Apache Cochise 31 Schiess deinen Pfeil, Apache

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John Montana

Schieß deinen Pfeil, Apache

Apache Cochise

Band Nr. 31

Version 1.0

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3

Prolog

Ihr Land war es, in das Mexikaner und Amerikaner
eindrangen. Das Land ihrer Väter. Karstig und elend,
wasserarm und unfruchtbar schmorte es unter heißer
Arizonasonne. Wüste, bizarre Klippen, himmelansteigende
Berge und Giftschlangen. Trotzdem verteidigten sie es mit der
Stärke ihrer Seele und dem wilden Schlag ihrer Herzen. Zu
diesem Zeitpunkt waren sie längst keine Athapasken mehr,
sondern deren Nachfahren; Apachen.

Sie selbst nannten sich T'Inde ++ Volk, auch Naizhan ++

Unsere Rasse. Und sie besiedelten ein Land so groß wie
Deutschland und Frankreich zusammen. In diesen ihren
Jagdgründen leisteten sie Eindringlingen Widerstand und
verteidigten jeden Fußbreit Boden mit ihrem Herzblut.

Zur Zeit der Handlung unserer Geschichte APACHE

COCHISE lebten 6000-7000 Apachen, die in Arizona und
Neumexiko Angst und Schrecken verbreiteten, besonders im
amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet und weit in Sonora,
bis hinunter zur Sierra Madre Occidental.

Ihren Haß gegen die Nachfahren der Spanier und den

Erzfeind, die Comanchen, übertrugen sie auf ihre neuen
Unterdrücker. Von ihnen ist die Rede in unserer Serie. Sie ist
die historiengetreue Basis der Thematik APACHE COCHISE.

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***

Seit einer Stunde lagen Cochise und sein Freund, der Falke, im
filzigen Gesträuch unterhalb der steilen Felsen und
beobachteten das Treiben auf der nahen Hazienda.

Weit über hundert Mexikaner und Americanos lungerten

weitverstreut zwischen Hütten, Ställen und den
Vorratsscheunen herum und vertrieben sich die Zeit mit
Würfel- und Kartenspiel, oder saßen träge vor sich hin dösend,
am weiten offenen Feuer auf dem Hauptplatz, über dem ein
junger Rico mit stoischem Gleichmut die Kurbel des Spießes
drehte, um das Fleisch des Jungbullen gleichmäßig zu bräunen.

Im Schatten der langgestreckten weißgetünchten Casa saß

Don Rodriges im Kreis einiger Mexikaner beim eifrigen
Gespräch. Sie alle trugen über den Schultern weite Sarape
Santilleros, jene bunten, in der Mitte geöffneten Decken, die
vor Sonne und Wind schützten.

Der Wind blies heftig und kühl von Norden ins Tal. Den

Himmel bedeckten dunkle, träge ziehende Wolkenbänke, und
aus der Ferne war grollender Donner zu vernehmen. Eines
jener gefürchteten Unwetter nahte, deren plötzliche
Regengüsse Flüsse über die Ufer drängte oder das Land
überschwemmte.

Eine Woche waren John Haggerty, Cochise und seine

Apachenfreunde der Wagen- und den Pferdespuren der
Conducta gefolgt, und befanden sich nun tief im Norden,
weitab ihres eigentlichen Stammgebietes, im mexikanischen
Chihuahua.

John Haggerty spürte die brennende Ungeduld im Herzen.

Dort unten saß Don Rodriges, einer der eifrigsten Verfechter
der Revolution, inmitten seiner Capos und wartete auf eine
Begegnung.

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Nahe des Hauses, in seinem Blickfeld, leuchteten die hellen

Planen der Conducta, die weit über hundert moderne
Winchester-Karabiner trugen, die, einmal für die U.S. Army in
Fort Tucson bestimmt, in verbrecherische Hände gefallen
waren. Ihren langen, abenteuerlichen Weg hatte John bis
hierher verfolgen können.

»Wir sollten in der Nacht, wenn das Gewitter über dem Land

tobt, die Banditen angreifen und versuchen, die Murphys zu
entführen«, flüsterte John, obwohl auf diese Distanz niemand
anders seine Stimme vernehmen konnte. »Chiricahuas,
Mimbrenjos und Yaquis werden überraschend angreifen, das
Gesindel in ein Scharmützel verwickeln und von der Hazienda
fortlocken. Vielleicht gelingt es uns, in der Verwirrung die
Murphys zu entführen.«

Cochise lächelte über den Eifer des Falken, der erkennen

ließ, wie tief ihm die Gewehre am Herzen lagen. Er deutete
nach Osten, wo heftige Windböen Staub und Sandfontänen vor
sich hertrugen.

»Es sind zu viele Männer auf der Hazienda. Und von dort

stoßen weitere Kämpfer zu ihnen.«

Johns Blick folgte Cochises Handbewegung. Im wirbelnden

Staub, dem westlichen Flußufer des Rio Casa Grande folgend,
bewegte sich ein kleines Heer Reiter der Hazienda entgegen.
Trotz der Entfernung erkannte John ihre starke Bewaffnung,
ihr blitzendes Zaumzeug und die bunten Uniformhosen, die die
Reiter trugen. Er bemerkte die beiden Feldhaubitzen, die sie im
Vierergespann mitführten, während sie, den flachen Hügel als
Deckung nutzend, der Hazienda näher kamen.

»Rothosen«, sagte John überrascht, »maximilianische

Kavalleristen, die für die Sache ihres Kaisers kämpfen.«

»Vielleicht werden sie unsere Probleme lösen«, erwiderte

Cochise mit listigem Lächeln im kühngeschnittenen Gesicht.
»Die Bunthosen sind die Feinde des Rebellengenerals aus den
Sierra Madres. Ihre Kundschafter müssen erfahren haben, daß

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sich hier ihre Feinde versammeln. Es wird zu einem
mörderischen Kampf kommen, Falke. Vielleicht werden sie
sich gegenseitig töten und Viktorio wird mit ihren Skalps
zufrieden sein und auf die schnellen Gewehre verzichten.«

John schüttelte heftig den Kopf. Einen Gedanken nur

verschwendete er an Viktorio, den Mimbrenjowolf, der
unmißverständlich darauf hingedeutet hatte, daß er einen Teil
der Beutewaffen für sich in Anspruch nehmen wollte. So wie
es Tehuecos Absicht war.

»Die Rebellen sind in der Überzahl, Jefe, und werden die

Rothosen in den Fluß jagen.«

Klug und listig, wie es Apachenart war, lächelte der große

Häuptling aller Apachen, während er lauschend dem singenden
Wind folgte. »Die Bunthosen sind nicht allein, Falke. Eine
zweite Abteilung nähert sich von Süden der Hazienda. Die
wilden Organosfelder schützen sie vor den Blicken ihrer
Feinde.«

John Haggerty neigte lauschend den Kopf. Er hörte nur das

Brausen des Windes.

»Du mußt dich täuschen, Cochise.«
»Wir werden es bald wissen.«
Ihr Augenmerk richtete sich auf die sichtbare Truppe, die

nun ihre Pferde zügelte und in Sturmformation richtete,
während einige Kanoniere die Lafetten der Berghaubitzen vom
Protzwagen lösten und in Stellung brachten.

Im dichten Strauch raschelte es. Haggertys Hand fuhr zur

Hüfte, doch Cochise berührte mahnend seinen Arm. »Es ist
Viktorio, Freund. Die Neugierde treibt ihn aus dem Lager zu
uns.«

»Du hast befohlen, daß Viktorio zurückbleibt«, erwiderte

John unwillig. Er sah den Schatten im dichten Filz und lauschte
Cochises Antwort.

»Viktorio ist der Jefe der Mimbrenjos. Ich habe nicht das

Recht, ihm zu befehlen, ich habe ihn nur gebeten. Aber er ist

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unruhig wie du, Falke, dessen Gedanken den schnellen
Gewehren gelten. Er wittert fette Beute.«

Wie ein Schatten kroch der Mimbrenjo heran. Wortlos

deutete er nach Osten, und dann zur Hazienda hinunter, auf der
noch immer Ruhe herrschte.

Cochise nickte stumm.
Im Westen über den Bergen hinweg zuckten Blitze aus den

schwarzen Wolken, denen rollender Donner folgte. Ihr Lärm
verdrängte die dumpfen Abschüsse der Berghaubitzen.

Die ersten Kugeln schlugen mitten auf dem Platz ein, töteten

Rico und zerfetzten das eiserne Gestänge, das den halbgaren
Bullen hielt. Zurück blieb eine dunkle Explosionswolke, von
denen in kürzesten Abständen weitere aus der Erde wuchsen.

Wie aufgescheuchte Lämmer sprangen die Rebellen auf die

Beine, hetzten ratlos hin und her, bis es sie zum breiten Gatter
drängte, wo ihre Pferde unruhig umherliefen.

John Haggerty sah zwischen Staub und dunklen

Explosionswolken Don Rodriges, dessen mächtige Stimme
aufschallte, und der es fertigbrachte, Ruhe in die
Rebellenarmee zu bringen. John hörte den donnernden
Widerhall seiner Stimme, die ihn an seine Begegnung im Tal
der Gesetzlosen erinnerte. Wortgewaltig, zornig und dennoch
bestimmend.

Der heftigen Kanonade folgte die tödliche Stille, die nun

durch stampfenden Hufschlag unterbrochen wurde, als eine
Reiterschar, in Viererreihe formiert, über den flachen Hügel
galoppierte.

Don Rodriges befehligte seine Armee und dirigierte sie zur

Ostflanke der Hazienda zu den Barrikaden, während seine
engsten Vertrauten, darunter Budd Cameron, zur Conducta
stürzten.

Schüsse fielen, und mit viel Geschrei, ihre Säbel

schwingend, gingen die Uniformierten die Hazienda an. Pferde
stürzten, Soldaten wälzten sich im Gras und färbten das Grün

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mit dem Rot ihres Bluts. Eine zweite Welle kam von Süden aus
dem Schatten hoher Organos. Kampfstark und verwegen. Sie
erreichten die steinerne Wehrmauer innerhalb kürzester Zeit.
Ihre Pferde nahmen im Sprung das Hindernis und ihre Säbel
fuhren auf die ungedeckten Häupter der Verteidiger nieder. Ein
blutiges Gemetzel, ein wütendes Ringen, Mann gegen Mann,
nahm seinen Anfang.

Viktorios dunkle Augen leuchteten bei diesem Anblick. Sein

Atem ging heftig. Er sah, wie seine Blutfeinde, die
Gelbgesichter und Weißaugen, im unerbittlichen, gnadenlosen
Kampf ineinander verflochten, dem Tod reichliche Beute
schenkten.

Blitze rissen mit fürchterlichem Donnerschlag die Erde auf,

schafften ein tödliches Inferno zerfetzter Menschen- und
Pferdeleiber. Der Steinschlag der berstenden Mauer begrub
gleich ein halbes Dutzend kaisertreuer Soldaten. Der gelbe
Rauch, der aus der Erde zuckte, ließ John erkennen, daß Don
Rodriges Dynamit einsetzte, um den feindlichen Angriff
abzuwehren.

Tatsächlich ließ der Ansturm nach. Helle Trompetenstöße,

die trotz des Kampflärmes hörbar waren, rief die
maximilianischen Truppen zurück. In wilder Hast flohen sie,
unter Zurücklassung ihrer Toten und Verwundeten, über die
Hügel zur Ausgangsstellung zurück.

»Sie werden wiederkommen«, flüsterte John mit belegter

Stimme. Unbewußt fielen ihm General Howards Worte ein, die
er einmal vor einem Gefecht mit mexikanischen Rebellen zum
Ausdruck gebracht hatte. Ein amerikanischer Soldat blickt nur
nach vorn, wo der Feind steht. Er kennt keine Angst. Der Tod
ist der höchste Ruhm, den der Soldat erreichen kann.

Warum sollte ein maximilianischer Offizier anders denken

als ein amerikanischer?

Cochise nickte bei Haggertys Worten. Die letzten Jahre

hatten ihn den Weißaugen nähergebracht, daß er ihr Denken

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und Handeln begriff, ohne es jedoch zu verstehen.

»Ihre Donnerrohre werden die Hazienda zerfetzen, daß kein

Stein mehr auf dem anderen bleibt«, erwiderte er nachdenklich.
Der Jefe blickte zur Seite. Er sah, daß Viktorio lautlos im
Unterholz verschwunden war. Er erriet Viktorios Gedanken,
ohne sich dem Falken gegenüber zu äußern.

Auch Don Rodriges schien das Unheil vorauszuahnen. Seine

Stimme schallte befehlsstark über den Hof, und John Haggerty
sah, daß einige seiner Männer den Murphytreck bespannten
und der Rest der Verteidiger zum Corral eilte, um die Pferde zu
satteln.

Alles deutet auf eilige Flucht hin.
Nun, wo Stille die Kampfpause füllte, sah John die dunklen

verstreuten Schatten auf dem Hof und an der Mauer. Er
schätzte, daß Soldaten und Rebellen wenigstens zwanzig Leute
während des Gefechtes verloren hatten. Er schürzte verächtlich
die Lippen, als Don Rodriges in aller Eile eines der Pferde
bestieg und nach Westen zu den Bergen deutete, die
verschwommen im aufziehenden Regensturm standen.

»Er läßt seine Verwundeten einfach zurück«, fluchte

Haggerty.

»Die Buntröcke lassen ihm keine Zeit, die Verwundeten zu

bergen«, Cochise lächelte.

In enger Formation drängten die Reiter um die Gespanne.

Don Rodriges gab das Zeichen zum Aufbruch. Seine Fracht
schien ihm wertvoller zu sein als ein paar Verwundete.

Noch während sie in die flache Ebene sprengten, entdeckte

John eine kleine Reitergruppe, die, flach auf ihren Pferden
liegend, das Anwesen angingen.

»Viktorio«, sagte John gepreßt, und seine Miene verfinsterte

sich, als er ihren Anführer erkannte.

Cochise lächelte gelassen. Ein Apache kannte nicht die

Mentalität der weißen Rasse. Für ihn war Feind Feind und
Beute einfach Beute.

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»Er nimmt sich, was ihm leicht in den Schoß fällt, Falke.

Erspar dir den Anblick. Wir wollen ins Lager zurückreiten und
den Rebellen folgen, ehe der Regen ihre Spuren verwischt.«

Als John sich aufrichtete, schlugen Granaten in die Hazienda.

Unter flammendem Feuerschlag barsten die weißen Mauern
der Casa und fetzten die Giebel der angrenzenden Adobehütten
weg.

Unbeirrt, inmitten des tödlichen Infernos, verrichteten

Viktorios Mimbrenjos ihr grausames Werk.

*

Vom Sturm gepeitscht brachen die dunklen Wolkenbänke auf.
In wahren Sturzbächen fiel der Regen nieder und verwandelte
die pfadlose Prärie in schlammigen Morast. Der Tag war
dunkel wie eine Nacht. Blitz und Donner vereinten sich in
peitschenden Schlägen und spalteten die einsam dastehende
Korkeiche, die wie ein flammendes Fanal aufleuchtete, ehe der
Wolkenbruch die Glut erstickte.

Schweigend bewegten sich die Reiter durch die endlose

Weite, in der die Fährte der schweren Conducta längst
verschwunden war.

Cochise, Haggerty und Viktorio hatten die Spitze

übernommen. Etwa fünfzig Yards zurück ritten Tehueco,
Naiche und ihre Krieger.

John Haggertys Gedanken weilten im Zeltlager der 3th

Cavalry, und für einen Augenblick verdammte er die Freiheit,
die ihn von allen Pflichten gegenüber General Howard befreite.
Er war ein freier Mann in einem freien Land, und dennoch
bewegte er sich wieder einmal im Schatten der Armee.
Irgendwo weit voraus auf der Flucht vor maximilianischen
Truppen floh Don Rodriges in die schützenden Schluchten der
Berge, ohne daß der General ahnen konnte, daß ein zweiter,
nicht weniger gefährliche Gegner, seiner unsichtbaren Spur

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folgte.

Johns Blick streifte Viktorios flinken Pinto, über dessen

Reitdecke ein Bündel blutiger Haarschöpfe herabbaumelte.
Schwarzgesträhnte Mexikanerskalps, rote und graue
Haarbüschel kaiserlicher Soldaten.

Wie grausam ein Apache nur sein konnte.
Ihr Anblick erinnerte John, daß er inmitten einer Schar

Wilder ritt, die, niemals ihr Land aufgebend, eine ständige
Plage für siedlungswillige Einwanderer sein würden. Und für
einen Moment hatte er jenen Tag am Whitewater vor Augen,
als Viktorio ein ganzes Mormonendorf auslöschte. Der
Mimbrenjo-Jefe war ein unerbittlicher, gnadenloser Feind aller
Weißen und Mexikaner.

Ihre Blicke berührten sich. John sah das grausame Lächeln in

Viktorios dunklen Augen, so, als habe der Mimbrenjo seine
Gedanken erraten. Und John Haggerty ahnte, das Viktorio mit
den erbeuteten Skalps nicht zufrieden war, die ihm Ruhm und
Ehre bei den Stämmen der Apachen einbrachte. Er würde
weiter töten, damit die grausame Beute sein Zelt schmückte
und weithin seine Tapferkeit verkündete.

Sturmwind peitschte ihnen entgegen. Von den Santilleros,

die Viktorio und Cochise über die Schulter gestülpt hatten,
troffen Regenbäche, und auch John spürte die nasse Kälte, die
durch den dünnen Wettermantel drang.

Es wurde dunkel. Die Sicht betrug keine zehn Yards weit.
Unbemerkt schwenkte Cochise nordwärts. Als sie den

buschbewachsenen Hügel erreichten, hielt der Chief sein Pferd
zurück.

»Die Geister des Donners und des Regens verdecken Sonne

und Mond und zwingen uns, hier unser Lager aufzuschlagen«,
rief Cochise ins tobende Unwetter. »Es ist ihr Wille, daß wir
den Fremden nicht folgen können.« Er gab den
nachdrängenden Reitern ein Zeichen, damit sie von den
Pferden gleiten sollten. Er selbst rutschte von der Flanke seines

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Pintos und führte ihn ins schützende Gesträuch.

Der Sturm peitschte die Äste, aber sein Anprall wurde vom

filzigen Unterholz aufgefangen.

John sah die Schatten, die sich schweigend niederließen. Er

folgte Cochise, der eine enge Lichtung gefunden hatte. Auf
einer Strauchwurzel setzte er sich nieder.

»Du bist ungeduldig, Falke«, sagte Cochise, der an

Haggertys Seite saß.

John nickte. »Wir sind weit von ihrem Weg abgekommen,

Chief. Warum verläßt du ihre Spur?«

Cochise schien zu lächeln. »Der Geist des Regens hält auch

unsere Feinde zurück, denn ihre schweren Schooner werden im
Schlamm versinken. Wenn der Sturm nachläßt, und der Wind
die Erde der Prärie trocken bläst, werden wir ihre Fährte
wiederfinden. Und auch ihre schweren Wagen. Du wirst es
morgen erleben.« Cochise schob die nasse Decke fester um die
Schulter. Er suchte eine bequeme Lage am Strauch und senkte
den Kopf. Seine Augen waren geschlossen, und John spürte,
daß der Häuptling seine Gedanken löschte, um einige Stunden
Schlaf zu finden.

John fror. Doch irgendwann nahm auch ihn die Müdigkeit

auf. Die Umgebung verwischte und das Heulen des Sturms
verblaßte.

Als er aufwachte, dämmerte es. Im Osten, jenseits des Rio

Casa Grande, stieg glutrot die Sonne über die Berge und
verkündete einen neuen, heißen Tag.

Die Apachenkrieger waren in Bewegung und führten ihre

Gäule aus den nassen Sträuchem. Cochise reichte ihm ein
Stück Pemmikan, das sein Sohn Naiche als
Trockenverpflegung mitführte. Der Jerky aus Fett, Gewürzen
und Fleisch schmeckte vorzüglich. Noch während er sich den
Magen füllte, suchte er den Mimbrenjo-Jefe, der in der Nacht
in seiner Nähe geschlafen hatte.

»Wo steckt Viktorio?« wollte er wissen.

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Cochise deutete lächelnd in südwestliche Richtung. »Er und

zwei Späher sind aufgebrochen, um die verlorene Spur zu
finden.«

John wußte, was den Mimbrenjo so früh auf die Beine

gebracht hatte. Er antwortete wütend: »Er hat Angst, die
schnellen Gewehre zu verlieren.«

Der Häuptling nickte ernst. »Es wird schwer sein, ihn zu

überzeugen, daß die schnellen Gewehre Eigentum der weißen
Soldaten in Tucson sind.« Doch dann lächelte er. »Wer weiß,
ob wir sie je erbeuten werden. Weshalb also beschäftigen wir
uns mit diesen Gedanken? Komm jetzt, wir haben Zeit
verloren.«

Cochise führte sein Pferd aus dem Strauch. Als John ihm

folgte, saß der Chief bereits im Sattel und sprach im
athabaskischen Dialekt auf die Krieger ein.

Die verdörrte Wüste, in der Nacht vom Wasser getränkt,

zeigte für wenige Stunden blühende Vegetation. Ein
Blumenteppich reichte bis zu den fernen Schatten der Berge.

Doch am Mittag ließ glühende Hitze den bunten Korso

welken. Zurück blieb hartes Grammagras, durchwachsen von
widerstandsfähigen Manzanitas, Speerdorn, Wacholder und
anspruchlosen Organos.

Der Boden war schorfig und brach an vielen Stellen auf.
Cochise hatte einige Späher vorausgesandt. Zwei von ihnen

kehrten nun zurück. Sie deuteten mit einem Wortschwall nach
Süden, John, ihrer Sprache mächtig, hörte, daß die
Kundschafter auf eine breite Spur beschlagener Pferde
gestoßen war. Unmöglich konnten sie von Don Rodriges
Mannschaft stammen, der seiner Schätzung nach viele Meilen
westwärts reiten mußte.

»Es sind die Buntröcke«, sagte Cochise in Johns Überlegung

hinein. »Sie folgen den Rebellen. Wir wollen vorsichtig sein
und ausschwärmen.«

In der Folgezeit zogen die einzelnen Kriegsgruppen weit

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auseinander durch die Prärie und benutzten jede Senke als
Deckung.

Nach etwa einer Stunde erreichten sie die Fährte, die

Cochises Späher entdeckt hatten. Cochise glitt vom Pferd und
prüfte die Spuren. Als er wieder sein Pferd bestieg, blickte der
Jefe ernst nach Westen in die Richtung, in der sich die
Rebellen und auch Viktorio bewegten.

»Die Bunthosen sind uns zwei Stunden voraus, Falke. Wir

wollen eine schnellere Gangart anschlagen.«

Noch während er sein Pferd in Bewegung setzte, war es

John, als höre er das ferne Echo von Schüssen, das eine Weile
andauerte und dann verstummte. Er trieb seinen Gaul an
Cochises Seite.

»Du bist in Sorge um Viktorio?« fragte er geradewegs.
Cochise nickte ernst. »Er ist unbesonnen und unbeherrscht,

wie es ihr Weißen mitunter seid. In manchen Dingen ist er
unberechenbar.« Cochise trieb die Wüstenmokassins in die
Flanke seines Pferdes und lockerte die Zügel. Noch während er
der breiten Spur im Galopp folgte, schwenkten seine
verstreuten Krieger zu ihm. John Haggerty hatte Mühe, ihnen
zu folgen.

Breite Distel- und Organosfelder durchzogen das Hügelland.

Wie drohende Säulen reckten gewaltige Kerzenkakteen ihre
Arme in den flimmernden Tag.

Auf dem steinigen Geröllfeld erkannte John einige Male

Spuren der Conducta, und es wunderte ihn, wie weit Don
Rodriges trotz des Unwetters nach Westen vorgedrungen war.

Irgendwann, am Nachmittag wich Cochise von der Fährte ab

und führte seine Kriegsgruppen in einen flachen Felskessel. Er
sprach mit Naiche und Tehuecco, deutete mehrmals nach
Westen und gab John schließlich ein Zeichen, daß er ihm
folgen möge.

Die Apachen stiegen von ihren Pferden.
John ritt in Cochises Schatten, der wachsam wie ein Luchs

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die Umgebung absuchte und sich ständig zwischen den flachen
Hügelwellen bewegte. Irgend etwas schien Cochise zu spüren,
wovon Johns zivilisierte Sinne nichts aufnehmen konnten.

Schließlich ritt er zu den Beifußsträuchern auf dem Hang und

stieg vom Pferd. Noch ehe John eine Frage stellen konnte,
verschwand der Häuptling im Gebüsch.

John versuchte zu folgen. Cochise war bereits weit voraus

und durcheilte mit raumgreifenden, wieselflinken Schritten die
Senke, so daß Haggerty immer mehr an Boden verlor.

Cochise war längst im mannshohen Chollasgestrüpp des

nächsten Hügels verschwunden, als John dort eintraf. Er kroch
durch die filzigen Disteln, die Spuren von Cochises Weg
zeigten. Als er den Häuptling erreichte, lag Cochise im
schützenden Schatten des Gesträuchs und blickte schweigend
in die Tiefe.

Johns Atem ging schwer vom schnellen Lauf. Er warf sich an

die Seite des Häuptlings, der stumm in die Tiefe zu den drei
Murphys deutete, um die sich maximilianische Soldaten
scharrten. Es mochten fünfzig sein und mehr. Aber John
erkannte auf den ersten Blick, daß die Schooner leer waren und
ihre Räder tief im losen Treibsand steckten. Kisten waren
erbrochen. Rodriges mußte die Fracht auf die Reitpferde
gepackt haben, als er die aussichtslose Lage der Wagen
erkannte, ehe er seine Flucht fortsetzte.

Cochise stieß ihm die Faust in die Flanke und deutete auf den

freien Platz zwischen den Schoonern.

»Viktorio«, flüsterte der Häuptling leise, »die Bunthosen

haben Viktorio und zwei seiner Krieger gefangen. Sie werden
sie zu Tode foltern. Du weißt warum?«

John dachte an die vielen Dragonerskalps, die Viktorio

mitführte. Er nickte und schätzte bereits die Entfernung von
ihrem Lauerposten bis zur Conducta.

»Wir werden einen Weg suchen, um ihn zu befreien«, sagte

er und nannte sich im selben Augenblick einen Narren. Mit

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dem Mimbrenjo verband ihn nichts. Nur Ärger, der
zwangsläufig auf ihn zukommen würde, sollten sie in den
Besitz der geraubten Waffen kommen. Viktorio würde niemals
seinen Anspruch aufgeben. Weshalb also überließ er ihn nicht
seinen Feinden, die ebensowenig Erbarmen kannten wie der
Mimbrenjo selbst?

Er spürte Cochises prüfenden Blick. »Du würdest dein Leben

für ihn einsetzen, Falke?« fragte der Häuptling. »Er wird es dir
nie danken.«

»Und du, Jefe? Würdest du dein Leben nicht für sein Leben

wagen?« fragte John zurück.

Cochise zuckte lächelnd die Achseln. »Das ist etwas anderes,

Falke. Ich bin ein Apache und Jefe wie Viktorio. Uns
verbinden die Bande unseres Blutes.«

John blickte in die Tiefe. Er sah ihre Bewegung und hörte ihr

heiseres Lachen, als die Soldaten die drei Rothäute brutal auf
die Beine zerrten und an die schweren Räder der Schooner
fesselten. Er schloß die Augen, als einer von ihnen, der
Uniform nach ein Offizier, eine schwere Peitsche ergriff und
die Riemen auf Viktorios nackten Oberkörper
niederschmetterte. John hörte den schmatzenden Laut und sah
den blutigen Striemen auf Viktorios brauner Haut. Doch kein
Laut des Schmerzes drang von den Lippen des Mimbrenjos.

»Wir werden warten, bis es dunkel ist«, sagte Cochise ruhig

und kroch tiefer ins Gesträuch.

»Bis dahin haben die Soldaten ihn totgepeitscht«, sagte John

Haggerty.

Ein undurchdringliches Lächeln stand im kühnen Gesicht des

Häuptlings. »Er ist Apache, Falke, und an Schmerz gewöhnt.
Er wird seine Gedanken ausschalten und den Schmerz nicht
spüren. So läßt sich vieles ertragen. Wir wollen Tehueco
informieren und gemeinsam den Weg suchen, wie wir den
Mimbrenjo-Jefe aus der Hand der Rothosen befreien können.«

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*

Als Wild Bill Hickok auf dem Weg nach Animas das einsame
Bergtal berührte, lebte in ihm die Erinnerung an die
erbarmungslose Schlacht auf, die er gegen Don Rodriges
Pistoleros gefochten hatte. Fünf Männer hatten hier ihr Leben
lassen müssen. Darunter berühmte und berüchtigte Gunfighter
wie Rod Claymont, Sam Ambom und Tim Hipper, die, im
Zweikampf unbesiegt, im Ansturm mexikanischer Pistoleros
verblutet waren.

