Apache Cochise 23 Ein Fort stirbt

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John Montana

Ein Fort stirbt …

Apache Cochise

Band Nr. 23

Version 1.0

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Prolog

Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder.
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.

Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von

Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten
Rasse führten.

Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner

waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer
hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers
glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer
eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen
Apachen-Skalp.

Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer

mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«?

Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und

mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer
»Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den
Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den
Indianern fühlten.

Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer-

und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von

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vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung
abgetan wird.

Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden

Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung
trieb, nicht mit ansehen muß.

Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die

Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft,
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen
Arizonas.

Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet?
Sicherlich nicht, denn kein, nomadisierendes Volk in Europa,

Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden.
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum
Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen
die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich
das große graue Leichentuch über die Stämme und
Sippenverbände.

Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren

möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments
gegen die rote Rasse gewesen wäre.

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Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten

Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu
ihrem Recht zu verhelfen.

Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu

richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es
womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der
damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten
und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer
rauhen Umwelt.

Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen

Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter
authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in
Romanform für den deutschen Sprachraum, noch nicht oder
nur in Kurzform gebracht wurde.

Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen

und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und
geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch
makabren Hintergrund.

Ihr Martin Kelter Verlag.

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***

Die in diesem Roman geschilderte Geistertanz-Religion war
eine kurz aufflackernde »Nova«, die bald in Vergessenheit
geriet, ehe sie 1889 neue Bedeutung erlangte und, von dem
Payuta-Massaker Wovoka ins Leben gerufen, bei den
Plainsstämmen bald viele Anhänger fand.

Eine kultische Bewegung, die dem Indianer ein goldenes

Zeitalter versprach, die Vereinigung und Auferstehung ihrer
toten Brüder, wie auch die Rückkehr der verschwundenen
Büffelherden in ihr Jagdgebiet und den Abzug der weißen
Eroberer. Ihre gewaltlose Doktrin ließ jedoch durchblicken,
daß die Anhänger des Glaubens dazu beitragen konnten – der
Prophezeiung des Kults -, das Verschwinden des weißen
Mannes durchaus zu beschleunigen.

Das »Geisterhemd« aus Messelin, Wildleder oder

Baumwolle, verziert mit vielen Symbolen, galt als
Abwehrzauber, dessen magische Kraft den Träger wie ein
Schutzpanzer gegen jede Kugel unverwundbar machen sollte.

Diese Geistertanz-Bewegung zerfiel Ende 1890 durch einen

Erlaß Washingtons und dem Eingreifen der US-Armee.

Die Kälte drang durch den Pelz und setzte sich auf der Haut
fest. Der eisige Wind, von den schneebedeckten Peaks der
Swisshelm Mountains kommend, streifte sein Antlitz wie eine
Totenhand. Aber seine Schulter brannte wie Feuer.

John Haggerty führte seinen Pinto lose am Zügel und

bemühte sich durch eine schnelle Gangart den Frost aus seinen
Gliedern zu drängen.

Der helle Verband, der seine Stirn umschloß und die Wunde

bedeckte, die von einem Streifschuß herrührte, dem der Outlaw
Morgan ihm im Kampf bei den roten Felsen zugefügt hatte,

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zeigte Spuren von Blut. Auch die Schußwunde an der Schulter
mußte vom anstrengenden Marsch aufgebrochen sein.

Aber die Zeichen waren gesetzt. Die drohende Gefahr eines

blutigen Aufstandes durch einfallende Caddo- und
Wichitastämme erlaubten John Haggerty keine Ruhe, um sich
von seinen Verletzungen zu erholen.

Zu lange schon wartete Cochise auf ein Zeichen.
Der Scout kämpfte mühsam gegen den Berg an, an dessen

Saum, über schwindelnden Abgründen, die Serpentine zum
alten Kloster Santa Elfrida führte.

Drei Tage schon bewegte er sich durch die Wildnis,

durchquerte einsame Täler und Schluchten, ohne einem
Menschen zu begegnen, und nur selten stieß er auf eine
Antilope oder ein Dickhornschaf, um seine kargen Vorräte zu
schonen. Es schien ein fast totes Land zu sein.

Haggerty blickte die Steilwände hoch. Irgendwo dort oben

lagen die Ruinen des alten spanischen Klosters, wo ein Treffen
mit Cochise vereinbart worden war. Stunden oder vielleicht
einen ganzen Tag entfernt.

John kämpfte gegen die beißende Kälte, die gleich der

Einsamkeit sein Feind war.

Aber er war ein harter Frontierman. Geformt von der Wildnis

und den widernatürlichen harten Verhältnissen des
Apachenlandes.

Wolken streiften die hoch aufragenden Felskuppen, die in

milchigem Schleier verschwanden und ihm jede Orientierung
nahmen.

Der Saumpfad erweiterte sich. John bestieg sein Pferd.
Es mußte Mittag sein. Oder Nachmittag.
Der diesige, von Kälte erstarrte Tag verdrängte jedes Gefühl

für Zeit und Raum.

Längst lag die Wüstenregion weit zurück. Kahler nackter

Fels umgab ihn, der nur karge Vegetation erlaubte, und John
das Gefühl übermittelte, daß er am Ende der Welt reiten würde.

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Der Wind blies höllisch, trieb Staub und Steine vor sich her

und stemmte sich dem fremden Eindringling feindselig
entgegen, so, als wollte er ihn in die Wüste zurücktreiben.

Aber für John gab es kein Zurück. Dafür war seine Mission

zu wichtig.

Irgendwann erreichte er ein Plateau, das sich nach Süden

erstreckte. Collas, Husache und verwitterte Krüppelkiefern
bedeckten den Fels. Der Wind spielte mit kugelrunden
Tumbleweedsträuchern, die er vor sich her in den Abgrund
trieb.

John stieg vom Pferd. Irgendwie hatte er das Gefühl, sich

verlaufen zu haben. Schon beschloß er, einen Lagerplatz zu
suchen, auf ein Abflauen des Sturmes zu warten, und dann
seinen Weg an den Zeichen der hohen Bergkuppen zu suchen,
da tauchte aus dem höllischen Inferno ein Schatten auf, der ihm
mit großen Schritten entgegenstrebte. Unwirklich in seiner
Erscheinung, wie ein Berggeist, grotesk verzerrt vom
fliehenden Staub, daß John Haggerty unwillkürlich nach dem
Revolver griff.

Aber dann war der Schatten heran, schälte sich in seiner

Größe aus dem weiten, kälteschützenden Fellmantel, und ein
kühnes rotbraunes Antlitz blickte Haggerty an.

»Cochise«, rief John überrascht und erleichtert zugleich. »Ich

hatte unser Wiedersehen fast aufgegeben.«

»Komm«, sagte der berühmte Häuptling, erfaßte die Zügel

des Pferdes und stampfte John voran in südlicher Richtung, wo
John schon bald die brüchige Vergangenheit eines alten
Klosterordens erkennen konnte.

Morsches Gestein, von Wind und Wetter zerfressen,

verfallene Gebäude einer einst stolzen christlichen Gemeinde.
Nichts war geblieben vom Glauben dieser Menschen, ihrem
Wirken, die wilden Berg- und Plainsstämme der Apachen vom
Wege der Götter zum Glauben Christi zu führen.

Kloster Santa Elfrida war ein Anblick in tiefste

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Vergangenheit und zerfallen wie das stolze Imperium
spanischer Condotteris.

*

Cochise führte das Pferd in den schützenden Mauerfrieden der
Kapelle. Noch während John Haggerty vom Pferd stieg, sah er
eine schlanke Gestalt am Feuer.

»Du bist nicht allein, Chief?« fragte der Scout erstaunt.
Cochise lächelte, während er die Sattelgurte löste. »Tla-ina

hat mir die Tage des Wartens verkürzt.«

»Tla-ina?« John spürte, wie sein Herz einige Takte schneller

schlug. Es war lange her, daß er Cochises Schwester begegnet
war. Er kannte sie fast nur noch in seinen Träumen.

Die geschmeidige Apachin hatte sich erhoben. Mit graziler

Bewegung wandte sie sich um. Ihr Mund war leicht geöffnet.
Ihre Augen füllten ein zärtliches Lächeln. Mit ruhigen
Schritten trat sie näher, daß John ihre Schönheit erkennen
konnte, die ihm in Erinnerung geblieben war.

Er spürte ihre zärtliche Umarmung, den heftigen Atem, der

ihre Erregtheit verriet, und den Duft wildwachsender Blumen,
der ihrer Haut entstieg.

»Willkommen, Falke«, flüsterte sie mit leiser, doch klarer

Stimme, aus der ihre Gefühle für John erkennbar waren. »Es
waren lange Tage und Nächte, die mein Bruder und ich warten
mußten. Aber der Augenblick entschädigt mich für diese Zeit.«

John legte den gesunden rechten Arm über ihre Schulter und

preßte den geschmeidigen Körper Tla-inas fest an sich.

»So erfreut dich unser Wiedersehen?«
»Es ist eine glückliche Stunde, die die dunklen Schatten

unserer Zukunft verdeckt, Falke.« Sie schwieg und trat einen
Schritt zurück. Ihr Blick streifte Johns Stirn, denn erst jetzt
schien sie den blutigen Verband zu entdecken. »Meine
Brüder?«

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John schüttelte den Kopf. »Desperados von der übelsten

Sorte, die den Aufstand im Tal schüren. Wir werden darüber
sprechen.«

Ihre Finger glitten über Johns Schulter, und er sah ihr

Erschrecken. »Ja, auch dort hat es mich erwischt«, sagte er
lächelnd. »Ich hoffe, die Wunde wird bald heilen.«

»Komm«, sagte Tla-ina und führte den Mann zum Feuer,

»lege dich nieder, ich will mir die Verletzung ansehen.«

»Es ist viel Zeit vergangen, und ich muß mit deinem Bruder

sprechen«, protestierte Haggerty.

»Dies kannst du tun, während ich deine Wunden verbinde.«

Tla-ina half John aus der Kleidung. Als sie den Verband löste
und das rohe gerötete Fleisch sah, rief sie: »Oh, das sieht
schrecklich aus. Aber ich hoffe, dir helfen zu können.«

Sie kramte aus ihrer Felltasche Salben, Kräuter und Tunken.
Cochise setzte sich schweigend ans Feuer. Neugier lag in

seinen Augen, aber auch Sorge.

John Haggerty verstand den Blick, aber er wußte, daß

Cochise keine Fragen stellen würde.

»Es sieht übel aus in den Gila Bends, Chief. Räuberische

Horden der Caddos und Wichitas vereinen sich zu einer
Rebellenarmee, die den Tod aller ihrer Feinde beschworen hat.
Ganz gleich, ob sie von weißer, oder roter Hautfarbe sind.«

Cochise schwieg noch immer.
Tla-ina war näher getreten und begann vorsichtig die Wunde

zu reinigen. Dann nahm sie aus einer Schale eine
gelantineartige, übelriechende Masse und belegte damit die
entzündete Stelle. Sie lächelte zuversichtlich.

»Es riecht wie der frische Dung des Büffels, aber es zieht das

Feuer aus dem Fleisch.« Tla-ina legte einen Preßverband um
seine Schulter und zog die Decke bis an sein Kinn. »Du wirst
schlafen müssen.«

»Erst muß ich mit dem Chief sprechen.«
Cochise nickte düster. »Welche Botschaft schickt mir dein

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Häuptling, Falke?«

»Die des Friedens, Jefe. Er hofft, daß seine Armee und die

Apachen-Stämme den Feind aus dem Land vertreiben und ein
ständiger Frieden zwischen deinem Volk und meinem Volk
geschaffen wird.«

Cochise dachte an Victorio, Ulzana und den jungen

Gokhlayeh, die darauf brannten, von ruhmreichen Taten zu
berichten. Die Mimbrenjos wollten keinen Frieden. Sie suchten
nur ihre Freiheit und waren bereit, darum zu kämpfen.

»Es wird keinen Frieden geben, solange die Flut der

Siedlerkarawanen unser Land überschwemmt, die Siedler
Zäune errichten und Felder bestellen«, sagte er deshalb.

»Es ist der Lauf der Zeit, der nicht mehr aufzuhalten ist,

Häuptling. Unsere Völker sollten lernen, miteinander zu leben
und einander zu lieben. Das Land ist groß und hat für alle
Platz.«

Cochise schloß die Augen. Er träumte von seinem Land, das

seine Urväter den Zunis genommen hatten, und das nun der
Raubgier fremder Eindringlinge zum Opfer fallen sollte.

»Nie wird die Zeit kommen, wo wir beide das erleben«, sagte

er leise. Er öffnete die Augen und sah, daß Tla-ina ihren Arm
um den Nacken des Falken gelegt hatte und ihm heißen Tee
einflößte. »Du und ich kennen die Zukunft unseres Landes.«

»Es wird ein langer Weg, Jefe. Doch die größere Gefahr

kommt aus dem Osten. Wichitas und Caddos legen die
Brandfackeln zum großen Aufstand. Ströme von Blut werden
die Gila durchfließen, wenn wir keinen Weg zur Einigkeit
finden. Die Soldaten meines Häuptlings sind zu schwach, um
allein gegen diese Horden anzutreten. Er sucht die Allianz mit
dir, wenn du bereit bist, dein Kriegsbeil gegen die Weißen zu
begraben.«

John dachte an die schwachbesetzten Forts im Grenzland, die

zum Teil nur mit halber Besatzung bestückt waren. Mit
schlechten Waffen, zum Teil ohne schweren Beschuß.

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»Wirst du den Weg suchen, Chief?« fragte er nach einer

Weile.

»Ich werde nachdenken«, erwiderte Cochise, während er sich

erhob und in die Abenddämmerung trat. Seine Gedanken
waren mit Sorgen erfüllt, wenn sie die Mimbrenjohäuptlinge
berührten, deren Wildheit und Haß immer wieder eskalierte.

»Er braucht Zeit«, sagte am Feuer Tla-ina. »Und du brauchst

Ruhe, Falke. Die Nächte in den Bergen sind kühl. Ich werde
dich wärmen.«

Mit der Reinheit und Naivität einer Apachenfrau schob Tla-

ina die Decke hoch und legte sich an seine Seite.

John spürte ihre schlanken, festen Arme im Nacken, den

herben Duft ihrer Haut, und schloß die Augen.

*

Am anderen Morgen stand Cochise vor seinem Lager. Tla-ina
hantierte bereits am Feuer.

Man sah dem Häuptling nicht an, daß er die ganze Nacht

draußen in der Kälte gesessen und Zwiesprache mit seinen
Göttern gehalten hatte. Aber John erkannte an seinem
freundlichen Lächeln, daß er sich entschieden hatte.

»Ich habe Ulzana gebeten, den Rat der Häuptlinge

einzuberufen«, sagte Cochise ruhig. »Ich werde die Botschaft
des Einarms verkünden. Morgen brechen wir auf.«

»Warum nicht heute, Häuptling?« fragte John ungeduldig.
»Tla-ina hat es bestimmt. Du brauchst noch Ruhe.«

*

Wyatt Earp sah die flachen Schindeldächer und den kleinen
Corral in der Senke, und er wußte, er war auf irgendeine
Relaisstation der Butterfield Overland gestoßen.

Vier Tage war er hinter dem flüchtigen Glenn Morgan her,

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und gestern hatte er auf dem felsigen Untergrund von Hatch
Bigs seine Fährte verloren.

Earp ritt den flachen Hügel hinunter.
Schon im Näherreiten sah er die beiden Männer, die am Haus

und beim Brunnen Stellung bezogen. Ihre Waffen blitzten in
der Sonne.

»Kein friedlicher Empfang«, rief er von weitem den beiden

Männern entgegen, »sehe ich aus wie eine Horde Indianer?«

Nur zögernd lösten sich die Männer aus ihrer Deckung, und

als Earp durch das offene Tor in den ausgefahrenen, von
Wagenspuren gezeichneten Hof ritt, erkannte er beim
Haupthaus zwei weitere Bewaffnete. Einer davon war eine
Frau. Sicher die Frau des Posthalters.

