Apache Cochise 15 Ritt ins Inferno

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John Montana

Ritt ins Inferno

Apache Cochise

Band Nr. 15

Version 1.0

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Prolog

Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder.
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.

Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von

Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten
Rasse führten. Man kann sagen, die damaligen Weißen und
Mexikaner waren alles andere als weitblickend, eher nur von
einer hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines
Panthers glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der
Indianer eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für
einen Apachen-Skalp.

Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer

mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«? Mitnichten.
Zum Teil gab es vorausschauende und mitfühlende Männer in
der Army, die aber wegen ihrer »Humanitätsduselei« nicht zu
Wort gelangten, aber den Untergang der roten Rasse
voraussagten und mit den Indianern fühlten.

Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer-

und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von
vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung

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abgetan wird.

Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden

Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung
trieb, nicht mit ansehen muß.

Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die

Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft,
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen
Arizonas.

Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet?

Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa,
Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden.
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum
Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen
die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich
das große graue Leichentuch über die Stämme und
Sippenverbände.

Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren

möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments
gegen die rote Rasse gewesen wäre. Es hat nicht an
klardenkenden und verantwortungsbewußten Leuten
gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im

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Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu
ihrem Recht zu verhelfen. Es ist nicht Aufgäbe dieser
Einleitung, anzuklagen und zu richten, denn niemand von uns
kann sagen, daß er es womöglich hätte besser machen können.
Sie alle in der damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren
Kinder einer harten und erbarmungslosen Epoche, und sie
waren Bewohner einer rauhen Umwelt.

Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen

Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter
authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in
Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur
in Kurzform gebracht wurde. Die guten und schlechten
Weißen, die anständigen Apachen und die grausamen, tauchen
namentlich in der Story auf und geben der Geschichte einen
dramatischen, wenn auch makabren Hintergrund.

Ihr Martin Kelter Verlag.

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***

Tiefhängende Wolkenbänke zogen über die Dragoon
Mountains hinweg und hüllten ihre Gipfel ein. Es war ein
böses Orakel, das Cochise warnen sollte. Blitze und Donner
zuckten zur Erde nieder und tauchten die Apacheria in grelles
Licht, und das dumpfe, grollende Echo des Donners kehrte aus
finsteren Schluchten wieder.

Doch Cochise beachtete dieses Zeichen nicht. Er hatte seine

Stammesbrüder gerufen, um mit den Häuptlingen seine Pläne
zu besprechen.

Sie waren seinem Ruf gefolgt, teils, um ihrem

Kriegshäuptling ihre Achtung zu erweisen, teils aus Neugierde,
denn in ihren Bergfesten hatte es sich herumgesprochen:
Cochise besaß moderne Feuerrohre, wie sie die Soldaten in
ihren bunten Röcken mitführten.

Victorio, der Mimbrenjo-Häuptling, Nana und Loco, die

jungen Unterhäuptlinge der Mimbrenjos. Ulzana, der
Weißenhasser. Geronimo und Chato.

Nach endloser Begutachtung der Springfield-Gewehre,

einigen Kostproben ihrer Treffsicherheit, der ihre
uneingeschränkte Bewunderung galt, und Cochises Bestreben,
die Waffen zu besorgen, in vielen lobenden Tiraden
erwähnend, versammelte man sich im weiten Rund vor dem
Hauptzelt des Häuptlings, um des Jefes weisen Worten zu
lauschen, zu beratschlagen und nach Apachenart zu
diskutieren.

Während der scharfe Nordwind, der Blue Northern, vom

trockenen Gewitter begleitet, die Wolken peitschte und an den
Lederzügen der fellbespannten Jacales rüttelte, füllte Chan-ank,
der »stoßende Adler«, Ältester im Rat der Alten, das Kalumet
mit Kinnikinnick, der nun rundum ging und den beißenden

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Geruch von Sumachblättern, vom Bast des roten Hartriegels
und aromatischen Kräutern verbreitete.

Eine Zeremonie, die dem großen Palaver vorausging. Tiefes

Schweigen herrschte, und ihre Gedanken verweilten bei ihren
Göttern, bis Victorio, der Apachenwolf, seine Arme hob und
rief: »Enju, es ist gut. Wir wollen nun über Dinge sprechen, mit
denen sich unser Kriegshäuptling seit unserer Vereinigung im
Canyon de los Embudos beschäftigt.« Sein Blick ruhte auf dem
Stammesfürsten. »Du hast das Wort, Jefe.«

Cochise nickte. Er schien Old Vics Gedankengänge zu

erraten. »Für einen Krieg gegen die Blauröcke sind wir nicht
ausgerüstet, für den Aufstand zu schwach. Sechzig Feuerrohre,
die der verräterische Händler uns gebracht hat, sind nicht die
Seligkeit, aber sie reichen, um in den Siedlungen Unruhe zu
verbreiten. Wir werden ihre Farmen niederbrennen und ihre
Niederlassungen angreifen. Wir werden uns weitere Waffen
erobern und ein Heer ausrüsten, mit dem wir gegen die
Soldaten kämpfen, sie töten oder aus unseren Jagdgründen über
den Rio Grande del Northe treiben. Mein Sohn Naiche ist auf
dem Wege zu den Yaguis. Ich hoffe, Tehueco wird unseren
Freiheitskampf unterstützen und seine Krieger in unsere
Bergfestungen entsenden.«

Victorio schien enttäuscht. »Wir sollten in die Zeltstadt der

Blauröcke reiten«, rief er zornig, »dort liegt das Übel. Ohne
ihren Häuptling Einarm werden die Soldaten über die Grenze
fliehen. Seinen Skalp können wir dem Weißen Häuptling in
Washington senden.«

Cochise schüttelte heftig den Kopf. »Würden deine

Mimbrenjo-Krieger fliehen, wenn dich eine Kugel aus
Feindeshand niederschmettert?«

»Niemals«, schrie Old Vic und spürte im gleichen

Augenblick, das der Jefe ihm eine Falle gestellt hatte.

»Du siehst es, es hat keinen Zweck. Wir wollen Unruhe

verbreiten, damit keine weiteren Siedler unser Land betreten.

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Das käme einem Sieg gleich. Und jene Farmer, die sich auf
unseren fruchtbaren Weiden breitgemacht haben, werden wir
die Hölle zeigen, bis sie von selbst aufgeben. Und dann, aber
dies nur, wenn die Aravaipas und die White Mountains
Apachen unsere Kriegsmacht stärken, könnten wir die Zeltstadt
bei Tubac angreifen und vielleicht vernichten.«

Ulzana nickte. Er spürte Cochises Klugheit und wußte, nur

ein Mann wie der Jefe konnte die Apachen in die Freiheit
führen.

Ein Blitz zuckte aus den pechschwarzen Wolken, fuhr

oberhalb der Jacales in den Fels und spaltete ihn. Für Ulzana
ein Zeichen der Götter, die seine Gedanken guthießen.

»Wie werden wir vorgehen, Cochise?« fragte er nach einer

Weile.

»Wir teilen unsere Krieger in zwei Gruppen und gehen in die

freie Mesa, brennen, plündern und töten, was uns an Feinden
begegnet.«

»Auch ihre Kutschen?«
Einen Augenblick dachte Cochise an seinen Vertrag mit

General Howard.

Der Einarm hatte sein Wort, was soviel wie Frieden

bedeutete. Aber Einarm hatte seinen Vertrag gebrochen, die
Abmachung galt also nicht mehr.

»Ihre Kutschen, ihre Militärpatrouillen, Männer, Frauen,

Kinder. Wir wollen unsere Vorbereitungen in aller Stille
treffen und dann zuschlagen. Ich weiß, daß der Falke die Berge
durchstreift und einen Weg in die Apacheria sucht. Er wird
erfahren wollen, mit welchen Plänen wir uns beschäftigen. Er
mag kommen…«

Victorios dunkle Augen sprühten Feuer. Der Wind fuhr wild

durch sein langes schwarzes Haar. »Bevor er den Marterpfahl
kennenlernt, werde ich mit ihm kämpfen.«

Cochise lächelte. »Du bist ein mutiger Krieger, Victorio.

Aber wir wollen nach Apachenart klug, listig und verschlagen

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sein. Der Falke mag kommen, hören und gehen, denn er wird
Dinge erfahren, die für uns von wenig Bedeutung sind, weil
wir ihn und den General in Tubac auf die falsche Fährte
setzen.«

Cochise sprach nun lange und eingehend über seine Pläne,

die General Howard, seine Infanterie und Dragoner weitab der
eigentlichen Geschehnisse führen sollten, während sie, die
Chiricahuas und Mimbrenjos, ungehindert die Plains
durchstreiften.

Beifälliges Gemurmel folgte seinen Ausführungen. Das

Kalumet ging von einem zum anderen, selbst Victorio schien
von Cochises Worten überzeugt.

»Wie aber werden wir erfahren, daß der Falke die Apacheria

betreten hat? Deine Krieger haben seine Spur verloren«, sagte
er lauernd.

»Apachen sind keine blinden Schneehasen. Was sie verloren

haben, werden sie wiederfinden. Der Kreis, in dem sie suchen
müssen, ist nur klein. Er bewegt sich in den Grenzen unserer
Befestigung.«

»Du bist verschlagen wie ein Schakal, Jefe«, rief Victorio

anerkennend und zog an der langen Pfeife.

Am Abend brachten Weiber gäriges Getränk, und ihr Palaver

dauerte bis tief in die Nacht. Sie träumten von Siegen und
Erfolgen und dem tödlichen Blizzard, mit dem Apachen-
Krieger durch die Mesa fuhren.

Da nun viele entscheidende Dinge zu besprechen waren,

wurde das Palaver am folgenden Morgen fortgesetzt.

Am späten Nachmittag tauchte einer von Cochises Spähern

am Ende der Schlucht auf. Mit großen federnden Schritten
näherte er sich dem Rat der Häuptlinge.

Cochise hatte sich erhoben. Er reichte dem Läufer, der sehr

erschöpft war, die Wasserkelle und sagte ruhig: »Sprich,
Athalee.«

»Der Falke kommt«, sagte Athalee schwer atmend, während

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er nach Osten wies. »Der Falke nimmt den Arroyo am Berg der
vielen Höhlen.«

Cochise nickte zufrieden. Am Berg der Höhlen lagen die

Grabstätten ihrer Toten.

»Wann wird er unser Lager erreichen?« fragte er weiter.

»Der Falke ist mißtrauisch wie der scheue Bü. Er wird die
Nacht abwarten.«

»Dann haltet die Augen auf und gebt uns ein Zeichen, wenn

der Falke das Lager betritt. Geronimo mag dich zu den
Wächtern auf dem Hügel begleiten.«

Geronimo packte seine geschmückte Kriegslanze und zog

sich am Schaft hoch.

Der Jefe mahnte lächelnd: »Der Falke mag kommen und

gehen, ohne daß ihm ein Leid widerfährt. So hat es der Rat
beschlossen. So soll es geschehen.«

Cochise setzte sich auf die bunte Santillodecke nieder und

sprach zu den Häuptlingen, während Geronimo und Athalee in
die Felsenhöhle stiegen, von wo aus der Blick in das schmale
Felsband offen war.

Der Gewittersturm war längst weitergezogen ohne daß er im

Dorf Schaden angerichtet hatte. Die Sonne verkroch sich hinter
den Bergen. Es dämmerte und wurde dunkel.

Plötzlich stand Geronimo im Kreise der Häuptlinge. Er ließ

sich nieder und sagte triumphierend: »Der Falke verbirgt sich
bei den töpfernen Urnen unserer Toten!«

»Dann wird er bald in unserer Nähe sein.« Cochise nickte

zufrieden. »Besprechen wir also die Dinge, die wir geplant
haben.«

*

»Lege dich nicht mit Rocky an, Sonnyboy«, warnte Nelly
Michel, Mädchen amouröser Freuden aus Cammerons Tanzbar
in Tucson. Dabei streifte sie mit einem fast zärtlichen Blick

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den schlanken jungen Burschen, der in ihr angenehme
Erinnerungen hinterlassen würde, wenn er die Stadt verließ.

»Rocky ist gefährlich und hat ein Dutzend halbseidener

Freunde. Geh ihn aus dem Wege, wenn er dich auf mich
ansprechen sollte, denn der Narr glaubt, mich als
Dauerfreundin gemietet zu haben.«

Nelly stand am Fenster und blickte durch die Gardinen

hinaus. Seit zwei Stunden, so lange, wie ihr Besucher ihr seine
körperliche Kraft und Liebe schenkte, stand der bullige Rocky
Sullivan am ausgefahrenen Fahrweg vor Timbers Drugstore
und blickte unentwegt zum Obergeschoß des Saloons, dorthin,
wo Nellys Amüsierzimmer lag.

Wyatt Earp schlüpfte in die Hose und betrachtete Nellys

beachtliche Flanke, die ihm selbst jetzt noch begehrenswert
erschien, wo sein heißes Blut sich abkühlte.

»Ich will es mir merken, mein Schatz«, lachte Earp und

schlang den breiten Gurt um die Hüften. Sein Revolver hing
tief auf dem rechten Schenkel der gegerbten Hirschlederhose,
so wie ein Mann seine Waffe trug, der damit umgehen konnte.
Noch während er den Stetson auf den Schädel setzte, zog er
eine Zehndollarnote aus der Tasche und hielt sie Nelly hin.

Nelly wandte sich um. Sie lächelte, und ihre Gedanken

durcheilten noch einmal die Augenblicke zärtlicher Berührung.

Wyatt war jung, vielleicht zweiundzwanzig, explosiver

Sprengstoff, an den sie sich noch lange erinnern würde. Sie
schob die Hand beiseite, umschlang Earps Hüfte und spitzte die
Lippen.

»Vergiß es, Cowboy, du hast mir mehr gegeben als diesen

schnöden Mammon. Küß mich und verschwinde, ehe es mir
schwerfällt, dich gehen zu lassen…«

Nun, wo das einfallende Licht ihren nackten Körper traf, sah

Earp die schroffen Falten um Mund und Augen, die ihr der
Beruf eingebracht hatte und mit Schminke nicht zu verdecken
waren. Dennoch war ihr Abschied von tiefer Zärtlichkeit.

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Als Earp zurücktrat, hielt er ihr intimstes Dessous in der

Hand und schob es lächelnd in den offenen Hemdausschnitt.
»Ich nehme es als Erinnerung mit, Honneymoon, und werde es
am Sattelhorn tragen, bis Wind, Sonne und Regen seine
leuchtenden Farben verblassen lassen.«

Mit einem Lächeln auf den Lippen, einem letzten Blick auf

das zerwühlte Linnen, verließ Earp das kleine Zimmer und
stieg, begleitet von Honeymoons Gedanken, und den
rauschenden Akkorden des Orchestrions, die Treppe zum
Saloon hinunter.

Es war ein Tag nach seinem Herzen. Da ihm die Scheinchen

in der Tasche knisterten und in der Ecke des Saloons
Spieltische standen, an denen Faro und Black Jack gespielt
wurde, ging er unbewußt in diese Richtung. Der Tag hatte ihm
Freude geschenkt. Vielleicht brachte er ihm auch ein wenig
Glück im Spiel.

Wyatt Earp war trotz seiner Jugend mit allen Lastern und

Untugenden dieser Welt vertraut.

Er kam aus Kansas und wollte irgendwohin. Das war

gleichbedeutend mit nirgendwohin. Einfach vom Wind treiben
lassen, mal da und mal dort sein Glück versuchen.

Earp war der Typ eines Glücksritters, der jede Arbeit mochte

oder auch keine. Er wich keiner Herausforderung aus und sollte
irgendwann – in einigen Jahren – einer der schillernsten
Gestalten der westlichen Hemisphäre werden. Er und seine
Brüder.

Als Earp sich am Pokertisch niederließ, wobei er den Stuhl

mit der Lehne zur Wand wählte, sah er Rocky, den kräftigen
Burschen, vor dem Nelly ihn gewarnt hatte, durch die
Pendeltür treten. Für einen Augenblick lang begegneten sich
ihre Blicke, und Earp wußte sofort, was Rocky in die Kneipe
geführt hatte.

Von nun an ließ er ihn nicht mehr aus den Augen. Er gewann

beim Spiel, bluffte seine Gegner mit der Erfahrenheit eines

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professionellen Spielers und wartete kaltblütig auf den
Moment, da der Stiernacken das Spektakel begann.

Rocky Sullivan stand mit einigen Saufkumpanen an der

Theke. Sie trugen die grobe Kleidung von Cowboys und
arbeiteten sicher auf irgendeiner Bonanza in der Mesa.

Rocky trank.
Während seine Freunde ständig auf ihn einredeten, steigerte

sich die Erregung des Mannes von Minute zu Minute. Als
Nelly schließlich im aufreizenden Kleid an der oberen
Treppenbrüstung erschien, schob Rocky sein Glas mit einem
Ruck zurück und ging schnurgerade auf die Spielertische zu.

Earp sah die muskulöse Gestalt und die mächtige Pranke, mit

der er einen der Mitspieler vom Stuhl schob.

»Der Fremde hat heute einen verdammten Glückstag«,

knurrte er heiser und knallte eine Handvoll Silberdollar auf den
Tisch. »Ich möchte sehen, ob es von Dauer ist.«

Der junge Bursche, den Rocky vom Stuhl gefeuert hatte,

rappelte sich eiligst vom Boden auf.

»Er ist nicht zu schlagen«, sagte er, ohne irgendwelchen

Ärger zu zeigen, »hinter seinem Kindergesicht verbirgt sich
eine Spielernatur.«

Da kam auch der Ärger schon von Rocky, der nach den

Karten griff, über den Tisch grinste und provozierend sagte,
daß es jeder im Saloon hören konnte: »Vielleicht hilft das
Milchgesicht seinem Glück ja ein wenig nach. Das machen
doch alle Professionellen…«

Earp hatte bei Gott kein Milchgesicht, und es war sicher eine

Anspielung auf sein Alter. Er dachte an Nellys Warnung und
sagte freundlich: »Willst du Krach oder Karten spielen,
Rocky?«

Rocky lauschte seinem Namen, den der Fremde zu kennen

schien. Sein mächtiger Daumen deutete über die Schulter. »Hat
mein Mädchen ihn dir genannt, Stranger?«

Wyatt Earp hob gelassen die Schultern. »Möchtest du mir

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eine Geschichte erzählen oder einsteigen?« fragte er und sein
Blick verlor sich in Rockys Augen, in denen ein böses Funkeln
war.

Er spürte, der Mann war gefährlich.
Den gleichen Gedanken hatte wohl auch Rocky. Er zögerte

noch einen kleinen Moment, dann schob er das Blatt über den
Tisch. »Also gib schon.«

Es war eine Art Waffenstillstand. Wyatt sah es an den

warnenden Zeichen, die Nelly an der Theke machte. Er lächelte
in Gedanken. Sie war ein nettes Ding, weit über ihre
Mädchenjahre hinaus, aber nicht so verkommen wie die Dirnen
in den Häusern auf den Trailstraßen.

Nelly hatte noch Gefühl im Leibe und herz.
Wyatt Earp blieb besonnen und war auf der Hut. Bis zu dem

Augenblick, als Rockys mächtige Faust über den Tisch zuckte
und Nellys buntes Seidenhöschen auf den Tisch flatterte.

»Dies Miststück hat es dir wohl geschenkt, Milchgesicht?

Als Erinnerung an ein paar nette Stunden? Was glaubst du
wohl, wie viele Jungs Nellys Dessous am Sattel tragen,
Falschspieler? Ich selbst…«

Weiter kam er nicht.
»Sagtest du, ich spiele falsch?« Earps Stimme klang

messerscharf, daß es plötzlich ganz still im Saloon wurde.
Selbst das Orchestrion setzte abrupt aus.

Noch ehe Rocky eine weitere provozierende Äußerung von

sich geben konnte, schnellte Earps Faust dem Mann entgegen.
Hart und trocken, von solcher Wucht zum Kinn des Mannes
geführt, daß die Anwesenden im Saloon das Knacken von
Knochen zu hören glaubten.

Rockys massiger Schädel flog zurück. Sein Körper rutschte

im Stuhl zusammen, und für einen Augenblick suchte der Hüne
Halt an der Lehne, dann kippte er rücklings mit dem Stuhl um
und stürzte zu Boden.

Earps Mitspieler hatten sich hastig erhoben. An den Tischen

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zum Ausgang flüchteten die Zecher. Earp kannte dieses
Zeichen, er wußte, der Bulle am Boden hatte seinen Revolver
in der Faust.

Zuerst hörte man einen unartikulierten dumpfen Aufschrei

überschäumender Wut.

Darum kam Rocky auf die Beine und schwang seinen alten

Texas-Patterson in Earps Richtung.

Aber der junge Mann war nicht unvorbereitet. Rockys erste

und auch einzige Kugel, die er abfeuern konnte, schlug an Earp
vorbei patschend in die Holzfassade, als Wyatt Earps
Peacemaker unter dem Tisch aufbellte und Rocky Sullivan ein
mächtiges Loch in den Leib riß.

Rocky schrie, als hätte ein Apache ihm das glühende Feuer

auf den Bauch gelegt. Seine Hände fuhren zum Leib, der
Patterson flog in irgendeine Ecke. Wie eine morsche Zeder im
Sturm wankte die mächtige Gestalt. Noch während er in die
Knie brach, sah Wyatt Nellys warnendes Zeichen, das wohl
bedeuten sollte, er möge aus dem Fenster springen. Zugleich
spürte er, daß der Ärger erst recht losging.

Rockys wilde Schreie gingen in ein röchelndes Keuchen

über. Dann war der Kerl still.

Irgend jemand beugte sich über die leblose Gestalt am Boden

und brüllte los: »Rocky ist tot, der Bastard hat ihn umgelegt!
Los, Jungs, wir hängen ihn an den Treppenpfosten.«

Wyatt erkannte, daß Nelly zum Seitenausgang gelaufen war,

wo der offene Pferdeschuppen lag. Er wußte nun, daß die
Meute sich zusammenrottete. Sie taten so, als wären sie alle
Rockys Freunde gewesen. Mit einer wilden Bewegung
schleuderte Earp den Tisch um, so daß das Geld zwischen den
Beinen der Männer über die Tanzfläche kollerte.

Er schoß zwei Warnschüsse über ihren Köpfen ab und traf

mit einer dritten Kugel einen Mann an der Schulter.

Einen Augenblick lang geriet ihr Sturmlauf ins Wanken.
Earp sprang in die freie Flanke, erreichte nach drei

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Riesenschritten das offenstehende Fenster und hechtete in den
Hof. Er schoß endgültig die Trommel leer, um die Kerle
zurückzuhalten.

Da sah er auch schon Nelly mit seiner gesattelten Fuchsstute

heraneilen, ihr Gesicht war gezeichnet von Sorge.

»Ich habe dich gewarnt«, rief sie ihm entgegen, »Rockys

Freunde federn und teeren dich und spannen deinen Körper
zwischen vier Zugochsen. Hau endlich ab, du lieber, blöder
Kerl. Du bringst dich sonst noch um Kopf und Kragen!«

Earp ergriff die Zügel, erfaßte das Sattelhorn und schwang

sich in den Sattel. »Mein Dessous«, rief er Nelly zu, »es liegt
unter dem Tisch, schick es mir nach Tombstone, damit die
Erinnerung an mein Goldkind lebendig bleibt!«

Schüsse peitschten auf, als Earp die Mainstreet erreichte. Er

sah einen Strom Menschen aus dem Saloon herauslaufen.
Einige hatten bereits ihre Pferde bestiegen, andere trugen
Revolver in den Fäusten, und alle brüllten und schrien
durcheinander.

Wyatt rutschte seitlich aus dem Sattel, hing nun mit einem

Stiefel im Lederbügel und mit der anderen Hand am Sattelhorn,
so daß er den Männern kein Ziel bot.

»Lauf, Mädchen«, rief er seiner Stute zu, »lauf, die ganze

Stadt scheint auf den Beinen zu sein!«

Earp erreichte den Ortseingang, glitt behend in den Sattel

zurück, kitzelte die Fuchsstute mit den Sporen. In gestrecktem
Galopp jagte das Tier davon.

Hinter ihm folgte wildes Geschrei und eine wüste Kanonade,

aber die Schüsse richteten nichts an, zu groß war die
Entfernung.

Unbewußt schwenkte Earp in die offenen Plains, den fernen

Bergen entgegen, die wie dunkle Schatten am Horizont
standen.

*

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Nach einem langen und anstrengenden Weg an schwindelnden
Abgründen und Felsbarrieren vorbei, nach vielen Irrwegen und
Sackgassen, die ihn fast verzweifeln ließen, erreichte John
Haggerty die Grabstätten der Apacheria und verbarg sich bis
zur völligen Dunkelheit im Labyrinth der Berghöhlen.

Nun, wo er kurz vor dem Ziel stand, schöpfte John wieder

Kraft und Mut. Vielleicht war es auch die Hoffnung, Dinge zu
erfahren, die für sie von größter Wichtigkeit sein konnten, denn
ihm war klar, nun, da Cochise über eine größere Anzahl
Waffen verfügte, würde er bald aus der Lethargie des Alltags
ausbrechen und sich zum Kampfe stellen.

Von Bedeutung war es zu erfahren, wie der Jefe sich die

Zukunft vorstellte, um gegebenenfalls seinen Angriffen nicht
unvorbereitet entgegentreten zu können.

John wartete die völlige Dunkelheit ab, ehe er vorsichtig die

Höhle verließ und den Hang hinunter in den Arroyo stieg,
immer bemüht, kein Geräusch zu verursachen.

Er sah den Schatten, der sich hoch oben vom Fels abhob, die

Silhouette einer der Wächter. Er huschte tiefgeduckt, jede
Deckung nutzend, den steinernen Pfad hinauf.

Am Ende des Weges dehnte sich der flache Talkessel bis

zum befestigten Steinwall hin. Haggerty erblickte einige offene
Feuerstellen vor den Jacales. Männer und Frauen, die sich dort
bewegten und ihrer Beschäftigung nachgingen. Aber er sah
auch den Kreis Männer um das große Feuer am Beratungsplatz.

Trotz der Dunkelheit erkannte John die kräftige, sehnige

Gestalt Cochises, und John war, als sitze an seiner Seite
Victorio, der Mimbrenjo.

Sollte es wirklich Victorio sein, dann war diese Begegnung

von Bedeutung, daran zweifelte Haggerty nicht.

Flach auf dem Bauche liegend, jedes Geräusch vermeidend,

glitt John durch die schmale Felsrinne, die zu der Buschhecke
führte, in deren Schatten das Lager lag.

Niemand schien ihn entdeckt zu haben. Immer wieder hielt er

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inne und hob lauschend den Kopf.

Als er ins wilde Gesträuch eindrang, hörte er undeutlich ihre

murmelnden Stimmen, aber es war zu weit entfernt, um
Einzelheiten erfahren zu können.

John war sich seiner Lage durchaus bewußt. Cochise würde

kein zweites Mal Großmut zeigen, denn mit seiner Freilassung
vor einer Woche hatte der Häuptling seine Schuld beglichen,
die er dem Falken für die Errettung seines Sohnes schuldete.

Zoll für Zoll den Boden abtastend und trockenes Geäst

beiseite räumend, näherte er sich dem Feuer.

Durch die Zweige erkannte er Chato und Chan-ank, den alten

Chiricahua, dessen Stimme im Rat der Häuptlinge von
Bedeutung war. Und nun sah er auch Ulzana, von dem John
wußte, wie tief verwurzelt sein Haß gegen die Weißen war.

Ulzana stellte Cochise einige Fragen, und er hörte dessen

klare Antwort.

»Wir haben genügend Gewehre, um unseren Gegnern

überlegen zu sein. Wir werden uns nicht mit Halbheiten
zufriedengeben, sondern General Einarm zeigen, daß wir zu
kämpfen verstehen. Der Rat hat einstimmig beschlossen, Fort
Buchanan anzugreifen, seine Mauern niederzureißen und die
Besatzung zu töten. Wir werden dort genügend Waffen und
Munition erbeuten, um weitere Krieger mit guten Gewehren
ausrüsten zu können. Zugleich zerstören wir die Poststation im
Apachen-Paß, ziehen dann weiter nördlich und vernichten die
Indianer-Agenturen im San Carlos Reservat. Damit tilgen wir
eine Schmach, die der Weiße Häuptling in Washington unseren
Familien angetan hat. Als nächstes Ziel wählen wir Fort
Apache. Von dem toten Händler wissen wir, daß der Posten
dort schwach besetzt ist. Wir werden unsere Jagdgründe vom
Joch fremder Truppen befreien und unser eigenes Leben in
Freiheit leben.«

John erschrak vor der Vermessenheit Cochises, die

unweigerlich den Tod einiger Hundert Menschen zur Folge

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haben mußte. Seine Aufmerksamkeit wandte sich Victorio zu,
der sich erhoben hatte und zu den Büschen herüberblickte, als
könnte er den heimlichen Lauscher erkennen.