Das Tal war einsam und verlassen. Die flachen Hügel am

Platz vor dem Berg, in der die Toten ruhten, verfallen. Aus der
schwarzen verbrannten Erde, auf der vor zwei Wochen noch
ein Dorf gestanden hatte, kroch schüchtern das erste Grün. Die
Bewohner des Tales hatten alle Spuren verwischt.

»Hierher wird niemand zurückkehren«, sagte Hickok

verbissen, während er vom Gaul stieg, den Plainshut vom Kopf
zog und ein paar Worte zu den Gefallenen sprach.

Minuten später saß er wieder im Sattel und sprengte seinen

Leuten voran die breite Serpentine hoch, auf der Kot und
verwitterter Unrat modernd an Charlie Goodnights geraubte
Herde erinnerte.

Hickok wandte sich nach Westen, mit dem Ziel Animas, wo

er hoffte, den Augenblick zu erleben, wo man Don Rodriges
am Hals aufhängen würde. In einem Dorf auf halbem Weg
nach Animas stieß er auf eine Militärpatrouille aus der Stadt,
und in einem Gespräch mit dem jungen Offizier mußte er
erfahren, daß in Animas kein Mexikaner auf seine Hinrichtung
warten mußte, weil niemand einen Mann namens Rodriges
dem Militärgericht übergeben hatte.

Diesem Gedanken folgend schwenkte er mit seiner Truppe

nach Süden und strebte der mexikanischen Grenze entgegen,
hoffend, irgendwann auf eine Spur Haggertys und des
Apachenhäuptlings zu stoßen.

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Zwei Tage ritten sie und erreichten das Tal der Singenden

Winde. Dort, wo das Tal in einen Engpaß hineinstieß,
begegneten sie Wrackteilen eines schweren Gefährts und einem
weiten Grabhügel, der darauf schließen ließ, daß hier ein
heftiges Gefecht stattgefunden hatte. Er erinnerte sich der
Conducta mit den geraubten Armeekarabinern, von denen
Haggerty gesprochen hatte.

»Ich glaube, wir sind auf dem rechten Weg«, sagte Hickok

zuversichtlich, beugte sich nieder und wog eine zerbrochene
Lanzenspitze in der Faust. »Die Bastarde, die unsere Freunde
auf dem Gewissen haben, hatten eine harte Auseinandersetzung
mit Rothäuten. Vielleicht waren es Apachen, die ihrem
Häuptling entgegen ritten und auf den Treck gestoßen sind.«

»Vielleicht liegt Cochise und sein weißer Freund, der Falke,

dort unter dem Hügel begraben.« Alison deutete mit dem
Karabinerlauf auf die breite Erdwölbung.

Wild Bill Hockoks Grinsen war eine Herausforderung, als er

antwortete: »Die beiden bringt so schnell nichts um. Entweder
haben sie ihre Pläne geändert und folgen der Conducta, wobei
sie den General als Gefangenen mitführen. Oder der
schlitzäugige Bastard ist ihnen entwischt und sie sitzen auf
seiner Spur. Das käme unseren Interessen nahe, Jungs, denn es
ist beileibe sicherer, wir hängen den mexikanischen Rebellen
an eine Sequori, anstatt daß die Armee über sein Schicksal
berät.«

Marwik kroch zwischen den Trümmern des Schooners

umher, von dem nur wenig übriggeblieben war. Er schleppte
die Reste eines verbogenen Gewehrlaufes heran, den er dem
Anführer reichte. »Das war mal eine Winchester. Es liegen
noch mehr dieser Torsos herum. Der Wagen muß explodiert
sein.«

Hickok nickte. Seine Augen leuchteten, denn er sah sich in

seiner Theorie bestätigt. »Reiten wir, Jungs, und halten die
Augen offen. Ich möchte nicht in den Hinterhalt von Rodriges

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Pistoleros rennen.«

*

Von nun an zogen sie zügig nach Süden, durchquerten den Paß
in einem Tag und erreichten offenes Land, das sie zu einem
breiten Fluß führte.

Am Ufer des Rio Casa Grandes berührten sie eine

niedergebrannte Hazienda. Ein bestialischer Gestank zwang
sie, die Bandera vor den Mund zu binden. Als sie sich dem
Anwesen näherten, stieg ein Schwarm Geier krächzend in den
Himmel. Hinter den Mauertrümmern sahen sie den Grund: fast
zwei Dutzend Menschen lagen weit verstreut zwischen
Granattrichtern.

»Hier hat ein Gefecht zwischen Regierungstruppen und

Rebellen stattgefunden«, sagte Hickok bestimmt.

Worauf Alison auf die Toten deutete.
»Und wer hat ihnen die Skalps vom Kopf geschnitten?«

fragte er höhnisch. »Die kaiserliche Armee ihren eigenen
Gefallenen? Oder die Rebellen ihren eigenen Leuten?«

»Verdammt, was weiß ich, was hier geschehen ist?« fluchte

Hickok. »Wir wollen wachsam sein und am Flußufer rasten.«
Er schwenkte sein Pferd und sprengte über die Mauerreste der
Einfriedung.

Zwischen Rotdorn, Husachesträuchern und wohlriechendem

Sagebrush fanden sie eine Tränkstelle für ihre Pferde. Noch
während sie ihre Pferde in das knietiefe Wasser führten,
deutete Marwik unauffällig zu dem Steilhügel im Norden.

»Wir werden beobachtet, Hickok«, flüsterte er.
Wild Bill folgte der Bewegung. Er sah im Schatten filziger

Sträucher eine halbnackte Gestalt, die nur mit einem offenen
Chaparajos und einem Lendenschurz bekleidet war, und jede
ihrer Bewegung folgte. Sein Jagdinstinkt spürte, daß im Busch
noch mehr dieser kriegerischen Rothäute steckten.

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20

Seine kühnen Augen blitzten, denn er glaubte nun zuwissen,

wer die Toten auf der Casa skalpiert hatte.

»Sie sind scharf auf unsere Haarpracht, Alison. Sieh zu, daß

du sie in der Nacht nicht verlierst.«

Alison hob grinsend seinen Stetson und deutete auf sein

schütteres Haar. »Bei mir macht es ihnen keine Freude, Aber
deine Lockenpracht, Hickok, würde eine Rothaut zur Kühnheit
verlocken.«

Hickok strich über das wallende Haar, das ihm bis zu den

Schultern reichte.

»Es wäre nicht das erste Mal, daß es einer versucht hat, und

wird auch nicht das letzte Mal bleiben. Aber sie alle werden
den Augenblick nicht erleben«, erwiderte er im Brustton
tiefster Überzeugung. »Jungs, führt die Gäule ins Gesträuch
und bindet ihnen Fesseln. Nehmt den Karabiner und steckt
euch die Taschen voll Munition. Vielleicht bekommen wir in
der Nacht Besuch.«

Noch einmal streifte sein Blick die Höhe. Die Rothaut war

verschwunden.

Aber sie alle waren gewarnt. Im Wechsel von je sechs Mann

wachten sie in der Nacht, lagen mit entsicherten Gewehren und
griffbereiten Colts im Gebüsch und warteten auf einen Angriff.

Weit nach Mitternacht schallte der Ruf eines Rotfuchses auf,

der von einer anderen Stelle beantwortet wurde. Unverfänglich,
wie es schien, denn der Fuchs belegte die Nacht. Aber der Ruf
konnte Hickok nicht täuschen. Er kroch zu Torney, McDiem
und Newer, die sich im losen Ufersand eine Mulde gegraben
hatten.

»Haltet die Augen offen, sonst seid ihr bald euren Skalp los.

Sie kommen, denn ich rieche schon ihren Schweiß.«

Hickok kauerte unter einem Rotdornstrauch. In beiden

Händen hielt er die schweren Colts.

Der Wind strich durch die Büsche, wehte über die

grasbewachsene Fläche, die im satten Mondlicht lag, und

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streichelte die Halme. Plötzlich klang trommelnder Hufschlag
im Norden auf, der sich rasch näherte. Schatten gleich floh ein
halbes Dutzend struppiger Ponys über die Ebene. Wildes
Geschrei füllte die Nacht.

McDiem und Torney begannen zu feuern, ehe die Reiter auf

Schußnähe heran waren. Die Angreifer schwenkten sofort ihre
Pferde in Richtung Fluß und dann nach Norden. Noch immer
war ihr wütendes Geheul zu hören.

»Das war ein Scheinangriff«, rief Hickok gedämpft, »sie

wollen unsere Pferde.«

Mit einem Sprung war er tiefer im Gesträuch und bahnte sich

den Weg zur Lichtung, wo ihre Pferde grasten. Die Tiere
stampften unruhig mit den Hufen. Fremder Schweißgeruch
machte sie nervös. Da sah er auch schon den Schatten, der die
Remuda anging.

Sein linker Revolver explodierte und die Rothaut fiel stumm

ins Gras. In der Nähe raschelten Sträucher. Hickok fuhr
blitzschnell um die Achse. Er hörte Alisons Stimme und sah
aus den Reflexen des Augenwinkels, wie ein Schatten ihn von
der Seite ansprang. Trotz des Zwielichtes erkannte Hickok die
Lanze, die die Rothaut ihm entgegenstieß. Wild Bill tänzelte
einen halben Schritt zurück, ließ den Revolver fallen und
erfaßte den Lanzenschaft. Seine mächtige Pranke zuckte ins
Dunkel und er spürte den harten Anprall. Die Lanze hing nun
schlaff in seiner Faust, die Rothaut rollte stumm vor seine
Füße, drehte sich noch einmal auf den Rücken und streckte
dann Arme und Beine aus.

»Es müssen noch mehr im Busch stecken«, flüsterte Hickok,

»holt sie euch.« Er selbst beugte sich nieder, erfaßte den
Bewußtlosen und zerrte ihn ans Ufer des Creeks.

Alison und McDiem feuerten ihre Revolver ab. Ihr Fluchen

zeigte, daß sie ihr Ziel verfehlt hatten. Schatten huschten davon
und verschwammen mit der Dunkelheit.

Wild Bill Hickok schob den Kopf des Bewußtlosen tief ins

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kalte Wasser des Flusses. Er hörte, wie Alison und McDiem
herantraten.

»Willst du ihn ersäufen?« fragte Alison trocken, während er

die verschossenen Patronen im Colt ersetzte.

»Ich will wissen, wie viele sie sind«, fluchte Hickok und riß

den Kopf der Rothaut aus dem Wasser. Der Bursche trampelte
und zappelte und schien nun wieder bei Bewußtsein. Er stieß
kehlige Laute aus, die Hickok nicht verstehen konnte.

Hickok zog den Burschen auf die Beine. Ein schlanker,

muskulöser Krieger. Blutjung und beweglich wie eine Gerte.
Er sprach ihn an. Als der andere keine Antwort gab, riet
Alison: »Versuch es mit deinem Spanisch. Der Bastard scheint
ein Yaqui zu sein. Sie leben im Grenzland.« Noch während er
sprach, trat Alison näher. Er griff in den Gurt und setzte der
Rothaut sein breitklingiges Bowiemesser an die Kehle. »Frag
ihn jetzt. Wenn er Spanisch versteht, wird er dir antworten.
Wenn nicht, schlitze ich ihm die Ohren aus seiner
weißgefärbten Visage. Comprende, amigo?« Er grinste so
boshaft, daß die Rothaut zaghaft nickte.

»Comprende americano.«
»Na also«, Alison zog sein Messer zurück.
Wild Bill begann sein Verhör. »Du bist ein Yaqui?«
»Sie, americano.«
»Ist Tehueco dein oberster Häuptling?« bellte Hickok.
Der Indianer zuckte schmerzhaft zusammen. Er murmelte

etwas in seiner Sprache, das wie ein Fluch klang. Hickok
erinnerte sich der kurzen Unterhaltung, die er mit John
Haggerty im Banditennest geführt hatte.

»Dein Häuptling ist Natie, der sich der Rote Wolf nennt. Und

ihr seid seine Wölfe. Abtrünnige der Yaquisippen.
Ausgestoßen und verdammt von euren Familien.
Nomadisierende Bastarde, die von Raub und Mord leben und
friedlichen Siedlern das Leben zur Hölle machen.« Hickok
redete sich in Zorn, und als er En-akai ansah, der schwach zu

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grinsen begann, überkam es ihn und er schlug ihn mit der Faust
nieder.

Wie ein Stein fiel En-akai zu Boden.
»Damit hättest du auch einen Ochsen erlegt«, sagte Alison

sarkastisch. »Er wird dir eine Weile nicht sagen können, was
du wissen willst. Du bist unbeherrscht, Freund. Ein Zeichen,
daß du älter wirst, Hickok. Was nun?«

»Ich weiß, was ich wissen will. Sie sind etwa zwanzig

Krieger, die von Raubzügen leben. Cochise wäre dankbar,
wenn er ihrem Häuptling begegnen würde. Und Tehueco, der
Yaqui-Kazike, erst. Er würde mir die hübschesten Weiber
seines Dorfes schenken, wenn ich ihm den Roten Wolf vor die
Füße werfe.«

Hickok grinste, während er den Bewußtlosen am ärmellosen

Caparajos faßte und auf die Beine stellte. »Wir bringen ihn ins
Lager, und wenn er morgen früh aufwacht, jagen wir ihn zum
Teufel.«

»Du willst ihn laufen lassen?« fragte Alison verblüfft.
Hickoks Grinsen wurde boshaft. »Nicht, bevor er erkannt

hat, wie schnell unsere Revolver sind. Ich will Ruhe vor den
Bastarden haben und nicht damit rechnen müssen, daß sie uns
bei der nächsten Gelegenheit ihre Pfeile in den Rücken
pflanzen. Du weißt, daß wir uns eine Aufgabe gestellt haben.
Dafür brauchen wir die nötige Freiheit.«

*

Trotz der Schmerzen, die unter der Haut brannten, war
Viktorio bei vollem Bewußtsein. Er hatte erlebt, wie der
Offizier seine Befragung über den Verbleib der Rebellen
beendete, weil er keinen Erfolg sah. Er erkannte mit
brennenden Augen, wie die Peitsche des Offiziers Snake-aman
und Omar-Hill peinigte, bis sie ihr Bewußtsein verloren. Er
sah, wie der Bunthosenoffizier wütend von ihnen abließ und zu

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seinen Soldaten trat und Befehle erteilte.

In der Abenddämmerung war eine achtköpfige Spähergruppe

aufgebrochen, um den Pferdespuren, die nach Westen führten,
zu folgen.

Der Offizier war noch einmal zu ihm getreten und hatte

versprochen, ihn langsam und qualvoll am Rad eines
Schooners sterben zu lassen.

Dies alles hatte Viktorio gelassen hingenommen, denn er

fühlte sich nicht allein. Freunde waren in der Nähe. Sie würden
ihn bald finden.

So überraschte es ihn nicht, als der leise Ruf einer Graszirpe

in der Dunkelheit ertönte, der ihm Cochises Nähe anzeigte. Er
lächelte, und der Schmerz unter der Haut verlor seine
Bedeutung.

Sein Blick streifte die Feuer, die die Bunthosen in der Mulde

entzündet hatten, und berührte den Offizier, der ihn mit der
Peitsche gedemütigt hatte, wie einen Bastardhund, der an
Prügel gewöhnt war. Er wollte es nicht vergessen.

Sein scharfes Ohr nahm Laute auf, die von den Hügeln

kamen, und dann plötzlich sprengte eine Reiterschar lautstark
auf das Soldatenlager zu und scheuchte die Uniformierten auf
die Beine. Noch während die Kaiserlichen ihre Waffen
ergriffen, um sich zu verteidigen, verschwanden die Reiter wie
Schatten in der Dunkelheit.

In diesem Moment der Verwirrung spürte Viktorio die

scharfe Klinge, die über seine Brust fuhr und die Fesseln
durchtrennte.

Ein flacher Atemzug berührte ihn.
»Cochise?« flüsterte Viktorio, während er die Blutstauung in

den Armen massierte.

»Der Jefe befreit die anderen. Bleib liegen und wart auf sein

Zeichen«, antwortete Haggerty. Lautlos glitt er unter den
Planken des schweren Schooners hindurch und verschwand in
der Nacht.

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25

Im Lager der Soldaten herrschte Aufregung. Befehle

schallten durch die Nacht. Im weiten Viererkarree gingen die
Soldaten in Stellung und erwarteten den zweiten Angriff.

Viktorio verharrte in stummer Reglosigkeit. Er schloß die

Augen, um sich auf den Augenblick der Flucht zu
konzentrieren. Seine Gedanken berührten den Falken, der nicht
sein Freund war, und es wunderte ihn, daß der Falke sein
Leben für das seine riskierte.

Endlose Sekunden vergingen, ehe der Lockruf der Zirpe die

Nacht durchdrang. Blitzschnell tauchte Viktorio in den
Schatten des Schooners, kroch unter der Achse hindurch in die
Finsternis.

Der Ruf der Zirpe kam nun vom nahen Hügel, den Viktorio

ohne Zögern anging. Irgendwie schienen die Soldaten von der
Stille beunruhigt. Sie begannen ziellos in die dunkle Nacht
hinein zu feuern.

Viktorio spürte ihre Angst. Er lächelte grausam, als er ins

Gesträuch eindrang. Seine Schmach würde er nicht vergessen.

»Viktorio?« rief Cochise ungeduldig.
Viktorio drängte durch den Busch und erreichte den

Häuptling, der ihm die Schlinge eines Lassos zuwarf, sein
Pferd herumriß und davonjagte.

Pfeilschnell flog Viktorios Körper auf den Rücken des

Pintos. Seine Wüstenmokassins drängten ins Fell des Pintos,
und er folgte dem Hufschlag Cochises.

Er durchquerte das Tal und überschritt den zweiten Hügel,

hinter dem sich die Apachenkrieger formiert hatten.

»Wir wollen nach Norden ausweichen und ihr Lager

umgehen«, bestimmte Cochise, als Viktorio an seiner Seite
auftauchte. Fahles Licht erhellte die Prärie.

Viktorio atmete schwer. Plötzlich brannten wieder seine

Wunden. Mit zorniger Stimme erwiderte er: »Wir sollten nicht
fliehen, sondern die Soldaten angreifen und niedermachen. Ich
werde diesen Offizier, der mich wie einen Hund prügelte,

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töten.«

»Du hast es dir selbst zuzuschreiben, Viktorio«, sagte der

Häuptling. »Nur dein Leichtsinn brachte dich in diese Lage.
Bedenk, es steht mehr auf dem Spiel als die Rache an einem
einzelnen Mann. Laß Vernunft und Klugheit sprechen und
verdränge deine Rachegelüste. Vielleicht wirst du deinem
Peiniger bald begegnen.«

Der Mimbrenjowolf blickte zu den Hügeln, hinter denen

noch immer Gewehrfeuer erschallte. Sein Blick streifte den
Falken, der an Cochises Seite ritt. Er sprach kein Wort des
Dankes, sondert zog sein Pferd herum.

»Deine Worte sind klug, Cochise. Ich kann warten.«
Cochise führte seine Kriegsgruppe nach Norden, um gegen

Morgengrauen in südwestlicher Richtung die Fährte der
flüchtigen Rebellen zu suchen. Er ahnte, daß die Tropa die
Kaps der Berge bald erreichen würde. Deshalb bestimmte er
nur eine kurze Rast an der Wasserstelle, die sie berührten, und
setzte den Weg im Eiltempo fort.

Mit den ersten Morgenschatten stießen sie auf eine breite

Pferdespur, der sie eine Weile folgten. Cochise ließ vier Späher
vorausreiten, die schon bald zurückkehrten. An Apa-noganes'
Lendengurt baumelten vier hellhaarige Skalps, was John
erkennen ließ, daß sie Feindberührung hatten.

Apa-noganes berichtete mit schnellen Worten und deutete

nach Westen. Cochise gab Viktorio und dem Falken ein
Zeichen und preschte in diese Richtung. Nach zwei Meilen
stießen sie auf ein Dutzend Skelettbäume, die von
Zapotesträuchern umschlossen waren. Auf der Lichtung lagen
tote Soldaten. Die Vorausabteilung der Dragonereinheit. Die
Erde war aufgewühlt und zeigte Spuren eines harten Kampfes.
John sah die Toten, und er wußte, woher Apa-noganes seine
Beute hatte.

»Die Soldaten sind auf eine Nachhut der Rebellen gestoßen«,

sagte Cochise, ohne daß er vom Pferd stieg. Er beobachtete den

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27

Mimbrenjo-Jefe, der aus dem Buschgürtel herausgeritten war
und nach Spuren suchte.

Viktorio kehrte nach wenigen Minuten zurück.
»Sie sind uns fünf Stunden voraus, Cochise. Ich fürchte,

unsere Feinde werden in den zerklüfteten Sierras
untertauchen.« Die Unruhe, die ihn beherrschte, zeigte sein
Jagdfieber. John Haggerty, der dies bemerkte, kannte den
Grund seiner Unruhe. Viktorio dachte noch immer an die
Waffen, als wären sie sein Eigentum.

»Die Götter der Berge sind die Freunde der Apachen. Sie

werden uns ihr Wohlwollen zeigen. Wir werden ihre Spur auch
auf dem harten Fels erkennen.« Während Cochise sprach,
drehte er sich auf dem Rücken seines Ponys um und blickte
nach Osten, von wo aus seine Krieger heransprengten. Aber
seine Gedanken liefen über sie hinweg zu den
Bunthosensoldaten, die denselben Pfad wie sie beschriften. Das
machte ihm Sorgen.

Trotzdem gab er das Zeichen zum Aufbruch.
Die pfadlose Prärie zeigte ihr verdorrtes Wüstengesicht.

Loses, sprödes Geröll wechselte ständig mit sandigen Dünen.
Dazwischen lagen schroffe Bergkuppen und zerklüfteter Fels,
absolut geeignet für einen Hinterhalt. Cochise ließ seine
Gruppen ausschwärmen. In weiter Front gingen sie die Berge
an. Er, Naiche und der Falke führten die Chiricahuas auf der
nur noch schwach zu erkennenden Spur der Rebellen, Viktorio
und seine Mimbrenjos schützten die offene Südflanke, und
Tehueco mit den Yaquis deckte das nördliche Territorium.

Mit zunehmender Dunkelheit wuchsen die hohen Schatten

der Sierra Alamo Hueco in den scheidenden Tag. Ihre
mächtigen schneebedeckten Gipfel wirkten wie drohende
Fäuste, die sie den Eindringlingen entgegenstreckten.

Irgendwo dort oben auf der Kuppe eines Berghügels liegen

die Ruinen eines alten Franziskanerklosters, dachte John
Haggerty, den das Bild beeindruckte. Vielleicht liegt dort das

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Ziel Don Rodriges.

*

Wild Bill Hickok lächelte, unbeeindruckt der drohenden
Haltung der Yaquis, die der Rote Wolf bei der
niedergebrannten Hazienda versammelte, denn er wußte, daß
die abtrünnigen Yaquis es niemals wagen würden, sie so offen
anzugreifen. Ihre drohenden Gesten sollten ihn und seine Leute
nur einschüchtern.

»Bring den Bastard, Alison«, sagte Hickok und deutete zu

der gefangenen Rothaut, die gefesselt im Gebüsch lag.

En-akais Gesicht zeigte die Spuren von Hickoks Fäusten.

Doch stolz hielt er den Kopf in den Nacken und blickte zu
seinen Brüdern hinüber, die vor der Mauer der Hazienda ihre
Ponys bewegten.

»Schau dir deine Sinnesgenossen ruhig an, Rothaut«, sagte

Hickok grinsend, »und berichte ihnen später, was du hier erlebt
hast. Los, Jungs, wir wollen ihm ein Gratisschauspiel bieten,
von dem er noch seinen Urenkeln erzählen kann. Wie wäre es
mit dir, McDiem?«

Der krummbeinige Revolverschwinger überlegte nur einen

Augenblick, dann trat er zur Feuerstelle, sammelte fünf leere
Konservendosen auf, deren Inhalt sie am Morgen verzehrt
hatten, ging zu einem Rotdorn und schob die Dosen auf die
stachligen Äste.

Fünfzehn Schritte bewegte er sich rückwärts, verfolgt von

den dunklen Augen En-akais. Noch in der Bewegung fuhren
seine Hände abwärts. Die Rechte erfaßte blitzschnell den Colt.
Während der Lauf hochschwang, glitt die Linke leicht wie eine
Feder über den Abzug. Fünf Schüsse krachten, die Dosen
flogen überaus laut polternd aus dem Gesträuch.

Von der Hazienda her schallte wütendes Geschrei der

Yaquis, die aus der Feme dieses Schauspiel erlebten.

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En-akais Gesicht blieb ausdruckslos.
»Er ist von deiner Schießkunst nicht überzeugt, Mac«, rief

Marwik dem Schützen zu. Er suchte eine neue Dose, trat
grinsend näher und stellte sie dem Yaqui auf den Kopf. »Du
hast noch eine Kugel im Lauf. Vielleicht wäre es besser, du
schießt ihm ein Loch zwischen die schwarzen Augen, anstatt
die Büchse zu treffen.«

Marwik trat zur Seite, als aus McDiems langem Revolverlauf

eine Feuergarbe sprühte. Wie von Geisterhand wehte die Dose
vom Kopf des Yaquis, dessen Mundwinkel nervös zu zucken
begannen.

»Er zeigt Regung, Mc. Wir sollten das Spiel wiederholen.

Schieß mal von der abgewandten Seite über die Schulter. Da
stehen die Chancen eins zu eins, ob du das Ziel oder seinen
Schädel triffst.«

McDiem lud grinsend seinen Colt auf.
Hickok schüttelte bei Marwiks Vorschlag den Kopf. »Wir

wollen den Jungen nicht begraben, sondern ihm vor Augen
führen, was geschieht, wenn seine Brüder sich noch einmal in
Reichweite unserer Feuerspucker wagen. Alison, zeig ihm mal
deinen Dollartrick.«

Hickok griff in die Tasche und hielt eine Münze in der Faust.

»Vielleicht beteiligt sich Newer an dem Spaß.«

En-akai wurde unruhig. Obwohl er es nicht zeigte,

beeindruckte ihn die Schießkunst des krummbeinigen
Weißauges. Er blickte auf Hickoks Hand, der mit kräftiger
Bewegung die Münze hochwirbelte.

Als die Münze den Gipfelpunkt erreichte und die

morgendliche Sonne auf ihren wirbelnden Flächen funkelte,
feuerte Clay Alison aus der Hüfte.

En-akai sah, daß die Münze noch einmal hochgeschleudert

wurde, ehe ein zweiter Schuß sie aus der Richtung drängte.
Klirrend schlug sie drei Schritte entfernt auf einen Stein.

Hickok nahm sie auf. Er trat grinsend vor die Rothaut und

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zeigte die beiden Einschüsse in der Fläche. Eine hatte die Mitte
durchschlagen, die zweite Kugel hatte aus dem Rand eine Ecke
gebrochen. »Meine Jungs könnten das Spiel x-beliebig lange
fortsetzen, Yaqui, ohne daß auch nur ein Schuß daneben ginge.
Vielleicht überzeugt das deinen Häuptling Roter Wolf, daß mit
uns wenig Staat zu machen ist.«

Hickok durchschnitt seine Fesseln und schob die Münze in

En-akais ärmellose Lederweste.

»Nun verdufte, Rothaut, und erzähl deinem Häuptling, was

du erlebt hast. Wenn er dann immer noch nicht die Nase voll
hat, werden unsere Kugeln seine schwarzen Haare einzeln aus
dem Skalp zupfen.« Hickok machte eine Handbewegung zur
Hazienda hinüber.

En-akai verstand wohl nicht den vollen Wortlaut seiner

Worte. Aber er spürte im drohenden Unterton der Stimme die
Warnung und sah die Aufforderung des Weißauges, daß er sich
entfernen durfte. Erst mißtrauisch zögernd, dann in schnellen
Lauf übergehend, hastete er den Hang hinauf.

