Apache Cochise 33 Rote Spaeher im Niemandsland

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Frank Callahan

Rote Späher im

Niemandsland

Apache Cochise

Band Nr. 33

Version 1.0

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3

Prolog

Ihr Land war es, in das Mexikaner und Amerikaner
eindrangen. Das Land ihrer Väter. Karstig und elend,
wasserarm und unfruchtbar schmorte es unter heißer
Arizonasonne. Wüste, bizarre Klippen, himmelansteigende
Berge und Giftschlangen. Trotzdem verteidigten sie es mit der
Stärke ihrer Seele und dem wilden Schlag ihrer Herzen. Zu
diesem Zeitpunkt waren sie längst keine Athapasken mehr,
sondern deren Nachfahren: Apachen.

Sie selbst nannten sich T'Inde – Volk, auch Naizhan – Unsere

Rasse. Und sie besiedelten ein Land so groß wie Deutschland
und Frankreich zusammen. In diesen ihren Jagdgründen
leisteten sie Eindringlingen Widerstand und verteidigten jeden
Fußbreit Boden mit ihrem Herzblut.

Zur Zeit der Handlung unserer Geschichte APACHE

COCHISE lebten 6000-7000 Apachen, die in Arizona und
Neumexiko Angst und Schrecken verbreiteten, besonders im
amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet und weit in Sonora,
bis hinunter zur Sierra Maare Occidental.

Ihren Haß gegen die Nachjahren der Spanier und den

Erzfeind, die Comanchen, übertrugen sie auf ihre neuen
Unterdrücker. Von ihnen ist die Rede in unserer Serie. Sie ist
die historiengetreue Basis der Thematik APACHE COCHISE.

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***

Die ersten Lichter im Osten stachen wie goldene Finger in das
Grau des Himmels hinein. Es konnte nicht lange dauern, bis die
Sonne hinter den Pedrogosa Mountains in feuriger Pracht
auftauchte.

Eine Overland-Kutsche, von sechs Pferden gezogen,

rumpelte über den holprigen Wagenweg. US-Cavalry stand auf
der Coach. Die beiden Kutscher trugen Uniformen der Armee.

Vor und hinter der Stage ritten je sechs Blauröcke als

Begleitschutz. Eine große Staubwolke hüllte Kutsche und
Reiter ein.

Bodennebel waberte um die Hufe der Pferde. Die Tiere

glänzten schweißig, obwohl es angenehm kühl war. Müde
ließen sie die Köpfe hängen, denn hinter ihnen lagen viele
Meilen.

Die Kutsche ächzte und quietschte. Die beiden Passagiere

wurden immer wieder kräftig durchgeschüttelt und hatten
während der vergangenen Stunden keinen Schlaf finden
können.

Es handelte sich um zwei Frauen, die in der Stagecoach

saßen und manchmal ins Freie schauten. Sie sahen ödes,
unfruchtbares Land. Hin und wieder erkannten sie Kakteen und
Mesquitesträucher, die aus dem sandigen und steinigen Boden
ragten.

Delia Samson, eine Frau von vierzig Jahren, strich sich eine

Strähne ihres dunkelblonden Haares aus der Stirn. Sie fühlte
Staub auf ihrer Haut. Die vollen Lippen preßten sich
aufeinander, während Mrs. Samson ihre hellblauen Augen auf
Priscilla, ihre Tochter, richtete.

»Das ist erst der Anfang gewesen, Kleines«, murmelte sie.

»Vor uns liegen noch etliche Meilen, ehe wir Fort Bowie

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erreichen. Es wird sehr hart für uns.«

Priscilla Samson nickte. Ihr langes Haar, das in sanften

Wellen auf ihre Schultern fiel, war heller als das der Mutter.
Die Augen aber waren von dem gleichen intensiven Blau.

»Wir haben gewußt, daß uns eine anstrengende Reise

erwartet, Mutter«, antwortete Priscilla tröstend. »Dafür werden
wir Vater endlich wiedersehen. Seitdem er nach Fort Bowie
versetzt wurde, und das ist schon länger als ein halbes Jahr her,
konnten wir ihn nicht sehen. Ich finde, die Strapazen der
langen Reise lohnen sich.«

Nun lächelte auch Delia Samson. Sie griff nach der Hand

ihrer Tochter und drückte sie zärtlich.

»Gewiß, Kind, wir beide freuen uns sehr, endlich wieder mit

Vater vereint zu sein. Er hat uns sehr gefehlt, obwohl er
dagegen war, daß wir diese Fahrt antraten. Sie führt durch
gefährliches Niemandsland. Hier leben nur Klapperschlangen,
Wölfe und Kojoten. Und natürlich auch Indianer, die den
Weißen nicht wohlgesinnt sind.«

Angst funkelte in Delia Samsons Augen.
»Wir werden gut beschützt, Mutter. Es sind tapfere Soldaten,

die uns bis zur letzten Patrone verteidigen, sollten wir wirklich
angegriffen werden. Ich glaube nicht an einen Überfall. Bei uns
gibt es nichts Lohnendes für die Apachen zu holen. Sie
überfallen lieber Frachtzüge und Maultierkarawanen.«

In diesem Moment peitschten die ersten Schüsse auf. Ein

gellender Aufschrei vom Kutschbock übertönte sogar das
Hämmern der Hufschläge.

Mutter und Tochter zuckten zusammen. Entsetzen lag in

ihren sich weitenden Augen.

Die hämmernden Schüsse rissen nicht ab. Die beiden Frauen

starrten durch die staubverschmutzten Fenster ins Freie. Sie
sahen gedrungene Gestalten mit nackten Oberkörpern, die
überall aus dem Boden zu wachsen schienen.

Kugeln klatschten gegen das Holz der Stagecoach. Federnd

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blieb ein Pfeil stecken. Klirrend zerbrach eine Scheibe.
Glassplitter regneten auf die beiden schreienden Frauen.

Sie sahen einen leblosen Körper dicht neben der Kutsche

liegen, die zum Stehen kam. Das gellende Kriegsgeschrei der
angreifenden Apachen hallte schaurig in den Ohren der Frauen,
die sich hilfesuchend umklammerten.

Natürlich wehrten sich die zwölf Langmesser, wie die

Soldaten wegen ihrer Säbel von den Rothäuten genannt
wurden, tapfer. Sie hatten aber keine Chance, denn der Überfall
der Indianer überraschte die Blauröcke zu sehr.

Obwohl sie verzweifelt kämpften, standen die Soldaten auf

verlorenen Posten. Die Angreifer waren plötzlich überall.

Innerhalb weniger Sekunden wurde auch der letzte Soldat

niedergekämpft. Ströme von Blut flössen. Skalps wurden von
den siegestrunkenen Kriegern geschwungen, die nun die
Kutsche umringten, nachdem auch der letzte Soldat sein Leben
ausgehaucht hatte.

Unter den Angreifern gab es kaum Verletzte. Der

Freudentaumel der Indianer legte sich. Der Stimmenlärm
erstarb, als sich ein großgewachsener, breitschultriger Indianer
eine Gasse durch die Krieger bahnte.

Sein breitflächiges Gesicht mit den leicht schrägstehenden

Augen war mit grellen Farben bemalt. Bunter Zierat funkelte
unter den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.

Running Bull hob seine Hand. Schweigen breitete sich aus.

Er sagte mit guttural klingender Stimme: »Wir haben gesiegt,
meine tapferen Krieger, so wie ich es euch versprochen habe.
Wir haben die Blaubäuche in den Staub getreten. Das ist erst
der Anfang. Wir werden einen heldenhaften Kampf gegen die
weißen Eindringlinge führen und sie immer und überall
vernichten, wo wir sie in unserem Land antreffen. Running
Bull wird euch ein großer Chief sein. Sein Ruhm und der seiner
tapferen Krieger wird wachsen. Wir befreien unser Land von
den weißhäutigen Bastarden, damit es wieder so wird, wie es

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vor vielen Sommern war.«

Running Bull, der junge Krieger, der sich selbst zum

Häupting ernannt hatte, sah sich stolz um. Und er erkannte nur
bewundernde Blicke seiner Krieger.

»Das war erst der Anfang. Wir werden von Sieg zu Sieg

eilen. Bald schließen sich uns immer mehr Krieger an, die so
denken und fühlen wie wir. Die Zeit des Kriechens vor den
Bleichgesichtern ist vorbei. Wir kämpfen um unser Land und
unsere Freiheit.«

Die zwanzig Apachen, die sich um Running Bull scharten,

stimmten begeistert zu. Sie glaubten den Worten ihres neuen
Häuptlings.

*

Delia und Priscilla Samson kauerten eng umschlungen im
Innern der Kutsche. Bleich schimmerten ihre Gesichter.
Panische Angst stand in den weit aufgerissenen Augen.

Delia Samson zitterte am ganzen Körper. Sie stöhnte auf und

schien sich dessen überhaupt nicht bewußt zu sein.

Priscilla erging es nicht anders.
Sie starrte auf die Indianer vor der Kutsche, die einer

Ansprache eines großgewachsenen jungen Apachen lauschten.
Natürlich verstanden die beiden Frauen kein Wort dieser Rede.

Priscilla tätschelte die eiskalten Hände ihrer Mutter und

versuchte, die vor Angst zitternde Frau zu beruhigen.

»Sie werden über uns herfallen, Kind«, stöhnte Mrs. Samson.

»Es wäre besser, vorher zu sterben. Wir werden Vater niemals
wiedersehen. Diese Rothäute sind Teufel.«

Auch Priscilla hatte die schlimmsten Geschichten über weiße

Frauen gehört, die den Indianern in die Hände gefallen waren.
Ihre Angst vergrößerte sich.

Die Tür der Stagecoach wurde aufgerissen. Zwei mit Farben

bemalte Gesichter waren zu erkennen. Die Lippen der Krieger

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öffneten sich zu einem triumphierenden, und gleichzeitig
grausamen Lächeln.

Ein barsches Kommando ertönte. Die Indianer wichen sofort

zurück.

Running Bull trat zur Tür der Stagecoach. Starr blickte er in

die angstverzogenen Gesichter der beiden Frauen, ehe sich ein
grausames Lächeln um seine Mundwinkel legte.

»Rauskommen«, befahl Running Bull auf Englisch, »sonst

meine Krieger holen euch!«

Die beiden Frauen umklammerten sich noch fester. Blaß, wie

frischgefallener Schnee, wirkten die verzerrten Gesichter der
Frauen. Die roten Lippen klafften wie Wunden.

Running Bull trat zurück, nachdem er einsah, daß die beiden

weißen Squaws seinen Befehl nicht befolgten Ein kurzes
Kommando erklang. Zwei Apachen kletterten ins Innere der
Stagecoach. Und sie gingen nicht gerade zimperlich mit Delia
und Priscilla Samson um, die schrien, um sich traten, kratzten
und bissen, aber gegen die brutale Stärke der Rothäute nicht
die geringste Chance besaßen.

Die Apachen pflückten sie wie reife Früchte, zerrten sie aus

der Kutsche und stießen die Frauen zu Boden. Priscilla half
ihrer Mutter auf die Beine. Zitternd lehnten sich die beiden
Frauen aneinander, erinnerten an verängstigte Schafe, die von
einem Wolfsrudel umringt wurden.

Die Krieger weideten sich an den Ängsten ihrer Gefangenen.

Sie zogen Grimassen, tanzten und ließen erst ab, als Running
Bulls harte Stimme dazwischenfuhr. Er gab Befehle, die sofort
von seinen Kriegern ausgeführt wurden.

Sie spannten die Pferde an der Kutsche aus und fingen die

Tiere der toten Soldaten ein.

Der Jefe musterte abschätzend die beiden Frauen, die nun

regungslos und wie versteinert vor ihm standen.

»Ihr kommen mit uns«, radebrechte er. »Ihr Gefangene von

Running Bull und tapferes Krieger.«

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Delia und Priscilla schienen wie aus Trance zu erwachen. Sie

schrien beide fast gleichzeitig los. Es dauerte nicht lange, dann
rannen die Tränen über ihre bleichen Wangen.

Running Bull lächelte grausam.
Der junge Krieger hatte sein erstes Ziel erreicht. Es sollte nur

der Anfang zu einer blutigen Auseinandersetzung sein, dort im
Niemandsland, dicht an der Grenze des Südwest-Territoriums
nach Mexiko.

Einige Minuten später ritten die Apachen los. Die Frauen

saßen auf sattellosen Mustangs. Ihre Hände waren auf den
Rücken gebunden. Und sie wünschten sich schon jetzt, tot zu
sein.

So ritten sie einem Ungewissen Schicksal entgegen.

*

»Sei mir gegrüßt, Falke«, sagte Cochise und reichte John
Haggerty nach Art der Weißen die Hand. Freude lag in seiner
Stimme. Es kam selten vor, bei dem großgewachsenen
Apachen-Chief Gefühlsregungen zu sehen.

»Auch ich freue mich sehr, wieder bei dir zu sein, Cochise«,

erwiderte der frühere Chief Scout von General Howard, der
nun die Aufgabe hatte, zwischen Weiß und Rot zu vermitteln
und möglichst größere Auseinandersetzungen zwischen den
Apachen und den Weißen zu verhindern.

Nach seinem Abenteuer in Tres Alamos, wo John Haggerty

für einige Zeit seinen Freund Nat Baxter als Sheriff vertrat und
großes Unheil von der Stadt abhalten konnte, führte ihn sein
Weg in die Apacheria des legendären Apachen-Häuptlings
Cochise.

John Haggerty, der von den Apachen Falke genannt wurde,

sah rauchende Kochfeuer und die Wicki-ups der Apachen, in
denen sie lebten.

Naiche, Cochises Sohn, trat zögernd näher und neigte den

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Kopf. Dann reichte er dem Falken die Hand. John wußte diese
Auszeichnung zu schätzen.

Naiche gab sich oft verschlossen. Sein Haß auf die

Bleichgesichter war groß, doch in den letzten Monaten hatte
sich seine Einstellung Haggerty gegenüber geändert.

»Schön dich zu sehen, Naiche«, sagte John lächelnd.
Der Häuptlingssohn erwiderte scheu das Lächeln und zog

sich wieder zurück. John Haggerty sah sich um und erkannte,
wie sich die Mundwinkel des Häuptlings der Chiricahua-
Apachen verzogen.

»Gleich wird mein weißer Bruder nach Tla-ina, meiner

Schwester, fragen.«

»Ich bewundere die Klugheit des großen Häuptlings«,

scherzte John Haggerty. »Ist Sanfter Wind vor dem
Bleichgesicht geflohen?«

»Vielleicht wäre es besser, wenn meine Schwester vor der

Liebe des weißen Mannes fliehen würde«, antwortete Cochise
nachdenklich. Dann schüttelte er den Kopf, als wolle er seine
eigenen düsteren Gedanken verdrängen.

Er legte John Haggerty eine Hand auf die Schulter und

flüsterte ihm zu: »Tla-ina ist bei der Quelle, um Beeren zu
pflücken. Cochise weiß aber, daß dies nur ein Vorwand ist. Du
kannst sie nachher besuchen. Meine Schwester möchte mit dir
allein sein. Zuvor aber sollten wir meine anderen Krieger
begrüßen. Sicher hast du Hunger und Durst nach dem langen
Ritt. Außerdem möchte Cochise gern erfahren, was im Land
vor sich geht.«

John legte den Kopf leicht schief und blickte den Apachen-

King nachdenklich an.

»Cochise hat ausgezeichnete Späher und Kundschafter. Er

weiß besser als alle anderen, was in seinem Land vor sich geht.
Gut, laß uns deine Krieger begrüßen, dann aber möchte ich zur
Quelle. Sei mir nicht böse, Cochise, doch ich trage seit vielen
Wochen Tla-inas Bild immer stärker in meinem Herzen. Und

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ich habe mich so sehr auf das Wiedersehen gefreut.«

Cochise lächelte sanft, als er den harten Kämpfer so sprechen

hörte.

»Schon gut, mein Freund. Cochise wird dich nicht lange

aufhalten. Du sollst dem Ruf deines Herzens folgen.«

*

John Haggerty blieb lauschend stehen. Er hatte die Apacheria
vor einigen Minuten verlassen und war zwischen aufragenden
Felsschroffen verschwunden.

Er vernahm das Raunen eines kleinen Baches und wußte, daß

er dem Ziel nahe war. Hinter einigen von Wind und Wetter wie
poliert schimmernden Felskugeln öffnete sich ein malerischer
Ort. Büsche und Bäume umsäumten einen kleinen See, der von
einem Creek gespeist wurde, dessen Quelle eine
Steinwurfweite entfernt aus einer Felswand hervorsickerte.

John sah sich um, konnte aber nirgends Sanfter Wind

entdecken. Ein leises Plätschern lockte Haggerty noch näher an
den Weiher heran.

Er sah Tla-ina, die einige Yards entfernt in den kühlen Ruten

schwamm und seine Ankunft noch nicht bemerkt hafte.

John Haggerty starrte wie gebannt auf den schlanken Körper

der schwarzhaarigen Indianerin, die gekonnt durch das Wasser
glitt, nun untertauchte und prustend wieder die Oberfläche
erreichte.

Dann schwamm Tla-ina langsam auf das Ufer zu und kam

aus dem Wasser. Tropfen perlten von ihrem nackten Körper.
Die junge Indianerin hielt ihr Gesicht der Sonne entgegen und
strich sich dann mit den gespreizten Fingern durch das nasse
Haar. Sie wandte sich um und sah John Haggerty zwischen den
Büschen stehen.

Für einen Moment zuckte das schlanke Mädchen zusammen,

ehe sich ein freudiger Ausdruck auf seinem Gesicht

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ausbreitete. Ungeachtet ihrer Nacktheit huschte sie wie ein
scheues Reh auf den früheren Armee-Scout zu.

Sanfter Wind warf sich in seine Arme. Ihre vollen Lippen

suchten seinen Mund, und er spürte ihren weichen, nassen
Körper, der sich fest gegen den seinen preßte.

John Haggerty schob Tla-ina, oder Sanfter Wind in der

Sprache der Weißen, ein wenig zurück, griff unter ihr Kinn und
hob den Kopf an. Er blickte in zwei leuchtende Augen.

»Ich freue mich, dich zu sehen, Sanfter Wind«, flüsterte John

Haggerty zärtlich. »Wir waren sehr lange getrennt.«

»Auch Tla-ina hat die Tage und die Stunden gezählt, seit der

Falke das Lager der Apachen verlassen hat«, hauchte das
Apachenmädchen. Sie preßte sich erneut gegen den Weißen,
der leicht schwankte, zurückwich und über einen kopfgroßen
Stein stolperte.

Die beiden stürzten ins Gras, ohne sich zu verletzen. Wieder

fanden sich ihre Lippen zu einem langen Kuß. Und dann
vergaßen die jungen Menschen alles um sich herum, gaben sich
ihrer Liebe hin, auf die sie so lange hatten verzichten müssen.

*

Delia und Priscilla Samson saßen zusammengekrümmt auf den
Rücken der Mustangs. Die Gesichter der Gefangenen waren
von einer schmierigen Schicht aus Staub und Schweiß
überzogen. Durst brannte in ihren Kehlen, und Hunger nagte in
ihren Eingeweiden.

Schon seit über fünf Stunden befanden sie sich in der Gewalt

der Indianer, deren Trail immer tiefer in die unwegsame
Bergwildnis der Pedrogosa Mountains hineinführte.

Beide Frauen waren noch nie gute Reiterinnen gewesen, und

ohne Sattel quälten sich Delia und Priscilla entsetzlich.
Außerdem wurde die furchtbare Angst vor den Rothäuten
immer größer. Die beiden Frauen waren unfähig, einen klaren

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Gedanken zu fassen.

Mrs. Samson stöhnte hin und wieder. Sie konnte sich kaum

noch auf dem Rücken des Mustangs halten. Es war wohl nur
noch eine Frage der Zeit, bis sie vom Pferd stürzte.

Manchmal versuchte Priscilla, ihrer Mutter Mut

zuzusprechen, doch ihre Worte klangen wenig überzeugend.
Aus der jungen Frau sprach selbst eine erbärmliche Angst,
einem gnadenlosen und grausamen Schicksal entgegenzureiten.

Die Indianer kümmerten sich kaum um die weißen Squaws,

achteten nur darauf, daß sie inmitten des Reitertrupps blieben.
Nur Running Bull starrte manchmal Priscilla lauernd an. Es
hatte ganz den Anschein, als gefiel ihm die weiße blonde Frau.

Irgendwann öffnete sich vor den Reitern der dunkel

gähnende Rachen eines Canyons. Zwischen den Felsbrocken,
die wie von der Hand eines Riesens verteilt herumlagen,
tauchten Indianer auf. Sie verständigten sich durch Zurufe mit
den Näherkommenden und verschwanden gleich darauf wieder
hinter ihren Deckungen.

Der Canyon nahm die Reiter auf. Ein sanftes Halbdunkel

brachte Linderung vor den glühenden Sonnenstrahlen, die den
Frauen in den vergangenen Stunden so sehr zugesetzt hatten.

Es dauerte nicht lange, dann verbreiterte sich der Canyon zu

einem Kessel, der noch zwei weitere Ausgänge besaß. Steil
stiegen die Hänge in den blauen Himmel.

Im Tal standen über drei Dutzend Wicki-ups. Busch- und

Waldinseln zogen sich durch das Valley. Ein kleiner Bach
schlängelte sich silbern durch die grünen Wiesen. Nicht weit
von den Jacales entfernt weideten Mustangs. Sie hoben die
Köpfe und nahmen die Witterung ihrer Artgenossen auf.

Priscilla und Delia sahen die Behausungen der Rothäute und

ahnten, daß sie am Ziel ihres Trails angelangt waren. Mrs.
Samson nahm nochmals alle ihre Kräfte zusammen, um nicht
vom Pferderücken zu fallen.

Zwischen den Wicki-ups zügelten die Indianer ihre Pferde

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und sprangen zu Boden. Zwei Krieger zogen die verängstigten
Frauen von den Rücken der Mustangs und stießen sie in eine
der Hütten.

»Ich möchte sterben«, stöhnte Delia Samson. »Wir sind

verloren, mein Kind. Nichts auf der Welt kann uns retten. Die
blutrünstigen Bestien werden schon bald wie wilde Tiere über
uns herfallen.«

Priscilla rutschte zu ihrer Mutter und hätte gern ihre Arme

tröstend um sie gelegt, doch die gefesselten Hände ließen es
nicht zu. So lehnte sie sich nur gegen die schluchzende Frau,
die den Kopf gesenkt hatte.

»Vielleicht lassen sie uns am Leben, Mutter«, flüsterte das

Mädchen. »Sie hätten uns doch sonst nicht so viele Meilen mit
in die Wildnis geschleppt.« Delia hob den Kopf. Traurig sah
sie ihre Tochter an. »Ach, was weißt du schon, Kind«,
murmelte sie. »Auch Apachen sind Männer. Du hast
ebensowenig wie ich Frauen in ihrem Lager gesehen. Das ist
ein Kriegstrupp. Und diese Bastarde versprechen sich einige
Abwechslung mit uns. So sehe ich es. Vielleicht wäre es
besser, wenn wir sterben.«

Priscilla, die Tochter von Colonel Stuart B. Samson in Fort

Bowie, schüttelte hartnäckig den Kopf.

»Wir wollen leben, Mutter, was auch kommen mag. Wir

erhalten Hilfe. Man wird die Kutsche vermissen und
Nachforschungen anstellen. Außerdem wollte Vater uns eine
Patrouille entgegenschicken. Die Rothäute haben Spuren
hinterlassen. Vater wird alles in die Wege leiten, damit man
uns findet und befreit.«

»Bis dahin wird es für uns zu spät sein, Kind. Entweder sind

wir tot, oder wahnsinnig geworden.«

Delia Samson schluchzte stärker. Sie war am Ende ihrer

Nervenstärke angelangt.

Priscilla, die den starken Willen ihres Vaters geerbt hatte,

schaute um sich. Dämmerlicht herrschte im Wicki-up. Felle

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lagen am Boden. Das Mädchen suchte einen scharfkantigen
Gegenstand und fand auch bald einen scharfen Stein. Sie kroch
hin und schabte mit dem Strick an ihrem Handgelenk so lange
über den scharfen Stein, bis die Fessel barst.

Schnell befreite Priscilla auch ihre Mutter. Die lächelte

kläglich.

»Das nützt uns nichts, Kind«, sagte sie leise. »Dort draußen

lauern mehr als dreißig Krieger. Außerdem müßten wir Pferde
haben, um aus dieser Wildnis herauszufinden. Und dann glaube
ich nicht einmal, daß wir es schaffen würden. Wir haben längst
die Orientierung verloren. Es ist sinnlos.«

Priscilla streichelte sanft über das strähnig gewordene Haar

ihrer Mutter und trocknete ihre tränenfeuchten Wangen mit
einem Zipfel ihrer Bluse.

Schritte klangen auf. Die Körper der beiden Frauen

verkrampften sich. Angst loderte in ihren Augen.

Der breitschultrige Running Bull trat in das Wicki-up. In der

Hand hielt er ein Gewehr, dessen Mündung auf Delia und ihre
Tochter gerichtet war.

*

Running Bull sagte nichts, als er sah, daß die beiden Frauen
sich der Fessel entledigt hatten. Er hockte sich im Schneidersitz
ihnen gegenüber und musterte die beiden weißen Squaws sehr
lange und eindringlich.

»Ich sein Running Bull«, sagte er dann. »Ihr Gefangene von

mir. Kein Haar wir krümmen euch. Ihr dürfen nicht fliehen,
sonst Krieger böse sein. Ihr verstehen mich?«

Priscilla nickte.
Sie blickte den großgewachsenen Apachen ein wenig

erstaunt an. Das Mädchen hatte nicht mit diesen Worten
gerechnet, sondern gedacht, daß Running Bull wie ein wildes
Tier über sie herfallen würde.