John Haggerty machte sich klein und rührte sich nicht,

während »Old Vic« warnte: »Du vergißt die Truppen bei
Tubac, Jefe. Sie werden dem bedrohten Fort zu Hilfe eilen.«

»Tubac liegt fern«, Cochise lachte verschlagen. »Ehe ihre

Dragoner Fort Buchanan erreichen, sind wir bereits auf dem
Wege zum Reservat. Nein, Victorio, sie hinken uns immer um
Tage hinterher. Die Chiricahuas und Mimbrenjos sind längst in
den Dragoons untergetaucht, ehe die Blauröcke an ihrem Ziel
angekommen sind. Sie werden nur Tote und verbranntes
Mauerwerk vorfinden. Wir aber können in aller Ruhe den
nächsten Anschlag vorbereiten.«

John spürte, wie ihm bei Cochises Worten heiß wurde.
Er wagte kaum zu atmen und dachte, der Häuptling der

Chiricahuas war immer für den gemäßigten Weg gewesen. Die
anderen müssen ihn überstimmt haben.

»Du vergißt, daß der Falke unsere Bergfestung kennt, Jefe«,

gab Victorio zu bedenken, während er sich auf die Büsche zu
bewegte, in denen John verborgen lag. Der Redman stand nun
keine fünf Schritte entfernt, und John hielt den Atem an. Seine
Rechte tastete vorsichtig nach dem Bowie im Gurt.

Klar und deutlich sah er Old Vics Silhouette vor der runden

Scheibe des Mondes.

Aber Victorio entrichtete nur seine Bedürfnisse, ehe er arglos

ans Feuer zurückging. »Er wird die Truppen in deine
Apacheria führen, Jefe, und dann ist es aus mit den ganzen
Plänen.«

Cochise schüttelte bedächtig den Kopf. »Naiche ist auf dem

Wege, sichere Gründe für unser Volk zu suchen. Die Berge
sind einsam, ihre Schluchten gute Verstecke. Sie können
tausend Apachen vor den Augen Fremder verbergen. Wenn wir
von unserem Kriegszug zurückkehren, wird Naiche das

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gefunden haben, wonach die Apachenstämme suchen!«

Victorio setzte sich wieder. Er schien zu überlegen,

nachdenklich zog er an der Pfeife.

»Wann werden sich unsere Krieger vereinen, Jefe?« fragte er

schließlich.

»In vier Tagen am Sand Rocks«, erwiderte Cochise. »Es liegt

auf dem halben Wege nach Fort Buchanan.«

Zufriedenes Murmeln im Kreis war die Antwort.
John Haggerty plante den Rückzug. Er hatte wohl mehr und

Erschreckenderes erfahren, als er zu hoffen wagte. Zoll für Zoll
kroch er aus dem Gesträuch, lag flach in der Bodenrinne und
bewegte sich zum Arroyo hinüber.

Oben auf dem Hügel zwischen den Jacales sangen Stimmen

ein trauriges Lied. Dumpfe Trommelschläge begleiteten den
Gesang, der die Nacht erfüllte.

Noch ehe John die Grabstätten erreicht hatte, von wo aus er

den Weg zu seinem Begleiter antreten wollte, sagte oben am
Lagerfeuer Victorio: »Der Falke kriecht wie eine giftige
Peitschenspinne durch den Staub der Mountains. Ich war ihm
so nahe, daß ich ihn mit den Hacken meiner Mokassins hätte
zertreten können.«

Leider hörte der Scout die zynischen Worte nicht. Sie hätten

ihn nachdenklich gestimmt. So aber nahm das Verhängnis
seinen Lauf. Die Verschlagenheit eines Apachenhäuptlings
wies ihn in die falsche Richtung.

Im Morgengrauen erreichte Haggerty das Lager.
Critten, der einen Menschen näher kommen hörte, lag, den

Revolver im Anschlag, mißtrauisch zwischen Geröll. Erst als er
Haggertys Stimme hörte, richtete er sich auf.

»Tritt näher, John«, rief er zurück, »es ist verdammt einsam

in dieser Steinwüste. Ich glaubte schon, dich hätte der Teufel
geholt, so lange warst du fort.«

John setzte sich auf den Fels und nickte dankbar, als der

Deserteur ihm die Canteen reichte.

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»Dem Teufel bin ich begegnet, Sam. Es war eine böse

Offenbarung, das kannst du mir glauben.«

Er sprach nun sorgenvoll von den Dingen, die er oben in der

Apacheria erlauscht hatte und endete mit den Worten:
»Cochises Pläne kennen wir. Sie lassen sich nur vereiteln,
wenn ich den Kommandanten in Fort Buchanan vor dem
Überfall warne, damit er sich darauf einstellt und Widerstand
leisten kann, bis General Howard ihm Truppen zum Einsatz
sendet. Es wird ein langer Weg für mich nach Tubac, Sam. Dir
verbleibt die Aufgabe, die Apacheria im Auge zu behalten, den
Aufbruch der Rothäute zu überwachen und ihre neue
Bergfestung zu erkunden. Irgendwo in der Mesa zwischen dem
Apachen-Paß und Fort Apache werden wir wieder
aufeinanderstoßen. Fühlst du dich der Aufgabe gewachsen,
Sam?«

Sam Critten verzog sein Gesicht. Die Bergwelt war ihm

fremd und unheimlich. Er hatte einfach Angst vor der
Einsamkeit und gab das auch zu.

»Könnte ich nicht nach Tubac…?« begann er.
Doch John winkte lächelnd ab. »Du bist für die Armee ein

Deserteur, Sam. In Fort Buchanan würde Colonel Higgins dich
auslachen, wenn du ihn diese Geschichte vorträgst. Er ließe
dich in Ketten legen und nach Fort Thomas bringen. Das steht
fest. Nein, Sam, hier oben bist du sicher.«

Zwischen zweihundert oder dreihundert mordgierigen

Apachen, dachte Critten resigniert. Wo lag da die Sicherheit
für seine Person? Doch er schwieg.

Aber er sah schließlich ein, daß der Scout recht hatte.
»Beschreibe mir den Weg in ihre Festung. Ich will das Beste

daraus machen.«

Nach einer Stunde brach Haggerty auf. Er war voller Sorge

und hoffte, rechtzeitig das Hauptquartier zu erreichen, damit
General Howard seine Truppen in Bewegung setzen konnte,
um zu retten, was vielleicht noch zu retten war.

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*

Drei Tage schon waren Rocky Sullivans Kumpane auf seiner
Fährte. Zwölf Reiter auf struppigen Gäulen, zäh und klebrig
wie der Saft eines Gummibaumes, folgten sie Wyatt Earps
Spur und gönnten sich keine Ruhe.

Die Mesa hatte er bereits durchquert und ritt nun in den

Schatten der Bergschluchten der Dragoon Mountains. Einmal
waren die Verfolger ihm so nahe, daß er ihre Kugeln um die
Ohren pfeifen hörte, welche die rachsüchtigen Bushhawkers
hinter ihm her feuerten. Allerdings ohne Erfolg.

Earp war klug und verwegen. Trotz seiner Jugend war er

schon des öfteren in Situationen dieser Art geraten. Mal wegen
ein paar Weibern, mal wegen einer Prügelei. Ein andermal,
weil er ein paar Kühe hatte mitgehen lassen, die verlassen auf
irgendeiner Weide standen. Earps Leben war vielseitig in
seiner Art. Er war ein Vagabund und Satteltramp. Eine
Spielernatur und ein Revolverschwinger. Heißblütig und
leichtsinnig, ein Mann, der ohne Ziel dahintrieb und dem
lieben Gott die Zeit stahl.

Gegenwärtig saß er in der Klemme, denn in einem

unbedachten Augenblick, als seine Wachsamkeit nachließ, und
seine Gedanken sich mit Nelly, dem Tingeltangelmädchen aus
Tucson beschäftigten, schlug – aus dem nahen Dickicht
kommend – eine Kugel in den Schädel seiner Fuchsstute, und
noch im Niederstürzen wußte Earp, daß diese Kugel ihm
gegolten hatte.

Instinktiv hatte er die Stiefel aus dem weiten Lederbügel

gelöst, sein Körper spannte sich, wie eine Katze prallte er auf
den harten Fels. Earp rollte seitlich ab, als die Fuchsstute
niederbrach und der schwere Körper neben ihm aufschlug.

Die Fesseln des Braunen zuckten noch einmal, dann lag er

still. Das Tier war tot.

Sein toter Gaul bot genügend Deckung, als der hinterhältige

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Schütze im Dickicht noch einmal zu schießen begann.

Earp drängte sich nahe an das schweißnasse Fell des

Braunen. Seine Hand griff zum Scabbard, aus dem der Schaft
seiner Sharps ragte. Er spürte die Einschläge im Körper des
Pferdes und registrierte die Abschüsse.

Er hatte es mit drei Gegnern zu tun. Aber eins stand fest: Wo

diese drei Bastarde lauerten, war der Rest des Gesindels nicht
mehr fern. Er mußte auf der Hut sein.

Wyatt Earp hatte seine Sharps im Griff als drüben eine

dunkle Baßstimme rief: »Verkrieche dich nicht feige im Fell
deines Gaules, Hombre! Wirf deine Flinte weg und steh auf!
Ich hätte dir die Kugel in den Schädel pflanzen können, die
dein Gaul schlucken mußte. Aber Chuck Dyamond hat andere
Pläne mit dir!«

Wyatt Earp war eine Spielernatur. Er sah seine Chance im

Widerstand. Deshalb schob er den Karabinerlauf über das
braune Fell seiner Fuchsstute und schoß gleich zweimal in die
Richtung, aus der die Schüsse kamen.

Wüste Flüche und ein Stakkato belfernder Abschüsse waren

die Antwort.

Earp grinste in sich hinein. Wenn sie ihm schon den Garaus

machen wollten, dann würde ihn der eine oder der andere auf
den höllischen Pfad begleiten.

Er blickte traurig zu den grauen Schatten der Dragoon

Mountains hinüber. Er hatte es nicht geschafft, die schützenden
Schluchten der Berge zu erreichen.

Mitten in seine Gedanken hinein spürte Earp die kalte

Mündung eines Karabiners im Genick. Mit dem Gefühl, daß er
sich zu sehr um die drei Halunken gekümmert und die
Umgebung vergessen zu haben schien, hörte er Dyamonds
zynische Stimme.

»Bleib schön im Dreck liegen, Hombre, bis meine Freunde

da sind, sonst putze ich dein Gehirn in den Staub der Mesa.
Streck die Arme weit von dir.«

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Earp verfluchte innerlich seinen Leichtsinn. Er wußte doch,

das ein Dutzend Reiter auf seiner Spur ritt. Und ausgerechnet
die drei im Gesträuch, deren näher kommende Schritte er
vernommen hatte, mußten ihn aufs Kreuz legen.

»Gut gemacht, Ben«, lachte Dyamond und stieß einen

schrillen Pfiff aus, der die Kumpane herbeirief. Er stieß Earp
die Stiefel in die Seite und grinste, als der Gepeinigte auf den
Rücken rollte und giftig hochblickte.

»Du möchtest mir an die Kehle fahren oder mich voll Blei

pumpen.« Er grinste höhnisch. »Aber wir sind zu viele, als daß
du mit uns fertig werden könntest, Hombre.«

Earp hörte am Hufschlag heransprengende Reiter, die Bande

sammelte sich. Er kam mit dem Oberkörper hoch und stützte
sich auf die Ellbogen. »Warum verfolgt ihr mich?« fragte er
wütend.

»Sullivan war unser Freund.« Dyamond grinste verschlagen.
Earp schüttelte heftig den Kopf. »Das ist nicht der einzige

Grund, Mann. Sullivan ist dir im Prinzip völlig gleichgültig.
Was also willst du?«

Dyamond runzelte die Stirn. »Du hast einen klaren Blick,

Junge. Sullivans Tod interessiert mich in der Tat nur wenig.
Aber er schuldete mir noch tausend Dollar, die er nun durch
deine Schuld nicht mehr begleichen kann. Du wirst verstehen,
daß ich mich irgendwie schadlos halten muß«, während
Dyamond sprach, beugte er sich nieder und durchsuchte Earps
Taschen. Nach einer Weile richtete er sich enttäuscht auf.

»Zweihundert Dollar, Stranger. Das ist nicht viel. Ich werde

dich wohl hängen müssen, mein Freund, um wenigstens für
meine achthundert Dollar ein wenig Vergnügen zu haben.«

Ein Fußtritt traf brutal Earps Flanke. »Steh auf, Jungchen.

Wir lagern drüben bei den Korkeichen.«

Während er sein Pferd bestieg, das seine Kumpane

heranführten, fiel die grobe Lassoschlinge um Earps Hals. Ben
Swatter schlang gelassen das Seilende ums Sattelhorn und

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wandte sein Pferd. Earp war gezwungen, im Laufschritt zu
folgen.

*

Die Schüsse hatten John Haggerty angelockt.

Er lag versteckt zwischen Mesquitesträuchern und erlebte,

wie die Fremden, die reichlich in der Überzahl waren, den
schlaksigen jungen Burschen überwältigten und zum Hang
hinauf schleppten.

Wieselflink, mit lautlosen Schritten, folgte John den

Fremden, die schließlich einen versteckten Lagerplatz fanden
und ihre Pferde abschirrten. Ihren Gefangenen hängten sie mit
den Füßen nach oben an den ausladenden Ast einer Korkeiche.

Diese brutale Handlungsweise zeigte John, von welcher Art

Menschen die Fremden waren. Trotz seiner Zeitnot war er
entschlossen, dem armen Burschen zu helfen.

Eiskalt suchte der Scout seine Chance. Er kroch näher an das

Lagerfeuer heran und hörte ihre zotigen Sprüche. Zwölf
Männer zählte John. Sie schienen von sich selbst überzeugt.

Zumindest aber fühlten sie sich ziemlich sicher, denn sie

hatten nicht einmal eine Wache aufgestellt.

Das wäre ein Fressen für Chiricahuas, dachte John grimmig,

während er lautlos ins Dickicht zurückkroch.

Außerhalb des Gesträuchs schlug John einen Bogen um ihr

Lager und näherte sich den Pferden, die, unruhig mit den
Hufen schlagend, in der Seilbespannung standen. Sein Plan war
längst gefaßt. Aber er brauchte noch die Stunde bis zum
Einbruch der Dämmerung, wenn er Erfolg haben wollte.

John kroch zwischen Wacholderstauden und behielt den

Lagerplatz im Auge.

Langsam wuchsen die Bergschatten in die Talsenken. Ohne

Übergang zerfloß der Tag und ging über ins trübe Licht der
Dämmerung.

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John erhob sich. Er hörte ihr schmutziges Lachen, als er die

Verknotung des Seilkorrals löste. Als seine Vorbereitungen
beendet waren, stieß er einige schrille Schreie aus, die er von
räuberischen Apachen kannte, die nun die Pferde nervös
machten, so daß sie in nördlicher Richtung ausbrachen.

Johns wildes Geschrei brachte die Bande auf die Beine.
»Apachen!« schrie jemand. »Die Bastarde klauen unsere

Gäule«, heulte seine wütende Stimme, und John hatte gerade
noch Zeit, sich unbemerkt ins Gesträuch zu werfen, als eine
Horde Gauner an ihm vorbei über den Hügel stürmte, wohin
ihre Pferde flohen.

John erhob sich lächelnd und eilte dem Lager entgegen. Das

Lagerfeuer flackerte gedämpft, wie ein Pendel schwankte die
hängende Gestalt im sanften Abendwind, der aus der Mesa
kam.

Im letzten Augenblick erkannte John den vierschrötigen

Burschen, der den Fremden überwältigt hatte und sich nicht an
der Hetzjagd nach den Pferden beteiligte.

Dyamond saß am Feuer, als John das Lager betrat. Seine

Rechte fuhr wieselflink zur Hüfte, wo sein Vierundvierziger
steckte, aber John Haggerty hielt Dyamond kompromißlos den
Flintenlauf unter die Nase und deutete auf den Hängenden.

»Mach ihn los, Feth. Ich halte nicht viel vom Hängen. Schon

gar nicht auf diese gemeine Art.«

Dyamond kniff ein Auge zu. Er erkannte den Mann, dem er

schon einige Male in Tucson begegnet war.

»Dann verdanken wir wohl dir dieses Indianertamtam,

Haggerty? Ich hab' mir doch gleich gedacht, daß was faul an
der Sache ist. Hier gibt's keine Apachen mehr. Die haben sich
tief in den Bergen verkrochen.«

»Du irrst, Feth.« erwiderte der Scout gelassen, »sie sind dir

näher, als du glaubst. Binde ihn los, ich sage es nicht noch
einmal. Los, mach schon.«

In der Ferne klangen Schüsse auf. John grinste Dyamond

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entgegen, der mit dem Messer zur Korkeiche trat und den
Strick durchtrennte, auch wenn es ihm schwerfiel, aber er hatte
keine Wahl.

»Deine Leute werden mit dem Geballer wenig Erfolg haben,

Feth. Sie werden höchstens ein paar Chiricahua-Späher auf
euch aufmerksam machen. Stell den jungen Mann auf die
Beine.«

John sah, daß der Fremde dagegen ankämpfte, in Ohnmacht

zu fallen. Die ungewohnte Hängeparty hatte seinen Schädel mit
Blut gefüllt. Dyamond mußte Earp eine Weile stützen, ehe er
wieder einigermaßen zurechtkam und nun grimmig seinem
Befreier entgegengrinste.

»Ich weiß nicht, wer Sie sind, Mister. Ich verdanke Ihnen

trotzdem mein Leben«, sagte Wyatt Earp und versuchte ein
Lächeln. »Ich werd's Ihnen nicht vergessen.«

»Das ist ein verdammter Armeescout und Indianerfreund«,

fluchte Dyamond zornig. »Er macht mit den Chiricahuas und
den Mimbrenjo Apachen gemeinsame Sache.«

»Stimmt das, Mister?« fragte Earp interessiert. Als John

lächelnd den Kopf schüttelte, wandte Earp sich an Dyamond.

»Ich stehe in seiner Schuld, Dyamond. Warum beleidigst du

meinen Retter?« Dann hob Wyatt die Hand, und noch ehe
Dyamond antworten konnte, krachte ihm eine mächtige Faust
gegen den Schädel, so daß er taumelnd zu Boden ging.

Earp beugte sich über den Bewußtlosen, durchsuchte dessen

Taschen und hielt dann am Lagerplatz nach seinem Coltgürtel
und der Sharps Ausschau. Als er sich aufrichtete, blickte er
John ohne Erregung in die Augen, und John spürte, daß der
junge Bursche verdammt gute Nerven hatte.

»Wir sollten das Weite suchen, ehe die Drifter zurückkehren,

Mister. Nicht, daß ich mich vor ihnen fürchte«, Earp ließ
gekonnt den Colt über den Zeigefinger routieren, »aber zehn
gegen zwei ist ein verdammt schlechtes Verhältnis. Ich hoffe,
Sie haben im Hintergrund ein paar schnelle Gäule bereit.«

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Der Sprecher schielte zu seinem Sattel.
John bemerkte den Blick. »Den können Sie vergessen«,

erwiderte er sarkastisch. »Ich habe einen Gaul. Der muß uns
beide bis zur nächsten Ansiedlung tragen. Kommen Sie,
Mister.« John verschwand in der Dunkelheit, und Wyatt Earp
hatte Mühe, ihn zu folgen.

Dreihundert Yard weiter trafen sie sich. John Haggerty saß

bereits auf dem Rücken seines Wallachs und reichte seinem
Begleiter auffordernd die Hand. »Steigen Sie hinter mir auf,
Mister. Im Morgengrauen werden wir Steegers Farm
erreichen.«

Earp sprang federnd vom Boden ab, suchte festen Halt und

schob die Arme um die Taille seines Retters.

»Übrigens, ich heiße Earp. Freunde nennen mich Wyatt.

Wollen Sie nach Tombstone?« fragte er.

John lächelte in Gedanken, während er das Pferd in Trab

setzte. Dieses kleine Abenteuer hatte ihn einige Zeit gekostet.
Und die war knapp. Cochise würde nicht tatenlos die Zeit
verstreichen lassen, sondern seine Kriegsvorbereitungen
treffen. John kannte den Jefe als schnell entschlossenen Mann.

»Mein Weg führt nach Tubac, Wyatt. Auf der direkten

Route. Wenn Sie wollen, begleiten Sie mich dorthin.«

Earp dachte an Tombstone, dieses aufstrebende Settlement

im Südwest-Territorium.

»Sie sind Armeescout?« fragte er vorsichtig.
»Ja.«
»John Haggerty?« fragte er weiter. Als John schwieg, nickte

der andere. »Ich habe schon einiges von Ihnen gehört. Die
Apachen nennen Sie Falke. Cochise soll Ihr Freund sein.«

»Das liegt lange zurück«, erwiderte John, während er über

die Schulter blickte. Der Mond war aufgegangen, und John
konnte die klaren Gesichtszüge des jungen Burschen erkennen,
der ihm gerade in die Augen sah.

»Suchen Sie einen Job?«

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»Als Armeescout?« Earp lächelte ironisch.
Er war ein freier Mann in einem freien Land. Er lebte vom

Kartenspiel und, wenn es mal schlechtging, von gestohlenen
Pferden. In Silver Bell hatte der Town Marshal ihm einen
Posten als Deputy angeboten, obwohl er wußte, daß gewisse
Leute auf der Suche nach ihm waren. »Die Armee nimmt wohl
jeden, was?«

»Nicht jeden«, erwiderte Haggerty, »aber Männer, die

kaltblütig einer Gefahr ins Auge sehen, die einen schnellen
Colt führen und körperlich fit sind.«

»Intelligenz ist wohl nicht gefragt?« spottete Wyatt.
»Sie steht an zweiter Stelle. Instinkt ist wichtiger«, sagte

John lachend.

»Und mein Instinkt sagt, laß die Finger von der Armee,

Wyatt. Diese Leute sind zu konservativ. Das ist nichts für
mich. Trotzdem danke ich für Ihr Angebot.«

John schwieg. Er spürte, daß der Bursche frei sein wollte.

Vielleicht war er auch ein Ganove wie Dyamond. Woher sollte
er das wissen? Ein offenes, sympathisches Gesicht besagte
noch gar nichts.

Von Zeit zu Zeit stiegen sie vom Pferd, um die Kräfte des

Tieres zu schonen.

Bis zum Morgengrauen hatten sie noch nichts von ihren

Verfolgern bemerkt.

John, darauf angesprochen, meinte: »So wie sie es anfangen,

werden sie einen Tag brauchen, um die Pferde einzufangen.«

»Warum haben Sie sich in die Sache eingemischt, John?«

wollte Wyatt Earp wissen.

Sie ritten über einen Hügel. Im sanften Tal lagen

Morgennebel. Aber John erkannte die flachen Bauten von
Steegers Farm.

Als er den Praint in Bewegung setzte, meinte er gelassen:

»Ich habe was gegen Selbstjustiz, besonders aber gegen das
Hängen. Deshalb habe ich mich eingemischt.«

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Sie kamen näher, erreichten die niedergetrampelten Zäune.

Auf den ersten Blick erkannte John, daß Steegers Farm
verlassen war. Nicht mal eine Henne hatte der Alte
zurückgelassen.

»Hier sieht es trostlos aus, John.« Earp rutschte vom Rücken

des Pferdes und vertrat sich die Füße. »Der Farmer hat wohl
aufgegeben und sich aus dem Staub gemacht.«

»Es werden bald noch mehr ihre Existenz aufgeben, Wyatt«,

erwiderte John ernst. Er lenkte den Gaul zur Hütte hinüber, ehe
Earp etwas dazu bemerken konnte, und stieg ab.

Die ersten Sonnenstrahlen fielen ins Tal. Als John die Hütte

betrat, erkannte er, das Steeger seine Farm für immer verlassen
hatte. Selbst das Mobiliar hatte er mitgenommen.

Wyatt, der ihm in die Hütte gefolgt war, fragte nun

neugierig: »Warum geben die Farmer ihre Scholle auf? Man
erzählt, daß sie mit ihrem Land stark verwurzelt seien.«

John wandte sich um. Er lächelte sarkastisch. »Die Farmer

lieben ihr Land. Aber sie lieben es nicht so stark, daß sie darauf
begraben liegen möchten.«

Earp lauschte der Stimme des Sprechers, in der eine gewisse

Unruhe schwang. »Wird es bald Ärger geben?«

»Ja«, gab John unumwunden zu.
»Cochise rüstet zum Aufstand. Deshalb muß ich so schnell

wie möglich zum Hauptquartier.« Er trat durch die Tür ins
Freie und schwang sich in den Sattel.

»Hier trennen sich unsere Wege, Wyatt. Nach Tombstone

sind es noch fünfzehn Meilen. Die werden Sie bestimmte
schaffen, auch ohne Gaul.«

Fünfzehn Meilen, dachte Wyatt Earp und stellte sich vor,

welch unermeßliche Strecke dies für einen Mann war, der sein
Leben im Sattel verbracht hatte und kaum weiter als eine Meile
gelaufen war. Seine guten Vorsätze gerieten ins Wanken, und
plötzlich hielt er den Colt in der Faust.

»Sie sollten den kleinen Umweg in Kauf nehmen, John«,

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meinte er lächelnd, »fünfzehn Meilen sind kein Pappenstiel für
einen Cowboy.«

John runzelte die Brauen. »Ich denke, Sie sind ein Spieler?«
»Der braucht auch sein Pferd, um sich vorwärts zu bewegen.

Also schließen wir einen Kompromiß. Es wäre mir peinlich,
meinen Retter gewaltsam überzeugen zu müssen.«

»All right«, unterbrach John, »steigen Sie schon auf.«
Earp schob grinsend den Colt ins Holster zurück und trat

einen Schritt näher. Als er federnd zum Sprung ansetzte, hieb
John seinem Gaul die Sporen in die Flanken. Earps Körper
stieß ins Leere. Krachend stürzte er zu Boden.

Als Wyatt sich wütend aufrappelte, hatte Haggerty bereits

die niedergetrampelten Zäune erreicht und schwenkte lachend
den Stetson in der Faust.

»Viel Vergnügen, Wyatt«, rief er spöttisch und lockerte die

Zügel. »Viel Spaß bei deinem Fußmarsch!«

»Verdammter Bastard«, brüllte Earp mit sich

überschlagender Stimme und riß seinen schweren Colt hoch.
Aber er senkte dann doch die Waffe und begann breit zu
grinsen.

Man lernt nie aus, dachte er dabei, dieser Scout ist gerissen

wie ein Schakal. Ich will es mir merken.

Dabei blickte er nach Norden. Irgendwo draußen in den

Plains ritten zwölf Strauchdiebe und Satteltramps, die ihm ans
Leder wollten. Er mußte auf der Hut sein.

*

Sam Critten spürte den kalten Nachtfrost in den Knochen. Drei
Tage und Nächte, die kurzen Augenblicke, da der Schlaf ihn
übermannt hatte, vergessend, lag er oberhalb der Bergfestung
unter der überhängenden Plattform und beobachtete das
Treiben in Cochises Dorf. Er spürte an der hektischen.
Aktivität im Dorf, daß Cochise zum Aufbruch rüstete.

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Kleinere Gruppen waren zum Hauptlager gestoßen und

verteilten sich in den Jacales, nahe dem Grenzwall. Am letzten
Abend vor Einbruch der Dunkelheit zählte der stille
Beobachter achtzig Krieger, die der Jefe zusammengerufen und
in Jagdgruppen eingeteilt und mit Karabinern versorgt hatte.

Das sichere Zeichen eines nahen Aufbruches.
Die Nacht war erfüllt von fremden Geräuschen. Am

lodernden Feuer bewegten sich halbnackte Gestalten, die –
beim dumpfen Klang der Baumtrommeln in rhythmischen
Bewegungen tanzend – die Feuerstätte umsprangen, oder,
begleitet von klatschenden Schlägen ihrer Hände, durch die
Flammenwand sprangen.

Critten ahnte, daß diese Handlung der Abschluß aller

Vorbereitungen war und der Kriegstanz den Göttern geweiht
war, bei denen sich die Krieger ihre Kraft und den Mut zum
Kampf gegen den weißen Feind holten. Eine lautstarke
Zeremonie. Das Edikt eines alten Glaubens.