»Der Bursche ist flink wie ein Hase«.
Hickok hob sein Einrohr auf und setzte es ans Auge. Er sah,

wie En-akai den Häuptling erreichte und heftig auf ihn
einsprach. En-akai reichte ihm die Münze, die Roter Wolf nach
allen Seiten drehte und die Einschüsse untersuchte. Mehrmals
ging sein Blick ins Lager der Weißaugen. Schließlich reichte
Natie En-akai den Arm und der schwang sich auf die
Hinterhand von dessen Mustangs. Wildes Geschrei ausstoßend,
sprengten sie in die offenen Plains.

»Er ist überzeugt«, schnaufte Hickok belustig, »und wird

unsere Nähe künftig meiden. Sattelt die Gäule, Jungs, wir
haben viel Zeit verloren.«

Sie vermieden die Nähe der Hazienda, umritten sie in weitem

Bogen und trabten westwärts, hoffend, bald eine Fährte zu
finden. Gegen Mittag stießen sie auf einen Hügel, und Hickok
traute seinen Augen nicht, als er vier Berghaubitzen entdeckte,

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die von buntröckigen Soldaten besetzt waren.

»Maximilian«, sagte er verblüfft und zügelte seinen Gaul.

»Wir sollten sie umgehen«, riet Lorne, »gegen ihre Kanonen
sind unsere Gewehre kleines Spielzeug.«

Hickok schüttelte heftig den Kopf und kramte aus seiner

Satteltasche eine verwaschene Unterhose, die er an den Lauf
seiner Winchester band. »Wir sind weder mexikanische
Rebellen noch streunendes Indianergesindel. Ich hoffe, sie
verstehen, was diese Fahne bedeutet.«

Er lockerte die Zügel und ging in gemächlichem Trab den

Hügel an. Seine Männer folgten.

Schon im Näherkommen erkannte er, daß dies ein

versprengter Haufen Soldaten war. Sie empfingen die Fremden
mit mißtrauischer Zurückhaltung. Der größte Teil von ihnen
sprach Französisch. Doch ein Sergeant war der englischen
Sprache mächtig und konnte die fremden Reiter verstehen.

Hickok drückte seine Verwunderung aus über das Bild, das

er sah, doch der Sergeant klärte ihn schnell auf. Sie hatten vor
zwei Tagen ein Gefecht mit Rebellen am Rio Casa Grande, und
die Rebellen waren nach Westen in die Berge geflohen.
Capitano Laffitieur hatte die schwerfällige Abteilung Artillerie
zurücklassen müssen, die bei einer schnelleren Verfolgung
hinderlich war. Sie warteten hier auf dessen Rückkehr oder
auch auf weitere kaisertreue Truppen, die bald am Rio Casa
Grande aufmarschieren würden. Er sprach von zwei
Regimentern Kavallerie, Artillerie und Infanterie, die General
Miramon befehligte. Sie selbst waren nur die Vorhut.

Er grinste dabei hinterhältig. »Unsere Spione konnten in

Erfahrung bringen, daß der Volksaufwiegler Benito Juárez mit
seiner Rebellenarmee in den nächsten Tagen den Rio Casa
Grande überschreiten und an den Lagunen von Guzman
entlang südwärts zur Hauptstadt ziehen will.«

Hickok war beeindruckt. Er sprach nun selbst von den

Dingen, die ihn nach Mexiko führten. Als er Don Rodriges

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erwähnte, der moderne Waffen mitführte, verlor Sergeant
Poullier den letzten Funken Mißtrauen. Er nickte heftig.

»Das müssen die Rebellen sein, auf die wir am Fluß gestoßen

sind, Monsieur. Es waren fast hundert Männer, meist
Mexikaner.«

»Die Leute, die wir suchen.« Hickok nickte zuversichtlich.

»Erklären Sie uns die Richtung, in der sie geflohen sind. Wir
finden keine Spuren.«

»Ein Unwetter hat sie verwischt, Monsieur«, erwiderte der

Franzose und hielt eine langatmige Rede über den
zurückliegenden Wolkenbruch.

Nach einer Stunde ritten Hickok und seine Mannschaft nach

Westen. Zwei Tage waren eine Menge Vorsprung. Er machte
sich nur Gedanken darüber, wo dieser Armeescout und
Cochises Apachen abgeblieben sein mochten. Sergeant Poullier
hatte sie mit keinem Wort erwähnt Clay Alison drängte sein
Pferd an Hickoks Seite. »Wir reiten mitten im
Aufmarschgebiet der Revolution, Hickok. Ich hoffe nicht, daß
wir zwischen zwei Fronten geraten.«

Wild Bill deutete auf den dunklen Schatten am Horizont.

»Dort liegt unsere Richtung, Alison. In den Bergen wird es
nicht zur großen Schlacht kommen. Aber ich glaube, wir liegen
richtig. Die Waffen, die Don Rodriges erbeutet hat, sind für
Juárez bestimmt. Irgendwann werden er und der
Rebellengeneral aufeinanderstoßen.«

Nach einigen Meilen Wegstrecke vernahmen sie

Geschützfeuer im Osten, von dort, wo die maximilianische
Artillerieeinheit zurückgeblieben war.

Hickok zügelte sein Pferd und lauschte dem rollenden Echo

der Abschüsse, das schwach durch die Einsamkeit floh. Er sah
die fragenden Gesichter seiner Begleiter und grinste
verschlagen.

»Dieser schlitzohrige Yaquibandit hält sich wohlweislich aus

der Reichweite unserer Karabiner. Scheinbar aber sucht er

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Ersatz für die entgangene Beute am Fluß. Ich hoffe nur, die
Berghaubitzen der Maximilians werden den streunenden
Bastarden tiefe Gräber schaufeln.«

*

Santillo und einige seiner kampfstarken Pistoleros lagen
lauernd in den Schrunden der Felsen. Als Nachhut Don
Rodriges' war es ihnen gelungen, die Kundschafter der
Kaiserlichen Armee heimtückisch zu überfallen und in einem
kurzen Schlagwechsel zu erledigen.

Nun, in den Steilhängen der Sierras Alamos lauernd,

entdeckte der mexikanische Bandit drei einzelne Reiter, die
sich vorsichtig durch den Arroyo tasteten, so, als witterten sie
eine Gefahr.

Santillo, der sie schon eine Weile mit dem Fernglas

beobachtete, reichte Mochane grinsend sein Glas. »Die Welt ist
klein, muchacho, sonst könnten wir diesen Bastarden nicht so
schnell wieder begegnen. Erkennst du sie wieder, Juan?«

Juan Mochane preßte das Glas an die Augen. Nach einer

Weile nickte er heftig. »Der eine von ihnen ist der
Apachenhäuptling und der zweite der Mann, den er Falke
nennt. Der dritte Reiter, eine Rothaut, ist mir fremd.« Er reichte
dem Capo das Glas zurück. »Was werden wir tun?«

Santillo blickte zu seinen Männern hinüber, die gut verteilt in

sicherer Deckung lagen, und jederzeit jeden Winkel der
schmalen Schlucht mit ihren Waffen bestreichen konnten. Sie
waren sechs. Die anderen nur drei.

»Wir werden ihre Skalps dem General schenken. Ich wette,

er wird sich uns gegenüber dankbar erweisen. Warten wir, bis
sie auf Schußweite heran sind.« Der Sprecher gab seinen
Männern durch Handzeichen seine Absicht kund, schob seinen
Karabiner näher und legte eine Handvoll Patronen auf den Fels.

Die fremden Reiter zügelten plötzlich ihre Pferde und trieben

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sie dicht zusammen. Sie blickten in die Richtung, wo Santillo
seinen Hinterhalt aufgebaut hatte. Einer streckte den Arm aus.

»Sie haben uns entdeckt«, flüsterte Mochane an Santillos

Seite.

»So scharf können ihre Augen nicht sein«, sagte der Rebell

und Bandit. Er blickte über die Schulter zum Steilhang hoch,
über der ein mächtiger Greifvogel schwebte, nun im Steilflug
niedersank und mit weitem Flügelschlag durch den Arroyo
schwebte. Santillo lachte verächtlich auf.

»Sie bewundern die Natur, Juan. Vielleicht ist es der letzte

Blick, den sie in ihrem Leben aufnehmen.«

Die Reiter trieben ihre Pferde an, kamen nun in Reichweite

von Santillos Gewehren. Er gab seinen Leuten ein Zeichen und
schob den Karabiner an die Schultern. Fast gleichzeitig
feuerten sie.

Reiter und Pferde stürzten, schlugen hart auf den Fels.

Während die Gäule erregt mit den Hufen schlagend hochkamen
und in östlicher Richtung durch den Arroyo flohen, blieben die
Männer als langgestreckte Schatten reglos auf dem Fels liegen.

Santillo setzte die Waffe ab. »Du siehst, es war ein

Kinderspiel. Hol dir Terazo und Dowares und bring mir ihre
Haare.«

Mochane nickte. Er rief nach den beiden und deutete in die

Tiefe. Die Männer sprangen über die Felsen zu der schmalen
Wasserrinne. Sie stellten ihre Karabiner an den Fels und
kletterten mit Mochane in die Tiefe.

Santillo steckte zufrieden eine schwarze Zigarre zwischen die

Lippen und dachte an die Belobigung, die er zu erwarten hatte.
Der General würde mit ihm zufrieden sein.

Steine polterten in die Tiefe. Mochane und seine Bgleiter

rutschten über die Schottermoräne und erreichten nach
fünfzehn Minuten die Schluchtsohle. Mochane winkte hoch.

Santillo blies einige Rauchringe in den Himmel und schaute

gelangweilt zu den Fremden hinüber. Was sie am Körper

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trugen war ihre Beute. Ihre Skalps würden Don Rodriges
erfreuen.

Mochane war nun auf dreißig Yards an die Toten

herangekommen. Er zückte sein Jagdmesser und schwang es
über dem Kopf, so, als wollte er seine Freude bekunden, mit
der er sein Werk verrichten würde. Er und seine Kumpane
gingen weiter.

Als sie nur noch wenige Schritte entfernt waren, fuhren die

»Toten« pfeilschnell in die Höhe, und noch ehe Santillo das
Echo der Schüsse auffing, warfen Mochane, Terazo und
Dowares die Arme hoch und sanken tödlich verletzt zu Boden.

Santillo fiel die Zigarre aus dem Gesicht.
»Carachos«, schrie er im nächsten Augenblick und griff zum

Karabiner. »Die Embudos haben uns reingelegt. Schießt,
Companeros, bis der Teufel sie holt.«

Er feuerte den ersten Schuß ab.
Doch da waren die drei Fremden bereits in Bewegung.

Wieselflink, hakenschlagend wie gehetzte Wildkaninchen,
strebten sie mit mächtigen Sprüngen dem morschen Felsquader
entgegen, den die Natur aus dem Berg gesprengt hatte, und
noch ehe sie eine Kugel erreichen konnte, warfen sie sich
hinter die sichere Deckung.

»Stellt das Feuer ein«, schrie Santillo wütend, als seine

Begleiter den Felsbrocken mit Blei beharkten. »So kommen
wir nicht an sie heran.«

Mescale und Diego krochen mit erhitzten Gesichtern näher.

»Was werden wir tun, Amigo?« fluchte Diego, »sie haben
Juan, Anco und Pedro getötet.«

»Ich werde überlegen.« Santillo hob die entfallene Zigarre

auf und steckte sie in Brand. Eine Weile schloß er die Augen
und schien nachzudenken, bis ein breites Grinsen über sein
narbiges Gesicht lief. »Sie haben keine Gewehre. Die sind mit
ihren entlaufenen Pferden verschwunden. Sie sitzen in der
Falle.« Er nickte, als wolle er seine eigenen Worte bestätigen.

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»Mit ihren Revolvern und Lanzen können sie gegen uns nichts
ausrichten. Du und Mescale, ihr klettert höher und versucht in
ihre Rücken zu kommen. In der Zwischenzeit werden wir die
Gringos beschäftigen. Ich will ihre Haarschöpfe. Schon, um
Juan, Anco und Pedros Frieden willen. Enrico soll euch
begleiten.«

Mescale, Diego und Enrico krochen mit wütenden

Gesichtern davon. Die Toten waren ihre besten Freunde
gewesen. Sie würden sie rächen.

Santillo wartete eine Weile, ehe er Horace, der mit ihm

zurückgeblieben war, ein Zeichen gab.

»Wir feuern alle Minute einen Schuß ab, Compadre. Sie

sollen wissen, das wir noch da sind.« Während er das Gewehr
an die Schulter schob, dachte er nach, wie lange seine drei
Kämpfer brauchten, um in die Rücken der Fremden zu
gelanden.

Eine oder gar zwei Stunden? Was bedeutete schon die Zeit.

Er grinste. Bis zum Einbruch der Nacht würden sie erledigt
sein. Und er dachte an Don Rodriges, der mit der Armee einen
halben Tag voraus sich dem einsamen Kloster nähern mußte.
Morgen würden sie zu ihm stoßen.

Im ständigen Wechsel feuerten sie ihre Gewehre ab. Ihre

Geschosse schlugen Splitter aus der massiven Felsdeckung.
Das Echo rollte durch die Bergwelt. Einmal glaubte Santillo
einen dumpfen Aufschrei zu vernehmen, matt, wie durch einen
Filter gepreßt. Aber es waren wohl seine überreizten Sinne, die
die Laute aufnahmen. Vielleicht war es ein Puma, der hoch in
den Bergen sein Wild jagte.

Die Zeit verrann. Die Schatten in der Schlucht wurden

breiter. Nur undeutlich war ihr Ziel zu sehen. Drei Stunden
mochten vergangen sein.

»Puer Dios«, schrie Santillo einmal wütend, »die Bastarde

lassen sich Zeit, als lägen sie mit einer Concorina im Bett. Es
wird bald Nacht, ohne daß wir von ihnen hören.«

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Er beugte sich über die Brustwehr und brüllte in die Tiefe.

»Companeros, warum gebt ihr nicht auf? Wir werden euch
töten, ohne daß ihr einen Schmerz spürt. Es ist ein gutes
Angebot!«

Drunten blieb es still.
Die Schatten wuchsen über den Fels hinaus und füllten die

Schlucht.

Santillo blickte verzweifelt zum Himmel. In einer Stunde

wurde es dunkel.

An der Südflanke polterten Steine in die Tiefe und zerrissen

die Stille. Ein Mann taumelte über das Felsband. Aus vielen
Wunden blutend, mit vom Kampf zerrissener Kleidung und
irrem Blick, wankte er näher.

»Maldito, Diego«, fluchend fuhr Santillo auf die Beine. Er

starrte seinen Kampfgefährten wie einen bösen Geist an, der
plötzlich aus dem Fels getreten war, »was bedeutet das Ganze?
Wo sind die anderen Männer?«

»Apachen«, röchelte Diego mit letzter Kraft, »Mescale,

Enrico ++ tot.« Er machte einige unsichere Schritte, schwankte
und schlug vornüber mit dem Gesicht auf den nackten Fels.
Zwischen seinen Schulterblättern steckte die Breitklinge eines
Tomahawks.

Während Santillo entsetzt den Kopf wandte, griff Horace zur

Brust, aus der zitternd der gefiederte Ulmenschaft eines
Kriegspfeiles ragte. Ein zweiter und dritter Pfeil ging fehl. Der
Mexikaner fiel zu Boden.

Plötzlich umgab Santillo fürchterliches Geheul. Aus dem

Nichts heraus, wie böse Derwische, tauchten ein halbes
Dutzend halbnackter Gestalten auf, ihre Lanzen und
Schlagbeile blitzten im niedergehenden Sonnenlicht. Sie waren
so nahe, daß Santillo ihre glühenden fanatischen Augen sehen
konnte.

Er ließ das Gewehr fahren. Seine Hand zuckte zur Hüfte, und

noch in der Bewegung feuerte er den Colt ab. Er sah einen

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Mann niederstürzen, da traf ihn ein Apachenpfeil. Wilder
Schmerz durchzuckte den Desperado, der, um sich feuernd,
zum Abgrund taumelte.

Santillo spürte nicht die Leere, die sich auftrat, als er ins

Nichts trat. Mit gellendem Schrei stürzte er in die Tiefe.

Im Tal lösten sich Haggerty, Cochise und Viktorio aus der

Deckung. Sie sahen Tehueco und seine Krieger, die hoch oben
ihre Streitäxte schwangen.

Raumgreifend durchquerte John Haggerty die Schlucht und

erreichte als erster den Toten. Als er den zerschmetterten
Körper umdrehte, waren die beiden Apachen heran.

»Santillo«, sagte John heiser, als er den Toten erkannte.

»Einer von Don Rodriges Capos. Zuletzt sahen wir ihn in der
Felsenfestung der Rebellen.«

Cochise wandte sich schweigend ab.
Von der Höhe herab krochen Tehuecos Krieger die trockene

Wasserrinne herunter, während in der Tiefe der Schlucht
trommelnder Hufschlag aufklang. Naiche führte die
Chiricahuas und Mimbrenjos heran.

Zum ersten Male spürte Cochise Heimweh nach seinen

Bergen, seiner Apacheria und der gewohnten Umgebung. Es
war eine lange blutige Spur, auf der er und der Falke ritten. Er
spürte, sie war noch lange nicht zu Ende.

John Haggerty trat an seine Seite und blickte den Reitern

entgegen, die ihre Pferde um die Schluchtbiegung führten.

»Don Rodriges kann uns nicht mehr weit voraus sein«, sagte

Haggerty rauh. »Er und seine Rebellen verbergen sich bei den
Ruinen des alten Franziskanerklosters.«

Cochise nickte; »Wir werden ihnen bald begegnen, Falke.«

Müde wandte der Häuptling sich ab und ging schweigend
seinem Sohn entgegen, der den Apachen weit voraus ritt.

*

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Von innerer Unruhe erfüllt, durchwanderte General Howard
das Quadrat seines Zeltes. Er spürte nicht die Mittagshitze, die
wie eine Feuerglocke unter dem Zeltdach lag, denn seine
Gedanken waren bei Al Sieber, seinem neuernannten Chief-
Scout, der seit einigen Wochen John Haggertys Aufgaben
erfüllte. Vor zwei Wochen hatte er Sieber und drei
Indianderkundschafter nach Osten gesandt, um nach dem
Verbleib der von der Regierung angekündigten
Waffenconducta zu forschen, die einer Mitteilung nach mit
einer Murphykolonne nach Tucson überführt werden sollte,
ohne daß er von ihnen hörte.

Inzwischen waren weder die Karabiner, die einen Teil seines

Armeecorps modernisieren sollten, eingetroffen, noch sandte
Sieber ihm eine Botschaft.

Es lag tiefes Ungewisses Schweigen über den Dingen, zumal

Hunkpapa-Scouts aus den Dragoon- und den Chiricahuabergen
Hiobsbotschaften brachten, daß starke Kriegsgruppen der
Mimbrenjos und Chiricahuas ihre Apacherien mit
unbekanntem Ziel verlassen hatten.

Die schwelenden Unruhen der letzten Monate, wie auch die

blutigen Auseinandersetzungen der Apachen in Sonora und
Chihuahua mit mexikanischen Rebellen und französischen
Söldnertruppen, schürten Howards Befürchtungen, daß das
heimliche Verschwinden der Chiricahuas und Mimbrenjos in
Verbindung mit dem überfälligen Transport standen.

Colonel Walman, persönlicher Berater Howards, saß

schweigend hinter dem primitiven Kartentisch und verfolgte
seit einer Weile Howards unruhige Schritte. Er spürte, daß
Howard in Sorge war.

»Sie befürchten das Schlimmste, Sir«, sagte er nach einer

Weile lächelnd.

General Howard blieb abrupt stehen und blickte überrascht in

Walmans lächelndes Gesicht.

»Ich befürchte weit mehr als das Schlimmste, Walman«,

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schnaufte Howard bissig. »Cochise ist aus seiner Apacheria
verschwunden. Viktorio reitet mit seinen Kriegern in
unbekannten Regionen, und auch Tehueco hat sein Dorf
verlassen. Wenn sie Wind von dem Waffentransport
bekommen haben, können wir die Conducta abschreiben.
Wissen Sie, was die modernen Waffen in den Händen der
Apachen bedeuten, Walman? Aufruhr und neue Unruhen, die
wir kaum unter Kontrolle bringen könnten. Dafür sind unsere
Forts zu schwach besetzt. Nachrichten aus New Mexico, die
von verstärkter Aktivität der Apachenstämme berichten,
bestätigen meinen Verdacht. Weiß der Teufel, warum Sieber
sich nicht meldet. Der Scout und seine Kundschafter sind seit
einer Woche überfällig. Ich wünschte, Haggerty hätte diese
Aufgabe übernommen.«

Colonel Walman schüttelte bestimmt den Kopf. »Ihr neuer

Chief ist ein zuverlässiger Mann. Er hat die besten
Fährtensucher der Armee dabei. Vielleicht wurde er durch
irgendwelche Umstände aufgehalten, oder hat selbst
Schwierigkeiten mit plünderndem Raubgesindel. Soll ich
weitere Kundschafter nach Osten entsenden?«

General Howard schüttelte widerstrebend den Kopf. »Ich

trage mich mit dem Gedanken, das ganze Korps in
Alarmbereitschaft zu versetzen. Zweihundert Repetiergewehre,
die dazugehörige Munition und dieser neuartige Sprengstoff
könnten ganz Arizona in einen Hexenkessel verwandeln.«

Howard trat unter das Zeltvordach und blickte über den

flachen Talkessel hinweg, den seine Zeltstadt füllte, nach
Osten, von wo er seine Kundschafter erwartete.

Aber so weit sein Auge reichte, dehnte sich einsame Wüste

bis zu den fernen grauen Schatten der Dragoons aus.

»Die Ungewißheit ist mir unerträglich, Walman«, sagte er

über die Schulter. »Ich warte noch einen Tag mit der
Entscheidung. Meldet sich Sieber nicht, setze ich zwei
kriegsstarke Schwadronen in Trab, die nach den

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verschwundenen Kriegsstämmen der Apachen forschen sollen.
Meine Burschen brauchen sowieso Bewegung. Sie werden faul
und träge, darunter leidet die Disziplin.«

General Howard trat in den Sonnenglast und ging den

staubigen Fahrweg hinunter, den flache Mannschaftszelte
säumten.

Nach zwei Stunden kehrte er zurück, knöpfte seine

Uniformjacke auf, zog sie aus und warf sie auf das Feldbett.
»Dieser Sommer ist unerträglich, Walman. Weiß der Teufel,
was an Arizona so wichtig ist, daß wir abseits aller
Bequemlichkeit in einer Wildnis hausen müssen.«

Colonel Walman kannte derartige Ausbrüche des Generals,

die nicht ernst zu nehmen waren, weil Howard das Territorium
liebte wie sein eigenes Kind.

Am Nachmittag, lange Schatten krochen bereits ins Dessert,

sprengte ein Reiter auf abgetriebenem Gaul durch das breite
Zauntor und zügelte ihn vor dem Stabszelt.

Vom Hufschlag aufgeschreckt, sprang Howard von seiner

Pritsche und stürzte nach draußen.

»El Chico«, rief er den kleinen Hunkpapa an, der vor zwei

Wochen mit Sieber der überfälligen Conducta
entgegengezogen war. »Welche Botschaften schickt mir dein
Chief?«

Der Hunkpapa glitt steif vom Pinto. Seine Kleidung war über

und über mit Staub bedeckt, was auf einen langen
anstrengenden Ritt schließen ließ.

Colonel Walman trat mit einer Feldflasche zu dem

Hunkpapa, »Trink einen Schluck und dann berichte«, forderte
er. El Chico nickte dankbar, nahm einen tiefen Schluck,
wischte über seine spröden Lippen und wandte sich an den
General.

»Wir sind bis in die Hidaigos vorgestoßen, General, ohne auf

die Pferdewagen zu stoßen. Der letzte Punkt, den die Kolonne
berührt hat, liegt jenseits der Animas Mountains in einem Dorf

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namens Hachita. Dort erinnerte man sich an die Kolonne. In
Animas ist sie nie angekommen. Irgendwo auf der Wegstrecke
zwischen diesen Orten ist sie verschwunden.«

General Howard unterdrückte einen Fluch. Er spürte im

tiefsten Innern seine Theorie bestätigt.

»Seid ihr Fährten größerer Indianergruppen begegnet?«
Der Hunkpapa schüttelte, bestimmt den Kopf. »Nein,

General. Nur einem Grabhügel, dreißig Meilen vor Animas.
Chief Sieber meinte, daß dies vielleicht ein Hinweis wäre. Er
und Nino durchstreifen dort die Täler.«

*

General Howard wandte sich an seinen Berater. »Vier
Gespanne können nicht einfach in der Wildnis verschwinden,
ohne Spuren zu hinterlassen. Setzen Sie zwei Schwadronen in
Bereitschaft. Sie werden morgen unter Ihrer Führung
aufbrechen und Verbindung zu Sieber suchen.«

Colonel Walman grüßte und deutete zum weiten Corral am

Lagerrand. »Bring dein Pferd dort unter, und leg dich schlafen.
Du wirst uns morgen zu Sieber führen.«

Der Hunkpapa nahm die Zügel und ging schweigend den

Fahrweg hinunter.

General Howard betrat das Zelt, entzündete die Karbidlampe

und beugte sich über den Kartentisch. Eine Weile studierte er
die Karte. Als er sich aufrichtete, lag Unruhe in seinem
Gesicht.

»Ich glaube, Colonel«, sagte er müde, »wir gehen üblen

Zeiten entgegen.«

*

Am Morgen brachen die Krieger auf und folgten der tiefen
Steilschlucht, die ins Gebirge führte. John, der an der Seite

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Cochises ritt, hatte errechnet, daß das alte Franziskanerkloster
keine zehn Meilen weit entfernt sein konnte.

Am Mittag wandte er sich an den Häuptling. »Wir wollen

vorsichtig sein und die Pferde an einer geeigneten Stelle
zurücklassen. Es wäre möglich, daß Don Rodriges einige
Vorposten aufgestellt hat, die den Mexikaner warnen könnten.
Außerdem wird er unruhig sein, weil Santillo nicht beim Gros
auftauchte, und Kundschafter nach ihm senden.«

Der Jefe nickte. Sein Blick schweifte prüfend über die

scharfen Grate der Bergkuppen, als suche er einen Aufstieg in
den Steilwänden, um vom Canyon abzukommen. Er wirkte
ernst und dennoch gelassen.

John wußte, daß der Häuptling die Nacht allein und abseits

vom Lager verbracht hatte, um bei den Göttern des Mondes
und des Windes Kraft und Stärke zu sammeln. Er dachte an
den bevorstehenden Kampf mit den Rebellen, die in der
Überzahl und waffenmäßig stark ausgerüstet waren. Wenn ein
Überraschungsangriff mißlang, würde es zu einem
fürchterlichen Sterben bei beiden Parteien kommen.

Sonne und Schatten wechselten auf der Schluchtsohle, die in

vielen Windungen in den Berg hineinfloß. Der Hufschlag der
unbeschlagenen Pferde klang gedämpft und verlor sich in den
Steilwänden. Noch war das Rebellenlager zu weit entfernt, als
daß man dort die Laute hätte aufnehmen können. Aber John
war vorsichtig und wollte jeden Zufall außer acht lassen.

Etwa zwei Meilen vor dem Ruinenkloster entdeckte er eine

schmale Passage. »Vielleicht liegt dahinter ein Talkessel, der
die Pferde aufnimmt«, sagte er, und Cochise lenkte seinen
Pinto sofort in die Richtung. Die anderen blieben zurück. Nach
etwa zehn Minuten tauchte Cochise wieder auf und gab durch
Handzeichen zu verstehen, daß man ihm folgen solle.

John ritt in Cochises Schatten. Die Felsspalte erweiterte sich

nach etwa vierzig Yards zu einem Kessel, der geeignet schien,
Pferde und Reiter aufzunehmen.

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»Hier wollen wir lagern«, bestimmte der Häuptling, und zu

Viktorio gewandt fuhr er fort: »Ich werde mit dem Falken
einen Aufstieg über das Felsband suchen, der uns in die Nähe
unserer Feinde führt. Viktorio mag in der Abenddämmerung
mit den Kriegern folgen.«

Der Mimbrenjo nickte stumm. Nur ein seltsamer Blick

streifte Haggerty, und John spürte, daß Viktorio sich noch
immer mit den zweihundert Repetiergewehren beschäftigte. Er
ahnte, daß es zwischen ihnen beiden am Ende der Mission zu
einer Auseinandersetzung kommen würde, die über Leben und
Tod entschied. Selbst sein Freund Cochise hatte darauf keinen
Einfluß.

