunken
auf zu große Distanz halten. Und aus der Deckung der Bäume
heraus wäre es den Banditen leicht möglich, einen Siedler nach
dem anderen zu erledigen.

»Laßt sie herankommen«, befahl Haggerty den Ackerbauern.

»Wenn die Kerle noch fünfzig, sechzig Yard entfernt sind,
brennt ihr eure Flinten ab. Ich gebe das Kommando. Sobald ihr
meine Winchester hört, blast ihr den Halunken das Schrot um
die Ohren. Die zweite Ladung verwahrt ihr euch, verstanden?«

Die Männer nickten. Ihre Gesichter wirkten ernst. Sie waren

alle nur Schollenbrecher, unterdrückten aber ihre Furcht. Sie
wollten kämpfen, ihr Leben, das ihrer Frauen und Kinder
verteidigen.

Cochise und John sahen zu, wie sich die Verteidiger

verteilten.

Olivia Prendergast schleppte eine Parkerflinte und eine

Winchester zur anderen Seite der Wagenburg.

Und nun begann das Warten, das an den Nerven der Männer

zerrte.

Und dann kamen sie.
Die Pferde rutschten über den Hang, stemmten die

Vorderbeine in den Boden, um die Schußfahrt abzubremsen.
Zwanzig Männer rissen ihre Tiere herum. Sie jagten auf die

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Wagenburg zu. Die Flankenreiter trieben ihre Pferde an, die in
stumpfem Winkel davongaloppierten.

Der Angriff erfolgte so, wie es sich John und Cochise

gedacht hatten.

Ein Dutzendmal krachte es metallisch, als die Siedler ihre

Flinten spannten.

»Abwarten!« rief John laut und scharf. »Erst schießen, wenn

ich feuere! Die Schrotladungen müssen wie ein Bleihagel
wirken!«

Erst jetzt hörten die Menschen in der Wagenburg das

Hämmern der Hufe. Bisher war es durch den weichen
Waldboden gedämpft worden.

»Verdammt, wir müssen schießen!« brüllte einer der Siedler

nervös. »Sie überrennen uns, feuert doch!«

Haggerty preßte die Lippen zusammen. Es war noch zu früh.
»Warten!« schrie er.
Noch hundert Yards, noch achtzig, siebzig, und nun jagten

die Banditen Kugel um Kugel aus den Läufen. Ein Bleigewitter
fetzte durch die Planen der Conestogas. Die Geschosse
zertrümmerten Hausrat, Wasserfässer, zwei Mulis brachen
zusammen, und einer der Zugochsen röhrte wie ein
tollgewordener Brasadastier, dem eine Klapperschlange am
Hals hing.

John riß die Winchester hoch und feuerte. Der Schuß

peitschte. Die Kugel fegte einen Angreifer aus dem Sattel. Der
Mann blieb mit dem Fuß im Steigbügel hängen, wurde
mitgeschleift.

Und eine Sekunde später donnerten die Flinten.
John wurde völlig taub. Er hörte nicht einmal mehr die

Schüsse seiner Winchester, spürte nur am Ruck der Waffe, daß
er feuerte.

Die Schrotladungen fegten mit verheerender Wirkung

zwischen die Halunkenhorde. Pferde stiegen hoch, drehten
sich, warfen ihre Reiter ab. Drei, vier Tiere brachen zusammen,

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59

katapultierten ihre Reiter aus den Sätteln.

Haggerty und Cochise schossen nicht mehr. Sie beobachteten

den Wirbel aus Tieren und Menschen vor der Wagenburg. Fünf
Reiter rissen ihre Pferde herum, ließen die Gäule im
gestreckten Galopp auf die Deckung des Bergwaldes zujagen.

Auf der anderen Seite der Wagenburg dröhnten die Flinten

ein zweites Mal. John sprang auf, rannte hinüber. Denn ehe die
Siedler geladen hatten, konnten die überlebenden Halunken die
Wagen erreicht haben. Nur ein Mann mit einer Winchester
vermochte diesen Angriff abzuhalten.

Ein Gewehr peitschte in rasender Folge.
Olivia, dachte John, sie hält die Kerle nieder.
Haggerty jagte im Zickzack zwischen den unruhigen Ochsen

und den Mulis durch. Die störrischen Biester hatten die Ohren
angelegt und die hornigen Lippen zurückgezogen. Die
Maultiere spürten Angst, Todesangst, witterten den Blutgeruch
des verletzten Zugochsen, den ihrer toten Artgenossen.

Und John hatte alles Pech der Welt.
Er sah Olivia. Sie stand auf einer Deichsel, beugte sich weit

vor, feuerte, und als sie eine neue Patrone ins Lager hebelte,
geschah es.

Wie ein großer Schatten jagte ein Pferd vorbei. Blitzschnell

beugte sich der Reiter aus dem Sattel, packte zu, und im
nächsten Moment wurde das Mädchen durch die Luft gezerrt.

Haggerty brüllte vor Wut, wich einem Muli aus und spürte

plötzlich einen eisenharten Schlag in seinem Rücken, der ihm
die Luft aus den Lungen trieb und die Tränen des Schmerzes in
die Augen steigen ließ.

Schlaff fiel John zu Boden. Keuchend rang er nach Luft,

versuchte, den stechenden Schmerz in seinen Lungen zu
überwältigen. Endlich kam Haggerty wieder auf die Beine,
hetzte zur Lücke, in der Olivia gestanden hatte, und sprang auf
die Deichsel.

Der Reiter war bereits zwei Dutzend Pferdelängen entfernt.

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Er hielt sein Tier im Galopp. Olivias schwarzes Haar flatterte
im Reitwind. John riß die Winchester an die Schulter, zielte
genau, senkte den Lauf, wollte auf das Pferd schießen, und gab
schließlich resignierend auf.

Es war zu gefährlich, viel zu gefährlich. Die Chance für das

Mädchen stand zehn zu eins gegen sie. Verwundete Haggerty
den Halunken nur, konnte er Olivia immer noch töten. Stürzte
das Pferd, war es möglich, daß sie sich das Genick brach.

Nein, John durfte nicht feuern.
»Hurra!« brüllten die Männer und Frauen des Trecks.
Sie hatten gesiegt, den Angriff der Wüstenwölfe

abgeschlagen. Die einfachen Schollenbrecher hatten es
wahrhaftig fertiggebracht, eine Horde wilder Halunken in die
Flucht zu schlagen.

Haggerty lud sein Gewehr auf. Er blickte zu den Bergen. Das

Grün der Baumkronen glänzte im Sonnenlicht.

Cochise ging auf seinen Freund zu. Das Gesicht des Jefe

wirkte ernst. John las Besorgnis im Blick des Häuptlings.

»Da lebt ja noch einer!« rief einer der Siedler.
Der Jefe wirbelte herum, blickte zwischen zwei Wagen

durch, und feuerte sofort. Ein Mann, der schwankend
davonlaufen wollte, brach zusammen.

Die Weißen starrten den Apachenchief an, als sei er ein

Mörder. Cochise lächelte etwas bitter und sagte kehlig:
»Tollwütige Wölfe müssen sterben, Bleichgesichter. Vergeßt
ihr, daß sie euch töten wollten?«

Abe Prendergast marschierte auf Haggerty und den Jefe zu.
»Danke!« rief der grauhaarige Mann, »ohne eure Hilfe hätten

wir es nicht geschafft. Wir haben sie abgeschlagen. Aber wo ist
meine Tochter? Ist sie etwa verwundet? Sie ist schon immer
wild gewesen, wie ein Junge;«

Haggerty stellte das Gewehr auf den Boden und stützte sich

mit beiden Händen auf die Mündung.

»Abe«, sagte John ernst, »ich habe gesehen, was mit Ihrer

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Tochter geschah. Sie lebt, ist unverletzt.«

»Aber?« fragte Prendergast mit unsicherer, schwankender

Stimme.

»Einer der Halunken hat sie mitgeschleppt«, erwiderte

Haggerty leise.

Dem grauhaarigen Mann fiel die Flinte aus der Hand. Er

starrte John an, blickte zu Cochise und sah schließlich zu den
Bergen hinüber.

»Heiliger Himmel«, flüsterte der Siedler, »sie ist verloren.

Dieser Preis ist zu hoch.«

*

Cochise nickte Haggerty zu und sagte leise in der Sprache der
Apachen: »Falke, ich folge den Kojoten. Wir müssen erfahren,
ob sie sich geschlagen geben.«

»Gut, mein Bruder«, erwiderte John. »Laß dich nicht sehen.«
Der Chief lächelte flüchtig, warf dem Weißen die Winchester

zu und huschte zwischen zwei Conestogas durch. Ein paar
Siedler traten zur Lücke, sahen ihm nach, suchten den
Apachen, entdeckten aber keine Spur mehr von Cochise.

Vier Auswanderer waren verletzt. Aber keine Verwundung

war ernst. Nur Streifschüsse versorgten die Frauen.

Der angeschossene Ochse mußte geschlachtet werden. Die

Kugel hatte ein paar Sehnen und ein Gelenk zertrümmert. Das
Tier konnte nicht mehr im Joch marschieren und einen Wagen
ziehen.

Innerhalb kurzer Zeit herrschte geschäftiges Treiben in der

Wagenburg. Wasserfässer wurden ausgebessert, Planen
zusammengenäht, drei Halbwüchsige reinigten die Flinten und
luden sie auf.

Haggerty stieg auf einen der Wagen und öffnete die Plane so

weit, daß er die Bergkette überblicken konnte. Obwohl er mit
keinem weiteren Angriff rechnete, blieb er aufmerksam.

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Cochise war bereits seit zwei Stunden verschwunden. John

machte sich keine Sorgen um den Häuptling. Er war ein Mann
seiner Welt, und kaum ein Weißer vermochte den Jefe zu
überlisten.

Prendergast lenkte sich durch Arbeit ab. Doch immer wieder

hielt er inne und blickte zu den Pedregosa Mountains hinüber.

John blieb ruhig. Er suchte immer wieder den Bergwald mit

seinen Blicken ab, entdeckte jedoch nichts, das auf Gefahr
hinwies.

Seinem Gefühl nach war eine, weitere Stunde vergangen, als

er sah, wie sich kniehohes Gras für zwei Sekunden bewegte.
Kein Wind strich über die Gegend. Die Hitze der Sonne lag
drückend auf den Menschen und Tieren. Lediglich der nahe
Bergwald milderte die Wärme etwas. Gespannt behielt John
die Stelle im Auge, an der sich das Gras bewegt hatte. Alles
blieb still. Nichts wies darauf hin, daß dort ein Lebewesen war.

Auf einmal richtete sich Cochise dicht vor den Conestogas

auf. Lächelnd sprang der Häuptling über eine Deichsel und
ging zu John.

»Ich habe dich gesehen«, sagte Haggerty. »Wirst du

unvorsichtig?«

»Du solltest sehen«, erwiderte der Jefe, »damit du nicht an

einen Angriff dachtest.«

Abe Prendergast entdeckte den Häuptling, ließ die drei

Männer und ihre Frauen einfach stehen, mit denen er
gesprochen hatte, und rannte herbei.

»Was ist mit Olivia?« fragte der Siedler.
Der Jefe sah ihn ernst an.
»Sie lebt, ist unversehrt, weißer Mann«, erwiderte Cochise.

»Elf Männer leben noch. Drei von ihnen sind leicht verwundet.
Sie haben beraten. Deine Tochter liegt gefesselt in einer
Hütte.«

Prendergast wischte sich mit dem Ärmel über die

schweißnasse Stirn und atmete schwer, wie nach einer großen

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Anstrengung.

»Sie lebt«, widerholte er dumpf, »wie lange noch,

Häuptling? Was hast du gehört? Was haben die Halunken vor?
Greifen sie wieder an?«

»Sie wollen deine Tochter gegen eure Wagen eintauschen«,

sagte der Jefe hart. »Werdet ihr zustimmen?«

Die Menschen schwiegen. Sie starrten den grauhaarigen

Mann an, der so etwas wie ihr Anführer war.

»Natürlich stimmen wir zu«, rief einer der anderen Siedler.

»Aber es muß sicher sein, daß Olivia heil zurückkehrt.«

Cochise lächelte leicht. Ihm gefiel, daß diese Weißen hier

zusammenhielten, keinen der ihren im Stich ließen, wie das so
oft bei den Bleigesichtern geschah.

»Wirst du helfen?« fragte Abe Prendergast langsam den

Häuptling. »Haben wir überhaupt eine Chance?«

Cochise nickte und erwiderte: »Ja, wartet, bis der weiße

Wüstenwolf kommt und mit euch redet. Gebt nach, erfüllt die
Forderungen. Falke und ich befreien deine Tochter, Grauhaar.
Anschließend jagen wir den Rest des Wolfsrudels.«

Haggerty blickte seinen Apachenbruder von der Seite her an.

Der Häuptling hatte bereits einen Plan, das fühlte John. Aber
zuvor mußten sie sich unauffällig absetzen. Die Banditen
ließen den Treck sicher beobachten. Und es fiel auf, wenn zwei
Reiter verschwanden.

»Ihr habt uns nie gesehen«, sagte Cochise. »Niemand darf

über uns reden. Den Angriff habt ihr allein abgeschlagen. Falke
und ich verbergen uns, sobald der Bote der Banditen kommt.
Ich will hören, was er fordert, ob alles so geblieben ist, wie ich
es hörte.«

Prendergast nickte. Er sah sich um. Seine Freunde und

Gefährten hatten begriffen, was der Apachenchief vorhatte. Er
wollte mit dem ehemaligen Scout aus dem Hinterhalt
zuschlagen. Nichts durfte verraten, daß die Siedler noch Hilfe
hatten.

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Zwei Männer sonderten sich von den anderen ab und

blickten ständig zu den Bergen hinüber.

Die Frauen kümmerten sich um die Kochfeuer. Es dauerte

nicht lange, bis der Duft von Essen und Kaffee über den
Lagerplatz zog. Prendergast bekam keinen Bissen hinunter.
Cochise nahm dankend eine Pfanne voll geschmortes
Ochsenfleisch an. John aß Bohnen mit Speck und trank eine
Unmenge Kaffee, der stark, heiß und sehr süß war.