Die dumpfen Trommelwirbel nahmen an Gewalt zu, daß man

glauben konnte, die Felsen bebten unter der Wucht der
Schläge, und dann brandete der gewaltige Ruf ihrer Kehlen wie
ein Echo über die Bergkuppen der Dragoon Mountains hinweg:

»Zastee…, zastee…«
Sam Crittens Körper löste sich vom Felsband. Lautlos

rutschte er durch die abfallende Rinne in den Arroyo, der zur
Schlucht der Toten führte, und hastete die schmale Schlucht
entlang, die zum eigentlichen Lager führte.

Für ihn war es klar, er mußte die hochliegende Region der

Dragoons verlassen haben und die Kaps erreicht, ehe Cochise
seine Kriegsmacht über die Bergserpentine talwärts führte.

Er würde ihm am Fuße des Massivs auflauern und sein

weiteres Vordringen beobachten. Es erschien Critten wichtiger,
Cochises Schritte zu kennen, als auf den Abbruch der
Bergfestung zu warten, denn diesbezüglich tat sich nichts in
der Apacheria. Und Critten schien es, als habe Cochise nicht

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vor, sein schützendes Domizil zu verlegen.

Sein Pferd begrüßte ihn mit freudigem Wiehern. Er sattelte

den Praint, packte die wenige Habe zusammen und schwang
sich in den Sattel.

Die Zeit lief ihm davon, denn der Weg, der vor ihm lag, war

weit länger als die Strecke, die aus der Apacheria in die Plains
führte. Er mußte sich beeilen.

Obwohl Critten in den letzten Tagen nur wenig Schlaf gehabt

hatte, fühlte er sich fit. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt und
verdrängte jegliches Verlangen nach Ruhe.

Im Morgengrauen bewegte er sich in der breiten Schlucht,

die, nach Süden führend, in den Paß mündete, der in vielen
Windungen zu Tale führte.

Nur selten gönnte er seinem Pferd eine kurze Rastpause und

begnügte sich damit, dem treuen Gefährten mit einigen
Wassertropfen Stärkung zu geben.

Am Abend lagerte er zwischen Krüppeleichen und wartete

den Übergang vom Tag zur Nacht ab, bis Mondlicht die
einsame, zerklüftete Bergwelt erhellte und ihm das weitere
Vordringen gefahrlos gestattete.

Der Bergpaß wurde spürbar flacher. Ein Zeichen, daß Critten

in seinen Ausläufern ritt. Im Morgengrauen zogen Frühnebel
auf, aber Critten erkannte den breiten Talkessel wieder, wo er
und der Scout vor einer Woche den Aufstieg begonnen hatten.

Sam war zufrieden, denn nun, da ihm die Umgebung vertraut

erschien, schwanden endlich seine Zweifel, daß er sich in
dieser verdammten Bergwelt verirrt haben könnte.

Pinien und der wilde Mescalwuchs an den Seitenhängen der

Schlucht wiesen ihm den Weg zu der kleinen versteckten
Wasserquelle, auf die Haggerty ihn einmal aufmerksam
gemacht hatte.

Zugleich aber, während er sein Ziel suchte, hörte er fernes

Getrappel von Pferdehufen, dessen Stärke darauf schließen
ließ, daß auch Cochises Streitmacht den Fuß der Berge erreicht

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hatte.

Sam Critten stieg aus dem Sattel und führte sein Pferd in

einen Felsspalt. Er selbst folgte, das schützende Dickicht als
Deckung nutzend, den verräterischen Geräuschen. Und als sie
endlich verstummten, wußte Sam Critten, daß Cochise an der
Felsquelle lagerte!

Noch deckten ihn die Nebel, die allmählich unter der Kraft

der aufsteigenden Sonne zerflatterten und den Blick in den
engen Talkessel freigaben.

Aus sicherer Entfernung, versteckt inmitten einer gewaltigen

Steinmoräne, sah Sam die Krieger, welche an der Quelle ihre
Wasservorräte ergänzten, und er erschrak vor dem mächtigen
Heer, das Cochise um sich versammelt hatte.

Irgendwann in der Nacht mußte eine Mimbrenjo-Gruppe zu

den Chiricahuas gestoßen sein, denn Sam glaubte, an Cochises
Seite Victorio zu erkennen.

Sam zählte weit über hundert Krieger und wußte, wenn diese

zu allem entschlossenen Teufel Fort Buchanan angriffen,
würde es zu einem tödlichen Gemetzel kommen.

Nur einen Augenblick lang dachte er an John Haggerty, der

auf dem Wege nach Tubac war, um dem kommandierenden
General von Cochises Angriffsplänen zu berichten.

Howards Infanterie und Dragoner würden um Tage zu spät

kommen, um Fort Buchanan zu schützen.

Cochise formierte seine Jagdtruppe. Die Körper der Krieger

glänzten bronzen im aufsteigenden Sonnenlicht, in ihren
Haaren glitzerten bunte Amulette.

Ihre Waffen, Karabiner, Lanzen, Keulen funkelten im

Widerspiel der Sonne.

Cochise und Victorio führten wohl nur ihre mutigsten

Krieger zum Angriff, Kämpfer, die sich in früheren Schlachten
bereits bewährt hatten.

Sam wartete, bis die Horde abgezogen war, dann eilte er zum

Versteck seines Pferdes und führte es vorsichtig zur Quelle,

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immer darauf bedacht, auf eine Rothaut zu treffen.

Aber Cochise glaubte wohl kaum, daß ihm jemand in der

Einöde folgen könnte, denn er ließ keine Nachhut zurück.

Critten versorgte sich mit Wasser aus der Quelle, ließ seinen

Gaul sich satt saufen und schwang sich dann in den Sattel. Die
breite Spur der Apachen-Krieger war deutlich sichtbar. Es war
nicht schwer, ihr zu folgen.

Doch seltsam, als die Fährte in die offenen Plains führte,

erkannte Sam, daß sie nicht, wie erwartet, nach Nordosten
verlief, wo nach zehn Meilen der Apachen-Paß begann,
sondern schnurgerade nach Süden, mitten in die Plains hinein.

Dort lag nicht Fort Buchanan, sondern offenes Land, in dem

Siedler und Farmer lebten, und ein ungeheurer Verdacht stieg
in dem erfahrenen Soldaten auf.

Cochise hatte zu einer Kriegslist gegriffen und John

Haggerty auf die falsche Fährte gesetzt. Er und seine Apachen
zogen nicht gegen den Militärposten, ihr Krieg richtete sich
gegen wehrlose Siedler in den Plains.

Tausend wirre Gedanken durchliefen in Blitzesschnelle sein

Hirn. Doch einer brannte sich in seinem Schädel fest: Cochise
mußte von Haggertys Besuch in seinem Lager gewußt haben.
Wie sonst konnte es ihm gelingen, John Haggerty in die Irre zu
führen!?

Ihm wurde kochend heiß bei dem Gedanken, daß sie

vielleicht auch ihn auf seinem einsamen Wachposten
beobachtet hatten. Er wurde nun sehr vorsichtig.

Fast den ganzen Tag führte der Weg durch unübersichtliches

Hügelgelände. Distelgesträuch, Chollasstauden und Agaven
säumten den Pfad. Sam Critten wußte von vielen Patroullien,
die er von Fort Thomas nach Norden begleitet hatte, daß
irgendwo dort draußen in den schützenden Tälern Farmer
lebten, die Ackerbau und Viehzucht betrieben und den kargen
Boden bestellten. Dorthin führte Cochise seine Krieger.

Mitten in den Gedanken hinein sah er sie plötzlich vor sich.

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Drei, vier halbnackte Gestalten, nur mit dem Lendenschurz und
hohen Mokassinstiefel bekleidet, trieben ihre struppigen Ponys
aus der Bodensenke. Sie feuerten im wilden Galopp ihre
Karabiner ab und schwangen nun Lanzen und Keulen.

Cochises Nachhut…
Noch während Sam Critten zu seinem Armeecolt griff und

kaltblütig dem markigen, an die Nieren gehenden Geschrei
lauschte, trug das Echo ihm den vielfachen Hall von Schüssen
entgegen.

Sam Critten blieb keine Zeit zum Nachdenken. Die ersten

beiden Gegner waren auf zwanzig Schritte heran. Wie auf dem
Übungsplatz faßte er den schweren Whiteneyville-Walker
zwischen beide Fäuste, visierte kurz und drückte ab.

Wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, flog die

angreifende Rothaut seitlich vom Pferd in den trockenen Staub
der Mesa. Critten hatte ganze Arbeit geleistet. Ein gellender
Schrei erfüllte die Luft.

Sam reagierte instinktiv. Er schwenkte den Lauf und drückte

ab. Er sah das klaffende Loch, das sein Armeerevolver in die
nackte Brust des Kriegers geschlagen hatte, und die zum
Schlag erhobene Keule, die nun kraftlos aus der Hand des
Getroffenen fiel.

Der Chiricahua schwankte im Sattel, rutschte zur Seite über

die bunte Navajodecke. Sein Fuß verfing sich in den
Bastschlaufen seiner Fußbügel. Der Bronco jagte in wildem
Tempo an Critten vorbei, den Toten wie eine Puppe inter sich
her schleifend.

Sam nahm automatisch alles wahr.
Unbewußt beugte er sich aus dem Sattel zur Seite, als der

dritte Reiter auf Armlänge heran war und seine Keule
niederfahren ließ.

Sam spürte den wilden Schmerz, der ihn zu lähmen schien,

als die Keule an seiner Hüfte entlangfuhr und den
Patronenköcher am Gurt zerschmetterte. Im nächsten

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Augenblick war der Reiter auch schon vorbei.

Dafür tauchte nun die vierte Rothaut neben Critten auf. Die

blitzende Lanze wurde niedergestoßen traf den Rippenbogen
und hinterließ eine klaffende Wunde. Trotz der furchtbaren
Schmerzen gelang es Critten, durch eine Drehbewegung dem
Angreifer die Waffe zu entreißen, und für einen Moment sah
der Kämpfer den wilden Mordblick des Chiricahuas. Da schoß
er aus nächster Nähe eine Kugel mitten in die haßlodernde
Fratze.

Trommelnder Hufschlag erinnerte Sam an den letzten

Angreifer, dessen Keule er mit knapper Not hatte ausweichen
können. Den Schmerz verbeißend, warf Sam sein Pferd herum
und jagte drei Kugeln aus dem Lauf, ohne daß eine davon ihr
Ziel erreichte, denn der Angreifer hing auf der ihm
abgewandten Seite am Pferd und schwang sich nun, als die
schwere Waffe leergeschossen war, behende hoch.

Sam schleuderte ihm den nutzlos gewordenen Revolver

entgegen, griff nach dem Scabbard, in dem sein Karabiner
steckte. Er riß die Langwaffe über den Kopf, als die Keule auf
ihn niederfuhr. Der dumpfe Aufprall der Schlagwaffe klang
wie der schrille Diskant einer gesprungene Glocke.

Der vorbeipreschende Reiter riß sein Pony herum, das nun

tänzelnd um die eigene Achse routierte und zu einem neuen
Angriff angespornt wurde.

Es war ein Kampf ohne Erbarmen, wild und leidenschaftlich,

erfüllt von dem Gedanken zu töten, denn nur einer durfte
überleben, nur einer konnte Sieger sein.

»Zastee«, schrie der Chiricahua, seine Keule schwingend und

das Gesicht verzerrt.

»Verdammter Bastard«, fluchte der Soldat, und da ihm die

Zeit fehlte, die Waffe durchzuladen, erfaßte er seine
Springfield an der Mündung und schmetterte die Waffe
wuchtig dem Angreifer entgegen.

Des Apachen Kriegsgeschrei verstummte. Dafür hörte Sam

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deutlich das Geräusch, als der Karabinerkolben auf den
Schädel der Rothaut niedersauste. Die Wucht riß den Apachen
aus dem Sattel und schleuderte ihn gegen den Fels, wo er mit
verrenkten Gliedern zusammensackte.

Nun, da die Gefahr erst mal gebannt war, spürte Sam den

Schmerz um so heftiger. Als seine Linke über den
Rippenbogen fuhr, fühlte er das warme Blut, das an seinem
Körper abwärts in den Stiefel lief.

Wütend riß Sam Critten das Hemd auf, bis er die klaffende

Wunde sah, die von einer Lanzenspitze in sein Fell geritzt
worden war. Nicht lebensgefährlich, das erkannte Sam auf den
ersten Blick, dennoch behandlungsbedürftig. Zunächst aber
mußte er versuchen, das Blut zu stillen. Gelang ihm das nicht,
sah es übel für ihn aus.

Während Sam nun sein Hemd vollends in Fetzen riß und

einen Preßverband um den Brustkorb legte, erinnerten ihn
vereinzelte Schüsse daran, daß irgendwo draußen in den Plains
ein paar arme Teufel ihre Haut verteidigten.

Sie würden dem Angriff der Apachen nicht lange

widerstehen können, daran zweifelte Sam nicht.

Fast giftig ruhte Crittens Blick auf den toten roten Teufeln,

die, von seiner Hand zerschmettert, im braunen Sand der Mesa
lagen und keinen Schaden mehr anrichten konnten.

Der ferne Gefechtslärm war längst verklungen, als Critten

sich mühsam durch die Hügel schleppte. Sein Körper brannte,
und mehr als einmal war er versucht, sich einfach aus dem
Sattel fallen zu lassen, im Sand auszustrecken, der glühenden
Sonne entgegenzustarren und auf die Erlösung zu warten.

Aber dann sah Sam wieder die dunkle Rauchwolke am

südlichen Himmel, das Brandzeichen Cochises, dem er folgte,
und er spürte neue Energie. Vielleicht konnte er doch noch
helfen, vielleicht doch noch ein Leben retten.

Aber diese Hoffnung schwand, als er sich dem schwelenden

Trümmerhaufen in der Senke näherte, umgeben von

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blühendem Salbei und duftenden Mesquitesträuchern.

Schon auf die Entfernung erkannte er die beiden reglosen

Gestalten am Ziehbrunnen, denen Skalpiermesser die Kopfhaut
vom Schädel getrennt hatten. Zwei weitere Männer, von
gefiederten Pfeilen durchbohrt, standen aufrecht an den Zaun
gespießt. Ihre Qual, ihr Entsetzen hatte sich unlöschbar in ihre
toten Gesichter eingegraben.

Ihr Anblick ließ Sam Critten den eigenen Schmerz

vergessen. Die Zäune waren niedergetrampelt, die
Gemüsebeete von Pferdehufen umgepflügt. Die einstmals
blühenden Maisfelder, die sich über die Hügel zogen, bildeten
eine schwarze, verbrannte, völlig verkohlte Fläche.

Cochise hatte gründlich gearbeitet.
Sam stieg mühsam vom Pferd, die Schmerzen setzten ihm

kräftig zu. Er trug den verwaschenen Callico eines der von ihm
getöteten Apachen, und er sah an der roten Färbung im
Waschleder, daß seine Wunde noch immer heftig blutete.

Er brauchte einen Doc. Das hieß, daß er eine Stadt betreten

mußte. Das war gefährlich. Seine Gedanken beschäftigten sich
mit seiner eigenen Lage. Er war noch immer ein Deserteur,
obwohl er offiziell für die Armee arbeitete. Aber das wußte nur
John Haggerty und vielleicht inzwischen auch General
Howard.

Zum Teufel, es war eine verzwickte Situation, in der er sich

befand.

Sam beugte sich nieder und untersuchte die Spuren. Sie

führten in südwestlicher Richtung über die Hügel. Irgendwo
dort unten lag Fort Thomas. Oder auch Tombstone, Huachuca,
Sierra Viesta.

Eine dieser wilden Städte würde er wohl betreten müssen, er

hatte leider keine andere Wahl.

In seine Gedanken hinein fiel ein einzelner Schuß. Sam hörte

das helle Summen des Geschosses, als es an seinem Schädel
vorbeisauste, und instinktiv warf er sich am Brunnen nieder. Er

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lag nun ganz nahe bei den skalpierten Leichen und konnte
erkennen, daß einer der Toten eine Frau war. Wohl das
Ehepaar, das diese Farm bewirtschaftet hatte.

Sam riß seinen Colt aus dem Holster. Eine Whiteneyville-

Walker, die zur Standardausrüstung der Kavalleristen gehörte.
Ein mächtiges Ding, eine Handkanone für sechs Personen, die
ihm ans Herz gewachsen war wie ein alter guter Freund, dem
man vertrauen konnte.

Critten sah den blaßblauen Rauchkringel über dem

aufgestapelten Holz. Ihm war, als sähe er dort eine Bewegung.
Die Vierundvierziger hämmerte einmal. Holzsplitter flogen
durch die Gegend, eine helle Stimme stieß fürchterliche Flüche
aus, die Sam erkennen ließen, daß er es nicht etwa mit
rothäutigen Bastarden, sondern mit einer Frau zu tun hatte.
Vermutlich die einzige überlebende Person auf dem Siedlerhof.

»He, Miß«, schrie er im nächsten Augenblick wütend, »der

Teufel mag Sie holen, wenn Sie noch einmal auf einen
erwachsenen Menschen schießen.«

»Auch Apachen sind erwachsen«, schrie die Mädchenstimme

zornig zurück, »und ich habe erlebt, wie grausam diese Bestien
sein können. Wer sind Sie, Mister, daß Sie zu einem Zeitpunkt
auf unserem Hof auftauchen, wo alle Hilfe zu spät kommt?«

»Ich bin Soldat der dritten Armee, Miß, in Fort Thomas

stationiert«, rief Critten.

»In Fort Thomas«, vorsichtig lugte ein blondgelockter

Frauenkopf über den Holzstapel. »Wo sind Ihre Soldaten
gewesen, Mister, als Apachen meine Eltern umbrachten?
Wohin verkriechen sie sich, wenn diese Teufel auftauchen?
Geben Sie mir eine Antwort darauf, Mister!«

»Sie kämpfen wie Männer, wenn es nötig ist«, rief Sam

hitzig, »und ich habe manchen als Helden sterben sehen. Ein
Jahr lang war es ruhig im Lande. Zum Teufel, und nun schürt
Cochise den Aufruhr…« Sam Critten spürte eine plötzlich
aufkommende Schwäche. Sein Arm wurde kraftlos, die Hand

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konnte die Waffe nicht mehr halten. Die lange Mündung kippte
vornüber in den Sand. Die Sonne tanzte vor seinen Augen, und
aus weiter Ferne hörte er die Frauenstimme.

»He, Mister Soldat, warum reden Sie nicht mehr weiter?«

rief die helle Stimme.

Dunkle Nebelschwaden wechselten mit glühenden

Rauchwolken. Sein Blut rauschte im Schädel mit der Stärke
eines Wasserfalles. Sam spürte zwei Arme, und ihm schien, als
berühre ihn ein Engel. Weit, weit entfernt hörte er eine
erschreckte Stimme: »Mein Gott, Mister Soldat. Sie sind ja
schwer verletzt. Ich werde Sie nach Fort Thomas bringen. Dort
können Ihnen Ihre Freunde helfen.«

Noch immer schien Sam in den Armen des Engels zu

schweben. – So leicht und schwerelos. Ohne Schmerzen.
Dennoch erfaßte er instinktiv den Sinn ihrer Worte. Gewaltsam
suchte er, den Schwächeanfall zu überwinden und nicht in
Bewußtlosigkeit zu sinken. Die wallenden Feuerbälle vor den
Augen erloschen, und aus dem Dunkel heraus sah er ein
liebreizendes Gesicht mit traurigen blauen Augen…

»Nicht nach Fort Thomas«, flüsterten seine Lippen, »bringen

Sie mich nach Tombstone.«

Ihr Bild versank. Dumpfes Dröhnen schien seinen Schädel zu

sprengen. Es wurde dunkel um ihn. Sam Critten sank in einen
tiefen, endlos erscheinenden Abgrund.

*

Der trockene heiße Wind der Gila wehte John Haggerty
entgegen, als er seinen erschöpften Wallach zwischen den
flachen Mannschaftszelten hindurch zum Wachzelt führte.

Sergeant Noll, der in der offenen Zelttür stand, erkannte den

Neuankömmling.

Er rief einen der jungen Rekruten heran, die vor zwei

Wochen als Ersatz aus dem Osten gekommen waren, und

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befahl ihm, das Pferd des Reiters zu versorgen.

Noll selbst eilte zum Kommandeur, um ihm Haggertys

Ankunft zu melden.

General Howard war voll brennender Ungeduld, denn es

waren nun schon Wochen her, daß er seinen Chiefscout als
Späher in die Dragoon Mountains gesandt hatte, mit der
Aufgabe, Cochises verborgene Apacheria ausfindig zu machen,
und Cochise selbst zu Verhandlungen mit ihm zu bewegen.

John Haggerty begab sich sofort zu Howards Zelt.
Der einarmige General sah auf den ersten Blick Haggertys

Erschöpfung, und als alter Soldat kannte er die Mittel, um
einen Mann wieder aufzurichten.

Er begrüßte seinen Scout mit einer Flasche hochprozentigem

Brandy und bot ihm den Feldstuhl an. »Nun schießen Sie schon
los, Mr. Haggerty. Ich spüre, Sie bringen wichtige Nachrichten.
Sie sind auf Cochises Apacheria gestoßen. Habe ich recht?«

John nickte und füllte unaufgefordert zwei Gläser und reichte

dem General eins.

»Und Cochise selbst? Hat er Sie empfangen, John?«
John lachte bitter. »Ja, Sir, ich war sein Gefangener.«
Er hob sein Glas und leerte es in einem Zug.
»Sie sind sein Freund«, brummte der General überrascht.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Ich war sein Freund«, widersprach Haggerty. »Cochise traut

keinem Weißen mehr. Mehr noch, Cochise rüstet zum
Aufstand. Ein Händler aus Nogales hat ihn mit Springfield-
Gewehren versorgt. Waffen aus Armeebeständen.«

»Aus Fort Huachuca«, unterbrach General Howard und pfiff

durch die Zähne. »Nun kennen wir auch das Motiv dieses
Verbrechens. Sprechen Sie weiter, John, mit diesem Händler
beschäftigen wir uns später.«

John lächelte kühl. »Sinclair und seine Helfer sind tot. Sie

fielen Cochises Rache zum Opfer, als sie den Jefe betrügen
wollten. Der Häuptling besitzt nun sechzig moderne Karabiner

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und tausend Schuß Munition. Diese Waffen und der Haß, den
seine Unterhäuptlinge schüren, lassen Cochise
größenwahnsinnig werden. Er ist im Begriff, Fort Buchanan
anzugreifen. Er will die Mauern des Forts niederbrennen und
die Besatzung töten.«

»So vermessen kann selbst Cochise nicht sein.« General

Howard schüttelte heftig den Kopf. »Fort Buchanan ist ein
Bollwerk, auf massivem Fels gebaut.«

»Aber abhängig von den Quellen im Paß. Wer sie hält, hat

die Macht in der Hand. Cochise, der verschlagene Fuchs, weiß
es. Er wird auch danach handeln.«

General Howard hatte sich erhoben und begann unruhig auf

und ab zu laufen. Für einen Strategen wie ihn war es barer
Unsinn, was sein Scout ihm vortrug.

Fort Buchanan war eine Bastion. Zwar unterbesetzt, doch

uneinnehmbar. Die Quellen wurden Tag und Nacht von
Soldaten bewacht. Da kam keine Rothaut heran. Und wenn es
Cochise dennoch gelingen sollte, das lebenswichtige
Wasserreservoir zu besetzen, so lagen die Quellen im Beschuß
der Kartätschen des Forts. Nein, was Haggerty da erzählte, war
ungereimtes Zeug.

»Sie stützen sich auf Vermutungen, John«, Howard stand an

der Fensterluke, durch die der heiße Wind in den Zeltraum
wehte.

»Ich stütze mich auf meine Ohren, Sir«, John schüttelte

ungehalten den Kopf. »Ich habe unter Einsatz meines Lebens
Cochises Bergfestung betreten und das Gespräch zwischen
Cochise, Victorio, Ulzana, Geronimo und Chato belauscht. Erst
werden sie Fort Buchanan brandschatzen und anschließend
Fort Apache niederbrennen. Häuptling Cochise setzt somit
einen ganzen Landstrich in Flammen, General. Wir sollten
versuchen, den Aufstand im Keime zu ersticken. Gelingt
Cochise ein strategisch wichtiger Erfolg, so werden ihm die
Apachenstämme aus allen Himmelsrichtungen zulaufen, um

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seine Streitmacht zu stärken und so einen Teil des
Ruhmesglanzes zu erwerben. Beordern Sie eine schnelle
Einheit in den Apachen-Paß, Sir. Fort Buchanan ist ein
Wendepunkt in der Geschichte des Territoriums Arizona.«

General Howard schwieg betroffen über Haggertys erregte

Worte. Seit gut zwei Jahren bemühte er sich, mit Cochise
Frieden zu schließen. Sie hatten Verhandlungen geführt, tage-
und nächtelang am gleichen Feuer mit dem Häuptling palavert,
um jeden Vorteil gerungen. Es war ihm gelungen, den Jefe zu
gewissen Zugeständnissen zu bewegen. Ja, es gab eine Zeit, da
die Postkutschen und die Siedlertrecks ungehindert
Apachenland durchqueren konnten. Keine Chiricahua-Lanze
versperrte ihnen den Weg.

Der Ärger kam wohl erst mit Bascom, dem jungen

Lieutenant aus Fort Buchanan, der in seinem Eifer Cochises
Verwandte aufhängen ließ. Vielleicht aber auch schon früher.

»Besteht wirklich keine Möglichkeit, ihn an den

Verhandlungstisch zu bringen, John?« fragte General Howard
verzweifelt.

»Nein, Sir, er hat den Pfeil der Freundschaft zerbrochen«,

sagte John mit Nachdruck.

General Howard hob die Schultern.
»Dann mögen ihn unsere Berghaubitzen zur Vernunft

bringen.«

Der Kommandierende verließ das Zelt. Durch den

Sergeanten ließ er seine Offiziere zusammenrufen, und John
Haggerty hörte bald darauf den Alarmruf des Trompeters.

Keine Stunde war nach diesem Gespräch vergangen, als

berittene Dragoner, Kavalleristen mit Protzen, Munitionswagen
und Geschützen in geordneter Formation durch das offene Tor
in Richtung Osten zogen. Und John bemerkte auch, daß zwei
Abteilungen Infanterie die Vorbereitungen zum Abmarsch
trafen.

General Howard schätzte sicher die Situation richtig ein.

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Howard kehrte schließlich zurück. »Hauen Sie sich aufs Ohr,

John, und schlafen Sie aus. Sie werden morgen früh nach Fort
Thomas und Huachuca reiten. Die Offiziere sollen in ihren
Forts die notwendigen Vorkehrungen treffen und genügend
Leute abstellen, die unsere Dragoner im Kampf gegen die
Indianerhorden unterstützen sollen. Gott gebe, daß Higgins in
Fort Buchanan nicht schläft.«

Der einarmige General, der wirklich um den Frieden mit dem

einheimischen Volk bemüht war, schien zu resignieren. War
denn alle Mühe umsonst gewesen?

»Scout«, sagte er, hob sein Glas und trank es mit einem Zug

leer. Er wischte sich über den Schnauzbart und deutete zum
Feldbett in der Zeltecke. »Hauen Sie sich aufs Ohr, John. Die
Nacht ist kurz, und die Tage werden lang sein. Ich werde
sowieso keinen Schlaf finden.«

Er nahm die Flasche, klemmte sie unter den Armstumpf und

wanderte schweigend aus dem Zelt.

*

Seine Füße brannten wie glühende Kohlen, die hohen Hacken
seiner Texasstiefel knickten im losen Geröll bei jedem Schritt
um.

Aber weit mehr brannte in Wyatt Earp der Gedanke, daß

diese verdammten Bushhawker aus Tucson ihn in den offenen
Plains erwischen könnten. Tausendmal schon hatte er diesen
gerissenen Armeescout verflucht, der ihn ohne Pferd in der
Mesa zurückgelassen hatte. Aber was nützte es ihm?

Am zweiten Tag tauchte in der Senke ein kleines Settlement

auf, dessen Blech- und Strohdächer in der Sonne glänzten. Es
mußte Tombstone sein, von dem er wußte, daß es im Schatten
der San Pedro Hügel lag.

Die letzte Meile Weg lag vor ihm. Als er einmal

zurückblickte, sah er die graue Reiterschar, die zielsicher seiner

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Spur folgte.