Schweigend stiegen Cochise und John in die schmale Rinne,

die im Winkel aufwärtsführend am rauhen Fels entlang lief.
Der Weg war beschwerlich und barg die Gefahr, vom spröden
Fels abzugleiten. Oder daß ein Steinschlag polternd in die Tiefe
fuhr und den Gegner rechtzeitig warnte.

Nach einer Stunde erreichten sie die Höhe, und zum

erstenmal erkannten sie die zerfallenen Ruinen des Klosters, in
deren Schatten einige Dutzend Menschen herumlungerten.
Andere saßen an einem Feuer und vertrieben sich die Zeit beim
Würfelspiel, wieder andere schliefen in irgendeinem schattigen
Winkel.

Cochise deutete zum verfallenen Turm hinüber. John nickte.

Trotz der Entfernung erkannte er Don Rodriges, der, umgeben
von seinen Capos, zwischen Turm und einer weiten Grotte
lagerte. John vermutete mit Recht, daß dort die
Winchestergewehre und das Dynamit gelagert waren.

»Wir müßten einen Keil zwischen Kapelle und der Höhle

schaffen, um Don Rodriges vom Kern seiner Truppe zu
trennen. Vielleicht gelingt es uns in einem überraschenden
Angriff, die Waffen zu erbeuten und damit deine Krieger
auszurüsten, während eine zweite Gruppe von der
Schluchtsohle angreift und die nötige Verwirrung schafft«,

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sagte John Haggerty.

Cochise lächelte schwach. »Du denkst an den

Mimbrenjowolf, Falke.«

John erwiderte sein Lächeln mit einem Achselzucken. »Ich

vertraue ihm nicht. Während des ganzes Weges denkt er an die
Repetiergewehre. Er wird sich nicht von ihnen trennen wollen,
wenn er sie erst einmal in den Händen hält. Ich möchte den
Ärger zwischen dir und ihm vermeiden, denn es ist noch nicht
lange her, daß sich die verfeindeten Stämme der Chiricahuas
und Mimbrenjos ausgesöhnt haben.«

Cochises Lächeln blieb. »Zwischen Chiricahuas und den

Mimbrenjos soll der Frieden bestehen bleiben. Es wird dein
Problem sein, wie du mit Viktorio fertig wirst, Falke.«

John spürte, daß der Jefe wie er dachte. Erst eine

Auseinandersetzung zwischen Viktorio und ihm würde
endgültig die Besitzrechte klären. Er sondierte das Terrain und
schenkte seine Aufmerksamkeit der Höhle, aus der ein Mann
trat, in dem er Budd Cameron erkannte. Er gesellte sich zu dem
Kreis der Capos.

»Die Höhle bietet uns einen natürlichen Schutz zur

Verteidigung, Jefe, Wer weiß, vielleicht führt von dort ein Weg
in die Tiefe.«

John Haggerty schwieg. Er bemerkte die Unruhe, die drüben

auf dem Platz entstand. Die Kartenspieler waren aufgesprungen
und zum Abgrund geeilt. Einer von ihnen rannte mit großen
Schritten über den freien Platz zu Don Rodriges. Er
gestikulierte heftig mit den Armen, worauf Don Rodriges und
seine Capos aufsprangen.

»Irgend etwas ist geschehen«, flüsterte Cochise, und er

dachte an Viktorio, den sein wildes Blut oft zu Eigeninitiativen
greifen ließ. Der Mimbrenjo war mutig genug, die Rebellen in
einer offenen Schlacht vom Bergpfad hoch anzugreifen.
Vielleicht auch wollte er Haggerty zuvorkommen, um seine
eigenen Ansprüche an der Beute zu bekräftigen.

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Don Rodriges' Stimme donnerte über den Platz. Der ganze

Haufen war nun in Bewegung und griff nach den Waffen.

In diesem Augenblick hörte John heftige Atemzüge im

Rücken. Als er seine Winchester herumriß, warf Viktorio sich
an seine Seite. Dicht hinter ihm bewegten sich zwei Dutzend
Krieger. Einen weiteren Teil verdeckte der Felsschrund.

Cochise atmete hörbar auf, als er den Mimbrenjo erkannte.

»Was bedeutet das?« fragte er unruhig.

Viktorio deutete zur Schlucht, die den Fels durchschnitt. Ein

breites Grinsen füllte sein Gesicht.

»Bunthosen, Jefe. Über hundert Langmesser durchqueren die

Schlucht. Sie kommen über den Breitweg, der zu den
verfallenen Ruinen führt. Sie müssen unserer Fährte gefolgt
und nun auf die Rebellen gestoßen sein.«

Noch während Viktorios Worten rollte das Echo vieler

Schüsse über die Berge hinweg und eröffnete ein tödliches
Inferno.

Cochise und Haggerty wechselten einen kurzen Blick, und

ihre Gedanken schienen auf gleicher Ebene zu laufen, als John
sagte: »Es wäre eine günstige Gelegenheit, an die Waffen
heranzukommen. Don Rodriges konzentriert seine Streitmacht
am Aufgang des Paßweges. Die maximilianischen Truppen
werden ihn eine Weile beschäftigen. Vielleicht vergißt er für
einen Augenblick seine kostbare Fracht.«

Der Häuptling nickte. Er sah Viktorios funkelnden Blick, der

dessen Gedanken offenbarte, und er sah mit Sorge der Zukunft
entgegen, wenn sein Freund, der Falke, erst sein Ziel erreicht
hatte.

*

Don Rodriges spürte die militärische Disziplin der
buntröckigen Soldaten, die mit mörderischem Mut und
Selbstaufopferung das Ruinenkloster angingen und ständig an

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Gelände gewannen. Er erkannte auch die Gefahr, als zwei
Abteilungen, den toten Winkel nutzend, an den Steilwänden
hochkrochen, um ihre ungesicherte Flanke zu erreichen.

Er winkte Cameron heran, der in der Nähe hinter der

Brustwehr lag und unablässig seine Winchester spucken ließ.

»Nimm deine Scharfschützen, Capo«, bestimmte der

General, »und verschanz dich auf dem Glockenturm. Die
Soldaten an der Westflanke dürfen die Höhe nicht erreichen.
Sie bedeuten für unsere Leute eine tödliche Bedrohung.«

Cameron nickte. Er kroch zu Carpender, Howard und

Kitchen, und deutete zum verfallenen Turm hoch. Gemeinsam
eilten die vier über den Platz. Als sie durch das breite
Kirchentor verschwanden und über die Reste der Treppe
kletterten, folgte ihnen verstärktes Gewehrfeuer der
angreifenden Soldaten.

Don Rodriges war in ständiger Bewegung, erteilte hier und

dort Anweisungen und sprach seinen Soldaten ständig Mut und
Hoffnung zu.

Als vom Glockenturm die ersten Schüsse fielen und von den

Felswänden der Flanke zwei Uniformierte in die Tiefe stürzten,
wußte Don Rodriges, daß Cameron seine Aufgabe erfüllte.

Dennoch nahm die Bedrohung ständig zu. Angeführt von

Capitano Laffitieur, jede Deckung des Paßweges ausnutzend,
waren die maximilianischen Einheiten bis auf achtzig Yards an
die Außenmauern des Klosters herangekommen. Es hatte sie
ein halbes dutzend Tote und Verwunderte gekostet, ohne daß
ihr Vorwärtsdrängen aufzuhalten war.

Don Rodriges erinnerte sich an das erbeutete Dynamit, das

mit einem großen Teil der Winchestergewehre in der großen
Grotte lagerte.

Er bestimmte Alfonso Forney, der noch immer unter der

Pfeilwunde litt, die Yaquis ihm beigebracht hatten, Cantery
und drei seiner engsten Vertrauten, eine Kiste Sprengstoff zu
holen.

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Doch nur Forney kehrte nach einigen Minuten zurück. Sein

verschwitztes Gesicht zeigte den Schrecken, der hinter ihm lag.

»Rothäute«, ächzte er schreckensbleich, »Apachen. Sie

haben die Höhle besetzt, General. Cantery, Sandros und
Chivato sind tot.«

Don Rodriges' Kopf flog herum. Den weiten Eingang der

Höhle verdeckte der Glockenturm. Aber er sah, daß Camerons
Leute ihren Standort gewechselt hatten und ihre Karabiner in
diese Richtung abfeuerten.

Cochise, fuhr es ihm durch den Sinn, und John Haggerty,

dieser verdammte Armeescout, dem er mit knapper Not
entwischen konnte. Sie müssen sich mit den Yaquis vereint
haben.

Don Rodriges verfärbte sich. Sein Blick folgte der Gestalt,

die mit schrillem Todesschrei über die Brüstung des Turmes
kippte und in die Tiefe stürzte. Wütend ballte er die Hände.
Diese beiden Männer, deren Gefährlichkeit er im Tal der
Gesetzlosen erlebt hatte, hatte er fast vergessen.

Einen Augenblick lang verfolgte Don Rodriges in Gedanken

den weiten Weg vom Canyon der Singenden Winde bis zu den
Toren der alten Klosterruinen, die ihnen als gegenwärtiger
Schlupfwinkel dienten, und er spürte, daß die zweite Front, die
sich auf der Nordseite entwickelte, mindestens ebenso
lebensbedrohend war wie die kaisertreuen Soldaten am
Paßweg, denn von der Grotte aus führte ein Felstunnel in die
breite Schlucht hinunter, die Don Rodriges noch vor wenigen
Minuten als letzte Konsequenz eingeplant hatte, wenn die
erdrückende Mehrheit der Soldaten die Klostermauern
erstürmte.

»Maldito«, schrie er wütend, »nimm dir zwanzig Schützen

von den Palisaden und greif das Gesindel an, ehe sie sich der
schnellen Gewehre und des Dynamits bedienen.« Zum
erstenmal in vielen abenteuerlichen Jahren, in denen Don
Rodriges für die Revolution Mexikos kämpfte, fühlte er sich in

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äußerster Bedrängnis. »Kämpft den Weg frei, denn, gegen die
napoleanischen Günstlinge werden wir uns nicht mehr lange
halten können.«

Don Rodriges erkannte am zerfallenen Tor eine Gruppe

Bunthosen; die erbittert ihre Bajonette gegen die Verteidiger
richteten. In wildem Schlagwechsel stießen ihre blanken
Waffen in Richtung der Rebellen, die sich ihnen mit Revolvern
und Macheten todesmutig entgegenwarfen. Es war ein letztes
Aufbäumen gegen den drohenden Untergang.

An den Ruinen vorbei eilte Forney mit seinen Kämpfern,

verschwand zwischen den Mauern. Vom Turm her hämmerte
verstärktes Gewehrfeuer. Camerons Scharfschützen feuerten
wie die Teufel.

»Viva Revolutione, viva Mexiko.« Fanatisch schreiend

stürzten nun von allen Seiten Rebellen in die Einbruchstelle am
Tor, drängten mit tödlicher Entschlossenheit die Bunthosen bis
zur nächsten Paßbiegung zurück.

Rodriges erwachte aus seinen Gedanken. Peitschende

Schläge ließen die Erde erbeben. Der morsche Glockenturm
erzitterte unter der Wucht der Explosionen und bröckelte zum
Teil auseinander. Steine und Geröll polterten herab und
versanken in einer hochzuckenden Staubwolke, aus der Forney
und ein Dutzend seiner Kämpfer aus vielen Wunden blutend
hervorstürzten.

Don Rodriges trat aus der Deckung hervor, mit erhobenen

Händen stellte er sich den Flüchtenden entgegen und
überschüttete sie mit fürchterlichen Flüchen. Zugleich
stolperten jene Kämpfer, die den Durchbruch am Tor vereitelt
hatten, den Paßweg hoch.

Nur noch vereinzelte Schüsse fielen, und es schien fast, als

hätten die Soldaten sich zurückgezogen. Doch Rodriges als
erfahrener Mann wußte, daß Capitano Laffitieur die
Kampfpause nutzte, um seine Abteilungen neu zu formieren.
Sie ließen ihnen nur einen Atemzug.

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Er deutete mit einer herrischen Armbewegung nach Westen,

in die neutrale Zone des Klosters, wo sie ihre Pferde in einem
Heckencorral untergebracht hatten und schrie wütend: »Alles
zu den Pferden, Companeros. Wir werden das Kloster aufgeben
und unseren Feinden überlassen. Wir müssen den Durchbruch
in der Höhle erzwingen. Wenn es sein muß unter starken
Verlusten. Wir brauchen die Waffen und das Dynamit und den
Weg, der durch den Fels in die Freiheit führt. Wer zögert und
zurückbleibt, fällt den Soldaten in die Hände. Und die machen
wenig Federlesen mit Rebellen, denn wer ihren Bajonetten
entgeht, wird unter ihren Gewehrsalven einen unrühmlichen
Tod finden.«

Alfonso Forneys Miene verfinsterte sich. Er dachte an die

Verwundeten, deren hilflose Schreie die eintretende Stille
füllten. Zum erstenmal, seitdem er sich für die Revolution
entschieden hatte, spürte er, wie teuer und blutig die Freiheit
seines Volkes erkauft wurde.

»Mandre Sansissima, sei ihren Seelen gnädig«, flüsterte

Alfonso, während er sein Kreuz an die Stirn schlug. Mit großen
Schritten folgte er der verängstigten Meute, die plötzlich um
ihr Leben bangte.

*

John Haggerty und Cochise lagen im einfallenden Sonnenlicht
hinter der natürlichen Brustwehr der Höhle. Den ersten Sturm
der Rebellen hatten sie mit Dynamit aufgefangen, doch John
wußte, sie würden bald wiederkommen. Stärker und mächtiger,
von den angreifenden Soldaten im Paß zur Flucht gezwungen.

Naiche war vor einigen Minuten von einem Spähergang

zurückgekehrt und hatte von einem Tunnel berichtet, der tief in
den Berg hineinführte und sicher in irgendeiner Seitenschlucht
der Berge enden würde.

Viktorio und Tehueco hatten längst die Waffen unter ihren

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Kriegern aufgeteilt und warteten auf Cochises Zeichen zum
Aufbruch. An den Wänden brannten Ölfackeln, die das Bild
gespenstig verzerrten.

Hin und wieder fuhr ein Geschoßhagel durch die weite

Öffnung in die Grotte, ohne daß er Schäden anrichtete.

Viktorio kroch heran. In seinen schwarzen Augen glänzte

Genugtuung. Er schwang eines der noch öligen
Repetiergewehre und sagte im kriegerischen Ton: »Wir sind
stark genug, um die Gelbgesichter ins finstere Reich ihrer
Ahnen zu schicken.«

Cochise maß ihn mit spöttischem Blick. Sie hatten die Höhle

ohne Verluste besetzt, alles erreicht, was sie erreichen wollten.

»Du vergißt die Bunthosen, Viktorio. Wir wollen uns nicht in

einen Krieg mit ihnen einlassen. Bereitet den Abmarsch vor
und versucht, unsere Pferde zu erreichen.«

Viktorio nickte. Er fühlte sich auf der Höhe des Ruhms, denn

die Beute verhieß Glück, Reichtum und Stärke. Von nun an
brauchten sie nicht mehr vor ihren Feinden zu fliehen, sondern
konnten sie gezielt bekämpfen.

»Wie wird es weitergehen?« fragte John Haggerty, als der

Mimbrenjowolf in die Schatten der Felsen zurückkroch. »Du
weißt, daß die schnellen Gewehre für die U.S. Army bestimmt
sind. General Howard vertraut deinem Wort vom Frieden.«

Draußen wurde es lebendig. Ferner Hufschlag von Pferden

kam auf.

Cochise lächelte undurchdringlich. »Mein Wort hat keinen

Einfluß auf den Mimbrenjo, Falke. Du wirst dich mit Viktorio
auseinandersetzen müssen.«

John nahm eine der bereitliegenden Dynamitpatronen und

steckte ein brennendes Zigarillo zwischen die Lippen. »Du
meinst, ich werde mit ihm kämpfen müssen?«

»Bis zum bitteren Ende.« Der Häuptling nickte ernst. .
John Haggerty schwieg. Er wußte, was Cochises Worte

bedeuteten. Und das stimmte ihn zornig. Seit Jahren stand er

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als Vermittler der Militärregierung und den Apachen zwischen
zwei Fronten. Er war der Freund der Chiricahuas, die ihm den
ehrenvollen Namen Falke gaben, was eine hohe Auszeichnung
bedeutete. Er war ein Freund der Yaquis, der Aravaipas, und
auch anderer Stämme. Nur Viktorio war die schillernde
Ausnahme. Einen Augenblick lang dachte John an den
erbarmungslosen Schlagwechsel, den er am Waitewater mit
dem Mimbrenjowolf ausgefochten, und der fast zu seinem
Tode geführt hatte.

Viktorio war eine Geißel. Wild und grausam. Neben seinen

natürlichen Feinden, den Mexikanern, war jeder fremde
Eindringling ins Reich der Apachen eine tödliche Bedrohung
ihres Lebensraumes, die man gnadenlos niederkämpfen mußte.

»Er wird nie erkennen, daß ich seine Freundschaft suche,

Cochise. Sein Haß macht ihn blind, daß er seinen ganzen
Stamm ins Verderben führt.« John blinzelte zum engen Tunnel
hinüber, durch den die Apachen mit der Beute verschwunden
waren. Nur das Licht der Fackeln warf groteske Schatten an die
Felswand.

Naiche lag plötzlich an ihrer Seite. »Sie kommen«, flüsterte

der junge Apachenprinz und deutete in den klaren Tag hinein,
aus dem der Hufschlag angreifender Rebellen kam. »Wie lange
werden wir sie aufhalten können?«

»Bis die Waffen in Sicherheit sind«, erwiderte John und sog

verbissen an dem Zigarillo. Aus den Schatten der Felswände
und den Ruinentrümmern der Kapelle stob die wilde Horde
heulend heran.

John richtet seinen Oberkörper hoch, entzündete die Lunte

und schleuderte das Dynamit mit weitem Schwung auf den
freien Platz. Ein flammender Blitz schlug in den Himmel, das
Echo der Explosion prallte gegen die Steilwände. Eine zweite
Detonation folgte. Einige Pferde brachen zusammen. Doch die
Meute war nicht mehr aufzuhalten. Die Angst vor den
maximilianischen Truppen war stärker als das detonierende

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53

Dynamit.

»Wir ziehen uns zum Tunneleingang zurück und versperren

den Zugang«, rief Haggerty. Fluchend sprang er auf die Beine
und schleuderte sein todbringendes Dynamit dem
andrängenden Feind entgegen. »Jetzt!«

Wie fliehende Schatten durchquerten sie die weite Höhle,

deren Ausmaße sie nie kennenlernen sollten, drangen in den
schmalen Tunnelgang ein und feuerten ihre Karabiner ab.

Die kühnsten Reiter der Rebellen, die den Eingang der Höhle

erreichten, stürzten im Abwehrfeuer von ihren Pferden und
schafften für kurze Zeit Verwirrung.

John hielt die letzte Dynamitstange in den Fäusten,

entzündete sie mit kühler sachlicher Bewegung und schleuderte
sie mitten in den Felsendom.

Der Schlag erinnerte an das dumpfe Dröhnen einer riesigen

Glocke. Die Druckwelle erfaßte die Verteidiger und
schleuderte sie tiefer in den Tunnelgang hinein.

Halbbetäubt kamen sie auf die Beine. Aus der unsichtbaren

Höhe der Grotte stürzte mit ohrenbetäubenden Schlägen die
halbe Felsdecke herab. Einem Geschoßhagel gleich prasselten
scharfkantige Gesteinsbrocken nieder und schufen eine
natürliche Barriere zwischen dem Falken und den Rebellen.

»Weiter«, rief John Haggerty, während er bereits tastend

durch die herrschende Dunkelheit glitt. Die Luft war schwer
vom einfallenden Staub der Explosionswolke. Und noch immer
stürzten Gesteinsbrocken nieder und begünstigten ihre Flucht.

Aber schon bald folgte ihnen Don Rodriges dröhnende

Stimme, und heftiges Gewehrfeuer erinnerte daran, daß die
Rebellen von den nachdrängenden Truppen beschossen
wurden, die hier eine Chance sahen.

John spürte in der Finsternis Cochises Nähe.
»Wir können sie nur aufhalten, indem wir den Tunnel zum

Einsturz bringen«, sagte der Häuptling.

John schüttelte bestimmt den Kopf. »Es hat genug Tote

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54

gegeben, Jefe. Die Truppen werden Don Rodriges eine Weile
beschäftigen. Inzwischen sind wir irgendwo in den Bergen
untergetaucht.«

»Mexikaner«, hörte er Cochise verächtlich sprechen, »tote

Gelbgesichter zählen nicht, Falke. Sie stehen auf der untersten
Stufe der Cojoten.«

»Und dennoch sind sie Menschen«, erwiderte John verärgert

und tastete durch die schwarze Finsternis.

Eine Stunde wohl waren sie unterwegs, als in der Ferne ein

heller Lichtfunke auftauchte, der ihre Schritte beflügelte. Noch
immer folgte ihnen das dumpfdröhnende Echo eines
unerbittlichen Kampfes. Aber John Haggerty ahnte, daß der
schlaue Fuchs Rodriges einen Weg aus dieser tödlichen Falle
finden würde.

Der Lichtschein wurde stärker und zeichnete sich am groben

Fels ab.

Schweigend hasteten die Männer vorwärts, durchquerten

einen weiten Felsdom mit offenem Dach und betraten
schließlich einen engen Talkessel, der nach Süden verlief. In
diese Richtung führten auch die Spuren der Apachen.

Während sie dahineilten, dachte Haggerty grimmig, der

Mimbrenjowolf hat es eilig, die Pferde zu erreichen. Der
Teufel will seine Beute entführen.

Der Himmel zeigte sein kaltes blaues Licht. Die ersten

funkelnden Sterne am Zenit kündigten die nahende Nacht an.
Naiche, von jugendlicher Kraft beflügelt, war ihnen weit
vorausgeeilt und längst ihren Blicken entschwunden, als John
und der Jefe den schmalen Felseinschnitt erreichten, der, wie
sie vermuteten, auf die breite Schluchtsohle stoßen würde,
dorthin, wo sie am Morgen ihre Pferde zurückgelassen hatten.

Seite an Seite liefen sie in gemäßigtem Tempo. John spürte

des öfteren Cochises heimlichen Blick, und er sagte deshalb
grimmig: »Du weißt, was ich befürchte, Jefe.«

Der Häuptling nickte, denn er kannte die Sorgen des Falken.

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55

»Wenn Viktorio sich einen Teil der Waffen aneignet, werden

Pferdesoldaten aus Tucson sein Dorf zerstören und die
Bewohner in die elendste Ecke der San Carlos Reservation
führen. Die Mimbrenjos haben dieses Leid schon einmal
erleben müssen, und dabei viele ihrer Brüder an Krankheit und
Seuche verloren. Du solltest ihn daran erinnern, Cochise.«

Sie erreichten die Breitschlucht und schwenkten nach

Westen. Aus der Ferne klang Hufschlag auf, der sich ihnen
näherte. Vorsichtig geworden, warfen sie sich unter eine
Felsplatte und warteten. Nach einigen Minuten sprengte eine
Reitergruppe um die Wegbiegung.

Mimbrenjos.
Allen voran, sein Pferd mit den Schenkeln führend, ritt

Viktorio, über dessen Schulter drei Karabiner hingen. Einen
vierten hielt er in der Faust.

John schob entschlossen seine Winchester an die Schulter,

um Viktorios Sturmlauf zu bremsen. Da spürte er Cochises
nervige Faust auf der Schulter.

»Das ist nicht die Art, wie der Falke seine Probleme löst«,

sagte der Häuptling zwingend. »Nur ein Feigling schießt aus
dem Hinterhalt eine Kugel auf seinen Gegner. Den Falken aber
nennen alle Chiricahuas einen mutigen Mann.«

John senkte den Lauf. Wie Schatten flohen die Mimbrenjos

an ihnen vorbei. Nur der aufwirbelnde Staub blieb zurück und
der ferne Hufschlag, der aber bald seine Kraft verlor.

Er kroch aus dem Versteck. Zum erstenmal war er wütend,

daß er sich von Cochises Worten verleiten ließ. Da hörte er
Cochises Stimme, und als er den Kopf wandte, sah er sein
weises Lächeln. »Wir kämpfen, um zu leben, Falke. Das ist
Apachenart zu leben. Du magst Viktorio nicht begreifen, aber
ich kann seine Gedanken verstehen. Die Gewehre geben ihm
die Kraft, die er braucht, wenn er seinen Feinden begegnet. Er
ist ein wilder Wolf.«

»Ein Krieger, der bald wie der Yaquiwolf mordbrennend

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56

durch das weite Land zieht«, erwiderte John grimmig.

»Du kannst es verhindern.« Noch immer lächelte der

Häuptling.

»Und wie?«
»Indem du in sein Dorf ziehst, Falke, und ihn zum Kampf

forderst.«

»Ich allein gegen eine ganze Sippe?« John schüttelte heftig

den Kopf. Er war gewiß kein Feigling. Aber auch nicht gerade
lebensmüde.

Cochises Lächeln wurde traurig. »Du bewegst dich seit

Jahren in den Dörfern der Apachen, ohne ihren Stolz erkannt
zu haben. Viktorio würde sein Gesicht als Jefe verlieren, wenn
er sich die Hilfe seines Stammes erbäte. Nein, Falke. Nicht die
Sippe, nur ihn hast du zu fürchten, denn Viktorio ist ein starker
Kämpfer. Du hast ihn einmal erlebt.«

*

Der Morgen erwachte.

Wild Bill Hickoks wilde Mannschaft strebte durch die Wüste

dem mächtigen Gebirgszug der Alamo Hueco Mountains
entgegen. Sie waren auf die Trümmer der im Sand
versinkenden Murphys gestoßen und den traurigen Resten
einer Militärpatrouille begegnet. Spuren, die Hickok die
Richtung wiesen.

Das Land, das zu den Osthängen der Berge führte, war

trocken und heiß und wechselte zwischen staubigen
Geröllfeldern, Sanddünen und mäßiger Wüstenvegetation. Ein
einsames, wildes Land, nicht vergleichbar mit den blühenden
Bergtälern am Rio Grande, oder den endlosen grünen
Weideflächen zwischen dem Grande und dem Pecos River.

Alison und Marwik waren vor Sonnenaufgang aufgebrochen,

um das Land voraus zu erkunden. McDiem und Lorne ritten in
Sichtweite an den Flanken. Hickok wollte sicher sein, nicht

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blind in einen Hinterhalt laufen, denn irgendwann in diesen
Tagen erwartete Hickok die Begegnung mit den Rebellen.

Gegen Mittag tauchten Alison und Marwik zwischen den

Hügeln auf. Sie trieben ihre Gäule mit hohem Tempo durch die
flache Senke, und schon von weitem signalisierte Alison
Zeichen, die Hickok veranlaßten, nach Norden zu den
Organosfeldern zu schwenken, wo sie sich schließlich trafen.

Hickok betrachtete finster die abgetriebenen Gäule, denen

der Schaum vor den Nüstern stand.

»Verdammt, ihr verkommenen Bastarde«, fluchte er los,

noch ehe Alison den Mund öffnen konnte, »wenn eure Gäule
zusammenbrechen, tragt ihr den Sattel auf der Schulter, oder
ich lasse euch zurück.«

Alison keuchte wie ein altersschwacher Maulesel. Er

schwenkte den Arm nach Westen und setzte mehrmals zum
Sprechen an.

»Apachen«, krächzte er schließlich, »eine ganze Horde

Apachen. Verdammt, sie sind bewaffnet wie eine Armee
Yankees.«

Hickoks Blick schweifte in die angegebene Richtung. Er sah

über dem Kakteenfeld eine Staubwolke aufsteigen, die Alisons
Worte bestätigte. Er dachte an die Yaquis, denen er am Rio
Casa Grande begegnet war, die sich sicher mit den Gewehren
der maximilianischen Kanoniere ausgerüstet hatten. Das war
für ihn kein Grund zur Beunruhigung. Dennoch wollte er
vorsichtig sein.

Er stieg vom Gaul, griff nach dem Schlagmesser am

Sattelhorn, winkte Newer. »Komm mit«, sagte er, »ihr anderen
haltet euch zurück. Aber vergeßt nicht, daß ihr Schießhölzer an
den Hüften tragt. Diese Wilden sind unberechenbar. Wir haben
es auf der Hazienda am Rio Casa Grande erlebt.«

Hickok schwang die Machete und bahnte sich einen Weg

durch das Kakteenfeld. Er erreichte einen Hügel, von wo aus er
das Land weit überblicken konnte.