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Priscilla sah einen Hoffnungsschimmer in den Augen ihrer

Mutter aufleuchten. Und das gab ihr noch mehr Kraft, um das
Palaver mit dem Indianer fortzusetzen.

»Warum habt ihr uns gefangengenommen?« fragte Priscilla

Samson mit zitternder Stimme.

Running Bull suchte nach Worten.
»Ihr sein Geisel für Running Bull und Krieger. Wir stellen

Bedingungen an Bleichgesichter und Blaubäuche. Sie suchen
weiße Squaws. Wir wollen Gewehre und kleine Dinger zu
schießen. Viele, viele. Du haben verstanden?«

Priscilla konnte es sich zusammenreimen.
Running Bull hatte die beiden Frauen gekidnappt und wollte

sie so lange gefangen halten, bis die Weißen oder die Soldaten
viele Gewehre und die dazu benötigte Munition lieferten.
Dagegen wollte er die beiden Frauen austauschen.

»Ihr bleiben hier. Nicht fliehen, sonst Krieger böse. Sehr

böse«, radebrechte der selbsternannte Häuptling, der mehr als
fünfzig Apachen um sich geschart hatte, um die weißen
Eindringlinge zu bekämpfen.

Running Bull erhob sich.
»Ihr essen und trinken. Krieger bringen. Nicht fliehen«, sagte

er nochmals, ehe er das Wicki-up verließ.

Priscilla rückte näher zu ihrer Mutter und legte ihr einen Arm

um die Schultern.

»Sie tun uns nichts, Mutter, wollen uns nur als Druckmittel

gegen die Soldaten benutzen. Ich bin sicher, daß Vater auf die
Bedingungen eingehen wird. Ihm bedeutet unser Leben mehr,
als ein paar Gewehre und Patronen. Es wird alles gut, Ma. Wir
dürfen nur nicht die Nerven verlieren und durchdrehen.
Vielleicht gelingt es uns sogar, zu fliehen. Wir müssen nur
vorerst klein beigeben, um die Rothäute zu täuschen.«

So sprach Priscilla ihrer Mutter Mut zu. Delia Samson

beruhigte sich ein wenig, da die unmittelbare Gefahr gebannt
war.

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»Ach, Kind«, flüsterte sie einige Zeit später, »wer weiß, was

in den Köpfen dieser Bestien vor sich geht. Hast du nicht
gesehen, wie dich diese Rothaut gierig und lauernd angesehen
hat?«

»Das haben auch schon weiße Männer getan«, entgegnete

Priscilla lächelnd, obwohl ihr gar nicht danach zumute war.
»Mutter, so lange noch ein Funken Hoffnung besteht, den
Indianern entkommen zu können, dürfen wir nicht aufgeben.
Das mußt du mir versprechen.«

Delia Samson nickte langsam.
»Sicher, Tochter. Es tut mir leid, daß ich die Beherrschung

verloren habe. Wir schaffen es schon.«

*

Eng umschlungen näherten sich Sanfter Wind und John
Haggerty der Apacheria des legendären Häuptlings Cochise.
Tla-ina blickte John liebevoll an, der zärtlich lächelte und an
die zurückliegenden Stunden dachte, die noch schöner gewesen
waren, als er sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.

Tla-ina blieb plötzlich stehen, löste sich von John Haggerty

und deutete mit der Hand auf die Apacheria, die unterhalb ihres
Standortes lag.

Auch John Haggerty sah, daß etwas geschehen sein mußte.

Im Lager der Apachen war alles auf den Beinen. Menschen
quirlten durcheinander.

John erkannte Cochise, der von seinen Kriegern umringt

wurde und mit ihnen diskutierte.

»Was ist geschehen?« fragte der frühere Chief Scout.

»Erwartet Cochise unangenehme Nachrichten? Mir erzählte er
nichts davon.«

Sanfter Wind zuckte mit den Achseln.
»Etwas muß geschehen sein, womit Cochise nicht rechnete«,

sagte Tla-ina leise. »Laß uns weitergehen. Du wirst es bald

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erfahren. Mein Bruder hat keine Geheimnisse vor dem
Falken.«

Die beiden schritten auf die Apacheria zu. Tla-ina

verabschiedete sich mit einem zärtlichen Händedruck und lief
zu einigen Squaws, die sofort auf sie einredeten.

John Haggerty setzte sich auf einen Felsbrocken und blickte

zu Cochise und den Apachen-Kriegern hinüber, die sich noch
immer lautstark unterhielten.

Als Cochise seinen weißhäutigen Freund sah, verließ er die

Männer und trat und mit ernstem Gesicht zu dem Falken.

John erhob sich.
»Ärger?« fragte er. »Wenn ich dir helfen kann, mein Bruder,

dann kämpft der Falke für dich.«

»Cochise dankt dir für diese Worte. Es ist etwas geschehen,

das einen großen Streit, wenn nicht sogar einen neuen Krieg
zwischen den Bleichgesichtern und den Apachen,
heraufbeschwören kann«, antwortete der Häuptling der
Chiricahuas. »Ich will mit dem Falken beraten. Cochise weiß
noch nicht, wie er sich verhalten soll.«

»Nur zu, Jefe«, erwiderte John Haggerty. »Berichte mir alles.

Ich will dir zur Seite stehen. Du weißt, daß auch ich jeden
Konflikt zwischen dem roten und dem weißen Mann
verhindern möchte. Das ist meine Aufgabe, die mir der
einarmige General, den wir Howard nennen, gegeben hat.
Niemand weiß davon, nur wir beide. Und so soll es auch
bleiben. Sprich, mein Bruder.«

Cochise setzte sich neben John Haggerty auf den

Felsbrocken. Der Häuptling blickte über das weite und wilde
Land. In der Ferne verschwammen die Berggipfel in flirrendem
Dunst. Blutigrot leuchtete die Sonne.

Ein Adler schraubte sich in die Lüfte, wurde rasch kleiner

und war bald nicht mehr zu sehen.

Der Apachen-Chief räusperte sich.
»Cochise muß ein wenig weiter ausholen, Freund Falke. Es

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gibt einen Krieger der Mimbrenjos. Sein Name ist Running
Bull. Er wollte sich nicht unterordnen, träumt davon, ein großer
Häuptling zu werden und verließ vor Wochen seinen Stamm.
Victorio, der Chief der Mimbrenjos, ließ ihn gewähren, denn er
nahm an, daß Running Bull schon bald wieder reumütig zu
seinem Volk zurückfinden würde.«

Cochise nickte und blickt zu einer Gruppe von Squaws

hinüber, die miteinander schwatzten. John sah Sanfter Wind,
die zwischen ihnen stand, aber hin und wieder herübersah.

Cochise begann erneut zu sprechen.
»Dieser Running Bull scharte mehrere Krieger um sich. Sie

überfielen einige Weiße und auch eine Maultierkarawane. So
gab es die ersten Toten. Die Überfälle waren siegreich für
Running Bull. Es gelang ihm, noch mehr Krieger um sich zu
sammeln. Es sind auch Chiricahuas, Tontos und Männer
anderer Apachenstämme darunter. Heute besteht seine
Streitmacht aus mehr als fünfzig zu allem entschlossenen
Männern. Tagtäglich stoßen neue Krieger zu Running Bull, der
im Niemandsland, nahe der Grenze zu den Gelbhäutigen, die
du Mexikaner nennst, einen Überfall nach dem anderen
ausführt. Und immer ist das Glück auf seiner Seite. Ich habe
Running Bull warnen lassen. Und auch Victorio will das alles
nicht mehr länger hinnehmen.«

John Haggerty nickte mehrmals. Bisher hatte er alles

verstanden. Es war schon öfter geschehen, daß sich ein Krieger
von seinem Stamm löste und ein großer Chief werden wollte.
Bisher waren diese Abtrünnigen aber immer schon nach kurzer
Zeit kläglich gescheitert und irgendwo verschwunden.

»Was ist geschehen?« fragte Haggerty. Er wollte, daß der

Häuptling der Apachen zum Kernpunkt seiner Rede kam.

»Running Bull hat eine Kutsche der Blauröcke überfallen,

vierzehn Langmesser getötet und zwei Frauen in seine Gewalt
gebracht.«

Nun erschrak auch John Haggerty. Er konnte sich gut

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vorstellen, daß die Armee nach diesem Vorfall nicht untätig
blieb. Der Überfall wirbelte sicher eine ganze Menge Staub
auf.

»Was ist mit den Frauen?«
»Vor drei Tagen schlug Running Bull zu, Falke. Die Frauen

leben. Es handelt sich um die Squaw und die Tochter des
Blaurocks, den die Bleichgesichter Colonel Samson nennen. Er
ist in Fort Bowie. Die Frauen waren auf dem Weg zu ihm.«

John Haggerty seufzte.
Nun wurde alles noch komplizierter. Und der frühere Armee-

Scout, der die Armee verdammt genau kannte, wußte auch, wie
dieser Colonel Samson reagieren würde.

»Sind die Blauröcke schon unterwegs, um Running Bull und

seine Krieger zu bestrafen?«

»Eine Schwadron ist auf dem Weg zu den Pedrogosa

Mountains. Dort sind die Gefangenen. Viel Blut wird fließen,
denn Running Bulls Macht ist nach diesem Überfall
gewachsen. Mehr als hundert Krieger sehen in ihm nun einen
großen Häuptling. Er hat sich geweigert, die Frauen
freizulassen, obwohl Victorio darauf bestand. Er schickte mir
einen Boten, um sich mit mir zu beraten.«

»Die Frauen leben noch?«
Cochise neigte den Kopf.
»Sie leben, denn Running Bull braucht sie. Er will von den

Blauröcken hundert moderne Gewehre und tausend Patronen
dazu. Erst wenn diese Bedingung erfüllt ist, will er die
Gefangenen freilassen.«

Nun wußte Haggerty Bescheid. Mit sorgenschwerem Blick

sah er den Apachen-King an.

»Was wird Cochise tun?« fragte John Haggerty, obwohl er

die Antwort bereits ahnte.

»Cochise bittet seinen weißen Bruder, mit ihm zu reiten. Er

muß mit dem Langmesser Samson sprechen. Die Pedrogosa
Mountains sind sehr unübersichtlich und wild zerklüftet. Sogar

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21

für die Krieger der Apachen ist es schwer, sich dort
zurechtzufinden. Die Blauröcke haben kaum eine Chance. Sie
werden bis auf den letzten Mann vernichtet, wenn sie in die
Berge eindringen.«

»Laß uns reiten, Cochise.« John Haggerty warf einen

verlangenden Blick zu Tla-ina hinüber die wohl ahnte, daß der
Falke sie schon wieder verlassen mußte.

Ihr Lächeln wirkte traurig, als sie John Haggerty ansah. Sie

wußte aber auch, daß sich der Falke seiner Aufgabe, viele
Menschenleben zu retten, nicht entziehen konnte.

*

Priscilla Samson trat vor das Wicki-up. Sie war in
Rehlederkleidung wie eine Apachen-Squaw gekleidet. Nur das
blonde, lange Haar paßte nicht zu ihrer neuen Aufmachung.

Nur wenige Krieger hielten sich im Talkessel auf. Running

Bull war mit der Mehrzahl seiner Leute vor einem Tag
davongeritten und bis jetzt noch nicht zurückgekehrt.

Zwei Apachen standen auf und näherten sich langsam mit

drohenden Gesichtern. Sie hielten Kriegslanzen in den Händen,
die sie auf das blonde Mädchen richteten.

Priscilla verstand nicht die Worte der Apachen. Furchtlos

blieb sie stehen.

»Ich will mich waschen«, rief sie und deutete mit lebhaften

Gesten an, was sie wollte.

Die beiden Krieger schüttelten die Köpfe, traten noch einige

Schritte näher. Die Spitzen der Speere waren nur noch wenige
Inches von dem schlanken Körper der jungen Frau entfernt.

Zuerst sah es aus, als wollte Priscilla zurückweichen, dann

aber straffte sich ihr schlanker Körper. Furchtlos griff sie zu
und wischte die Lanzenspitzen zur Seite.

Die beiden Indianer standen fassungslos da und blickten auch

nicht begeisterter, als Priscilla losmarschierte und auf den Bach

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zuhielt, der einige Yards entfernt murmelnd seinen Weg zog.

Die Apachen folgten der weißen Squaw. Sie schrien wütend.

Einer warf seine Kriegslanze, die sich vor der jungen Frau in
den Boden bohrte und wippend steckenblieb.

Priscilla Samson lief um das Hindernis herum und erreichte

unangefochten den Bach. Die Indianer blieben stehen. Zu gut
wußten sie, daß sie den beiden weißen Squaws kein Haar
krümmen durften. Und darauf hatte Priscilla spekuliert.

Sie trat hinter einige Salbeibüsche und Saquaro-Kakteen,

streifte ihre Kleidung ab und begann sich zu waschen. Es tat ihr
gut, sich vom Tagealten Schmutz und Schweiß endlich zu
befreien.

Die beiden Krieger kamen nicht näher, obwohl sie die Köpfe

reckten, aber kaum etwas sehen konnten, denn die Büsche und
Kakteen verdeckten die weiße Gefangene fast völlig.

Einige Minuten später betrat Priscilla wieder das Wicki-up

und blickte Delia lächelnd an.

»Nun bist du an der Reihe, Mutter. Die Indianer verhalten

sich friedlich. Ich begleite dich. Du wirst dich wohler fühlen.
Und heute nacht versuchen wir zu fliehen. Es wird uns
gelingen, denn die roten Kerle haben die Anweisung, uns gut
zu behandeln. Wir sind sehr wichtig für diesen Running Bull.
Hundert moderne Winchestergewehre bedeuten ihm zu
unserem Glück nun einmal mehr.«

Delia blickte ihre so tatkräftige Tochter zweifelnd an.

Priscilla half ihr auf die Beine.

»Komm mit«, sagte sie. »Du darfst vor allem diesen

Halunken keine Angst zeigen.«

»Ich will es versuchen«, erwiderte Delia Samson. Man sah

ihr aber an, daß sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlte. Sie
erschauerte, als sie die beiden bewaffneten Krieger sah. Auch
andere Apachen starrten herüber. Es mochten sich ungefähr
zehn Indianer im Tal befinden.

Zögernd setzte Delia Fuß vor Fuß. Ihre Schritte wurden

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23

länger und sicherer, als sie sah, daß die Apachen nicht
eingriffen.

Priscilla lächelte zufrieden. Und heute nacht wollte sie die

Flucht zusammen mit ihrer Mutter wagen. Die junge Frau hatte
die Tatkraft und Entschlossenheit ihres Vaters geerbt, der ein
Mann war, der auch niemals aufgab.

*

Colonel Stuart B. Samson hob die rechte Hand und zügelte sein
Pferd. Die hinter ihm reitenden Soldaten, dreißig an der Zahl,
folgten seinem Beispiel.

»Lassen Sie absitzen, Lieutenant«, dröhnte Samsons

befehlsgewohnte Stimme. »Wir legen eine Pause von einer
Stunde ein, um die Pferde zu schonen. Außerdem benötigen
auch die Soldaten eine Verschnaufpause. Der Ritt war lang und
hart.«

Lieutenant Mark Wolter gab den Befehl an Sergeant Hasting

weiter, der gleich darauf die Soldaten aus den Sätteln
scheuchte.

Samson und Wolter saßen ebenfalls ab. Der Colonel sah sich

um. Die Sonne verglühte hinter den Bergen. Es konnte nicht
mehr lange dauern, bis sich die dunklen Schatten der Nacht
über das wüstenähnliche Land senkten.

»Wie weit mögen wir noch vom Ort des Überfalls entfernt

sein, Lieutenant?« fragte Colonel Samson ruhig, als frage er
nach dem Wetter. Niemand sah seinem braungebrannten
Gesicht an, wie sehr er sich um Frau und Tochter sorgte.

»Höchstens noch fünf Meilen, Sir«, antwortete der junge

Lieutenant.

»Wenn Sie mir einen Vorschlag erlauben, sollten wir

höchstens eine halbe Stunde Rast einlegen, sonst ist es dunkel
bis wir unser Ziel erreichen.«

Der Offizier blickte nachdenklich zu seinen Soldaten

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hinüber, die sich um die Pferde kümmerten.

»Einverstanden«, murmelte er. Und nun glaubte Lieutenant

Wolter eine tiefe Sorgenfalte auf der Stirn des Colonels zu
erkennen, die aber innerhalb von Sekundenbruchteilen wieder
verschwand.

Eine halbe Stunde später setzte die Abteilung den Ritt fort.

Als sie die Postkutsche sahen, war die Nacht trotzdem bereits
hereingebrochen.

Kalt funkelten die fernen Sterne in majestätischer Pracht und

erinnerten an Diamanten auf schwarzem Samt.

Colonel Samson ließ absitzen, winkte seinen Scout herbei

und gab ihm den Befehl, die Spuren der Indianerbande zu
finden.

»Erhöhte Alarmbereitschaft«, verkündete Samson. »Geben

Sie den Befehl weiter, Lieutenant.«

Wolter salutierte und riß die Haken schneidig zusammen, ehe

er davonstiefelte. Wächter patrouillierten um den Ort des
Überfalls. Der Scout trat schon nach wenigen Minuten vor den
Colonel.

»Ich habe die Fährte gefunden, Sir. Es handelte sich um mehr

als dreißig Indianer. Es ist so, wie man uns berichtet hat. Soll
ich einen Erkundigungsritt wagen?«

Samson zögerte.
Dann sagte er: »Einverstanden, Mr. Pearson. Achten Sie aber

auf Ihren Skalp. Diese zusammengewürfelte Bande von roten
Bestien kennt keine Gnade, wie Sie bereits bemerkt haben.«

Sergeant Hastings schob sich näher. Er grüßte ein wenig zu

lässig für den Geschmack des Offiziers, doch der Colonel ließ
es durchgehen. Er hatte weiß Gott andere Sorgen.

»Es ist alles ruhig im weiten Rund, Sir. Trotzdem …«
»Juckt ihr Hühnerauge, Sergeant?« fragte der Colonel. »Man

hat mir erzählt, daß dies immer ein Zeichen von Gefahr sein
soll, wenn es sich bei Ihnen bemerkbar macht.«

Hasting staunte und wirkte einen Moment verlegen.

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»Nun schließen Sie wieder den Mund, Sergeant. Auch ich

habe das instinktive Gefühl einer drohenden Gefahr.«

Hasting nickte nun eifrig. Beinahe fiel ihm sein Käppi vom

quadratischen Schädel.

»Ich habe den Soldaten schon äußerste Wachsamkeit

befohlen, Sir. Es könnte sein, daß einige der roten Halunken
durch die Gegend schleichen.«

Unwillkürlich sah sich der Offizier um. Natürlich war außer

einigen Büschen, verkrüppelten Bäumen und Felsbrocken
nichts zu sehen. Wie leicht konnte es aber sein, daß hinter
diesen Deckungen bereits Indianer lauerten, um über die
Patrouille herzufallen.

Colonel Samson mußte zugeben, daß sie sich eine ungünstige

Zeit für ihre Ankunft ausgesucht hatten.

Etwas sirrte am Kopf des Colonels vorbei und bohrte sich

schmatzend in den Stamm eines Cottonwoods. Samson zuckte
zusammen, warf sich zu Boden, wo der Sergeant bereits lag.

Im Stamm des Baums wippte ein Pfeil. Hastings gellender

Alarmschrei warnte die Soldaten.

Schüsse ertönten. Vermutlich hatten einige Soldaten die

Nerven verloren und auf irgendwelche Schatten gefeuert, die
sie für angreifende Apachen hielten.

»Feuer einstellen«, schrie der Colonel.
Sekunden später schallte eine kehlige Stimme durch die

nächtliche Stille.

»Hier sprechen Running Bull. Er will reden mit großem

Blaurock. Kein Kampf, nur reden. Running Bull sagen
Bedingung, damit freikommen weiße Squaws. Wenn nicht
reden, dann sterben Squaws!«

Die Stimme verstummte.
Colonel Samson erhob sich. Er blickte auf den aus dem

Baum ragenden Pfeil.

»Wenn dieser Halunke mich vor wenigen Minuten hätte

treffen wollen, dann hätte er auch getroffen«, murmelte der

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Offizier. »Es war nichts anderes als ein Warnschuß.«

Hastings nickte.
»Das glaube ich auch, Sir. Wollen Sie sich wirklich der

Gefahr aussetzen, mit diesem Kerl zu sprechen?«

»Bleibt mir eine andere Wahl, Sergeant?«
»Ich werde sie begleiten, Sir, Ihre Zustimmung

vorausgesetzt. Es wäre schlimm, wenn auch Sie noch der roten
Bande in die Hände fallen würden.«

Colonel Samson zerquetschte einen Fluch zwischen den

Lippen. Er dachte an Frau und Tochter, die seit Tagen in der
Gewalt dieser roten Brut waren. Und er fragte sich vergebens,
ob Delia und Priscilla noch lebten.

*

»Ich habe Angst«, flüsterte Delia Samson. »Wenn uns die
Indianer schnappen, dann – dann …«

Priscilla lächelte, obwohl ihr nicht danach zumute war. Sie

legte einen Arm um die Hüfte ihrer Mutter.

»Uns wird nichts geschehen, auch wenn sie uns wieder

einfangen«, sagte das Mädchen. »Sie brauchen uns lebend.
Vergiß das nicht. Wir sind hundert Gewehre und tausend
Schuß Munition wert. Vielleicht fesseln sie uns dann nur. Wir
riskieren es, Mutter.«

Die beiden Frauen verließen durch eine Öffnung das Wicki-

up. Dunkelheit hüllte die beiden Frauen ein. Einige Yards
entfernt erkannten sie die rote Glut eines niedergebrannten
Lagerfeuers, das wie das glühende Auge eines Zyklopen
leuchtete.

Zwei Apachen saßen zusammengesunken am Feuer und

schienen zu schlafen. Irgendwo wieherte ein Pferd. Ein
Käuzchen schrie klagend in die nächtliche Stille hinein.

Priscilla hielt einen Steinbrocken in der Hand. Eine andere

Waffe hatte sie nicht finden können. Das Mädchen übernahm

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die Führung. Ihr schlug das Herz plötzlich hoch bis zum Hals.

Priscilla fragte sich, ob ihr Unternehmen wirklich einen Sinn

hatte. Ohne Pferde konnte sie den Apachen nicht entkommen.
Ihr Plan war es, den Pferdewächter niederzuschlagen,
Mustangs zu stehlen und die Flucht zu ergreifen.

Priscilla gab sich einen Ruck. Sie faßte nach der Hand ihrer

Mutter, die eiskalt war und zitterte.

So schlichen sie vorwärts, umgingen das Lagerfeuer in einem

großen Bogen, wie auch die anderen Wicki-ups, in dem einige
der zurückgebliebenen Apachen schliefen.

Bisher war alles gutgegangen. Langsam näherten sie sich der

kleinen Pferdeherde der Indianer. Die Tiere nahmen zwar die
Witterung der beiden weißen Frauen auf, doch sie reagierten
nicht. Delia und Priscilla rochen nach Indianer, da sie seit
Tagen mit ihnen zusammenleben mußten.

Sie kauerten sich beide hinter einen Salbeibusch. Priscilla

sah sich um und entdeckte die Silhouette eines Mannes, die
sich deutlich gegen das hellere Firmament abhob.

Er hielt ein Gewehr in den Händen und setzte sich nun

langsam in Bewegung. Der Apache umkreiste die Herde, blieb
hin und wieder stehen und sah sich um.

Der Indianer glaubte an keine Gefahr, so dachte Priscilla. Sie

nickte ihrer Mutter beruhigend zu, ließ ihre Hand los und
schlich vorsichtig an den Krieger heran.

Es kam der jungen Frau zugute, daß sie früher viel mit den

Jungs in den einzelnen Forts gespielt hatte. Und sie beherrschte
die Kunst, sich geräuschlos anzuschleichen.

Bald hatte sie sich dem Wächter bis auf wenige Schritte

genähert, der nach wie vor ahnungslos war und ihr den Rücken
zuwandte. Noch näher glitt Priscilla heran, dann schlug sie den
Indianer mit dem Steinbrocken nieder.

Der Apache brach zusammen, als hätte ihm jemand den

Boden unter den Füßen weggezogen.

Die junge Frau stand neben dem Bewußtlosen und wunderte

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28

sich selbst, daß alles so leicht und glatt gegangen war. Ihr Herz
hämmerte hart gegen die Rippen. Schweißperlen rannen ihr
über das verzerrte Gesicht.

Priscilla ließ den Stein fallen, eilte zur Mutter zurück und

näherte sich mit ihr den Mustangs. Unruhe brach unter den
Pferden aus. Delia tastete über ihren verlängerten Rücken und
verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Voller Grauen dachte
sie daran, sich wieder auf den Rücken eines Pferdes setzen zu
müssen.

Alles kam anders.
Vier Apachen tauchten plötzlich aus dem Gras hoch. Sie

richteten ihre Waffen auf die beiden Frauen, die erschrocken
stehenblieben und wußten, daß ihre Flucht mißglückt war.

Priscilla senkte enttäuscht die Schultern und war den Tränen

nahe. Alles war umsonst gewesen. Beide Frauen ergaben sich
in ihr Schicksal und ließen sich von den Apachen in das Wicki-
up zurückbringen.

Die Indianer grinsten. Einige schienen den Mut der weißen

Squaws zu bewundern.

»Nicht fliehen, sonst Krieger böse«, sagte einer der Rothäute,

ehe er das Wicki-up verließ.

*

Colonel Stuart B. Samson verhandelte nicht zum erstenmal mit
einem Indianer. Furchtlos blieb sein Gesichtsausdruck. Nur das
Kinn wurde um eine Spur härter und kantiger, als er Running
Bull gegenübertrat, der von einem seiner Krieger begleitet
wurde.

Sergeant Hasting stand hinter dem Offizier und wirkte bissig,

wie selten zuvor in seinem Leben.