Chuck Dyamond und seine Strolche.
Wyatt nahm noch einmal all seine Kraft zusammen, und es

gelang ihm, den Hügel im Laufschritt zu nehmen. Als die
ersten Hütten vor ihm auftauchten, war er enttäuscht von
diesem Nest, auf das er seine ganze Hoffnung als Spieler
gesetzt hatte. Er ahnte nicht, daß Tombstone in einigen Jahren
an Menschen und Häusern aus den Nähten platzen würde und
ihm sowie seinen Brüdern Virgil, James, Morgan und Warren
einen Stempel aufsetzen sollte, der seinen Namen als
Revolverheld in den Annalen der amerikanischen Geschichte
für alle Zeiten erhalten würde. Aber noch vermutete niemand
in Tombstone die Silbervorkommen, die ein gewisser
Schiefelin bald auf den San Pedro Hügeln finden sollte, die
Tombstone dann in ein Sodom und Gomorrha verwandeln
sollten.

Erst als Wyatt den Staub der Straße unter den wunden Füßen

spürte und die vielen Menschen sah, wurden seine Schritte
bedächtiger. Dyamond und sein Clan würden es nicht wagen,
ihn hier vor aller Augen anzugreifen.

Wyatt erkannte ein halbes Dutzend Kneipen, die ihr Essen

ebenso lobend auf Schildern anpriesen wie das Faro- und
Montespiel. Aber sein Ziel war das Tonziegelhaus auf dem
breiten Platz inmitten der einzigen Straße, die durch das
Sattlement führte, das Office des Town Marshals.

Wyatt blickte grinsend den Weg zurück. Er sah die

Staubfahnen, die am unteren Ende der Straße in die Stadt
einschwenkten, ehe er die Treppe zum Office hinaufstieg und
sich im breiten Eingang niederließ.

Zum erstenmal an diesem Tag fand das Schlitzohr Earp Zeit,

sich eine Zigarette zu drehen. Er steckte sie genüßlich in
Brand, als neben ihm ein kräftiger Mann auftauchte, auf dessen
Brust ein Blechstern glänzte.

Als Earp den Blick hob, sah er das breite grinsende Gesicht

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Deputy-Marshal Marleys, der die Straße hinunter deutete und
lakonisch feststellte »Sie suchen dich, Stranger.«

Earp blies eine Rauchwolke in den blauen Alltag. »Es sind

Lobos, Marshal, Satteltramps. Sie haben mir den Gaul unter
dem Hintern weggeschossen und versuchten mich
auszurauben. Mein Freund Haggerty wußte es zu verhindern.
Aber sie geben nicht auf, wie man sieht.«

Wyatt sah das Zucken in Marleys Antlitz und wußte, daß er

recht getan hatte, John Haggertys Namen zu erwähnen, denn
ein Mann wie John Haggerty, der als Scout überall herumkam,
war auch in Tombstone sicher kein Fremder.

»Der Armee-Scout ist dein Freund?« Marleys Stimme klang

bedeutend freundlicher.

»So ist es, Marshal«, Wyatt nickte ernst. »Ich arbeite hin und

wieder unter General Howards Kommando.« Wyatt war selbst
ein Lobo. Er konnte mitunter so gekonnt lügen, daß er seine
Märchen zuweilen selbst glaubte.

»All right«, erwiderte Marley, »dann wollen wir ihr Mütchen

kühlen, sie sollen nur kommen.«

Marley verschwand im Haus, und Wyatt hörte, daß er mit

zwei Männern sprach. Zufrieden lehnte sich Earp an die
Hauswand, als der Marshal mit einer Buckshotflinte
zurückkehrte. Grinsend blickte er der Staubwolke entgegen.

Draußen auf der Straße formierte sich Dyamonds

Mannschaft zu einem Halbkreis um das Office, und Chuck
Dyamond ritt auf schweißtriefendem Gaul mit wütendem
Gesicht näher.

»Der Marshal wird dir auch nicht helfen können, Earp. Wir

kriegen dich so oder so!«

Marley trat langsam an den Rand der obersten Treppenstufe.

Seine Büchse hatte er lose unter den Arm geklemmt, doch der
Daumen lag fest am Abzug.

»Ich würde das Maul nicht so weit aufreißen, Hombre«,

sagte der Marshal gedehnt. Er war von wuchtiger Gestalt und

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schon vom Aussehen her eine Respektsperson. »Zeigt mir die
Schwänze eurer Pferde und verschwindet. Tombstone ist eine
friedliche Stadt. Sie beherbergt keine Raufbolde.«

Dyamond glühte wie eine Tomate, und weniger der Respekt

vor Marleys Blechstern als vor den Doppelläufen seiner Harper
bremste seine Aggressivität. »Aber die Stadt beschützt einen
Mörder.«

»Ah«, sagte der Marshal.
Dyamond legte gleich los. Er erzählte, was in Tucson

geschehen war und weshalb sie Earp verfolgten.

Als er geendet hatte, lächelte Marley überlegen. »Gibt es

einen Haftbefehl gegen Earp? Seid ihr Gehilfen des Marshals
aus Tucson, oder reitet ihr im Auftrage des Sheriffs von
Cochise?«

»Sie sind Richter aus eigenen Gnaden«, warf Wyatt ein. Im

Schutze des Gesetzes, das er doch wohl schon einige Dutzend
Male mit den Füßen getreten hatte, fühlte sich Wyatt Earp
geborgen. »Es stimmt, daß ich Rocky Sullivan erschossen
habe. Aber er hat mich beim Spiel betrogen und als erster die
Waffe gezogen. Das war Notwehr. Nur seine Freunde sehen es
anders, aber sie irren sich.«

Marley nickte. »Solange kein Haftbefehl gegen dich vorliegt,

Earp, bist du in Tombstone sicher.«

Chuck Dyamond rutschte nervös auf seinem Gaul hin und

her. Er spürte, daß er gegen diesen Sternträger wenig
ausrichten konnte, zumal die Straße sich mit Neugierigen
füllte. Er warf Earp einen drohenden Blick zu und zog wortlos
seinen Gaul herum. Mit der Linken gab Chuck seinen
Begleitern ein Zeichen, und sie ritten die Straße hinunter zu
Morgans Kneipe. »Sie werden Ihnen Arger machen, Marshal«,
meinte Earp und schnippte die Kippe auf den ausgefahrenen
Fahrweg.

Marley lächelte kalt. Zwei seiner Gehilfen tauchten an seiner

Seite auf. Wie er trugen auch sie mächtige Schrotspucker und

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machten einen unerschrockenen Eindruck.

»An Ärger sind wir gewohnt«, Marley lächelte, »aber den

größeren Ärger hast du, denn es gibt nichts Fataleres, als jung
zu sterben. Wie lange wirst du in der Stadt bleiben?«

Wyatt Earp hob die Schultern. In der Stadt war er sicher,

doch wenn er Tombstone verließ, würden diese Bastarde sich
wie Kletten an seine Fersen heften, um ihn zu vernichten.

»Ich habe kein bestimmtes Ziel, Marshal.«
»Dann versuche es bei Captain Freeman. Sein Camp liegt

außerhalb der Stadt. Er sucht immer Leute für sein Frontier-
Bataillon. Dort könntest du auch zu einem guten Praint
kommen.«

Marley erklärte Wyatt den Weg zu Freemans Lager, und

Wyatt, der von Freemans Miliz schon vernommen hatte,
dachte, vielleicht bist du dort so lange gut aufgehoben, bis
Dyamond die Nase voll hat und nach Tucson zurückkehrt.

Earp machte sich auf den Weg.
Am Stadtrand war eine kleine Zeltstadt aufgebaut: Captain

Louis Freemans Hauptquartier.

Irgend jemand führte ihn zu Freeman, und dieser musterte

den jungen und kräftigen Burschen, ehe er bedauernd die
Schultern hob.

»Vor einem Jahr noch, Earp«, sagte Freeman lächelnd, »hätte

ich dich für deinen Entschluß freudig in die Arme genommen.
Aber seit einem Jahr ist es ruhig geworden in Arizona. Die
Siedler bebauen friedlich ihre Scholle. Keine Bonanza wird
mehr von Rothäuten belästigt. Cochise und seine Apachen
haben sich in ihren Berghöhlen verkrochen.«

Ein wenig stolz hob Freeman die Brust. »Mein Frontier-

Bataillon hat ihnen wohl die Lust am Kriegsspiel verdorben.
Versuche es in Fort Thomas, Earp. Die Armee halftert jeden
an, der ein paar stramme Marschierbeine hat und einen
Zeigefinger für den Abzug ihrer Karabiner.«

Wyatt Earp kehrte mit gemischten Gefühlen in die Stadt

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zurück. Vor Chuck Dyamond allein hatte er wenig Angst, denn
er vertraute seinem schnellen Revolver. Auch das Großmaul
Swatter würde er mit der Linken erledigen. Aber Dyamond trat
nur zusammen mit seinen Begleitern auf, und in seinem Watts-
Revolver steckten nur sechs Bleikugeln.

Er suchte im entferntesten Winkel der Stadt eine Bleibe und

verhielt sich merklich ruhig. Vom Fenster aus sah er, daß
Dyamond und seine Männer heimlich die Stadt durchstreifen.
Wohl auf der Suche nach ihm.

Fast täglich waren die Kerle auf den Beinen. Zäh und

ausdauernd, als wollten sie eine Goldmine aufreißen. Doch
immer wieder waren Marley und seine Gehilfen in der Nähe.

Am dritten Morgen nach Wyatts Ankunft in der Stadt wurde

es unruhig auf der Straße. Was war geschehen?

Wyatt stellte sich ans Fenster und sah den Menschenauflauf.

Irgend etwas war passiert, was den Alltag der Menschen in
Tombstone verändert hatte. Ein Dutzend Männer umringte die
junge hübsche Frau, die einen halbtoten Mann vor sich im
Sattel sitzen hatte, und drang mit unzähligen Fragen auf sie ein.

Selbst Captain Freeman kam die Straße heraufgestürmt und

folgte der Frau und dem Verletzten, die vor Doc Flemmers
grüngestrichener Holzhütte aus dem Sattel stiegen.

*

Bleich und ausgelaugt lag Sam Critten auf dem weißen Linnen.
Ein breiter schneeweißer Verband umschloß seinen
Oberkörper, und die junge Frau an seiner Seite machte aus
ihrem Herzen keine Mördergrube, als sie die Menschen im
Krankenzimmer sah, die neugierig den Verwundeten
umlagerten.

»Können Sie die Leute nicht entfernen, Marshal?« fragte sie

verärgert. »Der arme Teufel hier ist fast verblutet. Er braucht
dringend die Ruhe, die Doc Flemmers ihm verordnet hat, wenn

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er wieder auf die Beine kommen soll.«

Marley drängte die protestierenden Bürger seiner Stadt aus

dem Raum. Nur Freeman blieb zurück. Er saß geduldig im
Schaukelstuhl und wartete, bis der Sturm sich gelegt hatte.

»Mary Lynn«, begann Freeman schließlich, als nur noch er

und der Deputy-Marshal im Zimmer waren. »Ich kenne dich,
seit du auf der Welt bist, und deine Eltern etliche Jahre länger.
Ich achte deine Trauer, aber es ist nun an der Zeit, daß deine
Andeutungen ihre Erklärung finden. Wer waren die Banditen,
die eure Farm überfallen haben, und an welchem Tag geschah
diese ungeheuerliche Tat?«

Mary Lynn preßte die Lippen aufeinander. Freemans Worte

erinnerten sie an den Tod ihrer Eltern, an den schrecklichsten
Tag ihres Lebens. Sie war hart erzogen, eben wie man im
Frontierland erzogen wurde, ohne Sentimentalität, nur
Tatsachen ins Auge sehend.

»Apachen«, sagte sie mit leiser Stimme. »Sie kamen vor fünf

Tagen und fielen wie eine Horde Bestien über die Farm her.
Sie töteten meine Eltern, unsere beiden Helps, brandschatzten
und plünderten die Farm. Ich konnte mich unter dem
Schlagholz verbergen und mußte all dem schrecklichen
Morden tatenlos zusehen. Mein Gott, ich wünschte, ich wäre
auch tot…« Tränen liefen über ihre Wangen, Zeichen der
Trauer, die sie mühsam zu verbergen suchte.

»So spricht man nicht, Mary Lynn«, rügte Louis Freeman.

Seine Augen blitzten. »Das Leben ist ein kostbares Geschenk
Gottes. Sag mir, wie viele es waren. Drei, fünf, zehn rote
Banditen? Und wer ist der Verletzte? Gehört er zur Farm?«

»Nein, er kam, als alles vorüber war, und er war selbst

schwer verletzt. Doc Flemmer meint, seine gräßliche Wunde
käme von einem Hieb mit einer Apachenlanze.«

»Also ist auch er mit ihnen zusammengestoßen«, konstatierte

der Captain. »Du bist mir noch eine Frage schuldig. Waren es
mehr als zehn Apachen?«

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Mary Lynn hob den Kopf, und ihre blauen Augen schienen

den Fragesteller zu durchbohren. »Zehn?« rief sie mit
zynischer Offenheit aus. »Es war eine ganze Armee! Ihre
Anzahl läßt sich schlecht schätzen, es dürften aber weit über
hundert roter Teufel gewesen sein.«

Freeman dachte nach. Mary Lynns Worte beunruhigten ihn,

denn seit einem Jahr gab es im Cochise County keine
Übergriffe der Roten mehr. Die verständliche Erregung ließ
Mary Lynn wohl mehr Plünderer sehen, als es tatsächlich
gewesen waren.

»Du übertreibst.«
Mary Lynn schüttelte den Kopf.
»Ich übertreibe nicht, Mr. Freeman. Ich habe Cochise

gesehen und den schwarzhaarigen Teufel Victorio, der nun
Mutters blonden Skalp am Gürtel trägt. Sie schossen mit
Springfield-Gewehren und konnten damit verdammt gut
umgehen.«

Freeman erinnerte sich des Überfalles auf Fort Huachuca,

das Banditen in die Luft gejagt und dabei sechzig Springfield-
Karabiner erbeutet hatten. Sollte Cochise für diesen Überfall
verantwortlich sein?

Eine ungeheure Erregung bemächtigte sich Freemans, und er

beschloß, einige seiner Leute zu Lynns Farm zu schicken, um
die Vorgänge aufzuklären. Er mußte wissen, ob Mary Lynn
übertrieben oder die Wahrheit gesprochen hatte.

Schweigend erhob sich Freeman und verließ das Haus. Auf

dem Fahrweg, zwischen neugierigen Weibern, stand der
hochaufgeschossene junge Bursche, der vor einigen Tagen bei
ihm vorgesprochen und nach Arbeit gefragt hatte. Er winkte
ihm im Vorübergehen zu und sah, daß Earp sein Zeichen
verstanden und bemerkt hatte.

Als er die Straße zum Camp hinaufeilte, tauchte Wyatt an

seiner Seite auf.

»Du suchst einen Job, Earp?« kam Freeman gleich zur

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Sache. »Ich hätte eine Aufgabe. Einen Dollar pro Tag und für
jeden Indianerskalp zehn. Ist das ein Wort.«

Wyatt grinste säuerlich. »Also geht es gegen Indianer?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Erst einmal möchte ich das

Terrain sondieren. Wie steht es, Earp? Du brauchst Geld, du
brauchst ein Pferd. Beides findest du im Bataillon.«

Wyatt Earp dachte an sein lästiges Anhängsel, das ihm

unbedingt eine Kugel verpassen wollte. Er nickte zustimmend.
»Ich will's versuchen.«

Sie erreichten das Camp. Freeman deutete zur Pferdekoppel

hinüber.

»Such dir einen flinken Gaul, Earp, du kannst ihn später von

deinem Lohn bezahlen.«

Wyatt nickte und entfernte sich.
Als Earp sich einen Gaul eingefangen und gesattelt hatte, war

Freeman dabei, eine Patrouille aufzustellen. Wyatt, der näher
ritt, erkannte, daß Freeman acht Leute mit dieser Aufgabe
betraute.

»Wopper wird euch führen«, bestimmte der Captain, »ich

erwarte euch in fünf Tagen zurück.«

*

Ein tiefes Stöhnen kündete an, daß Sam Critten langsam ins
Leben zurückfand.

Mary Lynn beugte sich über den Verletzten, und Marshal

Marley trat rasch näher.

Draußen zog Freemans Miliz die Straße hoch.
Critten hielt die Augen zwar noch geschlossen, doch seine

Lider zuckten.

Seine Lippen bewegten sich mühsam, als suche er nach

Worten.

»Er will uns was sagen«, flüsterte Marley heiser und beugte

sich tief über den Verletzten, daß er die Atemzüge des

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Fremden deutlich vernahm.

»John«, hörte Marley aus dem Mund des Fremden.

»Cochise…Verrat…« Dann Stille.

Marleys Gedanken rasten. John und Cochise. Das war eine

Verbindung, die der Marshal begriff. Und irgendwie war
Verrat in der Sache.

Er schüttelte Critten an der Schulter. »Weiter, Junge, erzähle

weiter…«

Doch Mary Lynn drängte ihn zornig beiseite. »Sie sehen

doch, wie es um ihn steht, Marshal. Warum quälen Sie den
Mann?«

»Er will uns etwas sagen, Mary Lynn«, fluchte der

Sternträger wütend. »Es muß sehr wichtig sein.«

»Colonel Higgins…«, hauchte der Verletzte, und Marley sah,

wie der Mann unruhig wurde, den Kopf hin und her warf, als
suche er mit aller Kraft der Dunkelheit zu entfliehen. Dann lag
Critten plötzlich ganz still. Er sackte förmlich zusammen, und
sein Atem schien nicht mehr zu gehen.

»Ist er tot?« Mary Lynn preßte die Fäuste an die Lippen.

»Mein Gott im Himmel, ist er tot?«

»Hör auf zu beten«, fluchte der Marshal. »Er ist nur ohne

Bewußtsein. Er schläft sich gesund. Deshalb brauchst du doch
nicht so ein Theater zu machen.«

Dann stakste er wütend nach draußen.
Freemans Patrouille ritt nun weit vor der Stadt am Fuß der

San Pedro Hügel.

Marley kehrte ins Office zurück, setzte sich hinter seinen

Schreibtisch und begann zu überlegen. Was hatte den armen
Teufel so erregt, daß er Colonel Higgins Namen nannte?

Irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Aber was?
Aus Fort Thomas war ihm vor einiger Zeit ein Vorfall

gemeldet worden. Automatisch, ohne zu denken, begann
Marley in den Papieren auf dem Schreibtisch zu kramen, bis er
eine Depesche fand.

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Eine Fahndung aus Fort Thomas nach einem

fahnenflüchtigen Soldaten.

Marley vertiefte sich in den Inhalt, und je länger er die

Fahndung las, wurde ihm bewußt, der Fremde in der
Krankenstube von Doc Flemmers konnte nur dieser Corporal
sein, der Critten hieß.

Ins Krankenrevier zurückzukehren, brachte sicher keinen

Aufschluß. Der Mann war fertig und sicher noch eine Weile
ohne Bewußtsein Und Mary Lynn, dieses resolute Biest, würde
ihn kurzerhand hinauswerfen, dessen war er sicher.

Marshal Marley schob das Schreiben in die Tasche, nahm

den Revolvergurt vom Wandhaken und sattelte sein Pferd. Als
er seinen Praint auf die Straße führte, kam gerade einer seiner
Gehilfen aus dem Drugstore.

»Stive«, rief Marley, während er in den Sattel stieg. »Ich bin

in ein paar Tagen wieder zurück. Wenn jemand fragen sollte,
ich reite nach Fort Thomas.«

Stive gab ein Zeichen, daß er verstanden hatte.
»Und halte ein Auge auf den jungen Earp und diese Hengste

aus Tucson«, fuhr der Marshal fort. »Wenn sie euch Ärger
machen, zeigt's ihnen mit Buckshot!« Marley riß sein Pferd
herum und gab ihm die Sporen zu fühlen.

In eine Staubwolke gehüllt, ritt er den Fahrweg hoch und

schwenkte außerhalb der Stadt in östliche Richtung.

Marshal Marley hatte es verdammt eilig.

*

Ein Gerücht ist schneller als der Wind, sagt ein altes
indianisches Sprichwort.

Tex Huskin, dessen Bonanza in einem kleinen Seitental des

Green Valleys lag, wußte seit drei Tagen von dem Überfall auf
Lynns Farm. Einer seiner Cowboys, die in der Mesa nach
verlaufenem Vieh suchten, war auf das niedergebrannte Gehöft

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gestoßen und hatte die Hiobsbotschaft gebracht.

Huskin war vom alten Schlag. Ein Grenzer, der sich früher

schon mit mexikanischem Raugesindel herumgeschlagen hatte.
Er ließ die Herden näher an die Ranch heranführen und begann
das Haupthaus in eine Festung zu verwandeln. Die Grube unter
der guten Stube hatte er vor drei Jahren, als er ins Valley
gezogen war, ins Hausgefüge eingebaut und einen
Verbindungstunnel zum Brunnen schaffen lassen.

Als Brend ihm am Vormittag meldete, daß er in den nahen

Hügeln auf Spuren unbeschlagener Pferde gestoßen war,
wußten der alte Tex, daß bald Besuch zu erwarten war.

Huskin war also gewappnet, als am frühen Nachmittag ein

Dutzend halbnackter Reiter in bunter Kriegsbemalung auf den
flachen Hügeln auftauchte und unverwandt zur Ranch
hinunterstarrte.

Reglos, wie aus Bronze gegossen, saßen sie auf ihren

ungesattelten Ponys und blickten regungslos ins Tal hinunter.
Roß und Mann ein Guß.

Huskin rief seine Leute ins Haus, schloß die schweren

Blenden an den Fenstern und verteilte die Waffen.

»Wir werden ihnen eine Abfuhr erteilen, daß ihnen für alle

Zeiten der Geschmack nach weißen Skalps vergeht«, sagte der
Texaner optimistisch. »Wäre doch gelacht, wenn wir die nicht
schaffen.«

Sein Vormann, der an einer der schmalen Schlitze am

Fenster stand, bemerkte lakonisch: »Sie werden sich an den
Rindern schadlos halten und die Longhorns in die Mesa
treiben.«

Worauf der alte Texaner lachte. »Sollen sie, ich denke, daß

auf die Vorkommnisse auf Lynns Farm hin Soldaten unterwegs
sind oder Freemans starke Miliz. Mit der Herde kommen die
verdammten Rothäute nicht weit, denn Freeman ist scharf auf
Chiricahua Skalps.«

»Tut sich was draußen?« Huskin hatte den Arm um die

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drallen Hüften seines Weibes gelegt. Sicher wollte er so
demonstrieren, daß Abigail nichts zu befürchten hatte.

»Sie stehen wie die Salzsäulen in den Salinen der Desert,

Boß«, antwortete Brend.

»Sie warten die Nacht ab«, erklärte Huskin. Er kannte die

Taktik der Roten. »Abigail, mach uns eine kräftige Mahlzeit,
und sollte es ernst werden, binde die Kinder an den Betten fest.
Ich möchte nicht, daß sie uns in ihrer Angst womöglich
zwischen den Füßen herumlaufen.«

Abigail war eine starke Frau. Sie zeigte keine Furcht,

sondern trat zum Herd und bereitete das Essen wie jeden Tag.
Sie sprach beruhigend auf ihre beiden Kinder ein und schickte
sie ins Nebenzimmer, wo Cliff Bauer und Hugh Welch durch
die Sichtschlitze aufmerksam das Terrain absuchten. Sie waren
nervös, aber das würde sich legen, wenn es ernst würde.

Die Sonne kroch hinter die nahen Berge. Dämmerlicht

breitete sich im Tal aus.

Die Reiter auf dem Hügel waren nur noch als Schatten zu

erkennen.

Tödliche Stille lag über dem Tal, und nur das leise Weinen

der Kinder war zu hören. Abigail zog sie in den Schoß und
sprach mit ruhiger Stimme auf sie ein.

Huskin kontrollierte die Posten im Haus, als die ersten

Schüsse fielen. Die Erde begann zu dröhnen, und der Texaner
nickte stumm.

Er wußte, daß das räuberische Apachenpack die Herde aus

der Koppel trieb.

»Es geht bald los«, sagte Brend in die beklemmende Stille im

Raum, »ich rieche es förmlich.«

Und dann war plötzlich der Teufel los. Pferdehufe

klapperten, infernalisches Geschrei erfüllte das Tal,
Gewehrkugeln schlugen in die Fassaden. Wuchtige
Lanzenstöße trieben gegen die feste Bohlentür.

Die Kinder schrien.

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Tex Huskin sprang mit zwei Sätzen an die Eingangstür,

schob die schwere Luke zurück, die kurze Mündung der
Schrotflinte in die Öffnung und feuerte…«

Dem Echo beider Abschüsse folgte wildes

Schmerzensgeschrei und der dumpfe Fall von menschlichen
Körpern. Leichtfüßige Schritte entfernten sich. Huskin schloß
grinsend die Luke.

»Buckshot schmeckt ihnen nicht«, knurrte er und zu seinem

Weibe gewandt fuhr er fort: »Schaffe die Kinder nach unten,
Abigail, es wird eine heiße Nacht.«

Abigail schob wortlos die Luke auf, nahm eine der

Talglampen und stieg mit den verängstigten Kindern in den
dunklen Schacht hinunter.

Es war still. Nur das ferne Stampfen der entführten Herde

war schwach zu vernehmen.

»Vielleicht haben wir sie verscheucht«, flüsterte Harris, der

blutjunge Cowboy, und umklammerte mit diesem
hoffnungsvollen Gedanken seinen Karabiner. Es war sein erster
Zusammenstoß mit räuberischen Apachen.

Brend, der alte Vormann, der wachsam auf seinem Posten

stand, lachte trocken. »Jetzt geht der Tanz richtig los, Boß. Sie
schießen mit Brandpfeilen.«

In seine Worte hinein schlugen patschend feurige Garben in

die Fassade und das Dach, und Huskin rief gelassen: Haltet die
Wasserbottiche bereit. Wenn das Feuer durchbricht, werden
wir es löschen.«

Er hatte am Morgen noch die Grasnarben des Daches mit

Brunnenwasser getränkt und wußte, daß sie den Brandpfeilen
der Apachen eine Weile widerstehen konnten.

Trotzdem züngelten Flammen an der Hausfassade hoch und

erhellten schwach den Hof. Schatten bewegten sich wieselflink
über die freie Fläche. Brend schoß seinen Karabiner leer, und
aus dem Kinderzimmer klangen die scharfen Abschüsse von
Welchs und Bauers Büchsen.

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Sie waren sechs aufrechte, tapfere Männer, an deren Mut

wahrhaftig nicht zu zweifeln war, aber keiner von ihnen wußte,
daß dort draußen Victorio mit achtzig Apachen zum Angriff
ansetzte, entschlossen, die weißen Eindringlinge aus ihrem
Land mit Feuer und Schwefel zu vertreiben.

Rauch drang durch die mit Lehm verschmierten Ritzen. Hier

und dort züngelten Flammen ins Innere der Räume. Zwei
Männer waren ständig mit Wassereimern in Bewegung, um das
Feuer zu löschen.

Aufs neue dröhnte die Erde. Infernalisches Geheul ließ das

Haus erzittern, und der junge Harris, der durch die
Schießscharte das schwarze Meer angreifender Apachen sah,
rief erbleichend: »Es sind wenigstens hundert Indianer, Boß!«

»Blödsinn«, fluchte Huskin, »so viele Krieger bringt kein

Apachenhäuptling auf die Beine.«

Der junge Harris streckte sich. Er stand eine Weile aufrecht

an der schmalen Schießleiste, ehe er steif wie eine Säule
rücklings zu Boden fiel. Mitten zwischen seinen Augen federte
der kurze Schaft eines Pfeils.

Brend kroch heran, aber Huskin rief ihn mit scharfer Stimme

zurück. »Bleibe auf deinem Posten, Brend, dem armen Teufel
ist nicht mehr zu helfen.« Der Texaner schulterte die
Buckshotflinte und hangelte sich an der Strebe des Gebälks zur
Decke hoch. Über ihm auf dem Hüttendach rumorte es. Flinke
Tritte waren trotz des höllischen Lärms zu hören, und Huskin
wußte, sie rissen die schützenden Grassoden auf, um auf dem
Dach Feuer zu legen.

Wütend feuerte er die Waffe ab, lud noch einmal nach und

schoß dann wieder.

Auch Brend und Bauer, Welch und Dickens kämpften wie

die Teufel und schossen wie wild.

Abigail schob die Kellerluke auf. Sie hielt die Funzel in der

Hand. Bleich und gefaßt fragte sie: »Soll ich helfen, Tex? Ich
kann kämpfen wie ein Mann.«

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»Bleibe unten, verdammtes Weib, und kümmere dich um

deine Kinder«, fluchte der Rancher wütend. Schweiß stand auf
seiner Stirn. Die Kerle waren immer noch auf dem Dach.