»Vor Apachen schützen uns unsere Waffen«, sagte der

bärtige Postmeister, der sich Lone nannte, und hob drohend
seine Springfield. »Aber in der Nacht waren ein paar
verdammte Viehdiebe hier, die ihre abgetriebenen Mähren
gegen guten Beritt tauschten. Ich hoffe nicht, du bist einer von
ihnen?«

Wyatt sah keine Gefahr für sein Leben. Er schwenkte zur

Posthalterei ein und stieg vom Pferd. Nachdem er die Zügel an
den Hitchrack gebunden hatte, deutete er auf sein Pony. »Sieht
so eines deiner gestohlenen Pferde aus?«

Lone schüttelte heftig den Kopf. Auch sein mexikanischer

Gehilfe verneinte. »Es waren gute Mustangs, Senor. Dein Pferd
erinnert mich an einen Esel.«

»Dann führe mich zu den Pferden der Diebe.« Er hatte den

Verdacht, wieder auf Morgans Spur gestoßen zu sein.

Tatsächlich erkannte er Morgans Gaul wieder, den der

Bandit schon in Tombstone geritten hatte. Er nickte
zuversichtlich. »Sie sind nach Süden geritten?«

»Woher weißt du das?« Lone faßte mißtrauisch seine

Springfield fester. Sein Daumen schnappte den Hahn zurück.

Der junge Abenteurer schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich

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weiß es aus dem Grund, weil ich ihnen seit vier Tagen folge.«

»Banditen?«
»In der Tat.«
Lone kniff ein Auge zu. »Bist du Marshal? Wo trägst du

deinen Stern?«

Earp zuckte mit den Achseln. »Ich bin kein Blechträger.

Mich führen persönliche Dinge in ihre Nähe.«

»Dann komm ins Haus und stärke dich.« Lone senkte

endgültig die Waffe und winkte dem Mexikaner zu, daß er
verschwinden sollte.

Mrs. Lone war eine nette Frau, die mit Kaffee, gebackenen

Eiern und Speck aufwartete. Earp, der seit einigen Wochen auf
diese Kostbarkeiten verzichtet hatte, langte mächtig zu, und
nach einem scharfen Schnaps drehte er sich eine Zigarette.

»Ich möchte einen Brief aufgeben, Postmeister. Ist das

möglich?«

Lone grinste vertraulich. »Dafür sind wir hier. Frau, hole

Papier und Feder.«

Er schob das Geschirr beiseite und setzte sich nieder.

»Wohin geht die Post?« fragte er, als Earps Feder kratzend
über das Papier fuhr.

»Nach Prescott«, erwiderte Wyatt bereitwillig. »Ich schreibe

einem meiner Brüder und hoffe, daß die Post ihr Ziel erreicht.«
Er reichte Lone den Brief.

»Wenn keine Banditen die Post ausrauben oder Apachen sie

nicht in Brand stecken, wird deine Botschaft ihr Ziel erreichen.
Butterfield Overland Mail ist zuverlässig.«

Wyatt dankte und bezahlte. Als er den Hof betrat, hatte der

mexikanische Gehilfe bereits seinen Gaul versorgt. Wyatt
reichte ihm ein paar Cents, sprach einige Worte, und, nachdem
ihm Juan die Richtung erklärt hatte, in der die nächtlichen
Diebe verschwunden waren, zog er los.

Schon am zweiten Tag wußte John, daß Morgan Tombstone

ansteuerte, das irgendwo hinter den fernen Hügeln lag. Das

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kam seinen eigenen Wünschen entgegen, denn ihm lag daran,
gewisse Verhältnisse in der Stadt zu klären, aus der er vor
einigen Wochen nach einem Schußwechsel mit einem
verrückten Spieler fliehen mußte.

Wyatt dachte an Marshal Marley, der ihn wegen Mordes

jagte. Nur Morgan konnte ihn rehabilitieren. Das gab ihm
Hoffnung, und er trieb seinen Pinto zu einer schnelleren
Gangart.

Am zweiten Tag, am Spätnachmittag, sah er die Flachbauten

Tombstones im trüben Sonnenlicht des sinkenden Tages. Da es
ihm zu gefährlich erschien, am hellichten Tag offen in die
Stadt einzureiten, suchte er einen Lagerplatz zwischen dem
dichten Strauchwerk, um den Abend abzuwarten.

Bei Anbruch der Nacht ritt er los. Als er die einzige Straße

Tombstones entlangritt, an den vielen Kneipen vorbei, aus
denen er Trubel und laute Musik hörte, wurde es dem
Schlitzohr weich ums Herz. Tombstone war eine Stadt mit
Zukunft, denn von weither kamen Cowboys von einsamen
Ranches, um ihren Kummer in Alkohol zu ertränken oder die
Einsamkeit beim Spiel zu vergessen. Und solch eine Stadt war
ihm versperrt.

Vor dem Birth-Cage-Theatre zügelte er den Pinto. Er band

ihn an den Hitchrack und schlenderte über den Stepwalk von
Fenster zu Fenster des Etablissements, bis er Glenn Morgan in
einem Hinterzimmer entdeckte.

Morgan saß in einem Kreis Männer und sprach auf sie ein.

Wyatt zählte sieben Mann. Wenig vertrauenerweckend,
äußerlich verkommen und mit Waffen bestückt wie eine
Armee, lauschten sie wie gierige Hyänen Morgans Worten, und
jede Runde, die er bestellte, wurde begeistert begrüßt.

Nach einiger Zeit schob er ein vergilbtes Blatt Pergament auf

die Tischplatte und begann die Zeichen zu erklären.

Wyatt erkannte das Papier als jenes, das Morgan im Tausch

für Waffen von dem Caddo-Häuptling Guadalupe bekommen

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hatte. Neugierig beugte Wyatt sich vor und preßte das Ohr an
die Holzwand. Aber der Lärm aus dem angrenzenden Saloon
verschluckte Morgans Stimme.

Als John sich aufrichten wollte, stand unter der baumelnden

Ölfunzel am Seitenausgang des Births ein Recke, den er auf
den ersten Blick erkannte: Marshal Andrew Marley.

Der Mann also, dem er im Augenblick am wenigsten

begegnen wollte.

»Was gibt es da so Interessantes zu erlauschen, Hombre?«

fragte der Marshal, und Wyatt sah, daß der Mann die Hand am
Revolver hatte.

Noch hatte Marley ihn nicht erkannt.
»Nichts, Marshal«, rief er deshalb, worauf Marley mit dem

Finger schnippte.

»Komm doch mal näher, Jungchen. Deine Stimme ist mir

irgendwie bekannt.«

Wyatt dachte an den Hängebaum in Tombstone, woran der

Marshal ihn gern knüpfen würde, und schielte zum dunklen
Seitenweg, der am Ende des Birth-Theatre zwischen Häusern
hindurchführte.

Er machte drei Schritte, um Marleys Wünschen

nachzukommen, und flitzte dann blitzschnell in die Dunkelheit.

Marley schien überrascht. Dann schrie er mit wütendem Baß:

»Halt, du dreckige Laus. Ich wußte doch, daß ich dich kenne.«
Er riß den Colt hoch und feuerte zwei Schüsse ab.

Aber Wyatt war bereits um den Saloon gehastet und erreichte

sein Pferd. Er schwang sich in den Sattel, löste die Zügel und
sprengte in die Nacht hinaus.

Marley fluchte noch immer, als einige Männer, vom Lärm

der Schüsse angelockt, aus dem Saloon fegten.

Unter ihnen war Morgan.
»Was soll das, Marshal?« fragte er verwundert und lauschte

dem sich entfernenden Hufschlag.

Marley schnaufte vor Wut. »Ich wußte, daß er ein

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verwegener Halunke ist. Aber diese Frechheit habe ich ihm
nicht zugetraut.«

»Wem, Marshal?« fragte der Spieler neugierig.
»Earp, diesem Hundsfott, den ich wochenlang gejagt habe.«
Marley sah nicht, daß Morgan leicht zusammenzuckte und

bleich wurde. Der Sheriff lief mit Riesenschritten zum Office,
um seine Deputies zu alarmieren.

Morgan kehrte ins Hinterzimmer des Saloons zurück und

besprach sich mit seinen Leuten. »Die Dinge entwickeln sich
nicht so, wie ich es mir dachte. Earp ist gefährlich. Wir müssen
raus aus der Stadt. Dunney, Smith, ihr besorgt Murros,
Verpflegung und Schaufelzeug. Vielleicht findet ihr im
Generalstore noch eine Kiste Sprengstoff. Im Morgengrauen
brechen wir auf.«

Während Morgan nervös seinen Brandy trank, hatte Wyatt

Earp eine unruhige Nacht. Wie ein Geier strichen Marley und
seine Gehilfen durch die Hügel und waren mitunter so nahe an
seinem Versteck, daß er ihre fluchenden Stimmen wahrnehmen
konnte.

Erst im Morgengrauen kehrten sie in die Stadt zurück.
Wyatt war entschlossen, am folgenden Abend zu einer neuen

Attacke auf Glenn Morgan anzutreten. Er mußte ihn zwingen,
dem Marshal die Wahrheit zu erzählen.

Doch Wyatts Wünsche zerflatterten wie Laub im Wind, denn

als die Sternträger zwischen den Häusern Tombstones
untertauchten, ritt eine Kolonne Reiter aus der Stadt. Sie
führten etliche beladene Murros mit, und Wyatt Earp erkannte
den Mann an der Spitze des Trupps.

Glenn Morgan.
Zornig schleuderte er seinen verbeulten Stetson in den

Wüstensand und trampelte unbeherrscht darauf herum, bis er
den Unsinn seines Tuns einsah, den Hut aufhob, ihn auf den
Kopf stülpte und sein Pferd sattelte.

Morgan hatte irgend etwas vor, und die Ausrüstung, die an

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den Murros hing, zeigte Wyatt, daß Morgan in die Berge
wollte.

Die Karte, dachte er, sich an jene Nacht bei den roten Felsen

erinnernd. Er ist auf einem Weg zu irgendeinem Claim, den er
von Guadalupe ergaunert hat.

Da der Abenteurer seine eigenen Ziele, einmal ein reicher

Mann zu werden, niemals aufgesteckt hatte, legte er die
persönlichen Bedürfnisse einer Rehabilitation beiseite und
folgte in beträchtlichem Abstand dem wilden Rudel.

*

Weniger dem Zauber des Schamanen als der Kraft seiner
Jugend verdankte Tatsa-min die Genesung von den schweren
Verletzungen, die er bei der Auseinandersetzung mit Haggerty
an den roten Felsen erlitten hatte.

Eine Woche, nachdem Guadalupe ihn halbtot ins

Wüstenlager der Wichitas geschleppt hatte, war er in der Lage,
seinem Häuptling von den zurückliegenden Dingen zu
berichten. Zwar mit matter, doch klarer Stimme sprach er über
das verborgene Versteck des weißen Mannes und beschrieb
den Weg, der zu den Waffen führte, die Caddos wie auch
Wichitas für die kommenden Kämpfe dringend benötigten.

Als Locking Bear, der dem Gespräch aufmerksam folgte,

erfuhr, wo in den Schluchten der Swisshelm Mountains die
modernen Schnellfeuergewehre lagerten, drängte der Wichita-
Häuptling zum sofortigen Aufbruch.

»Mit diesen schnellen Gewehren überrennen wir die

befestigten Ansiedlungen der Bleichgesichter im Sturmlauf.«
Seine Augen leuchteten. Er dachte bereits an den Ruhm, der
ihn erwartete. Seine Taten würden Geschichte machen, und die
Stämme des Westens endgültig zum Aufruhr erwecken. Sein
Name würde unsterblich, und man würde ihn den größten der
zehn tapfersten Krieger nennen.

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Doch Guadalupe, von plötzlichem Mißtrauen befallen,

bremste Locking Bears Unternehmungsgeist, indem er rief:
»Tatsa-min ist krank und matt. Er ist nicht stark genug, uns zu
führen. Die Berge und Schluchten, die er uns beschreibt,
gleichen den Bergen und Schluchten eines jeden Gebirges, so
wie das Wasser des Meeres und der Sand der Wüste, dessen
Herkunft wir nicht ergründen können. Tatsa-min soll Kraft
sammeln, um den weiten Weg sicher zu beschreiten. Er wird
uns führen. How.«

Guadalupe hatte Locking Bear widersprochen. Nicht

ungefährlich für ihn, da er sich im Lager der Wichitas befand.
Aber er wußte, daß Locking Bear sich seinem Wunsch beugen
mußte. Zuviel stand für ihn auf dem Spiel.

Locking Bear schwieg eine Weile. Man sah an seiner Geste,

daß er zornig war, doch dann sagte er überraschend:
»Guadalupe hat weise gesprochen. Es kommt auf einen Tag
oder eine Woche nicht an. Wir sehen dem Kampf gelassen
entgegen.« Locking Bear erhob sich von der Decke und verließ
den Buschjaquales.

Guadalupe, dessen Blick dem Wichitahäuptling folgte, sah

aus dem offenen Zeltdach, daß Locking Bear seinen
Schamanen rief und mit ihm auf einen flachen Hügel stieg. Er
wußte, daß Locking Bear den Zauber befragen wollte, denn
wie alle Indianer war auch Locking Bear von tiefem
Aberglauben befallen.

Am späten Nachmittag sprengte ein halbes Dutzend

Wichitaspäher ins Lager. Auf ihren weichen Leggins hing der
Staub der Wüste, und an ihren schweißnassen Körpern klebte
brauner Sand. Sie kamen mitten aus der Wüste.

Nach kurzer Zeit herrschte hektisches Treiben. Fast dreißig

Krieger eilten zum Buschcorral und zäumten ihre Pferde.

Locking Bear bestieg einen prächtigen goldfarbenen

Mustang und trieb ihn zu Guadalupes Zelt. Am breiten Gurt
trug er Tomahawk und Steinschleuder, und quer über dem

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Sattel hielt er seine Kampflanze. Seine Augen leuchteten.
»Meine Späher berichten von Langsäbeln, die in der Nähe
lagern. Ich werde ihnen zeigen, wie stark und klug
Wichitakrieger kämpfen.«

Er riß den Mustang herum und gab ein Zeichen. Dreißig

Reiter verließen auf schnellen Ponys das versteckte Felsenlager
und ritten ins zunehmende Dämmerlicht.

*

Die bleiche Sichel des Mondes stand einsam am Zenit und
erhellte dürftig das weite Land. Kein fremder Laut füllte die
Stille. Und dennoch war sie voller Leben.

Sergeant Brosher, ein erfahrener Fuchs im Grenzland, lag mit

dem Nachtposten unweit der Pferde in einer Sandmulde und
blickte mißtrauisch in die Nacht.

Nur zweimal hatte er den Ruf des Rotfuchses vernommen,

und sein Instinkt sagte ihm, irgend etwas ging dort draußen
vor.

»Wecke den Lieutenant«, flüsterte Brosher dem Posten zu,

»ich übernehme solange deine Wache.«

Korporal Brown, schon etliche Jahre in Arizona stationiert

und vertraut im Kampf, nickte. »Es schleicht etwas ums Lager,
Sergeant. Und es ist bestimmt kein Wolfsrudel.« Er erhob sich
und huschte tiefgeduckt zum niederglimmenden Feuer, um das
sich die Abteilung schlafender Soldaten rekrutierte.

Lieutenant McLean, von irischem Geblüt, von der harten

Kadettenschule West Point zum guten Soldaten geformt, kroch
gleich darauf an Broshers Seite.

»Was ist los dort draußen, Sergeant?« flüsterte er.
»Wenn ich es wüßte, wäre mir wohler. Es ist nichts zu sehen

und nichts zu hören, aber ich spüre den Schweiß von roten
Bastarden. Ich werde mich umsehen, Lieutenant.«

Lieutenant McLean nickte. Sie waren auf einem

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Patrouillenritt, weitab von der kampfstarken Abteilung, tief in
die Wüste vorgedrungen. Gestern hatten sie Spuren entdeckt
und waren ihnen gefolgt. Aber irgendwo auf hartem Fels
endete die Fährte. McLean wollte nicht aufgeben. Er wußte,
irgendwo hier draußen sammelten sich die versprengten
Gruppen der Caddos und Wichitas, um sich neu zu formieren.

Seine Aufgabe war es, den Standort auszumachen und zum

Haupttrupp zurückzukehren. Im Hauptquartier war man
beunruhigt vom Verschwinden der fremden Rothäute und
wartete dort in höchster Alarmbereitschaft auf eine
Erfolgsmeldung.

Sergeant Brosher schnallte seine Stiefelsporen ab. Er legte

den breiten Revolvergurt in den Sand und zog den Armeecolt
aus der Revolvertasche. Er nahm noch sein schweres Messer
und verschwand lautlos in der Dunkelheit.

Er ist ein verwegener Haudegen, dachte McLean, als

Korporal Brown neben ihm auftauchte.