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Er brauchte kein Fernrohr, um die Reiter zu erkennen, die

kaum hundert Yards entfernt, ihre Gäule nordwärts trieben, als
säße der Teufel in ihrem Nacken.

»Sie werden verfolgt«, sagte er beruhigt, »vielleicht ist dieser

Haggerty hinter ihnen her, oder ein Trupp der Rebellen. Diese
Bastarde kämen mir gerade recht.«

Newer nickte. »Sie sind tatsächlich schwer bewaffnet.

Moderne Repetiergewehre, wie wir sie mitführen.«

»Die der Armeescout wahrscheinlich sucht.« Hickok lachte

grimmig. »Ich wette, sie stammen aus den leeren Kisten, die
wir bei den verlassenen Murphys gefunden haben.«

»Dann kann dieser Oberbandit nicht mehr fern sein«, grunzte

Newer, »vielleicht sollten wir hier in sicherer Deckung auf sie
warten. Es wäre eine Gelegenheit, mit ihnen abzurechnen,
Hickok. Wir sind doch hier, um ein paar Freunde zu rächen, die
Don Rodriges für die Revolution geopfert hat.«

Hickok nickte. »Du hast recht. Halt die offene Westflanke im

Auge. In zwei Stunden schicke ich dir die Ablösung.«

Hickok kletterte vom Hügel und besprach sich mit der

Mannschaft.

Sie fanden eine Lücke zwischen Organos, wo sie notdürftig

ihre Pferde unterbringen konnten. Nach zwei Stunden ging
Caiman zum Hügel, um Newer abzulösen. Nach wenigen
Minuten kehrte er schreckensbleich zurück.

»Newer ist tot, Hickok. Zwischen seinen Schultern steckt

eine Apachenlanze. Verdammt, irgend etwas kraucht dort
durch den Busch.«

Wild Bill nahm die Nachricht scheinbar ohne Regung hin. Er

erwiderte nur: »Die Bastarde haben uns getäuscht. Sie sind
nicht nach Norden gezogen, sondern zurückgekehrt. Newer
konnten sie erwischen. An uns beißen sie sich die Zähne aus.
Los, Jungs, macht eure Schießeisen klar, wir werden ihnen
einen netten Empfang bereiten.«

In seine Worte schlugen peitschende Gewehrabschüsse. Sam

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59

Hoston brach vornüber in die Knie. Als er sich streckte, sahen
sie den Einschuß in der Stirn.

»Wir ziehen tiefer ins Gesträuch«, fluchte Hickok, »im

filzigen Unterholz sind unsere Colts ihren Gewehren
überlegen. Sie wollen unsere Pferde. Darauf müssen wir unsere
Aufmerksamkeit richten.«

Eine weitere Geschoßgarbe durchfurchte das

Stachelgestrüpp. Aber Hickok und seine Freunde hatten sich
längst zu Boden geworfen und krochen wieselflink durch den
heißen Sand zu den natürlichen Bodenmulden im Busch, die
ihnen leidlichen Schutz vor den schnellen Gewehren der
Angreifer boten. Von hier aus hatten sie auch die Pferde im
Auge, die unruhig über die enge Lichtung trabten. Nur das
scharfgratige Stachelgesträuch verhinderte einen Ausbruch.

»Wie wird es weitergehen?« Marwik kroch an Hickoks Seite.

In seinen Augen standen Wut und Enttäuschung zugleich.
Vielleicht auch ein wenig Angst um sein Leben.

Wild Bill Hickoks Lächeln wirkte eiskalt, als er antwortete:

»Im Augenblick haben wir nichts zu befürchten. Sie verpulvern
sinnlos ihr Blei und bringen so die Freude über ihre Beute zum
Ausdruck. Irgendwann werden sie erkennen, daß wir so nicht
zu schlagen sind. Sie werden in den Busch eindringen und sich
unsere Gäule holen wollen. Darauf wollen wir warten.«

»Es sind über zwanzig rote Bastarde«, gab Marwik zu

bedenken.

Hickok lachte zornig. »Zwanzig Wilde, Marwik, gegen elf

geübte Waffengänger. »Was hast du zu befürchten?«

»Die Nacht«, erwiderte der andere trocken, und dachte wohl

an Newer und Hoston, die es überstanden und keine Sorgen
mehr um ihr Leben hatten.

*

Sie lagerten in einer flachen Mulde, die von dichten

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Heckenbüschen und Wüstengewächs umschlossen war, und
nutzten die Pause, um das schweißige Fell ihrer Pferde mit
rauhen Grasbüscheln trocken zu reiben.

Seit vierundzwanzig Stunden folgten sie nun schon Viktorios

Fährte, die aus dem breiten Bergtal mitten in die Wüste führte,
ohne daß sie nur den Schatten eines Mimbrenjos entdecken
konnten.

John blickte zu Tehueco hinüber, der sich abseits der

Chiricahuas hielt und ihnen nur folgte, weil er hoffte, im
Grenzland auf die Yaquiwölfe zu stoßen. Die erbeuteten
Waffen, die seine Krieger stolz mitführten, machten John
Sorgen, weil auch Tehueco nach alten Gesetzen der Stämme
die Karabiner als Kriegsbeute betrachtete. Ihretwegen hatte es
in den letzten Stunden harte Auseinandersetzungen gegeben,
und selbst Johns Drohungen, daß Pferdesoldaten in ihre Dörfer
eindringen und die Gewehre, wenn es sein mußte, mit
Waffengewalt zurückholen würden, machten auf Tehueco
wenig Eindruck.

»Der Kazike hat sich verändert«, sagte John wütend über die

neuerliche bedrohliche Entwicklung. »Die Waffen bringen
Tehueco keinen Frieden, nur Ärger mit der U.S. Army, Jefe.
Du solltest es ihm begreiflich machen, bevor es zu spät ist.«

Cochise schwieg. Er hatte nicht die Macht und auch nicht das

Recht, sich in Tehuecos Entscheidungen einzumischen. Er
nahm die Zügel seines Pferdes und führte es in den Schatten
der Sträucher.

John Haggerty folgte ihm verbissen.
»Er war unser Freund und hat uns als solcher großzügig in

seinem Dorf bewirtet, Jefe. War es nur eine Geste, weil wir
ihm versprochen hatten, die Yaquiwölfe aufzuspüren?«

Cochise winkte zwei seiner Krieger heran, deren Pferde noch

einigermaßen frisch aussahen und schickte sie als Späher los.

Als er sich nun John zuwandte, lag ein undurchdringliches

Lächeln in seinem Gesicht. »Tehueco ist nicht unser Feind.

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Was ihn verändert hat ist der Rausch der Macht, die er in den
schnellen Gewehren sieht. Wenn er erkennt, welche Folgen
sein Tun hat, wird dieses Gefühl schnell vergehen. Laß die Zeit
für dich sprechen, Falke. Wir sind noch lange nicht am Ziel.«

»Du solltest mit ihm sprechen, Chief«, drängte Haggerty

starrsinnig.

Doch Cochise schüttelte gelassen den Kopf. »Er wird zu mir

kommen und einen Rat suchen, und ich werde ihm erklären,
daß vierzig Gewehre nicht die Squaws und Kinder in seinem
Dorf ersetzen können. Vielleicht ist er klug und denkt über
meine Worte nach.«

»Und wenn er es nicht tut?«
Cochise zuckte die Achseln. »Dann steht die Antwort in den

Sternen, und wir werden sie bald erfahren.« Er trat zu einem
Feigenkaktus und pflückte dessen reife Früchte.

»Iß, Falke, sie werden deinen Hunger und Durst stillen. Wir

reiten bald weiter.«

Während Cochise sprach, deutete er zu Tehueco hinüber,

dessen Krieger bereits bei den Pferden standen. Der Jefe
lächelte. »Der Yaqui Kazike ist unruhig. Er fürchtet, daß
mexikanische Rebellen oder die Langsäbel ihm seine kostbare
Beute abjagen. Es wird ihm sicher nicht leichtfallen, sich von
den schnellen Gewehren zu lösen. Ich kann ihn verstehen,
Falke.«

Cochise schwang sich aufs Pferd und erfaßte die Zügel. Als

John im Sattel saß, schwenkten Tehuecos Yaquikrieger aus
dem filzigen Gebüsch ins Flachland.

Die Unruhe trieb Tehueco vorwärts und sicher wäre er längst

über die Grenze nach Arizona gezogen, würde sich nicht der
Rote Wolf im Grenzland herumtreiben.

Johns Gedanken beschäftigten sich mit Don Rodriges, dem

die kaiserliche Kavallerie in den Bergen ein heftiges Gefecht
geliefert hatte. Vielleicht waren er und seine Banditen längst
tot. Vielleicht konnte der listige Fuchs auch entkommen.

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Dann werden wir uns bald begegnen, dachte John Haggerty

grimmig. Er wußte, daß Naiche mit zwei Kriegern im Schlepp
ritt und den zurückliegenden Weg unter Kontrolle hielt. Von
dort aus war keine Überraschung zu erwarten.

Am Nachmittag kehrte einer der Späher zurück.
»Pinda-lick-o-yi«, rief Degadito, während er nach Osten

deutete, »Weißaugen kämpfen mit Mimbrenjos. Viktorio hat
sie in einer Senke gestellt und wird sie töten.«

Cochise und John Haggerty wechselten einen Blick.
»Viktorio bringt Unglück über die Stämme der Apachen«,

sagte John zornig, »es ist nur der Anfang eines blutigen
Krieges.«

Cochise nickte, während er sein Pferd zu Tehueco trieb. Er

spürte den tiefen Sinn der Worte.

Tehueco stand inmitten seiner Krieger und blickte ihm

lauernd entgegen.

»Du hast gehört, was der Späher berichtet, Kazike«, sagte der

Häuptling, »Viktorio bricht den Frieden mit dem weißen Mann
und folgt der blutigen Spur, die Natie auslegt. Wirst du mit uns
gegen die Mimbrenjos kämpfen?«

Tehueco warf den Kopf in den Nakken. »Mein Feind ist

nicht der Mimbrenjowolf, sondern Natie. Um ihn zu strafen,
sind wir weit von unseren Dörfern fortgezogen. Mit den
schnellen Gewehren werden wir bald unser Ziel erreichen.«

»Und dann, Kazike?« fragte Cochise lauernd. »Wirst du dem

Falken die Gewehre zurückgeben, wenn du am Ende der Spur
stehst?«

Tehueco preßte den glitzernden Stahl der Waffe an die Brust.

»Ich werde dich befragen und bei den Göttern Rat erbitten. Sie
sollen entscheiden, was die Zukunft bringt.«

Sie schwiegen und lauschten. Der heiße Wind wehte aus der

Wüste das schwache Echo von Gewehrsalven.

Cochise richtete sich im Sattel auf und gab seinen Kriegern

ein Zeichen. Stumm ritt er an Tehueco vorbei. Seine Gedanken

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waren von Sorgen erfüllt, denn nach vielen Monden
Freundschaft unter den Apachenstämmen, die sie an
Kampfkraft und Stärke wachsen ließen, drohte ihre Allianz nun
auseinanderzubrechen.

John ritt an Cochises Seite. »Der Kazike geht seine eigenen

Wege, Jefe.«

Cochise nickte. »Wir werden auf seine Hilfe verzichten

müssen. Die Allianz der Stämme zerbricht an der Macht der
schnellen Gewehre. Sie bringen Unglück.«

Cochise beschleunigte das Tempo seines Pferdes, denn das

stärker werdende Echo der Schüsse zeigte, daß sie dem
Kampfplatz näher kamen.

John warf einen Blick über die Schulter. Eine Meile entfernt

folgten ihnen Tehueco und seine Yaquis.

*

Lorne tippte Hickok an die Schulter. »Sie stecken im Busch«,
flüsterte der Revolvermann. »Ich wette, sie werden uns frontal
angreifen.«

Hickok schob warnend die Revolvermündung an die Lippen,

als er nickte. Er spürte ihre Nähe, ohne daß er sie sehen konnte.
Der Wind fächerte im dürren Gesträuch und schluckte jedes
fremde Geräusch. Drei Angriffe der roten Bastarde hatten sie
abgeschlagen und nun suchten sie wohl die Entscheidung.

Sam Hoston lag in der schmalen Buschschneise. Die Arme

weit von sich gestreckt, so, wie er gestorben war.

Die Pferde schnauften, scharrten unruhig mit den Hufen. Sie

witterten die Gefahr.

Hickok deutete in eine Richtung und machte Morgan und

auch Caiman ein Zeichen. Mit gespannten Revolvern, tief an
den Boden gepreßt, krochen sie zur Lichtung.

Morgan atmete gepreßt. Seine Nerven waren aufs Äußerste

gespannt. Er war ein Gunfighter, der den Kampf Mann gegen

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Mann, Auge um Auge, bevorzugte. Hier aber schlich lautlos
der Tod heran.

Schüsse fielen in schneller Reihenfolge. Hell und peitschend

zerrissen sie die Stille des Tages. Die Pferde stiegen steil auf
die Hinterhand und rannten dann gegen das dornige Gatter an.

Hickok sah eine flüchtige Bewegung. Ohne zu zielen drückte

er den Stecher durch. Eine halbnackte Gestalt taumelte durch
den Filz. In den Fäusten hielt sie eine feuerspeiende
Winchester. Staub und Sand spritzten um Hickoks Deckung,
der nun noch einmal abdrückte.

Die Rothaut schien ins Unendliche zu wachsen, ehe sie sich

um die Achse drehte und neben dem toten Hoston in den Sand
fiel.

Flüchtende Geräusche füllten das Gesträuch. Danach wurde

es still.

Tomey, Lorne und Caiman krochen mit rauchenden

Revolverläufen heran.

»Zwei haben wir erwischt«, rief Caiman grimmig.
»Dort liegt ein dritter Apache. Hickok hat ihn erschossen«,

erwiderte Morgan. »Ich hoffe, sie haben die Schnauze voll.«

Als Antwort klang brechender Hufschlag in den sinkenden

Tag. Wildes Geheul brach aus und ein Hagel Geschosse
durchfurchte das Gebüsch.

»Sie sind zäh und verbissen und geben den Kampf nicht

verloren«, sagte Wild Bill. Eine verirrte Kugel durchschlug die
Krempe seines Plainshutes und prallte klirrend auf Lornes
texanische Radsporen. »Wir sollten das Versteckspiel aufgeben
und uns ihnen im Kampf stellen.«

»Sie warten nur darauf, daß wir aus dem Busch brechen. Sie

sind uns noch immer weit überlegen«, fluchte Caiman und
steckte schnuppernd die Nase in den Wind. »Verdammt, ich
rieche Rauch.«

Die anderen rochen nun auch den beißenden Qualm.
Hickok deutete stumm nach Osten, wo knisternd eine

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Feuersäule in die Dämmerung wuchs. Er schob entschlossen
den Revolver ins Halfer zurück. »Sie nehmen uns die
Entscheidung ab, Jungs«, sagte er, und sein Blick streifte jeden
einzelnen seiner Kämpfer, so, als wolle er von ihnen Abschied
nehmen. Er war kein Pessimist, aber er wußte, die nächsten
Minuten würde manch einer von ihnen nicht überstehen. »Zu
den Pferden.«

Rücksichtslos drängte er durch den Busch, erfaßte die Zügel

seines Braunen und führte ihn zu dem schmalen Pfad, den sein
Schlagmesser am Mittag gebrochen hatte.

Als er und seine Männer sich in den Sattel schwangen und

die Colts in die Fäuste nahmen, spürten sie die sengende Hitze
im Rücken, die mit mörderischer Schnelligkeit heranwehte. Es
war allerhöchste Zeit.

»Mit Gott«, schrie Hickok.
»Oder mit dem Teufel«, brüllte Caiman, und es schien ihm

eine Erlösung zu sein, aus dem engen, filzigen Buschwerk
herauszukommen. Er ritt dicht hinter Wild Bill Hickok, führte
mit den Schenkeln seinen Pinto und hatte die gespannten
Kracher in den Fäusten. Peitschend schlug das
Dornengesträuch gegen seine Beine.

Nach kurzem Ritt bremste Hickok seinen Braunen und

suchte den Gegner.

»Was bedeutet das?« fragte er verblüfft, als er die

halbnackten roten Teufel entdeckte, die tief über ihren
Pferdehälsen liegend nordwärts ins unübersichtliche Gelände
flohen.

»Eine Finte«, sagte Caiman. Er deutete nach Westen, wo eine

Staubwolke heranwehte. »Dort kommt noch eine Horde roter
Bastarde, und wenn mich meine Sinne nicht täuschen, reitet in
ihrem Schatten eine weitere Streitmacht roter Krieger. Weiß
Gott, wir wollen unsere Haut so teuer wie möglich verkaufen.«

Torney, Marwik und die anderen drängten heran.
Der Busch war ein flammendes, hochwirbelndes Fanal,

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dessen Hitze unerträglich wurde.

»Wir fliehen ostwärts in die offene Ebene«, rief Torney mit

erhitztem Gesicht. »Irgendwo werden wir eine sichere
Deckung im Fels finden, um den Bestien eine Weile
widerstehen zu können.«

Bill Hickok trieb wortlos seinen Gaul aus der Gluthitze.

Dann hielt er an und griff in die Satteltasche. Durch sein
Fernrohr beobachtete er die heransprengende Meute, die keine
fünfhundert Yards mehr entfernt war.

»Worauf wartest du noch?« fragte Torney und deutete mit

boshaftem Grinsen auf Hickoks wallende Haarpracht. »Willst
du deinen Skalp loswerden? Wir denken da anders.«

»Halt's Maul«, erwiderte Hickok trocken. Sein prächtiger

Schnauzbart war in Bewegung. »Ich will zu Fuß zum Rio
Grande zurücklaufen, wenn nicht an ihrer Spitze ein Weißer
reitet.«

»Ein Apachero?«
»Der Armeescout aus Arizona.« Hickok setzte das Glas ab.

»Ich weiß nicht, ob sie für uns Hilfe bedeuten. Steckt eure
Eisen ins Futter und haltet die Hände in der Nähe des Gurtes.
Ich werde ihnen entgegenreiten.« Hickok lockerte die Zügel
und kitzelte den Braunen mit den Sporen.

»Er ist lebensmüde«, sagte Torney.
»Er ist verdammt mutig«, erwiderte Alison an seiner Seite.
»Vielleicht ändert sich unsere Lage und du kannst deine drei

Haare auf dem Kopf behalten, Torney.«

Aus dem Verband drüben lösten sich zwei Reiter, die Hickok

in forscher Gangart entgegenstrebten, während die übrigen
Reiter im weiten Kordon auseinandersprengten.

Hickok und die beiden Reiter trafen sich auf halbem Weg,

und Alison sah, das Hickok kurz mit ihnen sprach, dann seinen
Plainshut vom Kopf riß und ihnen Zeichen gab, daß sie
aufschließen sollten.

»Wenn das eine Falle ist, werden wir den Sonnenuntergang

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nicht mehr erleben«, Torney sah die zweite Rothautgruppe
über die Hügel schwenken. Eine Kriegsmacht, die er auf
zwanzig Krieger schätzte.

Alison setzte grinsend seinen Gaul in Bewegung. »Hickok

trägt noch immer seinen Pelz auf dem Schädel. Ich sehe wieder
Zukunft vor Augen.«

Vorsichtig, mit der nötigen Wachsamkeit, näherten sie sich

dem Dreigespann.

Hickok sah ihre feindliche Haltung und rief schon von

weitem: »Laßt die Kanonen stecken, Jungs, es sind unsere
Freunde aus dem Tal der Gesetzlosen.«

Alison, nun nahe genug heran, sah das undurchdringliche

Gesicht des Apachenhäuptlings und dachte, Cochise wird
niemals Hickoks Freund werden. Er hat ihm die Behandlung an
der Hickory niemals verziehen.

Dennoch floh sein Mißtrauen, als Haggerty von Viktorio

sprach, der nach Norden geflüchtet war.

»Es ist meine Aufgabe, Hickok, den Mimbrenjo zu stellen,

ehe er weit größeren Schaden mit den Karabinern anstellt, als
es hier der Fall war. Es wird nicht leicht sein, und ich würde es
begrüßen, wenn Sie uns eine Weile begleiteten.« Hickok
deutete zu den Yaquis, die inzwischen nähergeritten waren,
sich bei den Chiricahuas aufhielten. »Wer sind sie? Freunde
oder Feinde? Sie tragen moderne Winchestergewehre wie die
Apachen deines Freundes. Sie gehören nicht in ihre Hände,
ohne daß sie Schaden anrichten. Wir haben es gerade an der
eigenen Haut gespürt.«

»Tehueco ist ein weiteres Problem«, John lächelte sauer. »Er

betrachtet die Karabiner als Beute. Wie Viktorio es tut. Ich
konnte ihn bisher nicht überzeugen, daß sie der amerikanischen
Armee gehören. Tehueco ist auf der Jagd nach Abtrünnigen
seines Stammes. Ich hoffe, er wird vernünftiger sein, als der
Mimbrenjowolf, dem ich seine Beute abjagen werde. Tehueco
hofft, Natie und seine Wölfe bei den Rebellen anzutreffen.

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Aber Natie hat sich vorher abgesetzt. Was führt euch vom
fernen Texas ins Herz Mexikos, Hickok?«

Hickoks Augen blitzten. »Im Tal der Gesetzlosen habe ich

meine halbe Mannschaft verloren, Haggerty. Ich bin auf der
Suche nach Don Rodriges, um ihm meine Rechnung zu
präsentieren. Ihr seid ihnen begegnet?«

John Haggerty lächelte grimmig. »Wenn Don Rodriges den

Zusammenstoß mit den maximilianischen Truppen überstanden
hat, wird er bald auf unserer Fährte reiten, um sich die
Gewehre zurückzuholen. Sie sehen, Hickok, in unserer Nähe
haben Sie die meisten Aussichten, dem Mann zu begegnen.«

Hickok grinste. »Sie haben eine seltene Art zu überzeugen,

Haggerty. Sie brauchen doch nur ein paar treffsichere Revolver
für die Begegnung mit dem Mimbrenjohäuptling. Deshalb Ihre
Einladung.«

»Ich hoffe, es wird nicht nötig sein«, wich John aus.
Tehueco trabte näher. Mißtrauisch musterte er die fremden

Weißaugen. Besonders Hickok galt sein Blick, so daß dieser
sich veranlaßt sah, Haggerty zu warnen.

»Ihrem Yaquifürsten gefällt mein Haarschopf, Haggerty. Ich

möchte ihm nicht raten, sich mit dummen Gedanken zu
beschäftigen. Wir sind vor Tagen am Rio Casa Grande schon
einmal einer Yaquihorde begegnet. Sie haben sich eine blutige
Nase geholt.«

Tehueco trieb sein Pferd an Cochises Seite. Seine Augen

blitzten bei Hickoks letzten Worten.

»Das Weißgesicht spricht von einer Begegnung mit

Yaquikriegern?«

»Mit Yaquibastarden«, berichtigte Wild Bill Hickok

grinsend. »Sie sind nach Norden geflohen.«

Tehueco schwieg. Er dachte, vom großen Fluß führt der Weg

durch die Berge zum Canyon der Winde. Ein wilder Landstrich
mit tausend Verstecken. Geeignet, um spurlos unterzutauchen.

»Wie lange liegt deine Begegnung zurück, Weißauge?«

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»Vier Tage.«
Wieder schwieg Tehueco. Aber in seinem Blick lag ein

solches Leuchten, das Hickok erschreckte. Als Tehueco sein
Pony wandte und zu seinen Kriegern zurücktrabte, fragte
Hickok: »Was hat er plötzlich?«

John lächelte. »Sie haben ihm einen großen Dienst erwiesen,

Hickok, denn Ihre Worte führen ihn auf die Fährte seines
Todfeindes. Er wird uns verlassen.«

»Und die Waffen? Sie sind für die Armee bestimmt. Nun

gehen sie verloren.«

John Haggerty schüttelte den Kopf. »Ich kenne sein Dorf,

und er wird von Viktorios Schicksal erfahren. Werden Sie uns
begleiten, Hickok?«

Wild Bill blickte hinter dem Reiter her über die flachen

Bergkuppen.

»Kommt Don Rodriges aus dieser Richtung?«
»So wird es sein, wenn der alte Fuchs die letzte Schlacht

überlebt hat.«

»Dann bin ich Ihr Mann.«
John wandte sich an Cochise, der bisher schweigend der

Unterhaltung gefolgt war und sprach auf ihn ein. Cochise
nickte mehrmals, ehe er zu seinen Kriegern zurückritt.

John deutete nach Norden. »Wir wollen die Fährte der

Flüchtigen suchen, Hickok. Kommen Sie.«

Während sie ins wellige Land ritten, sprengten drei

Chiricahuaspäher voraus und verschwanden zwischen den
Tälern.

Tehueco schwenkte ostwärts, hoffend, sein Ziel bald zu

erreichen.

*

»Compadres«, klang es stimmgewaltig aus den Felsen, »seid
vernünftig und macht keine Dummheiten. Ich möchte euch in

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die Augen schauen, wenn ihr unser schönes Mexiko und diese
verfluchte Welt verlaßt.«

John Haggerty lag reglos unter seiner Santillodecke und

blickte zu Hickok hinüber, der keine vier Schritte entfernt im
Schatten stachliger Manzanitas kauerte.

»Don Rodriges?« fragte Hickok halblaut, und gab seinen

Freunden ein Zeichen, daß sie sich durch die Worte des
mexikanischen Rebellen nicht provozieren lassen sollten.

John Haggerty nickte. Dieser verdammte gelbhäutige Bastard

hatte das zähe Leben einer Katze. Er hatte nicht nur den
Angriff der maximilianischen Truppen überlebt, ihm war es
auch gelungen, ihn ++ Haggerty ++ zu überraschen. Und das
zu einem rechten Zeitpunkt, denn Cochise ritt mit seinen
Kriegern tief im Canyon, um die verwischte Spur Viktorios
aufzustöbern.

John Haggerty wußte nun auch, wer am Tode Degaditos und

Cuchillo Negro, den beiden Chiricahuaspähern Schuld trug, die
sie gestern skalpiert an der Finaja, der versteckten Wasserstelle
in den Bergen, gefunden hatten.

Nicht Viktorio, wie John ursprünglich annahm, hatte die

Kundschafter getötet. Es waren die mexikanischen Rebellen
gewesen, die dort oben mit geladenen Karabinern in
Lauerstellung lagen und nur auf Don Rodriges Befehl zum
Feuern warteten.

Hickok spürte die Unruhe unter seinen Männern, die sich

nahe ihrem Ziel fühlten und sicher an ihre toten Freunde im Tal
der Gesetzlosen dachten.

»Wir wollen vernünftig bleiben, Jungs«, rief er der

Mannschaft zu, »und eine bessere Gelegenheit abwarten. Wir
wissen nicht einmal, mit wie vielen Gegnern wir es zu tun
haben. Es können zwanzig sein oder auch hundert.« Hickok
war eiskalt. Die gefährliche Lage, in der sie sich plötzlich
befanden, machte keinen Eindruck auf ihn. Ja, es überraschte
ihn nicht einmal, dem Rebellen zu begegnen, denn seinetwegen

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hatten sie ja Texas verlassen und waren nach Mexiko gezogen.

»Meine Freunde«, bellte Don Rodriges' dunkler Baß aus dem

Fels, »werft eure Gewehre in die Nähe des Feuers, damit ich
eure Friedensbereitschaft erkenne.«

John Haggerty lachte. Er wußte, daß er Zeit gewinnen mußte.

Vielleicht war Cochise in der Nähe und würde in Rodriges'
Rücken auftauchen. »Welche Vorteile bieten Sie, General,
wenn wir uns freiwillig von unseren Waffen trennen?« rief
John spottend. »Sie werden uns töten wie Degadito und
Cuchillo Negro, und sie starben keinen schönen Tod.«

»Amigo Haggerty«, antwortete Rodriges aus sicherer

Deckung, »wenn sie die beiden Stupidos an der Finaja meinen,
so kann ich nur sagen, wir waren Narren. Und sie starben wie
Narren. Sie aber, Amigo, halte ich für einen klugen Mann, der
sich nicht gewaltsam mit meiner Armee einläßt. Dafür werden
wir Ihnen und Ihren Männern einen schnellen Tod durch die
Kugel schenken.«

John blinzelte zu Hickok hinüber. Hickok nickte verstehend.

»General«, schrie Hickok schallend in den Berg, »ich hoffe,
Sie wissen, wer mit Ihnen spricht.«

»Sicher weiß ich das, Senor Hickok«, sagte der Rebell, »wir

folgen Ihrer Spur seit Tagen.«

»Dann wissen Sie auch, daß meine Männer kämpfen können.