»Sie kommen«, rief einer der Posten gedämpft. »Es sind

zwei Kerle. Sie sind ihrer Sache sicher, sitzen normal in den
Sätteln.«

Cochise und Haggerty liefen zu einem der Wagen und

schwangen sich auf die Ladefläche.

»Zwei Männer, das ist schlecht«, sagte John. »Einer wird die

Antwort der Siedler zu den Halunken bringen. Der andere
bleibt hier, um die Ackerbauern zu überwachen, zu verhindern,
daß sie Tricks vorbereiten. Was jetzt, Jefe?«

Cochise lächelte fast grausam.
»Ich werde ihn töten«, erwiderte der Häuptling.
»Dann sind die Kerle gewarnt, mein Bruder«, sagte Haggerty

besorgt. »Olivia und die Siedler haben die Folgen zu tragen.
Nein, das geht nicht.«

»Niemand wird wissen, wer ihn getötet hat«, sagte Cochise.

»Mein Bruder mag mitgehen, wenn die Zeit gekommen ist.«

Vergeblich zerbrach sich Haggerty den Kopf über diese

rätselhaften Worte. Aber der Chief würde schon wissen, was er
tat. Obwohl sie sich doch schon lange kannten und schätzten,
verblüffte der Apachenführer den weißen Freund immer wieder
mit neuen Listen und Tricks.

»Hee, Treck!« brüllte einer der Banditen, »wir kommen

näher. Schießt bloß nicht. Wenn ihr uns tötet, geht's dem Girl
dreckig. Noch lebt sie, noch ist sie unversehrt. Denkt daran.«

Prendergast kletterte auf den Kutschbock des Wagens, unter

dessen Plane John und der Jefe hockten.

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»Kommt näher«, erwiderte der Grauhaarige, »was wollt ihr?

Gebt das Mädchen frei. Es nutzt euch doch nichts.«

Drei Pferdelängen vor der Wagenburg verhielten die beiden

Kerle ihre Pferde. Die Halunken grinsten gemein. Beide
wirkten sie wie hungrige Wölfe, besaßen sie die gleiche
Ausstrahlung. Obwohl der eine ein Mexikaner war und sein
Kumpan ein Weißer, ging von ihnen die gleiche
Skrupellosigkeit und Lebensverachtung aus.

»Also, hört genau zu«, sagte der Amerikaner, »ich sag's nur

einmal. Ihr habt nur drei Minuten zum Überlegen, wenn ich
fertig bin.«

»Red schon!« fuhr Prendergast den Kerl an, »ehe ich mir's

anders überlege und dich zur Hölle schicke.«

»Denn seht ihr das Mädchen nicht lebend wieder«, erwiderte

der Mexikaner, dem fettige Haare strähnig ins Gesicht hingen.
»Und bevor unsere Freunde sie umbringen, werden sie noch
eine Menge mit ihr anstellen.«

Am liebsten hätte Prendergast dem schmierigen Kerl die

Haut bei lebendigem Leib abgezogen. Aber es ging um seine
Tochter, um Olivia.

»Wir tauschen das Girl gegen eure Wagen ein«, sagte der

Amerikaner. »Eine andere Chance habt ihr nicht.«

Sekundenlang war es totenstill.
»Wir verlieren alles!« rief eine Frau schrill. »Nein, das ist

doch unmenschlich! Wo sollen wir hingehen? Wovon wollen
wir leben?«

Die Halunken grinsten breit, als sei dies alles ein mächtig

großer Spaß.

»Entweder das Mädchen heil zurück, oder eure Wagen«,

erwiderte der Mex. »Nehmt ihr die Wagen, überfallen wir euch
wieder. Und die schöne Senorita stirbt, nachdem wir unseren
Spaß mit ihr hatten.«

Prendergast saß auf dem Kutschbock des Conestogas wie

unter einer drückenden Last und starrte auf das Bodenbrett.

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»Ihr fahrt die Wagen genau nach Süden«, erläuterte der

amerikanische Bandit. »Sobald ihr die Grenze überquert habt,
kommt ihr nach San Bernardino. Ein kleines Nest, in dem nur
siebzig Menschen leben. Sie alle kennen uns, sind uns
verpflichtet. Dorthin bringen unsere Freunde das Mädchen.
Sobald die Wagen dort sind, bekommt ihr das Girl und könnt
verschwinden. Ihr habt drei Minuten zum Überlegen.«

»Eine Falle«, murmelte Haggerty kaum hörbar dicht an

Cochises Ohr. »Die Halunken bringen die Siedler in Mexiko
um.«

Cochise nickte nur. Das hatte er vorhin verschwiegen, als er

berichtete, was er bei den Banditen erlauschte.

»Nein, so nicht«, sagte Abe Prendergast. »Ihr könnt die

Wagen von uns übernehmen, hier. Fahren müßt ihr die
Conestogas schon selbst. Und das Mädchen bringt ihr hierher.
Damit sind wir einverstanden.«

Die beiden Halunken betrachteten den grauhaarigen Siedler

angewidert.

»Ihr habt keine Wahl«, sagte der Amerikaner brutal.

»Entweder läuft die Sache so, wie wir verlangen, oder
überhaupt nicht.«

Prendergast gab nach.
»Also gut«, sagte er dumpf, »wir bringen die Wagen nach

Süden. Wann fahren wir los?«

Feixend streckte der Amerikaner die Hand aus und sagte zu

dem schmierigen Mexikaner: »Zehn Dollar, Felipe, du hast, die
Wette verloren.«

Widerwillig rückte der Greaser zehn Bucks raus.
Er sah die Siedler an und rief: »Henry hier bringt unseren

Freunden die Nachricht, daß ihr einverstanden seid. Ich warte
hier. Ihr solltet keine Gelegenheit bekommen, euch dreckige
Tricks auszudenken. Ein paar von uns reiten mit dem Treck.
Wer etwas versucht, bekommt 'ne Kugel zwischen die Augen.«

Cochise und John hörten die Hufschläge des Pferdes, das

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seinen Reiter zu den Bergen zurücktrug.

»Komm, Falke«, raunte der Jefe und glitt von der

Ladefläche.

*

Lautlos liefen die beiden Freunde in Deckung der Conestogas
zur entgegengesetzten Seite der Wagenburg. Geschickt wie
Wiesel wanden sie sich unter einem Fahrzeug durch,
verschwanden im kniehohen Gras.

Haggerty blieb dicht hinter Jefe. Der Häuptling schien kaum

den Boden zu berühren, so schnell glitt er weiter. Verwundert
sah John, daß Cochise auf ein sandiges Gebiet zukroch. Die
Kristalle glitzerten im Licht der grellen Sonne.

Der Sand mußte heiß, fast glühend sein. Was suchte der

Apache dort? Haggerty dachte an Klapperschlangen und
verspürte Unbehagen. Die Giftwürmer mußten doch von der
Hitze so aufgewärmt sein, daß sie blitzschnell zubissen.

»Warte hier, Falke«, murmelte der Chief, als sie unmittelbar

vor dem heißen Sand lagen.

Ehe John eine Frage stellen konnte, wieselte der Indianer

weiter. Er huschte über den Sand, hinterließ kaum eine Spur.
Und auf einmal klang das scharfe Rasseln von Hornklappern
auf. Eine Schlange hatte ihren Feind entdeckt und warnte ihn.

John hörte einen merkwürdigen Singsang. Cochise redete auf

den Wurm ein, schien ihn beruhigen zu wollen. Entsetzt wollte
sich Haggerty aufrichten, den Revolver ziehen, um den Freund
zu schützen.

»Ruhig, Schwester Schlange«, sang Cochise, und die Worte

wurden von zischenden Lauten begleitet. »Schwester Schlange,
du mußt deinem Bruder helfen. Der rote Mann braucht dich,
kleine Schwester, er braucht deine Gefahr, dein Gift.«

Wie ein Lied, ein äußerst merkwürdiges Lied, klangen die

Worte des Häuptling. Abrupt verstummte das warnende

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Rasseln der Klapperschlange.

Haggerty lag wie gelähmt am Rand der Sandfläche. Was war

geschehen? Hatte das Tier den Häuptling gebissen?

Ein leises Zischen durchbrach die Stille. Haggerty hob den

Kopf, sah gespannt zu den schwankenden Grashalmen hinüber
und entdeckte Cochise.

Der Jefe der Apachen glitt zurück. Beide Arme hielt er weit

vorgestreckt. Eine ausgewachsene, kräftige Klapperschlange
ringelte sich um die Hände des Indianers. Den Kopf hatte das
Tier auf den nackten Unterarm gelegt. Es verhielt sich ganz
ruhig, schien damit einverstanden zu sein.

John hielt den Atem an. Cochise blinzelte seinem weißen

Freund zu und lächelte überlegen. Stolz funkelte in den Augen
des großen Jefes. Die Schlange nahm die Wärme des zweiten
Menschenwesens auf, hob den Kopf, und die gespaltene Zunge
schnellte aus dem Maul.

Haggerty konnte nicht wegschauen. Fasziniert starrte er das

hochgiftige Reptil an, das sich um Cochises Arm geringelt
hatte. Ja, dachte der Weiße, die Apachen sind die Brüder der
Schlangen. Wie die Giftwürmer stoßen sie zu, plötzlich aus
dem Nichts, und sie bringen Tod und Verderben – wie die
Schlange.

Ein weiterer Gedanke zog Haggerty durch den Kopf, vage

nur, und als er diese Bruchstücke zusammensetzte, erschrak er.
Das war doch unmöglich! Das konnte doch nicht gutgehen.
Cochise brachte sich in Lebensgefahr!

»Bleib liegen, Falke«, murmelte der Jefe im gleichen

Tonfall, mit dem er vor Minuten die Schlange angesprochen
hatte. »Es wird alles nach dem Willen des großen Geistes
geschehen. Wir Krieger kennen den Tod. Und er ist gleich mit
dem Leben. Könnte sonst ein Mann in den Kampf ziehen?
Wenn er an dieser Wahrheit zweifelt, vermag er nicht mehr zu
kämpfen.«

Haggerty verspürte ein Jucken im Nacken. Es wurde immer

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schlimmer, schien sich in die Haut, in sein Fleisch zu bohren,
aber John beherrschte sich. Er wußte, das die geringste
Bewegung dem Freund den Tod bringen konnte.

Endlich war Cochise außer Sichtweite. Als Haggerty sich

kratzen wollte, war der Juckreiz verschwunden. Der ehemalige
Scout zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen.

Ab und zu schwankten die Grashalme. Lag es daran, daß der

Jefe mit der Schlange nicht richtig über den Boden gleiten
konnte? Oder wollte er seinem weißen Freund anzeigen, wo er
sich befand?

Haggerty zog die Beine an und setzte sich auf die Hacken.

Mit gebeugtem Kopf suchte er den Mexikaner.

Der Halunke war abgesessen. Er beschäftigte sich mit einer

Zigarre, biß gerade die Spitze ab und spuckte das Tabaksende
aus. Mit der linken Hand fingerte er in der Jackentasche herum,
schien ein Schwefelholz zu suchen.

Noch einmal schwankten die Gräser. Nun stand Cochise auf.

Lautlos, geschmeidig wie eine Raubkatze, wuchs der
muskulöse Mann aus dem Gras.

Nichts warnte den Mexikaner. Er sah nicht die beinahe

zärtlichen Bewegungen, mit denen Cochise die
Klapperschlange von seinen Händen löste.

Und eine Sekunde später flog das Reptil durch die Luft!
Der schmierige Halunke brüllte erschreckt auf, ließ die

Zigarre fallen, riß den Colt aus dem Halfter, wollte feuern.

Die Klapperschlange hieb ihre Giftzähne in den Hals des

Banditen.

Deutlich sah John, daß sich die Augen des Schurken entsetzt

weiteten. Er warf seinen Revolver weg, packte zu, zerrte am
kräftigen Leib des Reptils und röchelte unverständliche Worte
auf Spanisch.

Das Tier öffnete die Kiefer, schnellte herum und hieb die

Fangzähne in den Handrücken des Hundesohnes. Gellend
kreischte der Greaser seine Todesangst heraus, drehte sich wie

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ein Kreisel um sich selbst. Plötzlich hielt er inne, fingerte am
leeren Halfter herum, als er den über sechs Fuß großen
Indianer sah.

»Das ist dein Tod«, sagte der Jefe laut und hart. »Wölfe

jagen wir mit vergifteten Pfeilen, Mörder. Und heute war mein
Pfeil die Schwester Schlange. Du bist schon tot, Gelbhäutiger,
du spürst, wie das Gift zu deinem Herzen kriecht. Es gibt kein
Erbarmen für dich. Nicht für dich und nicht für deine
Gefährten, die über die Krieger der Mimbrenjos den heißen,
bleiernen Tod brachten. Dies ist meine Vergeltung,
Gelbhäutiger. Ihr alle werdet sterben. So habe ich entschieden.
Und ich bin Cochise, der Häuptling aller Apachen!«

Felipe röchelte. Die Schlange war zu Boden gefallen,

verschwunden.

»Heilige Mutter Gottes von Guadeloupe, hilf mir!« brachte

der mexikanische Bandit noch heraus, ehe er zusammenbrach.

Sekunden später lag er regungslos vor seinem Pferd. Das

Tier senkte den Kopf, nahm die Witterung auf und wieherte
entsetzt. Es bockte wie ein Bronco, stieg hoch, durchfurchte die
Luft mit den Hufen, prallte schwer auf den Boden und
galoppierte davon, auf die Berge zu.

Haggerty ging zu dem Jefe hinüber. Das Gesicht des

Häuptlings wirkte kalt, abweisend und ausdruckslos. Er blickte
auf die Conestogas des kleinen Trecks. Zwischen den Wagen
schimmerten die Gesichter der Weißen. Angst stand darin,
Furcht vor dem Unbekannten, vor der Grausamkeit der
Indianer. Sie hatten miterlebt, wie Cochise einen Feind tötete,
einen Schurken, der hundertfach den Tod verdient hatte.

Und doch kroch ihnen die Angst in die Glieder. Sicher

dachten sie an die Apachen. Die Krieger der Halbwüste
konnten auf die gleiche Art sämtliche Weißen töten oder
vertreiben. Nur das Wort des großen Chiefs hielt sie zurück.