Ein kleines Lagerfeuer brannte und warf bizarre Schatten, die

über die vier Männer geisterten.

Samson wußte seine Soldaten nur eine Steinwurfweite hinter

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29

sich. Und auch Running Bulls Krieger befanden sich in der
Nähe des Lagerfeuers.

Es war vereinbart worden, während der Verhandlung alle

kriegerischen Auseinandersetzungen zu unterlassen.

Running Bull und sein Begleiter setzten sich. Der Apache

deutete dem Offizier an, seinem Beispiel zu folgen. Colonel
Samson zögerte, sah seinen erfahrenen Sergeanten nicken und
setzte sich ebenfalls ins Gras.

Running Bull ergriff das Wort.
»Weiße Frauen in Gewalt. Running Bull nur geben frei,

wenn hundert gute Gewehre und zehnmal hundert Schuß für
Feuerrohre. Dann Frau gehen können wohin wollen. Running
Bull geben zehnmal hell und dunkel Zeit. Er euch sagen, wo
Donnerrohre übergeben. Frauen gehen gut. Krieger der
Apachen nicht angerührt.«

Colonel Samson hatte aufmerksam zugehört, obwohl das

Englisch des Häuptlings katastrophal war. Er sah den
forschenden Blick des Apachen und räusperte sich.

Der Offizier hatte das Gefühl, eine unsichtbare Schlinge zöge

sich um seinen Hals zusammen.

»Wir wollen erst die Frauen sehen. Ich muß sichergehen, daß

sie noch leben und daß ihnen kein Haar gekrümmt wurde. Ihr
erhaltet die Gewehre. Der Transport ist bereits unterwegs«,
bluffte der Offizier. »Die Übergabe kann in spätestens zehn
Tagen sein. Du wirst uns sagen müssen, wo unsere
Zusammenkunft stattfindet.«

Es dauerte lange, ehe Running Bull antwortete. Anscheinend

sprach er nicht nur schlecht die Sprache der Weißen, sondern
verstand sie auch nicht besonders gut.

»Gut«, stieß Running Bull hervor. »Ihr sehen Frauen.

Morgen wenn Sonne bezieht Himmelsgewölbe. Nur aus
Entfernung, Langmesser.«

Colonel Samson schüttelte den Kopf.
»Ich will mit den beiden Frauen sprechen. Das ist meine

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Bedingung. Dann nimmt alles seinen Lauf.«

Running Bull überlegte sehr lange. Er warf seinem Begleiter

einen Blick zu, dessen Gesicht aber unbewegt blieb.

»Gut, du und bullige Pferdesoldat. Sonst niemand sprechen

weiße Squaw. Reden fertig.«

Der selbsternannte Apachen-Chief und sein Gefährte erhoben

sich. Ohne den beiden Soldaten noch einen Blick zu gönnen,
gingen sie in die Nacht hinein und waren bald darauf
verschwunden.

Auch der Offizier und sein Sergeant standen auf. Sie

marschierten zu ihren Leuten zurück. Der junge Lieutenant
atmete auf, als er den Oberst und den Unteroffizier
herankommen sah.

»Was haben Sie vor, Colonel?« fragte Sergeant Hasting,

obwohl es ihm nicht zustand, seinem Vorgesetzten diese Frage
zu stellen. Besorgnis sprach aus seiner Stimme.

»Wir müssen abwarten. Ich will erst einmal sehen, ob meine

Frau und meine Tochter überhaupt noch leben. Es fällt mir
schwer, diesem verschlagenen Halunken zu glauben.«

Der Colonel wandte sich ab. Niemand sollte die Angst um

Frau und Kind in seinen Augen sehen.

»Haltet die Augen und die Ohren offen, Jungs«, rief der

Sergeant den Soldaten zu. »Auch ich traue diesem neuen roten
Messias nicht. Vielleicht fehlen dem Hundesohn noch einige
Skalps, damit ihm noch mehr Rothäute zulaufen.«

*

Bodennebel waberte. Tautropfen funkelten im ersten Licht des
beginnenden Tages. Nach wie vor herrschte höchste
Alarmbereitschaft im Camp der Blauröcke.

Colonel Samson hatte keinen Schlaf gefunden. Tiefe Falten

furchten sein Gesicht, das grau und müde wirkte. Der Sergeant
und auch der Lieutenant gingen ihrem Vorgesetzten aus dem

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Weg.

In spätestens einer Stunde würde die Sonne ihre strahlende

Bahn beziehen.

Hufschläge näherten sich. Die wachhabenden Soldaten

griffen ihre Gewehre fester und starrten in die Richtung, aus
der die Pferde kommen mußten.

Hinter einem Hügel tauchten zwei Reiter auf. Es handelte

sich um einen Weißen, der wie ein Scout gekleidet war und
einen großgewachsenen Indianer, der stolz und kerzengerade
auf dem Rücken seines Mustangs saß.

»Nicht schießen«, befahl Sergeant Hasting, als einer der

Soldaten sein Gewehr fest gegen Schulter und Kinn preßte und
die Näherkommenden ins Visier nahm.

Der Soldat senkte den Lauf des Karabiners. Die Reiter jagten

heran, denn sie hatten das Lager der Blauröcke entdeckt.

Der Indianer und der Weiße sprangen von den Pferden, sahen

sich kurz um und schritten auf den Offizier zu. Sie ignorierten
die auf sie gerichteten Waffen.

»Ich bin John Haggerty, Sir. Mein Begleiter ist Cochise, der

Häuptling der Apachen.«

Für einen Moment herrschte Schweigen. Samson blickte

Cochise überrascht an.

»Festnehmen!« befahl er dann.
»Sie handeln zu voreilig, Sir. Wir sind freiwillig zu Ihnen

geritten, um Ihnen unsere Hilfe anzubieten. Cochise und die
tapferen Krieger der Chiricahuas haben mit dieser Geschichte
nichts zu tun. Cochise verurteilt das alles. Er hat keinerlei
Einfluß auf Running Bull, der sich vom Stamm der Apachen
losgesagt hat. Auch die anderen Indianer, die sich ihm
angeschlossen haben, gehören nicht mehr zur Gemeinschaft der
Apachen.«

Colonel Samson hob die Hand und schickte die beiden

Soldaten wieder weg, die Cochise festnehmen wollten.

»Sie sind Haggerty«, sagte er dann. »Sind Sie nicht General

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Howards Chief Scout gewesen?«

»Richtig, Sir.«
Das Mißtrauen Samsons schwand von einer Sekunde zur

anderen. Er blickte Cochise voll an.

»Es tut mir leid, Häuptling«, sagte Samson. »Ich habe

überstürzt gehandelt. Ich bin Colonel Stuart Samson. Woher
wissen Sie, was geschehen ist?«

Cochises Körper entspannte sich.
»Der Häuptling der Chiricahuas weiß alles, was sich in

seinem Land abspielt«, sagte er in gut verständlichem Englisch.
»Er hat davon erfahren, was geschehen ist. Aus diesem Grund
ist er hier, um selbst mit Running Bull zu sprechen. Cochise
will keinen Krieg mit den Blauröcken. Er hat einen Vertrag mit
dem einarmigen General abgeschlossen, den er einhalten
wird.«

John Haggerty wandte sich an den Offizier.
»Zwei Frauen sollen sich in der Gewalt der aufständischen

Krieger befinden. Es müssen Ihre Frau und ihre Tochter sein,
Sir, wenn ich richtig informiert wurde.«

»Sie wissen sehr gut Bescheid, Haggerty«, erwiderte

Samson. Für einen Moment wurde sein Blick mißtrauisch.

»Ich weiß es von Cochise. Er bat mich, mit zu Ihnen zu

reiten. Es hat sich längst unter den Apachen herumgesprochen,
was sich hier ereignete. Und Cochises Spähern entgeht nichts.«

»Meine Frau und meine Tochter befinden sich in der Gewalt

dieser Mörderbande«, sagte Samson schwer atmend. Er
berichtete von seiner Unterredung in der vergangenen Nacht
mit Running Bull.

John Haggerty warf einen kurzen Blick zum Himmel. Die

ersten Lichtexplosionen röteten den Horizont im Osten.

»Wenn Running Bull sein Wort hält, müßte er bald mit den

Frauen auftauchen«, sagte Cochise ernst. »Der Häuptling der
Apachen wird mit dem Abtrünnigen sprechen.«

Colonel Samson war sich nicht schlüssig, ob er das Angebot

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des Apachenhäuptlings annehmen sollte.

»Hören Sie, Cochise. Ich möchte unter allen Umständen

meine Frau und meine Tochter wieder gesund in die Arme
schließen. Vielleicht erschrickt dieser Running Bull so sehr,
daß es zu einer Kurzschlußhandlung kommt, wenn er seinen
obersten Häuptling sieht und …«

Cochise winkte ab.
Er sagte: »Ich spreche mit Running Bull. Auch Cochise will

wissen, woran er ist.«

*

Noch war die Sonne nicht hinter den Gipfeln der Pedrogosa
Mountains emporgekrochen. Von Running Bull, den
gefangenen Frauen und seinen Kriegern war nichts zu sehen.

Plötzlich erklangen Hufschläge. Cochise, Haggerty und

Colonel Samson, die dicht beieinander standen und leise
diskutierten, sahen einen Reiter hinter einer Waldinsel
auftauchen.

Der Offizier winkte ab, als Lieutenant Wolter Meldung

erstatten wollte.

Der Reiter näherte sich. Sein Oberkörper schwankte im

Sattel, als wäre der Mann betrunken.

»Das ist mein Scout«, sagte Stuart B. Samson ernst. »Er hatte

den Auftrag, sich ein wenig in der näheren Umgebung
umzusehen.«

»Er ist tot«, erklang Cochises Stimme. »Man hat den Scout

nur auf dem Pferderücken festgebunden.«

John Haggerty, Samson und auch die übrigen Soldaten

erkannten rasch, daß der Jefe der Chiricahuas die Wahrheit
gesprochen hatte.

Der Scout war übel zugerichtet. Die Mörder hatten den

Bergläufer skalpiert. Er mußte den Kriegern von Running Bull
chancenlos in die Falle gelaufen sein. Der Colonel dachte in

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diesen Sekunden an Delia und Priscilla, die sich in den Händen
dieser wilden Bestien befanden und ihnen auf Gnade oder
Ungnade ausgeliefert waren.

Sergeant Hasting nahm sich des Toten an. Er rief einige

seiner Leute herbei, und sie begruben den Scout.

»Dort oben auf dem Hügel sind sie«, stieß Cochise plötzlich

hervor. »Das ist Running Bull. Ich kann auch die beiden
weißen Squaws erkennen.«

Samson zuckte zusammen. Er blickte zu einem Hügel, der

ungefähr zweihundert Yards entfernt aufragte. Die abtrünnigen
Rothäute wirkten kriegerisch und wild, wie sie auf ihren
zottigen Mustangs saßen. Bunter Zierat flatterte im leichten
Wind. Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, verhielten die
Krieger dicht nebeneinander.

Deutlich erkannten die Weißen und der Jefe die beiden

blonden Frauen, zwischen denen Running Bull seinen Mustang
gezügelt hatte.

Der Chief trieb sein Pferd an. Ihm folgten fünf Krieger. Sie

näherten sich dem Lager der Soldaten bis auf hundert Yards.

Stuart B. Samson zog sich in den Sattel, rückte

Revolvertasche und Säbel zurecht und trieb sein Pferd an.
Cochise und John Haggerty folgten dem Offizier.

Sie holten ihn schnell ein und näherten sich gemeinsam den

Kriegern, die auf tänzelnden Pferden saßen und den drei
Reitern mit wie versteinert wirkenden Gesichtern
entgegenblickten.

Running Bull behielt die Kontrolle über sich, als er Cochise

erkannte. Noch stolzer richtete sich sein gedrungen wirkender
Körper auf. Starr blickte er den Chief der Apachen an.

»Du haben gesehen Gefangene, Pferdesoldat«, rief Running

Bull. »Sie leben. Ich halten Wort. Bringen mir Waffen, du
Squaws erhalten!«

Running Bull wollte seinen Mustang zur Seite ziehen, um

mit seinen Kriegern davon zureiten, doch Cochises Stimme

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hielt den selbsternannten Häuptling zurück.

»Cochise will mit dir sprechen«, stieß der Chief hervor.

»Running Bull wird zuhören.«

»Die Bleichgesichter sollen reiten«, verlangte Rennender

Büffel. »Auch meine Krieger reiten. Cochise soll unter vier
Augen mit Running Bull reden.«

»Wir reiten«, sagte John Haggerty.
»Ich schätze aber, daß auch Colonel Samson noch etwas zu

sagen hat.«

Der Offizier blickte den Indianer durchdringend an. Nur mit

Mühe konnte er seinen aufflammenden Haß verbergen.

»In zehn Tagen erhältst du die Waffen und auch die

Munition. Dafür möchte ich die beiden Frauen lebend zurück.
Sollte ihnen nur ein Haar gekrümmt worden sein, wird aus
unserem Geschäft nichts. Ist das klar?«

Running Bull lächelte spöttisch.
»Es wird sein wie sagen Running Bull. Wenn Pferdesoldat

spielen falsch, sterben müssen Squaws.« Colonel Samson
spürte seine Hilflosigkeit so deutlich wie selten zuvor. Er
blickte zu Frau und Tochter hinüber, deren Gesichter er aber
nur verschwommen erkennen konnte. Dann zog er sein Pferd
herum und ritt zum Camp seiner Soldaten zurück. John
Haggerty folgte dem Oberst, während auch die Begleiter von
Running Bull ihre Mustangs antrieben und davonritten.

Cochise und Running Bull waren allein.
Der Häuptling der Apachen befahl: »Laß die Gefangenen

frei. Wie kann sich ein stolzer und tapferer Krieger hinter den
Röcken von Squaws verkriechen? Es ist eines Apachen nicht
würdig.«

Running Bulls breitflächiges Gesicht erstarrte. Die wulstigen

Lippen preßten sich hart aufeinander.

»Running Bull sieht nur diese Möglichkeit, um an

Donnerrohre zu gelangen. Er braucht sie für seine Krieger, die
in immer größeren Scharen zu ihm kommen. Es sind nun schon

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mehr als zehnmal zehn.«

Er hob beide Hände, um seine Worte zu unterstreichen.
»Running Bull wird gegen die weißen Eindringlinge

kämpfen, die den Apachen das Erbe ihrer Väter wegnehmen
wollen. Er kennt keine Gnade und tritt diese weißen
Hundesöhne in den Boden. Noch mehr tapfere Krieger
kämpfen schon bald an seiner Seite. Auch Cochise kann das
nicht ändern. Viele seiner Krieger sind von dem Chiricahua-
Chief enttäuscht. Er hält nur große Reden und läßt die
Weißhäutigen gewähren.«

Running Bull hatte sich in Eifer geredet. In seinen Augen

blitzte es immer wieder auf.

Cochise hob die Hand.
»Mein Vetter befindet sich auf einem schlechten Weg«, sagte

der Apachen-King ernst. »Er wird gegen die Bleichgesichter
und gegen die Pferdesoldaten nicht gewinnen können. Sie sind
so zahlreich wie es einst die Büffel waren, die unsere Prärien
bevölkerten. Cochise ist kein Feigling. Niemand darf das
behaupten, ohne ihm Genugtuung geben zu müssen. Cochise
aber hat längst erkannt, daß die Apachen und auch unsere
anderen Blutsbrüder diesen Kampf nicht gewinnen können. So
suchte er Frieden mit den Bleichgesichtern und hofft auf ein
nebeneinander, obwohl auch er ahnt, daß dies nicht von langer
Dauer sein wird.«

Running Bull nickte und rief: »Dann sollten alle Apachen

gemeinsam in den Kampf ziehen, Running Bull wird als
Beispiel vorangehen. Tod den Bleichgesichtern!«

Cochise schüttelte ernst den Kopf.
»Running Bull ist verblendet. Er wird einige Erfolge erzielen

und dann vernichtet werden.«

»Nicht wenn Cochise und seine tapferen Krieger ebenfalls zu

den Waffen greifen. Dann wird ihm Victorio mit seinen
Mimbrenjos folgen. Und auch die anderen Stämme der
ruhmreichen Apachen greifen in diesen Kampf ein. Wir

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werden die Bleichgesichter aus unserem Land hinausfegen. Es
wird wieder den roten Männern gehören.«

Cochise sah die Begeisterung in Running Bulls Augen, der

von seinen eigenen Worten felsenfest überzeugt schien.

Der Chiricahua-Chief aber wußte längst, daß Begeisterung

und der Wille zum Kampf nicht genügten, um die weißen
Eindringlinge zu besiegen. Zu lange hatte Cochise gegen die
Bleichgesichter gekämpft und war zum Schrecken des
Südwest-Territoriums geworden. Das lag nun schon einige Zeit
zurück.

Natürlich hatte er den Bleichgesichtern und auch den

Blauröcken große Niederlagen zugefügt. Doch tausende
Weißhäutige drängten nach. Jeder tote Apache aber hinterließ
eine nicht mehr zu schließende Lücke. Aus diesem Grund hatte
Cochise auch den Waffenstillstand mit General Howard
vereinbart, der nun gefährdet war »Running Bull ist auf dem
falschen Weg«, sagte Cochise. »Er soll die beiden weißen
Squaws freilassen. Dann kann er gegen die Langmesser
kämpfen.«

»Running Bull verweigert Cochise diese Bitte. Er und seine

Krieger kämpfen. Und Cochise wird erkennen, daß Running
Bull recht hat.«

Der junge Apache zog seinen Mustang zur Seite und ritt los.

Schnell näherte er sich seinen Kriegern. Es waren mehr als
fünfzig Indianer, die auf die Rückkehr ihres Anführers
warteten.

Cochise blieb nichts anderes übrig, als zum Camp der

Soldaten zurückzureiten.

*

Colonel Samson, Cochise und John Haggerty saßen sich
gegenüber. Die Indianer waren längst mit ihren Gefangenen
verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.

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»Cochise wird Running Bull folgen und ihn töten«, sagte der

Jefe plötzlich. »Es gibt keine andere Möglichkeit, um diesen
Krieg zu verhindern. Viele meiner Vettern und auch viele
Bleichgesichter werden sonst sterben. Dieses Land wird in
Flammen stehen. Alle Apachen müssen ihre Heimat verlassen
oder werden wie Tiere in eine Reservation gesperrt.«

Cochise erhob sich. Er schüttelte den Kopf, als er den

fragenden Blick des Falken sah.

»Cochise reitet allein. Er kennt die vielen geheimen Wege

der Apachen und findet das Versteck. Vielleicht gelingt es ihm,
die weißen Squaws zu befreien. Zehn Tage sind eine lange
Zeitspanne.«

Colonel Samson nickte nur, während Cochise davonschritt,

auf den Rücken seines Pintos sprang und schnell davonritt.
John Haggerty blickte seinem roten Bruder mit gemischten
Gefühlen nach.

»Was haben Sie vor, Colonel?« fragte der ehemalige Chief

Scout von General Howard. »Sie wissen genau, daß es Ihnen
niemals gestattet wird, Waffen und Munition an die
aufständischen Indianer zu liefern.«

Stuart B. Samson sah John Haggerty mit bleichem Gesicht

an. Fahrig wischte er sich über die Stirn, auf der Schweißperlen
glänzten, obwohl die Tageshitze noch nicht eingesetzt hatte.

»Das ist mir bekannt, Mr. Haggerty. Mir blieb aber keine

andere Wahl, als auf das Ultimatum des roten Bastards
einzugehen. Er würde sonst meine Frau und meine Tochter
gnadenlos umbringen und mir ihre Skalps schicken.«

»Ich verstehe Ihre Zwangslage, Sir. Mich würde aber

interessieren, ob sie auch so handeln würden, wenn es sich bei
den beiden Gefangenen nicht ausgerechnet um ihre Frau und
ihre Tochter handelte?«

Der Offizier hob den Kopf. Trauer, Angst und Sorgen

funkelten in seinen tief in den Höhlen liegenden Augen. John
bedauerte bereits diese Frage, die den Offizier in noch größere

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Gewissenskonflikte bringen mußte.

»Ich weiß es nicht, Mr. Haggerty. Es ist nun einmal meine

Familie, die sich in den Händen dieser roten Bestien befindet.
Ich will Delia und Priscilla retten. Würden Sie an meiner Stelle
anders handeln? Ich glaube kaum.«

John Haggerty nickte.
»Hören Sie zu, Colonel, ich habe mir etwas ausgedacht, was

Ihre Lage erleichtern wird. Dazu benötige ich Ihr
Einverständnis.«

Samson sah den Scout hoffnungsvoll an.
»Ich greife nach jedem Strohhalm, Haggerty. Sagen Sie mir,

was Sie vorschlagen wollen.«

»Ich reite nach Sand Springs, Colonel. Dort packe ich einen

Conestoga voll mit leeren Kisten und traile hierher. So wird
Running Bull glauben, daß Sie Ihr Wort halten. Er nimmt an,
die Gewehre sind unterwegs. Seine Wachsamkeit läßt nach. So
erhält Cochise die Chance, auf die er wartet. Vielleicht gelingt
es ihm wirklich, Running Bull zu töten und die anderen
Krieger zur Vernunft zu bringen. Cochise wird alles tun, um
eine größere Auseinandersetzung zu verhindern. Vielleicht
verstehen Sie nicht, Sir, warum sich der Jefe gegen seine
eigenen Vettern stellt. Cochise besitzt aber so viel Weitsicht,
daß er sich nicht von einigen kleinen Siegen blenden läßt.«

Colonel Stuart B. Samson blickte zu Boden und sah einen

großen schwarzen Käfer, der hurtig das Weite suchte.

»Einverstanden, Haggerty«, sagte er dann. »Kurbeln Sie das

in Sand Springs an. Vielleicht läßt sich Running Bull täuschen.
Ich bleibe mit meinen Leuten hier.«

John Haggerty erhob sich.
»Senden Sie keine Patrouillen aus, Sir, denn sonst gibt es

Tote. Das ist nur ein gutgemeinter Rat. Mir ist klar, daß ich
nicht in Ihre Pläne hineinreden kann. Ich kenne aber Land und
Leute. Das Camp wird stetig beobachtet. Running Bull ist über
alles informiert. Auch mir folgen Krieger, um herauszufinden,

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was ich vor habe.«

John Haggerty trat zu seinem Rapphengst und zog sich in

den Sattel. Ohne sich nochmals umzublicken, ritt der
großgewachsene Mann davon.

Träge senkte sich der von den Hufen aufgewirbelte Staub

wieder zu Boden.

Stuart Samson sah nachdenklich hinter Haggerty her. Und er

wünschte ihm alles Glück dieser Welt.

*

Cochise ritt nicht weit und zügelte seinen Pinto hinter einem
Dickicht, das ihm gute Deckung bot. Der Apachen-Chief glitt
kurze Zeit darauf hinter einen Felsen und wartete geduldig.

Er täuschte sich nicht.
Es dauerte nur wenige Minuten, ehe er Hufschläge vernahm.

Ein Krieger folgte der Fährte seines Mustangs. Er mußte den
Auftrag haben, herauszufinden, was der Häuptling der
Chiricahuas in den Pedrogosa Mountains suchte.

Cochise ließ Running Bulls Krieger herankommen und trat

hinter seiner Deckung hervor. Der Mimbrenjo erschrak und
blieb regungslos auf dem Pferderücken sitzen, als Cochise den
Gewehrlauf auf ihn richtete.

»Du wirst Cochise zu den weißen Squaws bringen oder

sterben«, sagte Cochise kalt. »Du weißt, wer zu dir spricht?«

Der abtrünnige Indianer nickte zögernd. Angst konnte

Cochise keine in seinen Augen feststellen. Der Mimbrenjo
schämte sich nur, seinem Gegner wie ein Anfänger in die Falle
gegangen zu sein.

»Du mußt Roten Speer töten. Er wird seinen Häuptling

Running Bull nicht verraten!«

Cochise lächelte sanft, ehe sein Gesicht wieder flintsteinhart

wirkte und seine Augen jede Freundlichkeit verloren.

»Das ehrt dich, Roter Speer. Cochise ist aber dein oberster

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Jefe. Du mußt ihm gehorchen. Cochise will nur mit Running
Bull nochmals sprechen. Es ist sehr wichtig. Auch dein Chief
würde damit einverstanden sein.«

So lockte Cochise und sah, daß seine Worte Eindruck bei

Roter Speer hinterließen.

Cochise senkte sogar den Lauf seines Gewehres, um den

Krieger noch mehr von seinen Worten zu überzeugen.

Roter Speer wirkte noch immer unschlüssig.
»Dein Chief ist noch nicht weit geritten, Roter Speer. Er

befindet sich ganz in der Nähe, um die Pferdesoldaten zu
beobachten. Führ mich zu ihm. Er wird mich zu den weißen
Squaws bringen, denn ich habe ihnen etwas von den
Langmesser auszurichten.«

»Ist der große Häuptling der Apachen nun zum Boten für die

Pferdesoldaten geworden?« fragte Roter Speer mißmutig.

Cochise beherrschte sich, obwohl ihn der Krieger mit diesen

Worten beleidigt hatte.

»Laß uns reiten, Roter Speer. Ich will mit Running Bull

reden.«

Der Mimbrenjo nickte. Cochise holte seinen Mustang.

Gemeinsam setzten die beiden Apachen den Ritt fort. Nach
einer halben Stunde wichen die Felsen zurück. Vor den Reitern
lag eine Waldinsel. Nichts deutete darauf hin, daß sich
Running Bull mit einigen seiner Krieger hier verborgen halten
sollte.

Es war aber so.
Cochise und Roter Speer wurden plötzlich von über einem

Dutzend finster blickender Apachen umringt. Der Chiricahua
ließ sich durch die drohenden Waffen nicht beeindrucken,
sondern glitt vom Rücken seines gefleckten Pferdes.

Er trat auf Running Bull zu, der ihn mit erstauntem

Gesichtsausdruck erwartete.