Brown sah die undeutlichen Spuren im Sand, die nur von

Brosher stammen konnten. Er schüttelte unmutig den Kopf.
»Irgendwann wird der Sergeant seinen Skalp verlieren.«

Er schwieg, und sie beide lauschten dem heiseren Bellen

eines Präriewolfes, es kam aus nordöstlicher Richtung, wohin
auch Brosher verschwunden war.

Die Zeit kroch dahin, ohne daß Brosher zurückkehrte.

Lieutenant McLean wurde unruhig und faßte den Entschluß,
seine Soldaten aufzuwecken, als Sergeant Brosher vor ihnen
aus der Erde wuchs.

»Wichitas«, fluchte er verhalten, »fünfzig oder mehr

Bastarde. Sie reiten in Kriegsbemalung. Wir sollten das Biwak
abbrechen und verschwinden.«

Aber Lieutenant McLean war jung und heißblütig. West

Point hatte ihn gelehrt, daß ein amerikanischer Soldat nur
vorwärts marschierte.

»Wir sind zwanzig kampferprobte Männer. Was kann ein

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Haufen schlecht bewaffneter Wilder schon groß anrichten?
Setzen Sie die Abteilung in Alarmbereitschaft. Aber tun Sie es
leise, Sergeant, sonst ist die Überraschung beim Teufel.«

Brosher hob seinen Gurt auf und schnallte die Sporen an. Ihr

Verhältnis war drei gegen einen, und Brosher wußte, wie
fanatisch diese Bestien zu kämpfen wußten.

Aber McLean war der Führer des Unternehmens.
Brosher huschte zum nahen Lager hinüber und bemerkte die

Unruhe im Seilcorral. Unbewußt veränderte er die Richtung
und näherte sich lautlos dem Busch. Er sah zwei halbnackte
Burschen, die sich an den Seilen zu schaffen machten, und
setzte zum Sprung an.

Ein fürchterlicher Hieb, mit dem Revolverknauf geführt,

brachte den Mann zu Fall.

Schon sprang er den zweiten Roten an, der, vom fallenden

Geräusch seines Bruders gewarnt, herumfuhr. Sein Messer
blitzte in der Luft.

Doch der Sergeant war schneller. Seine scharfe Klinge fuhr,

von einem wuchtigen Wurf geschleudert, durch die Nacht und
drang in die Kehle der Rothaut.

All das geschah so schnell und lautlos, daß es unwirklich

erschien.

Brosher sah, wie der Mann stürzte und die Seilkoppel zerfiel.
Die Pferde stampften unruhig mit den Hufen und kamen in

Bewegung. Brosher lief ihnen leise fluchend entgegen, um ein
Ausbrechen zu verhindern, denn ohne Pferde waren sie der
erbarmungslosen Wüste ausgeliefert und den Wichitas
unterlegen.

Nach drei Schritten spürte er einen wilden Schmerz in der

Schulter, und als seine Hand zur Brust fuhr, fühlte er die
scharfe Pfeilspitze, die durch seinen Körper gedrungen war.

Den Schmerz verbeißend, fuhr er in die Richtung, aus der der

Pfeil geschleudert wurde. Er sah den hetzenden Schatten
heranfliehen und riß den Revolver hoch.

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Peitschend zerriß eine Explosion die Stille.
Am Feuer taumelten schlaftrunkene Soldaten hoch und

griffen automatisch nach ihren Springfields.

Der Angreifer stürzte.
Aber nun, vom Lärm des Abschusses vollends erschreckt,

sprengten die Pferde auseinander.

Sergeant Brosher wich fluchend zur Seite, als einige Tiere

auf ihn zusprengten. Mit einer wilden Bewegung knickte er die
Pfeilspitze vom Schaft und rannte zum Feuer.

»Alarm«, schrie er heiser. »Verteilt euch in der Mulde und

schießt auf jede Bewegung. He, Bracks.« Er hielt den Mann
zurück und deutete auf seinen Rücken, wo der gefiederte
Schaft des Kriegspfeiles herausragte. »Ziehe mir das
Scheißding aus der Schulter.«

Bracks Schritte verharrten. Einen Augenblick lang starrte er

entsetzt auf Broshers Rücken. Noch ehe er den Befehl
ausführen konnte, füllten helle Angriffssignale die Nacht, und
aus der Dunkelheit kam trommelnder Hufschlag.

Ein Inferno brach aus.
Schüsse fielen in schneller Reihenfolge.
Pferde brachen zusammen.
Soldat Bracks stand sekundenlang wie eine Salzsäule, ehe er

seitlich umkippte und in den Sand fiel. Nur für einen
Augenblick sah Sergeant Brosher den kurzen Federschaft eines
Kriegspfeiles aus Bracks Brust ragen.

Brosher vergaß den eigenen Schmerz, den die Verwundung

verursachte. Er riß seine Revolver hoch, zielte und drückte ab.
Im Flammenfächer sah er die häßlich bemalte Fratze des
Angreifers, ehe der vom Pferd verschwand.

Aber das Drama hatte erst seinen Anfang genommen. Beim

Feuer lagen drei Tote, und dazwischen wälzte sich ein
Schwerverletzter, der wild seinen Schmerz herausschrie.

Aus dem Gesträuch taumelte Korporal Brown, den eine

Wichitalanze durchbohrt hatte. Stumm fiel er vor Broshers

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Füße zu Boden. Sein Körper zuckte eine Weile, dann lag er
still.

Sergeant Brosher hatte seinen Revolver leergeschossen.

Kaltblütig schlug er die Trommel aus und betätigte den
Ausstoßer.

In der Nähe tauchte ein Reiter auf, der seine Keule schwang.

Eine Kugel warf ihn aus dem Sattel.

Lieutenant McLean stand plötzlich neben Brosher.
»Danke«, sagte Brosher, der wußte, daß der Lieutenant ihm

gerade das Leben gerettet hatte. Sein Revolver war wieder
geladen. »Wenn's auch überflüssig war, Lieutenant. Ich hätte es
jetzt überstanden.«

Noch immer steckte der Schaft in seiner Schulter. Aber

Brosher, der alte Kämpe, hatte ihn längst vergessen. Soldaten
krochen heran. Hilflose Gesichter blickten zu Lieutenant
McLean und Brosher hoch. Aber weder McLean noch sein
Sergeant wußten irgendwie tröstende Worte zu sprechen.

Die Rothäute waren verschwunden, aber der trommelnde

Hufwirbel zeigte deutlich, daß sie sich zum zweiten Angriff
formierten. Alles ging so schnell, daß keiner der Soldaten
Gelegenheit hatte, die Springfield zu laden.

Die Nacht war klar und kalt. Der Himmel stand voller Sterne.
»Nehmt die Gewehre als Keulen«, schrie der Sergeant dem

armseligen Häuflein zu. »Wir nehmen so viele Indianer mit,
wie wir können.«

Keiner von ihnen bemerkte, daß der Sergeant mit bissigen

Worten ihr Todesurteil gesprochen hatte.

Ein Wall von Pferdeleibern kam heran. Ein Pfeilhagel schlug

ihnen entgegen. Sie wehrten sich todesmutig und verzweifelt.
Immer weiter lichteten sich ihre Reihen, und Lieutenant
McLean, von einer Kriegskeule an der Schulter schwerverletzt,
verschoß die letzte Kugel.

Im Kampfeslärm schrie er seinem Streitgefährten Brosher zu:

»Ihr Anführer, der mit den drei Federn im Haar, ist ein Teufel.«

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Sie alle sind erbarmungslose Teufel, dachte Sergeant

Brosher, als ein Tomahawk ihm entgegenschnellte und mitten
in seine Brust fuhr. Im Niederstürzen sah er Lieutenant
McLean fallen, hörte ferne Schüsse und wildes Siegesgeschrei.

Dann war auch Sergeant Brosher tot. Mit ihm starb die ganze

Abteilung.

*

Dämmerlicht füllte das grausame Kriegsgeschehen. Am
niedergebrannten Feuer saß Locking Bear mit fanatisch
glühenden Augen auf dem Rücken seines Mustangs. Seitlich
am Deckenhaken baumelte ein halbes Dutzend blutiger
Haarschöpfe. Kalte Grausamkeit blitzte aus seinen Augen.

Er hob die Hand.
»Der Schamane hat mir einen großen Sieg gedeutet, und die

Götter haben ihr Versprechen eingelöst. Dieser Tag ist ein
großer Tag in der ruhmreichen Geschichte der Wichitas.
Zwanzig tote Langsäbel. Es ist mehr, als ich zu hoffen wagte.«

Er senkte die Hand und schwenkte seinen Mustang.

Schwerbeladen mit Beute zogen sie in östlicher Richtung zum
Fuß der Chiricahua Mountains.

Am Abend erreichte er das verborgene Lager.
Guadalupe erkannte den stolzen Häuptling, der an der Spitze

seiner Krieger ritt. Sah ihre Beute und die Toten, die sie auf
den Rücken ihrer Pferde mitführten.

Locking Bear schwenkte den Mustang und zügelte ihn vor

dem Caddo-Häuptling. Seine Augen leuchteten, als er
Guadalupe die erbeuteten Skalps vor die Füße warf.

»So einfach ist es, die Langsäbel zu töten«, rief er, daß es

jeder hören konnte, und hob stolz den Kopf in den Nacken.
»Sie sind tapfer, aber dumm und auf einen Wüstenkampf nicht
eingerichtet. Du siehst, sie sind zu besiegen.« Guadelupes
Gesicht verdunkelte sich, so wie seine Gedanken. Sein Blick

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streifte die Skalps am Boden. Er schüttelte zögernd den Kopf.
»Dein Sieg ist vollkommen, Locking Bear. Aber die Toten
verraten den Pferdesoldaten den Weg, der in unser Lager
führt.«

Locking Bear rutschte vom Mustang. »Wir werden nach

Süden ziehen und die Waffen holen, Guadalupe. Die
Plerdesoldaten finden nur zertrampelte Erde. Wie geht es
Tatsa-min?«

»Es geht ihm besser, Jefe, seine Wunden heilen.«
»Dann brechen wir im Morgengrauen auf. Wenn wir die

schnellen Gewehre finden, wird Nachan, mein Vetter, die
versprengten Gruppen der Wichitas zusammenrufen und einer
deiner Häuptlinge tut das gleiche mit den Caddokriegern. In
mir brennt der Gedanke einer totalen Vernichtung.«

»Und die Chiricahuas?«
»Sie werden den Frieden mit uns suchen.«
»Und Cheyennen und Arapahoes? Sie suchen den

gewaltlosen Frieden.«

»Sie werden bald erkennen, daß der Friede nur durch Kampf

erreichbar ist und nicht durch die Bitterwurzel der
Peyotlkaktee, die die Sinne lähmt und den Krieger zur Squaw
macht. Ihre Geisterbewegung wird bald zerfallen, und sie
werden uns als ihre Freunde oder als mächtige Gegner
begegnen. Heute nacht werden wir unserer Toten gedenken
und ihren Weg vorbereiten, der sie ins Reich Manitus führt.
How.« Locking Bear beugte sich nieder, hob seine Beute auf
und führte sein Pferd ins Heckencorral.

Guadalupe blickte finster hinter seinem Verbündeten her. Er

spürte, daß Häuptling Locking Bear nach höchstem
Kriegsruhm suchte, der ihn im Leben noch zur Legende
machen sollte.

Zornig wandte er sich ab.

*

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27

Wyatt Earp streifte, vom Ufer des Bavispe kommend, durch
das ausgetrocknete Flußbett eines Seitenarmes. Längst hatte er
Morgans Spur verloren. Aber er wußte, irgendwo in dieser
zerklüfteten Felswelt würde er auf den Spieler stoßen.

Zügig, doch mit der nötigen Wachsamkeit, bewegte Earp

sich vorwärts. Jeden Strauch, jede fremde Bewegung nahm er
auf, bereit zu kämpfen, wenn ihm Morgans Leute den Weg
versperrten.

Am Nachmittag stieß er auf ein einsames Grabkreuz inmitten

des trockenen Flusses. Es war verwittert und etwa ein Jahr alt.
Aber Wyatt wußte nun, daß hier Menschen gelebt hatten. Er
stieg vom Pferd und ging zum buschbewachsenen Ufer. Hier
verbarg er sein Pferd und kletterte, seinem ausgeprägten
Instinkt folgend, die Klippen hoch.

Schon nach etwa dreißig Yards fand er Stiefelabdrücke, die,

vom Trockenbett des Flusses kommend, hochführten. Er folgte
ihnen mit der gebotenen Vorsicht, denn er wußte nun, daß er
Morgan ganz nahe auf den Hacken war.

Ein dichter Buschgürtel umspannte die Kuppe. Nachdem er

ihn durchquert hatte, er stand am Rand eines Talkessels mit
den Ausmaßen und der Form einer Arena, die rundum
stufenförmig abfiel.

Earp legte sich nieder. Noch während er nach seinem Glas

griff, spürte er den schwachen Brandgeruch eines Feuers. Er
prüfte die Windrichtung und blickte nun nach Süden, wo er
bald den dünnen Rauchfaden entdeckte.

Er lächelte zufrieden, glitt nun an der Basis des Buschgürtels

entlang in diese Richtung. Nach etwa zehn Minuten sah er auf
einer abgeflachten Stufe vier Männer, die um ein Feuer saßen,
und sein scharfes Ohr hörte versteckte Schläge von Äxten oder
Hämmern.

Wyatt prüfte die abfallenden, von Strauchwerk bewachsenen

Hänge. Nun, dreißig Yards vom Lager entfernt, von Büschen
halb verdeckt, sah er den schmalen Felseinschnitt, den er nach

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näherer Prüfung als Eingang einer Höhle erkannte.

Es mußte die Bonanza der Derrotero oder auch die Anson

City Mine sein.

Anson City hatte er gestern gestreift, ehe er den Bavispe

verließ. Dazwischen lagen keine zehn Meilen. Earp ließ sich
die Wegstrecke durch den Kopf gehen, schätzte die Entfernung
und Richtung von der Stadt zur Mine, um sich später davon
eine Skizze anzufertigen.

Earp glitt tiefer in einen Busch. Noch nie war er dem Ziel so

nahe gewesen, aus seiner Misere herauszukommen, und der
Gedanke, durch geschicktes Spiel reich zu werden, erschien
ihm in Anbetracht der verlockenden Zukunft grotesk, daß er
grinsen mußte.

Hier lag sein Glück, und Virgils Hilfe, der vom Goldgraben

einiges verstand, würden sie als reiche Männer nach Osten
ziehen.

Philadelphia vielleicht, Boston oder gar New Orleans, wo die

hübschesten Frauen des Landes zu finden waren.
Mexikanerinnen, Kreolinnen, Französinnen mit Pfeffer in den
Adern und großer Leidenschaft im Blut.

Leise Detonationen rissen ihn aus den Träumen. Er schob

sein Glas an die Augen.

Aus dem schmalen Stolleneingang wehte eine blaßblaue

Pulverwolke, die dem Beobachter zeigte, daß Morgan und
seine Leute eifrig den Fels sprengten. Morgan mußte wohl von
ähnlichen Träumen belastet sein wie er, denn er hatte keine
Zeit verstreichen lassen, sondern unverzüglich mit dem Abbau
begonnen.

Es dämmerte bereits, als Morgan und seine Arbeiter

auftauchten und zum Lagerplatz gingen, wo irgendwer eine
saftige Antilope über dem Holzspieß briet.

Rasch wurde es dunkel. Earp kroch in die Tiefe. Er streifte in

nächster Nähe das Lager, wo die Männer den saftigen Braten
aßen, und kroch zum Fels. Zielstrebend fand er den Zugang

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zum Stollen, der von mattem Öllicht erhellt war, was darauf
schließen ließ, daß die Banditen auch in der Nacht arbeiten
würden.

Wyatt folgte dem Tunnel, der sanft abfallend in den Fels

getrieben war, bis er auf ein Drift stieß, der in Streichrichtung
des Stollens führte. Er roch den scharfen Pulvergeruch, der von
der Sprengung zurückgeblieben war.

Am Boden verstreut lagen Trümmer des aus dem Fels

gesprengten Gesteins. Als er den Blick hob, sah er die
glitzernden Colors einer armbreiten Lode, die an der
Sprengstelle in den Fels hineinführte und den Verlauf der
Goldader zeigte.