»Reiten wir, Bruder«, sagte Cochise zu Haggerty. »Drei

Männer bringen die Tochter des Grauhaarigen in die Stadt der

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Gelbhäutigen, die San Bernadino heißt. Ehe sie die Jacales aus
Stroh und Lehm erreichen, werden sie sterben.«

John lief auf die Wagen zu, übersprang eine Deichsel und

holte die Pferde. Kaum eine Minute später galoppierten die
beiden Tiere nach Süden.

Cochise hatte die Führung übernommen. Er kannte das

Dornbuschgebiet wie kein anderer.

*

Der Pinto des Häuptlings bewegte die Beine wie eine
Maschine. Unermüdlich stampften die Hufe. Die Pedregosa
Mountains lagen weit zurück.

Haggerty wandte sich im Sattel um. Das Grün des

Bergwaldes war verschwunden. Wabernde Hitzeschleier
schwebten über dem heißen Sand.

Die mexikanische Grenze konnte nicht mehr weit sein. Aber

was kümmerte einen Apachen diese Grenze, jene unsichtbare
Linie, die von seinen Feinden auf einer Landkarte festgelegt
worden war?

John machte sich Sorgen. Er ahnte, wußte fast, daß Cochise

sein Versprechen auf grausame Art einlösen würde. Durfte
Haggerty das zulassen? Er war ein Weißer, wenn er auch den
großen Führer der Indianer Freund nannte. Aber für John
galten die Gesetze der Weißen.

Nicht zum erstenmal geriet der ehemalige Scout in diesen

Konflikt. Er wollte Frieden zwischen den beiden Rassen,
zwischen den Eroberern und den Verteidigern. Aber manchmal
kam der Friede nur nach den Bedingungen der Apachen
zustande.

Endlich zügelte Cochise seinen Schecken. Der Jefe deutete

auf die große Sanddüne, die knapp eine Meile vor ihnen
aufwuchs.

»Dort, Falke«, sagte der Häuptling, »werden wir unsere Falle

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stellen. Dies ist der einzige Weg, auf dem die Mörder sicher
nach Mexiko gelangen können. Und sie werden erleben, daß
selbst dieser Weg nicht sicher ist.«

John wischte sich mit der Hand den Staub aus dem Gesicht.
»Was fangen wir mit Olivia an?« fragte er langsam. »Was

geht überhaupt in San Bernadino vor?«

Cochise lächelte sanft. Sein Plan stand fest. Der Falke durfte

in der Endphase nicht mit dem Chief reiten. Entkamen einige
der weißen Halunken, würde Cochise sie jagen, auf
Apachenart.

Der Häuptling wußte um Johns Gedanken. Er war ein

Weißer, den Gesetzen der merkwürdigen Rasse verpflichtet.
Jenen Gesetzen, die der Jefe für mehr als sonderbar hielt. Denn
vor der Natur waren alle Menschen gleich. Ein Feind war ein
Feind, und der Tod eines Mannes, eines Kriegers, erforderte
den Tod des Mörders. So geschah es auch bei den Weißen,
aber erst nach umständlichen Prozeduren. Und Indianer,
Chinesen und Neger galten nach den Gesetzen der
Bleichgesichter nicht als Menschen, nur die Weißen nahmen
die eigenen Gesetze für sich in Anspruch. Sie durften
ungestraft einen Menschen einer anderen Rasse töten.

»Wir bringen die Tochter des Grauhaars in die Siedlung der

Gelbhäutigen«, sagte der Jefe. »Sie wird dort auf ihren Vater
und die Gefährten warten. Wir jagen die Wüstenwölfe, Falke.
Sie begleiten die rollenden Jacales, und sie werden sterben.«

Haggerty blickte zur gewaltigen Sanddüne hoch. Ein leichter

Wind trieb Staubschleier über die geneigte Fläche des Hanges.
Wie sollten sie dort ihre Falle aufstellen?

Cochise schien die Gedanken seines Freundes zu ahnen.
»Halte deinen Mustang dicht hinter meinem Tier«, sagte der

Chief. »Dieser Sand ist wie Wasser, Falke. Er verschlingt alles,
zerrt selbst Krieger und Ponys in die Tiefe.«

Der Häuptling schnalzte mit der Zunge, und sein Pinto ging

an. Behutsam setzte er Huf vor Huf. John blickte dem Apachen

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nach, dessen Pferd einen merkwürdigen Zickzack-Kurs
einschlug. Nichts wies darauf hin, daß sich der Sand auf dem
Weg des Mustangs von der Umgebung unterschied. Und doch
wußte Haggerty, daß der Jefe seine Gründe hatte.

Treibsand, dachte John. Cochise kennt die gefährlichsten

Stellen, weicht ihnen aus.

Der ehemalige Scout preßte seinem Grauen die Schenkel an

den Leib. Das Pferd wieherte halblaut, zögerte und marschierte
dann doch los. Mit leisem Rascheln rutschte der Sand in die
Löcher, die unter den Hufen des Indianerponys entstanden
waren.

Nach sechs, sieben Schritten glitt der Graue zur Seite ab.

Sein linker Vorderhuf versank. Erschrocken wieherte das Tier,
stemmte die Beine in den Boden, zerrte, verspürte Widerstand
und geriet an den Rand der Panik, als der saugende Boden das
Bein nicht freigeben wollte.

Cochise zügelte sein Tier, wandte sich um und blickte

besorgt auf den Falken, der heftig am Zügel riß. Mit Gewalt
bäumte sich der Graue auf. Das Vorderbein entglitt dem
Treibsand, und nur dem Glück verdankte John, daß die Hufe
auf sichere Stellen herabsausten.

»Langsam, Falke«, rief der Häuptling, »wir haben Zeit. Laß

deinen Mustang ausruhen. Er muß erst sicher werden, ehe du
weiterreitest.«

Es dauerte nur Sekunden, bis das Tier schnaubte. Haggerty

hielt die Zügel locker in den Händen, ließ dem Pferd seinen
Willen. Es tastete mit dem Vorderbein vor, zuckte zurück und
setzte den Huf schließlich auf eine feste Stelle im trügerischen
Sandboden. Schritt für Schritt marschierte der Graue voran.
Und als er noch eine Länge von Cochise Schecken entfernt
war, ritt auch der Häuptling weiter.

Haggerty konzentrierte sich auf den Weg, machte sich im

Sattel leicht, um dem Pferd den schwierigen Aufstieg zu
erleichtern. Als sie die mächtige Düne zur Hälfte erklettert

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hatten, blickte John auf.

Die unbeschlagenen Hufe der Indianerponys klangen anders

als noch vor Sekunden. Fester Untergrund lag vor ihm.

Cochise sprang ab, klopfte seinem Tier den Hals und wandte

sich zu Haggerty um.

»Die Pferde bleiben hier, Falke«, sagte der Jefe. »Ein

Felsband unter dem Sand gibt ihnen genügend Halt.«

Obwohl das Gestein von mindestens zwei Handbreit Sand

bedeckt war, hörte Haggerty doch den veränderten Klang unter
den Hufeisen, als der Graue den sicheren Boden erreichte.
Aufatmend saß John ab. Er zog die Winchester aus dem
Scabbard, hebelte die erste Patrone ins Lager und entspannte
den Hahn wieder.

»Wie geht es weiter, mein Freund?« fragte der Weiße.

»Verschlingt uns der Treibsand der Düne, wenn wir
hinaufklettern?«

Cochise lächelte und schüttelte den Kopf.
»Du erkennst den Weg, wenn du genau hinschaust«,

erwiderte der Jefe.

Haggerty kniff die Augen etwas zusammen. Das grelle

Glitzern der Sandkristalle im Sonnenschein blendete ihn etwas.
Die Staubschleier waberten über den Hang. Der heiße Wind
brachte nicht die geringste Abkühlung mit. Er verminderte die
Sicht, das war alles.

Aber als sich John auf die Sandfläche konzentrierte,

entdeckte er den Unterschied. Die dunkleren Stellen waren
sicher. Dort hatte sich der Boden so gefestigt, daß ein Mann
sein Gewicht darauf verlagern konnte.

»Oben sind wir sicher«, behauptete der Häuptling. »Der Weg

nach Süden führt direkt an der Düne vorbei. Wir greifen wie
Apachen an, Falke, wie der Vogel, dessen Namen du trägst.«

Haggerty nickte. Er war nicht begeistert. Sicher, die

Halunken hatten das Mädchen mitgeschleppt, wollten es gegen
die Wagen des Trecks eintauschen. Sie hatten eine Kugel

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verdient, diese Wüstenwölfe. Aber lieber würde John die Kerle
einfangen und vor einen Richter bringen. Doch das war wohl
nicht möglich. Denn zwischen diesem Ziel und Haggerty stand
Cochise, stand sein Schwur, die Mörder der Mimbrenjo-Horde
zu töten.

John blieb nur noch das Warten. Hatte der Chief falsch

vermutet, zogen die Wüstenwölfe mit Olivia nicht hier vorbei,
war der gesamte Plan gefährdet.

*

Das Mädchen lag in einer der einfachen Hütten. Olivia war
gefesselt und geknebelt. Die Lederriemen schnitten
schmerzhaft in ihre Handgelenke. Der Knebel war ihr eigenes
Halstuch, Gott sei Dank. Denn einen der schmutzigen Fetzen
der Banditen hätte Olivia sicherlich nicht ertragen können.

Sie zügelte ihren Zorn, die Wut. Noch immer schmerzte der

Kopf. Der Griff des Halunken, mit dem er ihr schulterlanges
Haar gepackt hatte, war eisenhart gewesen. Erst zwischen den
Bäumen des Bergwaldes hatte der Kerl gemerkt, daß sie ein
Mädchen war. Der Bandit konnte sich nicht beherrschen. Er
hatte ihr üble Dinge ins Ohr geflüstert, ihr versprochen, sie
laufen zu lassen, wenn sie ihm zu Willen war. Und kurz vor
dem Lager hatte er seine Hand in Olivias Bluse geschoben,
gierig die warme Haut betastet.

Zwei Sekunden später hatte der Halunke vor Schmerz

aufgebrüllt. Das Mädchen hatte ihre Zähne in seinen Arm
gegraben.

Der Schrei des Kerls hatte die übrigen Hundesöhne

herbeigelockt.

»Was treibst du da, Nat?« fragte ein hochgewachsener Mann,

dessen wasserhelle Augen seltsam kalt wirkten.

Der Bandit duckte sich unter dieser Stimme, schlenkerte den

Arm und sagte widerwillig: »Ich hab das Girl geschnappt, als

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wir abgeschlagen wurden, Boß. Vielleicht kann sie uns nützlich
werden.«

Der schlanke Anführer der Wüstenwölfe zog die Brauen

zusammen, daß sie wie ein dicker Strich wirkten. Auf einmal
lachte er laut.

»Nat, du bist zwar ein Hohlkopf«, sagte der Boß, »aber du

bist auch ein As, ein richtiges As. Wenn wir unsere Karten
richtig ausspielen, gewinnen wir doch noch. Wäre schade,
wenn uns so eine Beute durch die Lappen ginge.« Nat lachte
zufrieden. Es kam selten vor, daß er gelobt wurde. Zumeist
hackten die anderen auf ihm herum, weil er ziemlich langsam
dachte, weil es mächtig lange dauerte, bis er begriff, was er tun
sollte.

Es dauerte nicht lange, bis Olivia als hilfloses Bündel in

einer der Hütten lag. Sie krümmte sich, versuchte, in eine
bessere Lage zu kommen, aber die Banditen hatten die
gefesselten Handgelenke mit den Fußriemen verbunden.

»Wir müßten rausfinden«, sagte einer der Halunken, »wer

die beiden Winchesterschützen waren. Die Kerle konnten
verdammt gut mit den Gewehren umgehen. Eigentlich sind sie
es, die uns in die Knie gezwungen haben.«

»Das Girl hat 'n Gewehr«, sagte einer der Banditen.

»Vielleicht war sie eine der beiden.«

»Redet nicht über Sachen, die vorbei sind«, sagte Bowson

scharf. »Ist doch sinnlos, daß wir uns die Köpfe darüber
zerbrechen. Wir haben das Mädchen. Und die Spinner vom
Treck werden alles tun, damit sie wieder heil zurückkommt.«

Ein paar Männer lachten rauh. Sie hatten offenbar begriffen,

was ihr Anführer vorhatte.

»Paßt auf, wir tauschen das Mädchen gegen die Wagen samt

Ladung ein«, fuhr der Boß fort. »Zwei von euch reiten hin und
reden mit den Schollenbrechern. Sie werden nicht so verrückt
sein abzulehnen. Felipe und Brian, ihr reitet runter. Felipe
bleibt beim Treck. Du paßt auf, daß sie keine Tricks versuchen.

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Brian, erzähle ihnen, daß sie nach San Bernadino fahren
müssen. Dort tauschen wir das Mädchen gegen die Wagen.
Versprich ihnen, daß sie anschließend davonmarschieren
dürfen.«

»Willst du die Narren wirklich laufen lassen?« fragte einer

der Hundesöhne fassungslos.

Jed Bowsons Gelächter belehrte ihn eines Besseren.
»Wir sind doch nicht verrückt«, rief der Anführer der Horde.

»Diese Spinner sausen doch sofort zum nächsten Ordensträger
und hetzen ihn auf. Wir können keine Unruhe gebrauchen,
Freunde. Also, ihr wißt Bescheid. Warum wohl sollen die
Schollenbrecher nach San Bernadino fahren?«

»Weil das unsere Stadt ist«, rief einer der anderen. »Weil die

Mexe dort kuschen, wenn sie uns nur sehen.«

»Na also«, erwiderte Bowson zufrieden, »und dort schicken

wir die dämlichen Kerle zur Hölle. Die Town hat 'nen
Stiefelhügel. Und die Greaser dort dürfen die Gräber
schaufeln.«

Olivia lag regungslos. Sie horchte angestrengt. Das Mädchen

wußte, daß die Chancen für ihren Vater und die Nachbarn
schlecht standen. Sie kannte diese Menschen gut, wußte, daß
sie lieber ihre gesamte Habe ausliefern würden, als sie in der
Gewalt der Banditen zu lassen. Und Olivia wußte auch, daß
dies falsch war.

Was aber sollte sie dagegen tun?
Sie lag gefesselt in einer dreckigen Hütte, war nichts als ein

Stück Tauschmittel, zwar ein Mensch, und noch lebendig, doch
der Tod würde nicht lange auf sich warten lassen.