»Hat der große Häuptling der Apachen seine Meinung

geändert? Wird er nun Seite an Seite mit Running Bull gegen

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die Weißhäutigen kämpfen?« fragte er.

»Nein, Running Bull, ich bin gekommen, die weißen Squaws

zu holen.«

Der Chief der abtrünnigen Apachen starrte Cochise staunend

an, als wäre diesem ein zweiter Kopf gewachsen.

»Running Bulls Antwort lautet: nein. Cochise hätte sich den

Ritt sparen können.«

Der Chiricahua hatte mit keiner anderen Antwort gerechnet.
»Dann wird Cochise einen Zweikampf auf Leben und Tod

mit Running Bull austragen. Der Sieger erhält oder behält die
weißen Squaws. Cochise weiß, daß sein Gegner einem Kampf
nicht ausweichen wird.«

Diese Worte mußte der abtrünnige Krieger erst einmal

verdauen. Fassungslos blickte er Cochise an.

*

John Haggerty war erfahren genug, um schon bald zu
bemerken, daß er verfolgt wurde. Es waren zwei Krieger, die
ihm in sicherer Entfernung folgten und auch nicht aufholten,
als es der frühere Armee-Scout für einige Meilen langsamer
angehen ließ.

Der Falke kümmerte sich schließlich nicht mehr um die

Verfolger und ritt zügig weiter. Sein Trail führte ihn in
Richtung Sand Springs, einem kleinen Dorf dicht an der
mexikanischen Grenze.

Dort hoffte Haggerty, einen Wagen zu erhalten. Wie er es

anstellen sollte, daß ihm die Apachen die Sache mit den
Gewehren und der Munition abnahmen, wußte er noch nicht.

Kommt Zeit, kommt Rat, dachte John Haggerty und trieb

sein Pferd noch mehr an. Er hoffte, bis zum Sonnenuntergang
Sand Springs zu erreichen.

Manchmal wartete er und überzeugte sich davon, daß die

Verfolger noch immer hinter ihm ritten. Running Bulls Krieger

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ließen nicht locker.

John Haggerty zügelte seinen Rapphengst, als er den

klirrenden Trab von Soldaten vernahm, die kurze Zeit darauf
hinter einem Hügel hervorritten.

Die Blauröcke waren nicht minder überrascht, als John

Haggerty. Ein Lieutenant ließ anhalten. Es waren mehr als
dreißig Pferdesoldaten, die den ehemaligen Chief Scout
neugierig musterten.

Haggerty ritt zu ihnen hinüber und hob grüßend eine Hand.

Er nickte dem Lieutenant zu, der ihn forschend musterte.

»Mein Name ist John Haggerty, Lieutenant«, sagte der

einstige Armee-Scout.

»John Harris«, sagte der junge Offizier. »Ich kenne Sie von

General Howard, Mr. Haggerty.«

Die beiden Männer unterhielten sich noch eine Weile. Und es

stellte sich heraus, daß der Lieutenant mit den Soldaten zu
Colonel Samson unterwegs war. Er sollte dessen Leute
verstärken.

John nickte mehrmals. Er wußte, daß sich die Seiten

verhärteten. Nun standen ungefähr fünfzig bestens ausgerüstete
Soldaten einer Streitmacht von rund hundert Indianern
gegenüber.

Nur hielten die Apachen einen riesigen Trumpf in den

Händen, die beiden gefangenen Frauen.

Einige Minuten später ritt John Haggerty weiter, nachdem er

dem Lieutenant beschrieben hatte, wo er Colonel Samsons
Lager finden würde. Als John wieder einmal nach seinen
Verfolgern Ausschau hielt, mußte er feststellen, daß nur noch
ein Krieger auf seiner Fährte ritt.

Anscheinend war der andere Apache zu Running Bull

unterwegs, um die Ankunft weiterer Pferdesoldaten zu melden.

*

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»Running Bull wird nicht mit Cochise kämpfen. Es ziemt sich
für ihn nicht, gegen einen solch mächtigen und berühmten
Gegner anzutreten. Erst wenn sein eigener Name so groß ist,
wie der Name von Cochise, wird dieser Kampf stattfinden.«

Der Chiricahua verzog das Gesicht.
Besser hätte sich Running Bull nicht aus der Affäre ziehen

können, um sein Gesicht vor den Kriegern zu wahren.

»Cochise will aber den Kampf«, beharrte der Häuptling der

Chiricahuas. »Vielleicht ist Running Bull zu feige, um gegen
den Jefe der Apachen anzutreten.«

Diese Beleidigung konnte der abtrünnige Krieger nicht so

ohne weiteres wegstecken. Der selbsternannte Häuptling, der
ein ganz großer und berühmter Kämpfer werden wollte, legte
den Kopf schief und sah Cochise funkelnd an.

»Running Bull ist sicher, den Kampf zu gewinnen«, stieß er

zornig hervor. »Dann aber werden die Chiricahuas und auch
die anderen Stämme das Kriegsbeil gegen Running Bull
ausgraben. Apachen kämpfen gegen Apachen. Das wird
Running Bull nicht zulassen. Es steht zuviel auf dem Spiel. Die
Bleichgesichter sollen vernichtet werden und nicht die
lachenden Sieger sein.«

Wieder verhielt sich der junge Krieger geschickt. Cochise

mußte es neidlos eingestehen. So viel Intelligenz hatte er
Running Bull nicht zugetraut.

»Cochise besteht auf einen Kampf. Er versichert, daß seine

Chiricahuas keine Rache üben, sollte Running Bull gewinnen.«

»Cochise will also den Frieden mit den Bleichgesichtern und

den Pferdesoldaten«, stellte Running Bull fest. »Er verrät die
eigene Rasse, nur um vor den Weißhäutigen zu kuschen.
Cochise ist ein feiger Verräter. Running Bull kämpft nicht mit
ihm, denn er braucht seine ganze Kraft, um das Volk der
Apachen wieder mächtig werden zu lassen.«

Der Häuptling nickte einigen seiner Krieger kurz zu, die sich

auf Cochise stürzten, dem keine Chance in diesem ungleichen

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Kampf blieb. Es dauerte nicht lange dann stand der Chiricahua
mit gefesselten Händen vor dem aufständischen Apachen-
Chief.

»Einige meiner Leute bringen dich zu unserem Lager,

Cochise. Du wirst dort bleiben, bis mein Geschäft mit den
Blauröcken abgeschlossen ist. Wenn Running Bull erst über
die Donnerrohre verfügt, wird er den großen Kampf beginnen
und zuerst alle Pferdesoldaten töten. Viele hundert Krieger
werden ihm zulaufen und gemeinsam an seiner Seite kämpfen.
Cochise wird dann einsehen, daß er Unrecht hatte.«

Der Häuptling der Apachen sah ein, daß er Running Bull

gewaltig unterschätzt hatte. Der fanatische junge Krieger war
wirklich entschlossen, die Bleichgesichter zu verjagen.

Cochise saß wenige Minuten später gefesselt auf dem

Rücken seines Pintos. Der junge Chief würdigte ihn keines
Blickes mehr. Drei Indianer ritten mit Cochise los.

Dem Apachen-King gefiel das alles nicht besonders. Er

hoffte aber, eine Chance zur Flucht zu erhalten. Wenigstens
würde er bald wissen, wo die beiden weißen Squaws gefangen
gehalten wurden.

*

Friedlich und verlassen lag der Talkessel vor Priscillas Blicken,
die vor das Wicki-up getreten war. Delia kauerte im Innern auf
einem Fell. Sie war erschöpft.

Priscilla dachte an ihren Vater, den sie vor einigen Stunden

nur kurz gesehen hatte, als er mit dem Anführer der
Indianerbande verhandelte. Und sie konnte sich gut vorstellen,
wie es in ihm aussah. Sie wußte genau, wie sehr er seine Frau
und seine einzige Tochter liebte.

Wie wird das alles nur enden? fragte sich das junge

Mädchen. Angst stieg in ihr auf, obwohl sie sich in den letzten
Tagen und Stunden so tapfer in der Gewalt gehabt hatte.

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Tränen rannen über ihre bleichen Wangen. Zwei Apachen

sahen zu ihr herüber und wandten dann die Blicke ab.

Die Dämmerung legte ihre dunklen Schleier über das Tal.

Die Konturen verwischten. Einige Mustangs wieherten, denn
irgendwo heulte ein Wolf schaurig.

Bei den Pferden hielten sich zwei Krieger auf. Andere hatten

sich in die Wicki-ups zurückgezogen.

Hufschläge ertönten. Vier Reiter näherten sich und hielten

eine halbe Steinwurfweite entfernt die Mustangs an.

Priscilla erkannte, daß einem Apachen die Hände auf dem

Rücken gefesselt waren. Der Gefangene wurde in ein Wicki-up
gebracht. Zwei Wächter bezogen Posten davor.

Einer der Neuankömmlinge blickte zu Priscilla hinüber, ehe

er sich dem Lagerfeuer näherte, dessen Lichtschein über sein
verwegenes Gesicht zuckte.

Priscilla Samson trat zu dem Krieger.
»Wer ist der Gefangene?« fragte sie.
Zuerst sah es aus, als wolle der Krieger nicht antworten.

Dann stieß er nur ein Wort hervor: »Cochise!«

Priscilla verstand nicht so richtig. Natürlich wußte sie, daß

Cochise der Häuptling der Apachen war. Warum hatte man den
Apachen-King gefangen? Warum hielt man ihn hier fest?

Auf ihre Fragen antwortete der Krieger nicht. Das junge

blonde Mädchen kehrte ins Wicki-up zurück, um ihrer Mutter
von der Neuigkeit zu berichten.

*

»Lassen Sie absitzen, Lieutenant. Ich freue mich, daß Sie mit
Ihren Leuten das Camp gefunden haben. Ich kann Verstärkung
brauchen, denn mittlerweile sind es bereits über hundert rote
Teufel, die uns an den Kragen wollen. Und ich nehme an, daß
täglich Dutzende von Apachen zu den Aufständischen stoßen.«

Colonel Stuart B. Samson schwieg und lächelte ernst. Der

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Lieutenant grüßte und marschierte zu seinen Leuten zurück,
um sie absitzen zu lassen.

Sergeant Hasting trat zu seinem Vorgesetzten.
»Was gibt es, Sergeant?« fragte der Offizier.
»Es geht um die Verpflegung, Sir. Unser Proviant reicht

nicht mehr lange. Bald sind unsere Rationen aufgebraucht.
Wenn ich mich recht entsinne, dann soll der Tausch der
Gewehre gegen die Frauen erst in acht Tagen stattfinden.
Solange können wir nicht von Wurzeln und Beeren leben.«

»Gut, daß Sie mich daran erinnern. Daran habe ich auch

schon gedacht. Niemand konnte wissen, daß wir uns so lange
hier aufhalten müssen. Lassen Sie drei Jagdkommandos bilden.
Die Manner dürfen sich aber nicht zu weit vom Lager
entfernen. Außerdem sollten sie die Rothäute in Frieden lassen
und sich nur wehren, wenn sie angegriffen werden. Ist das
klar?«

»Jawohl, Sir!«
Hasting stampfte davon. Gleich darauf donnerte seine

Stimme los. Einige Männer sprangen auf. Sie sollten auf die
Jagd gehen.

Lieutenant John Harris und Lieutenant Mark Wolter traten zu

dem Offizier, der ihnen düster entgegenblickte.

»Schon gut, Männer«, murmelte Samson, als die beiden

Offiziere grüßen wollten. »Was kann ich für Sie beide tun?«

John Harris ergriff das Wort.
»Lieutenant Wolter hat mich ausreichend informiert und mir

auch von Haggerty erzählt. Ich habe den Scout unterwegs
getroffen. Er ist auf dem Weg nach Sand Springs, Sir.
Vielleicht gelingt sein Bluff. Ich habe mir aber folgendes
überlegt: Wir dürfen diesen Running Bull nicht unterschätzen.
Haggerty braucht Hilfe und zwar von uns. Dieser Häuptling
wird bestimmt den Conestoga schon in der Nähe von Sand
Springs überfallen, um die Gewehre an sich zu bringen. Wenn
der Apache den Bluff merkt, kommt es niemals zu einem

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Tausch. Wenn wir aber den Wagen mit dreißig oder mehr
Soldaten begleiten lassen, wird Running Bull vielleicht vor
einem Angriff zurückschrecken.«

Colonel Samson nickte dem jungen Lieutenant anerkennend

zu.

»Sie denken mit, Mr. Harris«, sagte er dann. »Das findet man

selten in der Armee. Ich danke Ihnen für den Vorschlag und
werde Ihnen bald meine Entscheidung mitteilen.«

*

Zwei Tage waren vergangen.

John Haggerty hatte Sand Springs erreicht und kaufte einen

Conestoga-Wagen und acht Pferde, obwohl diese Art von
Transportwagen meistens von Ochsengespannen gezogen
wurden. Da der Trail aber ziemlich flach war und John auch
genügend Wasserstellen kannte, wollte er den Pferden den
Vorzug geben.

Er ließ den Wagen mit Holzkisten beladen, kaufte einige

Fäßchen Pulver und auch zwei Kisten Dynamitpatronen, die er
oben auf die Kisten packte, in denen sich angeblich die hundert
Gewehre befinden sollten.

John betrachtete grinsend sein Werk. Der Store-Besitzer, ein

kleiner, rundlicher Mann, rieb sich die Hände. Er war von dem
ehemaligen Armee-Scout eingeweiht worden, was sich dort
draußen im Niemandsland tat.

»Hoffentlich gelingt Ihr Plan, Mr. Haggerty«, sagte der

Store-Besitzer, der auf den wundersamen Namen Herakiel
Wonderstone hörte. »Wenn Sie die aufständischen Indianer
nicht zur Räson bringen, ist auch Sand Springs bedroht. Gegen
einige hundert Apachen können wir uns nicht lange halten. Die
metzeln uns gnadenlos nieder.«

John Haggerty lächelte.
»Wir geben alles, was in unseren Kräften steht, um mit

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diesem Running Bull und seiner wilden Schar fertig zu werden.
Sollten mich die Kerle unterwegs angreifen, dann genügt schon
eine Kugel, um den Conestoga in die Luft zu jagen. Natürlich
muß ich aufpassen, nicht ebenfalls die Himmelfahrt anzutreten.
Vielleicht gelingt es Cochise in der Zwischenzeit, die beiden
Frauen zu befreien.«

John Haggerty konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, daß

der Jefe der Chiricahuas gefangen war.

»Ich drücke Ihnen sämtliche Daumen, Haggerty. Es wäre

nicht auszudenken, wenn sich dieser Running Bull durchsetzt.
Auf jeden Fall informiere ich den Stadtrat und alle wehrfähigen
Männer, wenn Sie die Stadt wieder verlassen haben. Wir
müssen uns auf einen Angriff vorbereiten.«

»Tun Sie das«, erwiderte John Haggerty. Er holte seinen

Rappen und band das Tier hinten am Conestoga fest, ehe er
sich auf den Kutschbock schwang und nach der Peitsche griff.

»Vorwärts, ihr alten, müden Tanten«, rief John Haggerty. Er

knallte mit der Peitsche. Die Pferde, die schon öfter im
Gespann gegangen waren, zogen gleichmäßig an. Ehe John das
Ende der staubigen Main Street erreichte, hatte er die acht
Pferde bereits voll unter Kontrolle.

Sand Springs blieb hinter Haggerty zurück. Vor ihm lag

schon bald wieder das öde und unfruchtbare Niemandsland, in
dem sich nur Klapperschlangen, Wölfe und Eidechsen gute
Nacht sagten.

Die Sonne stand wie ein gefräßiges Ungeheuer am Himmel

und sandte ihre glühenden Strahlen hernieder, die von Mensch
und Tier alles abverlangten.

Neben John lag die Winchester griffbereit. Er hielt Ausschau

nach dem Krieger, der ihm bis zur Stadt gefolgt war, doch er
konnte ihn nicht entdecken.

Bestimmt war der Indianer bereits auf dem Weg zu Running

Bull, um ihm zu melden, daß der Waffentransport rollte.

Stunden vergingen.

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Die größte Mittagshitze wartete John unter dem Laubdach

eines Baumes ab, um sich und die Pferde zu schonen. Dann
setzte er seinen Trail fort.

Noch immer war kein menschliches Wesen zu sehen. John

Haggerty konnte das öde Gelände gut überblicken, denn noch
war der Trail sehr eben. Rechts von ihm erhoben sich die ersten
Ausläufer der Pedrogosa Mountains in den blauen und
wolkenlosen Himmel.

John erkannte plötzlich eine kleine Staubfahne in der Ferne

und griff nach seinem Gewehr. Es konnten aber höchstens zwei
oder drei Reiter sein.

Einige Minuten später erkannte der frühere Armee-Scout von

General Howard, daß es nur ein Reiter war, der sich langsam
näherte. Sein Tier mußte sehr erschöpft sein.

Es handelte sich um einen Apachen, der auf den Conestoga

zuhielt. Zuerst glaubte John, es wäre Cochise, dann aber wußte
er, daß er sich getäuscht hatte.

Der junge Krieger zügelte seinen erschöpften Mustang, der

mit einem zähen Brei aus Staub und Schweiß überzogen war.
Auch der Apache wies alle Merkmale auf, daß hinter ihm ein
Höllenritt lag.

John Haggerty senkte den Lauf seines Gewehrs, denn der

Apache schien keine feindlichen Absichten zu hegen.

So war es auch.
Irgendwie glaubte der Scout, den Indianer früher schon

einmal gesehen zu haben, wußte aber nicht wo, so sehr er auch
sein Gedächtnis strapazierte.

»Mein Name ist Gelbe Feder, Falke«, sagte der Indianer.

»Ich bin ein Chiricahua, habe mich aber bereits vor Wochen
Running Bull angeschlossen. Nun sehe ich ein, daß es ein
Fehler war. Running Bull hat Cochise gefangennehmen lassen.
Cochise wollte einen Zweikampf mit dem Jefe. Cochise
befindet sich in dem Tal, in dem die Frauen gefangengehalten
werden.«

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John zeigte seine Überraschung nicht. Forschend blickte er

den jungen Krieger an.

»Gelbe Feder spricht die Wahrheit«, sagte der Apache ernst.

»Er will diese Nachricht dem Falken überbringen, damit sein
roter Bruder Cochise nicht sterben muß.«

»Ich danke dir für diese Nachricht.«
John saß regungslos. Diese Neuigkeit brachte seine ganzen

Pläne ins Wanken. Er mußte Cochise und die Frauen befreien,
sonst würde der Bluff mit den Gewehren nicht ziehen.

»Wirst du mir den Weg zu dem Tal beschreiben, in dem

Cochise gefangengehalten wird?« fragte Haggerty.

Gelbe Feder nickte sofort.
Er beschrieb den Weg zu dem Talkessel, so gut es ihm

möglich war und wollte danach zur Apacheria reiten, um seine
ehemaligen Stammesbrüder zu informieren.

Der Chiricahua ritt bald weiter. Ihm würde nichts anderes

übrigbleiben, als eine Pause einzulegen, sonst überlebte sein
Mustang die weitere Strecke nicht.

John Haggerty trieb das Achtergespann an. Die Pferde

stemmten sich willig ins Geschirr. Johns Gedanken
überschlugen sich, suchten nach einer Lösung, wie er alle seine
Probleme unter einen Hut bringen konnte.

Vor allem mußte er Cochise und die Frauen befreien.

*

Mitternacht mochte vorüber sein, als sich Priscilla Samson von
dem Lager aus Fellen erhob. Ihre Mutter schlief unruhig,
wälzte sich schon seit geraumer Zeit von einer Seite auf die
andere.

Priscilla selbst hatte keinen Schlaf finden können. Der

gefangene Apache ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Sie
wollte ihn unbedingt sprechen. Vielleicht konnte er ihr und der
Mutter die Rettung bringen und für ihre Befreiung sorgen.

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Die junge Frau wußte natürlich längst, daß ihr Wicki-up seit

ihrem letzten Fluchtversuch bewacht wurde. Die Indianer
wollten kein neues Risiko mehr eingehen.

Priscilla lauschte, konnte aber von außerhalb keine

verdächtigen Geräusche vernehmen. Sie spähte durch eine
Ritze hinaus und sah das niedergebrannte Lagerfeuer.
Vorsichtig kroch Priscilla ins Freie.

Sie blieb regungslos liegen, als sie zwei Apachen erkannte,

die in der Nähe eines Baums standen und sich unterhielten. Es
mußten die beiden Posten sein, deren Aufgabe es war, ihr
Wicki-up zu bewachen.

Priscilla kroch weiter auf die Unterkunft zu, in der sich der

gefangene Indianer aufhielt. Die junge Frau fühlte ihr Herz
schneller schlagen, als die beiden Wächter plötzlich ihre
Unterhaltung beendeten und ihren Rundgang fortsetzten.

Einer der Wachposten marschierte so nahe an Priscilla

vorbei, daß er ihr beinahe auf den Fuß trat. Die junge Frau hielt
den Atem an und schickte ein Dankgebet zum Himmel, als sich
die Schritte des Apachen endlich entfernten.

Sie kroch weiter, blieb in einer Bodenmulde liegen und sah

sich um. Niemand schien ihre Flucht entdeckt zu haben, denn
im Lager blieb alles ruhig.

Einige Minuten später erreichte sie das Wicki-up des

Gefangenen. Vor dem Eingang saß ein Apache, dessen Kopf
auf die Brust gesunken war.

Es dauerte einige Zeit, bis Priscilla eine Öffnung fand, durch

die sie in das Jacale kriechen konnte. Sie blieb am Boden
liegen. Es war zu dunkel, um im ersten Moment etwas
erkennen zu können. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen
an die Dunkelheit. Durch einige Ritzen fiel Mond- und
Sternenlicht herein.

Sie vernahm Geräusche und den Atem eines Menschen.
»Hallo«, rief Priscilla unsicher. »Cochise?«
»Wer bist du?« flüsterte eine Stimme. »Der Häuptling der

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Apachen liegt hier gefesselt.«

Die blondhaarige Frau kniete sich neben Cochise, der an

Händen und Füßen verschnürt war. Der Jefe wuchtete seinen
Oberkörper in die Höhe.

»Du bist Priscilla Samson«, sagte Cochise. »Der Apache ist

dein Freund. Er ist gekommen, um euch zu helfen.«

»In Fesseln?« fragte die junge Frau. »Will so der Häuptling

der Apachen die weißen Squaws befreien?«

Nun lächelte Cochise.
»Er wird es dir später erklären, Squaw. Schleich in dein

Wicki-up zurück. In wenigen Minuten wird ein Wächter nach
Cochises Fesseln sehen. Komm in einer Stunde wieder. Dann
fliehen Cochise und die beiden Squaws.«

Priscilla Samson nickte und blickte den großen Chiricahua

lange an. Sie hoffte, diesem Mann, der gefesselt vor ihr saß,
vertrauen zu können.

»Ich komme wieder, Cochise«, flüsterte die junge Frau, ehe

sie das Wicki-up verließ und zurückschlich, ohne gesehen zu
werden. Delia schlief noch immer unruhig.

Priscilla legte sich auf das Lager aus weichen Fellen. Hin

und wieder vernahm sie die leisen Schritte der Wächter, die
ihre Runden drehten.

Es wird alles gut werden, dachte Priscilla. Cochise hilft uns,

wenn ich ihn befreie. Er ist erfahren genug, um uns von hier
fortzubringen. Es gibt so viele Legenden um den mutigen und
tapferen Häuptling der Apachen. Er wird das schaffen, was mir
vor zwei Tagen nicht gelungen ist.

*

John Haggerty saß mit verkniffenem Gesicht auf dem
Kutschbock des Conestogas. Die Pferde zeigten erste
Ermüdungserscheinungen und taten sich schwer, den Wagen zu
ziehen. Außerdem stieg der Trail leicht an, führte nun in die

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Pedrogosa Mountains hinein.

Längst war John klargeworden, daß ihm ein Fehler in seinen

Plänen unterlaufen war. Sein Bluff konnte ganz leicht platzen,
sollte er von den aufständischen Apachen überfallen werden.

Und allein blieb ihm kaum eine Chance, einen Ansturm von

dreißig oder gar vierzig Indianern abzuwehren.

So fiel auch dem einstigen Armee-Scout ein riesiger

Felsbrocken von der Seele, als er plötzlich einen Zug Soldaten
zwischen zwei Hügeln hervorreiten sah.

Die Blauröcke hielten auf den Conestoga zu. Mondlicht

spiegelte sich auf den Waffen der Soldaten, deren Pferde sich
im typisch klirrenden Trab der Kavallerie näherten.

John Haggerty zügelte das Gespann und lehnte sich

erleichtert zurück. Dann sprang er vom Kutschbock und trat
auf Lieutenant Harris zu, der aus dem Sattel glitt und John
entgegenstiefelte.

»Hallo, Haggerty. Es war nicht einfach, Sie zu finden. Wir

haben schon geglaubt, daß Sie von den Apachen einkassiert
worden wären.«

John Haggerty reichte dem schnauzbärtigen Lieutenant die

Hand, der die Erleichterung seines Gegenübers deutlich
erkannte.