Wyatt Earp konnte sich nur schwer von diesem Anblick

trennen. Doch der Gedanke, daß bald eine neue Schicht hier
ihre Arbeit aufnehmen würde, zwang ihn zur Eile. Er nahm ein
etwa dreifaustgroßes Trümmerstück auf und eilte den Weg
zurück.

Vom Lager her kamen Stiefelschritte.
Blitzschnell kroch Wyatt ins Gesträuch und ließ die Männer

vorüberziehen. Er wartete, bis die Schritte verklangen und
huschte weiter. In Hörnähe des Lagerplatzes blieb er in
geduckter Haltung stehen.

Er hörte Glenn Morgans satte Stimme, als dieser sagte: »Die

Bonanza ist echt, Jungs. Ich werde ein paar Gesteinsproben
zusammenpacken und in den nächsten Tagen zum Landamt
nach Cochise reiten. Ich möchte nicht, daß irgendein
Claimjumping sich unsere Bonanza unter den Nagel reißt.«

Irgendwer grunzte. »Ob Guadalupe seine

Winchesterkarabiner finden wird?«

»Ich hoffe es, Sam.« Morgan lachte. »Mögen sie sich im

Norden die Schädel einschlagen. Wir sahnen hier erst einmal
kräftig ab. Vielleicht bringe ich in Anson City eine ganze
Kolonne auf die Beine. Das würde den Abbruch
beschleunigen.«

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Ein trockener Zweig knackte unter Earps Stiefeln. Er hielt

den Atem an, als die zweite Stimme rief: »War da nicht
etwas?«

Doch Morgan beruhigte den Mann. »Eine Buschratte oder

ein paar Nachtschwalben im Gesträuch. Wer sollte hier schon
hinfinden?«

Wyatt Earp kroch weiter. Es stand zuviel auf dem Spiel, daß

er noch etwas riskieren konnte. Nach einer Stunde erreichte er
sein Pferd.

Es war Nacht, aber Mond und Sterne gaben genügend Licht

für einen sicheren Weg.

Am Morgen erreichte er den Flußlauf, wandte sich nach

Osten und folgte ihm bis Anson City.

Hier kaufte er Vorräte für die kommenden Tage, setzte sich

in eine stille Ecke des nächsten Saloons und zeichnete aus dem
Gedächtnis heraus die Lage der Mine nach der zurückgelegten
Wegstrecke auf ein Stück Papier. Anschließend schob er das
Papier wie eine Kostbarkeit in die Tasche.

Er würde schneller sein als der Halunke Morgan.

*

Dem Ruf Cochises folgend, auf dem Weg zur Bergfestung in
den Dragoons, suchte Geronimo Ulzanas Dorf. Er und seine
acht Begleiter waren in der Mimbrenjosiedlung gerngesehene
Gäste. Ulzana begrüßte sie entsprechend und lud Geronimo zu
einem Palaver in sein Tipi ein.

Das wärmende Feuer, dessen Rauch durch die kreisrunde

Öffnung des Spitzzeltes kräuselte, verdrängte die Kälte der
späten Herbsttage, so daß Geronimo schon bald den schweren
Fuchspelz ablegte.

Ulzana erfreute seinen Gast mit getrockneten Beerenfrüchten

und dem frischen Fleisch einer Bergziege, die seine Squaw
zerlegt, in frische Balsamblätter gehüllt an der offenen

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Feuerstelle gegrillt hatte.

Sie aßen schweigend von geschnitzten Holztellern und

tranken den scharf gegorenen Saft der Agave.

Geronimos zeitweiliges Rülpsen nahm Ulzana wohlwollend

auf, wußte er nun doch, daß sein Gast sich wohl fühlte.

Nachdem das Mahl beendet und seine Squaw Teller und

Schüsseln abgeräumt hatte und aus dem Zelt verschwunden
war, stopfte Ulzana zwei Pfeifen, und schon bald schwebte der
scharfe Geruch des Kinninkins im Raum.

»Cochise hat den Rat der Häuptlinge einberufen«, begann

Geronimo die Unterhaltung. Er saß in stolzer aufgerichteter
Haltung jenseits des Feuers. »Er wünscht ein Palaver.«

Ulzana nickte. »Der Häuptling ist in Sorge um unser Volk,

Gokhlayeh. Im Tal der Apachen ist ein neuer Feind
aufgetaucht. Caddos und Wichitas.«

Geronimo sah hoch. »Die Stämme aus dem Osten?«
»Ja, Gokhlayeh.« Wieder nickte Ulzana. »Sie bekämpfen

Cheyennen und Arapahoes, die vom großen Erlöser und den
Frieden unter unseren Völkern sprechen. Ein Messias hat die
Botschaft verkündet.«

»Es wird nie Frieden zwischen unseren Völkern geben, denn

Habgier und Haß haben sich unlösbar in ihren Herzen
verbunden. Aber wenn Caddos, Wichitas, Cheyennen und
Arapahoes sich bekämpfen, sollten sie es in ihren Jagdgründen
tun. Ist das der Grund, warum Cochise den Großen Rat
zusammenruft?«

»Wir werden es bald wissen. Aber er sieht noch eine zweite

Gefahr. Wenn jene Gerüchte stimmen, die Späher aus den
Tälern in die Berge hochtragen, trägt Locking Bear den
Gedanken im Herzen, einen Krieg gegen die Weißaugen zu
führen.«

»Locking Bear«, entfuhr es Geronimo, und seine dunklen

Augen begannen zu leuchten, »einer der zehn tapfersten
Krieger. Ich bewundere seinen Mut und Kampfgeist. Wenn

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Cochise seine Kraft und seinen Willen hätte, wären unsere
Jagdgründe frei von Pferdesoldaten und Bauern, die unser
Land umpflügen.«

Ulzena schüttelte wegen der forschen Rede des jungen

Häuptlings unmutig den Kopf. »Cochise ist der Tapferste aller
Apachen. Sein Mut steht außer Zweifel, denn er hat ihn oft
bewiesen. An seiner Seite dürfte Locking Bear nur sein
Lanzenträger sein, denn unser Führer besitzt neben seinem Mut
die Klugheit und Besonnenheit des jagenden Rotfuchses. Sein
klares Auge hat längst erkannt, daß ein Krieg gegen die
Pferdesoldaten das ruhmlose Ende aller Apachenstämme
bedeutet.«

Geronimo sog heftig an seiner Pfeife. »Spricht so die Zunge

eines Mannes, der nach Beute giert?«

»Was bedeutet Beute gegen den Schmerz, den ein

Apachenherz beim Tod seiner Verwandten empfindet?«
widersprach Ulzana.

»Der Tod ist uns allen bestimmt, Ulzana. Wir wissen, daß

das Land jenseits des Horizonts uns aller Sorgen befreit. Ich
wäre bereit, dafür zu kämpfen und zu sterben, wenn ich zuvor
das unrühmliche Ende der Bleichgesichter erleben dürfte«,
sagte Geronimo heftig.

Ulzana schob die Holzscheite tiefer in die Glut. Er dachte

lange nach, ehe er antwortete. »Deine Gedanken gehören
Locking Bear?«

»Ich achte seinen Mut und seine Ziele, die auferlegten

Fesseln der Knechtschaft zu sprengen. Schau dir die
erbärmlichen Regionen an, in denen Tontos und Mimbrenjos
ein unwürdiges Leben führen. Es lohnt sich immer, für die
Freiheit zu kämpfen.«

»An der Seite eines Wichitas?«
»An der Seite Locking Bears.«
Ulzana sah die leuchtenden Augen des jungen Häuptlings. Er

kannte dessen Ungeduld und Unbeherrschtheit, die ihn schon

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oftmals zu unüberlegten Handlungen und Raubzügen
hingerissen hatte. Er, Ulzana, war ein Mann, der leichte Beute
liebte. Gokhlayeh mochte aber den Skalp.

»Du denkst an die vielen hellen Haarschöpfe der Soldaten.

Nicht aber an den Tod.«

»Ich denke an beides, Ulzana, denn die Zahl der erbeuteten

Skalps zeigen den Mut eines Kriegers, und der im Kampf
erlittene Tod führt uns den Göttern näher.«

Ulzana nickte. Obwohl er das Leben liebte, sah er die

Erfüllung des wahren Lebens jenseits der Gegenwart, die keine
Sorgen kannte. Weder die Kälte des Winters noch die Dürre
des Sommers. Nur blühende endlose Felder, auf denen der
Büffel tobte und der Jäger sein Jagdglück fand.

»Cochise wird die Häuptlinge befragen und seine

Entscheidung treffen«, sagte Ulzana ausweichend, denn er
spürte, daß Gokhlayehs Euphorie ihn ansteckte.

Am folgenden Morgen rüstete Ulzana zum Aufbruch.

Begleitet von sechs tapferen Kriegern seines Dorfes, folgte er
Geronimo durch die einsame Bergwelt.

*

Die eisige Region der Swisshelm Mountains lag hinter ihnen.
Cochise, John Haggerty und Tla-ina durchquerten das weite
Wüstental, das sich bis hoch in den Norden erstreckte.

Irgendwann in den nächsten Tagen würden sich ihre Wege

trennen, und jeder ritt dann mit einer eigenen Aufgabe in eine
andere Richtung.

Gegen Mittag dieses Tages entdeckte der Häuptling in den

weiten vorgezogenen Kaps der Chiricahua Mountains eine
Staubwolke, der sie eine Weile folgten, bis sie auf Sichtweite
heran waren.

Zwischen Mesquitesträuchern, Collas und Stachelgestrüpp

verborgen, beobachteten sie den beträchtlichen Zug, der in

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schnellem Ritt südwärts strebte.

»Etwa achtzig Reiter«, bemerkte Cochise nachdenklich.

»Wichitas und Caddos«, erwiderte John, der sein Glas am
Auge hielt. »Der Teufel mag wissen, was sie so tief im Süden
suchen.«

»El Diablo hat sie hergeführt, er wird sie auch wieder über

die Berge treiben«, sagte Cochise. Aber man sah die Sorge in
seinem Gesicht. Von dem Falken wußte er, was im Tal
vorging. Von der Vielzahl der kriegerischen Oststämme, ihren
Beweggründen und ihren Absichten.

John Haggerty lächelte. »Nicht der Teufel, sondern

Langmesser und Apachen werden sie vertreiben. Du hast die
Botschaft meines Häuptlings nicht vergessen?«

»Cochise vergißt nie ein Wort«, sagte Tla-ina, »aber er wird

Mühe haben, den Großen Rat von der Nützlichkeit der
Verbindung zu überzeugen.«

Sie sah das Lächeln des Falken und lächelte zurück. »So tief

ist die Kluft zwischen weißen und roten Männern.«

Sie schwiegen. In eine Staubwolke gehüllt zogen die

Rothäute weiter.

Auch Haggerty, der Häuptling und seine Schwester bestiegen

ihre Pferde, und John sagte zu Cochise: »Locking Bear führt
die Krieger nach Süden.«

Cochise nickte. »Ich habe ihn erkannt.«
Am späten Nachmittag, als sie eine verborgene Wasserstelle

erreichten, sprengten aus den Hügeln etwa hundert Reiter,
deren Rockknöpfe und die Beschläge ihrer Sättel in der Sonne
glitzerten.

Cochise zügelte sein Pferd. Tla-ina drängte ängstlich an seine

Seite.

John spürte ihre Unruhe, die er begreifen konnte. »Es sind

Soldaten, Cochise. Weshalb fürchtest du dich?«

Cochises Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Wie oft

schon wurde er von den Pferdesoldaten verfolgt? Wie oft hatte

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ihr Häuptling in Tucson sein Wort gebrochen? Sollte er den
Soldaten freudig entgegensehen?

Er verschwieg seine Gedanken und beobachtete die

heransprengende Abteilung, die nun, als sie zwei Indianer
erkannte, nach ihren schweren Säbeln griffen und ihre Gäule
attackierten.

»Wartet.« John gab seinem Gaul die Sporen und ritt den

Reitern entgegen. Er spürte, daß etwas geschehen war, was die
Männer erregt haben mußte. Unbewußt gingen seine Gedanken
zu Locking Bear, der es mächtig eilig hatte, südwärts zu
ziehen.

»Major Ryan«, rief er lautstark, als er den Offizier an ihrer

Spitze erkannte, und schwenkte seinen Stetson, »halten Sie Ihre
Leute auf, bevor ein Unheil geschieht.«

Aber die Reiter sprengten in breiter Front an ihnen vorbei,

und ihr höllisches Geschrei erinnerte den Scout an das
nervtötende Gebrüll angreifender Apachen.

Haggerty zog sein Pferd herum und folgte dem Offizier.

Dabei sah er, daß Cochise und Tla-ina längst ihre Pferde
herumgerissen hatten und in westlicher Richtung auf die Berge
zuritten.

Zornig trieb er dem Pinto die Sporen in die Flanken. Da war

er nun einige Wochen unterwegs, um mit dem Häuptling über
Frieden und eine Allianz mit dem Militär zu verhandeln, und
nun war eine idiotische Abteilung, die irgend etwas erregt
hatte, dabei, seine Bemühungen zu untergraben.

Wie der Teufel ritt er los, sprengte nun inmitten des wilden

Haufens und erreichte den Major. Scharf drängte er den Gaul
an seine Seite und sah das verschwitzte Gesicht des Offiziers,
der mit gestrecktem Arm seinen Kavalleriesäbel hielt.

»Major Ryan«, schrie er wütend, »bringen Sie Ihre Horde in

den Griff. Dort reiten Cochise und seine Schwester, die ich im
Auftrag des Hauptquartiers aufsuchte.«

Major Ryans Kopf flog herum. »Cochise«, schrie er zurück,

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»dieser Bastard hat so viele Verbrechen auf dem Gewissen, daß
es eine Gnade für ihn ist, wenn die Säbel meiner Leute ihn in
tausend Stücke schlagen.«

»Dafür werden Sie Ihre Streifen verlieren, Major. Das ist

mein Wort. General Howard wird Sie in die Wüste schicken.«

Major Ryan bremste den schnellen Lauf seines Pferdes. In

seinen Augen lag kalte Verachtung.

»Sie wissen nicht, was geschehen ist, Scout«, rief er scharf.

»Vor zwei Nächten habe ich eine Patrouille verloren. Zwanzig
meiner besten Männer. Sie wurden skalpiert und gräßlich
verstümmelt. Das vergißt kein Soldat.«

»Es waren Caddos und Wichitas, Major.« John hatte Mühe,

seine Beherrschung nicht zu verlieren.

»Es waren rothäutige Banditen. Ganz gleich, von welchem

Stamm. Sie werden dafür bezahlen.«

»Bezahlen werden Sie, Major.« John ritt nun dicht auf, daß

ihre Sättel aneinander schabten und ihre Schenkel sich
berührten. »Wollen Sie sich einem Befehl des
kommandierenden Generals widersetzen? Wenn ja, werde ich
Sie erschießen!«

Major Ryan sah Haggertys entschlossenes Gesicht, den

schweren Revolver, den er in der Faust trug. Irgendwie erlosch
sein fanatischer Blick. Er rief den Hornisten und gab ihm ein
Zeichen, worauf dieser kräftig in sein Horn blies. Die
vorwärtsstürmende Truppe stoppte.

»Wissen Sie, was mich dieses Signal kostet, Mr. Haggerty?«

fragte er schwer atmend. »Das Vertrauen der Soldaten in einen
Offizier. Das bedeutet mehr als ein paar dumme Streifen auf
der Offiziersuniform.«

»Dann möbeln Sie das Vertrauen wieder auf. Locking Bear

reitet mit seinen Kriegern einen halben Tagesritt entfernt
südwärts. Der Teufel mag wissen, was er dort sucht.«

Die Angriffswelle der Soldaten war gestoppt. Sie schwenkten

ihre Pferde, und John sah ihre feindlichen Blicke, die ihn

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streiften.

Ein alter Sergeant trabte näher. »Warum geben wir auf, Sir?«

rief er zornig. »Wir waren den Bastarden so nahe, daß wir sie
mit unseren Säbeln hätten aufspießen können.«

Major Ryan deutete auf Haggerty. »Der Scout hat es so

bestimmt, und er reitet im Auftrag des Generals. Formieren Sie
die Truppe, Sergeant Horn. Wir schwenken nach Süden auf die
alte Spur zurück. Die Teufel dürfen uns nicht entkommen.«

Sergeant Horn zögerte eine Sekunde. Ein feindlicher Blick

berührte John Haggerty. Doch dann erinnerte er sich des
Reglements eines Soldaten, dem er zu gehorchen hatte, gleich
welcher Befehl kam. Seine Stimme dröhnte durch die Wüste,
und die Abteilung ordnete sich in Viererreihen.