Harte Schläge von Streitäxten trommelten gegen die

Eingangstür. Ihre Angreifer mußten erkannt haben, daß dort
der Schwachpunkt der Verteidigung lag.

Huskin gab seinem Vormann ein Zeichen. Brend sprang mit

zwei langen Schritten zur Tür, schob die Klappe zurück und
feuerte mit seiner Patterson, bis keine Kugel mehr im Lauf war.
Mit einem letzten Blick schob Brend die Klappe in den Riegel.

»Harris hatte recht, es sind wenigstens achtzig Apachen, Tex.

Zuviel für uns fünf«, rief er blaß. »Gegen die haben wir keine
Chance, Tex!«

Huskin erinnerte sich, was mit den Lynns geschehen war und

schrie wütend zurück: »Wir kämpfen bis zur letzten Patrone,
kapiert? Dann stecken wir die Hütte in Brand und ziehen uns in
den Stollen zurück. Vielleicht haben wir Glück und sie geben
sich mit dem hier zufrieden.« Er sprang von dem Gebälk
herunter in den Raum, trat zum Tisch und stopfte sich eine
Handvoll Buckshotpatronen in die Tasche. Tödliche
Entschlossenheit stand in seinem pulvergeschwärzten Antlitz,
und er schwor im stillen, Abigail und die Kinder zu töten, als
sie in die Hände der Apachen fallen zu lassen.

Aber ihre letzte Attacke schien Erfolg zu haben. Noch immer

ihr schrilles Geheul ausstoßend, entfernten sich die Reiter.

»Sie geben auf«, jubelte im Nachbarzimmer Welch. Er

taumelte in die Stube. Ein breiter blutiger Striemen lief über
seine linke Wange, und ein dunkler Fleck zeichnete sich auf
der linken Seite seines karierten Hemdes ab.

»Sie kommen wieder«, grollte der Rancher. »Freut euch

nicht zu früh.« Er ging zu Welch und führte ihn zum Hocker.
»Setz dich hin, Cowboy.«

Huskin zog die Lampe näher und riß das blutbeschmierte

Hemd auf. Er sah den Einschuß oberhalb des Herzens und

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wußte, daß Welch nicht mehr zu helfen war. Dennoch griff er
lächelnd zum Wandregal und entkorkte die Brandyflasche.
»Nimm einen tiefen Schluck, Welch. Es ist alles halb so
schlimm. Die Kugel schneide ich dir raus, wenn alles vorbei
ist.«

Der Cowboy nickte dankbar, als der Boß ihm die Flasche an

die Lippen setzte. Er nippte am Flaschenrand und sackte dann
plötzlich zusammen. Huskin fing ihn auf. Brend trat mit
wenigen Schritten näher, und sie trugen den Bewußtlosen auf
die Liege.

»Ist es schlimm?« fragte der Vormann.
Huskin nickte. »Er wird die Nacht nicht überstehen.«
Glücklicher Welch, dachte der Vormann und spürte heißes

Kribbeln unter der Kopfhaut, so, als fühle er dort die scharfe
Klinge eines Apachenmessers.

Er kehrte auf seinen Posten zurück, aber von den Angreifern

war nichts mehr zu sehen.

Huskin kniete neben dem Bewußtlosen, als Cliff Bauer aus

der Kinderkammer trat. Er sah den riesigen Blutfleck auf
Welchs Brust und schrie plötzlich los: »Welch ist tot! Harris ist
tot! Die Schweine haben sie umgebracht und werden auch uns
alle töten. Ich will hier raus!« Wild mit den Armen um sich
schlagend, taumelte er zum Ausgang.

Brend versperrte ihm den Weg. Er sah Bauers irren Blick

und schlug ihm die Faust gegen den Schädel, daß der Tobende
wie ein morscher Baum auf die Dielen fiel. Bedauernd blickte
er zum Boß hinüber, der die Schultern hob und ihm zunickte.

»Es war das beste so«, meinte Huskin. »Wenn er aufwacht,

wird er wieder vernünftig sein. Versuche das Feuer unter
Kontrolle zu halten.«

Es knisterte und schwelte an der Außenwand, aber das Holz

hatte inzwischen so viel Wasser aufgesogen, daß die Flammen
kaum noch Nahrung fanden.

Finsternis hüllte das Tal ein, und die plötzliche Stille ließ sie

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frösteln.

Dickens kauerte am Boden und starrte zu dem sterbenden

Welch auf der Pritsche. Der Cowboy schien zu beten, aber er
dachte an sein blühendes Virginia, das er verlassen hatte, um in
dieser verdammten Einöde Arizonas zu krepieren. Fernweh
hatte ihn damals getrieben.

Auch Brend stand stumm an der schmalen Schießscharte,

lauschte den röchelnden Atemzügen des Sterbenden, blickte
starr in die reglose schwarze Nacht, und sein Leben zog wie
eine Vision vorüber.

Er und der Boß hatten die Hälfte ihres Lebens gemeinsam

verbracht. Sie hatten in Texas gegen Rebellen und Viehdiebe
gekämpft. Sie waren als Texasreiter in den amerikanisch-
mexikanischen Krieg gezogen. Als junge Burschen, voller
Hoffnung auf eine glorreiche Zukunft. Und wo waren sie nun
gelandet?

In einem Territorium, das wohl ewig Frontierland bleiben,

niemals zur Ruhe kommen sollte.

Das Schwarz der Nacht verblaßte. Fast gelassen nahm er die

grauen Schatten wahr, die von den niedergerissenen Zäunen
her lautlos näher huschten.

Zögernd, als fehle ihn die Kraft, hob Brend seinen Karabiner

und schoß zwei dieser Schatten nieder.

Der dritte Schatten zerfloß in der Nacht.
Huskin hob den Kopf Brend sah seinen fragenden Blick.
»Geplänkel«, sagte Brend ruhig, »sie versuchen es mit ein

paar Einzelaktionen. Wir werden den Tag wohl überstehen.
Aber dann, Tex? Was wird dann?«

Brend wandte sich wieder seinem Posten zu.
Tex Huskin schwieg. Seine Gedanken waren eine Weile bei

seinem Weib und seinen Kindern. Auch er sah keine Zukunft.
Erst in diesem Moment bemerkte er, daß er immer noch vor
Welch kniete. Dabei mußte sein Cowboy schon vor Stunden
gestorben sein.

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»Beim nächsten Angriff ziehen wir uns in den Schacht

zurück«, sagte Tex Huskin leise. »Und vorher brennen wir
diese verdammte Bude nieder…«

Der Schacht, der Weg zum Brunnen…, die Freiheit, die

letzte Hoffnung…

Das waren Tex Huskins hoffnungsvolle Gedanken, als eine

gewaltige Explosion das Dach der Hütte anhob und die Wände
auseinanderfetzte.

Ein flammender Feuerstrahl schoß in den Himmel, und die

Detonation zerriß ihre Lungen. Niederstürzendes Gebälk
zerschmetterte ihre Körper.

*

Cochise erlebte seinen Triumph im Morgengrauen. Mit
leuchtenden Augen folgte er dem blitzenden Feuer, das seine
Krieger in der Nacht an der Hütte gelegt hatten, und während
die Flammen langsam erloschen, eine schwarze Wolke den
Himmel verdunkelte und von der Hütte nur noch Staub und
zerbrochenes Gebälk zurückblieb, sagte Cochise zu Victorio,
der auf seinem gescheckten Gaul an der Seite des Jefes fast
erschreckt das Schauspiel erlebte:

»Dieses schwarze Pulver öffnet uns die Tore zu den

Holzfestungen der Hellaugen. Es bewegt Berge und schließt
Schluchten. Es ist eines der Geheimnisse des einarmigen
Blaurocks. Es kommt der Tag, an dem wir mit diesem
schwarzen Pulver die Zeltstadt des Bastards von den Hängen
Tubacs fegen werden. Dieser Tag ist dann der Tag unserer
Freiheit. Doch zuvor wollen wir unsere Abrechnung mit
unserem größten Feind, dem Hellauge aus Tombstone,
vorbereiten. Captain Freeman soll für all die toten Krieger,
Frauen und Kinder unserer Stämme bezahlen und die Folter der
Apachen in tausendfacher Art kennenlernen.«

Victorios dunkle Augen leuchteten voller Hoffnung, denn

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das Inferno, das er gerade erleben konnte, ließ erkennen, daß
der Jefe den richtigen Weg beschritt.

Über den Hügel sprengte ein Reiter. Seine Haut glänzte

bronzen in der aufgehenden Sonne. Er wechselte die Richtung,
als er seinen Häuptling sah und jagte heran. Vor Cochise
zügelte er seinen Bronco.

Erregt deutete der Chiricahua mit der Lanze nach Osten. »Es

kommen Reiter, Jefe, aus der Richtung der Farm, die wir vor
vier Tagen niedergebrannt haben.«

In Cochises Augen stand eine stumme Frage, die der

Sprecher verstand. »Es sind acht Weißaugen auf gesattelten
Pferden. Sie sind keine zwei Meilen entfernt.«

Victorios Augen füllte wilder Glanz. Unruhig rutschte er auf

dem Pferderücken hin und her und faßte den
federgeschmückten Karabiner fester. Seine kräftigen Muskeln
zuckten.

»Zastee«, rief Victorio heiser, »ihr Leben ist das gnädige

Geschenk unserer Götter. Wir werden sie töten, und ihre
Skalps sollen die Gürtel unserer Toten schmücken.« Fast
herrisch deutete er zu den gescheckten Ponys hinüber, die von
Kriegern den Hügel herauf geführt wurden. Quer über ihre
Rücken lagen die im Kampf gefallenen Apachen.

»Unsere Brüder sollen nicht umsonst gestorben sein.«
Cochise kannte den Hitzkopf Victorio. Aber er, der Jefe,

hatte andere Pläne. Er blickte zu der zerstörten Bonanza
hinunter, in deren Trümmern seine Krieger nach Beute suchten,
und schüttelte heftig den Kopf.

»Es sind keine Blauröcke aus den hölzernen Forts, Victorio.

Es sind Späher unseres ärgsten Feindes. Sie mögen kommen
und uns sehen. Sie mögen gehen und ihren Häuptlingen von
unseren Siegen berichten. Ihre Skalps werden wir im Canyon
des Aqua wiedertreffen.«

Victorio hatte als Apache das Recht, dem Jefe zu

widersprechen, aber er spürte die Klugheit und Verschlagenheit

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seines Kriegshäuptlings und war zufrieden mit den Plänen, die
zur Vernichtung Louis Freemans führen.

»So soll es sein«, sagte er einsichtig, führte die Hand zum

Munde und ahmte den gurrenden Ruf der Wildtaube nach.

Sofort lösten sich die Plünderer aus dem Trümmerfeld,

schwangen sich behend auf die Rücken ihrer Ponys und
verschwanden seitlich im welligen Hügelland.

Cochise nahm es zufrieden wahr und nickte. Ehe er sein

Pferd wandte, sprach er zu dem Mimbrenjo-Häuptling: »Wähle
vier Späher, die sie begleiten sollen. Ich möchte, daß sie
unbeschadet ihr Ziel erreichen.«

*

Colonel Higgins durchwanderte unruhig wie ein gefangener
Puma den Raum. Haggertys Order aus dem Hauptquartier
machte ihn nervös.

Er sagte es denn auch offen heraus.
»Fort Thomas ist unterbesetzt, John. Wenn ich die halbe

Truppe nun auch noch abziehe, dürfte es für einen Gegner ein
Kinderspiel sein, die Palisaden zu stürmen und das Fort in
Schutt und Asche zu legen. Ich kann eines nicht begreifen:
Was zieht Cochise nach Fort Buchanan? Dort liegt der stärkste
Vorposten unseres Militärs in Arizona. Eine Befestigung aus
massivem Fels, umgeben von den natürlichen Schutzwällen der
Mountains. Cochise kann sich dort nur die Zähne ausbeißen
und sich eine blutige Abfuhr holen. Also, ich verstehe beim
besten Willen nicht, warum er so ein Unternehmen plant.«

John Haggerty lächelte über Colonel Higgins' Einwand.

»Cochise wird wissen, daß der Posten in Buchanan keine
hundert Soldaten beherbergt. Wer schaut schon hinter die Stirn
einer Rothaut? Vielleicht geht es ihm um das Prestige, und eine
Zerstörung des Forts würde ihm natürlich Ruhm und Ehre
unter den Apachenstämmen einbringen.«

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»Und Fort Thomas?« warf der Colonel bissig ein, »soll es

dafür geopfert werden?«

»Fort Thomas liegt hundert Meilen vom Apachen-Paß

entfernt, Colonel. Ich habe Cochises Pläne mit eigenen Ohren
gehört. Es besteht also kein Zweifel über seine Absichten. Hier,
so tief im Süden, ist mit keiner Indianerseele zu rechnen.
Vielleicht ein paar Yaquis, die über die Grenze wechseln. Aber
selbst daran zweifle ich…«

»Trotzdem kann ich es nicht begreifen.« Colonel Higgins

knöpfte gewissenhaft die Knöpfe seiner Uniform zu, nahm die
Handschuhe. Er war ein Stratege, und ehe er als Kommandant
Fort Thomas übernommen hatte, war er ein Jahr in Fort
Buchanan stationiert gewesen. Er kannte die örtlichen
Verhältnisse dieser natürlichen Bergfestung ganz genau. Und
die Wasserstelle im Paß, der einzige Schwachpunkt des Forts,
war jederzeit mit Feldhaubitzen zu belegen. Nein, er konnte
Cochise nicht begreifen.

»Warten Sie, John«, bat der Colonel und verließ die Baracke.
John trat ans Fenster. Er sah, daß der Colonel mit einigen

Offizieren redete und daß sich das Gespräch schon nach
kürzester Zeit zu einer heftigen Debatte entwickelte.

Es dauerte fast eine Stunde, ehe der Offizier zu Haggerty in

die Baracke zurückkehrte. »Meine Offiziere teilen meine
Meinung, John«, meinte Higgins achselzuckend, »aber Befehl
ist Befehl.«

Draußen herrschte hektisches Treiben. Befehle hallten auf,

Soldaten formierten sich in Gruppen, und die Offiziere gaben
Anweisungen. Die Vorbereitungen zum Aufbruch begannen.

Etwa um diese Zeit preschte ein Reiter auf abgetriebenem

Gaul durch das Haupttor, schwenkte zum Hauptquartier ein
und rutschte erschöpft aus dem Sattel.

John erkannte das schweißglänzende Gesicht des Reiters.

Leicht erstaunt runzelte er die Stirn. »Was sucht Marshal
Marley aus Tombstone im Fort?« fragte er beunruhigt.

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»Wir werden es bald erfahren«, erklärte Colonel Higgins.
Draußen polterten Schritte. Die Ordonnanz trat ein, und

hinter ihr stürmte der Marshal in den Kartenraum.

»Marshal Marley«, rügte der Sergeant über die Mißachtung

der Dienstvorschrift, »ich muß Sie anmelden. Sie können nicht
einfach hier so hereinplatzen.«

»Es ist in Ordnung«, winkte der Colonel ab, ehe er sich an

den Marshal wandte. »Was führt Sie zu mir, Mr. Marley?«

»Im County ist der Teufel los, Colonel Higgins. Eine Farm

wurde von Apachen überfallen und vollständig zerstört. Die
einzige Überlebende der Lynn-Familie ist Tochter Mary Lynn,
und außerdem hat noch ein Fremder das Massaker überstanden,
vielleicht ist er inzwischen schon abgekratzt. Oh…«

Marley erkannte Haggerty, der aus dem Schatten des Raumes

trat. »Das trifft sich gut, John. Dieser arme Teufel, den Mary
Lynn halbtot und fast verblutet in die Stadt gebracht hat, faselte
in seinen Fieberträumen dummes Zeug. Er nannte Ihren
Namen, sprach von Verrat und dem Rebellen Cochise. Sein
Unterbewußtsein war stark aufgewühlt…«

»Sam Critten«, entfuhr es Haggerty. Er deutete auf einen

Stuhl. »Setzen Sie sich, Marshal. Der Colonel wird Ihnen einen
Drink zur Stärkung geben, und dann überlegen Sie ganz ruhig,
was der Mann gesagt hat.«

Haggerty war innerlich sehr beunruhigt. Er wähnte Critten in

den Dragoons nahe des Lagers der Apachen. Also weit oben im
Norden. Er hatte die Aufgabe, Cochises Festung zu beobachten
und einen eventuellen Lagerwechsel zu überwachen. Und nun
sollte der Bursche in Tombstone aufgetaucht sein?

Was mochte das bedeuten?
Colonel Higgins reichte dem erschöpften Marshal Flasche

und Glas. Sein fragender Blick berührte den Armeescout. »Was
wissen Sie über den Deserteur Critten, Mr. Haggerty? Der
Mann ist seit Wochen verschwunden«, rief Higgins heftig.

John spürte das Mißtrauen, welches der Colonel ihm

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entgegenbrachte. Er schien nicht zu verstehen, daß ein
Armeescout mit einem Deserteur in Verbindung stehen konnte.

Draußen hallten lautstarke Befehle. Protzen und Haubitzen

wurden aus den offenen Schuppen gezogen. Der Proviantchuck
stand bereits vor dem Vorratsdepot.

»Ich warte auf Ihre Antwort, Mr. Haggerty«, rief der Colonel

ungeduldig.

John lächelte. »Corporal Sam Critten reitet als Scout fürs

Hauptquartier, Colonel. Er war in den letzten Wochen mein
ständiger Begleiter.«

»Ein Deserteur, ein Mann, der die Disziplin der Truppe

untergräbt, indem er einen Offizier der Vereinigten Staaten
niederschlägt? Einen solchen Mann…«

»Er ist ein guter Soldat«, unterbrach John den Wortschwall

Higgins, »und ein zuverlässiger Kamerad.«

»Den ich vor das Kriegsgericht stellen muß, wo er

wahrscheinlich vor den Mündungen eines
Exekutionskommandos landet. Obwohl«, der Sprecher zupfte
nachdenklich an seinem Schnauzbart, »obwohl ich Lieutenant
Brahams Handlungsweise den Soldaten gegenüber mißbillige
und ihm einen Verweis erteilen mußte. Aber«, Higgins reckte
sich. Er war Soldat mit Leib und Seele. »Das wird Corporal
Crittens Lage nicht ändern, denn Disziplin, besonders im
Kampfgebiet, muß gewahrt, Verfehlungen müssen strengstens
geahndet werden.«

»Sie reden vielleicht schon von einem Toten, Colonel…«

Marley grinste ihn über den Kartentisch hinweg an, »aber im
Augenblick geht es wohl um andere Dinge.«

»Sprechen Sie, Marshal«, forderte John. Eine ebenso dumme

wie schreckliche Ahnung stieg in ihm auf.

Sollte dieser schlitzohrige Häuptling ihn etwa aufs Kreuz

gelegt haben, sollte er ihm die falschen Informationen
zugespielt haben, um seine wahren Absichten zu verbergen?

Dann, John lief es eiskalt über den Rücken, mußte der Jefe

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von seiner Anwesenheit in der Apacheria gewußt haben. Eine
andere Erklärung gab es nicht.

»Mary Lynn spricht von achtzig bis hundert Apachen, die die

Farm überfallen haben«, drang Marleys Stimme in seine
Gedanken, »das wird übertrieben sein, denn ich kann mir
vorstellen, welche Angst das arme Mädchen ausgestanden hat
und wie entsetzlich es für sie war, als ihre Eltern umgebracht
wurden.«

Hundert Apachen? Die Gedanken wirbelten in Haggertys

Schädel, das war die Zahl, die Cochise an Kriegern aufbringen
konnte. Er trieb sich tief im südlichen Grenzgebiet herum,
während Truppen von Tubac zum Apachen-Paß unterwegs
waren. Und die Besatzung von Fort Thomas sollte nun auch
noch geteilt werden…

»Er ist ein Halunke«, stieß John heftig hervor, »ein

durchtriebener stinkender Chiricahua-Geier. Marley«, er faßte
den Marshal hart an der Schulter, »wären Sie fit genug, mit mir
nach Tombstone zu reiten? Ich möchte an Ort und Stelle
erfahren, was geschehen ist.«

»Sicher, John.«
»Glauben Sie den Worten eines verwirrten Mädchens?«

Colonel Higgins schüttelte verblüfft den Kopf.

»Ich glaube noch viel mehr, Colonel«, rief Haggerty hitzig,

»mein Gott, wie recht Sie doch hatten. Cochise hatte nie die
Absicht, Fort Buchanan und Fort Apache anzugreifen. Er denkt
wie ein Weißer und wußte, daß die mir zugespielten
Informationen die halbe Armee in Bewegung setzen würden.
Cochise hat die Brandfackel des Aufruhrs gesetzt. Blasen Sie
den Alarm ab, Colonel, und schicken Sie einen Melder nach
Norden. Die Truppenbewegungen nach Fort Buchanan müssen
schnellstens gestoppt und ins Grenzland umgeleitet werden.«

»Können Sie das vor dem kommandierenden General

verantworten?« Higgins schien über Johns Anweisungen
befremdet.

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John Haggerty biß sich auf die Unterlippe. »Ich werde es vor

General Howard verantworten. Kommen Sie, Marley!«

John Haggerty war voller Unruhe. Er wußte, Critten hatte

eine wichtige Nachricht für ihn. Hoffentlich kam er nicht zu
spät.

*

Staub und Trümmer, das war von Huskins Ranch geblieben.

Ted Wopper führte sein Pferd im Kreis, während seine

Begleiter aus dem Sattel stiegen und zwischen den Trümmern
nach möglichen Überlebenden zu suchen begannen. Es dauerte
fast eine Stunde, ehe er am Brunnen hielt.

»Tausend Hufspuren. Es ist wie auf Lynns Farm«, sagte er

wütend, »hier haben wenigstens hundert Apachen gehaust.«

Wyatt Earp kletterte über die Trümmer und kam heran. »Das

Haus ist förmlich explodiert. Das erklärt auch den Feuerball,
den wir in der Nacht gesehen haben. Die Apachen haben
irgendwo Sprengstoff erbeutet und machen nun ein Feuerwerk
nach dem anderen damit«, der junge Mann lachte trocken. »Die
Apachen werden zivilisiert und bedienen sich der Erkenntnisse
der Armee. Wir sollten lieber verschwinden«, unmerklich
deutete der Sprecher zum nahen Hügel.

Als Wopper sich umwandte, sah er für kurze Augenblicke

die Rothaut, die blitzschnell im filzigen Gesträuch
untertauchte.

Wopper war ein erfahrener Indianerkämpfer, der schon im

letzten Jahr in Captain Freemans Kommando Apachen gejagt
hatte. Er kannte ihre heimtückische Kampfesart, aber das hier
war ihm neu. »Der Bronco wird nicht allein sein, macht euch
fertig, wir verschwinden, so schnell es geht.«

Seine Begleiter nickten. Sie fühlten, daß der Teufel Cochise

ihnen im Nacken saß. Die Vielzahl der Spuren beunruhigte die
Männer sehr.

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Wyatt Earp nahm seine Feldflasche und beugte sich über den

durch die Explosion teilweise zerstörten Brunnenkranz. Ihm
war plötzlich, als höre er eine weinerliche Kinderstimme.

»Still«, rief er über die Schulter, beugte sich erneut über den

Brunnenrand und lauschte angespannt. Nun hörte er deutlich
schluchzende, wimmernde Stimmen, die aus der Tiefe zu
kommen schienen. Er richtete sich auf. »Dort unten steckt ein
Kind«, rief er überrascht.

Many Slop, erfahren in Indianerkämpfen wie Wopper,

deutete zum Hügel. »Jetzt sind schon vier dort oben. Die roten
Bastarde vermehren sich wie Ratten. Noch hätten wir eine
Chance, zu entkommen. Wir sollten reiten.«

Aber Earp hing bereits am Zugseil und hangelte sich fünf

Fuß tief in den Brunnen hinab. Er sah den flachen, versteckten
Spalt im Gestein. »Hallo«, rief er vorsichtig hinunter, »Junge,
wo steckst du?«

Keine Antwort.
Er pendelte am Seil in die Öffnung, fand festen Boden unter

den Füßen und ließ das Seil fahren. Die Öffnung war brusthoch
und führte in die Dunkelheit. Gepreßte Laute hallten ihm
entgegen, so, als ob jemand einen Menschen am Sprechen
hindern wolle.

»Hallo«, rief Wyatt noch einmal, »mach dich bemerkbar,

Junge, ich will dir doch nur helfen!«

Da war ihm, als streife ein Gegenstand seine Schulter.

Instinktiv faßte er zu und erwischte einen Arm. Im Nachtasten
umfaßte seine Faust eine kräftige Hüfte.

Ein Mensch, der sich unter seinem Griff wand. Im gleichen

Augenblick fuhr ihm ein Stahl glühend heiß in die Schulter.
Wildes Keuchen begleitete seinen Schmerz. Fäuste schlugen
nach seinem Gesicht.

Nun wimmerten ängstlich zwei Kinderstimmen.
»Verdammter Bastard«, schrie Wyatt Earp wütend. Er schlug

mit den Fäusten in die Dunkelheit, bis er auf Widerstand stieß.

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Sein Angreifer löste sich, und er hörte ein Geräusch, als sei
jemand gefallen.

»Earp, wo steckst du?« kam es hohl, doch ungeduldig aus der

Brunnenröhre.

Wyatt Earp riß an der Stiefelsohle ein Zündholz an. Vor

seinen Füßen, lang ausgestreckt, lag eine Frau und rührte sich
nicht. Im Hintergrund drängten sich zwei verängstigte Kinder
mit entsetzten Augen an die Trümmer des Tunnels.

Earp sprach ruhig auf sie ein. Aber sie schrien unablässig, als

stünden sie unter einem Schock.

Huskins Kinder, dachte er, das können nur Huskins Kinder

sein. Er leuchtete die Decke ab, und ehe das Zündholz
verlöschte, sah er die Umrisse einer Bohlenluke, durch die man
nach oben kommen mußte. Er stemmte sich hoch und drückte
die Schulter kräftig gegen die Luke.

Er hörte von draußen dumpfe Flüche. »Wopper! Slop!«

schrie er wütend und rüttelte heftig an dem Holz, »irgendwo ist
hier ein Ausgang. Verdammt, packt endlich zu!«

Wopper und Slop schienen seinen Ruf zu hören, denn es

rumpelte eine Weile über ihm, als räumten sie Holzscheite
beiseite. Als Earp schließlich noch einmal alle Kraft
zusammennahm und sich gegen die Luke preßte, flog sie
zurück, und mattes Licht fiel herab in den Tunnel.

Earp schaute in die verblüfften Gesichter seiner Begleiter.
»Was bedeutet das?« fragte Wopper. Sein Gesicht drückte

maßlose Verwunderung aus.

»Ich habe Huskins Frau gefunden und seine Kinder. Helft

mir mal!«

Earp packte die reglose Gestalt der Frau und richtete sie auf.

Hilfreiche Hände zogen Abigail aus dem Stollen. Die Kinder
wehrten sich noch immer heftig. Aber nach fünf Minuten
standen auch sie im Freien.

Abigail Huskin war aufgewacht. Verstört starrte sie auf die

Fremden, die sie umstanden. Ängstlich riß die Frau ihre

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verarbeiteten Hände vor das Gesicht. »Nein«, stammelte sie
hilflos. »Nein, tötet mich nicht… Nein…«

»Sie ist vor Angst verrückt geworden«, sagte Wopper

erschüttert.

»Es ist der Schock. Vielleicht erholt sie sich wieder.«
»Es sind jetzt sechs Broncos auf dem Hügel«, fluchte Many

Slop, »wollt ihr auf den Rest warten?«

Ted Wopper hatte sich aufgerichtet. Er sah die Burschen auf

dem Hang Die Sonne umspielte ihre nackten dunklen Körper.
An ihren Lanzen wehte Federschmuck. Sie trugen geflochtene
Haarzöpfe und farbige Streifen im Gesicht. Aber auch ohne
diese Wahrnehmung wußte Wopper, die Apachen waren auf
dem Kriegspfad.

»Earp, du nimmst die Frau zu dir aufs Pferd. Slop und

Holten, jeder eines der Kinder«, bestimmte er. »Ihr reitet
schnurgerade auf den Kegelfelsen zu. Slim, John und ich
werden uns um die Bastarde kümmern.«

»Willst du sie angreifen? Vielleicht lauert hinter dem Hügel

die gesamte Brut«, fluchte Slop, nahm eines der Kinder auf den
Arm und schwang sich in den Sattel.