»Ich habe mit einem Angriff der Apachen gerechnet, Harris«,

erwiderte der Scout. »Das ist der schwache Punkt in meinem
Plan, an den ich nicht dachte. Nun weiß ich aber auch, warum
Running Bull nicht angreifen ließ, obwohl er und seine Krieger
bestimmt irgendwo in der Nähe lauern. Er muß erfahren haben,
daß Sie mit den Soldaten auf dem Weg zu mir sind. Das ließ
ihn vorsichtig werden. Ich freue mich, daß Sie und Ihre Leute
hier sind. Nun kann wenigstens vorläufig nichts mehr
schiefgehen.«

John Harris nickte zufrieden.
»Wer ist auf die Idee gekommen, mir entgegen zu reiten?«
»Es war mein Einfall, Haggerty, und ich machte den Colonel

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darauf aufmerksam. Er stimmte zu, und nun bin ich hier.«

»Befindet sich unter Ihren Leuten ein tüchtiger Bursche, der

den Wagen fahren kann, Lieutenant? Ich muß fort, denn ich
habe erfahren, daß Cochise gefangengenommen wurde. Es
wird ihm kaum gelingen, die beiden Frauen zu befreien. Auch
das Leben des Chiefs schwebt in großer Gefahr. Wenn dieser
Running Bull irgendwann durchdreht, weil nicht alles nach
seinen Plänen läuft, könnte er sich an Cochise rächen. Ich muß
meinem roten Bruder helfen. Sie verstehen das doch,
Lieutenant?«

John Harris nickte und zupfte am Oberlippenbart, der seinem

Gesicht einen verwegenen Ausdruck verlieh.

»Wir kommen mit dem Conestoga schon klar, Mr. Haggerty.

Ich drücke Ihnen die Daumen bei Ihren Ausflug. Meine Leute
werden hier bis zum Morgengrauen campieren.«

Der junge Lieutenant blickte auf den Wagen, von dessen

Fracht nichts zu sehen war, denn die Plane verdeckte alles.

»Was haben Sie nun wirklich auf dem Wagen geladen?«

fragte Harris.

»Keine Gewehre, wenn Sie das meinen. Ich kenne die

Spielregeln, Lieutenant. Waffen für die Indianer, das ist wohl
zur Zeit eines der schwersten Verbrechen, die es gibt. Ein paar
Fäßchen mit Pulver und einige Dutzend Dynamitpatronen
liegen auf leeren Kisten. Es ist also eine hochbrisante Fracht.
Ein einziger Treffer genügt, um alles explodieren zu lassen. Es
sollte für die Rothäute eine Überraschung sein, falls sie mir zu
dicht auf den Pelz gerückt wären.«

John Harris schmunzelte.
»Ihnen fällt wohl immer etwas ein, Haggerty«, sagte er. »Ich

nehme aber an, daß die aufständischen Apachen nicht
angreifen, wenn wir den Wagen begleiten.«

Harris wischte sich über Kinn.
»Haben Sie Ersatzkleidung in den Satteltaschen?«
Haggerty verstand sofort, worauf der Lieutenant

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hinauswollte und nickte.

»Okay, ich gebe sie Ihnen. Dann wird man den Kutscher, der

meine Klamotten anzieht, für mich halten und nicht ahnen, daß
ich inzwischen schon lange unterwegs bin. Das ist eine
ausgezeichnete Idee, Mr. Harris.«

»Wann wollen Sie los?«
»Sofort, denn es gilt, keine Zeit zu verlieren. Sie und Ihre

Leute sollten sich nicht allzusehr beeilen. Die Frauen und auch
Cochise müssen erst frei sein. Mit den Geiseln hält dieser rote
Halunke alle Trümpfe in den Händen.«

Lieutenant Harris trat zu seinen Leuten und gab einige

Befehle. John Haggerty holte inzwischen seine
Reservekleidung aus den Satteltaschen hervor. Er reichte sie
einem Korporal, der an seiner Stelle den Conestoga kutschieren
sollte.

Der Soldat hatte ungefähr Johns Figur. Er zog sich im Wagen

um und kroch wieder unter der Plane hervor.

»Es paßt einigermaßen, Sir«, sagte er. »Nun sollten Sie mir

aber noch Ihren Stetson geben, damit auch alles so echt wie nur
möglich aussieht.«

»Okay.« John Haggerty stülpte dem Korporal den Hut auf

den Schädel. Er schwang sich in den Sattel, nickte den beiden
Männern grüßend zu und ritt los.

Der Scout nützte alle Deckungsmöglichkeiten und verhielt

auf einem Hügel, um das Gelände vor sich zu beobachten. Ein
Fernglas, das auch bei Nacht ausgezeichnete Dienste tat, half
dem großgewachsenen Mann sehr.

Es dauerte nicht lange, bis er den Apachentrupp entdeckte.

Die Krieger lauerten auf einem anderen Hügel und
beobachteten von dort aus den Conestoga und die Soldaten.

John Haggerty konnte sich nicht vorstellen, daß die Indianer

angriffen. Das Risiko mußte ihnen gegen diese Anzahl
Pferdesoldaten zu groß sein.

Haggerty ritt weiter. Er mußte das Tal finden, in dem die

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Frauen und Cochise gefangengehalten wurden. John rief sich
die Beschreibung von Gelbe Feder ins Gedächtnis zurück.

Es war ein langer Trail bis zu diesem Talkessel. Und John

wußte, daß in der Zwischenzeit viel geschehen konnte.

Haggerty aber war ein Mann, der niemals aufgab, solange es

noch einen Funken Hoffnung gab. In dieser Beziehung ähnelte
er Cochise sehr.

*

Priscilla Samson war wie in Schweiß gebadet, als sie eine
Stunde später erneut das Wicki-up erreichte, in dem der
Häuptling der Apachen gefangen gehalten wurde.

Sie kroch zu Cochise, der aufgerichtet am Boden saß und

wohl schon auf die junge Frau gewartet hatte.

»Du mußt meine Fesseln lösen, Squaw«, sagte der Chief

leise. »Hast du ein Messer?«

Priscilla schüttelte den Kopf. Ihre langen Haare wirbelten ihr

nur so um die Ohren.

»Es wird auch so gehen«, flüsterte sie.
Einige Minuten später fielen die Handfesseln. Cochise löste

selbst die Rohlederriemen, die seine Beine zusammenhielten.

»Wie soll es weitergehen?« fragte Priscilla mit vibrierender

Stimme, in der Angst lag. »Wir müssen Mutter holen. Sie
schläft und weiß nichts von allem.«

»Du wartest hier, Squaw. Cochise schaltet die Wächter aus.

Dann holen wir die andere weiße Frau.«

Ehe Priscilla nicken konnte, hatte Cochise auch schon das

Jacale verlassen. Er orientierte sich kurz und schlich los. Er sah
einen Wächter einige Schritte entfernt im Gras sitzen.

Cochise ließ dem Krieger keine Chance, sondern hieb ihm

die Faust mit solcher Wucht in den Nacken, daß der Indianer
bewußtlos zu Boden sank.

Mit dem anderen Wachposten verfuhr Cochise ähnlich. Er

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schlich zum Wicki-up der weißen Gefangenen. Auch dort
schaltete er die Wächter aus.

Auch dem Posten am fast niedergebrannten Lagerfeuer ließ

der Häuptling der Apachen keine Chance. Um die anderen
Krieger, die in den Wicki-ups schliefen, kümmerte sich
Cochise nicht. Er holte Priscilla, die einige Mühe hatte, ihrer
aus dem Schlaf hochschreckenden Mutter zu erklären, was
geschehen war.

Delias Gesicht verzerrte sich vor Angst. Auch schien ihr

Cochise nicht ganz geheuer zu sein.

Die drei Menschen verließen das Wicki-up und kauerten

hinter einem Dickicht nieder. Die Mustangs der aufständischen
Indianer standen nur eine Steinwurfweite entfernt. Nur ein
Krieger bewachte die Tiere.

»Cochise wird ihn ausschalten und den dreimaligen Ruf

eines Käuzchens ausstoßen. Ihr solltet dann zu ihm eilen.«

Der Häuptling verschwand in der Dunkelheit. Priscilla legte

einen Arm um die Schultern ihrer Mutter. Delia zitterte am
ganzen Körper. Sie war einfach den Aufregungen der letzten
Tage und Stunden nicht mehr gewachsen.

»Cochise ist ein großer Krieger, Mutter«, hauchte Priscilla.

»Er hat alle Wächter ausgeschaltet und wird auch noch den
Wachposten dort drüben bei den Pferden niederschlagen.«

So geschah es auch. Die beiden Frauen liefen zu den Pferden

hinüber, nachdem der dreimalige Schrei eines Käuzchens die
nächtliche Stille durchschnitten hatte.

Cochise nickte zufrieden. Er deutete auf drei Mustangs, die

dicht neben ihm standen.

»Reitet los und haltet nicht an. Cochise folgt euch in wenigen

Minuten. Er wird sich bewaffnen und dann die Mustangs
davonjagen, damit die Krieger nicht sofort die Verfolgung
aufnehmen können.«

Delia erschauerte, als sie auf das Pferd blickte. Cochise griff

zu und hob die sich sträubende Frau auf den Rücken des

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Pferdes. Priscilla kletterte ohne Hilfe auf das Pony.

Cochise legte einen Finger auf den Mund, um anzudeuten,

daß die weißen Squaws nur im Schritt reiten sollten. Priscilla
nickte dem Chief zu.

Die unbeschlagenen Hufe der Indianermustangs verursachten

kaum Geräusche auf dem Grasteppich. Priscilla und Delia
verschwanden Sekunden später in der Dunkelheit.

Cochise lauschte. Er huschte zu den niedergeschlagenen

Wächtern und bewaffnete sich. In den Wicki-ups regte sich
nichts. Der Chiricahua glitt zu den Pferden zurück, näherte sich
dem Pinto, der seinen Herrn witterte und leise schnaubte.

Cochise zog sich auf den Pferderücken. Es gelang ihm, die

Mustangs davon zutreiben. Als er dann auch noch wie ein
hungriger Wolf aufheulte, sausten die Tiere ganz davon.

Dumpf dröhnten die Hufschläge durch den Talkessel. In den

Wicki-ups wurde es lebendig. Apachen stürmten heraus und
sahen sich verwirrt um. Sie erkannten die niedergeschlagenen
Wächter und wußten sofort, was geschehen war.

Ein Schuß peitschte auf, der jedoch keinen Schaden

anrichtete, sondern auch den letzten Krieger hochscheuchte.
Wütendes Geheul schallte hinter dem Häuptling der Apachen
her, auf dessen Gesicht aber nur die Andeutung eines Lächelns
erschien.

*

Der Morgen graute.

Der Conestoga-Wagen rumorte eine Anhöhe hoch, flankiert

von den Blauröcken, die ihre Gewehre bereithielten und in das
Ungewisse Licht des beginnenden Tages starrten.

Lieutenant John Harris ritt an der Spitze seiner Soldaten. Er

wirkte nervös, dachte immer wieder an die Last der
Verantwortung, die auf seinen Schultern ruhte.

Plötzlich waren sie da.

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Mehr als fünfzig Apachen tauchten hinter allen nur

möglichen Deckungen auf. Waffen richteten sich auf die
Soldaten, die ihre Pferde zügelten.

»Nur ruhig Blut, Jungs«, rief der Lieutenant lässig, dessen

Nervosität von einer Sekunde zur anderen schwand. »Die roten
Halunken greifen nicht an. Wenigstens vorerst noch nicht. Die
wollen erst mal herausfinden, wie wir reagieren.«

So war es auch.
»Absitzen!« befahl John Harris. »Geschossen wird nur, wenn

ich es befehle!«

Ein Reiter tauchte hinter einem Felsbrocken auf. Er ritt auf

den Wagen und die Soldaten zu, verhielt dann eine
Steinwurfweite entfernt und hob eine Hand.

John Harris' Gesicht verzog sich, ehe ein Ruck durch seinen

schlanken Körper ging. Er zog sich in den Sattel.

»Sergeant Hull, Sie übernehmen das Kommando. Ich will

mit dem Indianer sprechen!«

Cris Hull nickte. Er war ein erfahrener Unteroffizier, der

Land und Leute kannte und dem die Soldaten blind vertrauten.

Harris ritt los und zügelte sein Pferd wenige Yards vor dem

breitschultrigen Apachen, der ihn mit unbewegtem Gesicht
ansah.

»Ich sein Running Bull«, sagte der Chief. »Ich kommen und

holen Waffen. Du kriegen Squaws.«

»Lieutenant John Harris«, sagte der Offizier. »Ich bedaure,

dir die Waffen nicht übergeben zu können. Das wird Colonel
Samson übernehmen und zwar an dem Ort, wo er es vereinbart
hat.«

Running Bull starrte den Lieutenant feindselig an. In seinem

breitflächigen Gesicht arbeitete es.

»Running Bull haben Waffen jetzt«, radebrechte der

selbsternannte Häuptling der aufständischen Apachen.
»Blaurock kriegen Squaws hier. Egal wo. Du wollen, daß
Apachen angreifen?«

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John Harris schüttelte bestimmt den Kopf. Diese Bewegung

hatte etwas endgültiges an sich.

»Wir sollten uns an die Vereinbarungen halten, Häuptling.

Wenn deine Krieger angreifen, gibt es ein Blutbad. Meine
Soldaten kämpfen bis zur letzten Patrone.«

Running Bull knirschte mit den Zähnen. Er sah seine Felle

davonschwimmen und bedauerte wohl in diesen Sekunden,
nicht ohne Warnung angegriffen zu haben.

Die beiden Männer sahen sich stumm an. John Harris hielt

dem funkelnden Blick von Running Bull stand, der schließlich
den Kopf senkte, den Mustang herumzog und zu seinen
Kriegern zurückritt.

Auch Harris beeilte sich, zu seinen Soldaten zurückzureiten.

Dort sprang er aus dem Sattel.

»Alarmstufe eins, Leute«, rief der Lieutenant. »Vielleicht

greifen die roten Bastarde an. Sie wollen die Gewehre. Und
wenn die Apachen angreifen, dann müssen wir um etwas
kämpfen, das es überhaupt nicht gibt. Es muß sein, sonst ist
unser Bluff gescheitert.«

Die Soldaten nickten, gingen in Deckung, igelten sich ein

und warteten auf den Angriff der Indianer.

Nichts geschah.
Die Apachen ritten davon. Bald lag das Gelände leblos vor

den Blauröcken. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne
legten sich golden über das zerklüftete Bergland der Pedrogosa
Mountains.

Lieutenant Harris fuhr sich übers Kinn. Er blickte Cris Hull,

den Sergeant, ein wenig ratlos an.

»Wir sollten eine halbe Stunde warten, ehe wir den Trail

fortsetzen, Sir. Wenn Sie dann einverstanden sind, erkunde ich
mit drei unserer Leute das Terrain.«

»Einverstanden, Sergeant«, antwortete John Harris. »Wir

müssen verdammt aufpassen, damit wir nicht unsere Skalps
verlieren. Dieser Running Bull spielt mit gezinkten Karten. Er

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glaubt, uns übertölpeln zu können.«

Der bärtige Sergeant lächelte verhalten.
»Das schafft dieser Bursche nie, Sir«, antwortete er. »Er

hätte nur eine Chance gehabt, wenn er aus dem Hinterhalt über
uns hergefallen wäre.«

Cris Hull blickte zum Wagen.
»Eine Kugel genügt, um den Conestoga in die Luft zu jagen.

Wir sitzen auf einem Pulverfaß.«

Lieutenant Harris nickte ernst.
»Solange Running Bull aber die Waffen und die Munition im

Wagen vermutet, wird er nicht auf den Conestoga schießen
lassen. Das ist unsere Chance.«

*

»Ich kann nicht mehr«, stöhnte Delia Samson, die mit beiden
Armen den Pferdehals umklammerte und trotzdem langsam
vom Rücken des Mustangs rutschte.

Cochise sprang vom Pferderücken und fing die weiße Squaw

in letzter Sekunde auf. Er ließ Delia zu Boden gleiten. Colonel
Samsons Frau blieb jammernd sitzen.

Priscilla trat zu ihrer Mutter und kniete sich neben die

stöhnende Frau. Sie legte einen Arm um ihre Schulter, während
sie mit der anderen Hand über Delias schweißglänzendes
Gesicht wischte und ihr aufmunternd zuredete.

Cochise blickte nachdenklich auf die beiden Squaws, die ihn

in den letzten zwei Stunden daran gehindert hatten, die Flucht
schneller fortzusetzen.

Der Häuptling der Apachen wußte, daß er verfolgt wurde. Es

waren zwar nur wenige Krieger, die den Fährten folgten, doch
Cochise ahnte, daß längst ein Bote unterwegs zu Running Bull
war.

Und da er sich mit den beiden Frauen noch immer in den

Bergen aufhielt und noch viele Meilen bis zum Camp der

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Blauröcke vor ihnen lagen, bestand die Gefahr, von den
aufständischen Apachen den Weg verlegt zu bekommen.

»Wir müssen weiterreiten«, rief Cochise. »Die weißen

Squaws sind noch lange nicht in Sicherheit.«

Delia hob den Kopf. Wie ein gepeinigtes Tier sah sie den

Häuptling der Chiricahuas an. Priscilla half ihrer Mutter auf die
Beine. Delia rieb sich verstohlen über ihren verlängerten
Rücken. Sie hatte sich wundgeritten.

Cochise kannte kein Erbarmen, wußte er doch, daß ihr aller

Leben davon abhing, nicht wieder den aufständischen Apachen
in die Hände zu fallen. Sie mußten den Ritt fortsetzen. Der
Chief wollte einen Kampf vermeiden. Wie leicht konnten die
Frauen von einer Kugel oder einem Pfeil getroffen werden.

»Es geht nicht anders, Mutter«, flüsterte Priscilla. »Bald sind

wir bei Vater. Das allein zählt. Dieser tapfere Mann hat uns aus
den Händen der Indianer befreit. Soll denn alles umsonst
gewesen sein? Auch mir geht es nicht besonders gut, Ma, und
ich sehne das Ende des Rittes herbei.«

Cochise kletterte einen Hügel empor, von dessen Kuppe aus

er sich eine gute Sicht versprach. Er blinzelte, als
Sonnenstrahlen sein Gesicht trafen und legte eine Hand
schützend an die Stirn.

Er sah die Verfolger. Drei Krieger blieben hartnäckig auf

seiner Fährte.

Cochise lächelte grimmig. Mit diesen drei Verfolgern würde

er schon fertig werden. Mehr Sorgen bereitete ihm Running
Bull. Sollte der Chief erfahren, daß Cochise und den beiden
Squaws die Flucht geglückt war, stand der selbsternannte
Häuptling ohne seine Trümpfe da.

Sein rauhes Spiel war verloren, noch ehe es in die Endphase

getreten war.

Cochise eilte zu den Frauen zurück, die inzwischen stöhnend

auf die Pferderücken geklettert waren.

»Tapfere Squaws«, sagte Cochise lobend. Er übernahm die

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Führung. Hin und wieder sah er sich nach den Verfolgern um,
die aufholten, denn Delia und Priscilla behinderten die Flucht
noch immer.

Schließlich sah Cochise ein, daß er mit den drei Kriegern

kämpfen mußte, ehe sie vollends herangekommen waren.

Er zügelte seinen Pinto zwischen einigen Felsschroffen.

Delia Samson rutschte aus dem Sattel und lehnte sich zitternd
gegen den Pferdeleib.

»Cochise muß mit den Verfolgern kämpfen, denn sie sind

schon sehr nahe«, erklärte der Häuptling der Chiricahuas. »Die
weißen Squaws bleiben hier zurück.«

Priscilla antwortete: »Wir verstecken uns, Cochise, und

wünschen dir alles Glück dieser Welt für den bevorstehenden
Kampf.«

Cochise nickte nur. Auch er verbarg seinen Mustang

zwischen den Felsen, ehe er den Verfolgern entgegenschlich.

Die drei Apachen hielten Gewehre in den Händen und saßen

wachsam auf den Pferderücken. Cochise senkte seine
Winchester. Es widerstrebte ihm auf seine eigenen Artgenossen
zu schießen. Außerdem war der Jefe kein Mann, der
heimtückisch aus dem Hinterhalt tötete.

Das Gesicht des Chiricahuas verfinsterte sich, während er auf

die drei Krieger blickte, die langsam näherritten, plötzlich ihre
Mustangs zügelten, als spürten sie instinktiv die Gefahr, die auf
sie lauerte.

Cochise mußte handeln.
Er schlich los, näherte sich schnell den Apachen, die noch

immer unentschlossen auf den Rücken ihrer Mustangs saßen
und in die Stille lauschten.

Der Apachen-King gelangte bis auf wenige Schritte an die

Krieger heran. Dann setzte er alles auf eine Karte.

Er trat hinter dem Felsbrocken hervor und richtete den Lauf

seines Gewehres auf seine Landsleute.

»Cochise wird schießen, wenn die Krieger von Running Bull

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nicht aufgeben!« rief er mit donnernder Stimme.

Die Indianer erschraken, gaben aber nicht auf.
Einer riß sein Gewehr hoch und legte auf Cochise an, dem

nichts anderes übrigblieb, als zu schießen. Der Indianer stürzte
aufschreiend vom Pferderücken.

Die beiden anderen Krieger trieben ihre Mustangs an, um

den Häuptling der Apachen niederzureiten. Cochise steppte
blitzschnell zur Seite und wich den Mustangs aus.

Die Indianer warfen sich auf Cochise, verfehlten den Chief,

der nochmals zur Seite sprang. Einem der Angreifer donnerte
Cochise den Gewehrlauf an den Kopf. Der Apache brach
lautlos zusammen und blieb liegen.

Und dem anderen Kämpfer, der inzwischen wieder

hochgeschnellt war und wie ein tollwütiger Puma anstürmte,
rammte Cochise den Lauf des Gewehres in den Magen.

Der Indianer taumelte zurück und schnappte nach Luft wie

ein Fisch auf dem Trockenen. Cochise schlug nochmals zu.
Auch der letzte Apache stürzte zu Boden.

Cochise lächelte zufrieden.
Er kniete sich neben dem Indianer nieder, dem er in den Arm

geschossen hatte. Blut rann aus der Einschußöffnung und
sickerte den Arm entlang.

»Cochise hat dein Leben geschont, denn er will nicht, daß

seine Vettern durch die Hand des Jefes sterben. Deine beiden
Gefährten sind im Land der Träume. Sie kümmern sich um
deine Verwundung, sobald sie wieder aufwachen. Cochise
nimmt eure Mustangs mit, damit ihr ihm und den Frauen nicht
folgen könnt.«

Cochise trieb die Pferde davon und warf keinen Blick mehr

auf die Stätte seines Sieges. Bald erreichte er die Frauen.
Gemeinsam setzten sie die Flucht fort.

*

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John Haggerty war die ganze Nacht durchgeritten und hatte
weder sich, noch seinen Rapphengst geschont. Mehr als einmal
mußte er Indianertrupps ausweichen, die er zum Glück immer
rechtzeitig entdeckte. Es gelang ihm, sich vor neugierien
Blicken zu verbergen.

Sein Pferd zeigte Ermüdungserscheinungen, als die Sonne

hinter einem Gipfel hochkroch. John legte eine Pause ein, aß
von seinem kalten Proviant und teilte den Inhalt der
Wasserflasche mit dem Rapphengst.

Der Falke gönnte sich und seinem Pferd eine Stunde Rast

und wollte gerade seinen Ritt fortsetzen, als er Hufschläge
vernahm. John Haggerty spähte zwischen den Zweigen eines
Salbeibusches hervor und sah mehr als zwanzig Reiter, die
ungefähr hundert Yards entfernt vorbeijagten.

Sie ritten in die Richtung des Tales, in dem die Frauen und

Cochise gefangen gehalten wurden. John konnte zu diesem
Zeitpunkt nicht wissen, daß dem legendären Häuptling der
Apachen inzwischen die Flucht geglückt war.

Haggerty wartete noch einige Minuten, bis auch die Nachhut

der Krieger auftauchte und folgte dann den Fährten der
Apachen. Zwei Stunden vergingen.

Der Falke blieb immer in Sichtweite der Rothäute, ohne von

ihnen gesehen zu werden. Noch immer ritten die Apachen wie
die Teufel, als gelte es, ein Rennen zu gewinnen.

John zuckte zusammen, als er plötzlich aufpeitschende

Schüsse vernahm, deren Echos dumpf von den kahlen
Berggipfeln zurückgeworfen wurden.

Haggerty sprang aus dem Sattel, kletterte einen Hügel hoch

und erkannte auch bald das Angriffsziel der Indianer.

Er sah Cochise und die beiden weißen Frauen, die sich

zwischen einigen Felsen verschanzt hatten. Der Chiricahua
feuerte auf seine ehemaligen Stammesbrüder, die längst die
Pferderücken verlassen hatten und sich anschlichen.

»Verdammt«, fluchte der Falke, als er sah, daß Cochises

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Chancen verschwindend klein waren. Er würde dem Ansturm
der Indianer nicht lange standhalten können.

Ich muß mich in das Spiel einkaufen, dachte der ehemalige

Armee-Scout. Cochise ist ein Teufelskerl. Es ist ihm gelungen,
die Frauen zu befreien. Nun aber sitzt er bis über beide Ohren
in der Klemme. Gegen die Übermacht kann auch er sich nicht
behaupten.

John Haggerty lief zu seinem Pferd, zog sein Gewehr aus

dem Scabbard, überprüfte es und suchte eine gute Position,
nachdem er bis auf Schußweite an die Angreifer
herangeschlichen war.

Cochise feuerte noch immer. Die Frage war, wie lange er

sich noch wehren konnte, denn die ersten Krieger hatten sich
schon bedenklich nahe an die Felsen herangeschlichen.

Einige Krieger lagen regungslos am Boden, andere krochen

davon, verwundet durch heißes Blei, denn der Häuptling der
Chiricahuas war ein treffsicherer Schütze, der keine Munition
vergeudete.

Nun griff John Haggerty ein. Er verwundete zwei Apachen

mit schnellen Schüssen, denn die Überraschung war eindeutig
auf seiner Seite. Die Krieger von Running Bull zogen sich
zurück. Natürlich behagte es ihnen nicht, ins Kreuzfeuer
genommen zu werden.

Bald klatschten die ersten Geschosse gegen Johns Deckung,

der sofort seine Position veränderte und erneut feuerte.
Dadurch erhielt Cochise ein wenig Luft.

Der erfahrene Chief nützte dies sofort aus, denn er flüchtete

in Johns Richtung weiter, war von Felsbrocken und Sträuchern
gut gedeckt und näherte sich schnell dem Falken.