»Sind Sie nun zufrieden, Scout?« fragte Major Ryan bissig.
Johns Blick streifte in die Ferne. Er sah zwei dunkle

bewegliche Punkte am Horizont, und er befürchtete, daß diese
Begegnung das Verhältnis zwischen Cochise und General
Howard weitgehend verschlechtert hatte.

Er schwieg.
Ryan ritt an ihm vorbei zur Spitze seiner Abteilung und gab

das Zeichen zum Abmarsch.

Lange Zeit blieb John zurück.
Der flüchtende Häuptling und seine Schwester waren im

Schatten der Berge verschwunden. John stellte sich die Frage,
ob es noch Zweck hatte, ins Hauptquartier zu reiten, denn er
zweifelte nun, daß Cochise zu seinem Wort stand.

Doch dann schwenkte er nach Westen und ritt in die

sinkende Sonne. Trotz des Vorfalles glaubte John, daß
Häuptling Cochise sein Freund geblieben war und sicher über
Howards Vorschlag nachdachte. Er mußte die Gefahr
erkennen, die mit Wichitas und Caddos in sein Land gezogen
war.

*

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38

Vom Bavispe aus führte Earps Weg durch das zerklüftete
Bergland geradewegs in die offene Ebene.

Irgendwo weit draußen in der Unendlichkeit, vielleicht vier

oder fünf Tagesritte entfernt, lag Cochise.

Sein Ziel.
Die Sonne brannte heiß, der Boden war knochentrocken. Ein

Zeichen, daß lange kein Regen gefallen war. Und es war
zweifelhaft, ob der nahende Winter dies ändern konnte.

Er erreichte eine einsame Ranch in einem flachen Talkessel,

deren Hütten und Häuser an eine Wehrburg erinnerten, und mit
hohen Palisaden umschlossen waren. Vom Rancher erfuhr
Wyatt, daß die unruhigen Zeiten ihn zu solch einer Aktion
gezwungen hatten.

Er blieb über Nacht. Am nächsten Tag ritt er ostwärts. Gegen

Mittag stieß er auf einen ausgefahrenen Weg, der Räderspuren
zeigte. Von Braddock, dem Wehrrancher, wußte er, daß dies
die Straße nach Cochise war.

Earp wurde zuversichtlich. Seinen Träumen von Gold und

Reichtum kam er mit jedem Schritt näher, und wenn er nachts
die Augen schloß, sah er glitzernde Berge von Goldnuggets,
die die Anson Mine ausspuckte.

Am dritten Tag, er näherte sich der Stadt, sprengte aus der

Ebene heraus ein einzelner Reiter.

Mißtrauisch, wie Earp nun geworden war, zog er seine Henry

aus dem Scabbard, schob sie über das Sattelhorn und spannte
den Bügel.

Dabei trieb er seinen Pinto zwischen Agavenstauden. Doch

der Fremde schien ihn erkannt zu haben, denn unvermutet
änderte er die Richtung und ritt auf Earps Versteck zu. Sein
Gaul fiel in Trab und schließlich in Schritt. Der Reiter lüftete
seinen Stetson, und nun erkannte Wyatt Earp John Haggerty,
den Armeescout.

Freudig überrascht verließ Wyatt das Versteck, schwenkte

seinerseits den speckigen Hut und trabte dem Freund entgegen.

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»By gosh, John.« Earp lachte, als er die Henry im Scabbard

versenkte und dem Reiter die Hand reichte. »Ich wähnte dich
tief im Süden in den Swisshelm Mountains. Was macht deine
Verletzung, John? Hast du Cochise in den Bergen getroffen?«

Der Scout winkte ab. Er sprach von seiner Begegnung mit

Cochise, ihrer ernsten Unterredung. Auch für Tla-ina fand John
freundliche Worte, die Earp als aufmerksamen Zuhörer
erkennen ließen, daß das Apachenmädchen einen Platz in
Haggertys Herzen gefunden hatte. Dabei bewegte er die
verletzte Schulter, um zu zeigen, daß er wieder fit war.

»Ich verdanke meine schnelle Genesung Tla-ina, Wyatt. Sie

versteht von der Wundbehandlung mehr als unser Armeearzt«,
endete er seinen Bericht und erwähnte, daß er auf dem Weg ins
Hauptquartier wäre.

Wyatt, der von dem fürchterlichen Gemetzel am Big Long

Heart vernommen hatte, erzählte John die Geschichte, und
dieser, der von Major Ryan nur Bruchteile der
Auseinandersetzung kannte, war tief erschüttert über das
grausame Verbrechen. Er begriff nun den Zorn der Soldaten.

Sie ritten zusammen weiter. Am Abend, als sie sich in die

Büsche schlugen und ein Feuer entfachten, sagte Haggerty
unvermutet: »Du sprichst kein Wort über den Halunken
Morgan. Ist er dir entwischt oder hat er dir wieder einmal die
Partnerschaft angeboten?«

Wyatt Earp, das Schlitzohr, lachte lauthals. »Weder das eine

noch das andere, John. Glenn Morgan ist mir so sicher, wie es
das Amen in der Kirche gibt. Er sitzt mit einigen Gaunern am
Bavispe und buddelt die Erde um. Du erinnerst dich an das
vergilbte Papier, das Guadalupe kurz vor unserer
Auseinandersetzung Morgan zeigte?«

John erinnerte sich und nickte.
»Es war der Weg, der zu einer guten Bonanza führte.«
»Der Preis für die Gewehre?« John horchte auf. »Er hat sie

dem Caddohäuptling nie geliefert.«

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»Aber das Versteck sicher verraten, wo sie zu finden sind«,

erwiderte Earp im Brustton der tiefsten Überzeugung.
»Vielleicht sind die Rebellen schon auf dem Weg dorthin.«

John erinnerte sich der kürzlichen Begegnung mit den

Wichitas. Locking Bear hatte seine Krieger nach Süden
geführt. In Locking Bears Nähe war Guadalupe zu finden. Das
würde vieles erklären. John wurde unruhig.

Wyatt Earp bemerkte die Veränderung. »Was hast du?«
»Ich müßte genau wissen, was Guadalupe erfahren hat«,

sagte John heiser.

Das Schlitzohr lachte. »Du kannst Morgan fragen. Er kommt

in den nächsten Tagen nach Cochise, um seinen Claim
registrieren zu lassen. Ich habe es in einem Gespräch belauscht,
das Morgan mit seinen Kumpanen geführt hat. Aber er wird zu
spät kommen, John, denn die Bonanza wird bis dahin
registriert sein.« Noch während Earp sprach, zog er das Stück
Papier aus der Brusttasche und glättete es am Boden. »Ich habe
die Mine genau eingezeichnet. Da sie weder ihm gehört noch
einem anderen Menschen, werde ich meine Ansprüche geltend
machen.«

Earp grinste.
John nahm das Papier. Während seine Gedanken bei

Guadalupe waren, studierte er die Zeichen. Nach einer Weile
lächelte er leicht. »Das ist der Weg zu Ansons Mine«, sagte er.
»Sie liegt am trockenen Nebenfluß des Bavispe, etwa zehn
Meilen von Anson City entfernt.«

Wyatt legte den Kopf schief. Mißtrauen glomm in seinen

Augen auf. »Du kennst die Bonanza?«

John dachte an seinen alten Freund Miller und die

Verbrecher, die er einmal in Ansons Mine gestellt hatte.

»Deine Bonanza ist eine Borrasca, Wyatt, ein Claim, der

unergiebig ist.«

Wyatt bekam rote Ohren. Er schnellte auf die Beine und

holte aus der Satteltasche den Erzklumpen aus der Mine. Er

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drehte ihn am Feuer, um einen leuchtenden Effekt am Stein zu
erzeugen. »Und das hier, was so glitzert, John? Ist das kein
goldhaltiges Gestein?«

John, der damals mit Miller die Mine untersucht hatte, nahm

den Brocken in die Faust. »Das ist Pyrit, Wyatt«, sagte er
achselzuckend, »Katzengold. Ein glänzendes gelbes, wertloses
Mineral, das du höchstens als Briefbeschwerer nehmen
kannst.«

»Es stammt aus der Mine der Derrotero«, stieß Wyatt heftig

hervor.

Sein Atem ging hektisch und zeigte seine Erregung.
John reichte den schweren Stein zurück. »Die Mine wurde

vor zweihundert Jahren von spanischen Eroberern ausgebeutet.
Und die waren sehr gründlich, Wyatt. Schmeiß das Zeug weg.
Es belastet nur deinen Gaul.«

Wyatt Earp saß steif wie ein getrockneter Zedrachstamm am

Boden und stierte auf den Quarzbrocken, den John nun achtlos
in den Wüstensand fallen ließ. Eine Welt brach in ihm
zusammen und mit ihr ein Traum von großem Reichtum und
Glück.

Wie schmerzhaft dieser Gedanke war.
Aber Wyatt Earp war ein Abenteurer und Spieler, der dem

Leben die leichte Seite abgewann. Er brauchte einige Minuten,
um sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß er hinter einem
Trauma hergejagt war und nun der arme Schlucker geblieben
war.

»Das Glück kommt und geht, John«, sagte er nach einer

Weile und begann zu grinsen, »aber eines bleibt. Häuptling
Guadalupe hat Glenn Morgan betrogen. Ich lache mich tot,
wenn Morgan es erfährt.«

»Und ich werde zugegen sein, Wyatt. Es geht um mehr als

Gold. Wenn Wichitas und Caddos moderne
Schnellfeuergewehre in den Händen halten, gibt es Mord und
Totschlag. Ein Strom von Blut wird fließen, ehe das Militär

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den Aufstand in den Griff bekommt. Wir brechen das Lager
ab.«

»Mitten in der Nacht?«
»Es erscheint mir wichtig.« John nickte, ehe er sich erhob

und den Sattel ergriff. »Pack deine Schlafrolle, wir reiten.«

»Und Cochises Botschaft an den General?«
John straffte die Sattelgurte und band den Mantelsack fest.

»Das hat Zeit, denn ich bin mir nicht sicher, ob sie noch
Bedeutung hat.« Er schwang sich aufs Pferd und blickte zu
Earp hinüber. Er lächelte hart. »Was ist mit deinem
Erzklumpen?«

Wyatt erfaßte die Zügel und saß mit einem Satz im Sattel.

»Was brauche ich einen Briefbeschwerer, John? Ich werde nie
einen Schreibtisch besitzen.«

»Dann wollen wir.« Der Scout schnalzte mit der Zunge und

trieb seinen Pinto in die Nacht hinaus.

*

»Nachrichten von Haggerty?« fragte General Howard, als sein
Profos das Stabszelt betrat. Durch die Fensterluke sah er zwei
Indianerscouts, die bei ihren abgetriebenen Mustangs standen.

Major Tanner, der von der Bedeutung von Haggertys

Mission wußte, trat an den Kartentisch.

»Nein, Sir. Die Scouts kommen aus Major Ryans Lager. Sie

bringen schlechte Nachrichten.«

General Howard wandte sich um. Seit Wochen empfing er

nur schlechte Nachrichten. Hiobsbotschaften, die von der Lage
im Apachenland berichteten. Er wandte sich um, und Tanner
sah die dunklen Ringe um Howards Augen. Der Commander
schlief seit Tagen kaum. Eigentlich hatte es nach dem
enttäuschenden Aufmarsch im Tonar Desert begonnen. Er war
von Unrast und Unruhe erfüllt, am Ende seiner psychischen
Kräfte.

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»Berichten Sie, Major«, sagte der General müde.
»Major Ryan hat bei einem Zusammenstoß mit

Wichitarebellen eine Patrouille verloren.«

»Wie viele Leute?«
»Zwanzig.«
General Howard preßte die Lippen aufeinander. Er wußte,

wie solch ein Zusammenstoß endete.

»Weiter, Major.«
»Ryans Abteilung hat seine Patrouille einen Tag später

gefunden, skalpiert, massakriert…«

»Keine Einzelheiten, Tanner. Ich kenne das«, unterbrach ihn

Howard.

»Auf der Suche nach den Mördern ist er auf ein starkes

Wichitalager gestoßen. Es war aufgegeben worden.«

»Immer die gleiche Situation. Diese Rebellen sind nicht zu

fassen. Fast kommt es mir vor, als kämpften unsere Truppen
gegen eine Geisterarmee«, grollte der Offizier. »Sie tauchen
aus dem Nichts auf, schlagen zu und verschwinden im Nichts.
Dabei ist es ein undisziplinierter Haufen, bewaffnet mit
Keulen, Lanzen und Bogen wie Urmenschen einer
vergangenen Epoche. Ihnen gegenüber steht eine ausgebildete
Armee, mit Feuerwaffen und schwerem Beschuß.«

»Die Wüste ist ihr stärkster Verbündeter, Sir.«
»Und Locking Bear, der sie führt? Sprechen Sie weiter.«
»Major Ryan hat das Tonarbecken verlassen und folgt der

Sippe nach Süden. Er bittet um eine zweite Abteilung, die ihm
folgt. Er befürchtet, daß Wichitas und Caddos sich mit
weiteren Kampfgruppen verbinden und bald losschlagen
werden.«

General Howard durchwanderte unruhigen Schrittes das Zelt,

und Tanner sah seine Erregung. Der General stand vor einer
schwerwiegenden Entscheidung, denn eine weitere Abteilung
würde den Besatz der Garnison gewaltig schwächen.

Nun blieb er stehen und blickte seinem Profos offen ins

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Gesicht.

»Mr. Earp hat uns von dreihundert Caddos- und

Wichitakriegern berichtet. Mein Scout befürchtet, daß es bald
die doppelte Anzahl Krieger werden. Nach unserem Aufmarsch
im Tonarbecken sind sie trotz unserer Bemühungen spurlos
verschwunden. Wie denken Sie darüber, Tanner? Könnten die
Rebellen sich nach Süden abgesetzt haben?«

Der Profos überlegte kurz. »Zwischen südlichen Ausläufern

der Chiricahua Mountains und den Swisshelms liegt ein
gewaltiges Trockenbecken. Verödet und menschenleer. Es
kann tausend Menschen aufnehmen.«

»Haggerty war auf dem Weg in die Swisshelm Mountains. Er

wollte sich mit Cochise dort treffen. Vielleicht ist das der
Grund, daß ich von meinem Scout nichts mehr höre Tanner«,
Howards Gestalt straffte sich, »Major Ryan soll seine
Abteilung bekommen. Suchen Sie einen geeigneten Offizier,
der sie führt.«

Major Tanner nickte. »Ich hätte schon jemanden, Sir. Mich.«
»Sie?«
»Jawohl, Sir. Ich lebe seit sieben Jahren in Arizona. Ich war

Fortkommandant in Fort Thomas, ehe Sie mich in den Stab
beriefen. Ich kenne also die Südecke wie meine Tasche. Wenn
sich dort etwas zusammenbraut, werde ich es zu finden
wissen.«

»Mann, Tanner, Sie sind Stabsoffizier. Sie werden hier

gebraucht.« Howard schüttelte mißmutig den Kopf.

»Um Sie täglich mit weiteren schlechten Botschaften aus

dem Frontierland zu füttern, Sir?« fragte der Major.

Wieder nahm der General die Wanderung auf. Ihn drückte

die Verantwortung.

»Na gut«, sagte er schließlich zögernd. »Stellen Sie nach

Ihrem Ermessen die Abteilung zusammen und ziehen Sie mit
Gott.«

»Danke, Sir«, rief Tanner und grüßte lässig. Als er das Zelt

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verlassen wollte, hielt ihn Howards Stimme zurück.

»Noch etwas, Sir?«
Howard trat näher und reichte Tanner die Hand. »Ich brauche

Erfolgsmeldungen. In Washington wird man ungeduldig. Wie
mir zu Ohren kommt, nagen einige bestimmte Herren an
meinem Stuhl. Sie möchten mich durch einen anderen hohen
Offizier ersetzen lassen.«

Major Tanner spürte den festen Händedruck seines

Vorgesetzten, den er ehrte und achtete. »Ich werde alles
daransetzen, um diesen Leuten das Maul zu stopfen, Sir.«

Tanner verließ das Zelt.
General Howard war allein mit seinen Gedanken und seinen

Sorgen. Unruhig nahm er seine Wanderung wieder auf.