»Wenn es so wäre, hätten wir längst unseren Skalp

verloren«, grollte Wopper, »es ist ihre Nachhut. Der Teufel
mag wissen, für welchen Zweck sie zurückgeblieben sind.«

Er und John David hoben Abigail Huskin vor Earp in den

Sattel und bestiegen dann selbst ihre Pferde. »Reitet wie die
Teufel, Jungs, und kümmert euch nicht um uns. Los jetzt!«

Fast gleichzeitig setzten sie ihre Pferde in Bewegung.

Während Slop, Holten und Earp ihre Praints in östlicher
Richtung davonsprengen ließen, griffen Wopper und seine
Begleiter die Nachhut der Apachen an. Sie führten ihre Pferde
mit den Schenkeln und hielten ihre schweren Revolver in der
Faust. Trotz der beträchtlichen Entfernung eröffneten sie das
Feuer.

Die Apachen wandten sich sofort zur Flucht, verstreuten sich

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in verschiedene Richtungen. Dennoch erwischte Ted Wopper
einen der Teufel und skalpierte ihn.

»Es wird mir eine Genugtuung sein, seinen Skalp eine Weile

herumzutragen«, sagte Wopper, als er den Haarschopf ans
Sattelhorn hängte, »und ich hoffe, es werden einige
hinzukommen.«

Drohend blickte Wopper hinter den flüchtenden Apachen

her, die wie feige Kojoten, nicht eines Kriegers würdig, weit
auseinanderstrebend in südlicher Richtung flohen.

Irgendwo dort, erinnerte sich Ted Wopper, nahe dem

Whitewaiter, lag eine kleine Mormonen-Siedlung…

»Reiten wir nach Hause. Der Captain wartet auf unseren

Bericht«, bestimmte er und warf zornig seinen Braunen herum.

*

»Hey«, grüßte John Haggerty, als er das Krankenzimmer
betrat. Er sah das junge hübsche Ding mit den großen blauen
Augen am Krankenlager und dachte, es ist Mary Lynn, die sich
um Sam Critten kümmert. Ein offenes Gesicht, ein starker
Charakter, der den eigenen Schmerz, den Verlust ihrer Familie,
tapfer zu verbergen wußte.

Bleich, mit eingefallenen Zügen, lag Sam Critten im weißen

Linnen. Er versuchte den Oberkörper anzuheben, als er den
Freund erkannte, doch Mary Lynn drängte ihn behutsam, fast
zärtlich, wieder nieder.

»Sie dürfen sich nicht bewegen, Sam«, sagte sie leise, »der

Doc hat es Ihnen verboten. Vor allen Dingen dürfte Aufregung
Gift für Ihre Genesung sein.« Ein mißmutiger Blick ihrer
Augen traf den Fremden, der leise näher getreten war. »Wenn
er Ihr Freund ist, schonen Sie ihn mit Fragen und verschwinden
Sie.«

Gern, dachte John, aber es ging hier nicht um ein

Menschenleben, sondern um mehr, denn was er in den wenigen

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Minuten nach seiner Ankunft in Tombstone erfahren hatte, war
nicht gerade ermutigend. Marshal Marley war deshalb auch
gleich in Captain Freemans Camp geritten.

»Hallo, Junge«, sagte John ruhig. »Du machst mir Sorgen.

Da glaubte ich, dich sicher in den Bergen zu wissen – und nun
das hier… Du machst vielleicht Sachen.«

»Cochise –«, murmelte Sam Critten schwach.
»Ich weiß es bereits, Sam«, John zog sich einen Stuhl heran

und setzte sich ans Krankenlager, trotz Mary Lynns
abweisender Geste.

»Wollen Sie sich hier häuslich niederlassen, Mister?« rief

Mary Lynn mißmutig. Es lag echte Sorge um Sam in ihrer
Stimme.

John lächelte. »Nur solange es nötig ist, Miß«, erwiderte er.

Er beugte sich über den Verletzten.

»Der Häuptling hat uns aufs Kreuz gelegt, Sam. Und ich bin

wie ein Greenhorn darauf hereingefallen. Er kämpft nicht
gegen das Militär, weil er trotz seiner Stärke nicht mächtig
genug ist, sich mit der Armee einzulassen.«

Sam nickte schwach. »Er lockt unsere Blauröcke nach

Norden, um im Süden freie Jagdbahn zu haben. Sein Terror
richtet sich gegen die Siedler.«

»Er hat den Schwachpunkt im Besiedlungswesen des

Territoriums erkannt. Die ständig wachsende Siedlerzahl in
Arizona war Cochise schon immer ein Dorn im Auge. Mit
seinem mörderischen und brandschatzenden Sturmlauf durch
sein Land will er sich von dieser Geißel befreien. Seine
Grausamkeiten sind gezielt und haben nur einen Sinn, er hofft,
dadurch die Siedler zu erschrecken und zu vertreiben. Wir
müssen dieser Situation ins Auge schauen. Wie viele Krieger
sind Cochise aus den Bergen gefolgt?«

»Etwa achtzig«, beantwortete Critten mit schwacher Stimme

Johns Frage. Er dachte an den unerbittlichen Kampf mit den
vier Apachen, die ihm diese schreckliche Wunde beigebracht

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hatten, die ihn nun aufs Krankenlager zwang. »Weitere vierzig
Apachen stießen bei der versteckten Quelle am Fuße der
Mountains zu ihn.«

»Begleitet Victorio ihn?«
Sam Critten nickte kaum merklich. »Auch Nana und

Ulzana.«

»Also Chiricahuas und Mimbrenjos. Womöglich wird er

noch Verstärkung durch die Aravaipas bekommen.« John
dachte an Eskaminzin, dessen Sippen im Süden Arizonas
verwurzelt waren und als Freunde der Chiricahuas galten. Er
erkannte, daß Sam ziemlich erschöpft war.

»Es kommen bald Truppen aus Fort Thomas, Sam. Sie sind

als Schutz für die Stadt bestimmt. Wenn ich Cochise
aufgespürt habe, werden sie die Verfolgung aufnehmen.«

Sams Lippen zuckten, aber er brachte kein Wort heraus. John

verstand ihn auch so.

»Mach dir keine Gedanken um Colonel Higgins, Sam. Er

weiß, daß du General Howard unterstellt bist. Für deine eigene
Angelegenheit werden wir sicher eine Lösung finden.« John
erhob sich.

Er sah Mary Lynns erleichtertes Lächeln. »Sorgen Sie gut für

ihn, Miß. Sam ist ein prächtiger Junge.« Dabei übersah er Mary
Lynns Erröten, das ihm zeigte, wie es um sie stand. Er
verabschiedete sich.

Auf dem Flur hörte John eine erregte Frauenstimme, die aus

einem der Nebenzimmer kam. Als er an der offenstehenden
Tür vorbeischritt, beschäftigte sich der Doc mit einer Frau, die
mit verstörtem Blick reglos auf einem Stuhl saß. Einige Frauen
kümmerten sich um zwei kleine Kinder.

Das ist Mrs. Huskin, dachte er zornig, die Bestien haben ihr

Leben zerstört.

Er verließ das Haus, bestieg seinen Wallach und ritt die

Straße hoch zu Freemans Camp. Er mochte Freeman nicht, der
für seine Spontanität bekannt war. Aber was bedeuteten schon

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persönliche Gefühle, wenn es um Menschenleben ging?

Captain Freeman hatte eine stattliche Macht von weit über

hundertfünfzig kräftigen, kampferprobten Burschen in seinem
Frontier Bataillon vereint. Er stand auf der Plattform eines
Wagens und hielt eine feurige Rede.

»Wieder einmal ist der rote Teufel aus seinem Rattenloch

gekrochen. Und wieder einmal hallt sein Kriegsgeschrei durch
das Land. Das Blut unserer weißen Freunde tränkt die Erde.
Die Flüsse färben sich rot unter den Lanzen und Streitäxten der
Unmenschen. Ihr Blut schreit nach Rache. Wir werden
Cochises Herausforderung annehmen und die roten Teufel
durch das Land hetzen, bis der letzte Apache getötet ist…«

Wildes Hurrageschrei aus fast hundertfünfzig Kehlen folgte

seinem Aufruf, und einige schossen begeistert mit ihren
Karabinern in die Luft.

John lächelte verächtlich, während er sein Pferd zu dem

Schuppen lenkte, wo er den jungen Weggefährten weniger
Tage entdeckte. Ihre Begeisterung wird bei der ersten
Konfrontation eine kalte Dusche erhalten, dachte er, und sie
werden sehr nüchtern dem Tod in die Augen sehen.

Er erreichte den Schuppen und stieg vom Gaul.
Wyatt Earp maß ihn mit wütendem Blick, denn die

Erinnerung an ihre letzte Begegnung war noch nicht verblaßt.
»Daß Sie sich noch in meine Nähe trauen, Scout!« knurrte er,
und John sah, daß Earp ein offenes Holster trug.

»Wir ziehen am selben Strick, junger Freund«, sagte John

gelassen. »Sie sehen an der Entwicklung der Dinge, daß ich es
damals wirklich eilig hatte, ins Hauptquartier zu kommen. Ich
hoffe, Sie verzeihen mir den langen Fußweg nach Tombstone,
Wyatt.«

»Ich darf nicht daran denken, dann kommt mir das letzte

Essen hoch«, fluchte der junge Earp wütend.

»Aber Sie haben es überstanden«, meinte John lachend und

deutete auf die kleine Gruppe, die aufmerksam Freemans

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feurigen Reden folgte, »und leben nun in friedlicher
Koexistenz mit Chuck Dyamond und Konsorten. Mir scheint,
aus Gaunern werden Patrioten.«

Wyatt war Johns Blick gefolgt. Seine Miene verfinsterte sich.

»Dyamond hofft auf reiche Kriegsbeute, die der Captain den
Leuten verspricht, und sinnt auf eine Gelegenheit, mit mir
abzurechnen. Er behauptet, ich habe noch ein paar seiner
Freunde auf dem Gewissen. Darunter seinen besten Freund
Barabas.«

Barabas, erinnerte sich John, das war der Bursche, den der

verbrecherische Händler Sinclair mit seinem Donnerrohr
getötet hatte.

»Ich schätze Sie als cleveren Burschen ein, Wyatt, der ihnen

nie den Rücken zeigt«, sagte John lachend.

Freeman hatte seine Rede beendet, die Männer eilten zu

ihren Pferden. Captain Freeman stieg vom Wagen herunter und
näherte sich John, dessen Ankunft ihm nicht entgangen war.

»General Howards beste Spürnase«, sagte Freeman ironisch,

als er vor John stand. »Was könnte uns noch passieren? Sie
wittern Cochise, noch ehe wir seine Fährte sehen. Sie wollen
uns begleiten, Mr. Haggerty?« Freeman stemmte
herausfordernd die Fäuste in die Hüften. Sein Gesicht
offenbarte, wie wenig er den Scout mochte.

»Das kommt auf die Entwicklung an, Captain«, erwiderte

John ausweichend. Er betrachtete den rüden Haufen, den
Freeman für seine Armee gewonnen hatte. Satteltramps und
Strauchdiebe, die sich gewiß vor dem Gesetz verbergen
mußten. Hasadeure und Glücksspieler. Ein Haufen arbeitsloser
blutjunger Cowboys, die die Not zur Tugend machten. So war
Freeman auch im letzten Jahr ausgezogen und hatte von
Apachen eine blutige Abfuhr bezogen.

»Wir reiten zum Whiteriver«, erwiderte Freeman bestimmt,

»von Huskins Bonanza führt Cochises breite Spur in diese
Richtung zum Fluß. Also, wie steht's, Scout? Wollen Sie uns

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begleiten?«

Es schien John, als könnte Freeman einen guten Fährtenleser

brauchen. »Ich will es mir überlegen«, erwiderte er
ausweichend und wandte sein Pferd.

»Wyatt«, sagte er im Vorbeireiten zu dem jungen Burschen,

»wenn es zu brenzlig riecht, machen Sie sich rechtzeitig aus
dem Staub. Cochise ist gefährlich wie eine Sandviper.«

Er erreichte das Tor und trabte die Straße hinunter, um sich

in Tumbers Drugstore mit Vorräten einzudecken.

*

An einem trüben Abend erreichte der Jefe den träge fließenden
Fluß. Er spürte den aufkommenden Wüstensturm, der den
Himmel verdunkelte und mit gewaltigem Brausen die Gila
abwärts nach Süden zog. Er führte seine Kriegsmannschaft
zwischen hohem Mescal und der Mauer aus Organos, die den
wuchtigen Aufprall des Sturmes dämpfen sollten. Er befahl,
Pferden und Begleittieren Beinfesseln anzulegen, damit die
Tiere im Sturm nicht blindwütig davonrennen konnten.

Cochise bestimmte trotz des heranrückenden Unwetters zwei

Späher, den Flußlauf nach der fremden Ansiedlung
abzusuchen. Dann rief er seine Unterhäuptlinge.

Sie saßen lange schweigend im Kreise und lauschten

dröhnendem Lärm, der einem Tornado gleich die heißen
Winde des Blue Northern nach Süden trieb. Nichts schien sie
zu erregen, als der Sturm mit mächtigem Brausen über ihre
Häupter hinwegfegte, Staub und Sand wie Peitschenhiebe ihre
Körper trafen, und, Büsche und Bäume ausreißend, über den
Fluß zog.

Es waren die mächtigen Stimmen ihrer Götter, die sie

begleiteten, und sie wußten, daß sie den rechten Weg
beschritten. Als der Sturm nachließ, begann Cochise zu
sprechen.

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»Wir werden das Dorf niederbrennen, bis nur der schwarze

Staub übrig ist. Wir werden ihre Männer töten und ihre Weiber
und Kinder im Wasser des Whiteriver ertränken. Ich hoffe, ihre
Klageschreie werden in die Wickiups der Weißen eindringen
und sie erleuchten, daß dieses Land, von dem sie Besitz
ergriffen haben, Apachenland ist, das ihnen kein Glück,
sondern nur den Tod bringen wird.«

»How«, sagte Victorio und gab so seine Zustimmung.
Ulzana nickte nur.
»Der Tod der Siedler wird unseren ärgsten Feind aus

Tombstone auf den Plan rufen. Er wird uns jagen und zum
Kampf stellen wollen. Wir werden uns jagen lassen und auf
unsere Art kämpfen, denn in einer offenen Feldschlacht sind
wir dem Weißauge unterlegen.«

Cochise sah die fragenden Blicke seiner Unterhäuptlinge. Ein

scharfes Lächeln umspielte seinen Mund. »Wir werden ihre
Streitmacht zersplittern, indem wir unsere Gruppe teilen. Je
öfter dies geschieht, je schwächer wird unser Feind, denn Täler
und Berge, Sonne und Mond, Wüste und Sturm sind unsere
Verbündeten und Helfer.«

»How«, sagte Victorio noch einmal. »Es wird eine lange

Vendetta.«

Das ferne Brausen des Sturmes verstummte. Die grauen

Wolken zerflossen. Strahlend standen in dem Dunkel des
Zenits Mond und Sterne.

Um Mitternacht, sie saßen noch immer beim Palaver,

tauchten überraschend die beiden Späher auf. Ihre Nachrichten
ließen Cochise hoffen, und er bestimmte das Morgengrauen
zum Aufbruch.

Mit Sonnenaufgang fielen sie in zwei Wellen in die kleine

Ansiedlung am Whitewaiter ein. Die erste Welle riß die
schwachen Außenbarrikaden des Dorfes nieder, die zweite
Gruppe sprengte mit wildem Geheul durch die Straßen. Was
ihren Weg versperrte, machten ihre Keulen und Schlagbeile

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nieder.

Kein Widerstand wurde ihnen entgegengesetzt. Die kräftigen

Männer in dunklen langen Röcken und schwarzen steifen
Hüten schützten mit ihren Körpern ihre Frauen und Kinder und
gebrauchten nur ihre Fäuste, um Schaden von ihnen
abzuwenden. Ein Dutzend vor ihnen lagen erschlagen am
Wegrand, der Rest hatte im hohen Holzturm, ihrem Tempel,
Zuflucht gefunden und die breite Eingangstür mit starken
Pfosten und Bohlen verbarrikadiert.

Victorio, der, die blutige Lanze schwingend, an Cochises

Seite, vorbei an brennenden Hütten und Häusern ritt, schrie
enttäuscht: »Was sind das für Hellaugen, Jefe? Sie nehmen ihre
Fäuste als Waffen und sind feige wie Kojoten. Sie laufen wie
die Hasen. Haben sie das Kämpfen verlernt?«

Der Häuptling war enttäuscht, denn nichts wertete den Sieg

des Apachen höher auf, als daß er erbittert darum kämpfen
mußte. Aber dies war ein Stall mit aufgescheuchten Hühnern,
die ihre Brut zu schützen suchten. Kein Apache würde diesen
Kampf als Ruhmestat am Lagerfeuer besingen. Ein Sieg über
Feiglinge zählte nicht.

»Zündet ihre Häuser an und ihren Tempel«, befahl Cochise

mit heiserer Stimme, und ein verächtlicher Blick streifte die
getöteten Menschen auf der Straße, die sich einfach
niedermetzeln ließen, ohne daß sie ihren Feinden mit der Waffe
entgegentraten und sich wehrten.

Während Victorio und ein halbes Dutzend Krieger, mit

Fackeln bewaffnet, den Fahrweg zur Mormonen-Kapelle
hochsprengten, jagte Cochise zornig am Ufer des Whitewaiters
entlang zum nahen Hügel.

Er hatte gegen Lämmer gekämpft. Das traf einen stolzen

Apachen und versetzte ihn in Zorn.

Unvermutet tauchte aus dem filzigen Gesträuch, das den

Hügel bedeckte, ein Reiter auf. Groß und stark, mit hartem
Gesicht und klaren Augen.

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Mit wilder Bewegung riß Cochise seinen Bronco zurück, und

seine Hand fuhr zur Keule am Gürtel. Als er erkannte, daß der
Mann keine Waffe in der Faust trug, zog auch er die Hand
zurück.

»Der Falke«, rief er sichtlich überrascht.
John Haggerty, der den plötzlichen Angriff der Chiricahuas

aus einem Versteck erleben mußte, deutete zornig zum
Mormonen-Dorf, dessen Schindeldächer der rote Hahn
beleckte, und auch an den Kirchenwänden züngelten Flammen
hoch.

»Warum tust du das?« fragte Haggerty zornig. »Es sind

redliche Bauern, die in Eintracht mit ihrem Gott leben und
Gewalt nicht kennen. Sie wären bereit, die Früchte ihrer Arbeit
mit den Apachen zu teilen. Weshalb also schickst du ihnen den
grausamen Feuertod?«

Cochise warf stolz den Kopf in den Nacken. Sein Blick

streifte kühn den Falken. »Sie sind Weißaugen, die mit ihren
Karawanen unser Land überschwemmen und den Apachen den
Raum zum Leben nehmen. Wir haben sie nicht gerufen. Sie
haben einfach von unserem Land Besitz ergriffen. Zastee, wir
werden sie alle töten!«

John Haggerty blickte an dem Jefe vorbei. Seine wilde Horde

sprengte mit hellem Geheul um die kleine Kapelle der
Mormonen herum, die wie eine Brandfackel in den Himmel
wuchs. Er dachte an die Qual, die diese Menschen erleiden
mußten. Frauen, Kinder, Männer, nichts wurde in diesem
grausamen Krieg verschont. Sein Herz krampfte sich
zusammen, weil er hilflos die Schrecken mit ansehen mußte,
ohne den Menschen helfen zu können.

Wie weit war General Howard doch von seiner Mission

entfernt, Frieden zwischen den weißen und roten Völkern zu
stiften.

Krachend brach das Gebälk von Hütten und Scheunen

zusammen. Die Horde sprengte nun aus der verwüsteten Oase

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hinunter zum Fluß und schwenkte zum Hügel ein, auf dem sie
ihren Kriegshäuptling entdeckten.

»Du solltest fliehen, Falke«, sprach Cochise mahnend.

»Victorio wird dich töten.«

Aber John verharrte stumm im Sattel. Er sah unbewegt, wie

der brennende Turm der Kapelle funkenstiebend zusammenfiel
und vereinzelte Menschen als brennende Fackeln aus dem
geborstenen Portal zum Fluß hinunterstürzten. Und er sah, wie
Victorio und seine Mimbrenjos ihre Pferde herumrissen, und
diese hilflosen Leute aufs neue attackierten, bis das klare
Wasser des Whitewaiters sich rot zu färben begann.

»Bist du stolz auf deinen Sieg, Jefe?« fragte Haggerty und

musterte den Jefe düster.

Cochise spie verächtlich in den Staub der Mesa. »Sie sind

Ungeziefer, das man vernichten muß. Die Apachen haben sie
nicht gerufen. Verschwinde endlich, Weißauge.«

Die Horde bewegte sich nun endgültig den Hügel hinauf. Sie

schwenkten langhaarige Skalps in den Fäusten und schleppten
wertloses Beutegut mit. Von der anderen Seite führte eine
kleinere Gruppe einige Maultiere heran, und John wußte, daß
auch diese Tiere den Tag nicht überstehen würden und bald als
Siegesschmaus am Spieß über dem Feuer der Apachen hängen
würden.

Nun, auf kürzere Distanz, erkannte Victorio seinen Feind. Er

senkte die blutbefleckte Lanze, die er bisher als Siegeszeichen
über dem Kopf geschwungen hatte, faßte den Schaft fester und
stürmte mit infernalischem Geheul heran.

Cochises Blick streifte den Falken. Schweigend hob er die

Schultern. Er hatte keinen Einfluß mehr auf die Geschehnisse,
die unausweichlich kamen.

*

Der Scout sah den wilden, leidenschaftlichen Blick Victorios.

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Fast reglos saß er im Sattel, so, als erwarte er den Todesstoß.
Als der Mimbrenjo ihn fast erreicht hatte, stieß er dem Wallach
den Stiefelsporn in die Flanke, worauf das Tier mit einem Satz
zur Seite auswich.

Victorios gezielter Lanzenstoß fuhr ins Leere. Doch Johns

Fäuste flogen schon. Sie erwischten den vorderen Teil des
Lanzenschaftes. Kraftvoll stemmte John den Körper hoch, und
für den Bruchteil einer Sekunde hing Victorio frei in der Luft.
Ungestüm jagte sein Bronco davon.

Ein wilder Aufschrei tiefster Enttäuschung wehte über die

Plains, als Victorio nun zu Boden stürzte. John schleuderte die
Lanze Cochise vor die Füße, fuhr behend aus dem Sattel, und
als der Mimbrenjo taumelnd auf die Beine kam, schlug er
kräftig zu. Zwei-, dreimal fuhren seine Fäuste in Victorios
buntgestreifte Visage und in den nackten Leib. Grenzenloser
Zorn hatte den Scout ergriffen. Er dachte an die armen
Menschen dort unten, deren Leben erloschen war, und an die
Sinnlosigkeit, mit der sie gestorben waren.

Victorio ging abermals zu Boden. Aber er war stark und

schnell wie ein junger Puma. Er rollte seitwärts aus, federte
hoch, und in der Faust blitzte sein Jagdmesser. Ein weiter Kreis
hatte sich um die Kämpfenden gebildet, und John wußte,
diesen Wall konnte er nur durchbrechen, wenn er Victorio
besiegte.

Und plötzlich kämpfte John um sein Leben. Er griff zum

Messer. Der Mimbrenjo sprang wie ein von der Sehne
schnellender Pfeil durch die Luft. Seine Beine waren
gegrätscht, das Messer glänzte in der Sonne. Blitzschnell
zuckte die Klinge nieder, prallte mit schrillem Diskant an Johns
breitem Bowie ab. Seine Stiefel zuckten vor, trafen mit
empfindlicher Härte Johns Brustkorb und brachten den
kräftigen Mann zu Fall. Instinktiv schnellten Johns Hände vor,
als er den Aufprall von Victorios Körper spürte, der nun
rittlings auf ihm saß und versuchte, die Schneide seines

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Jagdmessers dem verhaßten Falken in die Kehle zu stoßen.

John erwischte Old Vics kräftiges Handgelenk. Ein

Aufbäumen seines Körpers, zugleich eine überraschende
Drehung, lockerte Victorios Beinklammer.
Aneinandergeklammert, jeder seinen Vorteil suchend, rollten
sie den Hang hinunter. Die Mauer aus Reitern wich den
Kämpfenden aus, um ihnen den nötigen Spielraum zu lassen
und sie nicht zu behindern.

Mit unbeweglicher Miene verfolgte Cochise die tödliche

Auseinandersetzung, und er dachte, Victorio wird das einzige
Hellauge töten, dem er einmal Vertrauen geschenkt hatte.

Ein Knäuel, Arme und Beine in ständiger Bewegung, so

suchten die verbissen streitenden Männer den Kampf für sich
zu entscheiden. Mal gelang es John, leichte Vorteile zu
erringen, mal war es der Mimbrenjo, dessen wildes Geheul das
einzige war, was die Stille unterbrach.

Sie erreichten das flache Ufer des Whitewaiter Rivers,

tauchten ins dahinfließende Wasser, das unter ihren Schlägen
aufspritzte. Längst waren ihre Waffen den Fäusten entglitten.
Sie suchten die Entscheidung in der Muskelkraft ihrer Körper.

Auf und ab wogte die tödliche Auseinandersetzung. Mitunter

waren sie unter der Wasseroberfläche verschwunden. Nur der
weiße hochpeitschende Gischtschaum des Wassers ließ
erkennen, daß die Entscheidung noch nicht gefallen war.

Ulzana trieb sein Pony an Cochises Seite. Stumm deutete er

nach Osten, wo in der Mesa eine mächtige braune Staubfackel
stand.

Der Jefe nickte schweigend und folgte, reglos auf dem

gescheckten Pony sitzend, der Auseinandersetzung im Creek.

Die Bewegungen der Kämpfer waren müde geworden, ihre

Kraft schien zu erlahmen. John Haggerty stand taumelnd in den
Fluten. Mit verzweifelten, schwerfällig gewordenen
Bewegungen drückte er Victorios Körper unter Wasser, bis
dessen wilde Bewegungen allmählich nachließen.

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Nun, da der Kampf zu Ende war, zerrte John die schlaffe

Gestalt des Häuptlings ans seichte Ufer, packte dessen
Wüstenstiefel und schleifte die leblose Gestalt den Hügel
hinauf, in den stummen Kreis zurückweichender Apachen.

Keuchend, aus mehreren Stichwunden blutend, ließ John den

geschlagenen Gegner vor Cochise in den Sand fallen.

Der Häuptling blickte starr auf die reglose Gestalt. Keinen

seiner Gedanken verratend, schaute er in Victorios Gesicht und
sagte ungerührt: »Er ist dein Feind, Falke, warum tötest du ihn
nicht?«

Dies waren ungeschriebene Gesetze der Apachen, der

Comanchen, der Kiowas, und John wußte, wenn er Victorios
Lanze aufnähme und damit den Körper des Häuptlings
durchbohrte, würde der Kreis der Krieger sich öffnen und der
Weg war frei.

Niemand würde ihn daran hindern zu gehen.
»Sein Leben für dein Wort, Cochise. Für dein Wort, daß du

in deine Bergfestung zurückkehrst und auf ein Zeichen des
Generals wartest. Er ist noch immer bereit, über die
Friedensbedingungen unserer Völker zu verhandeln«, sagte
Haggerty hart.

Der Jefe saß reglos auf seinem Bronco. Er dachte an die

dunkle Staubwolke, die durch die Mesa zog, und wußte, dort
kam sein ärgster Feind aus Tombstone. Der Mann, dessen Haß
unsagbares Leid in ihre Dörfer getragen hatte. Er, Cochise,
hatte Freeman herausgefordert, der Captain hatte diese
Herausforderung angenommen.

Er würde ihm blindwütig folgen.
»Ein Apache wird dir nie für sein Leben danken, Falke.

Victorio wird dich bei der nächsten Gelegenheit töten, weil du
sein Selbstbewußtsein und seinen Stolz getroffen hast. Das
vergißt er dir nie.«

»Ich will es trotzdem darauf ankommen lassen, Häuptling.«

John hob stolz den Kopf in den Nacken.

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»So soll es denn sein«, erwiderte Cochise listig und

verschlagen, so wie er es von seinen Ahnen ererbt hatte. Er
würde in die Dragoons zurückkehren und eine Spur
hinterlassen, die Freemans wilde Reiter nicht übersehen
konnten. »Du hast mein Wort, Falke.«

Cochise hob den Arm und gab einige Zeichen. Ulzana trat

neben den Bewußtlosen Victorio, einer der Krieger führte
dessen Pony heran. Gemeinsam legten sie den Bewußtlosen
über den Pferderücken. Ulzana schwang sich auf seinen Gaul
und erfaßte die Zügel des Gescheckten.