Wutgeheul schallte zu John Haggerty, der von seiner

erhöhten Position aus die Angreifer mit einer heißen Bleisaat
eindeckte.

Einige Minuten später schob sich Cochise neben seinen

weißen Freund und nickte ihm dankbar zu.

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»Das war Rettung in letzter Sekunde, Falke«, murmelte der

Apachen-Häuptling. »Cochise dankt dir.«

John winkte ab, ehe er sein Gewehr wieder hochriß und

einen blitzschnellen Schnappschuß abfeuerte. Die Kugel traf
einen Krieger in den rechten Oberschenkel. Der Apache schlug
hart zu Boden und blieb liegen.

Auch Cochise schoß erneute. Während John das Magazin

seines Gewehres auflud, blickte er auf die beiden Frauen, die
unterhalb des Hügels kauerten und angstvoll zu ihm
hochspähten. Die drei Mustangs weideten ganz in der Nähe
von Johns Rapphengst.

Die Indianer zogen sich plötzlich zurück, nahmen

Verwundete und Tote mit und waren von einer Minute zur
anderen verschwunden.

John senkte sein Gewehr. Er blickte Cochise fragend an, über

dessen ebenmäßiges Gesicht die Andeutung eines Lächelns
huschte.

»Running Bull unterlief ein großer Fehler, als er Cochise

gefangen nahm«, sagte der Chiricahua. »Es gelang dem Jefe,
die beiden Squaws zu befreien. Der Sieg steht aber erst fest,
wenn wir das Lager der Blauröcke lebend erreichen.«

»Wir schaffen es, Cochise«, antwortete der Falke

entschlossen. »Running Bull wird keinen Trumpf mehr in den
Händen halten, um den Chief der Langmesser erpressen zu
können.«

*

»Sie sind noch immer hinter uns her«, sagte John Haggerty
eine Stunde später zu Cochise, der nur nickte. John blickte auf
die beiden Frauen, die den Ritt kaum noch verkraften konnten.

Besonders Delia Samson hielt sich nur noch mit letzter Kraft

auf dem Rücken des Mustangs. Priscilla sprach ihr immer
wieder Mut zu, doch es nützte nicht viel. Die Frau konnte

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einfach nicht mehr. Jede Bewegung des Pferdes bedeutete neue
Qualen für sie.

Cochise sah Johns Blick und zügelte seinen Mustang.
»Der Jefe der Apachen wird die Verfolger aufhalten«, stieß

Cochise kehlig hervor. »Der Falke reitet weiter und bringt die
Squaws zu den Blauröcken. Er soll aber darauf achten, daß er
Running Bulls anderen Kriegern nicht in die Hände reitet.«

Darüber hatte John Haggerty auch schon nachgedacht. Es

schien so sicher wie das Amen in der Kirche, daß ein Reiter
längst zu dem selbsternannten Chief unterwegs war, um ihm
von den Ereignissen zu berichten.

»Warum zögert der Falke?« fragte Cochise.
»Vielleicht sollte ich die Verfolger aufhalten«, erwiderte

John Haggerty. »Ich weiß, wie es Cochise widerstrebt, auf
seine eigenen Vettern schießen zu müssen.«

Cochise senkte für einen Moment den Kopf.
»Die Krieger von Running Bull sind verblendet. Sie wissen

nicht, was sie tun. Sie glauben an einen großen Sieg gegen die
Bleichgesichter, den es nicht geben wird. Cochise bedauert
sehr, gegen seine eigenen Vettern kämpfen zu müssen. Er sieht
aber keine andere Wahl, um einen großen Krieg zu
verhindern.«

John Haggerty legte seinem indianischen Freund eine Hand

auf den Arm.

»Schon gut, Cochise«, sagte er leise. »Ich hoffe, es läßt sich

alles wieder einrenken. Auch die meisten von Running Bulls
Anhängern werden wieder zu ihren Stämmen zurückfinden. Ich
spreche später mit Colonel Samson. Auch er will keinen Krieg.
Wenn er erst Frau und Tochter in seine Arme schließen kann,
sieht alles anders aus. Vielleicht gelingt es uns, Running Bull
zu fassen. Die Armee wird darauf bestehen, ihn als Schuldigen
zu bestrafen.«

Der Jefe blickte den Falken ungeduldig an.
»Reite los, Freund, denn jede Minute ist kostbar. Cochise

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wird euch bald folgen.«

John Haggerty wandte sich an Delia Samson, die kläglich auf

dem Rücken des Mustangs saß und leise wimmerte.

»Es tut mir leid, Ma'am, doch ich kann Ihnen die Fortsetzung

des Rittes nicht ersparen. Beißen Sie die Zähne zusammen,
denn es geht um unser aller Leben.«

Delia nickte und wischte sich eine Strähne ihres

dunkelblonden Haares aus der Stirn.

»Ich schaffe es schon, Mr. Haggerty. Nehmen Sie auf mich

keine Rücksicht.«

Ihre schmerzgeweiteten Augen straften ihre Worte Lügen.

Sie preßte die Lippen fest aufeinander, die in diesem Moment
an eine schlecht verheilte Narbe erinnerten.

Priscilla griff nach den Zügeln des Mustangs. Die Tiere

trabten an. John Haggerty winkte dem Häuptling der Apachen
kurz zu.

»Viel Glück, Cochise«, rief er. »Und riskier nicht zuviel.

Wenn ich das Camp erreiche, reite ich mit einigen Blauröcken
zurück, um dir zu helfen.«

John Haggerty folgte den beiden Frauen und übernahm kurze

Zeit darauf die Führung.

Cochise blieb zurück. Er kauerte hinter dem Stamm einer

verkrüppelten Kiefer und lauerte geduldig auf das Erscheinen
der Verfolger. Er brauchte nicht lange zu warten, dann erkannte
er die ersten Indianer, die den Fährten folgten. Cochise feuerte.

Ein Mustang brach zusammen und schleuderte seinen Reiter

in einen Dornenbusch. Die anderen Krieger sprangen von den
Pferderücken und verschwanden im unwegsamen Gelände.

Der Chiricahua wußte, wie gut sich die Apachen

anzuschleichen verstanden. Aus diesem Grund zog er sich
zurück. Wieder lauerte er auf die Verfolger.

Ihm kam es nur darauf an, daß der Falke genügend Zeit

erhielt, um mit den Squaws das Biwak der Langmesser zu
erreichen.

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Noch mehrmals feuerte Cochise auf seine Vettern und hielt

sie auf Distanz. Er schonte ihre Leben und fragte sich, ob die
Gegner das begriffen.

Eine Stunde später mußte Cochise fliehen, denn der Ring der

Verfolger zog sich immer enger zusammen. Sein Mustang trug
Cochise davon. Es dauerte aber nicht lange, dann sah er die
ersten Krieger von Running Bull wieder hinter sich auftauchen.

Der Häuptling der Chiricahuas stellte aber zufrieden fest, daß

die Anzahl der Verfolger kleiner geworden war.

*

»Wie weit mag es noch sein?« erklang Priscillas klagende
Stimme, als John Haggerty seinen Rapphengst zwischen
einigen Felsschroffen zügelte.

Die junge Frau hatte längst die Orientierung verloren und das

Gefühl, ständig im Kreis zu reiten, wurde immer größer in ihr.

»Vielleicht noch vier oder fünf Meilen, Priscilla«, erwiderte

John Haggerty. »So genau kann ich es auch nicht sagen. Ihr
müßt tapfer sein. Lieber noch diese Strapazen auf sich nehmen,
als zu sterben.«

Priscilla schob das Kinn nach vorn.
»Ist es Vater gelungen, die Gewehre aufzutreiben?« fragte sie

naiv.

John Haggerty lächelte ernst.
»Es wäre wohl das schlimmste Verbrechen, den

aufständischen Apachen Waffen und Munition zu liefern. Dazu
erhält auch dein Vater keine Genehmigung. Mir ist es zwar
gelungen, Running Bull hinzuhalten. Es kann aber nicht mehr
lange dauern, bis er meinen Bluff durchschaut. Running Bull
saust bestimmt schon lange wie ein wütender Büffel durch die
Gegend, um uns einzufangen.«

Delia Samson saß apathisch am Boden und beteiligte sich

nicht am Gespräch.

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72

»Sie werden Hilfe im Lager erhalten, Mrs. Samson«, sagte

der ehemalige Chief Scout tröstend. »Ein Sanitäter wird sich
um Sie kümmern. In wenigen Tagen wird das alles vergessen
sein.«

Delia Samson hob den Blick.
»Ich schäme mich so sehr«, hauchte sie kaum verständlich.

»Und ich werde …«

Priscilla unterbrach ihre Mutter.
»Das kann jedem passieren, der nicht oft auf dem Rücken

eines Pferdes sitzt, Mutter«, sagte sie. »Wir sind schließlich
keine Cowboys oder Soldaten.«

»Ich erkunde das vor uns liegende Terrain«, sagte John.

»Rührt euch nicht von der Stelle. Ich bin in wenigen Minuten
wieder zurück.«

Der Falke schlich los und näherte sich einem Hügel, von dem

aus er auf das umliegende Gelände Ausschau halten wollte.

Sein bartloses Gesicht verzog sich unwillig, als er einen

Reitertrupp erkannte, der genau in die Richtung ritt, in dem
sich die beiden Squaws befanden.

Es waren zehn Apachen, die wachsam nach allen Seiten

Ausschau hielten.

Die Rothäute ahnen, daß wir irgendwo in der näheren

Umgebung stecken, dachte Haggerty. Bestimmt wimmelt es
zwischen dem Lager der Soldaten und uns nur so von Running
Bulls Leuten.

Der Falke eilte zu den beiden Frauen zurück, die ihn fragend

ansahen.

»Vor uns sind Indianer«, erklärte John Haggerty. »Ein

Durchbruch mit Waffengewalt ist zu riskant, denn eine der
Ladies könnte getroffen werden. Wir verstecken uns dort
drüben zwischen den Felsen. Es gibt genügend Büsche, die uns
schützen. Vielleicht reiten die Apachen vorbei.« Einige
Minuten später kauerten die drei Menschen hinter den Felsen
und verhielten sich vollkommen ruhig. Der erfahrene

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73

Westmann stand bei den Indianermustangs und legte die Hände
über die Nüstern der Tiere, damit diese das Versteck nicht
durch ein Wiehern oder lautes Schnauben verrieten.
Hufschläge erklangen. Delia und Priscilla standen dicht
beeinander und hielten sich an den Händen. Es wirkte schon
rührend, wie sich Priscilla um ihre Mutter sorgte. John
Haggerty spähte zwischen den Felsschroffen hervor und sah
den Apachentrupp, der eine Steinwurfweite entfernt vorbeiritt.
Ein Krieger spähte herüber, als ahne er, daß sich die gesuchten
Gegner an dieser Stelle verborgen hielten. Der Apache parierte
sein geflecktes Pferd, das auf den Hufen tänzelte. Dann stieß
der Apache ein lautes Wiehern aus. Haggerty kannte diesen
Trick. Damit wollte der Indianer etwaige versteckte Pferde zu
einer Antwort herausfordern. Die beiden Mustangs, vor denen
Haggerty stand, schnaubten zwar leise, erwiderten das Wiehern
aber nicht. Johns Rapphengst reagierte nicht. Er blickte seinen
Herrn nur aus großen Augen an und stellte die Ohren hoch.
»Sei nur friedlich, Alter«, flüsterte der Scout. »Wenn du mich
verrätst, wird es auch dir an den Kragen gehen.«

Der Hengst hob und senkte den Kopf, als bejahe er John

Haggertys Worte. Der Apache wieherte nochmals
herausfordernd, ehe er weiterritt und seinen Gefährten folgte.

Delia und Priscilla Samson atmeten hörbar auf. John warf

ihnen einen beruhigenden Blick zu.

»Wir müssen noch abwarten, Ladies«, sagte er leise. »Es

könnte sein, daß einer der roten Jungs umkehrt, oder daß dem
Trupp noch eine Nachhut folgt.«

Die Minuten vergingen endlos langsam. Die beiden Frauen

setzten sich auf den harten Felsboden. Delia stöhnte dabei.
Haggerty öffnete eine Satteltasche und suchte etwas. Er zog
eine kleine Dose hervor, die er Delia reichte.

»Wundsalbe, Mrs. Samson«, sagte er.
»Reiben Sie sich damit ein. Vielleicht hilft es ein wenig.«
Delia sah den großgewachsenen Mann dankbar, aber auch

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ein wenig verlegen an, ehe sie ihren Rock hochzustreifen
begann.

»Ich sehe mal nach den Indianern«, sagte John Haggerty und

schlich auch schon los. Er entdeckte den Reitertrupp in der
Ferne. Die Gefahr schien vorüber zu sein.

Der erfahrene Westmann wußte aber, daß sie ihr Ziel noch

lange nicht erreicht hatten.

*

Cochises Gewehr spuckte Feuer und Blei. Ein Mustang jagte
davon, als hätte man ihm den Schweif angesenkt. Die Kugel
des Chiefs hatte sein Fell gestreift. Der Reiter wurde vom
Pferderücken geschleudert und landete unsanft in einem
Dornbusch.

Die fünf anderen Running Bull-Krieger warfen sich von den

Tieren und gingen in Deckung. Sie wußten inzwischen, wie
präzise der Jefe der Apachen schießen konnte.

Cochise hielt sich nicht länger auf, sondern setzte seinen Ritt

fort.

Und dann wurde es hart für ihn.
Er sah die zehn Krieger erst vor sich, als ein Ausweichen

nicht mehr möglich war. Auch die aufständischen Apachen
erkannten den Häuptling der Chiricahuas.

Eine heiße Bleisaat sirrte wie ein wütender

Hornissenschwarm zu ihm herüber. Cochise trieb seinen Pinto
an, der sich gewaltig streckte und davonjagte.

Nur durch viel Glück wurde Cochise nicht verwundet. Hinter

einigen Felsen zügelte er sein Pferd. Nun mußte er kämpfen,
um selbst am Leben zu bleiben.

Die zehn Krieger griffen an.
Wie lautlose Schemen huschten sie näher, schossen nicht, um

ihre Positionen nicht zu verraten.

Cochise gelang es, zwei der Angreifer zu verwunden. Die

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Indianer blieben liegen, konnten nicht mehr in den Kampf
eingreifen. Cochise feuerte immer wieder, bis er einsah, daß es
in wenigen Sekunden zum Kampf Mann gegen Mann kommen
mußte.

Dem Chiricahua-Chief blieb nichts anderes übrig, als die

Flucht zu ergreifen. Er schwang sich auf den Rücken seines
Pintos und jagte los. Er überraschte Running Bulls Männer, die
mit einer derartigen Attacke nicht gerechnet hatten.

Cochise gelang die Flucht. Das wütende Gebrüll der Gegner

übertönte sogar die hämmernden Hufschläge. Der Jefe sah sich
im Sattel um und lächelte, als er seine einstigen
Stammesfreunde wild mit den Gewehren oder anderen Waffen
fuchteln sah.

Noch stärker trieb er den Mustang an. Der Vorsprung wurde

rasch größer. Die Krieger von Running Bull würden ihm
folgen. Sie wollten ihn und vor allem die beiden weißen
Squaws wieder in ihre Gewalt bekommen.

Cochise blinzelte in die Sonne, als er plötzlich drei Reiter vor

sich sah. Es handelte sich um den Falken und die weißen
Frauen, die langsam ritten.

John Haggerty senkte seine Winchester, als er den Freund

erkannte, der heranjagte.

Cochise blickte die beiden Frauen prüfend an. Priscilla nickte

ihm freundlich zu. Delia saß zusammengekrümmt auf dem
Rücken des Mustangs. Ihr Körper richtete sich auf.

»Galten dir die Schüsse?« fragte Haggerty. »Ich habe schon

befürchtet, daß du dem Indianertrupp in die Hände reiten
würdest, vor dem wir uns versteckt hatten.«

Cochise nickte.
»Wir müssen fort«, sagte er kehlig. »Die Verfolger lassen

nicht mehr lange auf sich warten.«

Der Falke deutete auf einen Hügel, wo Rauchzeichen in den

blauen Himmel stiegen.

»Nun wird es brenzlig«, murmelte der einstige Armee-Scout.

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»Alle Indianer im Umkreis wissen in wenigen Minuten, wo wir
uns aufhalten. Dann beginnt die Hetzjagd auf uns erst richtig.«

Cochise trieb seinen Mustang an. Die beiden Frauen und

John Haggerty folgten ihm.

Es gab nichts mehr zu sagen.
Nun half nur noch eine rasche Flucht. Running Bull würde

sämtliche Krieger aufbieten, um das entflohene Wild wieder
einzufangen. Dann aber war das rauhe Spiel verloren.

*

Eine Stunde später gab es für Cochise, Haggerty und Delia und
Priscilla Samson kein Vorwärtskommen mehr. Sie waren von
Running Bulls Kriegern umzingelt.

Von allen Seiten näherten sich die Indianer. Und ein

Durchbruch mit Waffengewalt war unmöglich, weil sonst das
Leben der Frauen gefährdet werden könnte.

Cochise und seine Freunde verschanzten sich zwischen

Felsen und warteten auf den Angriff.

John Haggerty sagte: »Wir können auch aufgeben, Ladies.

Die Gefahr, von einer verirrten Kugel getroffen zu werden, ist
groß. Wir sitzen in der Falle. Ich weiß nicht, wie lange wir uns
halten können, denn auch unsere Munition wird langsam
knapp.«

»Cochise wird kämpfen«, sagte der Chief bestimmt. »Die

weißen Squaws sollen sich noch mehr zurückziehen. Dort
zwischen den Felsen befindet sich eine Höhle.«

Damit war die Entscheidung gefallen. Cochise und John

Haggerty wollten Seite an Seite dem Ansturm der
aufständischen Apachen trotzen.

Running Bulls Krieger huschten näher. Sie wagten keinen

Frontalangriff, um nicht dem präzisen Feuer der
Donnerbüchsen ihrer Gegner ausgesetzt zu sein.

John Haggerty lächelte grimmig, während das Gesicht des

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Häuptlings der Apachen unbewegt blieb.

Die beiden Freunde eröffneten das Feuer auf die

anschleichenden Indianer, deren Angriff ins Stocken geriet.
Zwei von ihnen blieben regungslos liegen.

Trotzdem wußten Cochise und John Haggerty, daß die

Übermacht zu groß war. Und noch immer sahen sie
Indianerrudel, die sich auf schnellen Mustangs näherten.

Der Jefe und der Falke standen einem so zahlreich

überlegenen Gegner gegenüber, daß ihre Chancen
verschwindend klein waren, diesen Kampf zu gewinnen.

Immer wieder peitschten Schüsse auf. Cochise und Haggerty

mußten mehr als einmal die Köpfe einziehen, wenn der
Bleihagel zu schlimm wurde.

Aber sie gaben nicht auf.
Running Bulls Krieger rückten unaufhaltsam näher. Diesmal

hatten sie den Gegner in die Enge getrieben. Es konnte für das
Bleichgesicht und dem Jefe kein Entkommen geben.

John blutete an der Wange. Ein verirrter Steinsplitter hatte

ihn getroffen. Haggerty achtete nicht darauf.

Er tauchte hinter dem Felsen hervor und feuerte auf einen

Angreifer, der von einem Mesquitebusch zum anderen huschte.

Der Apache blieb stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare

Wand gelaufen und drehte sich um die eigene Achse, ehe er
lautlos zur Seite kippte.

Eine Feuerpause trat ein. Running Bulls Krieger bereiteten

sich auf den letzten Angriff vor, bei dem sie die Gegner einfach
überrennen und im Zweikampf niedermachen wollten.

John Haggertys Augen weiteten sich plötzlich.
»Nun ist es endgültig aus und vorbei«, stöhnte der Falke.

»Dort drüben tauchen mehr als vierzig weitere Krieger auf.«

Auch Cochise erkannte die Reiter, die zwischen den Hügeln

hervorgeritten kamen und auf den Ort des Kampfgeschehens
zuhielten.

Der Häuptling der Chiricahuas schüttelte plötzlich den Kopf.

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Ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

John sah den Jefe verblüfft an.
»Du scheinst dich noch zu freuen, Cochise«, stieß er hervor.

»Viel Feind, viel Ehr. Darauf kann ich aber verzichten.«

»Das ist Naiche, mein Sohn, mit meinen Chiricahuas«, sagte

Cochise. Stolz klang in seiner Stimme auf. »Sie werden
Running Bulls Krieger zum Laufen bringen.«

So war es auch.
Innerhalb weniger Minuten war der Spuk vorbei. Die

aufständischen Indianer flohen, denn sie rechneten sich gegen
die Chiricahuas keine Chance aus.

John Haggerty fuhr sich übers Gesicht und merkte erst jetzt,

daß es schweißüberströmt war.

Cochise legte dem weißen Bruder eine Hand auf die

Schulter. Dann sagte der Häuptling der Apachen: »Der Falke
hat gut und tapfer gekämpft. Er soll sich nicht grämen, daß die
Krieger der Chiricahuas uns zu Hilfe kommen.«

John Haggerty grinste.
»Grämen?« fragte er. »Ich denke nicht im Traum daran,

Cochise. Ich bin heilfroh, daß wir Hilfe erhalten haben.«

Delia und Priscilla traten zu den beiden Männern. Zuerst

erschraken sie, als sie den großen Reitertrupp sahen. John
klärte die beiden Frauen rasch auf.

Und er sah die Erleichterung in den Augen der beiden

Frauen, die sich umarmten.

*

John Haggerty bedankte sich bei Naiche. Der Häuptlingssohn
antwortete stolz: »Der Falke hat mir erst vor einiger Zeit das
Leben gerettet. Ich freue mich, einen Teil meiner Schuld
abtragen zu können. Die tapferen Krieger der Chiricahuas
werden für den Falken und die weißen Squaws kämpfen.«

Naiche senkte den Kopf.

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Cochise nickte seinem Sohn zu.
»Der Falke, die Squaws und auch Cochise reiten zum Lager

der Blauröcke, um die Squaws hinzubringen. Es ist Naiches
Aufgabe, die Männer Running Bulls fernzuhalten.«

Der Häuptlingssohn senkte erneut den Kopf.
»Mein Vater kann beruhigt reiten. Naiche und die Krieger

wachen über ihn und seine Freunde.«

Schon bald ritten Cochise, Haggerty und die Frauen davon.

Von den aufständischen Apachen war nichts mehr zu sehen.
Running Bull mußte eingesehen haben, daß es für ihn nichts
mehr zu holen gab.

Er hatte das Spiel verloren.
Zwei Stunden später sah John Haggerty eine Armeepatrouille

zwischen den Hügeln herausreiten. Es handelte sich um zehn
Soldaten, die von Lieutenant Wolter angeführt wurden.

Die Erleichterung stand dem Offizier im Gesicht

geschrieben, als er Frau und Tochter seines Vorgesetzten
unverletzt vor sich sah.

Er ließ anhalten und die Leute einen Ring um den

Reitertrupp bilden, ehe er aus dem Sattel glitt und zu den
beiden Männern und den Frauen trat.

Mark Wolter grüßte militärisch. Er nickte dem Falken und

auch dem Häuptling der Chiricahuas zu. Dann wandte er sich
an die beiden Frauen, die lächelten und sich nichts von den
Strapazen des Höllentrails anmerken lassen wollten.

»Herzlich willkommen, Ladies«, sagte der Lieutenant.

»Colonel Samson wird außer sich vor Freude sein. Wenn Sie
mir bitte ins Camp folgen würden?«

»Danke, Lieutenant«, antwortete Mrs. Samson, nachdem sie

sich geräuspert hatte.

Bald setzte sich der Reitertrupp in Bewegung. Priscilla warf

hin und wieder einen Blick zurück, als könne sie es noch
immer nicht fassen, einem grausamen Schicksal entronnen zu
sein.

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Die Freude von Stuart B. Samson war unmilitärisch groß. Er

ließ es sich nicht nehmen, Frau und Tochter in seine Arme zu
schließen. Delia weinte, und auch Priscilla war den Tränen
nahe.

Der Colonel redete den beiden Frauen gut zu und führte sie

zu seinem Zelt, wo sich bald ein Arzt um Delia kümmerte.
Samson trat schon bald zu seinen Leuten und ordnete erhöhte
Alarmbereitschaft an. Dann ging er auf Cochise und John
Haggerty zu.

Er schüttelte beiden die Hände.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen beiden danken kann«, sagte

der Offizier zu Haggerty. »Ich habe schon mit dem
Schlimmsten gerechnet. Nun wird aber alles gut werden.«

»Cochise ist es gewesen, der die beiden Frauen befreite«,

sagte John Haggerty. »Ihm gebührt der Dank, Colonel. Und ich
wüßte schon, wie Sie ihm ein wenig Dankbarkeit zeigen
könnten.«

Stuart B. Samson blickte den Häuptling der Chiricahuas mit

schiefgelegtem Kopf an.

»Was haben Sie auf dem Herzen, Häuptling?«
»Was wird nun geschehen, nachdem die Squaws frei sind?«

stellte Cochise eine Gegenfrage.

Der Colonel zupfte an seinem Kinnbart, der an einigen

Stellen grau schimmerte.

»Ich muß für Ruhe und Ordnung sorgen, Chief. Mit anderen

Worten: ich muß diesen Running Bull fassen und den Aufstand
niederschlagen. So lautet mein Befehl.«

Cochise nickte leicht, während er den ehemaligen Chief

Scout von General Howard lange ansah.

»Cochise will den Frieden. Er wird Running Bull fassen und

nach den Gesetzen der Apachen bestrafen.«

Der Offizier wiegte den Kopf.
»Sie wollen, daß es keine Strafexpedition gegen die

aufständischen Indianer gibt, Chief. Glauben Sie, mit Running

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Bull und seinen Kriegern fertig zu werden?«

Cochise nickte entschlossen.
»Der Häuptling der Apachen verspricht, daß er das Problem

auf seine Weise lösen wird. Er will nicht, daß weiße und rote
Männer sterben, denn sonst war sein Einsatz sinnlos.«

Stuart B. Samson atmete tief durch. Er sah John Haggerty

ernst nicken.