*

»Tag, Morgan.« Wyatt Earp trat aus dem Schatten der
Hauswand und ging den drei Reitern entgegen, die vor dem
territorialen Landagentur-Gebäude aus dem Sattel gestiegen
waren. Seine Daumen hingen lose hinter dem Gürtel, nahe des
glänzenden Revolverknaufs im Halfter. Hinter seinem Lächeln
verbarg sich wachsames Lauern, denn er wußte, wie gefährlich
der Spieler war.

Glenn Morgan hob überrascht den Kopf, während seine

beiden Begleiter zur Hüfte griffen. Er musterte den Mann, der
ihm diese überraschende Begegnung beschert hatte. »Wyatt,
du?« rief er dann aus. »Das nenne ich eine Überraschung.«

»Du wirst noch mehr überrascht werden.« Earp lachte bissig.

»Seit unseren verpaßten Treffen in San Manuel hatte ich Zeit,
über dich nachzudenken. Doch erst seit unserer letzten
Begegnung bei den roten Felsen weiß ich, daß du ein übler
Zeitgenosse bist.«

Morgans Lächeln erstarrte. Seine Lippen wurden schmal,

sein Gesichtsausdruck hart. »Suchst du Streit, Wyatt? Dann

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vergesse nicht, ich bin nicht allein.« Sein Kopf tippte zu seinen
beiden Begleitern, die kampfbereit an seiner Seite standen, und
wohl auf ein Zeichen von ihm warteten. »Dunney und Smith
haben es nicht gern, wenn mich jemand anpöbelt.«

Earps Blick wanderte ab. Herausfordernd musterte er die

verlodderten Gestalten, die nach Büffelmist stanken, aber
piekfeine Vierundvierziger im Halfter trugen.

»Dunney und Smith sind zwei mickrige Möchtegerne, die

sich nur stark fühlen, wenn sie in der Überzahl sind. Sie
würden ganz schnell ihre Hände vom Gurt nehmen, wenn sie
wüßten, wer gerade hinter ihnen steht.«

Morgans Kopf flog herum. Er erkannte den Mann in

verwaschenen Chaparajos, der lässig an der Balustrade lehnte.
Morgan verlor eine Nuance Farbe.

Seine Begleiter aber lachten dröhnend.
»Das Spielchen ist so alt wie die Verfassung«, rief Dunney.

Seine Hand umspannte fest den Walnußgriff seines Colts.
»Darauf fallen wir nicht herein.«

»Na, Glenn, siehst du nun, welche Dummköpfe dich

umgeben?« Earp wandte den beiden Halunken den Rücken zu
und deutete die Treppe hoch. »Gehen wir zur Agentur und
melden deine Bonanza an.«

Morgan blickte noch immer in Haggertys tiefgebräuntes,

hartes Gesicht. Er saß in der Zwickmühle und wußte nicht, wie
er sich verhalten sollte. Earp war gefährlich, doch diesen
Armeescout aus Tucson hielt er für den stärkeren Gegner. Wie
lächerlich ihm die Gestalten seiner Begleiter vorkamen.

Doch bei Wyatts letzten Worten schreckte Morgan

zusammen. »Woher weißt du von der Mine?« stotterte er
verwirrt und dachte fieberhaft nach, wer mit Earp gesprochen
haben könnte.

Der Abenteurer lachte ihm ins Gesicht. »Woher ich weiß,

daß deine Bonanza eine Borrasca ist? Ich bin dir bis zum
Bavispe gefolgt und habe mich vom Wert der Mine überzeugt.

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Ich könnte mich totlachen, wenn du es nicht tun wirst, wenn du
erfährst, daß dein Blow up wertloses Pyrit ist. Katzengold, oder
wie sie das Dreckszeug nennen. Du schleppst es doch in der
Satteltasche herum. Yeah«, fuhr er fort, als Morgan sich noch
immer nicht regte, dabei deutete er über die Schulter.
»Empfehle deinen Strolchen, die Finger vom Eisen zu lassen.
Der Armeescout ist ein verdammt harter Mann, der es sicher
nicht zulassen wird, daß mir jemand in den Rücken schießt.«

»Du lügst, Wyatt.« Morgan machte eine herrische

Handbewegung zu seinen Begleitern. »Ich will keine
Schießerei, Dunney. Du bist ein verdammter Lügner, Wyatt«,
fuhr er im gleichen Atemzug fort. »Ich besitze die Pläne der
Derrotero, die…«

»… die die Spanier vor ein paar hundert Jahren

ausgeplündert haben. Aber da wären wir gleich beim zweiten
Punkt unserer gemeinsamen Interessen. Wo sind die Karabiner,
die Guadalupe dir im Tausch für die Karte angeboten hat?
Noch ist es nicht zu spät, Glenn, denn nur wenige Leute wissen
von deinem schmutzigen Geschäft mit den Caddos. Du kannst
also noch zurückstecken. Wenn erst eine dieser neuen
Winchester in den Händen eines Caddos auftaucht, wird dich
jedes Gericht im Territorium zur Galgenbaumelparty
einladen.«

Glenn Morgans Sinne arbeiteten. Earps selbstsichere Art

verwirrte ihn. Tausend Gedanken hetzten durch sein Hirn.
Drüben an der Balustrade stand unbeweglich der Armeescout,
wachsam wie ein Luchs, die Hand nahe am Revolver, bereit,
einzugreifen, wenn Morgan oder seine Begleiter eine dumme
Bewegung machten.

Smith und Dunney hatten den Fremden nun auch entdeckt

und hielten verlegen grinsend die Hände weit vom Körper.

»Wyatt«, begann Morgan heiser, »wir wollten einmal Partner

werden.«

»Mit flinken Händen und geschicktem Spiel.« Earp nickte,

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»nicht aber mit schmutzigen Waffengeschäften, die Terror und
Tod bedeuten.«

Morgan krümmte sich wie ein Wurm an der Angel. »Laß

mich nachdenken.«

»Du denkst doch die ganze Zeit, Glenn. Kommt es dir nicht

in den Sinn, daß Guadalupe dich betrogen hat? Ihm geht es um
die Karabiner. Die Anson Mine oder deine Person bedeuten
ihm nichts. Hol deine Quarzbrocken aus der Satteltasche und
lasse dich von einem Prospektor überzeugen.«

Nur zögernd trat Morgan zu seinem Pferd. Earp war sein

Gegner, und Haggerty würde ihn ebensowenig schonen. Seine
Hände zitterten, als er in die Satteltaschen griff.

»Es kann nicht möglich sein«, murmelte Morgan.
Wyatt Earp deutete zum Aufgang der Agentur. »Dort wird

man es dir sagen.«

Morgans Schritte wirkten schleppend und müde, als er die

Stufen hinaufschritt. Wyatt gab seinem Partner ein Zeichen und
folgte ihm dichtauf.

Kurze Zeit blieb es still, bis helles Lachen nach draußen

klang.

Als Morgan wankend an der Seite Earps wieder auftauchte,

war aus seinem Gesicht alle Farbe gewichen, und ihm klang
das Lachen des Prospektors in den Ohren, der nicht einmal eine
Untersuchung des Erzbrockens vorgenommen hatte.

»Weißt du nun, wer der Betrogene ist, Glenn?« fragte Earp,

als sie die Stufen hinuntergingen.

Morgan nickte schwerfällig. »Ich alarmiere meine Leute, und

dann reiten wir in die Swisshelm Mountains. Verdammt, dieser
Bastard hat mich aufs Kreuz gelegt.«

»Wir drei reiten allein, Glenn«, Wyatt tippte auf ihn, auf

Haggerty und auf seine Brust, »und bete, daß wir nicht zu spät
kommen werden. Scheuche deine Galgenvögel weg und steig
auf den Gaul. Jede Stunde wird kostbar sein. Für deinen Hals«,
fügte er hämisch hinzu.

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*

Hochlodernde Flammen erhellten den Beratungsplatz, an dem
die Häuptlinge und der Ältestenrat schweigend verharrten. Im
Hintergrund, den Platz umschließend, ihre nackte Haut im
Lichtspiel glänzend, standen dreißig Lanzenträger, Cochises
stärkste Krieger. Unter ihnen Naiche, der Häuptlingssohn, der
von Cochises Sorgen wußte.

Cochise war vor zwei Tagen aus der Ebene kommend in die

befestigte Apachenburg zurückgekehrt.

Loco und Chato waren seinem Ruf gefolgt und warteten

bereits ungeduldig auf den Häuptling. Aber Cochise hatte nur
seinem Sohn von den Vorfällen in der Wüste berichtet und ihn
zum Schweigen verpflichtet.

Selbst Chan-ank, dem Stoßenden Adler, ältester Chiricahua

mit Stimmrecht im Rat der Alten, mit dem er in den letzten
Monden viele wichtige Gespräche geführt hatte, verschwieg er
seine Flucht vor den langen Messern der Pferdesoldaten. Loco
wie auch Chatos Entscheidung im kommenden großen Palaver
wollte er durch den Vorfall nicht beeinflussen.

Einen Tag vorher war Victorio mit einigen

Mimbrenjokriegern aus dem Süden in die Apacheria gezogen,
und am heutigen Vormittag waren Ulzana und Gokhlayeh mit
ihren Reitern erschienen.

Nun vollzählig, bestimmte Cochise den Abend zur

Verhandlung.

Der Schamane, mit Büffelfell und Hörnern bekleidet,

umtanzte leise singend das Feuer. Er hielt den offenen
Medizinbeutel in der Hand und schleuderte in rhythmischen
Abständen gemahlenes Pulver in die Flammen, die grell
hochzuckten und wieder zusammenfielen. Seine
Knochenrasseln, am Fell befestigt, schlugen hell aneinander
und riefen den Großen Geist, um Erleuchtung und Rat zu
erbitten, die die Not der Apachenstämme mildern sollten.

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Ein Ritual, dem die Anwesenden in andächtiger

Schweigsamkeit folgten, bis der Gesang des Medizinmannes
abrupt endete, und er vor dem großen Häuptling niedersank.

Seine Hände, die den Beutel hielten, bewegten sich in

vorbestimmten Gesten, und als er die Arme senkte, kollerte der
Inhalt zu Boden.

Adlerknochen, Zedrachrinde, ein geflochtener Kräuterkranz,

Beutel mit geweihter Farbe und Kräutermedizin, Fellstücke
eines Eichhörnchens und der Wurzelteil des Balsamstockes,
der an eine Alraune erinnerte.

Tiefstes Schweigen herrschte.
Der Schamane beugte sich nieder und suchte das Orakel

seines Zaubers zu ergründen.

»Blut wird den gelben Sand unserer Erde tränken«, rief er

mit monotoner Fistelstimme. »Flammen werden aus unseren
Wäldern steigen, und Krieger reiten auf schwarzen fliehenden
Wolken, verfolgt von grellen Blitzen und dem zornigen
Grollen unserer Götter. Hunger und Not werden das Volk der
Apachen treffen und den Stolz der Apachen brechen.«

Unruhe breitete sich im weiten Kreis aus. Nur Cochise saß

mit geschlossenen Augen reglos auf seinem Platz. Er suchte
das düstere Orakel des Schamanen zu entschlüsseln.

Das Blut, das unsere Erde tränkt, bedeutete Bruderkampf mit

den Wichitas oder den weißen Eindringlingen, deutete Cochise.
Flammende Wälder waren die Palisaden der Soldatenforts,
deren Holz in unseren Wäldern geschlagen wurde. Schwarze
Wolken, der Blick in die Zukunft, die der Schamane
offenbarte. Fliehende Reiter, von Blitz und Donnerschlag
begleitet, bedeuten einen verlorenen Krieg.

Die Stämme der Wichitas, der Caddos und vielleicht auch die

der Apachen werden von Pferdesoldaten gejagt, deren
Feuerrohre tiefe Wunden reißen und deren mächtige
feuerspeiende Eisen ihre Dörfer vernichten. Die Hungersnot
war die Flucht in die Einsamkeit der Berge, deren karge

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Vegetation ein Volk nicht ernähren konnte.

»Irgendwo im Dunkeln bewegt sich ein Schatten, der den

Apachen entgegenreitet und einen Weg sucht aus der
Finsternis, die uns zu überfallen droht. Einer unserer Götter,
ich erkenne nicht sein Gesicht«, murmelte der Schamane mit
erlöschender Stimme.

Cochise hörte, wie er verstummte. Als er die Augen öffnete,

lag der Schamane in Trance zusammengesunken vor dem
Feuer.

Es ist kein Gott, dachte Cochise verbittert. Er spürte, der

Schatten war der Falke, der als Träger zwischen dem weißen
und roten Volk stand.

Cochise hatte sich erhoben. Fordernd streckte er die Hände

zu den fliehenden Nachtwolken.

»Der Zauber des Schamanen hat unsere Zukunft offenbart«,

rief der Häuptling mit starker Stimme. »Fremde Stämme sind
in unser Land eingefallen, verwüsten die Jagdgründe unserer
Väter. Sie morden und brandschatzen und erheben sich gegen
die mächtigen Heere des weißen Häuptlings aus dem Osten.
Blut und Tränen vereinen sich zu Flüssen, das blühende Gras
der Savanne wird zu schwarzem verbranntem Staub. Unsere
Stämme sind zerstritten. Das zehrt an unserer Kraft.« Cochises
Blick streifte Victorio, den Apachenwolf der Mimbrenjos, der
sich lange Zeit von den Chiricahuas abgewandt hatte. »Wir
müssen einen gemeinsamen Weg aus dem Dunkel suchen.«

»Aber welchen Weg?« rief Chato, der schon lange den

Frieden suchte.

»Den Weg zu Locking Bear.« Geronimo war hochgefahren.

Seine Augen glühten fanatisch. »Er ist ein starker Kämpfer.
Locking Bear hat die Stämme der Wichitas vereint und sich mit
Guadalupe verbündet. Er zeigt uns den Weg zur Macht und
fürchtet nicht die langen Messer der Langsäbel. Wenn wir uns
mit ihnen vereinen, schwemmen wir die weißen Desperados
wie Unrat aus dem Land.«

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»Und werden Vasallen der Oststämme.« Cochise schüttelte

zornig den Kopf. »Möchtest du eine Fessel sprengen und die
nächste an den Gliedern spüren, Gokhlayeh? Nein, das ist nicht
der Weg, den wir suchen müssen. Es ist noch nicht lange her,
daß der einarmige Blaurock aus Tucson einen Boten, den
Falken, zu mir sandte. Der Einarm weiß, wie es um unser Land
steht. Aber er weiß auch, daß er der Kriegsbereitschaft der
Oststämme nicht entgegentreten kann.«

»Dann soll er nach Hause gehen«, rief Geronimo und spie

seine Verachtung in den Sand.

»Er wird nicht gehen, sondern seinen Häuptling in

Washington bitten, Truppen zu entsenden. An irgendeinem Tag
wird die braune Wüste dunkel von den Pferdeleibern der
Langsäbel, die über unsere Berge ziehen. Seine Reserven sind
unerschöpflich, unser Volk aber ist ausgebrannt. General
Howard bietet eine Allianz zwischen ihm und den Apachen.«

»Weil er zu schwach ist, um gegen Locking Bear zu

kämpfen.« Geronimos Blick ging in die Runde, als suche er
Verbündete seines Gedankens.

Ulzana nickte schweigend.
Auch Victorio schien seinen Worten zuzustimmen. Er erhob

sich in seiner Würde. »Geronimo ist ein Heißsporn. Zu jung,
um eine Entscheidung zu fordern. Und dennoch wollen wir
seine Gedanken nicht vergessen. Aber du, Cochise, weißt
genau, daß eine Verbindung mit den Blauröcken unmöglich ist.
Zuviel Leid hat man uns zugefügt. Zuviel Land geraubt. Ich
sehe keine Zukunft, an ihrer Seite zu leben.«

Cochise spürte den Widerstand. Aber er war listig und klug

wie ein jagender Wolf vor der Beute.

»Eine Allianz soll kein ständiges Bündnis sein. Aber in der

Not schlüpft der Wolf in einem fremden Rudel unter. Ich sehe
zwei Vorteile in diesem Bündnis. Zwischen Pferdesoldaten und
Apachenstämmen herrscht Waffenstillstand, der uns Vorteile,
vielleicht sogar Gewehre bringt. Wenn wir geschlossen an ihrer

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Seite kämpfen, werden Caddos und Wichitas aus unseren
Jagdgründen getrieben und erkennen, daß im Apachenland für
sie kein Platz zu finden ist.«

»Es ist ein trügerisches Seil, das Cochise betritt«, rief

Geronimo erregt von seinem Platz. »Es könnte schnell
zerreißen.« Gokhlayeh war von unbeherrschter Wildheit eines
jungen Kriegshäuptlings, der nur die Gegenwart sah und nicht
die Folgen. Sein Gebaren war einer Herausforderung gleich,
die Betroffenheit auslöste und zugleich erkennen ließ, wie tief
die Zerwürfnisse unter ihnen schon waren.