Die Krieger formierten sich und sprengten in nordöstlicher

Richtung davonjagten durch das Hügelland zu den fernen
dunklen Schatten des Bergmassivs am Horizont, den Dragoon
Mountains.

Erst nun, da die Reiter in einer Staubwolke verschwunden

waren, spürte Haggerty aufkommende Schwäche. Feurige
Kreise tanzten vor seinen Augen, taumelnd sank er zu Boden.
Einen Augenblick lang dachte John hoffnungsvoll, daß sich
vielleicht die Dinge doch noch zum Guten wenden konnten.
Dann wurde es dunkel um ihn.

*

Als John Haggerty die Augen aufschlug, sah er Freemans
verwaschene Uniform und hörte vom niedergebrannten Dorf
erregte Rufe. Dem Stand der Sonne nach mußte er mindestens
drei Stunden ohne Bewußtsein im Gras gelegen haben.

Freeman flößte John einige Tropfen lauwarmen Wassers ein,

die den Scout endgültig in die Gegenwart zurückbrachten.

John versuchte sich aufzurichten, doch Freeman meinte:

»Bleiben Sie liegen, Mister Haggerty. Ich weiß, daß wir zu spät
gekommen sind. Die Satansbrut wird uns nicht entwischen.
Meine Späher sind ihnen schon auf den Fersen. Wir wollen nur
das, was von den armen Leuten geblieben ist, nach Christenart

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begraben, dann brechen wir auf.«

Captain Freeman erhob sich. Er blickte drohend nach

Nordosten und bestieg sein Pferd, um ins zerstörte Dorf
hinunterzureiten.

John lag mit geschlossenen Augen und zerschundenem

Körper auf dem Rücken. Er dachte an Cochises Wort und
fühlte das trockene Blut am Leder seines Chaparajos, das bei
seinem Kampfe mit Victorio in Fetzen gegangen war. Freeman
hatte ihn verarztet.

Er hoffte, Cochise würde sein Wort halten und in die Berge

zurückkehren. Die Dragoon Mountains waren ja die einzige
sichere Zuflucht der Apachen geblieben. Wie aber würde der
Jefe reagieren, wenn er bemerkte, daß ihn die Miliz aus
Tombstone auf den Fersen saß, Cochises Todfeinde?

Nur langsam spürte John Haggerty, wie die alte Spannkraft

in seinen Körper zurückkehrte. Als der Captain mit seinem
mächtigen Milizheer den Hügel hochtrabte, stand John
wankend auf den Beinen. Auf den ersten Blick erkannte
Haggerty, daß die Abteilung mit Waffen vorzüglich ausgerüstet
war. Vorräte und Munition auf den Packpferden ließen ihn
erkennen, daß Freeman sich für die lange Jagd gewissenhaft
vorbereitet hatte.

Als nun die Gruppe herankam und Freeman Johns Wallach

mitführte, sah John ein Dutzend bekannter Gesichter aus
Tombstone. Doch das Gros seiner Mannschaft war ihm fremd.

»Steigen Sie auf, Mr. Haggerty«, sagte Freeman und warf

John die Zügel zu. »Es ist vielleicht besser, wenn Sie mich
begleiten. Was meinen Sie?«

John nickte schweigend. Der Kampf mit Victorio saß ihm

noch in den Knochen. Schwerfällig stieg er in die Bügel.

Sie ritten eine Weile auf der breiten Fährte, die Cochise

hinterlassen hatte, ehe John sich Captain Freeman zuwandte. Er
berichtete von seiner Begegnung mit Cochise und dem
Zweikampf, den Victorio ihn aufgezwungen hatte. Freeman

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blickte erstaunt auf den Sprecher, als John erwähnte, daß er
Victorios Leben geschont hatte, um Cochise seine Bereitschaft
zu Verhandlungen zu demonstrieren.

»Sie sind ein Narr, Haggerty«, erwiderte Freeman unmutig,

»Sie kennen die ungeschriebenen Gesetze der Apachen.
Cochise hätte Ihnen die Freiheit geschenkt, auch wenn Sie den
Mimbrenjo-Häuptling getötet hätten. Cochises Wort ist das
Wort eines Kojoten. Er hält sich niemals an sein Versprechen.«

»Die Apachen ziehen in ihre Festung«, bemerkte John.
»Wohin sie auch ziehen, wir werden das Gesindel erwischen

und so behandeln, wie sie es mit den armen Leuten im Dorf
getan haben.«

John lächelte schwach. Er konnte Freemans Zorn verstehen.

Aber wenn Cochise erst in die Dragoons eingedrungen war,
gab es niemand, der die Chiricahuas und Mimbrenjos
aufspüren konnte. Die Dragoon und die Chiricahua Mountains
waren ihre Heimat. Die letzte Bastion, die sie beherrschten.

John schwieg. Aber er spürte, daß Freeman das Jagdfieber

gepackt hatte, denn Freeman forcierte das Tempo.

Als die Nacht anbrach, waren sie kaum zwölf Meilen vom

Mormonen-Dorf entfernt. Auch seine ausgesandten Späher
waren noch nicht zurück.

»Die Jungs bleiben am Ball«, meinte der Captain

zuversichtlich und wählte einen geschützten Talkessel als
Nachtlager.

Die Nähe der Apachen machte den alten Armeefuchs

vorsichtig. Er ließ gleich vier Doppelposten aufziehen, die
stündlich abgelöst wurden. Feuer vermied er, um den Standort
seiner Truppe nicht zu verraten, Mit den ersten Sonnenstrahlen,
die über die mächtigen Peaks der Dragoon Mountains ins Tal
fielen, saßen sie bereits wieder im Sattel.

Gegen Mittag sah John einige kreisende Geier am Himmel,

und einer Ahnung folgend, trieb er sein Pferd in ihre Richtung.
Auch Freeman hatte die dunklen Schatten bemerkt.

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»Folgen«, rief er seinen Leuten zu und sprengte hinter dem

Scout her.

Nachdem sie drei Hügel überschritten hatten, erreichte

Freeman Haggerty, der vom Pferd gestiegen war und den
Stetson in der Faust drehte. Er hatte Freemans ausgesandte
Späher gefunden.

Freeman galt als hartgesottener Mann, der Höhen und Tiefen

eines Krieges kannte. Doch er schauderte, als er die nackten,
gepflockten Männer seiner Vorhut wiedererkannte, die, von
einem halben Dutzend Lanzenstichen und Pfeilen durchbohrt,
ermordet im Sand lagen. Auf ihren Leibern brannte noch das
Feuer aus glimmendem Hanf. Die Haarschöpfe hatte man den
Toten vom Kopf gerissen. Sie hingen an den Schäften der
Lanzen, die Cochise als mahnende Zeichen in die Erde
gestoßen hatte.

»Glauben Sie noch immer daran, daß Cochise den Frieden

will, Mr. Haggerty?« stieß der Captain hervor.

John schwieg. Er begann das Feuer zu löschen und schnitt

die Lederbänder von den Gelenken der Toten. Er legte sie dicht
nebeneinander, löste den Klappspaten vom Sattel und begann,
die entstellten Körper mit Sand zu bedecken. Als das Gros der
Truppe eintraf, legte er gerade grobe Steinbrocken auf den
Sandhügel.

»Ich will ihnen den Anblick ersparen, Captain«, sagte John

und schwang sich auf seinen Wallach.

Freeman nickte und murmelte ein Dankeschön.
»Sie sollten seine Warnung ernst nehmen und umkehren,

Captain Freeman. Cochise will nicht den Kampf, sondern
freien Abzug in die Berge.« Und er dachte, daß Cochises
Grausamkeiten genügend Wirbel machten, daß die Regierung
sicher bereit war, ihm mehr Zugeständnisse zu machen.
Vielleicht war dies auch der Zweck seines Raubzuges.

Freeman stieg steil im Sattel hoch. »Sie vergessen die Leute

auf Lynns Farm, die Toten auf Huskins Bonanza und die

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Mormonen-Siedler am Fluß. Glauben Sie, ich könnte meine
Leute zur Umkehr bewegen?«

John blickte den Hügel hoch, wo sich Freemans Frontier

Bataillon drängte. In ihren Gesichtern las er, daß sie ahnten,
was mit der Patrouille geschehen war. Es waren kalte, wilde
und verschlagene Gesichter. Raufbolde, Abenteurer, Halunken
und Revolverhelden, und es wunderte John, woher Freeman die
Stärke nahm, diesen Dreckshaufen zusammenzuhalten.

»Sie sind gewarnt, Captain Freeman«, sagte er hart und

wandte sein Pferd.

Noch immer glaubte er an Cochises gegebenes Wort. Er

folgte seiner Spur bis zum Mittag, dann teilte sich die Fährte.
Die Rothäute waren in zwei Gruppen weitergeritten.
Unübersehbar selbst für ein unterfahrenes Auge.

Eine Gruppe Apachen ritt in der gleichen Richtung wie am

Vortag, die zweite Gruppe hatte sich nach Norden gewandt, wo
irgendwo im zerklüfteten Felsland der Pedro River floß. Ein
wilder, undurchsichtiger Landstrich.

John wurde mißtrauisch. Er konnte nicht glauben, daß

Cochise seine Streitmacht ohne Grund in zwei Gruppen
aufteilte. Irgendeinen Grund gab es dafür, denn Cochise
schwächte nicht aus einer Laune heraus seine Kampfstärke.

Er blickte den Weg zurück.
Freemans Bataillon war keine zwei Meilen entfernt. Er sah

die Staubwolke, die seine Truppe hinterließ. John beschloß zu
warten, denn er war plötzlich selbst unsicher geworden über
Cochises wahre Absichten.

Captain Freeman ritt seiner Truppe weit voraus. Als er den

wartenden Scout entdeckte, spornte er sein Pferd an und trabte
näher.

Er zügelte seinen Gaul. John deutete auf die Spur, die

schnurgerade nach Norden führte. Vergeblich hatte er versucht,
sich mit Cochises Gedanken vertraut zu machen.

»Was halten Sie davon, Sir«, fragte er mißtrauisch.

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»Es sieht nach Flucht aus«, antwortete Freeman im Brustton

tiefster Überzeugung. »Die zweite Fährte hat Cochise gelegt,
um uns zu verwirren.«

»Könnte sie nicht auch in einen Hinterhalt führen? Könnte es

nicht sein, daß Cochise hofft, daß Sie Ihre Miliz teilen?«

»Er hat seine Streitmacht auch geteilt. Warum sollte ich es

nicht ebenfalls tun? Wir sind ihnen in jedem Fall überlegen.«
Freeman wandte sich im Sattel um und rief seinen Adjudanten
Wopper.

»Sie nehmen vierzig Reiter, Mr. Wopper, und folgen der

Spur nach Norden«, und er fügte hinzu, noch immer von seiner
Strategie überzeugt: »Irgendwann werden wir wieder
aufeinanderstoßen.«

Während Wopper seine Abteilung aus der Formation

schwenkte, sagte Freeman lächelnd: »Sie können sich
entscheiden, Mr. Haggerty. Nach Norden oder Osten? Beide
Wege führen zum Ziel.«

John deutete nach kurzer Überlegung nach Osten. Die

Dragoons standen klar in der Sonne. Man konnte die
schneebedeckten Gipfel der Peaks erkennen. Dort lag Cochises
Sicherheit. Seine Bergfestung. »Ich wähle diesen Weg.«

»All right, Mr. Haggerty.«
Wopper und seine Gruppe zogen bereits in nördlicher

Richtung davon.

Stunden vergingen in ermüdender Eintönigkeit. Aber John

bemerkte am Alter der Spuren, daß Cochise es mächtig eilig zu
haben schien, daß er ein atemberaubendes Tempo
eingeschlagen hatte, daß er bereits einen Vorsprung von sechs
Stunden haben mußte.

Auf seine Bemerkung hin lachte Freeman zufrieden. »Er hat

Angst. Das ist alles. Aber wir erwischen den Teufel noch,
darauf können Sie sich verlassen.«

Die Nacht zwang sie zum Biwak, und es zeigten sich erste

Entbehrungen eines strapaziösen Marsches. Einzelne dieser

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zusammengewürfelten Gesellschaft meuterten und schlossen
sich zu Gruppen zusammen, um Freeman den Gehorsam zu
verweigern.

Doch Freeman, die Mehrzahl seiner Leute im Rücken, stellte

die Meuterer vor die Alternative weiterzumachen, oder in der
Wüste zu krepieren. Als Demonstration seiner Stärke ließ er
seine Männer mit geladenen Karabinern Aufstellung, nehmen.
Ein Druckmittel, das Erfolg zeigte, und John, der dies alles
miterleben mußte, dachte, Freemans Frontier Bataillon ist nach
außen hin ein Machtkomplex, doch innen faul wie ein
morscher Baum.

Zwei Stunden nach Sonnenaufgang wechselte plötzlich die

Fährte der Apachen. In einem Winkel von neunzig Grad führte
sie nun nach Westen, und John Haggerty sah seinen Verdacht
bestätigt.

»Sie haben sechs Stunden Vorsprung, Captain Freeman«,

sagte John, von düsteren Ahnungen befallen, und deutete zu
dem fernen flachen Gebirgszug am San Pedro River hin, »die
Zeit reichte Cochise, um sich mit der zweiten Gruppe zu
vereinen.«

John sah, daß Freeman sich verfärbte und nach Worten

suchte. Doch dann war er wieder der alte. »Dann werden wir
das Tempo eben forcieren und Wopper zu Hilfe eilen. Soweit
dies überhaupt nötig ist.«

John schwieg. Ihre Pferde waren von der Nachtruhe frisch.

Aber er bezweifelte, daß Freemans Truppe rechtzeitig ihr Ziel
erreichen konnte.

Freeman selbst lief blindlings wie ein Huhn in Cochises

Hinterhalt. Er erinnerte sich der Truppen aus dem
Hauptquartier in Tubac, die Fort Buchanan entsetzen sollten
und nun wohl auf dem Wege nach Fort Thomas sein mußten
und irgendwo zwischen den Ausläufern der Dragoons ritten.

Er wandte sich an Captain Freeman. »Unsere Wege werden

sich trennen, Captain«, sagte er ruhig, worauf Freeman sehr

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ungehalten reagierte.

»Wollen Sie desertieren, Mr. Haggerty?« Aber dann lachte er

zynisch. »Wir brauchen nicht General Howards besten Scout.
Wir finden unseren Weg allein.«

Freemans Befehle hallten in den jungen Tag, als John seinen

Wallach herumzog und in östlicher Richtung durch die Mesa
sprengte.

*

Sie lagerten im Canyon, der in vielen Windungen die San
Pedro-Kette durchzog. Fast senkrecht ragten die Steilhänge in
den blauen Zenit, und Wopper war berechtigter Hoffnung, die
flüchtenden Apachen vor dem Pedro River zu stellen.

Während Wopper die Wachen einteilte und ihnen schärfste

Wachsamkeit einflößte, stand Wyatt Earp, der zu diesem
Kommando gewählt wurde, Chuck Dyamond gegenüber.

»Gehen wir spazieren, Earp«, sagte der Halunke grinsend,

und sein mächtiger Revolver bedrohte den jungen Mann,
»hinter der nächsten Felsnase warten ein paar ungeduldige
Freunde, die unseren gemeinsamen Ärger endlich beenden
wollen.«

Earps Hand fuhr reaktionsschnell zur Hüfte, aber Dyamond

stieß ihm hart die Revolvermündung in den Leib und drohte:
»Noch solch eine Dummheit und ich schieße dir eine Kugel in
die Därme. Wopper werde ich erklären, daß ich dich erwischt
habe, als du verduften wolltest. Feigheit vor dem Feinde oder
Fahnenflucht. Du kennst diese Sprüche. Das wird Wopper
imponieren«, dabei hob Dyamond den Colt und bedeutete ihm,
zu gehen.

Earp preßte die Lippen aufeinander und schritt stumm vor

seinem Henker her, denn ihm war klar, was ihn hinter der
Felsbiegung erwartete.

»Ich weiß nicht, warum du so wild bist, mich zu erschießen,

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Dyamond. Die Sache mit deinem Freund in Tucson war eine
faire Angelegenheit. Du hast es selbst erlebt. Ich hatte keine
Wahl. Du weißt es genau.«

»Es geht nicht allein um Sullivan, Earp«, klärte der Gauner

Wyatt zynisch auf, »du hast vor drei Monaten meine beiden
besten Freunde Barabas und Juncton erschossen, als sie dem
verdammten Pedler auflauerten. Barabas war Swatters Bruder.
Er bestimmt, wie du ins Jenseits segelst.«

Nach wenigen Schritten erreichten sie den Vorsprung, der

vom Lager nicht einzusehen war. Fahles Mondlicht erhellte die
Fläche. Swatter und seine Kumpane standen abwartend im
Schatten des Felsens.

»Man wird mich morgen vermissen«, sagte Wyatt. Er suchte

einen Ausweg aus der Situation, doch Swatter, Greene und
Lomes traten aus dem Schatten und versperrten ihm den
Rückweg.

Er sah Dyamonds breites Grinsen und hörte seine Worte.

»Wopper wird niemanden vermissen, Earp, denn die Nacht
wird uns manchen Ärger bringen. Ich habe eine Nase für rote
Haut. Und hier stinkt es mächtig. Wir werden die Sache mit dir
bereinigen und dann verduften. Ich möchte nicht, daß mein
Kopf als Trophäe auf der Lanzenspitze eines stinkenden
Apachen steckt. Ben, der Bursche gehört dir.«

Trotz des fahlen Lichtes sah Wyatt die breite Klinge in

Swatters Faust, die, von einem kraftvollen Hieb geführt, in der
Lage war, ihm ohne weiteres den Schädel zu spalten.

Swatter trat zwei Schritte vor.
Wyatt rief: »Verdammt, Swatter, ich kenne deinen Bruder

nicht. Ich kam direkt von Norden nach Tucson geritten und
hatte zwischendurch keinerlei Ärger. Der letzte Mann, den ich
erschoß, lebte in Suprior. Und das liegt ein halbes Jahr
zurück.«

»Jeder Mensch hat das Recht zu lügen«, lachte Swatter. Er

stand nun einen Schritt vor Earp. »In Anbetracht deiner

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Situation sei dir dies gestattet.«

Von irgendwoher drang der Ruf einer Bergammer, der

abgehackte Ruf eines Bus antwortete.

Dyamond zog unmutig den Kopf ein.
Er roch förmlich den kalten Schweiß der roten Bastarde.

»Warum hältst du so viel Reden? Es wird Zeit, daß wir
verschwinden.«

In seine Worte hinein hörte er das helle Surren eines Pfeiles.

Swatter stand seltsam starr auf der Stelle. Aus seiner Kehle
ragte der kurze Schaft eines Apachen-Pfeiles.

»Verdammt«, schrie Dyamond erschreckt, als Swatter, ohne

ein Wort zu sagen, umkippte. Blitzschnell warf er sich nieder.
Da stürzten auch Green und Lomes, vom lautlosen Tod
getroffen, zu Boden.

Mit einem gewaltigen Satz rannte Wyatt Chuck Dyamond

an, ruckte wie eine Feder hoch, stieß ihm die Stiefelsohlen ins
Gesicht und jagte hinter dem Fels hervor.

»Überfall«, schrie er mit sich überschlagender Stimme,

»Wopper, die Schlucht steckt voller Apachen!«

Ein Pfeilhagel zuckte hernieder. Earp warf sich zu Boden,

rollte zwischen lockeres Geröll.

Die Männer im Lager fuhren schlaftrunken aus ihren

Decken. Überall in den Steilwänden blitzte es auf. Die
Abschüsse von Karabinern rollten dumpf wie das Echo von
Haubitzen durch den Arroyo.

Aus der Dunkelheit sprangen Schatten, bewegten sich

wieselflink zwischen den Felsen, glitten behend über den
glatten Stein des Arroyos.

»Zastee«, der wilde Schrei vielstimmiger Kehlen brandete

auf, wuchs zum Donnerhall, dessen Echo an den Felswänden
hochstieg und in der Ewigkeit verhallte.

Zastee… Das Kämpfen war ihnen angeboren, und sie

beherrschten dieses Handwerk meisterhaft. Keulen und
Kriegslanzen fuhren erbarmungslos auf die Männer nieder, die

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nicht begriffen, was ihnen geschah, sondern tot waren, ehe sie
den Gegner erkannten.

Zastee…, die Wildheit eines kriegerischen Volksstammes

kam zur vollen Entfaltung und offenbarte die Grausamkeit
einer unterdrückten Rasse.

Mein Gott, dachte Wyatt Earp entsetzt, der das blutige

Kriegshandwerk der Apachen zum ersten Male aus nächster
Nähe erlebte. Er grub seinen Körper ins Geröll, bis es ihn
verdeckte.

Er sah nichts. Aber er hörte ihr wildes Gebrüll und die

Todesschreie sterbender Menschen. Als ihr Klagelied verebbte
und plötzliche Stille eintrat, ahnte Wyatt, daß Freemans Legion
bis auf den letzten Mann niedergemacht worden war.

Es erschien Wyatt, als hätte sich das ganze grausame

Geschehen Stunden hingezogen, dabei waren es nur Minuten,
die das Schicksal von Wopper und seiner Mannschaft
bestimmten.

In der Nähe klangen Stimmen auf.
Wyatt wagte nicht zu atmen, als irgend jemand sagte: »Du

bist zur rechten Zeit gekommen, Jefe, um das Sterben unserer
Feinde zu erleben.«

Worauf die zweite Stimme antwortete: »Es war nur ein

Anfang, Victorio. Der Blaurock aus Tombstone hat die Fährte
gewechselt. Er läuft blind wie der Bü am Tage in die Falle. Wir
können ihn bei Sonnenaufgang erwarten. Legt die toten
Weißaugen unter ihre Decken, damit es aussieht, als ob sie
schlafen.«

Wyatt hörte dumpfes Stimmengemurmel, das sich entfernte.

Noch immer wagte er nicht, sich zu rühren. Das
Niedergemetzel war wie ein übler Traum, der ihn in den Felsen
bannte und ihm seinen Mut nahm.

Aber der Wille zum Leben wurde in Wyatt übermächtig.

Langsam löste sich die Starre aus seinem Körper. Vorsichtig
schlich er sich, jedes Geräusch vermeidend, aus dem Geröll.

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Mondlicht füllte die Westhänge des Arroyos. Wohl hundert

nackte Teufel waren in Bewegung und damit beschäftigt, das
Lager in seiner ursprünglichen Form wieder herzurichten.
Wyatt sah eine winzige Chance, dem Inferno zu entkommen.
Er mußte noch vor Tagesanbruch den Arroyo verlassen haben.

Wyatt kroch aus seinem schützenden Versteck. Dicht an den

im Schatten liegenden Felsen gedrängt, rutschte er durch das
Geröll. Zoll um Zoll. Jedes verdächtige Geräusch, wie etwa das
Kollern eines Steines, konnte ihn verraten. Und er hatte nicht
einmal eine Waffe, um sich zu verteidigen.

Er mußte es riskieren, es war seine einzige Chance.
Bastarde, dachte Wyatt, und seine Gedanken galten

Dyamond. Aber ihn und seine Brut hatte wohl ebenfalls der
Teufel geholt.

Wyatt kroch weiter. Die Felsnase, die den Blick zum Lager

verdeckte, war greifbar nahe. Einige Yards noch und er konnte
sich aufrichten.

Nun sah er den Burschen, dessen Kopfband in der

Dunkelheit leuchtete, und er hörte das Geräusch, das es gab, als
der Bursche sich über einem Gefallenen beugte und ihn
umdrehte.

Drei Schritte Distanz lagen zwischen ihm und dem Apachen,

der sich nun langsam aufrichtete und seine Trophäe zum
Himmel reckte: einen Skalp.

Zurück konnte Wyatt nicht mehr, und den Weg in die

Freiheit versperrte die rote Bestie. Fast unbewußt spürte er den
groben Steinbrocken in der Faust, den er instinktiv als Waffe
ergriffen hatte.

Earp verharrte reglos.
Der Apache wandte sich ahnungslos um, als ein Schatten vor

ihm auftauchte. Er ließ überrascht den Skalp fahren, und seine
Faust griff zum Lendenschurz. Da holte Wyatt aus und, alle
Kraft in den Schlag legend, zerschmetterte er der Rothaut den
Schädel.

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Behend sprang er hinzu, um den fallenden Körper

aufzufangen. Als Wyatt ihn niederlegte, war ihm, als höre er
ein Geräusch in der Finsternis. Er erfaßte das Skalpbeil der
toten Rothaut und beugte sich angriffswütig vor, als ein
zischendes Geräusch aus dem Dunkel kam.

»Earp«, hörte er eine Stimme wispern, die er längst in der

Hölle glaubte, »komm näher.«

Wyatt zögerte. Sein Blick glitt über die dunklen Schatten am

Boden, tote Männer, die zu Dyamonds Bande gehörten. Er ging
in die Knie und folgte dem leisen Ruf, nicht ohne vorher einem
der Toten den Colt aus dem Gürtel zu ziehen.

»Du Bastard hast es überstanden«, fluchte Wyatt zornig, als

er Dyamonds Umrisse erkannte. »Die Hölle muß sich mit dir
verschworen haben, Dyamond.«

Der andere lachte heiser. »Der Satan steht auch auf deiner

Seite, Earp. Wir müssen aus dem Canyon heraus, bevor sie ihn
dort vermissen.« Dyamond deutete auf die Gestalt des
Apachen, den Wyatt gerade erschlagen hatte. »Aber ohne
Pferde kommen wir nicht weit.«

»Captain Freeman ist, auf dem Wege zum Arroyo«,

erwiderte der junge Bursche leise und erzählte, was er aus
Cochises Mund erfahren hatte. »Er rennt wie Wopper in den
Hinterhalt.«

»Dann wollen wir versuchen, wenigstens unsere Haut zu

retten.« Dyamond löste sich aus der Dunkelheit. Er trug zwei
Revolver im breiten Gurt und eine Waffe in der Faust und trat
auf Wyatt Earp zu.

Wyatt hob unmißverständlich den Revolver. Dyamond war

ein Schakal, dem man keine Sekunde trauen konnte.

Doch Dyamond zischte nur: »Idiot. Glaubst du, ich will dich

hier umlegen? Das kommt später.« Dann war er an Wyatt
vorbei und lief den ansteigenden Arroyo hoch, so schnell ihn
seine Füße tragen konnten.

Wyatt lauschte einige Sekunden dem dumpfen Gemurmel,

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das vom Lager der Apachen herkam, und setzte sich dann auch
in Bewegung. Nach hundert Yard hatte er Dyamond bereits
eingeholt.

Für einen Augenblick war Dyamond nicht sein Feind,

sondern ein Mann, der wie er ganz schön in der Klemme saß.
Was zwischen ihnen beiden zu bereinigen war, mußte
aufgeschoben werden. Dyamond hatte es schon erwähnt.

Sie kamen gut voran und glaubten sich in Sicherheit, als

plötzlich Hufklang gegen die Felsen schlug und Reiter
ankündigte. Dyamond reagierte blitzschnell.

Er warf sich zwischen die kümmerlichen Sträucher, die nahe

der Felswand wuchsen, und er spürte den harten Aufprall auf
dem Körper, als Earp auf ihn niederstürzte. Schon sprengte
eine starke Reitergruppe an ihnen vorbei in nördlicher
Richtung durch den Canyon.

»Es sind wenigstens fünfzig Reiter«, flüsterte Dyamond

heiser. Ihm saß die Angst in den Knochen, das entging Wyatt
nicht. Auch er mußte sich eingestehen, daß er Furcht hatte.

»Die Hälfte von Cochises Krieger. Sie riegeln den Arroyo

von beiden Seiten ab. Sie werden Freemans Kommando
hereinlassen, aber nicht wieder heraus. Sie bauen ihm hier eine
wunderhübsche Falle. Verdammt, wie sollen wir ihn nur
warnen?« Wyatt richtete sich vorsichtig auf und lauschte.

Der Hufschlag war nur noch schwach zu vernehmen, und

auch im Innern des Canyons blieb es verdächtig still.