»So einfach ist es nicht, Cochise. Sie wissen das genau. Ich

nehme an, daß dieser Running Bull als nächstes den
Waffentransport überfallen wird. Nur so glaubt er, noch an die
Gewehre zu gelangen. Meine Leute wehren sich natürlich. Ich
habe dem Conestoga Verstärkung entgegengeschickt.«

John Haggerty schaltete sich in das Gespräch ein.
»Cochise und ich reiten zu Lieutenant John Harris und dem

Wagen. Wir stellen Running Bull eine Falle. Die Niederlage
wird ihn sehr treffen, und die Krieger werden ihn im Stich
lassen und zu ihren Stämmen zurückkehren. Running Bull wird
niemals der große Chief werden, so wie er es sich erträumte.«

»Einverstanden«, sagte der Colonel. »Ich gebe Ihnen einen

Vorsprung von zwölf Stunden, ehe ich Ihnen folge. Dann gibt
es keine Gnade für die Apachen, wenn sie sich nicht ergeben.
Mehr kann ich nicht tun, Gents. Ich hoffe, Sie sehen das ein?«

»Cochise ist einverstanden«, antwortete der Häuptling der

Chiricahuas. »Er bittet um Pferde für sich und den Falken, um
schnell das rollende Wicki-up zu erreichen, das die
Bleichgesichter Conestoga nennen.«

»Das wird geschehen, Chief. Um es nochmals klipp und klar

zu sagen, Leute: in zwölf Stunden breche ich auf. Dann wird es
keinen Aufschub mehr geben.«

Colonel Stuart B. Samson salutierte und ging zu seinen

Männern zurück. Sergeant Hasting führte einige Minuten
später zwei erstklassige Pferde heran.

»Cochise kann auch in einem Sattel der Blauröcke reiten«,

erklärte der Jefe, als er den fragenden Blick des Sergeant sah.

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John Haggerty erbat sich noch Munition für die Gewehre,

ehe er und Cochise davonritten. Ihr Weg führte ins
Niemandsland hinein, in die Pedrogosa Mountains in der Nähe
der mexikanischen Grenze.

*

Ein harter Ritt lag hinter Cochise und John Haggerty. Der
Chiricahua hatte die Führung übernommen. Er kannte viele
Abkürzungen und Schleichwege, die den beiden Männern viele
Stunden harten Ritts ersparten.

Der Abend dämmerte bereits, als sie sich dem Zielgebiet

näherten, in dem sich der Conestoga mit der angeblichen
Waffenlieferung befinden mußte.

Cochise zügelte das Armeepferd hinter einem Dickicht. Auch

John Haggertys Pferd war mit einer dampfenden Schicht aus
Staub und Schweiß bedeckt.

»Wenn die Angaben des Falken stimmen, müssen er und

Cochise in der Nähe des Wagens sein«, sagte der Indianer-
Chief. »Seine Sorgen gelten Running Bull. Es ist möglich, daß
er mit seinen Kriegern schon in der Nähe lauert. Bei
Sonnenuntergang wird er angreifen. Das möchte Cochise
verhindern.«

»Hast du schon einen Plan?« fragte der Falke.
»Cochise wird Running Bull zur Aufgabe auffordern«, stieß

der Jefe hart hervor. »Wenn er nicht zustimmt, muß er sterben.
Der Plan des Falken ist gut, den Wagen ›in die Luft zu jagen‹,
wie er es ausdrückte.«

»Das glaube ich auch, Cochise. Wenn die Krieger anstürmen,

lassen wir die Pulverfässer und die Dynamitpatronen
explodieren. Vom Conestoga bleibt nicht mehr viel übrig.
Vielleicht verscheucht der Schrecken die Krieger. Auch
Running Bull muß annehmen, daß alle Gewehre vernichtet
worden sind. Nun sollten wir erst einmal zum Wagen reiten.

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Lieutenant John Harris muß erfahren, was in den letzten
Stunden geschehen ist. Bestimmt rechnet er mit keinem
Überfall.«

Cochise und der Falke ritten los.
In spätestens zwei Stunden würde die Sonne hinter einem

Gipfel der Pedrogosa Mountains untergehen. Bis dahin mußte
alles vorbereitet sein, um den aufständischen Indianern eine
Niederlage beizubringen.

Die beiden Reiter ritten vorsichtiger, hielten immer wieder

an und sahen sich um. Es bestand die Gefahr, daß sie von
Running Bulls Leuten entdeckt wurden.

Nichts rührte sich im weiten Rund. Cochise nickte öfter

zufrieden. Endlich entdeckten sie den Conestoga mitten in
einem Tal. Das Gefährt zuckelte dahin, von dem müden
Achtergespann gezogen und den Soldaten flankiert.

Lieutenant John Harris freute sich, die beiden Männer zu

sehen. Er begrüßte sie sehr herzlich. Haggerty berichtete
ausführlich und sprach am Ende von der Gefahr eines
bevorstehenden Überfalls.

John Harris' Gesicht wurde um einige Nuancen finsterer. Er

blickte auf seine Leute. Es waren ungefähr dreißig Soldaten,
die den Conestoga umgaben und neugierig auf Cochise und
den Scout blickten.

»Wie viele Krieger wird Running Bull noch haben?« fragte

der Offizier.

»Vielleicht fünfzig oder auch mehr. Cochise und ich haben

den aufständischen Apachen große Verluste zugefügt. Viele
Krieger sind verwundet. Running Bull wird aber nochmals
alles daransetzen, um in den Besitz der Gewehre zu gelangen,
die er im Wagen vermutet.«

John Harris lächelte düster.
»Wie wäre es, wenn wir dem größenwahnsinnigen Indianer-

King die Wahrheit sagen?« fragte der Lieutenant. »Wenn er
erst selbst sieht, daß es keine Gewehre gibt, muß er sich

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geschlagen geben.«

Cochise schüttelte sofort den Kopf.
»Running Bull wird es nicht glauben. Er nimmt dann an, daß

die Blauröcke die Waffen irgendwo unterwegs versteckt haben.
Es wird viel Blut fließen. Cochise spricht mit Running Bull.«

»Ich erkläre Ihnen meinen Plan, Lieutenant«, sagte John

Haggerty. »Mit ein wenig Glück klappt die Falle zu. Dann wird
Running Bull erledigt sein. Er hat viel Unruhe und Unfrieden
unter seine Stammesbrüder gebracht.«

John Harris lächelte schwach.
»Wir werden sehen, Mr. Haggerty. So richtig wohl fühle ich

mich nicht in meiner Haut.«

Nun grinste auch der Falke.
»Wenigstens in diesem Punkt sind wir einer Meinung,

Lieutenant«, antwortete der Scout.

*

Die Abenddämmerung senkte sich rasch über die rauhe
Bergwildnis. Die Konturen aller Gegenstände verblaßten
immer mehr, schien von den dunklen Schatten der Nacht
aufgefressen zu werden.

»Indianer!«
Der Warnschrei eines Soldaten gellte durch die abendliche

Stille und brachte die Männer, die keine Wache hatten, auf die
Beine.

Cochise und John Haggerty standen dicht beeinander. Auch

sie starrten auf die Apachen, die in das Tal hineinritten.

Der Strom aus Mustangleiber schien nicht abreißen zu

wollen.

»Das sind mehr als fünfzig Krieger«, sagte der Falke dumpf.

»Running Bull bietet nochmals seine gesamte Kriegsmacht auf,
um uns alle zu erschrecken. Ich hatte angenommen, daß er aus
dem Hinterhalt zuschlagen würde.«

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85

Cochise antwortete: »Running Bull möchte keine großen

Verluste. Er will mit dieser Machtdemonstration die Blauröcke
einschüchtern, damit sie ihm den Wagen mit den Waffen
freiwillig übergeben. Das würde sein Ansehen steigern. Wir
lassen es nicht zu«, fügte er hinzu und trat zu seinem Pferd.
»Cochise spricht mit Running Bull.«

»Ich werde dich begleiten«, antwortete John Haggerty.
»Cochise reitet allein. Es ist seine Aufgabe, denn er ist der

Häuptling der Apachen.«

John Haggerty zuckte mit den Achseln und blickte dem

Apachen-King nach, der das Lager verließ. John Harris schob
sich neben den Falken.

»Vielleicht kann er diesen wildgewordenen Indianer zur

Räson bringen«, sagte er hoffnungsvoll. »Wenn nicht, läuft
alles nach Plan. Meine Soldaten sind eingeweiht, Haggerty.«

John nickte. Noch immer blickte er auf Cochise, der Running

Bulls Krieger entgegenritt. Der Reiterpulk zügelte plötzlich die
Pferde. Nur ein einziger Indianer ritt dem Apachen-Chief
entgegen.

Cochise erkannte schon bald Running Bull, der mit finsterem

Gesicht heranritt. Wenige Schritte vor dem Chiricahua zügelte
er seinen drahtigen Mustang.

Seine Zähne mahlten. Cochise erkannte den flammenden

Zorn in den dunklen Augen seines Gegners.

»Running Bull wird nie ein großer Häuptling sein«, rief

Cochise. »Er führt seine Leute schlecht und mußte eine
Niederlage nach der anderen hinnehmen. Nun sucht er wieder
den Kampf, um viele seiner Krieger in den Tod zu führen.
Cochise spricht zu ihm als Freund und nicht als Gegner; denn
er möchte das Leben vieler junger Apachen retten, die sich
Running Bull voller Begeisterung angeschlossen haben.«

Running Bull lächelte verächtlich.
»Cochise ist ein Verräter, der sich gegen seine eigenen

Brüder wendet und ihnen großen Schaden zufügt. Sein Name

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soll verflucht sein. Die Krieger der Apachen werden ihn
verachten und aus ihren Herzen streichen.«

»Du sprichst wie ein Narr, Running Bull«, erwiderte

Cochise, ohne die Ruhe zu verlieren. »Cochise ist nicht so
blind, wie sein Gegenüber, der einem Maulwurf gleicht. Er
kennt die Bleigesichter genau und weiß, daß der rote Mann nur
eine Chance hat, in Frieden mit den Weißhäutigen
zusammenzuleben. Wir sind nur noch wenige tapfere Krieger,
während die Bleichgesichter viele Tausende und abermals
Tausende sind. Sie sind wie eine Flut, gegen die es kein
Bollwerk gibt. Cochise fordert dich zur Aufgabe auf. Im
rollenden Wicki-up sind keine Gewehre. Running Bull ist auf
einen Bluff hereingefallen. Es wartet nur der Tod auf ihn und
seine Krieger. Die Blauröcke werden kämpfen und gewinnen.
Das weißt du längst, Running Bull. Cochise fordert dich
nochmals zum Zweikampf heraus. Wenn er dich besiegt,
werden ihm die abtrünnigen Krieger wieder gehorchen.«

Running Bull lachte meckernd und schüttelte wild den Kopf.

Seine langen schwarzen Haare, die durch ein Stirnband
gehalten wurden, wirbelten nur so um seine Schultern.

»Ist das alles, was Cochise zu sagen hat?« fragte er spöttisch.

»Es klingt wie das Gezanke eines alten Weibes. Running Bull
will den Jefe der Blauröcke sprechen.«

Die beiden Männer maßen sich mit harten Blicken. Dann zog

Cochise sein Pferd herum und ritt zum Conestoga zurück.
Seine Mission war gescheitert.

Der Kampf war nicht mehr zu verhindern, obwohl der

Häuptling der Chiricahuas nochmals versucht hatte, das
bevorstehende Blutbad zu verhindern.

*

»Es ist alles klar, Mr. Haggerty«, sagte Lieutenant Harris.
»Meine Leute ziehen sich nun zurück, bevor die Apachen

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angreifen. Wir igeln uns dort drüben in der Bodenmulde ein. Es
gibt genügend Büsche, die uns außerdem noch Deckung bieten.
Die Pferde sind von einigen meiner Soldaten bereits
hingebracht worden.«

Haggerty nickte und blickte Cochise an, der mit ernstem

Blick zum Taleingang blickte, wo sich Running Bull und seine
Krieger noch immer aufhielten.

Mondlicht lag wie ein silberner Hauch über dem Tal.

Cochise sah die Mustangs seiner roten Brüder, die von wenigen
Kriegern bewacht wurden. Die anderen Indianer konnte er
nicht entdecken.

Cochise brauchte kein großer Prophet zu sein, um zu wissen,

daß sie sich anschlichen, um den Conestoga-Schoner im ersten
Handstreich zu nehmen.

»In wenigen Minuten ist es soweit«, flüsterte John Haggerty.

»Ich jage den, Conestoga in die Luft. Dann ist die Hölle los.
Cochise sollte sich mit den Blauröcken zurückziehen.«

Es schien, als sträube sich der Chiricahua. Dann nickte er

langsam und trat zu dem Lieutenant und den Soldaten, die in
die Dunkelheit starrten, aber keine huschenden Gestalten
erkennen konnten.

»Zieht euch zurück, Jungs«, rief Haggerty den Soldaten zu.

»Es geht gleich los. Und feuert nur nicht auf mich, wenn ich
wie ein geölter Blitz angesaust komme.«

Die Blauröcke grinsten und krochen davon. Schnell

erreichten sie die Bodenmulde, in der sie verschwanden.

Der frühere Armee-Scout kauerte sich hinter einen Busch.

Schußbereit hielt er seine Winchester in den Händen. Der
Conestoga stand eine halbe Steinwurfweite entfernt neben
einigen Büschen, die sich im sanften Wind wiegten.

Haggerty lauschte.
Der Ruf eines jagenden Nachtfalken ertönte durch die

nächtliche Stille. John konnte nicht unterscheiden, ob wirklich
ein Raubvogel diesen Schrei ausgestoßen hatte, oder ob sich

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anschleichende Indianer untereinander verständigten.

Noch immer konnte er keinen von Running Bulls Kriegern

erkennen. Es gab aber keine Zweifel, daß sie näherschlichen,
um über die Blaubäuche herzufallen und den Conestoea zu
erobern.

Einige dunkle Gestalten schienen in der Nähe des Wagens zu

kauern. Es handelte sich um ausgestopfte Decken, die aus
einiger Entfernung wie Menschen aussahen, die auf den
Angriff der Rothäute warteten.

John hoffte, daß die aufständischen Apachen auf diesen Bluff

hereinfallen würden.

Dann war es soweit.
Running Bull und seine Krieger griffen an. Sie wuchsen

überall aus dem Boden.

Ihr gellendes »Zastee – tötet« ertönte. Und diese Schreie

konnten unerfahrenen Bleichgesichtern schon das Blut in den
Adern gefrieren lassen.

John Haggerty kannte keine Schrecksekunde. Er feuerte

sofort, denn er wollte die Apachen nicht zu nahe an den Wagen
herankommen lassen. Die Indianer sollten einen höllischen
Schrecken kriegen, wenn der Conestoga in die Luft flog.

So war es auch.
Der Wagen entwickelte sich innerhalb von

Sekundenbruchteilen zu einem feuerspeienden Vulkan. Der
Explosionsdonner schallte hallend durch das Valley.

Brennende Holzstücke wirbelten durch die Luft. Rauch und

eine Staubwolke breiteten sich aus, die sowohl John Haggerty
als auch den angreifenden Indianern die Sicht nahmen.

Die Apachen standen zum Teil erschrocken im lodernden

Feuerschein des brennenden Conestoga, von dem nicht viel
übriggeblieben war. Auf viele Yards verteilt, fielen die
brennenden Holzteile zu Boden.

Einige Apachen stürzten, blieben liegen, andere krochen

schreiend davon und wieder andere liefen, als wäre ihnen ein

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böser Geist persönlich erschienen.

Innerhalb weniger Minuten war der Spuk vorbei. Von der

Bodenmulde klangen vereinzelte Schüsse. Die Soldaten
schossen auf Indianer, die von dieser Seite angreifen wollten.

John Haggerty erhob sich aus dem Gras und schlich zu den

Blaubäuchen hinüber. Der Feuerschein reichte aus, daß die
Soldaten ihn erkannten.

Der erfahrene Scout kniete sich neben John Harris, der ihn

lächelnd ansah.

»Das war's wohl vorerst gewesen, nicht wahr, Haggerty?«

fragte der Lieutenant. »Ihr Plan war große Klasse. Die
Routhäute haben bestimmt erst einmal die Nase voll und
greifen nicht so schnell wieder an.«

John Haggerty nickte erleichtert. Er hoffte, daß Running Bull

und seine Krieger endlich aufgaben. Und nach dieser
Niederlage würde der selbsternannte Chief ausgespielt haben.

Auch die fanatischsten seiner Krieger mußten erkennen, daß

er alles andere als ein großer Führer oder sogar ein neuer
Messias war, der die Apachen von Sieg zu Sieg rühren konnte.

John sah sich um.
»Wo ist Cochise?« fragte er den Lieutenant, der seinen

Blicken gefolgt war.

»Cochise ist gleich nach der Explosion davongeschlichen«,

erklärte Lieutenant John Harris.

»Er will sich Running Bull holen, damit das alles ein Ende

hat«, sagte John Haggerty nicht gerade begeistert. »Das ist
gefährlich. Wir können aber für den Jefe nichts tun.«

»Er wird es schaffen«, sagte der Offizier bestimmt. »Cochise

ist ein großer Krieger, und ich bin froh, daß er nicht auf der
anderen Seite steht.«

»Das können Sie laut sagen, Lieutenant«, stimmte der

frühere Armee-Scout zu. »Cochise wird irgendwann in die
Geschichte eingehen, wenn es nicht bereits schon geschehen
ist. Sein Ruf ist schon heute legendär. Er ist ein großer Krieger

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und ein noch größerer Häuptling. Ohne ihn wären die Apachen
längst verloren und von den Bleichgesichtern bis auf den
letzten Mann niedergekämpft worden.«

Lieutenant John Harris nickte nur.
»Das klingt ja fast wie ein Nachruf, Haggerty«, antwortete er

mit verkniffenem Gesicht. »Drücken wir ihm die Daumen,
damit er Running Bull einfängt.«

Nun nickte auch der Falke.
»Yeah, Lieutenant, das sollten wir tun.«

*

Nachdem die Explosion den Conestoga-Schoner zerrissen
hatte, setzte sich Cochise wie ein lautloses Phantom in
Bewegung. Er schlich auf die Pferderemuda der abtrünnigen
Krieger zu.

Hin und wieder duckte sich der Chief, wenn huschende

Schatten in seiner Nähe auftauchten, die voller Panik in
Richtung der Mustangs eilten.

Cochise lächelte düster.
Er gönnte den Kriegern die Abfuhr, hoffte aber, daß nicht zu

viele von ihnen verletzt oder sogar getötet worden waren. Noch
immer stritten zwei Seelen in seiner Brust.

Es widerstrebte ihm, gegen seine eigenen Landsleute zu

kämpfen, obwohl er wußte, daß es nur diese eine Möglichkeit
gab, den Frieden wieder herzustellen.

Cochise kauerte sich hinter einen Busch und starrte auf die

Mustangs, die nervös tänzelten, wieherten und prustend
schnaubten. Die Explosion hatte die Pferde nervös gemacht.

Immer mehr Krieger sammelten sich in der Nähe der

Mustangs. In einigen Gesichtern erkannte Cochise den
heillosen Schrecken, den der explodierende Conestoga
verursacht hatte.

So sehr seine Blicke auch suchten, Cochise konnte Running

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Bull nirgends erkennen.

Das gefiel dem Häuptling der Chiricahuas nicht. Er schlich

weiter, näherte sich noch mehr den Kriegern, ohne aber von
diesen entdeckt zu werden.

Die meisten abtrünnigen Apachen saßen nun am Boden,

waren voller Resignation, daß ihr Angriff so kläglich
gescheitert war. Ihre Siegeszuversicht hatte sich in Nichts
aufgelöst.

Cochise wußte, daß bei einem Angriff der Blauröcke die

Krieger kaum eine Chance hatten, dem Tod zu entgehen. Der
Häuptling der Apachen wußte aber auch, daß die Soldaten
nicht angreifen würden. So hatte er es mit dem Anführer der
Blauröcke vereinbart.

Der Jefe schlich weiter.
Noch immer näherten sich vereinzelte Krieger den Mustangs.

Manch einer von ihnen schleppte einen verwundeten Gefährten
mit. Running Bull befand sich nicht unter ihnen.

Minuten vergingen, die Cochise endlos erschienen. Noch

immer schlich er durch das Tal auf der Suche nach dem Chief
der aufständischen Indianer.

Plötzlich entdeckte er Running Bull, der im tiefen Schatten

eines Cottonwoods stand und mit verzerrtem Gesicht zu den
Soldaten hinüberstarrte.

Noch immer erhellte flackernder Feuerschein an vereinzelten

Stellen das Valley, dort, wo der Conestoga in die Luft geflogen
war.

Cochise nickte zufrieden und schlich vorsichtig auf Running

Bull zu, dem nichts mehr von seiner Überheblichkeit geblieben
war. Bald hatte sich der Chiricahua bis auf wenige Schritte an
den Gegner herangeschlichen.

Er erhob sich.
Dunkel und wie eine finstere Bedrohung stand der Apachen-

King hinter Running Bull, »Wenn du Cochise suchst, er steht
hinter dir!«

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92

Running Bull bewegte sich zuerst nicht, dann versteifte sich

sein gedrungen wirkender Körper. Er atmete tief durch und
wandte sich Cochise zu.

Der Häuptling der Chiricahuas richtete den Lauf seines

Gewehres auf die Brust seines Gegenübers. Running Bull
starrte den Chief der Apachen finster an.

Auch er hielt ein Gewehr in den Händen, dessen Lauf aber zu

Boden zeigte.

»Running Bull hat verloren und zwar so, wie ich es ihm

gesagt habe. In dem rollenden Wicki-up befanden sich keine
Gewehre, sondern nur Pulver und die kleinen Stäbchen, die
von den Bleichgesichtern Dynamitpatronen genannt werden.
Running Bull ist auf den Trick der Weißhäutigen
hereingefallen. Zum Glück wurden nur wenige seiner Krieger
getötet oder verwundet. Running Bull ist der Gefangene von
Cochise, der bald das Urteil über ihn fällen wird!«

Running Bull lachte heiser.
Sein Gesicht verzerrte sich immer mehr. Bleiches Mondlicht

spiegelte sich in seinen haßerfüllt funkelnden Augen. Die
wulstigen Lippen zuckten.

»Running Bull ergibt sich nicht, Cochise«, stieß er heiser

hervor. »Der Chiricahua muß ihn besiegen. Freiwillig wird er
Cochise auf keinen Fall folgen.«

Das hatte sich der Häuptling der Apachen schon gedacht.

Nach wie vor zielte er mit dem Gewehr auf den Besiegten, der
die Winchester aber einfach ignorierte.

»Dann wird Cochise seinen Gegner töten.«
Running Bull lächelte nun spöttisch.
Er ließ sein Gewehr einfach fallen und reckte dem Jefe seine

nackte Brust entgegen.

»Töte mich, Cochise«, stieß er hervor.

*

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93

Cochise hatte noch niemals in seinem Leben auf einen
waffenlosen und wehrlosen Menschen geschossen, mochte er
es auch hundertmal verdient haben.

Der Chief näherte sich langsam Running Bull, dessen Körper

sich wie zum Sprung duckte.

Dann schnellte der Apache auch schon wie ein wütender

Puma auf Cochise zu, der sein Gewehr fallen ließ und zur Seite
steppte. Running Bull sauste an ihm vorbei, wirbelte wie ein
tollwütiger Büffel herum und warf sich erneut nach vorn.

Der Jefe kannte keine Gnade.
Er schlug zu. Unter den schmetternden Hieben brach

Running Bull zusammen. Es blieb ihm keine Abwehr. Zu
unerfahren war der selbsternannte Chief im Faustkampf, in
dem Cochise von seinem weißen Bruder John Haggerty
unterrichtet worden war.

Cochise blieb vor dem Besiegten stehen, nachdem er sein

Gewehr aufgehoben hatte. Huschende Gestalten näherten sich.
Es handelte sich um Running Bulls Krieger, die sich wie eine
Mauer vor dem Chiricahua aufbauten.

Gewehre und auch Pfeile waren auf Cochise gerichtet, der

darauf aber nicht reagierte. Der besiegte Running Bull quälte
sich auf die Knie und stöhnte leicht.

»Es ist vorbei, meine roten Brüder«, ergriff der Häuptling der

Apachen das Wort. »Running Bull kniet besiegt zu meinen
Füßen. Er war euch kein guter Jefe. Er brachte euch nur
Unglück. Viele eurer Brüder mußten sterben oder wurden
verwundet. Running Bull wird einer gerechten Strafe nicht
entgehen. Ihr solltet heimkehren zu euren Sippen und
Stämmen. Der Krieg gegen die Bleichgesichter und die
Blauröcke ist vorüber. Cochise verzeiht euch. Er läßt euch
gehen. Mehr hat euch der Häuptling der Apachen nicht zu
sagen.«

Cochises Worte verhalten.
Stolz stand er vor den Kriegern und reckte ihnen

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94

herausfordernd das Kinn entgegen. Die meisten Apachen
blickten zu Boden. Einige wandten sich ab, liefen auf die
Mustangs zu, andere folgten schnell. Ein großer Teil aber blieb.

Running Bull erhob sich.
Sein Blick flackerte wie eine fast niedergebrannte Kerze. Das

Kinn schwoll an, wo ihn Cochises Fäuste hart getroffen hatten.

»Running Bull wird dem Chief zu den Blauröcken folgen!«
Der Apache zögerte, nickte aber, als Cochise ihm drohend

eine Faust vor die Nase hielt.