Sie haben es einmal erlebt.«

Hickok versuchte, den Mexikaner zu provozieren, um ihn

vielleicht zu einer Dummheit reizen zu können. »Sie sprechen
von Ihrer Armee, Companero. Ich wette, es ist nur ein
zitterndes Häuflein Halunken, das die kaisertreuen Soldaten
von euch Banditen übriggelassen hat. Ihr großes Maul,
General, scheint hier das Starke zu sein. Wir Texaner fürchten
uns nicht.«

Don Rodriges' zornige Flüche schallten von den Bergwänden

wider. Aber dann lachte er. »Wir sind noch dreißig Pistoleros,
Senor Hickok, und ihr nur zehn kümmerliche Gringos. Wie

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groß ist da eure Chance? Wir liegen in sicherer Deckung und
ihr dort unten wie auf einem großen Präsentierteller.« Noch
während er lachte, dröhnten im Berg die Büchsen der
Belagerer. Stein und Staub spritzte auf. Caimans versteckter
Aufschrei zeigte, daß ihn eine Rebellenkugel erwischt hatte.

McDiem kroch heran, Caimans bester Freund. Er riß dem

Verletzten das blutbeschmierte Hemd vom Körper und sah das
große Loch in der Schulter des Freundes.

Noch immer feuerten die Rebellen aus sicherer Deckung ihre

Gewehre ab und bestrichen Stein und Strauch.

»Hickok«, schrie McDiem in den tobenden Lärm, »Caiman

verblutet mir unter den Händen.«

Aber Wild Bill konnte nicht helfen, er lag im Beschuß vieler

Gewehre und schaufelte sich mit den Händen tiefer in die Erde.

Caiman war bei vollem Bewußtsein. Er hörte den Höllenlärm

und sah die Staubfontänen der Einschläge. Er lächelte müde,
weil er spürte, daß mit dem Schmerz im Körper auch sein
Leben dahinfloh. Caiman gab sich keiner Illusion hin.

»Es ist bald vorbei«, keuchte er schwer atmend, »ich spür's.«
»Du bist verrückt«, fluchte McDiem und blickte wütend die

Felswände hoch, in denen blaßblaue Ringe standen, die den
Standort der Schützen verrieten. »Du wirst hundert Jahre alt
und diese verdammte Geschichte hier deinen Enkelkindern
erzählen.«

Er riß seine Bandera vom Hals. McDiem hielt Caimans

geschwächten Körper im Schoß und preßte das Tuch auf den
stark blutenden Einschuß.

Das Gewehrfeuer setzte aus. Dafür war wieder Don

Rodriges' hohnvolle Stimme zu hören. »Amigos, glaubt ihr
immer noch, daß ich bluffe?«

»Der Teufel soll dich holen, Greaser«, schrie McDiem

zurück. Er sah, daß Caiman hilflos in seinen Armen
dahinsiechte. »Kriech aus deinem Versteck, Bandit, und
beweise, daß du mit dem Revolver ebensogut bist wie mit

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deinem Maul.«

Caiman röchelte schwach. Er war längst der Gegenwart

entrückt und begriff nicht mehr, was um ihn geschah. Sein
Atem wurde flacher und blieb plötzlich stehen.

McDiem sah, daß sein Freund tot war. Vorsichtig schob er

ihn beiseite und griff zum Revolver. Er war wütend wie ein
gejagter Wolf. Er würde es dem Greaser zeigen. Mit einem
Ruck fuhr McDiem hoch und wollte vorwärtsstürmen, als
Marwik sich auf ihn stürzte und niederriß.

»Verdammt, du Hornochse«, fauchte Marwik, »willst du dir

von ihnen ein Ding verpassen lassen? Wir sollten versuchen, in
ihre Flanke zu kommen und sie aus ihren Löchern zu treiben.
Haggerty hat ein paar Kisten Dynamit bei sich, das für die
Armee bestimmt ist. Es wird auch uns von Nutzen sein.«

McDiem lag reglos auf dem Rücken. Nur sein Atem hetzte.

Er erlebte noch einmal die wenigen Augenblicke, in denen der
beste Freund in seinen Armen gestorben war. Er war wütend
wie noch nie in seinem Leben.

»Worauf warten wir noch?« keuchte er und sein Blick

huschte zu den Sträuchern hin, wo sie den Sprengstoff gelagert
hatten.

Marwik richtete sich vorsichtig auf und signalisierte Hickok

ihre Absicht. Noch während Wild Bill kopfnickend seine
Zustimmung gab, spürten sie die fürchterliche Explosion, die,
Sträucher und Bäume hinwegfegend, über sie wegfuhr. Der
Fels bebte. Eine schwarze Pulverwolke verdunkelte den
Himmel. Noch während das Echo der fürchterlichen
Detonation von den Felswänden widerhallte, sahen sie
verschwommene Schatten, die aus den Felsschründen
herauskrochen, behend in die Tiefe stiegen, und von Deckung
zu Deckung huschend das Lager angriffen.

Hickok und seine Männer rotteten sich zusammen und

erwiderten das heftige Gewehrfeuer, das ihnen entgegenschlug,
ohne daß ein sichtbarer Erfolg zu verzeichnen war.

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Don Rodriges' kräftige Stimme überschallte den Lärm. Wie

in einer Gefechtsübung griffen die Männer in zwei Wellen an.
Die eine Gruppe unablässig das Ziel mit einem Kugelhagel
eindeckend, die zweite Gruppe suchte den Raumgewinn,
feuerte nun ihre Karabiner ab, um den Vorstoß der ersten
Gruppe zu decken.

»Sie überrennen uns«, fluchte Tornes, »wir sollten uns tiefer

in die Schlucht zurückziehen, ehe ihre Macheten uns die
Schädel spalten.« In fieberhafter Eile steckte er die Patronen in
den Schaft seiner Winchester.

»Keine Panik«, brüllte Hickok in den Gefechtslärm. Trotz

der umherschwirrenden Geschosse suchte er Don Rodriges, der
flink wie ein Derwisch zwischen verstreuten Felsen
herumsprang und seine Truppe anfeuerte. »Wir müssen den
General erwischen.«

Er schoß. Deutlich sah er, wie der Mexikaner

zusammenzuckte und seine Hand zur Schulter fuhr. Doch sein
wildes Geschrei blieb.

Die ersten Schatten tauchten vor der flachen Felsbrüstung

auf, die den Verteidigern als Deckung diente. Wirbelnd
schwangen sie ihre Macheten.

Hickok, Alison und Marwik ließen ihre Gewehre fallen und

griffen nach den Revolvern. Torney schlug einem Mexikaner,
der ihn mit gewaltigem Sprung anging, die heiße
Gewehrmündung an den Kopf. Hickok und Alison feuerten
von den Hüften ihre Colts ab und fegten drei Burschen von der
Brüstung.

John Haggerty war in arger Bedrängnis. Er kämpfte

verbissen gegen die Machetenschläge eines Mexikaners, der
plötzlich aus den Büschen gestürmt war und ihn anging. Ein
Kampf auf Leben und Tod entbrannte, und sie alle spürten, der
Sturmlauf der Rebellen war nicht mehr aufzuhalten. Von allen
Seiten stürmten die Rebellen die Barrikade.

Hickok versuchte vergeblich, Haggerty zu helfen. Er hielt

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entschlossen den Colt in der Faust. Doch der Mexikaner war
ein fliehender Schatten, ständig in Bewegung, und wenn
Hickok glaubte, einen sicheren Schuß anbringen zu können,
war es Haggerty, der im Weg stand.

Mitten in dem Gefechtslärm glaubte Hickok helle

Trompetenstöße zu hören. Von der Südseite der Schlucht
sprengten Reiter heran. Sie standen steil im Sattel und
schwangen ihre Säbel.

Ein neuer Gegner?
»Vorsicht, Haggerty«, schrie Hickok, als der Mexikaner, eine

Finte schlagend, zurückwich und sofort wieder angriff. Seine
Machete hing zwischen nervigen Fäusten steil über Johns
Kopf. Aber John war auf der Hut. Durch einen Seitensprung
entging er dem fürchterlichen Hieb. Kam blitzschnell hoch.
Seine Rechte zuckte dem Rebellen entgegen, und das
Jagdmesser bohrte sich in seine Brust.

John fiel schwer atmend neben Hickok hinter die Deckung.

»Wer sind sie?« schrie Hickok, als die fremden Reiter ihre
Pferde zwischen die zurückweichenden Rebellen trieben.

»Bunthosen«, rief John aufatmend, »kaisertreue Soldaten, die

seit dem Rio Casa Grande hinter dem Rebellengesindel her
sind. Verdammt, ich mag diese napoleonischen Günstlinge
nicht, aber im Augenblick sind sie mir willkommen wie die
besten Freunde«

Ein grauenhaftes Gemetzel entbrannte. Don Rodriges'

Truppe geriet in Panik, floh aufgelöst nach Süden, gefolgt von
den Soldaten, deren Langsäbel ganz fürchterliche Ernte hielten.

Hickok preßte die Lippen aufeinander. Er erlebte das

gräßliche Sterben und suchte Don Rodriges, mit dem ihn eine
offene Rechnung verband. Irgendwie war der General beim
Auftauchen der fremden Streitmacht spurlos verschwunden.
Aber Hickok hatte sich seinen letzten Standort gemerkt. In
fieberhafter Eile lud er den Colt.

Ein Reiteroffizier tauchte vor der Brustwehr auf. Er blickte

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auf das kleine Häuflein Männer und salutierte schweigend mit
dem blutigen Säbel, ehe er vorwärtsstob und in der
hochwirbelnden Staubwolke verschwand.

Wild Bill Hickok sprang auf die Brüstung.
»Wo wollen sie hin?« schrie Haggerty, erschreckt von

Hickoks Impulsivität.

Hickok wandte kurz den Kopf, und John sah die harten

Augen des Mannes. »Ich hole mir den Oberbanditen. Er wird
einiges bezahlen müssen.«

Hickok sprang von der Deckung und ging sein Ziel an. Der

Gefechtslärm verlagerte sich nordwärts der Schlucht. Aber die
Schüsse und das Geschrei wurden immer kläglicher, ehe es
ganz verstummte. Der Staub lichtete sich und die Verteidiger
sahen zahlose Leichen, die den Schluchtboden bedeckten.
Dazwischen in Panik hin und her galoppierende Pferde.

John Haggerty sprang auf die Brustwehr. Er suchte diesen

verrückten langhaarigen Revolverhelden, der spurlos im
Gelände untergetaucht war, und dann entdeckte er ihn
halbhoch im Fels. Weit oberhalb von ihm erkannte John den
flüchtenden Don Rodriges, der ständig in die Tiefe feuernd, die
Pferderemuda auf dem Kamm zu erreichen versuchte.

»Er ist verrückt«, schimpfte der Armeescout, bewunderte

dennoch den Mut des Recken.

»Er tut, was wir alle tun würden«, sagte an seiner Seite

Torney. Eine blutige Strieme zierte seine Stirn. »Hickok befreit
die Welt von einer gefährlichen Bestie.«

Von Süden her führten Soldaten ihre Pferde heran. Ihre

bunten Hosen schillerten blutrot im einfallenden Sonnenlicht
wie die Klingen ihrer Säbel. Ihr Anführer, Capitano Laffitieur,
drängte lächelnd sein Pferd näher.

»Sie hatten Glück, Senores, daß wir in der Nähe waren, als

die Rebellen Sie überfielen«, sagte er gelassen, während er aus
dem Sattel stieg. Er schien keine Ahnung zu haben, daß sich
ihre Wege schon einmal in den Felsschluchten am verfallenen

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Franziskanerkloster gekreuzt hatten. »Wir sind seit Tagen
hinter ihnen her.« Sein Blick streifte die pulvergeschwärzten
Gesichter der Männer, die zum Teil leichte Verletzungen
trugen. »Sie sind Americanos. Was führt Sie über die Grenze
Mexikos, Monsieur?« wandte er sich schließlich an John
Haggerty.

John wußte, daß er den wahren Grund ihres Hierseins

verbergen mußte. Er deutete lässig zu den plündernden
Soldaten in der Schlucht. »Wir folgten der Fährte einer
blutrünstigen Indianerhorde, die in dieser Gegend die Grenze
gewechselt hat. Apachen.«

Capitano Laffitieur, ein emigrierter Franzose im Dienst

Maximilians, lächelte. »Sie sind Skalpjäger, Monsieur«,
kommentierte er und nickte zufrieden. »Es läuft zuviel von
diesem Gesindel durch unser Land. Man muß ihre Dörfer
ausrotten, ihre Festungen niederbrennen, so wie wir es mit
mexikanischen Rebellen tun. Erst im Frieden werden unsere
Länder stark und mächtig. Und es werden keine Diskrepanzen
zwischen ihrer und unserer Regierung aufkommen.«

»Sie sagen es, Capitano«, erwiderte John lächelnd, obwohl

ihn die Einstellung des Offiziers anwiderte. »Ein Volk blüht
nur auf im Frieden.«

Zwischen den Bunthosen entstand Streit. Sie stritten sich um

die Beute der Toten wie Leichenfledderer. Laffitieur schien es
nicht zu stören. Er sah nur Johns unmutigen Blick und sagte:
»Beutegut ist ein Teil ihres Soldes, Monsieur. Je größer die
Beute, um so mutiger sind unsere Soldaten.«

Er winkte einen Soldaten heran, der sich nicht an dem

Gefleddere beteiligte, sondern ständig sein Pferd zwischen den
Niedergemetzelten hin und her trieb, als suche er etwas
Bestimmtes.

»Haben Sie Rodriges gefunden, Sergeant?« fragte Laffiteur,

als der Reiter näher kam.

Der Sergeant schüttelte den Kopf.

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»Dann sucht weiter. Ich will seinen Kopf, Sergeant. Er ist

meiner Karriere mehr wert als dieser Sieg.« Und noch immer
lächelnd wandte er sich an John. »Wir suchen Don Rodriges,
den die Renegaten den General nennen. Ein gefährlicher Mann
und Günstling des Rebellenführers Juárez. Wir waren ihm vor
Tagen schon einmal nahe, aber der Teufel konnte uns
entwischen.« Laffitieur erzählte seine Geschichte, die John
längst kannte, weil er die Auseinandersetzungen hautnah erlebt
hatte. Dabei erwähnte er, den Spuren unbeschlagener Pferde in
den Ausläufern der Alamo Hueco Mountains begegnet zu sein,
die ins Grenzland führten.

John Haggertys Blick wanderte nervös zwischen dem

Bergkamm, hinter dem Hickok verschwunden, und der
Nordsohle der Schlucht, aus der Cochise zu erwarten war, hin
und her, und er hoffte, daß die maximilianischen Soldaten ihr
Handwerk bald beenden würden.

Capitano Laffitieur, der diese Nervosität Johns bemerkte,

fragte verwundert: »Erwarten Sie Freunde oder Feinde,
Monsieur, Sie wirken so unruhig?«

John deutete verlegen lächelnd auf die Soldaten. »Es ist die

Unruhe, die Ihre Leute verbreiten. Sie benehmen sich wie
Barbaren.«

Capitano Laffitieur runzelte erstaunt die Brauen. »Die Toten

merken es nicht. Meine Soldaten aber zeigen damit, wie tief ihr
Haß auf die Rebellen ist. Wir haben Krieg und sie tun nichts
anderes als das, was Sie vorhaben, Monsieur. In einer Stunde
wird alles vergessen sein und der Rest ist Beute der Berglöwen
und Schakale.«

John Haggerty wechselte die Farbe, aber er schwieg.
Laffitieur ritt zu seinem verwilderten Haufen und erteilte

Befehle. Zu diesem Zeitpunkt tauchte Hickok droben auf dem
Kamm auf. Er schwenkte ein blutiges Haarbündel in der Faust
und kroch die Wasserrinne herunter zur Schluchtsohle.

Als er nähertrat, warf er seinen Freunden den dunklen

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Haarschopf Don Rodriges' vor die Füße. »Ich glaube, damit ist
unsere Aufgabe erfüllt, Jungs. Der Tod des Mexikaners bringt
Hunt, Bass, Dickens, Claymont und die anderen nicht ins
Leben zurück, aber es wird für uns alle eine Genugtuung sein
zu wissen, daß der Mörder unserer Freunde vor seinem Richter
steht.«

Capitano Laffitieur, der neugierig sein Pferd nähertrieb, stieg

lächelnd aus dem Sattel. Er faßte Wild Bill Hickok ins Auge
und sagte erregt: »Sie bringen mir eine kostbare Beute,
Americano. Ich glaube in dem Haarschopf Don Rodriges Skalp
zu erkennen. Ich wäre bereit, Ihnen tausend Pesos dafür zu
zahlen.«

Hickoks harte Augen berührten den Sprecher. Er zögerte

keinen Moment mit der Antwort. »Er ist Ihnen geschenkt,
Capitano, den Rest von Don Rodriges finden Sie droben
zwischen den Klippen. Beides bedeutet uns nichts. Brechen wir
auf, Haggerty?«

John zuckte mit den Achseln. »Wenn Capitano Laffitieur

keine Einwände hat, reiten wir nordwärts durch die Schlucht.«

Der Offizier lächelte höflich und dachte an Hickoks

Angebot. »Sie sind unsere Freunde. Sie können reiten, wohin
sich Ihre Nasen richten, Freunde.«

Laffitieur trabte davon.
»Sie haben es eilig, Hickok«, sagte John nachdenklich. Er

deutete zu den Toten. »Stört Sie ihr Anblick?«

Hickok schüttelte den Kopf. Dabei lachte er verächtlich auf.

»Ich war Scout bei der Unionsarmee und bin an solche Szenen
gewöhnt. Aber droben in den Felshängen lauert Cochise. Wer
weiß, welche Gedanken er sich macht, wenn er uns inmitten
der Bunthosen sieht.«

John schreckte auf. »Suchen wir unsere Pferde«, bestimmte

er, »es ist genug gemordet worden.«

Als sie kurze Zeit später an Laffitieur vorbei nordwärts durch

die Schlucht ritten, hörten sie dessen Stimme. »Ich wünsche

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euch viel Glück, Americanos. Und fette Beute.« Angewidert
verzog John Haggerty das Gesicht. »Er ist ein Teufel in
Menschengestalt.«

Hickok zuckte verächtlich die Achseln. »Er ist Soldat.

Verroht und verrottet durch die grausamen Sitten eines
Bürgerkrieges. Ohne ihn würden wir dort als Fraß der Wölfe
und Geier liegen.«

Dämmerlicht kroch von den Steilwänden in die Schlucht und

verwischte die Konturen. Irgendwann, nach einigen Meilen,
tauchten lautlos die Chiricahuas an ihrer Seite auf.

Cochise deutete nach Norden, als er ernst sagte: »Viktorio

zieht über die Grenze. Er ist uns wenigstens einen Tag voraus.«

John spürte, daß der Häuptling in ernster Sorge war, denn

Viktorios Eskalation konnte sich auf die übrigen
Apachenstämme auswirken.

Unwillkürlich forcierte er das Tempo.

*

Seit Tagen durchstreiften der Chiefscout der 3. Kavallerie und
sein Späher die weiten Täler und Schluchten im Süden, ohne
eine fremde Spur zu finden. Aber am heutigen Morgen
entdeckten sie in den Vorcaps der Alamos Mountains
hochsteigenden Rauch, und ihnen war, als hörten sie heftiges
Gewehrfeuer.

Sie folgten der Rauchfahne und überschritten nach vier

Stunden Reitweg den Hügelkamm. Inmitten eines kleinen
Talkessels entdeckten sie das niedergebrannte Gehöft, dessen
Rauchwolken sie angelockt hatten.

Sieber nahm sein Fernglas aus der Satteltasche und

beobachtete das Terrain. Als er nichts Verdächtiges entdecken
konnte, gab er seinem Pferd die Sporen und sprengte den Hang
hinunter.

Noch schwelte das Feuer zwischen verbranntem Gebälk. Wie

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drohende Kaskaden wuchteten geborstene
Adobemauerwerkreste in den Himmel.

»Mein Gott«, sagte Al Sieber erschüttert, als er die beiden

Toten entdeckte, die nackt und skalpiert über dem Querpfosten
des breiten Tores hingen. »Diese Bestien.«

Nino ritt schweigend an den Toten vorbei und sprang vor den

schwelenden Trümmern vom Pferd. Über dem Brunnenrand
hing ein alter Mann. Ebenfalls nackt, ebenfalls tot. Auf dem
Weg zur Hütte erkannte Nino eine Frau, die noch im Tode
schützend ihre Arme um einen Knaben geschlungen hatte.

Al Sieber führte sein Pferd näher. Sein Gesicht war bleich

und von Unruhe erfüllt. »Apachen?« fragte er heiser.

Der Späher nickte. »Yaquis«, sagte er und reichte dem

anderen einen kurzen gefederten Kriegspfeil. Sie kämpften mit
schnellen Gewehren, Chief.« Dabei deutete er auf die Toten am
Tor. »Gewehre, wie wir sie suchen.«

Al Sieber blickte sich um. Zwischen den verkohlten Resten

eines Schuppens erkannte er verbrannte Rinderleiber. Der
kleine Garten vor dem Haus war von Pferdehufen
niedergetrampelt, die Gatter niedergerissen. Hier hatten
Barbaren gehaust.

Ninos Blick ging wachsam durch den Talkessel. Sein Gesicht

bewegte sich nicht, als er einen einzelnen Reiter auf dem
südlichen Hügelkamm entdeckte. Er nahm die Zügel seines
Pferdes und deutete zu den Mauerresten. »Wir müssen uns
verstecken«, sagte er ruhig.

»Vor wem, Nino?«
Der Hunkpapa deutete zum nahen Hügel, wo ein zweiter und

dritter Reiter auftauchten. »Apachen.«

»Sie kehren zurück«, fluchte Sieber, trieb sein Pferd ins

Trümmerfeld und griff nach dem Karabiner. »Ich hoffe, sie
haben uns noch nicht entdeckt.«

Nino lächelte ironisch. »Apachen haben die Augen eines

Adlers. Sie entdecken ihre Feinde auf eine Meile Wegstrecke.

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Die dort oben sind keine zweihundert Yards entfernt. « Nino
hielt seine einschüssige Springfield in den Fäusten. Sein
Gesicht war unbeweglich. Nichts verriet seine Gedanken. »Ich
hoffe, wir haben es nur mit drei Gegnern zu tun. Vielleicht ihre
Späher, die zurückgekehrt sind.«

Sieber schob den Karabiner auf den heißen Stein der Ruine

und legte den Colt auf einen Absatz.

Als er einen Blick zum Hügel warf, waren es bereits ein

Dutzend Reiter, die droben in breiter Angriffsformation
auseinanderstrebten. Ihre halbnackten Körper glänzten in der
Sonne. Trotz der Entfernung erkannte Al Sieber, daß sie
moderne Karabiner trugen.

»Wir sollten fliehen, statt zu kämpfen«, fluchte er los.
»Zu spät«, der Hunkpapa deutete über die Trümmer nach

Osten. Ein zweiter, kleinerer Apachenhaufen schnitt den
Fluchtweg nach Norden ab. »Sie kreisen uns ein.
Apachentaktik.«

Al Sieber hielt das Glas vor die Augen und suchte ihren

Anführer. Er entdeckte den trutzigen Burschen mit dem
muschelbestickten Stirnband am linken Flügel.

»Tehueco«, rief er verblüfft, weil er wußte, daß der Yaqui

Kazike als gemäßigter Häuptling galt. »Was sucht Tehueco so
weit im Osten?«

»Gewehre«, der Hunkpapa grinste. Man sah ihm die Angst

nicht an, die ihn beherrschte. Er wirkte kaltblütig und gelassen.

»Gewehre, um Ranchos zu überfallen und Menschen zu

ermorden. Wie hier. Ich werde den Häuptling töten.« Nino zog
seinen Einschüsser an die Schulter und visierte den Kazike an.

Sein Schuß fuhr ins Leere, denn Tehueco saß noch immer

auf dem Rücken seines Gaules. Er gab mit den Händen
Zeichen, worauf seine Krieger hinter die Hügel ritten.

Kaltblütig erneuerte Nino die verschossene Patrone. »Warum

schießt du nicht, Chief?« fragte der Hunkpapa mit einem
erstaunten Seitenblick. »Du hast ein schnelles Gewehr wie

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sie.«

Al Sieber schüttelte unwillig den Kopf. Er sah, daß Tehueco

sein Schweißband von der Stirn zog und am Karabinerlauf
befestigte. »Sie greifen uns nicht an, Nino. Der Häuptling will
verhandeln.«

»Über die Art unseres Todes?« Nino ließ das Schloß

einschnappen und schob das Gewehr abermals in die Schulter.

»Warte«, bestimmte Sieber.
Tehueco hielt den Karabiner weit über dem Kopf und lenkte

sein Pony mit den Schenkeln den Hang hinunter.

»Worauf, Chief?« fragte Nino. »Bis wir aussehen wie die

dort draußen?« Seine Kopfbewegung deutete zu den Toten.

»Das ist ein Befehl«, knurrte Al Sieber verärgert. Er erhob

sich und trat vorsichtig aus der sicheren Deckung. Tehueco war
nun keine fünfzig Yards mehr entfernt. Er behielt Sieber im
Auge, obwohl dieser wußte, daß Tehueco die Grausamkeit der
Szene aufnahm, die sich seinem Auge bot.

»Bleib stehen, Häuptling«, rief der Chiefscout warnend. Er

hielt seine Winchester schußbereit in der Armbeuge, bereit zu
feuern, wenn Tehueco eine falsche Bewegung machen sollte.
Der Kazike erreichte das Tor. Sein Blick streifte die
massakrierten Toten, ehe er Al Sieber berührte, dessen Waffe
ihn anvisierte.

»Du bist der neue Armeescout aus Tucson«, rief der

Häuptling, »ich erkenne dich, weil du mit dem Falken mein
Dorf besucht hast. Nimm deine Waffe runter, ich komme nicht
als dein Feind.«

Al Sieber blieb mißtrauisch, denn plötzlich tauchten auf den

Hügelkämmen Yaquikrieger auf. Noch immer bedrohte sein
Karabiner den Häuptling. Er deutete auf den verbrannten Hof.
»Und das hier, Kazike? Hast du eine Erklärung für dein
Verbrechen an diesen unschuldigen Menschen?«

Tehueco war nun auf zehn Yards heran. Er betrachtete die

Toten beim Brunnen. Die Frau, das Kind. Nichts bewegte seine

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glatten Züge.

»Es ist nicht mein Verbrechen, sondem das Verbrechen des

Roten Wolfes«, rief der Kazike zornig, »wir sind auf der Jagd
nach ihm.«

»Und das Gewehr, das du trägst, Tehueco? Die Menschen

hier wurden mit solchen Gewehren getötet. Bist du zu feige,
deine Tat einzugestehen?«

Ein funkelnder Blick traf Sieber. »Niemand kann ungestraft

Tehueco der Feigheit bezichtigen, Weißauge. Yaquis tragen
diese schnellen Gewehre, Mimbrenjos und Chiricahuas.«

»Sie wurden der Armee geraubt, Tehueco. Du weißt, daß der

Einarm in Tucson dich dafür bestrafen wird.«

»Der Falke drohte damit. Für uns sind sie Kriegsbeute, die

wir bei den Mexikanern genommen haben.«

»Der Falke?« fragte Sieber hellhörig. »Wo bist du ihm

begegnet?«

Tehueco schwenkte sein Gewehr nach Süden. »Zuletzt

jenseits des Canyons der Singenden Winde. Er ist auf der Jagd
nach dem Mimbrenjo-Jefe, der das gleiche Recht wie ich auf
die Gewehre beansprucht. Wenn du dich beeilst, wirst du an
der Grenze zu ihm stoßen. Anju«, sagte der Häuptling mit
einem letzten Blick auf das grausame Bild, dann schwenkte er
sein Pony und trabte durch das offene Tor.

Auf dem Hügel rief er durch Zeichen seine Krieger

zusammen und schwenkte nordwärts, wo die Spur des Roten
Wolfes in die Berge führte.

»Uff«, sagte Al Sieber aufatmend, als die Yaquis ihren

Blicken entschwunden waren, und wischte sich den Schweiß
von der Stirn. »Die Begegnung mit Tehueco hätte für uns
schlimme Folgen haben können.«

Der Hunkpapa trat aus dem Schatten der Mauerruine. Er

hatte das Gespräch der beiden gehört.