»Wer wie ich denkt, sollte hier und heute seine Entscheidung

treffen, denn Ruhm und Niederlage liegen nahe beieinander.
Locking Bear trägt den braunen Gürtel der zehn tapfersten
Häuptlinge. Er hat noch nie einen Kampf verloren.«

Cochise spürte die Unruhe, die Gokhlayehs kühnen Worten

folgte. »Wir wollen mit Vernunft die Dinge besprechen und
dann entscheiden«, rief er lautstark in das Durcheinander. »Ich
hoffe, wir werden den rechten Weg finden.«

Erst nun setzte er sich nieder, um den Dingen

entgegenzusehen, die sie miteinander entscheiden mußten,
denn selbst er, der ihr anerkannt höchster Häuptling war, mußte
sich nach den Gesetzen der Apachen ihrer Entscheidung
unterwerfen.

Geronimo spie wieder in den Sand, um seine Verachtung zu

zeigen. »Ich habe mich entschieden«, rief er und warf seinen
Fellmantel über die Schulter. Grußlos verließ er die
Ratssitzung.

Betroffene Blicke folgten ihm, bis er in der Dunkelheit

verschwand.

»Gokhlayeh ist ein Heißblut«, sagte Chato in die herrschende

Stille.

»Er ist ein junger Krieger«, erwiderte Cochise und

verschränkte die Beine. Er wußte, es würde eine lange Nacht,
der ein langer Tag folgte, bis die Entscheidung gefallen war.

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*

Der Hufschlag klang hohl von den senkrecht abfallenden
Felsen des Arroyos wider. Die Karabiner entsichert über dem
Sattelhorn liegend, den Finger am Abzug, sich wachsam durch
die Steilschlucht tastend, ritt Major Ryan und seine Abteilung
durch die westlichen Ausläufer der Swisshelm Mountains.

Seine Hunkpapascouts, die stets eine Meile voraus die

fremden Spuren aufnahmen, denen Ryan nun den vierten Tag
folgte, blieben durch Handsignale ständig in Verbindung mit
der Truppe.

Die frostige Kühle der Bergregion, auf die Ryans Truppe

nicht eingerichtet war, machte ihnen hauptsächlich in der
Nacht zu schaffen, zumal Ryan untersagt hatte, Feuer zu
entzünden.

Ohne Zweifel mußte Major Ryan zugeben, daß die Rebellen

auf ihren zähen Wüstenmustangs schneller als seine Truppe auf
schweren Kavalleriegäulen vorankamen, und ihnen schon mehr
als einen halben Tagesritt voraus waren.

Aber der Major, der immer wieder an seine massakrierten

Männer der Patrouille denken mußte, gab nicht auf. Er wollte
die Wichitahorden stellen und zum Kampf zwingen.

Als die Felsschlucht nach Süden hin in einen Talkessel

mündete und der Lichteinfall der Sonne den felsigen Boden
berührte, zügelte der Major unverhofft sein Pferd.

Etwa zweihundert Yards voraus erkannte er zwei Broncos,

wie seine Späher sie ritten, die friedlich karge Gräser zwischen
Geröll zupften.

Eine Handbewegung stoppte die Abteilung. Während er das

Glas aus der Satteltasche zog, trabte Lieutenant Hicker an seine
Seite.

»Was nicht in Ordnung, Sir?« fragte er beunruhigt.
Major Ryan hielt das Glas vor die Augen und erforschte die

Umgebung. Der kahle Felsen, der terrassenförmig zur Schlucht

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hinunterfiel, schillerte rotfarben im prallen Sonnenlicht.
Gewaltige, vom Berg abgesprengte Felsbrocken lagen verstreut
im Talkessel, der von kargem Bewuchs durchzogen war.

»Dort stehen die Hunkpapagäule, Hicker, ohne daß ich ihre

Reiter erkennen kann. Schicken Sie Korporal Manns und zwei
Soldaten aus. Sie sollen ergründen, was das bedeutet.«

Lieutenant Hicker spürte die Unruhe in der Stimme des

erfahrenen Offiziers. Er wandte sich im Sattel um und rief zwei
Reiter näher, denen er den Befehl des Offiziers übermittelte.

Während Manns und seine Leute loszogen, befahl der Major:

»Setzen Sie die Abteilung in Alarmbereitschaft, Hicker. Irgend
etwas stinkt hier.«

»Sie meinen, die Rebellen werden uns angreifen? Mit Keulen

und Lanzen?« fragte der Lieutenant überrascht.

»Sie haben beim Überfall Gewehre und Colts erbeutet.

Damit fühlen sie sich stark.«

Hicker wandte verächtlich seinen Gaul. Was bedeuteten ein

paar Gewehre in den Händen der Wilden? Die Abteilung war
kriegsmäßig ausgerüstet und bestand aus erfahrenen
Indianerkämpfern.

Noch während Hicker Befehle erteilte, sah der Major, wie

einer der ausgesandten Reiter aus dem Sattel geschleudert
wurde. Eine Lanze hatte ihn durchbohrt.

Manns und der zweite Mann rissen ihre Pferde herum und

jagten in gestrecktem Galopp den Weg zurück.

»Rothäute«, rief der Korporal. »Sie haben Quadder erwischt,

und zwischen den Felsen liegen die Hunkpapas, von einem
Dutzend Pfeile durchsiebt.«

Major Ryan drehte sich im Sattel um. »Lieutenant Hicker«,

rief er im nächsten Augenblick. »Die Abteilung verteilt sich
auf beiden Seiten der Schlucht und geht in Stellung.«

Noch während die Soldaten auseinanderschwärmten, fielen

die ersten Schüsse mit solcher Heftigkeit, daß Manns, der
neben seinem Major in Deckung gegangen war, erschrocken

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ausrief: »Verdammt, Sir, das sind keine erbeuteten
Springfields. Das müssen Henrys sein.«

Major Ryan preßte die Lippen zusammen. Ein Hagel

Geschosse fuhr über den Felsbrocken hinweg, der ihm und
Manns Deckung bot. Einige Kugeln trafen die Pferde, die sich
erschreckt zur Flucht gewandt hatten und mähten sie nieder.

Mit einem Blick zurück erkannte Ryan, daß auch einige

Soldaten auf der Strecke geblieben waren.

»Wir müssen zurück«, flüsterte er dem Korporal zu, und fast

gleichzeitig sprangen sie hinter der Deckung hervor, jagten mit
riesigen Sätzen zur Westflanke der Schlucht. Staubfontänen
wirbelten um sie hoch, Steinsplitter trafen ihre Uniformen. Im
Schatten der Steilwand fielen sie nieder.

Manns wischte sich das Blut aus dem Gesicht. »Woher haben

diese Teufel solche Gewehre, Sir?«

Major Ryan schwieg. Was sollte er auf eine Frage erwidern,

die er nicht beantworten konnte. Nur eines wußte er genau. Sie
waren in einen Hinterhalt gelaufen.

Er hatte die fliehende Rebellengruppe unterschätzt. Der

Gedanke hinterließ keine Panik, denn als erfahrener
Frontierkämpfer war er nicht das erste Mal in solch einer Lage.

Er suchte die Steilwände ab, aus denen die Schüsse fielen.

Verräterische graublaue Wolkenringe, die die Wand
hochzogen, zeigte ihm, wo die Schützen verborgen lagen.

Seine Abteilung war hundertsechzig Mann stark. Der Gegner

hatte kaum die Hälfte, aber die bessere Bewaffnung. Noch
während er sich fragte, wie Wichitas so plötzlich an
Repetiergewehre kommen konnten, rief er dem Korporal zu:
»Geben Sie weiter, wir konzentrieren unser Feuer auf die
nördliche Schluchtwand.«

Manns kroch den Schatten der Steilwand entlang. Auf der

anderen Schluchtseite signalisierte Lieutenant Hicker einen
Hilferuf. Er lag im massierten Feuer der Gegner.

Manns kehrte zum Major zurück. »Lieutenant Hicker braucht

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Hilfe.«

»Wir brauchen sie auch«, erwiderte der Offizier und preßte

den Körper fest an den Boden, als ein Hagel Blei über ihn
hinwegfegte. »Wir müssen die Dunkelheit abwarten und uns
besser formieren. Und in der Nacht wird ein Stoßtrupp einen
Weg über den Berg suchen, um unseren Gegnern in den
Rücken zu fallen.«

Der Korporal schwieg. Er spürte die verzweifelte Lage. Er

wollte nicht an seinen alten Freund, Sergeant Brosher, denken,
den diese Teufel bestialisch ermordet hatten.

Noch immer deckte sie heftiges Gewehrfeuer ein. Die Sonne

zog davon. Schatten senkten sich nieder.

Lieutenant Hicker lief quer durch die Schlucht und fiel

schwer atmend neben dem Commander nieder.

»Ich habe sechs Leute verloren. Sie sollten das

Rückzugssignal blasen lassen, Sir, ehe der neue Tag anbricht.«

Sorgfältig überlegte Major Ryan Kickers Vorschlag. Die

Kampfkraft der Rebellen war durch ihre modernen Waffen
seiner Truppe erdrückend überlegen. Die Aussichten, dem
Gegner in den Rücken zu fallen, gering. Das Gelände ließ es
einfach nicht zu.

»All right«, sagte er schließlich zustimmend. »Sammeln Sie

die Abteilung in aller Stille. Wir müssen diese tödliche
Schlucht verlassen haben, ehe der Mond aufgeht.«

Von nun an war die Nacht mit schabenden Geräuschen und

flachem Hufschlag erfüllt. Eine Gruppe ritt sichernd voraus.
Eine zweite bestimmte Major Ryan als Nachhut. Doch als sie
am Morgen die äußeren Kaps der Swisshelm Mountains
erreichten und in die offene Plains vorstießen, schlug ihnen aus
dichtem Wüstengesträuch eine Salve entgegen, die Ryan
verletzte und ein Dutzend Soldaten tötete.

Panik erfaßte die Leute. Sie schwenkten ihre Pferde und

sprengten in alle Himmelsrichtungen, bis das Signal des
Hornisten erklang.

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Major Ryan begann seine Soldaten neu zu formieren. Er

hatte erkannt, wo der geringste Besatz seiner Gegner lag und
bestimmte sie als Fluchtrichtung.

»Wir schwenken in westliche Richtung«, schrie der Major,

der blutend auf dem Pferd saß und seinen schweren Säbel zog.
»Vorwärts, Leute, wir brechen durch. Keine Schonung,
Männer, und denkt daran, jede Kugel, die ihr Ziel verfehlt,
kann einem Soldaten das Leben kosten. Attacke!« Aus dem
Stand trieb er seinen Gaul zu schneller Gangart an.

Die Erde dröhnte, Blitze zuckten aus den Büschen. Männer

fielen aus den Sätteln. Die Vorhut erreichte den Strauchgürtel.

Und wieder fielen Schüsse. Zornige Soldaten, vielleicht von

der Verzweiflung getrieben, faßten ihre leergeschossenen
Springfields wie Keulen und bahnten sich einen blutigen Weg
durch das Wichitagesindel.

Ein Sturmlauf, der das Leben von fünfzehn Männern kostete.

Aber nun, wo die freien Plains vor ihnen lagen, schöpften sie
Hoffnung, den Gegner in einer offenen Feldschlacht zu
besiegen.

Der Trompeter blies zum Sammeln. Als die Reiter sich in

einzelne Züge formierten, bat Major Ryan seinen Lieutenant
um Verlustmeldung.

Das Ergebnis war erschreckend, und die Tatsache, daß sie

über dreißig Männer verloren hatten, ließ erkennen, wie
gefährlich die Indianer waren.

Noch am selben Morgen sandte Ryan einen Melder ins

Hauptquartier, um Entsatz heranzuführen.

Mit einem Wechselpferd zog der Mann los.
Gegen Mittag sahen Ryan und seine Männer die Staubwolke

am südlichen Horizont. Die Roten folgten ihnen und ritten
zügig auf ihrer Spur, als suchten sie eine Entscheidung zu
erzwingen.

Major Ryan beobachtete mit verbissenem Gesicht die

Bewegung im Süden. Dort ritten die Indianer mit vielen

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Repetiergewehren, deren Herkunft er sich nicht erklären
konnte. Der Teufel mußte sie ihnen in die Hände gespielt
haben.

»Hicker«, sagte Major Ryan, als der Lieutenant an seine

Seite aufritt. »Sie sind stärker als drei Kavallerieabteilungen.
Das schlimmste ist, sie kennen ihre Überlegenheit. Wir wollen
im weiten Raum der Mesa einen geeigneten Hügel suchen, an
dem wir uns einschanzen und verteidigen können, bis Entsatz
kommt.«

Lieutenant Hicker lauschte ungläubig den Worten seines

Vorgesetzten. Das Feldlager in Tucson lag hundertfünfzig
Meilen entfernt. Ehe der General Hilfstruppen entsenden
konnte, vergingen eine oder mehr Wochen. Bis dahin waren sie
längst alle tot.

Lieutenant Hicker preßte die Lippen aufeinander und zog

schweigend sein Pferd herum.

*

Zwei Tage und ebenso viele Nächte dauerte das Palaver im Rat
der Alten. Das Für und Wider, begründet von der Einstellung
der weißen Eindringlinge, die den Apachen ihr Land nahmen
und sie in unwirtschaftliche Regionen verbannten, nahm kein
Ende.

Victorio berichtete leidenschaftlich von den elenden

Verhältnissen in der San Carlos Reservation, in der er einige
Monate mit seiner Sippe hatte leben müssen. Von
Demütigungen, Entbehrungen und der Willkür der
Indianerkommissare, die sie als Untermenschen oder wilde
Tiere bezeichneten. Eine Tirade unverbrüderlichen Hasses kam
von seinen Lippen.

Auch Ulzana wußte so Niederschmetterndes zu berichten,

daß Cochises Gedanken einer Allianz mit General Howard ins
Wanken kamen.

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Aber er und Chato, der Gemäßigte, gaben nicht auf. Cochise

sprach von Zwist und Hader ihrer Stämme, von den heftigen
Auseinandersetzungen mit den Langsäbeln und erwähnte
geschickt ihre eigenen blutigen Taten, in denen Victorio sich
besonders hervorgetan hatte. Er erwähnte das Massaker im
Mormonendorf am San Carlos River, das die Verhältnisse
zwischen ihren Stämmen und den Weißaugen stark getrübt
hatte, und schloß seine flammende Rede mit den Worten, daß
eine Allianz mit dem General in Tucson, die auch in
Washington gehört werden müßte, ihnen sicher Vorteile
bringen konnte. Eine Vereinigung mit Locking Bear, wie
Geronimo sie anstrebte, nur das Sterben ihres Volkes
beschleunigte.

Man spürte in Cochises Worten, daß er den Frieden suchte.

Gleich, unter welchen Voraussetzungen er erkauft wurde.

»Unser Volk blutet aus unter den ständigen Kriegszügen. Die

Hälfte unserer Frauen sind Witwen, ihre Kinder Waisen. Die
Zahl der jungen Männer, die uns einmal als Jäger oder Krieger
ersetzen sollten, schrumpft. Wer wird einmal für unsere Frauen
sorgen? Wer wird sie ernähren, wenn der Nachwuchs fehlt?«

Das waren wohl die entscheidenden Fragen, die Cochise

stellte, und er spürte, daß Loco sich an seine Seite stellte, und
Ulzana unsicher wurde.

Selbst Victorio, der Mimbrenjowolf, der die weiße Haut

haßte wie das Fleisch des Cojoten, wurde wankelmütig.

»Was verspricht sich Cochise aus dieser Verbindung? Die

Hoffnung auf Gnade oder eine bessere Zukunft? Hat der weiße
Häuptling in Tucson dich nicht schon ein dutzendmal mit
doppelzüngigen Versprechen hingehalten? Hat er je eines
dieser Versprechen eingehalten?«

»Ohne Hoffnung hat kein Mensch ein Ziel, Victorio.

Möchtest du nicht in Frieden leben, zur Jagd gehen und mit
Pfeil und Bogen Wild erjagen, das die Kammern deines
Stammes füllt?«

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Victorio schwieg nach dieser Frage. Aber er erinnerte sich an

jene glücklichen Jahre seiner Jugend, als die Täler, Schluchten
und Wüsten den Apachen gehörten und niemand ihre Jagd
störte.