»Nat, Henry und Brian bringen das Girl über die Grenze«,

sagte der Anführer der Wüstenwölfe. »Sie muß San Bernadino
lebend erreichen. Laßt sie unterwegs in Ruhe. Wir tauschen sie
gegen die Wagen. Erst danach legen wir die Ackerbauern um.«

Keiner der Banditen ahnte, daß Gochise jedes Wort hörte.

Olivia dachte an den hochgewachsenen Haggerty und seinen

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Freund, den Häuptling der Apachen. Diese beiden so
verschiedenen Männer hatten sie vor dem Angriff der Banditen
gewarnt, hatten die Verteidigung organisiert. Und diese beiden
waren Olivias einzige Hoffnung. Sie ahnte, daß der Indianer
und sein weißer Freund alles zu ihrer Befreiung unternehmen
würden. Was aber konnten sie gegen diese wilde Horde
ausrichten?

Pferdehufe hämmerten über Gestein. Zwei Tiere verließen

das Lager der Wüstenwölfe, die Boten der Halunken.

Es dauerte lange, ehe Olivia erneut Hufschlag hörte. Brian

kam zurück.

»Alles klar, Boß«, rief er. »Die Schollenbrecher geben auf.

Sie haben keine Ahnung davon, daß sie auf jeden Fall sterben
werden.«

»Okay, auf die Gäule«, sagte Jed Bowson. »Brian, bindet das

Girl auf einen Gaul. Verschnürt sie so, daß sie dem Pferd auf
keinen Fall die Absätze in die Flanken pressen kann. Sie darf
nicht entkommen. Wir müssen sie in San Bernadino vorzeigen,
sonst ist alles umsonst.«

Schritte erklangen. Zwei Männer traten in das Halbdunkel

der Hütte, bückten sich und rissen Olivia hoch. Sie bäumte sich
auf, vergebens, denn die Fesseln hielten.

Draußen blinkte die Klinge eines Messers im Sonnenlicht.

Ein kurzer Hieb genügte, und die Fußfesseln fielen zu Boden.
Sofort trat Olivia um sich. Die Kerle lachten höhnisch über ihre
Versuche, packten sie roh mit harten Griffen und warfen sie
auf ein Pferd.

Es dauerte kaum eine Minute, bis das Mädchen fast unlösbar

mit dem Tier verbunden war. Sie konnte nicht mal die Hände
bewegen. Die Füße waren unter dem Bauch des Pferdes mit
starken Rohlederriemen gefesselt, und die Hände schnürten die
Halunken ans Sattelhorn.

»Keine Zicken, verstanden?« sagte der Boß und musterte mit

seinen wasserhellen Augen das junge Girl.

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Olivia konnte nicht antworten. Noch immer war ihr Halstuch

als Knebel in ihrem Mund.

»Los, fort mit euch«, befahl Bowson. »Wir bewachen den

Treck. Und wenn einer der Schollenbrecher einen Trick
versucht, blasen wir ihn vom Kutschbock.«

Hilflos saß das Mädchen im Sattel. Sie beugte ihren

Oberkörper hinab, als das Pferd unter tiefhängenden Zweigen
durchmarschierte. Die drei Bewacher wirkten aufmerksam.
Unaufhörlich musterten sie ihre Umgebung. Nichts schien ihrer
Aufmerksamkeit zu entgehen.

Allmählich wuchsen die Bäume in größeren Abständen.

Felsen und Sand schimmerte zwischen den Stämmen. Weder
Gras noch Kräuter sah Olivia. Statt dessen ging das Grün in
Dornbüsche, Kakteen, Yuccas und Mesquitesträucher über. Die
Halbwüste begann. Heiß sengte die Sonne herab, ließ
Hitzeschleier über die scheinbar endlose Sandfläche wabern.
Und irgendwo in der Ferne, in der Nähe des Horizontes,
glaubte Olivia himmelhohe Bäume und einen See zu sehen.

Eine Luftspiegelung, weiter nichts, denn der heiße Sand

erstreckte sich zahllose Meilen nach Süden.

Keiner der drei Banditen sprach. Olivia ritt an zweiter Stelle.

Die restlichen beiden Kerle hielten ihre Tiere jeweils etwas
seitlich von ihr. Selbst wenn sie das Pferd antrieb, konnte sie
nicht entkommen.

Wieder dachte das Mädchen an Cochise. Der große, stolze

Häuptling der Apachen, würde er sich überhaupt Gedanken um
eine weiße Frau machen? War es nicht vielmehr so, daß er
gleichgültig gegenüber ihrem Schicksal war? Olivia fiel ein,
was John Haggerty erzählt hatte, als er sie vor der Bande
warnte. Cochise hatte geschworen, die Wüstenwölfe zu töten.
Er selbst wollte die Mörder zur Verantwortung ziehen und so
dafür sorgen, daß kein offener Krieg zwischen Apachen und
Weißen ausbrach. Er mußte also weiterkämpfen. Das Mädchen
schöpfte Hoffnung. Vielleicht war ihre Chance doch nicht so

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klein, wie sie noch vor Minuten geglaubt hatte.

*

Der Chief lag dicht hinter der Kuppe im heißen Sand. Der
Bogen, die Pfeile und die Winchester konnte er im Bruchteil
einer Sekunde erreichen. Haggerty unterdrückte ein Stöhnen.
Die Sonne brannte auf seinen Rücken. Das Hemd klebte am
Oberkörper. Salziger Schweiß lief unter dem Hut über Johns
Gesicht. Er schloß die Augen, gönnte ihnen etwas Ruhe. Die
grelle Sandfläche blendete ihn. »Falke, mein Bruder«, sagte der
Jefe, »ich habe dir erzählt, daß ich den weißen Banditen den
Tod geschworen habe.«

Haggerty murmelte zustimmend. Er wandte den Kopf,

blickte den muskulösen Häuptling von der Seite her an.

»Du weißt, was das bedeutet«, fuhr Cochise fort. »Sie

müssen sterben. Es gibt kein Erbarmen für die Mörder der
Mimbrenjos. Ich kenne deine Gedanken, Falke. Du mußt das
Gesetz des weißen Mannes vergessen. Dies ist Apachenland,
und hier gilt mein Gesetz, das der Stämme. Wenn du nicht
mitreiten kannst, so gehe zurück zu den Jacales deines
Volkes.«

Cochises Stimme hatte hart geklungen. Haggerty erwiderte

nichts. Er wußte, daß er den Häuptling nicht umstimmen
konnte. John hoffte nur, daß die Banditen schnell starben,
durch eine Kugel oder einen Pfeil.

»Ich reite mit dir, so weit ich kann«, erwiderte der ehemalige

Scout. »Wir kämpfen für den Frieden, Bruder. Es ist Irrsinn,
für den Frieden töten zu müssen.«

»Manchmal glaube ich, daß deine Rasse verrückt ist«, sagte

Cochise nach langer Zeit. »Warum lebt ihr nicht mit der Natur?
Warum lebt ihr gegen sie, gegen all das, was vom großen Geist
einst geschaffen wurde?«

Haggerty seufzte. Er wußte selbst nicht, was die Weißen

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immer wieder antrieb, warum sie weiterzogen und hinter jedem
neuen Hindernis das gelobte Land erhofften.

Cochise zischte leise und hob den Kopf. Haggerty öffnete die

Augen ganz vorsichtig, damit sie sich wieder an das grelle
Licht gewöhnten und blickte über die Kuppe der Düne.

»Vier Mustangs kommen«, murmelte der Jefe und deutete

mit dem Kinn nach Norden.

John rechnete nach. Elf Banditen hatte Cochise in ihrem

Lager gezählt. Der Mexikaner war tot, gestorben am Gift der
Klapperschlange. Wenn jetzt vier Reiter näher kamen, so
begleiteten drei Halunken das Mädchen. Blieben sieben
Männer, die den Treck überwachten.

Nun hörte auch Haggerty den Hufschlag. Der ehemalige

Scout legte den Hahn der Winchester zurück.

»Falke, diese Männer gehören mir«, sagte Cochise hart.
John nickte nur. Er würde erst dann eingreifen, wenn einer

der Kerle feuerte.

Minuten später entdeckte er vier Punkte im Norden. Die

Pferde gingen im Schritt. Hufschlag war nicht mehr zu hören,
denn die Tiere hatten eine Sandfläche erreicht.

Cochise zog drei Pfeile aus dem Lederköcher. Die Reiter

kamen näher.

An zweiter Stelle ritt das Mädchen. Es war gefesselt, so

verschnürt, daß es keinen Fluchtversuch wagen konnte. Die
beiden restlichen Bewacher hielten ihre Tiere seitlich hinter
ihm.

Besorgt sah John den Häuptling an. Würde er mit seinen

Pfeilen schnell genug sein, sicher genug? Schaffte es einer der
Halunken, noch den Revolver zu ziehen, würde Olivia
Prendergast sterben.

»Wann?« hauchte Haggerty.
»Wenn sie unter uns sind«, erwiderte Cochise.
Er zog die Beine an den Körper, grub die Zehen in den Sand,

um ihn zu verdichten, um sicheren Stand zu bekommen, wenn

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er aufsprang.

»Jetzt!«
Der Häuptling schnellte hoch. Der erste Pfeil sirrte hinab, der

zweite lag auf der Sehne. Der vorderste Reiter kippte langsam
aus dem Sattel.

Der zweite Pfeil jagte hinab, traf den Mann links von Olivia.

Er brüllte seine Todesangst, seinen Schmerz heraus. Der letzte
Mann riß den Colt aus dem Halfter.

Haggerty hob die Winchester, feuerte in dem Moment, als

sich Cochises dritter Pfeil in die Brust des Mannes grub.

Er wurde durch die Kugel, den doppelten Einschlag, aus dem

Sattel geworfen.

»Olivia!« brüllte John, »wir sind Cochise und Haggerty.

Verhalten Sie das Pferd dort. Wir kommen sofort!«

Als die beiden Freunde zu ihren Tieren liefen, hörte John das

Rauschen mächtiger Flügel. Er sah hoch. Drei Geier flogen
heran, umkreisten die Düne, reckten die häßlichen Köpfe,
spähten hinab.

»Langsam, Falke«, sagte der Jefe. »Vergiß den Sand nicht.

Das weiße Mädchen kann noch eine kurze Zeitspanne warten.«

Im Schritt marschierten die Tiere die gefährliche Sanddüne

hinab.

Unten gab Haggerty seinem Grauen die Zügel frei. Er

galoppierte los, als gelte es ein Rennen zu gewinnen. Cochise
ließ seinen Pinto im Schritt folgen.

Plötzlich wieherte ein Pferd. Hufschlag klang auf. In

rasender Karriere jagte Olivias Tier in die Dornbuschwüste
hinein.

Haggerty riß am Zügel. Er war sicher, daß der Jefe sofort

reagierte. Cochise brachte seinen Schecken in Galopp. Der
Mustang streckte sich, zog mühelos an dem Grauen vorbei. Der
wilde Ritt dauerte kaum eine Minute. Der Häuptling jagte
neben dem gefesselten Mädchen her, beugte sich zur Seite und
packte den Zaum des nervösen Tieres. Mit eiserner Kraft

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zwang der Apache das Pferd in den Schritt zurück.

Haggertys Grauer galoppierte heran. John sprang ab, zog das

Messer aus dem Gürtel und zerschnitt Olivias Fesseln. Sie
nahm den Knebel aus dem Mund und atmete erleichtert.

»Danke«, sagte sie krächzend, »danke, Cochise. Ich

verdanke dir und Mr. Haggerty mein Leben.« John löste die
Wasserflasche vom Sattelring und reichte sie dem Girl. Olivia
trank gierig Schlucke, wischte sich über die Lippen und holte
tief Luft.

»Es ist aber noch nicht zu Ende«, sagte sie nun mit klarer

Stimme. »Ihr wißt doch sicher, daß die Banditen mich gegen
unseren Treck eintauschen wollen.«

John nickte nur und schraubte die Canteen zu.
»Sie wollen alle töten«, fuhr Olivia fort und starrte Cochise

an. »Alle, in San Bernardino.«

Der Chief lächelte hart. Seine schwarzen Augen wirkten kalt

und glanzlos, als er sagte: »Wir wissen das, junge Squaw. Ich
habe gehört, was die Mörder beschlossen. Ich war in der Nähe,
als sie ihren Plan machten.«

»Helft ihr?« fragte das Mädchen mit zitternder Stimme.
»Natürlich«, erwiderte John, »Cochise und ich sind nur aus

diesem Grund unterwegs. Kommen Sie, wir reiten nach San
Bernardino. Ich möchte wissen, welche Macht die Halunken
dort haben.«

Der Jefe starrte in die Dornbuschsteppe. Er schien überhaupt

nicht mehr wahrzunehmen, daß er nicht allein war.

»Falke«, sagte er in der Sprache der Apachen, »diese Stadt

ist böse. Wir kennen sie. Die Apachen bekommen dort für das
Geld der Weißen manchmal Waffen, öfter aber das brennende
Wasser, das den Kopf schwer macht. Drei Männer in San
Bernardino handeln mit den Apachen. Es sind Weiße, keine
Gelbhäutigen. Ich glaube, diese drei Männer kennen die
Bande.«

Haggerty schob den Hut in den Nacken, wischte sich mit

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dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirn und musterte den
Häuptling, dessen Gesicht verschlossen wirkte.

»Es gibt bestimmt viele Dinge, die ich auch nicht weiß, die

ich vielleicht nie erfahren werde«, sagte John. »Aber sag mir,
mein Bruder, braucht ihr diese drei Männer?«

Cochises Augen funkelten wild, als er scharf sagte: »Nein,

wir brauchen sie nicht. Es ist gut, wenn sie sterben, denn sie
vergiften die jungen Krieger mit dem Schnaps der Weißen.
Gewehre bekommen wir auch anderswo. Reiten wir, Falke.«

Sie nahmen Olivia in die Mitte und ließen die Pferde nach

Süden traben.

*

Die Pferde schnaubten, als Cochise seinen Pinto zügelte.
Südöstlich ragten kahle Berge auf. Der Chief streckte die
Rechte aus, deutete auf das silbern glitzernde Band eines
Flusses.