»Warnen«, fluchte Dyamond heiser, »du scheinst dir deiner

Lage nicht bewußt zu sein. Es geht um unsere eigene Haut, und
die steht mir näher als Freemans Pelle. Wir müssen höher in
die Berge hinauf, dorthin, wo uns kein Apache vermutet.
Freeman und seine Leute können mir gestohlen bleiben.
Freeman interessiert mich nicht. Ich bin mitgezogen, weil ich
dich haben wollte.«

Wyatt lächelte über die Offenheit des Rustlers. Er nickte.
»Ich weiß es, Dyamond, und wir werden die Sache wohl bald

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bereinigen müssen.« Der Sprecher wandte seinem Gegner den
Rücken zu, denn es gab im Augenblick nichts, was Dyamond
veranlassen könnte, ihm eine Kugel zwischen die Schultern zu
jagen.

Lautlos eilten sie die Schluchtsohle entlang und behielten die

aufsteigende Westflanke des Arroyos im Auge, die im fahlen
Licht des Mondes wie eine glatte Silberplatte glänzte. Immer
auf der Hut, Cochises Spähern zu begegnen, bemühten sie sich,
nicht das geringste Geräusch zu verursachen.

Nach einer halben Meile etwa erkannte Wyatt den schmalen

Felsspalt, der im ansteigenden Winkel die Steilwand durchzog.
Er verhielt den Schritt und deutete hinüber.

»Dort könnte uns der Aufstieg gelingen«, sagte er schwer

atmend vom schnellen Lauf. »Es ist wohl die einzige Chance.«
Wyatt prüfte bereits die Griffigkeit des Felsens. Der Einstieg
war kaum einen Fuß breit, aber aus gesundem Gestein. Als er
den Stiefel in die Rille stemmte und, mit den Händen Halt
suchend, den ersten Schritt wagte, rief er grinsend über die
Schulter: »Ich hoffe, du bist schwindelfrei, Dyamond, und
kannst klettern wie eine Gemse, sonst brichst du dir das
Genick.«

»Ich darf nicht daran denken«, fluchte der Bandit und wagte

seinerseits den ersten Schritt in die Rille.

*

John Haggerty sah die flachen Feuer im Schatten der
ausladenden Berghänge. Schnurgerade zielte er darauf zu. Als
er auf fünfzig Schritte heran war, rief ihn ein Militärposten aus
der Dunkelheit an. »Halt, wer da? Parole…«

Worte, die John schon hundertmal gehört hatte, die ihn jetzt

dennoch erschreckte.

Er riß sein Pferd zurück, hob die Arme, damit der

Wachtposten erkennen konnte, daß er sich in friedlicher

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Absicht ihrem Biwak näherte.

»Die Parole kenne ich nicht, Soldat, wohl aber deine Einheit.

Du gehörst zur Siebten Dragoner und dein Kommandeur ist
Major Hecker. Ihr wart auf dem Wege von Tubac nach Fort
Buchanan, und ein Melder aus Fort Thomas führt euch nun
nach Tombstone.« John Haggerty schwieg.

»Stimmt«, schallte es aus der Dunkelheit. »Ihr Name, Sir?«
»John Haggerty.«
»General Howards Scout?«
»Genau der.«
»Reiten Sie langsam näher, Sir, und halten Sie die Hände

über dem Kopf. Ich kenne Mr. Haggerty persönlich«, rief der
Posten mißtrauisch. Er traute der Sache wohl nicht.

John führte seinen Wallach in die Richtung, aus der die

Stimme kam. Plötzlich tauchte der Mann neben ihm auf. John
sah im matten Mondlicht die blaue Uniform und die
orangefarbenen Streifen der Dragoner.

»All right, Soldat?« fragte er nun.
»All right, Mr. Haggerty. Reiten Sie zum mittleren

Feuerplatz. Dort finden Sie den Major.«

John führte den Wallach mit den Schenkeln an den flachen

Zelten vorbei. Er sah Soldaten am Feuer. Einige sprachen
miteinander, andere lagen erschöpft auf ihren Decken. John
dachte lächelnd, sie werden bald auf den Beinen sein und ihn
zum Teufel wünschen.

Major Hecker lag faul in der geflochtenen Hängematte und

schien den frischen Nachtwind zu genießen, der aus den
Bergtälern in die Mesa wehte.

Als John in den Lichtkegel der Laterne ritt, richtete der

Offizier sich überrascht auf. »Mr. Haggerty«, rief er
verwundert. »Ich denke, Sie erwarten uns in Tombstone?«

John stieg vom Pferd und reichte der herbeieilenden

Ordonnanz die Zügel und bat den Mann, daß er sich um sein
Pferd kümmern möge. Nun setzte er sich auf den kleinen

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Feldstuhl und nickte dankbar, als Major Hecker ihm Flasche
und Glas reichte. Er füllte sich das Glas und setzte es sich an
die Lippen.

»Es hat sich vieles in den letzten Tagen ereignet, Sir«,

begann John nach einem zweiten kräftigen Schluck. »Cochise
spielt den Buhmann. Er und seine Apachen haben einige
Siedler niedergemacht, ein Mormonen-Dorf überfallen und
dem Erdboden gleichgemacht. Cochise führt Krieg gegen
Zivilisten, und ich glaube, nun endlich auch hinter seine
wahren Absichten gekommen zu sein. Sein blutiger Feldzug
zielt darauf hin, Captain Freeman herauszufordern.«

»Freeman ist ein alter Fuchs.« Major Hecker lächelte, »er

wird auf Cochises Herausforderung die Antwort kennen.«

»Stimmt«, John füllte sein Glas noch einmal und blickte zum

Feuer hinüber. »Nur fürchte ich, der Fuchs rennt gegenwärtig
in einen Abgrund, in einen prächtigen Hinterhalt.«

Nun sprach John von dem Überfall auf das Mormonen-Dorf

und den daraus zu ziehenden Konsequenzen.

»Sein Jagdfieber macht ihn blind. Freeman hat seine

Jagdtruppe geteilt, weil Cochises Spur sich auch teilte. Vor vier
Stunden stießen wir auf den Punkt, wo der Jefe seine Fährte
wechselte und schnurgerade nach Westen zog. Ich machte
Freeman darauf aufmerksam, daß Cochise sich mit seiner
zweiten Gruppe treffen wird, um Freemans zweite Gruppe
anzugreifen. Cochise hat nur ein Ziel: Er will Freeman
vernichten. Viele Gründe sprechen dafür. Deshalb möchte ich
Sie bitten, Ihre Truppe in Bewegung zu setzen, Major, um
Freemans Bataillon zu Hilfe zu eilen.«

Major Hecker war ein aufmerksamer Zuhörer. Doch nun

lächelte er. »Ist Ihre Angst nicht übertrieben, Mr. Haggerty?
Freeman befehligt fast hundertfünfzig kampferprobte Männer.
Er müßte mit dem lächerlichen Haufen Apachen fertig
werden.«

John stellte Flasche und Glas mit einem Ruck ab. »Ein

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Drittel seiner Einheit kämpft vielleicht nun schon erbittert um
sein Leben, wenn die Leute nicht gar schon tot sind. Cochise
hat ein ganzes Arsenal moderner Springfields geraubt in Fort
Huachuca, und Munition, um eine halbe Armee zu töten. Er
macht Woppers Gruppe nieder und stellt Freeman einen
Hinterhalt. Freeman ist sein ärgster Feind, ich weiß es. Der Jefe
hat nicht vergessen, daß der Captain im letzten Jahr ein halbes
Dutzend seiner Dörfer überfallen und viele seiner
Stammesbrüder getötet hat. Begreifen Sie nun, wie groß die
Gefahr ist? Schlägt der Jefe seinen Erzfeind, steigen sein
Ansehen und sein Ruhm ins Unermeßliche. Die Stämme aus
dem Süden und aus dem Norden werden Cochise zulaufen, um
in seinem Glanz ihren eigenen Ruhm zu suchen. Die
Schlagkraft seines Kriegsheeres könnte auf dreihundert oder
weit mehr Kämpfer anwachsen. Und das gilt es zu
verhindern!«

Major Hecker war aus seiner Hängematte gestiegen. Er

ergriff den blauen Rock und schlüpfte hinein. Er lächelte hart.
»Meine müden Helden werden Sie in die Hölle wünschen,
John, wenn sie erfahren, wer sie auf die Beine bringt.«

Er rief seine Ordonnanz heran, die offensichtlich einen Teil

der Unterhaltung mitbekommen hatte. »Corporal Nagant«,
befahl Hecker, »der Hornist soll zum Alarm blasen. Kommen
Sie, John, ich stelle Sie meinen Offizieren vor.«

Es war bereits Mitternacht und Cochises erster Akt im

großen Drama entschieden, als Major Hecker an seiner Truppe
entlang zur Spitze ritt.

Und John sah, daß Hecker fünfhundert Soldaten mitführte,

zwei Haubitzen und genügend Munition. Das dürfte reichen,
um Cochise in seine Schranken zu weisen, dachte er.

Wenn, eine düstere Ahnung begleitete Johns Gedanken,

wenn es noch nicht zu spät war…

*

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Grausame Genugtuung spiegelte sich in Cochises Antlitz
wider, als der metallische Hufschlag vieler Pferde von den
Wänden des Arroyos widerhallte.

Die Stunde der Abrechnung war gekommen.
Sein Blick glitt hinunter zur Schluchtsohle, die das

aufgehende Sonnenlicht noch nicht erreichen konnte, wanderte
prüfend über die zerklüfteten Steilwände, in denen seine
Krieger – meisterhaft verborgen – sein Zeichen zum Angriff
erwarteten, und noch einmal ging er in Gedanken jede Position
durch, die seine Krieger besetzt hielten.

Der Ring war geschlossen, ein Entrinnen unmöglich. Sobald

die Weißaugen in der Schlucht waren, würde sie nach beiden
Seiten hermetisch abgeriegelt sein, und auf sein Zeichen hin
sollten seine Krieger aus dem Verborgenen heraus das Feuer
auf den Todfeind eröffnen, der wie eine Maus in der Falle saß.

Ulzana stand mit leuchtenden Augen an der Seite des Jefes,

der dem immer näher kommenden Klang der Pferdehufe
lauschte. Er trug eines der erbeuteten Springfield-Gewehre in
der Faust, um die Schulter einen Patronengurt. In seinem Gurt
steckten Jagdmesser und Tomahawks für den Nahkampf.
Wohlgerüstet sah er dem Ende der Weißaugen entgegen.

»Wenn die Sonne keinen Schatten wirft, wird Koh-Cheez der

größte Häuptling aller roten Stämme sein. Selbst Ta-kan-ka I-
yo-ta-ke, der Häuptling der Hunkpapa-Sioux (Name Sitting
Bulls), dessen Kriegstaten an den Feuern vieler unserer Brüder
besungen werden, wird am Glanze deines Ruhmes verblassen.«

Cochise hob die Hand zum Zeichen, daß Ulzana schweigen

möge. Das Muskelspiel seines Körpers ließ erkennen, daß
unerschöpfliche Kraft in dem Kriegshäuptling steckte.

Die ersten Reiter sprengten hinter der Biegung hervor. Ihnen

voran ritt in seiner verschlissenen Uniform sein Todfeind:
Captain Louis Freeman.

Wachsam und lauernd bewegte sich Freeman, als spüre er die

tödliche Gefahr, die der Canyon barg.

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»Er ist ein kluger Fuchs«, flüsterte Cochise, und die dunklen

Farblinien seines bemalten Gesichtes zuckten bei seinem
düsteren Lächeln, »der der Stille mißtraut. Aber er wird nicht
umkehren, weil er seine Hellaugen vermißt.« Der Häuptling
schwenkte kraftvoll die Faust mit der Flinte nach Norden, wo
Victorio auf dem Felsband stand und nun verschwand, um des
Jefes Befehle auszuführen und die Schlucht zu verriegeln.

Victorios Aufgabe war es, die erste Angriffswelle zu führen,

wenn das Gewehrfeuer in den Steilhängen zu Ende war. So
wollte es der Mimbrenjo.

Die Reiter hatten nun jenen Punkt erreicht, wo die Toten am

erloschenen Lagerfeuer lagen. Freeman zügelte sein Pferd. Er
rief die nächsten beiden Reiter heran und deutete ins Grau des
Canyons. Er gab irgendwelche Befehle, worauf die Reiter der
Truppe die Pferde herumzogen und für einige Augenblicke aus
dem Blickfeld des Häuptlings verschwanden.

»Wie ein Fuchs, der vor dem eigenen Bau mißtrauisch wird«,

Cochise lächelte böse.

Weit über dem Kopf schwenkte er seine Waffe, das

verabredete Zeichen, das Chato galt, der weiter südlich den
Geschehnissen folgte. Chato winkte zurück. Cochise wußte
nun, daß die Mausefalle geschlossen war, durch die selbst eine
Haselmaus keine Lücken mehr finden konnte.

Cochise gab den ersten Schuß ab, als Freemans Reiter den

Weg zurückpreschten und wild mit den Armen gestikulierten
und heisere Worte schrien.

Im gleichen Augenblick bebten die Felsen unter dem

heftigen Gewehrfeuer der Apachen, das Krachen der Schüsse
brach sich an den Wänden und rollte in vielfältigem Echo
durch die Schlucht.

Eine Gruppe Reiter stürzte getroffen aus den Sätteln,

Freemans Befehle gingen in einem tödlichen Inferno unter.

Die Pferde stoben auseinander und verweigerten in panischer

Angst den Gehorsam. Einige Reiter wurden abgeschüttelt,

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andere sprangen von ihren Pferden und suchten verzweifelt
Deckung im Schatten der Steilwände.

Noch immer schlug der tödliche Bleiatem in den Arroyo.

Von Norden kommend, bebte die Erde unter den Hufen der
angreifenden Mimbrenjo-Krieger.

»Beim Teufel«, brüllte Freeman, »das ist die Hölle!«

Zwischen Geröll hatte der Captain dürftigen Schutz gefunden.
Seine augenblickliche Lage erinnerte ihn an eine ähnliche
Situation im Canyon de Imbano im vergangenen Jahr, als er bei
einem Rachefeldzug gegen Apachen fast seine gesamte
Mannschaft einbüßte. »Wo steckt Wopper?«

Einer seiner Späher kroch leicht verletzt heran. »Wopper und

die Crew ist tot«, schrie der Mann entsetzt. »Sie liegen tot
unter ihren Decken, ohne Haarschopf, ohne Leben…«

»Alle?« würgte Freeman fassungslos hervor und wußte, daß

er nicht nur zu spät gekommen war, um Woppers Abteilung zu
helfen, sondern selbst in einer tödlichen Falle saß.

»All right«, schrie er im nächsten Moment, »setzt euch im

toten Winkel der Felswände fest. Wir werden das rote Gesindel
mit Pulver und Blei in die Hölle befördern.«

Er hob seinen Karabiner und schoß die Rothaut vom Felsen,

die sich zu weit über den Abgrund gebeugt hatte.

Lautlos fiel der Krieger in die Tiefe.
Auch seine Leute begannen nun zu schießen. Stumm und

verzweifelt wehrten sie sich gegen den übermächtigen Feind,
der grausam und erbarmungslos gegen ihre provisorische
Stellungen anrannte.

Keiner der verbissen Kämpfenden hörte in dem Lärm den

donnernden Hufschlag, der rasch näher kam. Freeman erkannte
die Mimbrenjos erst, als sie, geführt von dem Fanatiker
Victorio, aus der Kehre schwenkten, ihre Waffen abfeuerten
und nach Lanzen, Bogen und Keulen griffen.

Wie ein tödlicher Moloch fielen die Krieger in Freemans

kleine Truppe ein. Erbarmungslos, den Feind vor Augen, vom

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Töten besessen, bahnten ihre Keulen den Weg durch ihre
Reihen. Ihr wildes Geheul übertönte den Gefechtslärm.

Zur gleichen Zeit verließen weitere Gruppen von Apachen-

Kriegern die Hänge, hangelten sich an straffen Lederseilen in
die Tiefe und griffen in das Kampf geschehen ein. Auch von
Süden her stürmten berittene Krieger heran.

Was Freeman ahnte, wurde nun Offenbarung: Cochise hatte

sich mit der zweiten Gruppe seiner Krieger vereint und
versetzte nun dem Frontier Bataillon den Todesstoß.

Wild und verbissen kämpfte Freemans Miliz ums Überleben.

Aus vielen Wunden blutend, schlugen sie sich zu dem
schmalen Hügelband durch, das Freeman gerade noch
erreichen konnte, ehe das tödliche Dilemma über sie
hereinbrach.

Wie junge Küken suchten sie die Nähe ihres Anführers,

hoffend, daß der erfahrene Indianerkämpfer sie aus der
tödlichen Umklammerung führte.

Dreißig bis vierzig erfahrene Kämpfer lagen erschlagen oder

aus vielen Wunden blutend auf nacktem Fels. Immer wieder
griffen die Apachen mit einer Leidenschaft an, als gelte es für
sie, das ganze Territorium von weißen Menschen zu befreien.

Dampf und Pulverrauch zog wie ein breites Band aus der

Schlucht.

Freemans Befehle übertönten diesen Lärm. Und es gelang

ihnen mit vereinten Kräften, den zweiten Angriff
abzuschlagen.

Noch ehe sich die Apachen zum dritten Ansturm sammelten,

sah Freeman, daß die berittenen Krieger nach Süden durch den
Arroyo sprengten, während das Fußvolk in den zerklüfteten
Felswänden untertauchte. Cochise hatte eine neue Gemeinheit
im Sinn, denn als erfahrener Indianerkämpfer wußte Freeman,
daß Cochise – so dicht vor seinem Ziel – den Kampf niemals
beenden würde. Der Bastard würde seine Krieger neu
formieren, um zum tödlichen und letzten Streich auszuholen.

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»Wenn sie kommen, schießt, was eure Flinten hergeben,

Jungs, und wenn ihr die Waffen leergeschossen habt und nicht
mehr gebrauchen könnt, nehmt sie als Keulen und knüppelt
nieder, was euch in die Quere kommt! Verdammt, diesen roten
Schakalen ist doch beizukommen…«

In diesem Augenblick sah Freeman den Häuptling. Cochise,

unverkennbar an der großen kräftigen Gestalt, stand auf einem
Felsband und dirigierte seine Krieger. Aufs neue dröhnte die
Schlucht unter trampelnden Pferdehufen. Es schienen
Hunderte, nein, Tausende reitende rote Teufel zu sein, die sich
ins Kampfgeschehen stürzten, aber es waren wohl Freemans
überspannte Nerven, die ihn narrten. Dort kämpften vielleicht
neunzig Apachen. Aber mit dem Mut einer Legion!

Von zwei Seiten trieben sie ihre Ponys den Hügel hoch,

schwangen sich federnd von ihren Rücken. Ihre farbigen
Gesichter wirkten wie häßliche Fratzen oder ein Gaukelspiel
des Teufels. An ihren Keulen und Lanzen glänzte das Blut der
Getöteten.

Ein heftiger Kampf, Mann gegen Mann, entspann sich.

Karabinerkolben gegen Lanzen, der leergefeuerte Revolver als
Schlagwaffe gegen ihre Tomahawks.

Auch Freeman stand im harten Kampf mit zwei jungen und

kräftigen Kriegern, die einfach die Barrikade übersprungen
hatten und ihn angriffen.

Sein Karabinerkolben zerschmetterte ein junges Leben, und

während er zum zweiten Schlag ausholte, mußte er an den
verdammten Scout denken, der so recht hatte und vor dem
gefährlichen Schritt, Cochise zu folgen, so eindringlich
gewarnt hatte.

Kraftvoll schlug der Captain zu. Und während er sich dem

nächsten Gegner zuwandte, war ihm, als klängen ferne
Trompetensignale auf. Ein Gedanke wohl, der sich von dem
Wunsche nährte, der Himmel möge ihn und seine Leute vor
dem Untergang bewahren. Wunschträume und Phantasien

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eines Verzweifelten.

Die scharfe Schneide einer Lanze streifte Freemans Gesicht

und riß eine tiefe Wunde. Der Captain schmetterte dem
Mimbrenjo den harten Gewehrkolben ins Gesicht, ehe er
erschöpft in die Knie sank. Sein Atem ging schwer, und er
schien am Ende.

Da waren wieder Hornsignale, deren Echo durch den Arroyo

wehte und Freeman, am Boden liegend, erkannte, daß die roten
Angreifer sich plötzlich vom Feinde lösten, den Hang
hinuntereilten und sich auf ihre schnellen Pferde warfen und
nach Süden durch den Arroyo sprengten.

Der alte Haudegen rappelte sich wieder auf, kam

schwankend auf die Beine. Blut sickerte aus seiner Wunde.
Sein taumelnder Gang zeigte die starke Erschöpfung des
Mannes, der sich kaum noch aufrechthalten konnte.

Aufgerichtet im Fels stand Häuptling Cochise. Er hielt die

Büchse an der Schulter, und Freeman spürte im Peitschenden
Abschuß der Springeid den brennenden Schmerz in der Brust.

Wie ein Stein stürzte der Captain zu Boden. Sein Blick

verschwamm. Aber er hörte nun deutlich die Signale eines
Horns, den donnernden Hufschlag eisenbeschlagener Pferde.
Fernes Krachen, an Schüsse erinnernd, begleiteten »Lion«
Louis Freeman ins Dunkel der Nacht, die ihn von seinen
Schmerzen erlöste.

*

Der Anblick, der sich ihnen bot, erinnerte Major Hecker an die
Schlachthäuser in Chicago. Vom Grauen gepackt, hob er die
Schultern und dachte: Mein Gott, es sieht aus wie nach einer
großen Schlacht. Doch dann erinnerte er sich, daß er Soldat
war und diesen Anblick gewohnt sein mußte. Er rief seine
Offiziere heran und befahl mit unbewegter Stimme:

»Lieutenant Conner und Lieutenant Flash, Sie nehmen mit

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Ihren Abteilungen sofort die Verfolgung der Apachen auf. Ich
möchte den Teufel Cochise haben. Ich will ihn lebend, um ihn
in Tubac vor das Kriegsgericht stellen zu lassen. Der Rest des
Regiments sucht nach Überlebenden des Gemetzels.«

John Haggerty, der sich um Freemans schwere Verletzung

kümmerte, hob den Kopf.

»Es ist ein sinnloser Versuch, Major Hecker«, sagte er ruhig.

»Diese Berge sind Cochises Heimat. Ihre Leute werden nicht
den Pferdeschwanz eines Apachen-Ponys ausmachen.
Versuchen wir lieber hier an Leben zu retten, was noch zu
retten ist.«

»Soll ich diesen Teufel ungestraft laufenlassen?«
John schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich kenne Cochises

Fluchtweg und weiß, wo er zu finden ist. Ich glaube, er hat sein
Ziel erreicht und wird vorerst seine Apacherien nicht mehr
verlassen.« John schwieg einen Moment und fuhr dann fort:

»Der Jefe hat Freeman bewußt in einen Hinterhalt gejagt, um

seinem Todfeind eine vernichtende Lektion zu erteilen. Er hat
Farmen, Bonanzas und Siedlungen angegriffen, niedergebrannt
und Leben vernichtet. Das letzte Aufbäumen eines Mannes, der
beweisen will, wie gefährlich ein weidwunder Berglöwe sein
kann. Ich glaube, er will General Howard zu erkennen geben,
daß es besser sei, ehrlich und aufrichtig zu verhandeln und
keine Verträge zu schließen, die er wieder bricht. Brechen
muß, weil hinter dem General Leute stehen, die Apachen als
wilde Tiere bezeichnen, die man in einen Käfig oder in die
Vegetationslosigkeit einer Wüstenreservation stecken müßte –
und so Howards Bestrebungen nach Frieden boykottieren.«

Major Heckers Hand deutete in die Runde. »Sie

sympathisieren mit dem roten Teufel, Mr. Haggerty, obwohl so
viele weiße Männer ihr Leben lassen mußten?«

»Nein«, bestimmt schüttelte John seinen Kopf. »Ich

verurteile dieses Gemetzel. Ich verurteile alle Verbrechen, die
Cochise in den letzten Wochen begangen hat. Aber ich kann

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ihn verstehen, kann seine Beweggründe begreifen. Es ist der
verzweifelte Aufschrei eines seiner Freiheit beraubten
Stammesfürsten, der ohnmächtig zusehen muß, wie sein Land
Stück für Stück an weiße Eindringlinge gegeben wird, die
zwangsläufig seine Feinde sein müssen, weil sie seinen Besitz
stehlen.«

John Haggerty richtete sich auf.
»Helfen Sie mir, Major. Wir wollen Captain Freeman nach

unten tragen. Ich fürchte, er wird den Tag nicht überleben.«

Doch Freeman war von der zähen Natur einer Katze.
Nachdem die Getöteten in einem gemeinsamen Grab im

Canyon begraben waren und Major Heckers Abteilungen von
der vergeblichen Jagd nach Cochises Kriegern zurückgekehrt
waren, bestimmte der Offizier den Aufbruch.

Vierzig Männer aus Freemans wilder Miliz erreichten, zum

Teil auf Traivois liegend, zum Teil verwundet im Sattel
sitzend, sechs Tage später Tombstone. Der Arzt der Stadt war
tagelang damit beschäftigt, die Verwundeten zu pflegen. Und
nur langsam legte sich das Grauen der Menschen in der Stadt.

Major Heckers Einheit war auf dem Wege nach Fort

Thomas, um von dort im Eilmarsch nach Tubac
zurückzukehren.

John Haggerty blieb in Tombstone, um Sam Crittens

Genesung abzuwarten, denn er hatte dem jungen Mann
versprochen, seine Angelegenheit in Tubac zu klären. Er
wußte, daß nur General Howards Entscheidung Critten vor
dem Kriegsgericht bewahren konnte. John stand zu seinem
Wort.

An einem dieser langweiligen Nachmittage saß er mit dem

jungen Earp, der noch in der Schlucht zu ihnen gestoßen war,
in Summers Schenke bei einem Glas Bier. Er hatte bemerkt,
daß Earps Praint gesattelt vor dem Lokal stand.

»Ich dachte, Sie wollten das Glück in Tombstone suchen«,

sagte John lächelnd, während er an seinem Bier nippte.

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»Tombstone ist ein Drecknest, John«, erwiderte Wyatt

grinsend. »Was ich hier vorgefunden habe, hat nur Ärger
gebracht. Was ich suche, sind ein paar gute Faro- oder
Montetische, klimpernde Münzen zwischen den Fingern und
ein paar Scheinchen in der Tasche. Ein paar Huren, die es auch
mal mit Liebe versuchen, wie Nelly Mitchel aus Tucson. Das
nenne ich das wahre Leben.«

Wyatt Earp nahm einen kräftigen Schluck und setzte sein

Glas geräuschvoll ab. »Das nenne ich das wahre Leben, nicht
diese verdammte Einöde oder Mary Lynn, die ihrem kranken
Freund feurige Blicke schenkt und wohl am Ende ihres Zieles
nüchtern, hausbacken und trocken ist wie der Fladen eines
Büffels.«

John lachte ob der leidenschaftlichen Ergüsse des jungen

Burschen.

»Sie wollen nach Tucson?« fragte er nach einer Weile.
»Zu Nelly Mitchel. Sie gibt mir, was ich brauche.« Wyatt

lachte.

»In Tucson erwartet Sie noch etwas anderes, Wyatt«, es lag

eine Warnung in Johns Stimme, die Earp mit einer
Handbewegung wegwischte.

»Chuck Dyamond? Mit dem bin ich verabredet, John. Er hat

keine Freunde mehr. Er ist also genauso stark oder schwach,
wie ich es bin.«

»Sie wollen sich mit ihm schießen?«
Wyatt Earp nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas und

begann zu grinsen.

»Soll ich mein Leben lang mit dem Gefühl durch die Gegend

laufen, daß der Bastard mir eine Kugel in den Rücken pflanzt,
sobald ich ihn ihm zukehre? Ich trage es auf dem geraden
Wege aus. Dann ist die Sache aus der Welt und vergessen. Für
ihn – für mich…, vielleicht auch für uns beide.« Earp machte
eine vage Handbewegung und sagte: »Verabschieden wir uns,
John.«

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Wyatt reichte dem Scout über den Tisch die Hand. »Es war

nicht schön mit uns beiden – und auch nicht schlecht. Es war
einfach eine Begegnung.«

Earp stand auf, rückte seinen Gurt und seinen Revolver

zurecht, warf einen Silberdollar auf den Tisch und wandte sich
gelassen um. »Die Runde geht auf meine Kosten, John.
Vielleicht treffen wir uns irgendwo und irgendwann mal
wieder. Dann können Sie sich revanchieren.«

Jung, federnd, mit elastischen Schritten, verließ Wyatt Earp

die Schenke.

John sah, daß Earp sich draußen auf seinen Gaul schwang, er

grüßte noch einmal durch das offene Fenster und ritt davon.

Ein harter Junge, dachte John Haggerty, man wird noch von

ihm hören…

ENDE


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