»Traust du den Worten des Yaqui-Cojoten, Chief?« fragte er

zornig. »Er ist ein Apache, verschlagen und hinterhältig.

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Vielleicht locken uns seine Worte in einen Hinterhalt.«

»Hätte Tehueco das nötig gehabt?« fragte Al Sieber

spöttisch. »Er hielt alle Trümpfe in der Hand, um uns beide zu
den Göttern zu schicken. Er ist dennoch weitergezogen. Ist das
kein Beweis seiner Ehrlichkeit? Wir wollen die Toten begraben
und ein Wort für ihr Seelenheil sprechen, Nino. Nimm die
Klappspaten von den Satteltaschen.«

Während er sich abwandte und zu seinem Pferd trat, sagte er

zuversichtlich: »Wenn es deine Götter wollen, Nino, werden
wir bald John Haggerty begegnen und die ganze Wahrheit
hören.«

*

»Viktorio ist ein Fuchs, ein schlauer Fuchs«, sagte Cochise,
nachdem sie seit zwei Tagen den Wechselspuren der
Mimbrenjos gefolgt waren. »Er kennt alle Tugenden eines
listigen Apachen, ohne daß er sich Mühe macht, seine Spur zu
verbergen.«

»Er spielt mit uns«, erwiderte Haggerty finster.
Der Häuptling lächelte. »Viktorio zeigt, wie wenig er uns

fürchtet, Falke.«

Sie ritten dem Gros der Krieger weit voraus, um die Fährte

zu sichern, die nun durch ein weites Tal nördlich zu den
Bergen führte. An der Ostflanke bewegten sich Hickok und
seine Freunde.

Am Nachmittag stießen sie auf einen ausgebrannten Chuck,

in dessen Nähe ein Toter lag. Nackt, ausgeplündert, skalpiert.
Die vielen Patronenhülsen, die in der Nähe des Toten lagen,
zeigten, daß der Mann bis zum letzten Atemzug gekämpft
hatte. Neben seinem Kopf steckte eine Kriegslanze der
Mimbrenjos.

Cochise, der den Toten eine Weile betrachtet hatte, riß die

Lanze aus der Erde und ging zu Haggerty hinüber, der die

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86

verbrannten Reste des Planwagens untersuchte.

»Viktorios Zeichen«, sagte der Häuptling und reckte die

gefiederte Lanze. »Wer ist der Tote?«

John richtete sich zögernd auf. »Ein ziehender Pedlar. Ein

Händler, der mit den Eingeborenen und weißen Siedlern
Geschäfte macht. Sicher ein friedlicher Mann, der auch in den
Dörfern der Apachen zu Hause war.«

Cochises Augen blitzten zornig. »Viktorio tötet aus der Lust

am Töten«, rief er finster.

»Oder es ist eine Herausforderung.« John bestieg seinen

Gaul. Sein Blick führte nordwärts, wo die grauen Schatten der
Red Cedar Mountains in den Himmel ragten.

Irgendwo am Fuß der Berge ritten der Mimbrenjoteufel und

seine Krieger neuen Untaten entgegen.

»Wir müssen ihn stellen, bevor er ein neues Massaker

anrichtet, Cochise.«

Der Jefe nickte und ließ die Zügel locker. John hatte Mühe,

ihm zu folgen.

In der Dämmerung tauchte in einer Senke ein Settlement auf.

John und Cochise beobachteten die Siedlung aus der Ferne. Sie
sahen brennende Hütten und Menschen, die zwischen den
Trümmern herumliefen.

Ihre Blicke trafen sich, wie die Gedanken wohl die gleichen

waren.

»Viktorios Werk«, sagte der Häuptling ruhig.
John nickte. »Es ist besser, wenn ich mit meinen weißen

Brüdern hinunterreite, Freund. Du und deine Krieger könnten
den Dorfbewohnern Anlaß zu kriegerischen Handlungen
bieten.« John gab Hickok durch Handzeichen zu verstehen, daß
er ihn brauchte.

»Wir warten im dichten Gebüsch bei den Hügeln«, erwiderte

Cochise und schwenkte sein Pferd.

Hickoks wilde Mannschaft trabte näher. Sie erfaßten das

Bild, das sich ihnen bot.

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Wild Bill schnaufte. »Dieser Mimbrenjo ist ein Vandale. Wir

sollten ihn an den höchsten Ast einer Pechtanne hängen. Eher
gibt er keine Ruhe.«

Haggerty lächelte. »Noch haben wir ihn nicht, Hickok. Sehen

wir, was dort unten los ist.«

In geschlossener Formation ritten sie den flachen Hügel

hinunter, dem brennenden Settlement entgegen, dessen Bürger
sich nun zusammenrotteten und feindlich ihre schußbereiten
Mauser-Kentuckys und andere Gewehre in den Fäusten haltend
den Reitern entgegenblickten. Als sie ihre eigenen Artgenossen
erkannten, löste sich ihre agressive Haltung und sie kamen den
Fremden entgegen.

John erfuhr, daß die Siedlung am Morgen überraschend von

Rothäuten angegriffen worden war, die ihre Hütten plünderten
und in Brand steckten. In der darauffolgenden
Auseinandersetzung hatte es Tote und Verwundete gegeben. So
überraschend, wie das rote Gesindel in ihr Dorf eingebrochen
war, war es auch wieder verschwunden.

John hatte genug erfahren. Er gab seiner Eskorte ein Zeichen,

und sie zogen zwischen die Hügel, wo Cochise und seine
Krieger im dichten Mescalgesträuch lagerten.

»Viktorio ist boshaft wie eine Klapperschlange, Chief. Er

lädt so viel Schuld auf sein Gewissen, daß er sich vor dem
Tribunal verantworten muß.«

»Bevor dies geschieht, werden meine Leute ihn in tausend

Stücke reißen«, fluchte Wild Bill Hickok, dem das Drama im
Dorf noch vor Augen stand.

Cochise streifte den Recken mit verächtlichem Blick. Was

wußte das Langhaar von Schuld und Sühne? Vom Leid des
roten Mannes, der in der San Carlos Reservation dahinsiechte?
Ohne Rechte, ohne Freiheit, ohne Zukunft, Sklaven weißer
Eroberer, die ihre Jagdgründe stahlen. Nicht, daß er Viktorios
agressive Haltung billigte, dafür mußte er sich selbst
verantworten. Ihn störten einfach die falschen Worte des

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88

Langhaares, dessen grausame Angriffswut er im Lager der
Gesetzlosen erlebt hatte.

Er deutete zum dichten Buschwerk hinüber, wo seine Krieger

verborgen lagerten. »Wir wollen die Nacht abwarten und
morgen weiterziehen.«

Sie wagten kein Feuer zu entzünden, um nicht die

Aufmerksamkeit des Dorfes auf sich zu lenken. Cochise teilte
die Wachen für die Nacht ein und bestimmte zusätzlich zwei
Wächter, die bei den Pferden blieben.

Er selbst war seltsam stumm und zog sich tief in den Busch

zurück, um mit seinen Gedanken allein zu sein.

Mit den ersten Morgenschatten waren sie auf den Beinen.

Während Hickoks Mannschaft die Pferde sattelte und die
Krieger ihre Pintos aus dem deckenden Gesträuch führten,
stand plötzlich Cochise an Haggertys Seite.

»Falke!«
»Jefe?« John wandte den Kopf und sah Cochises

ernstblickende Augen. Er wußte, daß der Häuptling in der
Nacht mit seinen Göttern gesprochen hatte.

»Wir brauchen Viktorios Fährte nicht zu suchen. Ich weiß

nun, daß er über die Grenze in die Dragoon zurückreitet. Er ist
mit Ruhm und Beute beladen und möchte sein Glück allen
Brüdern seines Stammes zeigen. Glanz und Eitelkeit führen ihn
in seine Apacheria.«

»Das wäre ein gefährliches Spiel, Jefe«, erwiderte Haggerty.

»Viktorio weiß, daß wir ihm folgen und er ahnt auch, daß
Pferdesoldaten ihn suchen werden. Er hat sein Spiel zu weit
getrieben.«

Der Häuptling lächelte. »Die Dragoon Mountains haben

tausend wildzerklüftete Schluchten. Jede Schlucht wird ihm
eine Festung sein. Eine Armee Soldaten würde sein Dorf dort
oben nicht aufspüren können.«

»Dann wollen wir verhindern, daß er sein jetziges Dorf

auflöst, Chief. Schon um des Friedens willen, den du mit dem

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großen Häuptling in Tucson geschlossen hast.«

Haggerty bestieg sein Pferd.
Schweigend folgte Cochise.

*

Stumm trieben die beiden Reiter ihre Pferde zwischen die
Felsen. Al Sieber stieg aus dem Sattel, reichte seinem Begleiter
die Zügel und kletterte die Steinmoräne hoch.

Draußen in der Ebene bewegte sich eine Staubwolke direkt

auf sie zu. Noch waren die Reiter zu weit entfernt, daß Sieber
sie durch das Glas erkennen konnte. Deshalb beschränkte er
sich aufs Warten.

Nach etwa zehn Minuten wurde das Bild klarer. Sieber

erkannte Reiter in groben bunten Hemden, die in festen Sätteln
saßen und Rothäute, die auf ihren bunten Santillodecken ritten.
Das bunte Gemisch umfaßte über dreißig Reiter.

Sieber richtete sein Glas auf die drei Reiter, die der Truppe

vorausritten. Er brauchte eine Weile, um seiner Freude
Ausdruck zu verleihen. Doch dann richtete er sich auf und
schrie: »Nino, es ist John Haggerty, mein Vorgänger.
Hippeeeh, ich wußte, daß wir ihn finden würden.« Eilig kroch
er in die Tiefe und sprang in den Sattel. Im vollen Galopp
preschte er aus der Steinbarriere hervor und jagte den Reitern
entgegen.

Im selben Augenblick löste sich der Verband, strebte in

breiter Front auseinander und schwenkte nach Norden und
Süden zu einer Zangenbewegung, die den Reiter
einzuschließen drohte.

John Haggerty stand steil in den Lederbügeln. Er glaubte nun

die beiden Reiter zu erkennen, die im Galopp heranritten.
Durch einen Schuß rief er das Rudel in den Verband zurück.

Dicht vor John bremste der Scout den schnellen Lauf seines

Pferdes, ließ es auf der Hinterhand tanzen und brachte es dann

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zum Stand.

»John Haggerty«, rief Sieber erfreut. »Gottlob, daß ich Sie

gefunden habe.« Er drängte seinen Gaul näher und reichte John
die Hand.

»Was führt Sie in diese Gegend, Al?« fragte John überrascht.

»Hat Howard keine Aufgaben mehr für Sie?«

Sieber lachte bitter. »Und ob. Die ganze Armee ist in

Aufruhr, weil eine Fuhre moderner Karabiner überfällig ist.«
Sein Lachen erlosch und er wurde ernst. Er deutete auf die
Chiricahuas, die jeder mit einem oder mehreren
Winchestergewehren bestückt einer waffenstarrenden Armada
glichen.

»Ich nehme an, sie tragen die Karabiner, auf die General

Einarm sehnsüchtig wartet. Verdammt«, stieß er im selben
Augenblick aus, »spielt denn alles verrück? Die Apachen sind
moderner ausgerüstet als die 3. Kavallerie. Ihre Karabiner
passen besser in die Fäuste disziplinierter Soldaten. John,
erklären Sie mir, was das alles bedeutet. Ich bin Tehueco
begegnet. Er ist gerüstet, als plane er einen Feldzug gegen die
Siedler. Wir sind auf eine Ranch gestoßen, die rote Banditen
mit modernen Gewehren niedergemacht haben. Sie selbst jagen
Viktorio. Ich nehme an, er ist bestückt wie die Chiricahuas und
Yaquis. Wie kommen die Kerle an die Karabiner? Und wie,
zum Teufel, reiten Sie mitten unter ihnen, als wäre dies etwas
Alltägliches?« Sein Blick streifte Hickoks Mannschaft.
»Gehört das Gesindel auch zu euch?« fragte er. »Sie sehen aus
wie Satteltramps.«

Hickok zeigte seinen Unmut, indem er zum Revolver griff.
John lenkte beruhigend ein. »Nehmen Sie es ihm nicht übel,

Hickok. Sieber ist erregt und sicher schon eine Weile
unterwegs.«

»Genügt das, daß diese Wurst uns beleidigt?« grollte Wild

Bill. Seine Faust umschloß noch immer den Coltknauf.

»Er ist mein Nachfolger in der Armee. General Howards

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Chiefscout. Entschuldigen Sie sich, Al. Hickok ist nicht so
bärbeißig, wie er sich gibt. Aber er läßt sich ungern
beleidigen.«

Al Sieber zwang sich ein Lächeln ins Gesicht.

»Entschuldigen Sie, Hickok. Okay.«

»Für diesmal ja«, erwiderte Wild Bill und löste die Hand

vom Knauf. »Beim nächsten Mal sollten Sie vorsichtiger mit
Ihren Äußerungen sein. Nicht jeder ist das, was er nach außen
darstellt. Sie sehen auch nicht wie ein Chiefscout aus. Eher wie
ein Hanswurst.«

»Nun ist es gut«, Haggerty lachte, »jetzt seid ihr beide quitt«,

und zu Sieber gewandt fuhr er fort: »Die Karabiner haben
einen abenteuerlichen Weg hinter sich. Ich werde es Ihnen
später erklären, Al. Cochises Wort bindet ihn, die
Winchestergewehre Howard auszuliefern. Tehueco benutzt die
Karabiner, um Ausgestoßene seines Stammes zu jagen. Wenn
sein Mut gekühlt ist, wird er hoffentlich vernünftig werden.
Nur Viktorio macht mir Sorgen. Er ist ein ungestümer junger
Mann und Weißenhasser, der die Grenzen des Zumutbaren
überschritten hat. Er wird die Karabiner als Beute behalten, um
weiteren Schaden anzurichten. Um ihn zu bändigen, brauchen
wir massivere Geschütze. Liegt Ihre Schwadron in der Nähe,
Al?«

Al Sieber grinste breit. »Die finden Sie weit von hier entfernt

im Hauptquartier. Nino und ich sind nur Kundschafter auf der
Suche nach einem verschwundenen Waffentransport.«

John Haggerty überwand seine Enttäuschung schnell. »Den

haben Sie zum Teil gefunden, Al. Ihre nächste Aufgabe wird
sein, den General von den Vorgängen zu unterrichten. Er soll
eine Schwadron in Bewegung setzen, die alle Ausgänge aus
Viktorios Schlupfwinkel blockiert. Wir werden Viktorio zur
Vernunft bringen müssen. Wenn es nötig sein sollte, mit den
Haubitzen der Armee. Wenn Sie uns nun verlassen, Al, reiten
Sie wie der Teufel. Es steht sehr viel auf dem Spiel, denn wenn

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Viktorio mit seiner Sippe ins Hochgebirge fliehen kann,
werden neue Unruhen aufkommen.«

»Wir werden rechtzeitig zur Stelle sein, John«, versicherte

Sieber grimmig. »In spätestens drei Tagen wird General
Howard nicht nur eine Schwadron, sondern ein Regiment in
Bewegung setzen.«

»Dann reiten Sie, Al, wir sehen uns bald wieder.« John

verabschiedete sich von dem Scout, der sein Pferd herumriß,
Nino ein Zeichen gab und davon sprengte, als säße wirklich der
Gehörnte auf seinen Fersen.

Die plötzliche Begegnung mit Al Sieber nährte John

Haggertys Zuversicht, und er glaubte nun an ein gutes Ende,
denn Viktorio, so wild und verbissen er als Kämpfer auch war,
würde seine Leidenschaft einbüßen, wenn er vor den
Feldhaubitzen der 3. Kavallerie stand.

Am Nachmittag kreuzten sie eine Fährte. Cochise und sein

Sohn Naiche, die die Spuren nach dem Alter prüften, trabten
näher. »Zwei Reitertrupps auf unbeschlagenen Mustangs«,
sagte Cochise. »Die Spuren der zweiten Gruppe sind einen
halben Tag älter als die zweite Fährte, die keine Stunde alt sein
mag.«

John überlegte kurz. Wenn der Häuptling recht hatte, konnte

die Spur nur zu zwei Männern gehören.

»Natie und Tehueco.«
Cochise nickte. »Der Yaqui Kazike sitzt dem Roten Wolf

dicht auf den Fersen. Naties Leben liegt im Schoße der Götter.
Sie werden bald entscheiden, ob das Gute oder Böse siegen
wird.«

*

Der Jäger war plötzlich der Gejagte.

Zweimal in diesen Tagen war Tehueco den roten Wölfen so

nahe, daß ihre Karabiner sie erreichen konnten. Sie entzogen

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93

sich ihm durch schnelle Flucht ins felsige Land. Auf diesem
Weg verblutete En-akai, Naties bester Krieger, auf dem
Rücken seines Mustangs, ohne daß der Rote Wolf sein Leben
erhalten konnte.

In den folgenden Tagen spürte Natie, daß der Yaqui Kazike

ihn zu einem bestimmten Ziel nach Westen trieb und jeden
Ausbruch an den Flanken mit einem wohlgezielten Schuß aus
dem Hinterhalt verhinderte.

Einmal begegneten sie einer Frachtkolonne, die auf der

weglosen Straße zwischen dem Antilopenpaß und Tombstone
die breiten Schluchten der Swissholm durchquerten, ohne daß
er einen Weg sah, die fette Beute anzugreifen. Ein zweites Mal
gelang es ihnen in letzter Sekunde, einer kampfstarken U.S.
Schwadron auszuweichen.

Sie flohen nun durch die breiten Täler, die Natie als junger

Jäger durchstreift hatte, als er noch zu den Yaquis zählte und
ein freier Mann war. Die Umgebung wurde vertraut. Er kannte
jeden Strauch und jeden Baum, der in der offenen Prärie
wuchs. Jedes Wasserloch und jeden Schlupfwinkel zwischen
den Hügeln. Aber Natie wußte, daß auch Tehueco mit diesem
Teil des Landes in gleich enger Verbindung wie er stand, und
er keine Chance hatte, sich auf längere Zeit zu verbergen.

Seit Tagen ernährten sie sich von wilden Erbsen,

Wolfsmilchknospen und der Frucht eßbarer Disteln, und als sie
den Oberlauf des Whitewaiter erreichten, war seine Bande auf
sechs Mann zusammengeschmolzen. Der Rest war auf der
Strecke geblieben, von Tehuecos Jagdkommando getötet oder
gefangengenommen. Was wohl beides das gleiche war.

Der Yaqui Kazike kannte keine Gnade, und Natie wußte, er

würde sie hetzen, bis ihr Blut das Land tränkte, und die
Schande von den Stämmen der Yaquis getilgt war.

»Tehuecos Zorn ist mächtig«, sagte An-ana, einer der

wenigen verbliebenen Getreuen des Roten Wolfes, als sie am
Ufer des Whitewaiters entlangritten, »er will unseren Tod. Wir

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hätten die Farm der Weißaugen nicht überfallen dürfen,
sondern wieder einen Weg zu dem mexikanischen General
finden müssen. In seinem Schutz lebten wir geborgen.«

Natie warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Unseren Tod

hat Tehueco vor zwei Monden bestimmt, als er Cochise und
den Falken auf die Fährte der roten Wölfe setzte. Der
gelbgesichtige Schwarzbart, der sich General nannte, reitet
wohl längst auf dem geflügelten Höllenpferd, hinein in das
Reich seiner Ahnen. Du vergißt die schnellen Gewehre, mit
denen er seine Krieger ausgerüstet hat. Unser Fehler war, daß
wir an den Mexikano unsere Freiheit verschenkten, anstatt der
Morgensonne zu folgen und durch das Gebirge über den
großen Fluß zu reiten. Ja, das war ein großer Fehler.«

An-ana nickte. Sein Blick streifte mißtrauisch die sanften

Hügel, die zu den hochsteigenden Felsen führten, so, als ahne
er von dort eine Gefahr.

»Megias, Manitus Bote, scheint Tehueco zu führen, denn alle

unsere Bestrebungen, unsere Fährte zu verwischen, scheitern
an der Weisheit der Götter.« Drohend schwang An-ana seine
Winchester, »selbst die Kugeln unserer schnellen Gewehre
finden kein Ziel in den Körpern unserer Feinde. Sie unterliegen
dem Zauber Megias, der unser Auge trübt und die Kugeln
lenkt. Ich spüre minio, den Zorn des Flußgeistes und höre
mistais schreckliche Stimme, die uns in den Abgrund lockt.
Seit Tehuecos Fluch haben die Götter die roten Wölfe
verlassen.«

»Schweig«, erwiderte Natie zornig, denn er spürte die

Unruhe, die An-anas Worte in seinen Kriegern hinterließen.
»Die Tage des Schreckens werden an uns vorüberziehen. Wenn
Tehuecos Stimme mich zum Zweikampf ruft, werde ich ihr
folgen, und ihr werdet erkennen, daß kein Gott sein Leben
schützt.«.

Sie ritten schweigend am Flußufer entlang. Der Tag war

brütend heiß. Kein Windhauch rüttelte an den mächtigen

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Trauerweiden, die vom Wasser des Whitewaiter gespeist
wurden.

Aber An-anas Gedanken waren in Bewegung. Der Rote Wolf

hatte ihnen Reichtum und Ruhm versprochen, als sie sich ihm
anschlossen. Es waren leere Worte, deren Glanz er erlegen war.
Sie waren ärmer und hoffnungsloser als je zuvor. Außer ein
paar Gewehren hatten sie weder Beute noch Ruhm gesammelt,
um vor dem Großen Rat der Stämme Gnade zu finden.

Sie waren Ausgestoßene, Verfehmte, Freiwild für jeden

Apachen. Selbst die Heimat war ihnen verschlossen. Sie waren
Yaquikrieger ohne Hoffnung und Zukunft und Naties Weg war
ein Weg in die Irre.

Seine Hand streifte das zottige schweißnasse Fell seines

Mustangs, der, von der Hatz erschöpft, nur mühselig
vorwärtskam. Noch einen Tag würde der Pinto ihn tragen und
stumm zusammenbrechen und sterben, wie Eno-win, wie An-
canare oder die anderen, die Naties großspurigen Worten
geglaubt hatten, und nun in Frieden mit den Göttern lebten.

»Wir sollten unseren Pferden eine kurze Rast können,

Natie«, sagte An-ana, als sie an eine flache Furt kamen, »sonst
erleben sie den morgigen Tag nicht mehr.«

Der Rote Wolf wandte sich im Sattel um. Auf seiner Haut

glänzte der Schweiß wie auf dem Fell seines Pferdes. Sein
Blick streifte die Hügel auf beiden Seiten des Flusses, ehe er
antwortete: »Es ist besser, die Pferde sterben morgen, als wir
heute. Tehueco gönnt uns keine Rast. Er will unseren Tod.«

An-anas dunkle Augen folgten Naties Bewegung, glitten

über die grasbewachsenen Flußhügel, ohne daß er etwas
Verdächtiges erspähen konnte.

»Er ist in unserer Nähe?« fragte An-ana tonlos.
Der Rote Wolf nickte. »Ich spüre es. Wir wollen

weiterziehen.«

»Wohin führst du uns, Roter Wolf?«
Natie spürte ihre mißtrauischen Blicke. »Wir folgen dem

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Fluß. Irgendwann werden wir ein Dorf der Weißaugen
berühren. Wir werden ihre Pferde nehmen oder ihre Kanus und
dann dem weiten Weg folgen, den Bleichgesichter ziehen,
wenn sie die Jagdgründe der Apachen durchqueren, um das
reiche Land am Ende der Sonne zu finden. Dort kann uns
Tehuecos Rache nicht mehr treffen.«

An-ana schwieg. Er lauschte Ini-mans Ruf der erregt zu den

Hügeln deutete, wo unvermutet ein halbes Dutzend Reiter über
den Kamm trabten. Als An-ana den Kopf hob, zogen helle
Schatten über sein Gesicht.

»Tehueco«, rief er heiser und spürte den Geist der Furcht, der

unsichtbar unter seine Haut schlüpfte.

*

Viktorio war mit seinen Kriegern ins Bergdorf zurückgekehrt.
Lautstark, nach Apachenart ihre Karabiner abfeuernd,
verkündete er fette Beute.

Die Dorfbewohner, Greise, Squaws alte Weiber und

Jünglinge, die noch der Prüfung als kommende Krieger
unterlagen, umdrängten die Reiter und bestaunten die
modernen, in der Sonne glitzernden Gewehre, die so schnell
und so oft feuern konnten, ohne daß man sie laden mußte.
Immer wieder wanderten sie von Hand zu Hand, als seien die
Winchestergewehre ein Taime, ein Glückssymbol, ein
Geschenk der Götter.

Die jungen Burschen führten die Pferde der Krieger zur

Quelle, die Krieger selbst suchten ihre Squaws im Gedränge
und verschwanden dann in den Zelten.

Viktorios Weg führte zu dem hohen Steilzelt, oberhalb des

Dorfes, in dem der Schamane lebte. Er berichtete Wontan, dem
alten, allwissenden Medizinmann, von seinem Jagdglück und
sagte schließlich mit leuchtenden Augen: »Die schnellen
Gewehre bringen den Mimbrenjos Glück und Wohlstand,

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Wontan. Unsere Feinde werden uns fürchten, und unsere
Dörfer meiden, weil wir durch sie stark und mächtig sind. So
mächtig, daß wir die Langmesser nicht zu fürchten brauchen,
und uns in ihren Städten nehmen können, was wir zum Leben
brauchen.«

Wontan sah die Begeisterung in Viktorios leuchtenden

Augen. Seine Hand wies das Gewehr zurück, das Viktorio ihm
zur Begutachtung reichte. Zögernd, mit der Klugheit des alten
Mannes, antwortete der Schamane: »Die Gewehre geben dir
Macht und Stärke, nicht aber dem Dorf den Frieden. Es sind
Gewehre der Langmesser. Sie werden kommen und unsere
Dörfer zerstören. Sie werden Frauen, Kinder und Krieger töten,
neue Not und neues Elend bringen.«

Viktorio schüttelte heftig den Kopf. »Sie waren Jagdbeute

der Gelbgesichter.«

»Aber sie gehören dem einarmigen General aus Tucson, der

sich als Freund der Apachen zeigt. Du solltest darüber
nachdenken«, sagte der Alte eindringlich.

Viktorio blickte verächtlich in das faltige Gesicht des

Schamanen. Er wollte ihn nicht beleidigen, spie dennoch seine
Verachtung in den Sand, um zu zeigen, was er von dem Rat
hielt.

»Die Gewehre sind Beute der Apachen. So besagen es die

Gesetze, die vor dir und vor deinen Vätern vom Rat der Weisen
geschaffen wurden. Nichts hat sich bis heute daran geändert,
nur daß der Apache feige wird und sich die Schwäche
aufdrängen läßt, die den weißen Eindringlingen anhaftet, wie
die Krankheiten und Seuchen, die mit ihnen in unser Land
kamen.«

Der Schamane bewegte sein faltiges Gesicht. Sein Blick

streifte das Dorf, das, eingebettet in der natürlichen
Felsbarrikade der Berge, ein sicherer Unterschlupf war. Es
würde bald nicht mehr bestehen.

Er dachte an Mangas Coloradas, den großen klugen Jefe der

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Mimbrenjos, ehe er antwortete: »Deine Gedanken bringen
Unheil über die Stämme der Mimbrenjos und säen Zwietracht
im eigenen Blut. Die Weißaugen sind nicht mehr zu besiegen.
Sie werden unser Land beherrschen, weil ihre Brut
unerschöpflich ist wie ein quirlender Bach. Wir dagegen sind
ein zerstrittenes Volk, ohne Frieden, das nur an Kampf denkt
und vergißt, junges Blut zu zeugen, das einmal die Alten
ersetzen könnte.«

Viktorio war aufgesprungen. In seinem Blut brannte die

Leidenschaft. »Mein Schamane spricht wie eine Squaw, der
das Alter die Kraft und den Mut genommen hat. Weißaugen
wie Langmesser sind die Todfeinde aller Apachen. Sie zu
bekämpfen ist der höchste Ruhm eines Volkes.«

»Cochise sucht den klügeren Weg, die schweren Zeiten zu

überleben. Er hofft, daß die Freundschaft mit dem weißen
Mann uns Apachen die Freiheit und einen Teil unserer
Jagdgründe wiedergibt.«

»So dachte auch Mangas Coloradas«, rief Viktorio zornig,

»bis ihn die langen Messer der Soldaten töteten.« Noch einmal
spie Viktorio aus und wandte sich erregt ab.