Einige Minuten später erreichten die beiden Indianer die

Soldaten. John Haggerty und Lieutenant Harris traten ihnen
entgegen. Der Falke atmete auf, als er sah, daß sein roter
Bruder unverletzt war.

Der Offizier bedachte Running Bull mit wenig freundlichen

Blicken. Er rief: »Legt den roten Bastard in Ketten, Männer!«

Cochise schüttelte den Kopf.
»Running Bull ist Cochises Gefangener. Nur er bestimmt,

was mit ihm geschehen soll.«

Der junge Lieutenant schluckte und blickte Cochise

überrascht an, der erneut den Kopf schüttelte.

»Cochise hat recht«, sagte John Haggerty. »Der Indianer ist

sein Gefangener. Daran führt kein Weg vorbei, Harris. Sie
sollten sich fügen.«

Zwei Korporale blieben stehen. Die Handschellen in ihren

Händen klirrten leise.

»Okay«, knurrte Harris. »Das soll Colonel Samson

entscheiden. Es kann nicht mehr lange dauern, bis er mit dem
Rest unserer Leute eintrifft.«

Damit war die Sache für den Offizier erledigt. Er trat zu

seinen Leuten.

Bestimmt gibt er nun Befehle, gut auf den Gefangenen zu

achten, dachte der Falke.

Cochise fesselte inzwischen den besiegten Running Bull an

einen Baumstamm, ehe er zu John Haggerty zurückkehrte.

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95

»Was hast du vor?« fragte der Falke.
Cochise gab keine Antwort.

*

Ein neuer Morgen graute.

Die restliche Nacht war ruhig verlaufen, obwohl Running

Bulls besiegte Krieger das Tal noch nicht verlassen hatten.

Der Gefangene hing in seinen Fesseln am Stamm des

Cottonwoods und bot einen kläglichen Anblick. Nur wenige
Schritte entfernt kauerten vier Soldaten, die ihn bewachten.

Hufschläge näherten sich vom Taleingang. Der klirrende

Trab einer Kavallerieabteilung war weit zu hören. Dann
tauchten auch schon die ersten Blauröcke auf.

An der Spitze ritt Colonel Stuart B. Samson. Zwischen den

Soldaten die beiden Frauen.

Running Bulls Krieger zogen sich bis zum

gegenüberliegenden Talhang zurück. Sie unterließen alles, was
auf Feindseligkeiten hindeuten konnte.

Gegen die geballte Streitmacht der Blaubäuche hatten die

Indianer auch nicht den leisesten Hauch einer Chance.

Lieutenant John Harris erstattete seinem Vorgesetzten

Meldung, der zufrieden nickte und anerkennende Blicke in
Richtung Cochise und Haggerty schickte.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte der Offizier wenige

Minuten später, nachdem er die beiden Männer begrüßt hatte.

»Es ist also geschafft, Häuptling. Running Bull ist nun

endgültig besiegt. Ich nehme ihn mit nach Fort Bowie, wo er
vor ein Kriegsgericht gestellt wird.«

Cochises Gesicht verhärtete sich. Colonel Stuart B. Samson

sah es mit Verwunderung.

»Sind Sie anderer Meinung, Cochise?«
»So ist es«, antwortete der Chiricahua ruhig. »Running Bull

gehört Cochise. Er hat ihn gefangen. Cochise bestraft seinen

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Gefangenen selbst. Er braucht dazu nicht die Hilfe des weißen
Mannes.«

Samson kaute auf seiner Unterlippe. Die Worte des großen

Apachen gefielen ihm nicht.

»Ich habe meine Vorschriften und Befehle, Chief«,

entgegnete er. »Mir bleibt keine andere Wahl, als den
Gefangenen nach Fort Bowie zu überstellen. Bitte sehen Sie
das ein, Cochise. Ich… « Erneut erklangen Hufschläge vom
Taleingang auf. Es waren mehr als hundert Indianer, die auf
schnellen Mustangs in das Tal jagten. Die Soldaten erschraken
und griffen zu den Waffen. »Nicht schießen, Sir«, rief John
Haggerty. »Das ist Naiche mit den Chiricahuas. Und ich
erkenne auch Victorio, den Häuptling der Mimbrenjos, mit
seinen Kriegern. Ein einziger unbedachter Schuß kann ein
Blutbad auslösen.«

Colonel Samson gab die entsprechenden Befehle. Die

Apachen zügelten ihre Pferde und formierten sich dann zu
einer Schützenkette. Ihre Waffen funkelten in den Strahlen der
aufgehenden Sonne.

Es war ein Anblick voll heidnischer Pracht, den die

Apachenkrieger boten. Manch einer der Soldaten schluckte.
Andere bekreuzigten sich.

Colonel Samson sah Cochise von der Seite an.
»Das haben Sie gut geplant, Cochise«, sagte er leise.

»Wollen Sie mit den Kriegern Ihrer Forderung Nachdruck
verleihen?«

»Cochise wußte nichts von den Kriegern«, bekannte der

Chief. »Sie sind ohne mein Wissen hier.«

Colonel Samson schien den Worten des Apachen-King nicht

so richtig zu trauen.

»Auf jeden Fall sind Ihre Krieger genau zum richtigen

Zeitpunkt aufgetaucht.«

»Das stimmt, Colonel, hat aber nichts damit zu tun, daß

Running Bull der Gefangene von Cochise ist.«

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97

»Was haben Sie mit ihm vor?«
Der großgewachsene Körper des Apachen-Häuptlings

straffte sich. Sein breiter Brustkasten hob sich mehrmals, als
Cochise tief durchatmete.

»Der Jefe der Apachen wird mit Running Bull kämpfen und

ihn entgültig besiegen. Dann hat er das Gesicht vor allen seinen
Anhängern endgültig verloren.«

»Ein Zweikampf?« fragte Haggerty interessiert.
Cochise blickte den Falken an, der aber nur mit den Achseln

zuckte.

Colonel Stuart B. Samson nagte erneut an seiner Unterlippe.

Anscheinend überlegte er, ob er das alles mit seinen
Vorschriften in Einklang bringen konnte.

»Ich kann es wohl nicht verhindern«, sagte er ausweichend.

»Sie haben nun einmal die besseren Karten, Cochise.
Außerdem haben wir Ihnen viel, sehr viel zu verdanken.«

Der Colonel blickte zu Delia und Priscilla hinüber, die im

Schatten eines Baumes lagen und sich noch immer nicht ganz
von den Strapazen des Ritts erholt hatten.

»Wann soll der Kampf stattfinden?« fragte Haggerty. Er

zeigte seine Besorgnis nicht, daß Cochise gegen den
gefangenen Running Bull zum Zweikampf antreten wollte.

»Sobald ich mit Naiche und Victorio gesprochen habe«,

sagte der Häuptling der Chiricahuas. Langsam ging er auf die
Phalanx der Apachenkrieger zu, die noch immer wild und
verwegen auf ihren Mustangs saßen.

Naiche und Victorio sprangen von den Pferderücken und

liefen dem Häuptling der Apachen entgegen.

Cochises Sohn und der Häuptling der Mimbrenjo-Apachen

verneigten sich leicht, um dem Jefe ihre Ehrerbietung
auszudrücken.

»Braucht mein Vater Hilfe von den tapferen Kriegern der

Chiricahuas und der Mimbrenjos?« fragte Naiche.

Auch Victorio sah Cochise fest an. Etwas Lauerndes lag in

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98

seinem Blick. Er mochte die Bleichgesichter nicht und hatte
schon öfter alles darangesetzt, den Frieden mit den Blauröcken
zu brechen. Der Häuptling der Apachen verneinte und erklärte
mit wenigen Worten, was geschehen war. Er sprach auch von
dem bevorstehenden Zweikampf mit Running Bull. Naiches
Augen blitzten auf.

»Laß mich kämpfen, Vater!« rief er.
Cochise schüttelte den Kopf.
»Das ist Cochises Aufgabe. Er ist der Jefe, und es ist sein

Kampf, den er nicht seinem Sohn überlassen kann.«

Victorio nickte stumm. Auch er wäre sofort bereit, gegen

Running Bull zu kämpfen. Der Häuptling wußte das.

»Schick einen Boten zu Running Bulls Männern hinüber. Sie

sollen dem Kampf beiwohnen, wie auch die Krieger der
Chiricahuas und der Mimbrenjos.«

Naiche sah seinen Vater fest an.
»Werden die Langmesser Frieden halten?«
»Bestimmt, mein Sohn. Es gibt keine Feindschaft zwischen

den Blauröcken und den Apachen.«

Cochise ging zum Camp der Soldaten zurück, wo sich

inzwischen herumgesprochen hatte, was der Chiricahua
beabsichtigte. Und die Soldaten wetteten bereits, wer diesen
Kampf gewinnen würde.

Die Chancen lagen eindeutig auf Cochises Seite. Er hatte den

Blaubäuchen in den letzten Tagen sehr imponiert.

Cochise trat zu Running Bull, der noch immer gefesselt war

und dem Jefe aus wachen Augen entgegenblickte.

»Diesmal wird Running Bull um sein Leben gegen Cochise

kämpfen müssen. Wenn er ihn besiegt, ist Running Bull frei
und kann reiten wohin er will.«

Running Bull mußte diese Worte erst einmal verdauen, die

ganz neue Möglichkeiten für ihn brachten.

»Running Bull vertraut den Worten Cochises, daß er reiten

darf, wenn er den Kampf gewinnt. Was aber sagen die

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99

Blauröcke dazu? Lassen auch Sie Running Bull reiten?«

»So ist es.«
John Haggerty, der einige Brocken des Gesprächs verstanden

hatte, konnte sich nicht vorstellen, daß Colonel Samson den
Gefangenen reiten lassen würde, sollte dieser wirklich den
Häuptling der Apachen besiegen.

*

Über hundert Apachen und ungefähr fünfzig Soldaten
umringten die beiden Kämpfer in einem großen Kreis.
Langsam legte sich das Stimmengemurmel.

Alle Augen richteten sich auf Cochise und Running Bull, die

sich gegenüberstanden. Heiß brannte die Sonne nieder und
trieb, den Zuschauern Schweißperlen auf die Gesichter.

Der Chiricahua und auch der Chief der aufständischen

Indianer hielten schwere Büffelmesser in den Fäusten. Ihre
nackten Oberkörper schimmerten wie mit Öl eingerieben.

Noch war der Zweikampf auf Leben und Tod nicht eröffnet.

John Haggerty hatte die Rolle des Schiedsrichters übernommen
und stand zwischen den beiden Kämpfern.

Cochise wandte sich nochmals an Colonel Samson und

Naiche, die dicht nebeneinander standen.

»Sollte Running Bull den Kampf gewinnen, dann kann er

reiten, wohin er will. Er darf nicht verfolgt werden. So will es
Cochise, der Häuptling der Apachen!«

Colonel Stuart B. Samson schluckte und äußerte sich nicht.

Naiche nickte sofort seinem Vater zu. Für ihn war es
selbstverständlich, daß Running Bull die Freiheit erhielt, sollte
er diesen Zweikampf zu seinen Gunsten entscheiden.

Der Offizier wußte aber, daß er den Wunsch des Chiricahuas

nicht abschlagen konnte, schon in Anbetracht der hundert
Apachen, die dem letzten Wunsch ihres Häuptlings
bedingungslos erfüllen würden.

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100

So nickte schließlich auch Colonel Samson.
John Haggerty atmete auf.
Er blickte Cochise an, lächelte, als wolle er ihm Mut

zusprechen.

Haggerty verließ seinen Platz zwischen den beiden

Kämpfern und trat zu Samson und Naiche. Victorio stand
einige Schritte daneben. Sein Gesicht blieb unbewegt.

»Der Kampf kann beginnen«, rief der Falke. »Der Bessere

soll gewinnen. Möge der Zweikampf fair sein!«

Cochise und Running Bull duckten sich nun leicht und

begannen, sich zu umkreisen. Wieder schimmerten ihre
Oberkörper schweißig, wo dicke Muskelstränge zu sehen
waren.

Es war Running Bull, der den ersten Angriff wagte.
Er sprang mit einem Panthersatz nach vorn. Dabei reckte er

seine messerbewehrte Hand wie eine Lanze nach vorn.

Cochise wich geschickt zur Seite. Seine Klinge zuckte nach

vorn. Nur in letzter Sekunde konnte Running Bull ausweichen.
Trotzdem ritzte das Büffelmesser seine Schulter.

Blut sickerte über seinen Rücken.
Ein Aufschrei ging durch die zahlreichen Zuschauer, die wie

gebannt den Kampf verfolgten.

Delia und Priscilla Samson standen abseits. Sie wollten

diesem wilden und heidnischen Schauspiel nicht zusehen.
Priscilla legte ihren Arm um die Schultern ihrer Mutter und
drückte sie leicht.

»Ich wünsche mir nur eines, und zwar so schnell wie

möglich im Fort zu sein«, sagte Delia. Ein Aufschrei, der durch
die Zuschauer ging, ließ sie zusammenzucken.

*

Der Kampf auf Leben und Tod ging weiter.

Noch immer war es mehr ein Abtasten zwischen Cochise und

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101

Running Bull. Keiner von ihnen ließ sich aus seiner Reserve
locken.

Wieder umkreisten sich die beiden.
Diesmal war es Cochise, der sich plötzlich nach vorn warf

und zustieß. Die Messerklinge ritzte den Apachen erneut.

Kehlig aufschreiend wich Running Bull zurück. Cochise

setzte nach. Es schien, als wolle er nun den Kampf innerhalb
kürzester Zeit für sich entscheiden.

Running Bull ließ es nicht zu. Er entwickelte plötzlich

ungeahnte Kräfte und Fähigkeiten, die sogar den erfahrenen
Apachen-Chief in Schwierigkeiten brachten.

Cochise mußte nun zurückweichen.
Stille herrschte im weiten Kreis der Zuschauer. Die Gesichter

der Apachen blieben unbewegt, während die Soldaten mit
blitzenden Augen den Kampf verfolgten.

Naiches Gesicht verzog sich, als er seinen Vater

zurückweichen sah. Auch John Haggerty lächelte verstohlen.
Er kannte den alten, listigen Fuchs Cochise zu genau, um nicht
zu wissen, daß dies nichts anderes als eine Finte war, um
Running Bull noch stürmischer angreifen zu lassen.

Er griff auch wie ein Berserker an.
Der Häuptling der Chiricahuas wich immer wieder geschickt

aus. Er geriet trotzdem nochmals in starke Bedrängnis, als
Running Bull einen Trick anwandte.

Wieder hielt er seine Hand mit dem Büffelmesser wie eine

Lanze nach vorn gereckt. Dann wechselte er aber plötzlich das
Messer von der rechten in die linke Hand.

Damit konnte Cochise nicht rechnen.
So reichte sein Sprung nicht ganz aus, um der

vorschnellenden Klinge auszuweichen. Sie traf ihn an der
Hüfte, doch sie streifte den Apachen-King nur, der
zurücktaumelte. Blut rann aus der Wunde und färbte die Hose
dunkel.

Running Bull stieß einen zufriedenen Schrei aus und stürmte

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102

erneut auf Cochise zu, der sich aber noch längst nicht
geschlagen gab und den Angriff abwehren konnte.

Die beiden Kämpfer prallten wenige Sekunden später hart

aufeinander. Jeder von ihnen umklammerte die Messerhand des
Gegners. Running Bull stellte Cochise ein Bein.

Beide Männer stürzten und rollten eng umschlungen über

den sandigen Boden. Der abtrünnige Apache kam auf Cochise
zu liegen. Seine Hand mit dem Büffelmesser näherte sich
immer mehr der Kehle des Häuptlings der Apachen.

Nun wandte Cochise einen Trick an.
Er lockerte seinen Griff um Running Bulls Messerhand

plötzlich und rollte sich gleichzeitig zur Seite. Dicht neben
seinem Kopf bohrte sich das Messer in die Erde.

Cochise bäumte sich wie ein wilder Mustang auf und

schüttelte den überraschten Gegner ab, der schon an seinen
Sieg geglaubt hatte.

Beide Kämpfer sprangen fast gleichzeitig auf die Beine. Der

Apachen-King war ein wenig schneller.

Sein Fuß schnellte nach vorn, traf Running Bulls Hand und

trat ihm das Messer aus den Fingern.

Der breitschultrige Apache schrie auf. Federnd blieb das

Büffelmesser im Boden stecken. Running Bull überwand den
Schock schnell. Er hechtete auf die Stelle zu, wo das Messer
lag, doch der Apachen-Chief war schneller.

Noch vor Running Bull erreichte er die Waffe, packte sie und

schleuderte sie einige Yards fort.

Der abtrünnige Apache lag am Boden und erinnerte für

einige Sekundenbruchteile an einen Käfer, der sich tot stellt.
Cochise stand breitbeinig vor ihm. Die Messerklinge richtete
sich auf Running Bull, der den tödlichen Stoß erwartete.

Ein Geraune ging durch die Menschenmenge. Naiches

Gesicht drückte unsagbaren Stolz aus.

»Zastee!« schrie er. »Töte, Cochise!«
Der Häuptling der Chiricahuas stand noch immer regungslos

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103

und sah zu, wie sich sein Gegner langsam aufrichtete.

Running Bull schielte zu seinem Messer, sah aber ein, daß er

es nicht erreichen konnte, ohne vorher mit der blitzenden
Klinge des Apachen-Chiefs Bekanntschaft zu machen.

Cochise starrte seinen Gegner hart an. Dann schleuderte er

sein Messer hinter sich.

Ein Aufschrei ging durch die Soldaten. Die Apachen-Krieger

sahen sich verblüfft an. Niemand hatte mit dieser
überraschenden Wendung gerechnet.

*

»Wehr dich, Running Bull!«

Der aufständische Apache blickte Cochise staunend an. Er,

der schon mit seinem Leben abgeschlossen hatte, sah nun auf
einmal noch eine winzige Chance, das Kampfgeschehen
wenden zu können.

Er stürmte los.
Und dann erhielt Running Bull die fürchterlichste Tracht

Prügel seines Lebens. Cochise zerschlug ihn gnadenlos mit
seinen schnellen Fäusten.

Schon bald mußte Running Bull zu Boden.
Er blutete aus der Nase. Das rechte Auge schloß sich

langsam. Große Schmerzen pulsierten durch seinen Körper.

Nochmals erhob er sich, stand krumm und bucklig vor dem

Apachen-Chief.

»Wenn du genug hast, Running Bull, dann solltest du es mir

sagen«, rief Cochise.

Running Bull senkte nur den Kopf und wankte auf den

Chiricahua zu, der zur Seite wich und eine gestochene Gerade
gegen den Kopf seines Gegners schmetterte.

Das war entschieden zuviel für Running Bull. Er blieb

ächzend stehen, taumelte dann zurück, fiel auf den Rücken und
blieb liegen.

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104

Die Soldaten schrien Beifall, einige klatschten. Das Geraune

der Mimbrenjos, der Chiricahuas und auch der Anhänger von
Running Bull wurde lauter.

»Töte ihn!« schrie Naiche. Victorio stimmte in den Ruf mit

ein. Bald forderten alle Apachen den Tod des aufständischen
Chiefs.

Cochise hob beide Hände, als er sah, daß Running Bull

seinen Oberkörper hochwuchtete, aber nicht die Kraft hatte,
sich zu erheben.

»Cochise schenkt Running Bull sein Leben«, rief der

Chiricahua. »Er kann reiten, wohin er will. Cochise schließt ihn
aus der Gemeinschaft der Apachen aus. Die tapferen Krieger
der Apachen-Nation werden Running Bull töten, sollte er nicht
das Land der Apachen verlassen. Cochise hat gesprochen!«

Running Bull saß nun regungslos am Boden. In seinem

Schädel mußte durch die schmetternden Schläge des Chiefs
einiges in Unordnung sein. Trotzdem kapierte er, daß ihm der
Häuptling der Apachen sein Leben schenkte.

Nochmals raffte Running Bull all seine Kräfte zusammen. Er

wankte wie ein Grashalm im Wind, als er endlich auf den
Füßen stand. Er räusperte sich.

Kehlig klang seine Stimme, als er mühsam sagte: »Running

Bull will nicht durch Cochises Gnade leben. Er hat den
Zweikampf verloren und den Tod verdient. Er bittet Cochise,
ihn zu töten!«

Der Jefe schüttelte den Kopf.
»Cochise hat seinen Worten nichts mehr hinzuzufügen.

Running Bull soll seines Weges reiten und das Land
verlassen.«

Der Häuptling der Apachen wandte sich den Anhängern von

Running Bull zu.

Die Krieger senkten die Köpfe. Längst war ihnen

klargeworden, daß sie einem unwürdigen Chief ihr Vertrauen
geschenkt hatten.

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»Euch allen verzeiht der Jefe der Apachen. Reitet zu euren

Stämmen und Sippen. Kehrt heim und fügt euch den Befehlen
Cochises!«

Der Chiricahua schritt auf Colonel Samson zu, der den

stolzen Apachen staunend anstarrte. John Haggerty trat schnell
zu dem Offizier.

»Tun Sie nichts unüberlegtes, Sir«, flüsterte Haggerty.

»Cochise handelte richtig und sehr weise. Für Running Bull
bedeutet diese Niederlage das Ende. Es ist für ihn schlimmer,
als der Tod, ausgestoßen zu werden. Gratulieren sie dem Chief
zu seinem Sieg und reiten Sie mit ihren Soldaten weiter.
General Howard wird das alles verstehen und Ihre
Handlungsweise akzeptieren. Das ist nur ein wohlgemeinter
Rat, Sir. Sie müssen eine eigene Entscheidung fällen.«

Cochise tat so, als habe er die geflüsterten Worte des Falken

nicht verstanden. Er blieb vor Colonel Stuart B. Samson
stehen, in dessen Gesicht es arbeitete.

Impulsiv streckte der Offizier dem Apachen-Häuptling die

Hand entgegen, die dieser ergriff.

»Meinen Glückwunsch, Cochise. Sie sind ein noch größerer

und tapferer Krieger, als ich ahnen konnte. Durch Sie kehrt nun
wieder Frieden ein. Das Land hat Ihnen sehr viel zu
verdanken.«

Cochise lächelte sanft.
»Der Häuptling der Apachen tat nur seine Pflicht«,

antwortete der Chief. »Er will den großen Krieg zwischen der
roten und der weißen Nation verhindern. Und er hofft, daß nun
viele Bleichgesichter davon überzeugt sind, daß es Cochise
ehrlich meint.«

Colonel Samson legte seine Hand an seinen Hut und stand

stramm vor Cochise. Dann wandte er sich ab, winkte seine
Lieutenants herbei und gab den Befehl zum Aufbruch.

Delia und Priscilla traten zu Cochise und Haggerty. Sie

bedankten sich bei den beiden sehr herzlich. Und Cochise

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geriet aus der Fassung, als sich Priscilla plötzlich nach vorn
beugte, sich auf die Zehnenspitzen stellte und dem Indianer-
Chief einen Kuß auf die Wange hauchte. Dann folgte sie
schnell ihrer Mutter, die zu ihrem Mann ging, der auf Frau und
Tochter wartete.

»Cochise hat die Herzen der beiden Frauen im Sturm

erobert«, sagte der Falke lächelnd. »Hoffentlich haben deine
Krieger nicht gesehen, daß Cochise von einer weißen Squaw
geküßt wurde.«

»Es wäre viel besser für alle Menschen auf dieser Welt,

wenn Liebe statt Haß triumphieren würde«, erwiderte Cochise.
»Laß uns reiten, mein Bruder.«

John Haggerty stimmte zu.
Naiche und Victorio ritten bereits mit den Kriegern davon.

Nur Running Bull kauerte noch am Boden. Er wirkte verloren
und starrte düster in die Ferne.

Cochise und Haggerty zogen sich auf die Pferderücken.

Ohne dem geschlagenen Running Bull noch einen Blick zu
gönnen, ritten sie davon.

*

»Tla-ina wird sich freuen, den Falken wiederzusehen«, sagte
Cochise, als sie sich der Apacheria näherten.

»Auch ich freue mich sehr«, antwortete John Haggerty

geradeheraus.

»Deine Schwester ist ein liebenswertes Mädchen. Und

ich…«

»Der Falke soll nicht weiterreden«, rief Cochise. »Keiner

von uns weiß, was die Zukunft bringt. Wir Apachen kämpfen
ums nackte Überleben. Die Bleichgesichter wollen uns eines
Tages aus unserem Land vertreiben und vernichten.«

John Haggerty preßte die Lippen hart aufeinander. Er wußte

zu gut, wie recht der Chiricahua mit seinen Worten hatte.

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107

»Der Falke wird Cochise helfen, die Probleme zu meistern«,

sagte Haggerty. »Cochise hat viele Freunde, auch unter den
Bleichgesichtern. Er ist ein großer und gerechter Häuptling, der
sein Volk gut führt.«

»Dort wartet Tla-ina«, wich Cochise weiteren Worten aus. Er

deutete zu einem Felsen hinüber, wo Sanfter Wind stand und
freudig den Reitern zuwinkte.

Ihr langes Haar wehte im Wind. John Haggerty warf Cochise

einen kurzen Seitenblick zu und sah den Chief lächeln.

Er trieb seinen Rapphengst an, der sich streckte und auf die

Felsen zugaloppierte, auf denen Sanfter Wind wartete.

Sie turnte über die Felsbrocken, eilte auf den Falken zu, der

aus dem Sattel sprang und dem jungen Apachenmädchen
entgegeneilte. Tla-ina flog in Hagertys Arme.

Die beiden jungen Menschen umarmten sich lange, ehe sie in

den Schatten eines Cottonwoods schlenderten und sich dort ins
Gras setzten.

Cochise blickte nachdenklich zu ihnen hinüber.
Dann trieb er lächelnd seinen Pinto an und verdrängte die

düsteren Gedanken vor der Zukunft. Solange es Liebe und
Glück auf dieser Welt gab, durfte man nie die Hoffnung
aufgeben.

ENDE


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