»Kurz vor diesem Wasser liegt die Stadt der Gelbhäutigen«,

sagte der Apache. »Siebzig Menschen leben dort. Aber nur drei
sind für uns wichtig, Falke. Sie heißen Mortimer Snade, Louis
Grant und Dick Cavett. Sie wohnen in einem Haus neben der
Bodega. Du erkennst es sofort, denn es ist ein Store. Sei
vorsichtig, Falke. Diese Männer sind gefährlich und
hinterhältig.«

Verwundert schaute Haggerty seinen Freund an und fragte:

»Reitest du nicht mit?«

»Nein, ich dringe von der anderen Seite in die Stadt ein.

Diese Männer kennen mich. Sehen sie uns zusammen, sind sie
gewarnt. Gebt mir Vorsprung, ehe ihr reitet.«

John nickte unzufrieden. Er hielt Cochises Plan für schlecht.

Andererseits bildete ein Kämpfer wie der Häuptling eine
großartige Reserve im Hintergrund.

»Was unternehmen die übrigen Menschen dort, wenn ich die

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drei Männer nach Bowson frage?« wollte John wissen.

Der Jefe lächelte verächtlich und erwiderte: »Sie haben

Angst. Sie stinken vor Angst, Falke.«

Der Chiricahua schnalzte mit der Zunge. Nach ein paar

Schritten griff der Pinto weiter aus. Cochise verschwand
zwischen ein paar hoch aufragenden Orgelpfeifenkakteen.

Olivia schüttelte leicht den Kopf und sagte: »Es ist

schrecklich, Mr. Haggerty. Warum geschehen solche Dinge?
Warum sind die Menschen so schlecht? Wir nehmen doch
niemandem etwas weg, wollen uns doch nur ein neues Leben
aufbauen, ein Leben in Frieden.«

Haggerty wußte keine Antwort auf diese Fragen. Einige Zeit

später ließ er den Grauen losmarschieren.

»Bleiben Sie neben mir«, sagte er zu dem Girl. »Sobald es

gefährlich wird, bleiben Sie zurück. Wir haben Sie nicht
gerettet, damit Sie nun in eine böse Auseinandersetzung
geraten und vielleicht noch verwundet werden.«

Eine halbe Stunde später erreichten sie die ersten

Adobehäuser der kleinen Ansiedlung. Vor langer Zeit waren
die Mauern einmal weiß gestrichen gewesen. Nun erinnerten
nur noch Spuren an Farbe. Diese Stadt wirkte zu still auf John.
Mißtrauisch schaute er sich um.

Vielleicht hielten die Bewohner immer noch ihre Siesta.

Aber John glaubte nicht so recht daran. Er witterte Unheil.
Irgendwas schwebte über den Gebäuden, hing zwischen den
Häusern. Die Ahnung der Gefahr verdichtete sich in Haggerty.

Er wußte nicht, daß die Menschen in dieser Stadt

grundsätzlich jeden Fremden mißtrauisch beobachteten. Sie
alle besaßen keine reine Weste. Die nahe Grenze verleitete
jeden Mann zum Schmuggeln.

Die Bodega hatte geöffnet. Das Nebenhaus wies sogar ein

Schaufenster aus Glas auf. Alle möglichen Dinge lagen dort
aus. Vom Kochtopf bis zum Dolch gab es dort alles zu kaufen.

John preßte die Lippen zusammen. Er dachte an die

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ermordeten und ausgeraubten Mimbrenjos. Die Wüstenwölfe
mußten ihre Beute verkaufen. Dieser Store hier schien
sämtliche Waren übernehmen zu können.

»Sie warten draußen«, sagte Haggerty zu Olivia. »Ich

erkundige mich nach Bowson.«

Sein Gesicht wirkte kantig, als er absaß. Das Mädchen

blickte dem breitschultrigen Mann nach, der geschmeidig wie
eine Raubkatze die drei Stufen zur Ladentür hinaufging.

Als er sie aufstieß, schepperte eine Glocke. John marschierte

zum einfachen Tresen und schaute sich um. Niemand war zu
sehen.

Im Hintergrund schwang eine Tür auf. Ein vierschrötiger

Mann betrat den Verkaufsraum, musterte den Kunden und
runzelte die Stirn! Haggerty schien ihm nicht zu gefallen. Aber
das beruhte auf Gegenseitigkeit. Denn sie hatten wohl beide
sofort erkannt, daß sie auf verschiedenen Seiten des Zaunes
standen.

»Was soll’s denn sein, Mister?« fragte der Storekeeper,

dessen Gesicht auf einem Steckbrief sehr gut ausgesehen hätte.

»Eine Auskunft«, erwiderte John. »Kennen Sie einen

gewissen Bowson?« Der Vierschrötige musterte Haggerty
lange und gründlich. »Und wenn?« fragte er. »Dann möchte
ich wissen, ob Sie mit ihm Geschäfte machen«, sagte der
ehemalige Scout.

»Was geht Sie das an? Sie sind hier in Mexiko, und kein

verdammter Ordensträger aus den Staaten darf blöde Fragen
stellen.«

Haggerty lachte leise und erwiderte: »Ich bin kein Mann des

Gesetzes, Mister. Kennen Sie Bowson?«

»Scheren Sie sich zum Teufel«, rief der Storekeeper scharf.

»Es geht Sie feinen Dreck an, ob ich Jed Bowson kenne und
mit wem ich Geschäfte mache, verstanden? Und jetzt raus
hier!«

»Sie verkaufen auch schlechten Schnaps an die Apachen,

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nicht wahr?« fragte John gelassen. »Schnaps und Waffen und
Munition. Und das gefällt mir überhaupt nicht, Mann.«

Der massige Kerl schnellte zurück, verschwand zwischen

zwei Regalen. Haggerty packte seinen Colt. Irgendwo in dem
schummerigen Licht knackte es metallisch.

»Kerle wie dich brauchen wir hier nicht«, sagte der

Storekeeper. »Du hast nur eine Chance, Mister. Verschwinde
sofort aus San Bernardino. Zehn Sekunden gebe ich dir, keine
mehr. Hast du innerhalb dieser Zeit den Laden nicht verlassen,
schieße ich dich mit der Flinte in Stücke.«

»Wer bist du? Snade, Grant oder Cavett?« wollte John

wissen. »Was geht's dich an?«

»Ich möchte gern wissen, wem ich gleich eine Kugel

verpasse«, sagte Haggerty hart.

Nach dem letzten Wort sprang er zur Seite, stieß sich ab und

schnellte zwischen die nächsten beiden Regale. Die
Schrotflinte des Kerls dröhnte wie ein kleines Feldgeschütz.
Das Bleibündel riß ein Loch in den Fußboden. Lange
Holzspäne ragten an den Rändern auf, wie die Stacheln eines
Igels.

Haggerty huschte weiter und glitt um die hintere Seite des

linken Regals. In der nächsten Reihe mußte der Kerl lauern.
Sicherlich hatte er im zweiten Lauf noch eine Ladung Schrot
bereit.

Ein Luftzug warnte John. Er wirbelte herum, sah die

Silhouette einer Gestalt im Lichtviereck der Hintertür und das
orangerote Mündungsfeuer. Haggerty drückte ab. Der
heimtückische Schütze brüllte vor Schmerz, ließ seinen Colt
fallen und rannte davon.

Blech klapperte, Waren fielen aus dem Regal, und die

Doppelmündung der Flinte schob sich heraus.

John ließ sich fallen, rollte dicht an das Gestell und feuerte

durch eine Lücke zwischen den Vorräten schräg nach oben.
Abermals donnerte die Flinte. Die Schrote rissen im nächsten

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88

Regal ein Loch in einen Sack. Getrocknete Bohnen rieselten
heraus, rauschten auf den Boden.

Haggerty sprang auf, rannte um seine Deckung herum und

blieb stehen, als er den vierschrötigen Mann im Gang sah. Der
Storekeeper lag auf dem Rücken und starrte mit leerem Blick
gegen die Decke des Ladens. Der Mann war tot.

Der zweite Mann alarmiert seinen Kumpan, dachte John. Er

lud den Revolver auf und lief zur Hintertür. Ein paar Sekunden
blickte er in die grelle Helligkeit hinaus, um seine Augen an
das Licht zu gewöhnen. Endlich rannte er los, hetzte mit langen
Sprüngen über den Hof und warf sich in einer Ecke mit
Gerümpel hinter ein paar Kisten.

Nichts, kein Schuß fiel, alles blieb ruhig.
Aus leicht zusammengekniffenen Augen musterte Haggerty

den Hof. Der Kämpfer wußte, daß er den zweiten Kerl
verwundet hatte. Und da entdeckte John die Blutspur. Sie
führte zu einer Brettertür, die in der Rückwand der Bodega
war.

Der ehemalige Scout lief geräuschlos zwischen den beiden

Gebäuden durch, erreichte die Straße und blickte sich
mißtrauisch um. Olivia saß noch im Sattel des Pferdes. Sie
starrte auf den Store.

Haggerty glitt weiter, schlug den Türvorhang zurück, der im

Eingang der Bodega hing, und betrat den Raum.

Hinter einem gemauerten Tresen stand ein Mexikaner. Sein

Gesicht glänzte vor Schweiß. Er grinste mühsam, setzte zum
Sprechen an und brachte erst beim zweiten Versuch
verständliche Worte heraus.

»Tequila, Senor?« fragte der Wirt.
»Nein. Wo ist der Mann, der durch die Hintertür kam«, sagte

John scharf. »Raus mit der Sprache, Senor, ehe ich es dir
rausprügele.«

Entsetzt verdrehte der Kerl die Augen und rief: »Hier ist

niemand außer Ihnen reingekommen, Senor Americano,

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niemand! Und schon gar nicht durch die Hintertür.«

Haggerty huschte ein paar Schritte weiter, trat zur Seite und

blickte auf den Boden.

»Und das Blut hier«, sagte der Kämpfer, »das stammt wohl

von einem Huhn, das Sie gerade geschlachtet haben, wie?«

»Heilige Madonna«, kreischte der Wirt, »diese drei Männer

sind gefährlich. Ich sage nichts, ich weiß nichts, Senor. Gehen
Sie, verlassen Sie mein Haus. Ich habe nichts damit zu tun.«

John folgte der Blutspur und entdeckte im Hintergrund des

Raumes eine schmale Treppe. Auf jeder Stufe sah Haggerty
Blut. Grimmig stieg er hinauf. Verharrte lauschend vor einer
Tür, unter der ein Luftzug durchwehte. Langsam streckte John
die Linke aus, legte die Hand gegen die Bretter und stieß jäh
die Tür zurück.

Ein Revolver wummerte. Drei, vier Kugeln jagten durch die

Öffnung. Haggerty ließ sich fallen.

Irgendwo hämmerten Pferdehufe.
Eine Winchester peitschte scharf, und im nächsten Moment

flog ein Revolver durch die Luft.

Cochise, dachte Haggerty, der Jefe hat den Kerl vom Dach

geschossen. Trotzdem blieb er vorsichtig, stieß sich ab und
schnellte durch die Türöffnung auf das flache Dach der
Bodega.

Erst als John an den Rand trat, sah er den Toten. Er lag auf

dem Hinterhof.

Aufatmend lief Haggerty wieder in den Gastraum, beachtete

den zitternden Wirt nicht und ging ins Freie.

Olivias Gesicht wirkte bleich. Sie zeigte nach Norden und

sagte: »Ein Mann, Mr. Haggerty. Er rannte aus dem Store, lief
dort hinüber und kam mit einem Rappen wieder aus dem
Stall.«

John hörte ein Geräusch, wirbelte herum, aber es war nur der

Wirt.

»Das war Senor Cavett«, sagte der immer noch schwitzende

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90

Wirt. »Wenn er mit seinen Freunden, den amerikanischen
Banditen, zurückkommt, lassen sie hier die Hölle los.«

Haggerty hätte am liebsten laut geflucht. Einer der Kerle war

entkommen. Trieb er sein Pferd genau nach Norden, stieß er
bald schon auf den Treck. Der Bursche mußte alles gehört
haben, was John im Store gefragt hatte, mußte das Mädchen
gesehen haben. Und dann war Bowson gewarnt.

Cochise ritt offen in San Bernardino ein.
Der Wirt schrie auf, drehte sich um und hetzte davon. Er

kannte den Jefe der Chiricahuas und ahnte nun auch, wer der
Weiße war. Denn nur ein Mann ritt gemeinsam mit Cochise
durch das Land: sein Freund Falke.

»Ich hole mir den dritten Kerl«, sagte Haggerty grimmig. »Er

darf die anderen nicht warnen. Kommt er durch, hängt das
Leben der Siedler nur an einem seidenen Faden. Bleib hier,
Cochise, paß auf Olivia auf.«

Der Häuptling nickte und lenkte seinen Schecken zur Seite.

Haggerty saß auf und trieb sein Tier an. Er galoppierte nach
Norden.

*

Die Umgebung wirkte trostlos. Grün waren nur die Saguaro-
Kakteen. Längst hatte die Sonne die Blüten vernichtet, die wie
durch ein Wunder nach der Regenzeit aus dem Boden brachen
und die Wüste in einen bunten Teppich verwandelte.

Sand, Klapperschlangen, Gilatiere und Krötenechsen

beherrschten das Gebiet. Der Luchs und die Kaktuskatze
streiften auf der Suche nach Beute umher. In der Dämmerung
ließ der Kaktuskauz seinen unheimlichen Ruf ertönen.

Haggerry machte sich im Sattel leicht. Der Graue war den

ganzen Tag marschiert. Hoffentlich reichte seine Kraft aus, um
den dritten Halunken zu erwischen.

Weit vor sich sah John einen Punkt. Der Rappe des letzten

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Mannes wirkte wie ein Fleck auf dem grellen Sand.

»Los, lauf!« brüllte Haggerty seinem Pferd in die Ohren.
Schnaubend holte der Graue Luft, streckte sich und legte

noch einmal all seine Kraft in den Galopp.

Cavetts Rappe verschwand hinter einer Bodenwelle, die sich

quer durch die Halbwüste zog. Tumbleweed-Büsche rollten
träge im schwachen Wind.

Der Graue wurde langsamer, denn die Steigung war mit

kniehohem Sand bedeckt, der zäh herabrieselte. Haggerty
verhielt das Tier auf der Anhöhe und blickte nach Norden.

Felsen ragten vor ihm auf, vielleicht eine Meile entfernt. Der

schwarze Gaul verschwand zwischen zwei Geröllhaufen,
tauchte förmlich in die enge Lücke ein.