Als er den Hügel hinunterschritt, hörte er erregte Rufe, und

noch von weitem sah er die beiden Reiter, die furchtlos aus
dem Canyon heraus die Apacheria der Mimbrenjos betraten.

Cochise und der Falke, dachte Viktorio wütend, und seine

Fäuste umspannten die Winchester, als wolle er sie in der
Erregung zerbrechen.

Ein grausamer Zug trat in sein Gesicht. Seine dunklen Augen

loderten mit der Wildheit der Gedanken, die ihn beherrschten.
Stolz warf er den Kopf in den Nacken und schritt den
Eindringlingen entgegen.

*

»Sie werden in einem Dorf ein Boot stehlen und das schnelle

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Wasser des Whitewaiters zur Flucht benutzen.« Tehueco
blickte mit einem Anflug von Trauer auf den toten Mustang im
Ufergebüsch, der buchstäblich vor Erschöpfung umgefallen
sein mußte, ehe ihn sein Reiter zurückgelassen hatte. So wie
die anderen Tiere, auf die sie am Morgen gestoßen waren.

»Und wenn er sich Pferde nimmt?« fragte einer seiner

Krieger zweifelnd. Tehueco warf ihm einen verächtlichen
Blick zu. »Er kann es sich nicht erlauben, ein Dorf offen
anzugreifen, denn der Rote Wolf weiß, wie nahe wir auf seiner
Fährte sind. Das zeigt, wie grausam sie ihre Mustangs zu Tode
hetzten. Anju, es ist genug gesprochen worden. Reiten wir.«

Noch am Morgen streiften sie ein Dorf, und Acana, der als

Späher vorausritt, berichtete, daß Weißaugen das Ufer
absuchten. Was sie suchten, wußte er nicht. Aber Tehueco
wußte es und bestimmte, das einsame Settlement am
Whitewaiter zu meiden und im weiten Bogen zu umgehen.

Von nun an trieben sie ihre Gäule zu schnellerer Gangart an.

Sie folgten dem in vielen Windungen dahinziehenden Fluß.
Hoffend, bald auf die Flüchtigen zu stoßen.

Der Wind wehte heiß aus der Sierra Madres. Die Sonne

brannte erbarmungslos nieder. Aber Tehueco spürte die Hitze
nicht. Seine Gedanken beschäftigten sich mit Natie, dem
Abtrünnigen seines Stammes, dem er nach einer langen
hoffnungslosen Jagd greifbar nahe war. Der Tag seines Todes
war bestimmt, und noch ehe Holos hinter den Bergen versank,
würde Naties Sterben beginnen.

Gegen Mittag gaben Acona und Covo von einem Hügel aus

Zeichen. Sie deuteten südwärts zum hohen Buschgürtel aus
Weißdorn, Rotdorn und Zapotesträuchern, hinter denen
hochgewachsene Trauerweiden das Ufer des Creeks zierten.

Sie hatten die Flüchtigen entdeckt.
Tehueco hielt seine Krieger zurück und sprengte in die

angegebene Richtung. In einer flachen Senke ließ er das Pferd
stehen und eilte mit kraftvollen Schritten durch das hohe

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100

Grammagras. Er verschwand im Busch, arbeitete sich lautlos
zum Ufer vor.

Natie und seine Wölfe standen im knöcheltiefen Wasser und

bemühten sich, den Einbaum über die flachen Klippen zu
schieben. Tehueco erkannte an ihren Anstrengungen, daß
Angst ihre Herzen beflügelte. Er zählte sechs Krieger. Die
Überreste von Naties stolzer Streitmacht. Er hätte nun Natie
und seine Begleiter mit dem schnellen Gewehr töten können.
Aber die Götter hatten ihnen eine andere Todesart bestimmt.

Eine Weile beobachtete er ihr Treiben. Dann zog er sich

lautlos durch die Büsche zurück und eilte zu seinem Pferd.
Seine Reiter waren inzwischen aufgerückt. Tehueco deutete
stumm nach Westen und setzte seinen Mustang in Bewegung.

Sie ritten über flache Hügel und Täler und erreichten am

Nachmittag die ausgebrannte Stätte einer Ansiedlung. Im Grün
der Flußau standen einige breite Grabhügel, unter denen die
Bewohner des Dorfes lagen. Aus Viktorios Erzählungen wußte
er von dem großen Sterben der Gemeinde, das der Mimbrenjo-
Jefe vor einem Jahr mit einem blutigen Angriff eingeleitet
hatte.

»Wir werden den Roten Wolf am Fluß erwarten«, bestimmte

er, trieb seinen Mustang an den Ruinen der niedergebrannten
Siedlung vorbei zu dem nahen Hügel. Hier stieg er vom
Rücken seines Pferdes, verbeugte sich in die vier
Himmelsrichtungen und dankte in einem stummen Gebet den
Göttern des Windes, der fliehenden Wolken, der Erde und der
Sonne, daß sie ihn sicher in die Nähe seines Feindes geleitet
hatten.

Als er zum Fluß zurückkehrte, lauerten im Schutze der

grünen Baumkleider seine Krieger, und der Kazike bestimmte,
daß seine Krieger das Boot auf sein Zeichen hin angreifen
sollten.

Nach einiger Zeit tauchte der Einbaum hinter der Kehre auf.

Geführt von kräftigen Fäusten, trieb das Kanu an. Natie stand

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am Bug, musterte mißtrauisch den dichten Busch und hielt die
Winchester schußbereit in den Fäusten, bereit, jederzeit zu
feuern, wenn er etwas Verdächtiges bemerkte. Sie waren nun
nahe genug heran.

Tehueco stieß den abgehackten Ruf des Bus aus.
Das Angriffszeichen.
Aus der Uferböschung brachen seine Krieger, liefen durch

das knöcheltiefe Wasser zu dem Feind, und feuerten in den
Rumpf des Bootes. Ihr Geschrei war fürchterlich und übertönte
die beiden Schüsse, die Natie abfeuern konnte, ehe die Yaquis
sie erreichten und das Boot zum Kentern brachten. Die roten
Wölfe stürzten ins Wasser, hart bedrängt von gnadenlosen
Gegnern, die ihre Karabiner wie Keulen niederschwangen und
die Gegenwehr der Verdammten erstickten.

Nur Natie gelang die Flucht. Er hetzte mit kraftvollen

Schritten durch das flache Wasser und versuchte das
schützende Dickicht zu erreichen. Doch da schoß wie ein
Schatten Tehueco heran. Das Wasser peitschte unter den Hufen
seines Mustangs, und als er den Fliehenden erreichte, ritt er ihn
einfach über den Haufen.

Natie verlor seinen Karabiner. Als er sich hochrappelte, griff

er nach dem Jagdmesser, um es dem Angreifer
entgegenzuschleudern.

Tehueco jedoch war schneller. Im vollen Lauf seines Pferdes

beugte er sich zur Seite und schlug Natie mit dem
Gewehrkolben nieder. Stumm fiel Natie vornüber. Das Wasser
nahm ihn auf und versuchte den Bewußtlosen
fortzuschwemmen. Tehueco folgte ihm zerrte seinen Todfeind
an Land und sprang vom Pferd.

Natie bewegte sich, als der Häuptling sich über ihn beugte.

Er hatte die Augen geöffnet, und seine Muskeln waren zum
Sprung gespannt. Kalt und ohne sichtbare Regung schob der
Kazike Natie die Gewehrmündung ins Gesicht.

»Die Spur deines blutigen Weges ist hier zu Ende, Roter

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102

Wolf. Schmach und Schande, die du über die Sippen der
Yaquis verbreitet hast, werden bald ihre Sühne finden. Wende
dich unseren Göttern zu, die du erzürnt hast, und bitte sie, dir
die nötige Kraft zu schenken, damit du als Mann stirbst und
nicht wie ein feiger Cojote.«

Natie wollte sich aufrichten, da tauchte plötzlich ein Rudel

Krieger an Tehuecos Seite auf. Sie, die in seiner Jugend mit
ihm als Freunde die Prärie durchstreift hatten, blickten kalt und
verächtlich auf ihn nieder. Und Natie spürte, daß es für ihn bei
den Stämmen der Yaquis keine Freunde mehr gab.

»Bindet ihn«, bestimmte der Yaqui Kazike. »Wir bringen ihn

in unser Dorf. Dort, wo das Leben des Roten Wolfes begonnen
hat, soll es auch zu Ende gehen. Anju, es sind genug Worte
gesprochen.«

Tehueco ergriff die Zügel seines Pferdes und durchstrich den

Buschgürtel.

Nahe den Grabhügeln vor dem toten Dorf verharrte er

abwartend, und seine Gedanken vereinten sich mit den Göttern,
die ihn auf der langen Fährte begleitet hatten.

*

John spürte die Feindschaft, die ihnen entgegenschlug. Die
Alten standen schweigend bei ihren Zelten, die Jugend benahm
sich rüpelhaft, bis Cochise sie mit herrischer Armbewegung
fortscheuchte.

Dafür tauchte Viktorio auf und an seiner Seite drängten sich

die mutigsten seiner Krieger. Ihre Hände hielten schußbereit
die Gewehre, und sie warteten auf ein Zeichen ihres Chiefs.

Stumm und schweigend musterte John Haggerty den

Mimbrenjowolf, der ihn herausfordernd anblickte, und es
schien ihm, als sei er stärker und beweglicher als bei ihren
letzten Auseinandersetzung am Whitewaiter. Dennoch blieb
John kühl gegenüber der drohenden Haltung des Dorfes, denn

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103

er wußte, droben zwischen den Felsen, die das Dorf als
Steinwall umschlossen, lagen Cochises Chiricahuas und
Hickoks wilde Mannschaft, bereit einzugreifen, wenn ihnen
Gefahr drohte. Dennoch schien dieser Akt für John die letzte
Instanz zu sein, die er einschlagen mußte, um Viktorio zur
Vernunft zu bringen.

»Du weißt, weshalb ich komme«, sagte John hart.
Viktorio lächelte grausam, als er die Winchester hob.

»Ihretwegen.«

John nickte. »Welche Entscheidung hast du getroffen,

Viktorio?«

»Die den Gesetzen der Apachen entsprechen. Beute gehört

dem, der sie erbeutet hat.« Viktorio wandte sich an Cochise,
der schweigend zuhörte. »Oder bist du anderer Ansicht,
Häuptling?«

Cochise schwieg, aber er sah die Gefahr, die heraufwuchs,

als Viktorio lautstark sagte: »Zwischen dem Häuptling der
Chiricahuas und dem Häuptling der Mimbrenjos soll keine
Feindschaft bestehen. Cochise mag in Frieden ziehen. Den
Falken aber werde ich bestrafen.« Es klang wie eine
Herausforderung. John hob stolz den Kopf, als er antwortete:
»Viktorio ist nur stark im Rudel seiner Wölfe. Er brüllt wie der
Berglöwe und hat das Herz eines feigen Cojoten. Er weiß, daß
bald Soldaten kommen werden, um sein Dorf zu bestrafen. Er
denkt nur an sich selbst, nicht an sein Volk, sonst würde er den
Weg des Friedens suchen, den ich ihm biete.«

John Haggerty wußte, was er sagte. Er mußte den Apachen

herausfordern und zum Kampf zwingen, ehe Soldaten das Dorf
erreichten. Er kannte auch den Preis.

»Du bist kühn mit deinen Worten, Falke. Ein Wink von mir

und meine Krieger würden dich töten«, rief der
Mimbrenjofürst.

John nickte ironisch. »Das würde zu dir passen, Viktorio,

weil dir das Herz fehlt, mit dem Falken zu kämpfen. Dein Mut

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104

besteht nur aus Worten.«

Viktorio fuhr hoch. Er spürte die Blicke seiner Krieger auf

sich gerichtet, die seine Antwort auf die beleidigenden Worte
des Falken erwarteten, denn niemand konnte ungestraft einen
Apachen Feigling nennen. Viktorio wußte es ebenso wie
Haggerty, der den Zorn des Häuptlings herausforderte. Er
mußte ihn zum Kampf zwingen, selbst auf die Gefahr hin, sein
Leben zu verlieren, denn Viktorio war niemals bereit, freiwillig
seine Beute herzugeben.

»Du zweifelst an meinem Mut?« zischte der Mimbrenjo. Mit

einer herrischen Bewegung scheuchte er seine Krieger zurück.

John lächelte verächtlich. »Nicht nur an deinem Mut,

sondern auch an deinem Starrsinn, mit dem du deine Stämme
ins Elend führst.«

Viktorios Augen funkelten. »Der Falke greift nach der Beute

der Mimbrenjos«, stieß er hervor.

»Die Beute, die Eigentum der amerikanischen Regierung

ist«, konterte John.

Der Jefe zögerte mit der Entscheidung. Er haßte die

Langmesser wie die weißen Siedler, die die Apachen aus ihren
Lebensräumen drängten. Er haßte den Falken, der ein Freund
Cochises war. Mit den schnellen Gewehren konnte er sie alle
erfolgreich bekämpfen. Sie waren der Garant für fette
Beutezüge.

»Du willst um die Gewehre kämpfen?«
»Dazu bin ich hier«, erwiderte John ernst.
»Du und ich? Bis zur letzten Entscheidung?«
John nickte. »Dem Sieger sollen die Gewehre gehören.«
Viktorio grinste verschlagen. »Und warum versteckst du

deine Krieger auf den Hängen meiner Festung?« Dabei deutete
er zu den Felswänden hoch, und John spürte, daß Viktorio
Hickoks Mannschaft längst entdeckt hatte.

»Sie sind die Träger, die die Gewehre nach Tucson bringen.

Die Entscheidung liegt zwischen uns beiden allein. Niemand

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105

wird in den Kampf eingreifen.«

Viktorios Blick suchte Cochise, der der Entscheidung

schweigend gegenüberstand. »Kann ich seinen Worten trauen,
Cochise? Du bist der Freund des Falken und der Freund der
Mimbrenjos. Spricht er mit gespaltener Zunge?«

Cochise schüttelte ernst den Kopf. »Der Falke hat noch nie

sein Wort gebrochen.«

Viktorio nickte. »Darf ich die Waffen für den Kampf

wählen?«

Cochise blickte zu John hinüber. Er spürte eine grenzenlose

Leere in seinem Herzen, als Haggerty antwortete: »Ich habe
dich herausgefordert, du bestimmst die Art des Kampfes.«

»Dem Sieger gehören die schnellen Gewehre?«
»So soll es sein.«
»Gut«, erwiderte Viktorio, und ein grausames Lächeln war

um seine Lippen. »Wir kämpfen nach Apachenart. Mit Keule,
Schild und Lanze. So lange, bis dein oder mein Blut diese Erde
tränkt. Ruf deine Krieger. Sie sollen deinen Tod aus nächster
Nähe erleben.« Viktorio wandte sich ab und ging zum großen
Häuptlingszelt.

Während John zur Höhe signalisierte und Hickok, seine

Mannschaft und die Chiricahuas rief, sagte Cochise an seiner
Seite: »Viktorio wird dich töten. Er hat die Wahl der Waffen
gewählt, deren er mächtig ist. Du hast keine Chance, den
Kampf zu überleben. Warum tust du das?«

»Um den Frieden der Stämme zu sichern, Cochise. Die

Gewehre in den Händen der Mimbrenjos sind eine tödliche
Bedrohung der weißen und roten Brüder. Es darf kein weiteres
Morden geben. Wähl mir die Waffen seiner Art, Jefe.«

Cochise schwieg lange. Er blickte den Falken mit traurigen

Augen an, so, als nehme er Abschied von einem guten Freund.

Als er sich zögernd abwandte, tauchte Viktorio vor dem Zelt

wieder auf. Umringt von seinen Kriegern, wählte er Lanze,
Schild, Keule und ein Kriegspferd. »Mein Herz ist bei dir,

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106

Falke, und meine Gedanken bei den Göttern. Ich hoffe, sie
werden das Unheil abwenden.«

Durch die offene Schlucht sprengte Hickoks wilde

Mannschaft, gefolgt vom Kriegsvolk der Chiricahuas. Hickok
drängte an Johns Seite. Er sah Viktorios kriegsmäßiges
Aussehen und schüttelte den Kopf. »Weshalb setzen Sie sich
der Gefahr aus, getötet zu werden, John? Es wäre uns ein
leichtes, das ganze Dorf zu vernichten.«

»Es ist genug Blut geflossen«, erwiderte John mit ernster

Miene. Er sah, daß Cochise mit den Waffen den Hügel
herunterschritt. »Dem Sieger gehört die Beute. So habe ich es
bestimmt. Sie werden sich daran halten, Hickok. Ihr Wort
drauf.«

Hickok schwieg. Er hatte Viktorio im Auge, der seinen

Mustang bestieg und ihn tänzelnd in Bewegung brachte.

John reichte ihm Gewehr und den Coltgürtel. Er trabte

Cochise entgegen und nahm die fremden Waffen entgegen.

»Du hast sein Leben schon einmal geschont, Falke«, sagte

Cochise unruhig, »er hat es vergessen. Kämpf, und wenn es dir
gelingt, ihn zu töten, dann töte ihn.«

John schob schweigend den schweren Büffelfellschild über

die Elle, ergriff die Nußbaumkeule, die er in den Leibbund
steckte und nahm die Ulmenholzlanze, deren schlanke Spitze
scharf wie der Dorn des Manzanitas geschliffen war.

Sein Blick streifte die Bewohner des Bergdorfes, die den

Kampfplatz flankierten, ehe er zu Viktorio wanderte, der seine
Lanze senkte und mit wildem Schrei dem Mustang die
Mokassins in die Flanke stieß.

John ließ die Zügel fahren, dirigiert seinen Gaul mit den

Schenkeln, und schob den Lanzenschaft fest unter den Arm.
Sein Gesicht wurde hart wie gehauener Granit, als er dem
Gegner entgegenritt.

Viktorios Lanze krachte dröhnend gegen den

Büffelfellschild, fuhr über den wulstigen Rand hinweg Johns

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107

ungedecktem Gesicht entgegen. Der Aufprall war hart und
brutal und warf John seitlich aus dem Sattel, Viktorio stob an
ihm vorbei.

Noch während John sicheren Halt in den Bügeln suchte, zog

der Mimbrenjo seinen Mustang herum und ging ihn erneut an.
Sein triumphierendes Geschrei drang John in die Ohren und
der heftige Aufprall seiner Lanze hob John förmlich aus dem
Sattel.

Krachend schlug er auf den harten Fels. Halb betäubt

lauschte er dem triumphalen Aufschrei Viktorios, und der
trommelnde Hufschlag seines Pferdes erinnerte den
Armeescout daran, daß ihn Viktorio schon wieder anrannte.
Unbewußt hob er den schweren Schild über den Kopf, auf den
nun Viktorios Keule niederfuhr. Der Schid dröhnte von der
Heftigkeit des geführten Schlages wie der dumpfe Klang einer
Trommel. Sterne tanzten vor Johns Augen, mühsam stemmte er
sich auf die Beine. Seine Lanze war beim Sturz zerbrochen und
lag außer Reichweite auf dem Fels. Sein Pferd floh nervös den
Hang hinauf.

Wieder riß ihn Viktorios Keule nieder. Wuchtig und

erbarmungslos war der Schlag.

Viktorio umritt seinen Gegner. Lauernd, auf eine Blöße

seines Feindes wartend, um ihm den Todesstoß zu versetzen.
Er hatte den Schild gesenkt und den Wurfarm mit der Lanze
gehoben. Wie von einer Sehne geschnellt durchzuckte die
Waffe die Luft, durchschlug federnd John Haggertys Schild
und streifte seine Schulter.

Dieser Schmerz brachte John Haggerty in die Gegenwart

zurück. Er sah, daß Viktorio zu seiner Schlagwaffe griff und
ihn ungestüm anrannte. Unbewußt ließ John den ihn in der
Bewegung hindernden Schild fahren, schnellte auf die Beine.

Während er dem Wirbelschlag Viktorios durch eine

blitzschnelle Körperwendung auswich, sprang er den
Mimbrenjo an.

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108

Der Aufprall war so heftig, daß Viktorio über die Kruppe des

Mustangs rutschte. Er prallte auf den Fels und kam federnd wie
eine Katze hoch. John war heran. Seine Keule krachte gegen
Viktorios Schild. Einmal, zweimal, von solcher Wucht geführt,
daß das Fell des schweren Schildes wie trockenes Pergament
zerplatzte.

Für einen Augenblick schien Viktorio von der Kampfkraft

seines Gegners überrascht, dann schleuderte er den nutzlosen
Schild vom Arm und drang sofort auf Haggerty ein. Ihre
Keulen prallten dumpf aufeinander, ihr freier Arm umschlang
den Leib des Gegners, und mit dumpfem Keuchen kamen sie
zu Fall.

Eng umschlungen, jeder seinen Vorteil suchend, rollten sie

über den Fels. Der Kampf um Leben und Tod hatte seinen
Höhepunkt erreicht.

Cochise sah es mit stummem Gleichmut.
Hickok aber faszinierte diese Auseinandersetzung.

»Verdammt«, sagte er mit trockener Kehle, »sie zerfleischen
sich wie zwei Berglöwen, die um ein Weibchen kämpfen. Wir
sollten eingreifen.«

Dick Power hielt Hickok mit harter Faust zurück. »Er hat

sein Wort verpfändet. Uns sind die Hände gebunden.«

Die Kämpfenden standen wieder auf den Beinen. Blut rann

von ihren Körpern. Ihre Bewegungen verloren an Dynamik,
aber sie schlugen unverwandt aufeinander ein. Nur das Glück
schien hier zu entscheiden, denn in Kraft und Wille waren sie
einander ebenbürtig. Nun, nach einem Fehlschlag Viktorios,
dessen Keule John Kopf treffen sollte, rammte Haggerty ihm
den Keulenstumpf in den Magen. Die Wucht des Aufprall ließ
Viktorio taumeln. John stieß sofort mit der Breitseite der Waffe
noch einmal nach.

Der Mimbrenjo-Jefe fiel zu Boden.
Cochise atmete tief. Er spürte, daß der Falke Viktorio nur

besiegen, nicht aber töten wollte. Der Falke war ein Narr, der

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109

Viktorios Leben ein zweites Mal schonte, obwohl er wissen
mußte, daß der Gegner sein Todfeind war.

»Schlag ihm den Schädel ein«, schrie Hickok

überschäumend, »der Bastard hat es nicht anders verdient.«

Verschwommen hörte John Hickoks Ruf. Er sah Viktorios

haßverzerrtes Gesicht, riß die Keule hoch, um den Feind zu
zerschmettern. Doch mitten in der Bewegung bremste er den
tödlichen Schlag, so daß der Aufprall gedämpft war und
Viktorio nur für lange Zeit außer Gefecht setzte.

Viktorios Körper erschlaffte, seine Glieder streckten sich.

Alle Kraft entfloh.

Aber auch John war körperlich angeschlagen und erschöpft.

Sein Brustkorb hob und senkte sich, als er taumelnd auf die
Beine kam. Sein Atem pfiff wie der Atemzug eines kranken
Gaules. Schwerfällig näherte er sich Cochise.

»Sprich mit dem Schamanen«, röchelte er unter Atemnot, »er

soll dafür sorgen, das Viktorios Wort erfüllt wird. Wir müssen
aus der Burg heraus, ehe der Jefe erwacht.«

Cochise blickte ihm finster entgegen. »Sein Leben war

zweimal in deiner Hand, Falke. Warum tötetest du ihn nicht?«

»Ich suche die Freundschaft der Mimbrenjos, nicht ihren

Haß«, ächzte John. Sein Brustkorb schmerzte unter der
Atemnot. Blut floß über sein Gesicht. Seine Knie wurden
weich.

Hickok und Power sprangen heran, um John Haggerty

aufzufangen. Aus weiter Feme, wie durch einen Schleier, sah
er Cochise, der dem Schamanen entgegenschritt, dann wurde es
dunkel vor seinen Augen.

*

Zwei Tage waren seit dem Kampf vergangen. Nur ein paar
Wunden erinnerten Haggerty an die tödliche
Auseinandersetzung. Ansonsten war er voll auf den Beinen.

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110

Am Banjo Canyon stießen sie auf eine verstärkte Abteilung

Kavallerie, die, von Sieber alarmiert, auf dem Weg zu
Viktorios Dorf war.

»Mein Gott«, sagte Colonel Walman, als er Haggertys

lädierten Körper sah. »Sie müssen den Krallen eines Grisslys
begegnet sein.«

John lächelte. »Es war kein Grissly, nur ein Mimbrenjowolf,

Sir. Wir beide haben es überstanden. Doch wo kommen Sie so
schnell her?«

»General Howard machte sich Sorgen um eine

verschwundene Waffenfuhre«, sagte der Colonel. Dabei
deutete er auf Hickok und die Chiricahuas, die wie reitende
Arsenale wirkten, »ich glaube, das hat sich nun überlebt.«

»Fast«, erwiderte John und deutete lächelnd nach Süden zu

den fernen Swisshelm Mountains, die wie Schatten am
Horizont standen. »Wir sind auf dem Weg zu den Yaquis. Ich
hoffe, dort den Rest der Gewehre zu finden.«

Colonel Walman überlegte nur einen Augenblick. »Na gut«,

sagte er, »es wird sicherer sein, wenn wir zusammen reiten.«

Von nun an zogen sie gemeinsam nach Süden. Zwei Tage

und zwei Nächte waren sie unterwegs, als sie sich Tehuecos
Apacheria näherten.

Dessen Späher hatten ihre Ankunft bereits gemeldet, denn als

sie durch die breite Schlucht in den Talkessel ritten, saß
Tehueco, flankiert von Acana und Covo, am großen Feuer.
Unweit von ihnen, akkurat im Viererständer aufgebaut, wie
Tehueco es im Camp des einarmigen Generals aus Tucson
gesehen hatte, standen zweiunddreißig Winchester-Karabiner.

Mit einem Blick auf Colonel Walmans Schwadron sagte er

lächelnd zu John Haggerty, der vom Pferd sprang und ans
Lager trat: »Wir beide haben unser Ziel erreicht, Falke. Ich
habe lange über Cochises Worte nachgedacht und weiß nun,
daß Frauen und Kinder meines Dorfes wichtiger sind als die
blitzenden Rohre der schnellen Gewehre. Du brauchtest nicht

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111

in Begleitung der Langmesser zu kommen. Ich bin dein
Freund.«

John verbeugte sich vor dem Häuptling, wie es bei den

Indianern Sitte war. »Die Soldaten aus Tucson kommen wie
ich als deine Freunde, Häuptling Tehueco, denn der einarmige
Häuptling in Tucson weiß, daß du, wie mein Bruder Cochise,
den Frieden suchst.«

Geschickte Worte, die John Haggerty wählte, um die

Anwesenheit des Militärs zu legitimieren.

Tehueco nahm es wohlwollend auf und gewährte den

Soldaten Gastfreundschaft bis zum nächsten Tag.

Als John am folgenden Tag mit seinen Begleitern aufbrach,

ritt Hickok an seiner Seite. Er deutete zu den Hügeln im
Westen, auf denen ein paar Pfähle aufragten, an deren Stämme
nackte Körper in der Sonne hingen.

»Das sind doch der Rote Wolf und seine Leute. Warum

lassen Sie es zu, daß Tehueco sie zu Tode schmort, Haggerty?
Ich denke, Sie sind ein zivilisierter Mensch?«

John Haggerty lächelte müde. »Wir haben die Gastlichkeit

der Yaquis erlebt, Hickok, und ihre Freundschaft gewonnen.
Die Yaquis haben eigene Gesetze, nach denen sie leben.
Übrigens ist das sehr wenig, was ihnen an Freiheit verblieben
ist. Das Urteil ihrer Götter ist für uns tabu. Die roten Wölfe
haben ihre Strafe für die Verbrechen bekommen, die sie
begingen. Langsam, unter schrecklichen Qualen, so wie
Apachen ihre Feinde bestrafen.«

Der harte Mann hob fröstelnd die Schultern. »Weiß Gott,

Haggerty, Texas ist ein rauhes Land, aber Arizona ist die
Hölle. Wir werden bald auseinandergehen.«

Wild Bill Hickok schwenkte sein Pferd und trabte zu seinen

Leuten.

Schade, dachte John Haggerty, während er zur Seite

Cochises aufschloß, Hickok und seine Männer sind harte
Kämpfer, so, wie sie unser junges Territorium braucht, um den

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112

Frieden zu erhalten. Vielleicht werden wir uns noch einmal
begegnen.

ENDE


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