John starrte lange auf das unübersichtliche Gebiet. Cavett

konnte sich dort auf die Lauer legen, seinen Verfolger aus dem
Hinterhalt abknallen. Zwischen dem zerklüfteten Gestein fand
er hundert Deckungen.

Egal, ich muß ihn erwischen, dachte Haggerty. Warnt er

Bowson, sitzen wir alle in der Klemme. Die Halunken haben
die Menschen des Trecks in der Gewalt. Damit können sie
Cochise und mich erpressen. Wir müssen nachgeben, wenn der
Halunkenboß damit droht, die Siedler zu töten. Zwei Männer
sind zuwenig, um das zu verhindern.

John wünschte sich eine Rotte Chiricahuas an seiner Seite.

Sechs Krieger würden genügen, um die Banditen zu
überwältigen.

Er lächelte spöttisch über sich und seine Gedanken. Die

Kämpfer des Stammes lagerten weit im Nordwesten, in den
Dragoon Mountains. Haggerty war auf sich allein gestellt.

Er trieb den Rappen an. Mehr rutschend als gehend

überwand das Tier den Hang, erreichte den Felsenboden und
trabte an. Hart tackten die Hufeisen über das Gestein, ein
Geräusch, das Haggerty vorzeitig verraten konnte.

Er besaß keine Lappen oder Säcke, mit denen er die Hufe

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92

umwickeln konnte. Also achtete er nicht weiter auf den Lärm,
konzentrierte sich auf die schrundigen Felsmassive, die vor
ihm aufragten. Irgendwo zwischen diesen Brocken lauerte Dick
Cavett. Er mußte doch damit rechnen, verfolgt zu werden.

Zwei Längen vor der Lücke, in der vor Minuten Cavetts

Rappe verschwunden war, hieb John seinem Tier die Absätze
in die Flanken. Es schnaubte empört, sprang mit einem
mächtigen Satz in die Öffnung, und der Reiter duckte sich im
Sattel.

Der erwartete Schuß blieb aus. Aufmerksam suchte John die

Felswände mit seinen Blicken ab. Er gab schnell auf, denn
überall lagen Steinhaufen, boten Höhle und Spalten zahllose
Verstecke.

Auf einmal verspürte Haggerty den heißen Atem der Gefahr.

Er riß die Winchester aus dem Sattel. Ein Schuß peitschte, und
der Graue brach seufzend in die Knie. Für zwei Sekunden
starrte John auf das Loch im Schädel seines Pferdes.

Haggerty zog die Füße aus den Steigbügeln, sprang mit

einem gewaltigen Satz aus dem Sattel und rollte über den
Boden. Mit letztem Schwung erreichte er eine Steinsäule, die
ihn zumindest nach vorn deckte.

Zwei Männer lachten höhnisch, lachten laut und siegessicher.

Und dieses Gelächter klang hinter John auf.

Aus, dachte er, verspielt. Sie haben auf mich gewartet. Die

Kerle waren schon in der Nähe, als Cavett diesen Trail nahm.

»Okay, du Narr, laß das Gewehr fallen und schnall ab«,

befahl ein Mann. »Versuchst du einen Trick, jagen wir dir 'ne
Kugel ins Bein.«

Haggerty stand langsam auf, warf die Winchester in den

Sand und öffnete die Schnalle des Waffengurtes. John wußte,
daß er keine Chance hatte. Die beiden Halunken hockten in
sicherer Deckung. Selbst wenn er einen erwischte, blieb dem
anderen immer noch Zeit, ihn auszuschalten.

»Gut so, und jetzt das Messer«, befahl der Sprecher wieder.

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Auch die Klinge fiel in den Sand. »Fünf Schritte weiter, auf

den Trail«, rief ein anderer Mann. »Wir kümmern uns gleich
um dich.«

Hufschlag klang vor Haggerty auf. Der Rappe trabte

zwischen verwittertem Gestein hervor. Der Mann im Sattel
grinste breit, zeigte seine schwärzlichen Zähne.

»Ja, das ist der Bastard, der Mortimer und Louis umgelegt

hat«, rief der Reiter laut. »Was machen wir mit ihm?«

»Jed entscheidet das«, erwiderte einer der Halunken.
John sah abschätzend zu seinen Waffen hinüber. Mit zwei

Sprüngen konnte er Winchester oder Colt erreichen.

»Laß es sein, Mann«, riet Dick Cavett, »du bist schneller in

der Hölle als du hüpfen kannst.«

Es dauerte nicht lange, bis die beiden anderen Kerle hinter

ihrem Gegner angelangt waren. John wandte den Kopf. Er
hatte die Männer nie zuvor gesehen.

Der eine, ein schlanker, mittelgroßer Kerl, stieß einen

schrillen Pfiff aus und rief: »Da haben wir ja einen guten Fang
gemacht. Wißt ihr, wer das ist? John Haggerty, der
Apachenfreund. Er kriecht mit Cochise durch den Südwesten
und mischt sich in alles ein, was ihn nichts angeht. Bowson
wird zufrieden sein.«

Cavetts Gesicht verzerrte sich zu einer Maske der Furcht.
»Wo Haggerty ist, lauert der verdammte Häuptling auch in

der Nähe«, stieß der Halunke hervor.

Er sah sich wie gehetzt um, hob die Winchester an die

Schulter.

»Wer weiß, ob nicht schon ein Dutzend Rothäute darauf

warten, uns den Skalp abzuziehen.«

»Mann, hast du die Hose voll«, erwiderte einer der anderen

verächtlich. »Die roten Stinker haben unseren Gewehren nichts
entgegenzusetzen. Wir knallen ihnen heißes Blei in die Bäuche,
wenn sie kommen, verlaß dich drauf, Cavett.«

Haggerty unterdrückte ein Grinsen. Diese Kerle hatten noch

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nie ernstlich gegen Apachen gekämpft. Griffen die Horden an,
so gab es für Burschen wie sie kein Entkommen mehr.

»Haggerty, zieh deine Stiefel aus«, befahl der größere der

beiden Männer.

»Und die Socken«, fügte der andere mit gemeinem Grinsen

hinzu. »Du wirst nämlich Spazierengehen.«

John verspürte einen Anflug von Furcht. Barfuß durch den

heißen Sand, das konnte tödlich sein. Ein Gilatier brauchte nur
in den nackten Fuß zu beißen, und es war um John geschehen.
Klapperschlangen, Giftstacheln von Sträuchern, scharfe Felsen,
all diese Dinge waren lebensgefährlich. Nicht umsonst trugen
selbst die Apachenkrieger eine Art Stiefel, die bis unter die
Knie reichten.

»Los, sonst mußt du angeschossen laufen«, sagte Cavett.
Haggerty zerrte sich Stiefel und Socken von den Füßen. Als

er sich aufrichtete, zischte ein Wurfseil durch die Luft. Ehe
John sich wegducken konnte, spürte er die Schlinge um seinen
Hals. Ein harter Ruck, schneidender Schmerz, und John lag auf
dem Boden.

Wieselflink fesselten ihm die Halunken die Hände auf dem

Rücken.

»Hoch mit dir, du Wüstenratte«, rief einer der Burschen.

»Wenn du nicht schnell genug bist, schleifen wir dich über den
Boden.«

Stiefel, Socken und Waffen des ehemaligen Scouts blieben

liegen.

Cavett knotete das Ende des Seils um sein Sattelhorn. Der

Rappe ging los, fiel in leichten Trab, und John rannte.

»Ein kluger Junge, was«, sagte einer der Banditen.
»Scheint zu klug gewesen zu sein«, erwiderte sein Kumpan.

»Bald hockt er beim Teufel auf dem Bratrost.«

Haggerty lief gleichmäßig, schonte seine Kraft. In einer Art

lockerem Wolfstrab rannte er hinter dem Rappen her. Die
beiden Halunken aus Bowsons Bande folgten in zwei oder drei

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Pferdelängen Abstand.

Der Sand schien unter Johns Füßen zu glühen. Er sah ein

breites Felsband. Vier armdicke Leiber schnellten dort hoch.
Die Köpfe pendelten leicht hin und her. Gespaltene Zungen
zuckten aus den Mäulern der Klapperschlangen, und das
warnende Rasseln der verhornten Schwanzenden klang scharf
und gefährlich.

Die Halunken lachten laut, und einer rief: »Paß nur auf,

wohin du deine Füße setzt, Apachenfreund. Sonst endest du als
Fraß für die Geier.«

»Ob jetzt oder später, das ist doch egal«, sagte sein Kumpan.
»Du bist ein Narr, Nat«, erwiderte der andere. »Cavett

flüchtet aus San Bernardino. Snade und Grant sind tot. Ein
Mädchen ist mit Haggerty in die Town geritten. Sagt dir das
nichts?«

Nat schwieg eine Weile. Er schien ziemlich schwach im

Denken zu sein.

»Teufel noch mal«, rief er schließlich, »du meinst, daß die

beiden das Girl befreit haben? Daß wir keine Chance mehr
haben, den Treck zu kassieren?«

»Genau, du Dummkopf«, erwiderte der andere. »Und

vielleicht ist dieser Haggerty unsere einzige Chance. Aber das
muß der Boß entscheiden.«

Nach Johns Schätzung waren sie schon etwa eine Stunde

unterwegs, als Cavett seinen Rappen zügelte.

»Nach links, in die Schlucht rein«, rief der Bandit hinter

John.

Der zweite Mann trieb sein Pferd an und ließ es in die

Mündung des Canyons galoppieren. Haggerty hustete, als er
den aufgewirbelten Staub einatmete.

Kaum fünf Minuten später kehrte Nat zurück und winkte

ihnen. Dick Cavett ließ sein Tier wieder anmarschieren. John
hörte das Grunzen der Zugochsen. Sie waren beim Treck
angelangt.

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96

*

Die Wagen standen in langer Reihe. Auf dem ersten
Conestogasitz saß Abe Prendergast. Er versteifte sich, als er
den Gefangenen der Halunken erkannte.

Die Lippen des Grauhaarigen bewegten sich, ohne daß er

einen Ton herausbrachte. Der Schock war ihm anzusehen.

Prendergast rechnete mit dem Schlimmsten, mit Olivias Tod.
»Keine Sorge, Mann«, rief Haggerty krächzend, »das Girl ist

in Sicherheit. Schnappt eure Flinten und schießt die Kerle in
Stücke!«

Ehe die Siedler reagieren konnten, hielten die fünf Halunken,

die an beiden Seiten des Canyons auf ihren Pferden saßen, die
Gewehre in den Fäusten.

»Wer

sich

rührt,

wird

erschossen!«

brüllte ein

hochgewachsener Kerl.

John musterte ihn, sah dunkle Haare, wasserhelle Augen, die

kalt und gefühllos wirkten.

»Wer bist du, Mann?« fragte Jed Bowson den sechs Fuß

großen Haggerty. »Bist du verrückt, daß du dich mit uns
anlegst?«

»Er ist John Haggerty«, rief einer der Bewacher, »und der

verfluchte Apachenhäuptling kann auch nicht weit sein, Boß.
Was tun wir?«

Bowson fluchte, daß sich die Frauen der Siedler die Ohren

zuhielten.

»Umlegen?« fragte einer der Banditen und richtete die

Mündung der Winchester auf John.

»Nicht, du Narr«, befahl Bowson, »das muß ich mir erst

überlegen.«

Er blickte Cavett an und winkte ihn heran. John verstand

kein Wort des Gespräches, aber er konnte sich vorstellen, was
der Mann aus San Bernardino berichtete.

Jed Bowson starrte seinen Feind an, blickte zu den

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97

Conestogas und rang sich zu einem Entschluß durch.

»Männer, wir müssen verschwinden«, rief er. »Am besten so

weit nach Norden, daß uns die Apachen nicht folgen werden.«

»Und der Treck? Die Beute?« brüllten seine Kumpane.
»Verloren«, erwiderte Bowson knapp. »Hat keinen Sinn,

wenn sich der Chief der Apachen einmischt. Der rote
Hurensohn wartet in San Bernardino mit dem Girl. Wir haben
nichts mehr in der Hand, um diese Schollenbrecher in die Ecke
zu drängen.«

Ein paar Sekunden blieb es still. Schließlich lachte der große,

massige Nat gemein und rief: »Warum legen wir sie nicht
einfach um und fahren mit den Wagen woanders hin?«

Bowson schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein, Cochise

ist das sicher egal, aber wir haben seinen weißen Freund. Der
ist unsere Lebensversicherung. Wir nehmen ihn mit, bis in die
Nähe von Tombstone. In der Stadt tauchen wir erst mal unter.
Später verschwinden wir nach Norden.«

»Und was machen wir mit dem Indianerfreund? Er stinkt

selbst mächtig nach roter Haut, Boß.«

Bowson grinste grausam und antwortete: »Wir werden sehen,

Sam. Sammelt alle Waffen ein und werft sie auf einen Haufen.
Vergeßt nicht, die Patronen rauszunehmen. Ich möchte keine
Schrotladung in den Rücken bekommen, wenn wir
davonsausen.«

John sah Prendergast an. Der ältere Mann schien genug von

allem zu haben. Er beugte sich langsam vor. Die Rechte tastete
unter dem Kutschbock umher. Sicher lag dort die Schrotflinte.

Es war sinnlos. Die Wüstenwölfe hielten ihre Waffen

schußbereit in den Fäusten. Prendergast würde nur ein Blutbad
verursachen, zog er seine Flinte heraus.

»Laß es sein, Abe«, rief Haggerty scharf. »Gebt die Waffen

ab. Es ist besser so. Fahrt nach San Bernardino. Cochise ist bei
Olivia.«

Prendergast richtete sich wieder auf, atmete schwer und stieß

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nach ein paar Sekunden hervor: »Das darf nicht sein, John. Sie
haben meine Tochter gerettet, und nun wollen diese Kerle Sie
umbringen. Oder glauben Sie, daß Bowson Sie in Tombstone
laufen läßt?«

»Halt's Maul, du alter Narr«, brüllte einer der Kerle. »Wir

haben immer noch Zeit, dir 'ne Kugel zu verpassen!«

»Abe, Cochise hat die drei Kerle niedergekämpft, die Ihre

Tochter bewachten«, sagte John laut. »Gebt jetzt die Waffen ab
und wartet, bis wir außer Sichtweite sind. Fahrt in die Stadt. Es
gibt keinen Ausweg. Wenn Cochise dann erfährt, was geschah,
ist es für mich sowieso zu spät.«

Prendergast verriet mit keinem Wimpernzucken, daß er

verstanden hatte.

Langsam zog er die Greenerflinte unter dem Sitz hervor,

klappte die Läufe auf und zog die Patronen heraus. Achtlos
warf er sie hinter sich in den Wagen. Das Gewehr ließ er in den
Sand fallen.

»Ich frage mich«, sagte Dick Cavett auf einmal, »warum der

Indianerfreund so vernünftig ist. Er kocht doch irgendwas aus.
Ich habe schon gehört, daß Haggerty voller Tricks steckt.«
John lachte rauh und erwiderte: »Natürlich, ich mache mich
gleich unsichtbar und verschwinde, ihr Narren. Welche Tricks
kann ich denn anwenden? Ich bin gefesselt, mit 'nem Seil um
den Hals. Ein Ruck genügt, und ich liege mit dem Gesicht im
Sand.«

Bowson hatte es plötzlich eilig. Seine Männer sammelten die

Waffen ein, entluden sie und warfen sie auf einen Haufen, drei
Dutzend Pferdelängen vor Prendergasts Wagen. Rannten die
Siedler wirklich zu ihren Flinten, mußten sie laden und
zurücklaufen, um freies Schußfeld zu bekommen. Und dann
waren die Banditen schon weit genug entfernt.

»Zwei Mann packen den Kerl unter die Arme«, befahl

Bowson. »Wir brauchen einen Vorsprung. Später darf er
wieder laufen.«

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Wachsam behielten die Banditen die Siedler im Auge. Zwei

Kerle ritten neben John, beugten sich aus den Sätteln und
packten zu. John schwebte mit den nackten Füßen einen halben
Yard über dem Boden.

»He, das Seil«, sagte er, »wenn Cavett zu schnell wird, bricht

mir der Ruck das Genick.«

Die Kerle lachten roh, und einer erwiderte: »Kann dir doch

egal sein, ob du früher oder später zur Hölle fährst.«

»Los jetzt!« schrie Bowson.
Die Pferde wieherten, jagten los. Dick Cavett ritt zwei

Längen vor den Kerlen, die Haggerty trugen.

Der Halunkenboß hatte die Spitze übernommen und trieb

sein Tier zwischen großen Felsbrocken hindurch. Immer
wieder ragten Steine in den Trail. Haggerty schloß die Augen.
Ein einziger Fehltritt genügte, und er war tot. Der plötzliche
Ruck des Seiles würde ihm das Genick brechen, wie eine
Henkersschlinge.

Fast zehn Minuten galoppierten die Pferde nach Norden.

Endlich zügelte Bowson sein Tier, ließ es in den Schritt
zurückfallen.

Sofort ließen die beiden Halunken ihre Last los. John prallte

hart auf, schnellte hoch, rannte wie der Teufel. Es ging gut.
Das Seil straffte sich etwas, aber der Ruck blieb aus.

»Sollen nicht zwei Mann zurückreiten und die

Schollenbrecher beobachten?« fragte einer der Halunken.

»Ach was, laß die Kerle«, erwiderte Bowson. »Die haben

doch die Hosen voll, sind froh, daß sie davongekommen sind.«

Der Anführer der Wüstenwölfe ahnte nicht, daß Abe

Prendergast bereits seine Befehle gab. Ein Muli wurde
ausgespannt, bekam einen Sattel auf den Rücken, und einer der
jüngeren Männer zwang das bockende Tier zum Gehorsam.

»Bleib bei Olivia«, sagte der Grauhaarige, »berichte Cochise,

was wir gesehen und erfahren haben. Sag ihm, daß sein Freund
fast schon tot ist.«

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100

»Keine Sorge, Abe, ich lasse das Biest galoppieren«,

erwiderte der Reiter und hackte dem Muli die Absätze in die
Flanken.

Mit grellem Wiehern jagte das Tier los, auf San Bernardino

zu. Und dieser Reiter war Haggertys einzige Chance.

*

Cochise saß neben dem jungen Mädchen auf den Stufen des
Stores. Die Mexikaner der Stadt blieben in ihren Häusern. Sie
spähten hinter Gardinen hervor, blinzelten an Lücken in der
Adobemauer und zitterten vor Angst.

Sie kannten Cochise, hatten den größten Häuptling der

Apachen schon früher gesehen. Und sie hatten auch nicht
vergessen, daß Cochise einmal eine Strafaktion gegen sie
durchgeführt hatte. Vierzehn Männer waren damals gestorben.
Das war, als ein Mexikaner schlechten Schnaps verkaufte, als
fünf Chiricahuas, junge Männer noch, blind wurden.

»Hoffentlich passiert Haggerty nichts«, sagte Olivia bedrückt

und sah den Chief an.

Er besaß ein kühnes Gesicht, fand das Mädchen. Cochise

gehörte zu den kräftigsten Männern, die sie je gesehen hatte.
Der Brustkorb war mächtig und muskulös. Er glich so gar nicht
den Apachen, die Olivia kannte.

»Falke ist ein Mann der Wildnis«, erwiderte der Jefe

lächelnd. »Er wird sein Wild stellen und zurückkehren, weiße
Tochter.«

Der Häuptling mochte das Mädchen, obwohl es zur Hälfte

Mexikanerin war. Und die Gelbhäutigen galten seit
ungezählten Wintern als die größten Feinde aller Apachen.

Plötzlich hob der Häuptling den Kopf und lauschte.
Olivia sah ihn fragend an, und er sagte: »Ein Maultier, weiße

Tochter. Es ist etwas geschehen.«

Er stand auf, verwandelte sich von einer Sekunde zur

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anderen von einem freundlichen Mann in einen gefährlichen
Kämpfer. Lautlos glitt der Häuptling in den Store. Es behagte
Cochise zwar nicht, daß er von massiven Wänden umgeben
war, aber er wollte nicht gesehen werden. Erst mußte er selbst
sehen, erkennen, was auf ihn zukam.

Er legte den Hahn der Winchester zurück und lauerte neben

dem Schaufenster. Von hier aus konnte er die staubige Straße
einsehen und jeden Gegner sofort unter Feuer nehmen.

Das Muli galoppierte mit seltsamen Sprüngen heran. Der

Mann im Sattel schien Schwierigkeiten zu haben.

Zwei Stiefel baumelten vom Horn herab. Ein weiterer Sattel

lag schräg vor dem Bauch des Fremden, und er führte zwei
Gewehre mit.

Cochise kannte diese Stiefel, den Sattel, und sein Gesicht

wurde ausdruckslos. Der Falke war gefangen oder tot.

Langsam glitt der Jefe zur Tür.
»Hank, was ist geschehen?« rief Olivia aufgeregt und rannte

auf die Straße. »Erzähl doch, Wo ist Mr. Haggerty?«

Hank riß an den Zügeln, brachte das Muli zum Stehen und

erwiderte: »Die Banditen haben ihn kassiert. Sie lassen ihn
barfuß und gefesselt laufen. Sein Pferd ist tot. Ich fand es, als
ich herkam. Hier sind seine Sachen. Wo finde ich Cochise? Der
Häuptling muß erfahren, was mit Haggerty geschah. Nur er
kann ihm noch helfen.«

Der Chief verließ den Store, blieb im Schatten des Vordaches

stehen und sagte: »Sprich, weißer Mann. Wo ist der Falke?«

Hank berichtete schnell, was er wußte.
»Meinen Dank, Bleichgesicht«, erwiderte Cochise, als der

Weiße schwieg. »Meinen Dank auch an den Weißen mit dem
grauen Haar. Ich hole den Falken und töte die Wüstenwölfe.
Denn dies ist mein Schwur. Und wenn der Falke stirbt, so
werden die Chiricahuas zum erstenmal seit vielen Monden
wieder Weiße zu Tode martern. Dies ist mein Wort.«

Cochise verließ die Veranda. Sein Gesicht wirkte kalt,

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ausdruckslos. Nur die schwarzen Augen glommen in einem
gefährlichen Feuer, als er zu seinem Mustang lief.

»Bring mir Falkes Sattel, die Stiefel und die Waffen«, bat der

Jefe.

Hank trieb das Muli hinter den Store, sah den Toten und

schluckte.

Cochise zeigte, daß er mit dem Sattel der Weißen umzugehen

verstand. Er schnallte seinem Mustang den Ledersitz auf, legte
ihn über die Decke, die der Jefe benutzte. Stiefel und Waffen
befestigte der Häuptling mit Lederriemen am Sattel.

Haggerty brauchte diese Dinge, wenn Cochise ihn befreit

hatte.

»Ich reite jetzt«, sagte er zu Olivia und Hank. »Die rollenden

Jacales sollen umkehren. Ich sorge dafür, daß ihr in der Nähe
der Stadt Tombstone leben könnt. Keine Gefahr droht euch,
nicht von den Apachen.«

Mit einem Sprung gelangte der über sechs Fuß große

Häuptling in den Sattel, verzog etwas das Gesicht und ließ den
Pinto losgehen.

Die Halbwüste schien Pferd und Reiter zu verschlucken,

aufzusaugen. Denn als Hank und Olivia den Rand der kleinen
Stadt erreichten, war von dem Führer der Apachen keine Spur
mehr zu entdecken.

Cochise trieb den Pinto an. Er jagte im Galopp nach Norden.

Der Jefe wollte in die Berge, denen die Weißen den Namen
Pedregosa Mountains gegeben hatten. Dort lag der
Unterschlupf der Wüstenwölfe, die mit Mord und Gewalt über
Apachen und Weiße kamen, um Beute zu machen.

Der Häuptling wußte, daß Weiße fast niemals ihren Besitz im

Stich ließen. Selbst dann nicht, wenn sie auf der Flucht waren.
Und der Apache kannte Wege durch dieses Land, von denen
kein Weißer wußte, selbst Falke nicht, dem schon einige
Geheimnisse der roten Menschen bekannt waren.

Cochise hielt den Graszügel locker in der Rechten. In der

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103

Ferne sah er den grünen Schimmer der Bäume, die in diesem
Gebirgszug ausreichend Wasser fanden.

Nur für Sekunden war der Apache zu sehen, als er aus der

Halbwüste zwischen die ersten Sträucher und halbhohen
Bäume ritt. Zielsicher leitete er den Schecken auf einen
Windbruch zu. Einer der gewaltigen Winterstürme hatte zwei
Dutzend Bäume entwurzelt. Sie lagen wirr übereinander,
bildeten eine scheinbar undurchdringliche Sperre, einen Wall
mitten im Wald.

Cochise saß ab, betrachtete kopfschüttelnd den Sattel und

öffnete die Schnallen. Sorgsam versteckte er den Ledersitz
zwischen den Stämmen, unter Zweigen und braunem Laub. Die
Winchester des Freundes folgte. Nur die Stiefel und den
Revolvergurt samt Colt nahm Cochise mit, als er weiterritt.

Etwas später führte er den Pinto in eine Felsspalte, aus der es

feucht herausdrang. Offenes Wasser gab es dort nicht, wohl
aber fette Kräuter und Gräser, die dem Pferd reichten.

Der Jefe verschwand zwischen den Sträuchern und Bäumen.

Er arbeitete sich lautlos vor.

Endlich erreichte er den Standort, den er schon einmal

eingenommen hatte. Von hier aus konnte er das ganze
primitive Lager überblicken.

Nichts rührte sich. Kein Laut drang aus den Hütten, kein

Pferd schnaubte oder wieherte. Trotzdem verharrte der Jefe
regungslos. Dies war Apachenart, denn vielleicht hockte in
einer der Hütten ein Weißer, dessen Geduld fast ebenso groß
wie die der Indianer war.

Nach über zwei Stunden glitt Cochise weiter. Schnell

durchsuchte er die Unterkünfte, verzog die Nase, als er
dumpfen, muffigen Geruch wahrnahm und verstand die
Weißen nicht, die hier schliefen.

Er fand Münzen, ungeprägtes Gold, Waffen, Vorräte und

Geldscheine. Ausdruckslos betrachtete der Chief seine Beute.

Nein, dachte er, ich habe geschworen, die toten Krieger der

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104

Mimbrenjos zu rächen. Nehme ich diese Dinge mit, so muß ich
sie Victorio übergeben. Es ist die Beute seines Stammes, und
ich helfe ihm nicht. Denn er will den Krieg mit den
Bleichgesichtern. Jede Münze, jedes Stück Gold bringt dem
Jefe der Mimbrenjos Vorteile.

Cochise durfte diese Beute nicht behalten. Dann wäre sein

Schwur nicht erfüllt gewesen. Denn nach den ungeschriebenen
Gesetzen der Apachen durfte er keine Belohnung annehmen,
wenn er einen Eid erfüllte.

Der Häuptling durchsuchte weitere Hütten, stieß auf eine Art

Vorratslager und betrachtete die Blechkannen, die dort standen.
Er schraubte den Deckel eines Behälters auf und verzog das
Gesicht, als ihm der Geruch des Lampenöls in die Nase drang.
Er kannte das stinkende Zeug, das die Weißen in ihren
Laternen verbrannten. Sofort hatte der Chief eine Idee. Er
packte mit jeder Hand zwei Kannen, trug sie ins Freie und
machte sich an die Arbeit. Jede Spur der weißen Banditen
sollte getilgt werden. In einem Jahr sah die Bergwelt hier
wieder so aus, wie vor dem Eindringen der Halunken.

Der Geruch betäubte den Jefe fast, als er Kanne um Kanne

leerte, das Stinköl in die Hütten goß, über die Wände spritzte
und wie ein Sklave schuftete.

Cochise fand in einer der Hütten Schwefelhölzer. Ein paar

Sekunden starrte der Häuptling die kleinen Stäbchen an, ehe er
zwei über das Leder seiner Hose rieb. Zischend loderten die
Phosphorköpfe auf. Cochise bückte sich, hielt den Atem an und
legte die flackernden Zündhölzer auf die stinkende
Feuchtigkeit.

Heiß wie der Atem eines Pumas fauchte die Flamme hoch,

rannte prasselnd weiter und leckte gierig an den Hüttenwänden
empor. Innerhalb von Sekunden loderten die primitiven
Unterkünfte der Wüstenwölfe hoch auf. Die Hitze erreichte die
Kannen, die mit scharfem Geräusch zerplatzten.

Cochise zog sich zurück. Von seinem Versteck aus

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beobachtete er das Feuer, hoffte, daß kein Wind aufkam, denn
ein Lufthauch würde die Flammen in den Bergwald treiben und
nur geschwärzte Stämme zurücklassen.

Es dauerte fast eine Stunde, bis die letzten Feuerzungen

zusammenfielen. Die Hitze wirbelte Ascheflocken in die Luft.
Ab und zu glomm noch Glut wie ein böse funkelndes rotes
Auge durch die Überreste des Mörderlagers.

Der Jefe sah zur Sonne hoch. Sie stand bereits weit im

Westen. Bald zog die Dämmerung über das Land, verschluckte
mit ihren Schatten den Tag.

Wann kamen die Mordwölfe? Wann konnte der Chief seine

Vergeltung vollenden? Was fing er mit Falke an? Durfte er in
der Nähe sein, wenn der Führer der Apachen die weißen
Banditen tötete?

Nein, entschied Cochise, der Falke muß sich um seine Dinge

kümmern. Bis er ein Pferd gestohlen hat, bis der Sattel auf dem
Tier liegt, ist mein Schwur erfüllt.

Der Jefe war davon überzeugt, daß die Weißen kamen und

ihre Beute holen wollten. Was sie jedoch unternahmen, wenn
sie ihr Lager niedergebrannt fanden, vermochte Cochise nicht
vorauszusagen. Immerhin hatten sie Haggerty in ihrer Gewalt.

*

»Lauf schon, du Bastard«, schrie Nat.

Haggerty spürte die Erschöpfung. Lange hielt er nicht mehr

durch. Seine Kraft ging mit jedem Schritt zurück, den er
machte. Er fragte sich in Gedanken, was die Kerle wohl mit
ihm anstellten, wenn er nicht mehr weiterkonnte.

Erleichtert blickte er zu den grünen Wipfeln der Bäume

hinüber. Die Pedregosa Mountains waren nahe. Bald erreichten
sie Schatten, kühlere Luft. Und vielleicht genügten schon
tausend Schritte, bis das Lager der Wüstenwölfe erreicht war.

Haggerty preßte die Kiefer aufeinander, daß die Zähne

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schmerzten. Diese kurze Strecke wollte er durchhalten. Er
durfte sich vor den Hundesöhnen keine Schwäche erlauben. Sie
sollten ihn nicht am Boden sehen, triumphieren und verhöhnen.

Er holte tief Luft, spürte aus irgendeiner verborgenen Quelle

neue Kraft in seine Glieder fließen und trabte lockerer weiter.

»Irgendwas stimmt nicht«, rief Jed Bowson, der noch immer

an der Spitze des kleinen Trupps ritt.

Haggerty schnupperte wie ein Jagdhund. Ja, es roch nach

Rauch, nach verbranntem Holz. In den Bergen mußte ein Feuer
gewütet haben. Es war gut möglich, daß die Hitze ausgedörrte
Zweige zum Glimmen gebracht hatte, daß diese winzige Glut
ausgereicht hatte, einen Waldbrand auflodern zu lassen.

Aber hier in den Bergen fanden Bäume und Sträucher

ausreichend Wasser. Ein Großfeuer konnte eigentlich nicht
entstehen.

»Unser Camp«, sagte einer der Halunken heiser, »verdammt,

Boß, wenn unsere Hütten abgebrannt sind, stehen wir ohne
einen Cent da. Die ganze Beute, die Dollars, das Gold, alles
liegt doch im Camp!«

»Schneller!« schrie Bowson und trieb sein Pferd an.
Haggerty blickte sich verzweifelt um. Niemand dachte an

ihn, an das Seil um seinen Hals. Wenn die Tiere in Galopp
fielen, würde John zu Tode geschleift und stranguliert werden.

Er rannte los, legte den Rest seiner Kraft in diese Schritte,

gelangte hinter den Rappen, erreichte die Seite und drehte sich
etwas. Mit den gefesselten Händen versuchte er, Dick Cavetts
Bein aus dem Steigbügel zu stoßen.

Unwillig trat der Kerl nach hinten, spürte Widerstand und

sah hinab. Cavett lachte belustigt und sagte: »Mach dir keine
Gedanken, du Hurensohn. Dich brauchen wir noch. Ich reite im
Schritt hinter den anderen her.«

Aber Bowson entschied anders. Er wandte sich im Sattel um

und rief: »Nimm den Kerl vor dich auf den Gaul, Dick. Wir
müssen uns beeilen. Ich habe ein verdammt schlechtes

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Gefühl.« Es war schwierig, aufs Pferd zu steigen, aber Cavett
riß seinen Gefangenen hoch, bog rücksichtslos Johns Beine
und Arme und ließ ihn endlich vor den Sattel plumpsen.

Die Tiere wurden in Galopp gezwungen. Trotz seiner

Erschöpfung und der Schmerzen bemerkte Haggerty, daß der
Rappe ein ausgezeichnetes Pferd war. John dachte, daß dieser
Gaul ein ordentlicher Ersatz für seinen Grauen wäre, den die
Halunken einfach abgeschossen hatten.

Irgendwie war der ehemalige Scout davon überzeugt, war

vollkommen sicher, daß er dieses Abenteuer heil überstehen
würde.

Der Weg führte steil bergauf. Kräuter wucherten wie ein

dichter Teppich. Die gelben Blüten der Schwefelblumen
wirkten wie Goldmünzen im Schein der untergehenden Sonne.

Eine Biegung, tief hängende Äste, dicht belaubt,

Halbschatten, ab und zu ein Lichtspeer, der durch die Blätter
stach, und dann die Lichtung.

Es stank nach verbrannten Kleidungsstücken, verkohltem

Holz, und der Geruch von Lampenöl hing noch in der Luft.

Das Camp der Wölfe war ein Aschenhaufen. Geschwärzte

Baumstämme ragten aus dem Boden. Asche wölkte unter den
Pferdehufen auf, als Bowson auf die Lichtung ritt.

Die Halunken brüllten vor Wut, als sie die Zerstörung ihres

Lagers endlich begriffen. Nicht nur das Camp war verbrannt,
auch all ihre Beute, die Dollarnoten, die Münzen mußten
geschmolzen sein. Lediglich Gold überstand die Hitze eines
solchen Feuers.

Das war der Jefe, dachte Haggerty und verspürte zum

erstenmal seit langen Stunden Zufriedenheit. Cochise mußte in
der Nähe sein. John war dessen ganz sicher. Und er fragte sich,
wie der Führer der Apachen vorgehen wollte.

Eine Kugel genügte, um Haggerty zu töten. Selbst wenn der

Apache blitzschnell angriff, in rasender Geschwindigkeit seine
Winchester leerfeuerte, hatte einer der Halunken immer noch

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Zeit, John umzubringen.

»Wer war das?« brüllte Bowson.
Er sprang vom Pferd, stürmte auf Haggerty zu, riß ihn vom

Rappen und schmetterte dem barfüßigen, geschundenen Mann
die Faust ins Gesicht.

»Das war dein verfluchter Indianerfreund, der stinkende

Apache«, schrie der Bandenboß. »Wo ist der Hurensohn? Wo
steckt er? Los, sucht ihn, ich will den Kerl vor mir haben. Ich
schneide ihn in Streifen, diesen roten Bastard!«

Bowson tobte, als sei er von Sinnen. Er riß ein Messer aus

dem Stiefelschaft, zerhackte die Leine dicht am Sattelhorn und
trieb John vor sich her.

»Mit dem Rücken zu dem Stamm!« befahl Jed.
Haggerty spürte die Hitze des Holzes durch das Hemd.

Bowson fesselte zuerst seine Beine, durchtrennte die
Handfesseln und bog die Arme um den geschwärzten
Baumstamm und verschnürte sie wieder.

»Du bleibst hier stehen«, sagte der Halunkenboß mit fast

überkippender Stimme. »Du bleibst so lange hier, bis dein
verdammter Apachenfreund erscheint. Und morgen früh
fangen wir mit dir richtig an, du verfluchter Dreckskerl.« Er
brüllte: »Los, durchsucht die Sträucher. Drei Mann stehen
Wache. Wechselt euch ab. Schießt auf alles, was sich bewegt.«

Einer der Kerle hatte Einwände.
»Jed, wenn die Indianer wirklich in der Nähe sind«, rief der

Mann, »dann sollten wir blitzschnell verschwinden. Du weißt
doch, wie das mit den Apachen ist. Du siehst sie erst, wenn dir
dein Kopf vor die Füße rollt.«

»Halt dein Maul, Terry«, drohte Bowson. »Noch ein Wort,

und ich gebe dir 'ne Kugel, du Feigling. Du hast doch oft genug
gesehen, wie wir mit den roten Stinkern fertig geworden sind.«

Die Banditen saßen ab, führten die Pferde zwischen halbhohe

Bäume, hinter denen ein schmaler Bach floß.

Haggerty hätte trotz seiner Schmerzen beinahe gegrinst.

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Wenn der Jefe in der Nähe war, würde er sofort das beste Tier
davontreiben, damit John ein Pferd hatte, wenn er frei war.

Es wurde dunkler. Lange Schatten wanderten über die

Lichtung, fielen über die hellen Ascheflocken und wirkten
bedrohlich auf die Banditen. Unruhig wandten sie immer
wieder die Köpfe.

Bowson wies die Kerle an zu schlafen. Nur die drei Wachen

sollten ständig das Lager umkreisen.

Es dauerte nicht lange, bis fünf Männer leise schnarchten. Ab

und zu knackte noch ein Zweig in der Glut unter der Asche.
Jedesmal fuhren die Posten herum, rissen die Gewehre hoch,
fanden jedoch kein Ziel.

*

Um Mitternacht sollten die Wächter abgelöst werden. John
versuchte, die Sterne zu erkennen. Seinem Gefühl nach war es
bald soweit. Auf einmal spürte er, daß jemand hinter ihm stand.

Die kalte Messerklinge ließ Haggerty aufatmen. Die Stricke

knirschten leise, als der Jefe sie durchtrennte. Sekunden später
war John frei. Er behielt die Posten im Auge, die ständig ihre
Runden drehten.

Langsam kehrte Gefühl in die Handgelenke zurück. Es stach

und brannte, als die Blutzirkulation wieder richtig in Gang
kam. Cochise tastete nach Falkes Fingern. Er berührte das
kühle Holz eines Coltgriffs.

»Du gehst gerade zurück, mein Freund«, wisperte der

Häuptling dicht an Haggertys Ohr. »Ich habe den Rappen
davongeführt. Dein Sattel liegt auf meinem Mustang. Bereite
alles vor. Sobald ich komme, reiten wir in meine Apacheria.«

John wollte antworten, wollte sagen, daß dies auch sein

Kampf war, aber der Führer der Chiricahuas verschwand
lautlos in der Dunkelheit.

Haggerty zuckte zusammen, als er den ersten Schritt machte.

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Seine wunden Füße waren in ein Glutnest unter der Asche
getreten. Beinahe hätte John vor Schmerz aufgeschrien. Er
hüpfte hoch, trat auf einen halbverkohlten Ast, der krachend
brach und löste so das Ende der Wüstenwölfe aus. Der Trail zu
ihrem Lager war der letzte in ihrem Leben gewesen. Die
gnadenlosen Halunken hatten einen Weißen barfuß durchs
Indianerland gehetzt, ihre Beute verloren und bezahlten nun
mit dem Leben für all ihre Verbrechen.

Die drei Wächter wirbelten herum, erkannten, daß der

Gefangene nicht mehr am Pfahl stand und feuerten sofort. Drei
Mündungslichter zuckten auf. Orange rote Flammen standen
für Sekundenbruchteile vor den Mündungen, und heißes Blei
fegte in die Dunkelheit.

Haggerty sprang zwischen die Büsche, wirbelte herum,

vergaß seine Füße und feuerte dreimal mit dem Colt. Die
Posten brachen zusammen. Der letzte Mann schlug in die
Asche, als die übrigen Kerle aufsprangen.

John zielte, als er Cochises Stimme hörte.
»Ihr seid Mörder, weiße Männer«, rief der Häuptling hart.

»Ihr werdet hier sterben, denn so habe ich geschworen, ich,
Cochise, der Häuptling der Apachen!«

Zwei Revolver wummerten dumpf. Die Schüsse verrollten

zwischen den Bäumen. Die drei anderen Halunken feuerten mit
den Gewehren in die Dunkelheit. Sie hatten keine Chance
mehr. Haggerty wandte sich um, stolperte über eine Wurzel
und schrammte mit dem rechten Fuß über die Rinde. Der
Schmerz jagte derart grell in ihm hoch, daß er stöhnend gegen
den Baum sank. Warm sickerte es über Johns Fuß.

Er sah nur die Mündungslichter auf dem Platz des Camps.

Warum erwiderte der Jefe das Feuer nicht?

Da! Ein Mann taumelte, brach zusammen. Zwei weitere

prallten in die Asche, wirbelten Wolken auf, und die beiden
letzten rannten auf die Pferde zu, brachen wie Büffel durch das
Gestrüpp.

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Haggerty riß den Colt hoch, wollte abdrücken, als er das

Schwirren einer Bogensehne hörte. Der vordere Kerl gurgelte
ein paar unverständliche Worte und brach zusammen.

Der zweite Mann stand wie angenagelt. Es war Bowson. Er

hatte die Augen weit aufgerissen, so daß Haggerty das Weiße
seiner Augen sehen konnte.

Abermals schnalzte die Sehne, und der Pfeil traf Bowson.
Der letzte Wüstenwolf war tot. Cochise hatte seinen Schwur

erfüllt und die Krieger der Mimbrenjos gerächt ohne den
Frieden im Südwesten zu gefährden.

»Komm, Falke«, sagte der Häuptling ein paar Sekunden

später. »Wir reiten nach Nordwesten. Es ist vorbei, mein
weißer Freund.«

Als sie die Pferde erreichten, stöhnte Haggerty nur. Er

schauderte, als er seine Stiefel anschaute. Er mußte barfuß
reiten. Und wenn es die Hölle war, so würde er doch bis zur
Apacheria durchhalten. Denn dort bekam er Hilfe.

ENDE


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