Und sicher hätte das Palaver noch einige Tage angehalten,

wenn nicht in diesem Augenblick Cochises Sohn Naiche durch
die Lücke der Wehrmauer ins Lager geritten wäre. Er war vor
zwei Tagen, kurz nach Geronimos zornigem Abgang, mit
einigen Spähern zu einer Erkundung ins Tal hinuntergezogen.
An seiner Seite ritt hochaufgerichtet und auch sehr stolz
Wania-taka, der Cheyennenhäuptling.

Stumm, mit undurchdringlichen Mienen, saßen die

Häuptlinge um das Feuer und blickten dem befreundeten Chief
entgegen, der in erforderlichem Abstand sein Pferd gezügelt
hatte.

Naiche trat in den Kreis. Er verbeugte sich vor seinem Vater.

»Wania-taka war auf dem Weg in unser Dorf. Er möchte mit
dir sprechen, Cochise.«

Der Chief hatte sich erhoben und bat Wania-taka durch ein

Zeichen näherzutreten, und Wania-taka stieg von seinem Pferd,
setzte sich an die Seite des großen Häuptlings und begrüßte die
Anwesenden mit kurzen Worten.

Cochise sah die tiefen Sorgenfalten im Gesicht des

Cheyennenhäuptlings und sagte: »Es bewegt das Volk der
Cheyennen das gleiche Leid wie das Volk der Chiricahuas.
Sprich und schütte dein Herz aus, Wania-taka, du bist unter
Freunden.«

Der Cheyenne sprach nun mit klagenden Worten über den

Frieden, der im Osten verkündet wurde und dessen Gedanken
er bis ins Apachenland tragen wollte. Er erzählte voller
Bitterkeit von den tödlichen Angriffen der Caddos und
Wichitas auf sein Volk und nannte die Rebellen Teufel, die aus
dem dunklen Pfuhl der Hölle gefahren waren, um Tod und
Vernichtung zu verbreiten.

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»Nicht Worte bringen den Frieden, sondern Taten«, rief er

lautstark. »Uns haben die bitterschmeckenden Köpfe der
Peyote die Sinne verwirrt und einen Zauber erzeugt, dem wir
verfallen waren. Aber dieser Rausch ist nun vorüber, und das
Auge des Cheyennen ist scharf und klar geworden.«

Cochise, der listige Fuchs, dessen kluger Verstand ihm in die

Wiege gelegt worden war, sandte einen dankbaren Blick zu
seinem Sohn, denn er spürte, daß er in Wania-taka einen
starken Verbündeten seiner Gedanken gefunden hatte.

»Deine Sorgen sind unsere Sorgen«, sagte er deshalb ruhigen

Tones, »denn wir beraten hier über einen Weg, die Feinde
außer Landes zu treiben.«

Wania-taka nickte resigniert. »Unsere beiden Stämme sind

zu schwach, um gegen Locking Bears Kriegsheer zu kämpfen.
In den versteckten Lagern der Caddos und Wichitas spricht
man von schnellen Gewehren, die Locking Bear von Süden
heranführt. Meine Späher haben sie belauscht.«

»Dann werden wir uns mit den Langmessern verbrüdern und

gemeinsam Locking Bear bekämpfen.«

»Den Pferdesoldaten schenke ich kein Vertrauen«,

widersprach der Cheyenne.

»Auch wir vertrauen ihnen nur so lange, wie der Feind in

unserem Land steht, Wania-taka und suchen aus diesem
Bündnis unseren Vorteil.«

Über Wania-takas Gesicht ging ein verschmitztes Lächeln.

»Der Große Häuptling der Apachen, dessen Mut und Klugheit
weit über dem Rio Grande del Northe bekannt ist, ist ein
listiger Fuchs. Sein klares Auge, das die Weitsicht eines Adlers
besitzt, sieht den Weg in die Zukunft. How, er könnte der Sohn
Mangas Coloradas sein, nicht nur der Schwiegersohn.« Das
war ein großes Lob für Cochise, denn der größte Führer aller
Apachen war Mangas Coloradas gewesen, der 1863 gestorben
war.

Cochise beugte leicht den Oberkörper, um für die großen

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Worte zu danken. Als sein Blick in die Runde ging, sah er das
Wohlwollen in den herben Gesichtern Locos und Chatos.
Ulzana nickte, und Chan-ank, der Älteste im Rat, streckte zum
Zeichen seines Einverständnisses seine Lanze.

Nur Victorio zögerte noch. Aber seine Worte waren eine

Verbindung zu Cochise. »Wenn der Friede mit den Weißaugen
nur der Augenblick bedeutet und Cheyennen an der Seite der
Apachen kämpfen, werden die Mimbrenjos ihre
Kampfbereitschaft zeigen.«

Cochise erhob sich. Er trat mitten in den Kreis der

Häuptlinge und verbeugte sich ehrfurchtsvoll viermal in die
vier Himmelsrichtungen. Sie waren den Apachen heilig.

Als er sich aufrichtete und stolz über die Berge hinweg

blickte, sagte er mit freudiger Stimme: »So wollen wir das
Bündnis schließen und alle Apachenstämme in der Ebene
vereinen. Ich werde dem weißen Häuptling in Tucson die
Botschaft des Rates senden.«

Damit war alles beschlossen, über das man zwei Tage und

zwei Nächte lang verhandelt hatte.

*

Zwei Tage auch kämpfte schon Ryans eingeschlossene Einheit
verbittert gegen den anstürmenden Feind, der sich seiner Stärke
und Überlegenheit bewußt war und mit einem Sieg die Brücke
des Ruhmes suchte.

Tote und Verletzte lagen zwischen flachen Felsen und

aufgeworfenen Sandhügeln. Die Sonne brannte mörderisch.

Major Ryan wußte, daß er diesem wuchtigen Anprall der

Wichitas nicht mehr lange widerstehen konnte. Ihre Vorräte
gingen zur Neige, und seit dem Morgen gab es keinen Tropfen
Wasser mehr.

Dafür brannte am Himmel erbarmungslos die Sonne, und der

süßliche Leichengeruch schwebte wie ein Pesthauch über dem

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Hügel.

Major Ryan lag unter einem Mesquitestrauch, halb im Sand

eingegraben, und starrte mit brennenden Augen in die
flimmernde Luft. Weit draußen, außerhalb der Schußweite
ihrer Gewehre, sammelte sich der Feind zum erneuten
Ansturm.

Major Ryan dachte an den Späher, den er nach Tucson

entsandt hatte. Wenn eine Entlastungseinheit zu ihnen stoßen
würde, waren die Indianer bereits auf dem Marsch nach
Norden. Und sicher trug einer von ihnen seinen Skalp als
Trophäe am Gürtel.

Lieutenant Hicker, einen blutigen Verband um die Stirn

gebunden, rutschte mit Fieberglanz in den Augen näher.

»Beim nächsten Ansturm werden sie uns überrennen«, sagte

er. »Keiner der Soldaten hat mehr als zehn Schuß für seine
Springfield. Es macht sich jene Resignation breit, die Ahnung
an den Tod zeugt, Sir.«

Major Ryan, selbst verwundet, nickte ruhig, als hätte er

bereits mit dem Leben abgeschlossen. »Ich sehe keine
Hoffnung für uns, Hicker. Aber wir werden bis zum letzten
Mann kämpfen und den Rebellen unseren Mut beweisen. Und
wenn die Munition alle ist, nehmen wir das Gewehr als Keule
und die Langsäbel als Tomahawk. Es wird uns eine stattliche
Anzahl ins Totenreich begleiten«, schwor er.

Welch ein Trost, dachte der junge Lieutenant, der mit

fünfundzwanzig fahren erst an der Schwelle des Lebens stand.

Er starrte in die hitzeflimmernde Sonnenglocke, die die Erde

ausbrannte. Hier also würde sein Leben enden. Wie eine Vision
tauchte das blühende Land seiner Heimat Virginia auf.

Die weiten grünen Weiden, die Tabak- und Baumwollfelder,

die sanften blumenbewachsenen Hügel, über die die Bienen
streiften und bunte Falter. Was war dieses Territorium hier
doch für ein Drecksland.

Major Ryan stieß ihm die Faust in die Seite. »Träumen Sie

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nicht, Hicker. Gehen Sie auf Ihren Posten. Die Bastarde greifen
uns wieder an.«

Nun hörte Lieutenant Hicker das wilde ohrenbetäubende

Geschrei, den trommelnden Hufschlag, der die Erde dröhnen
ließ.

Locking Bear blies zum Finale.
Die erste Welle stürmte auf zottigen Mustangs heran. Ihre

nackten Leiber saßen wie Guß auf dem Rücken der Pferde, die
weichen Leggins klatschten in die Flanken.

Beidhändig hielten sie ihre modernen Gewehre, deren Läufe

in der Sonne glänzten. Geschosse durchwühlten Sand und
Gesträuch.

Die erste Welle brach im gezielten Feuer der Verteidiger

zusammen. Doch das alles konnte den Angriffsschwung nicht
mehr aufhalten. Sie kamen den Hügel hoch, schwangen ihre
Keulen und schlugen eine tödliche Bresche in den
Verteidigungsring.

Die nächste Welle kam heran. Der Kampf Mann gegen Mann

entfachte Säbel gegen Tomahawk, Keule gegen den nutzlosen
Karabiner. Staub verdunkelte das Kampffeld, und man sah das
leidenschaftliche Ringen der Männer um ihr Leben. Feind und
Freund waren nur an der unterschiedlichen Kleidung zu
erkennen.

Lieutenant Hicker schlug sich tapfer, bis die schwingende

Keule eines Wichitas ihn tötete. Er hörte nicht die fernen
Hornstöße eines Signalisten, der zur Attacke blies, sah nicht
die blauen Uniformen einer frischen und kampfstarken Einheit,
die, aus der Wüste kommend, den Hügel anging.

Virginia. Ein Gedanke, den er mit hinübernahm. Mit einem

Lächeln auf den Lippen sank er tot zu Boden.

Auch Major Ryan hatte im Kampfgeschehen die

Trompetenstöße überhört. Deshalb suchte er nun den Grund,
warum die Indianer zurückfluteten und den Hang hinunter in
die Wüste sprengten.

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Erst als eine Reiterarmada durch die Büsche drang und Ryan

das bekannte Gesicht des Profos erkannte, wurden seine Knie
weich. Er sank in den Sand und blickte den Offizier wie eine
Erscheinung aus dem Jenseits an.

»Sie, Tanner?« stammelte er verwirrt, als der Profos an

seiner Seite niederkniete und ihm die Feldflasche an die
ausgetrockneten Lippen hielt. »Wo kommen Sie plötzlich her,
Kamerad? Es kann nicht möglich sein!«

»Beruhigen Sie sich, Ryan, ich werde es Ihnen später

erzählen«, erwiderte Les Tanner und flößte dem Erschöpften
einige Tropfen Wasser ein.

*

Auf dem Weg nach Süden begegneten ihnen mehrmals starke
Wichita- und Caddogruppen, die im Schutz der Wüste
nordwärts zogen. Das mahnte John Haggerty zur Vorsicht.

»Sie ziehen alle in eine Richtung, so, als strebten sie einem

vereinbarten Treffpunkt entgegen«, sagte er nachdenklich.

»So wird es sein, John«, erwiderte Wyatt Earp, während sie

ihre Pferde durch die Wüste trieben, und Glenn Morgan, der sie
zwangsläufig in die Swisshelm Mountains führte, atmete erlöst
auf, als er erkannte, daß die Krieger nur mit Lanzen, Keulen
und Schlagbeilen bewaffnet waren.

Earp, der es sah, grinste hinterhältig. »Es ist noch nicht zu

spät, Glenn. Du siehst, du hast noch eine Chance.«

Als sie am Nachmittag über einen Hügel ritten, hinter dem

John eine Wasserstelle kannte, sah Morgan in nordwestlicher
Richtung eine schwache Staubwolke, die ihnen folgte. Er
verschwieg seine Beobachtung.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie buschiges Grün,

das einen kleinen Talkessel umwuchs. John deutete zur grünen
Oase. »Dort finden wir genügend Wasser, um unsere
ausgelaugten Kehlen zu befeuchten. Und vielleicht reicht es

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noch für ein erfrischendes Bad.«

»Und wenn wir eine Antilope oder ein Wildkaninchen

finden, wird es ein festlicher Tag«, erwiderte Earp zufrieden.

Der Scout lächelte. »Du möchtest wohl, daß jeder weiß, wo

wir stecken, Wyatt. Den Braten lassen wir. Dafür gibt es
ranzigen Speck und trockene Bisquits.«

»Das ist auch schon etwas.«
Sie erreichten das Buschwerk, in dessen Innerem eine

verborgene Quelle sprudelte.

»Erst die Pferde«, rief John, als Glenn Morgan sich in den

Wassertümpel stürzen wollte. »Sie sind für uns im Augenblick
wertvoller als die beste Bonanza.«

Glenn Morgan verzog das Gesicht. Von einer Bonanza hatte

er die Schnauze voll.

Er dachte an Tombstone, wo man beim Falschspiel Dummen

das Fell über die Ohren ziehen konnte. Aber noch gab er die
Hoffnung nicht auf, unversehrt die Winchestergewehre
wiederzufinden. Man konnte sie bestimmt Mexikanern
verkaufen oder mit geringerem Gewinn den Siedlern.

»Erinnere mich nicht an die Anson Mine«, sagte er bissig,

»sonst kriege ich das große Kotzen.«

Er löste Sattel und Zaumzeug und ließ sein Pferd saufen.

Dabei schielte er zu den anderen Sätteln hinüber, aus deren
Scabbards Johns und Wyatts Rifles ragten.

Wyatt Earp war ein wachsamer Beobachter. Er spürte

Morgans schäbige Gedanken.

»Schlage es dir aus dem Sinn, Glenn, mein Revolver ist

schneller als deine Beine«, mahnte er. »Wir wollen in Frieden
nach Süden ziehen. Oder möchtest du, daß wir dich in den
Swisshelms zurücklassen?«

Morgan grinste. Der Tag war noch nicht zu Ende, und Earps

Maul würde auch noch klein. »Das ginge wider deine
Wünsche, Wyatt.« Morgan lachte. »Ich soll dich doch beim
Marshal rehabilitieren.«

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Der Abenteurer nickte. »Eins zu null für dich.« John breitete

bereits seine Decke aus und blickte zu Morgan hinüber, der mit
dem Oberkörper fast im Wasserloch lag und sich erfrischte.

»Binde ihm Hände und Füße zusammen. Das vertreibt seine

dummen Gedanken. Er ist ein Schlitzohr wie du.«

»Ich bin dein Freund«, fluchte Earp, während er aus den

Satteltaschen Lederriemen zog.

»Und trotzdem ein Schlitzohr.«
»Ich weiß, wie du es meinst«, gab Wyatt zu. »Komm,

Jungchen«, lockte er Morgan, der sich erhoben hatte, und hielt
ihm die Stricke entgegen. »Echt indianische Arbeit, zäh und
stark. Die lieben Bändchen werden deinen Schlaf bewachen.«

Schon bald zog die Dämmerung durch die Ebene, und ohne

Übergang wurde es finster. Die Pferde standen im Gesträuch
nahe der Wasserstelle. John wußte, sie würden nicht fortlaufen,
der Geruch des Wassers hielt sie zurück.

Earp schlief bereits, als er die Decken über die Schulter warf.

Ein Blick zu Morgan hinüber zeigte ihm, daß der Gauner
ebenfalls eingeschlafen war.

Schon bald fielen ihm die Augen zu.
Morgan aber schlief nicht. Er war hellwach und konzentrierte

sich auf jedes fremde Geräusch, denn nachdem er die
Staubwolke im Nordwesten entdeckt hatte, folgerte er, daß
seine Freunde in der Nähe waren.

Eine Stunde verging in banger Erwartung. Earp schnarchte

wie ein Bär im Winterschlaf. John Haggerty atmete lautlos, wie
Apachen es taten.

Die zweite Stunde brach an. Schon wollte Morgan

verzweifeln, als eine Hand seine Schulter berührte, und er Sam
Allisters flüsternde Stimme hörte: »Bleibe still liegen, Glenn.«

Gleichzeitig spürte er, wie sich Sams Hände an seinem

Körper entlangtasteten. Die Stricke fielen.

»Nimm den Colt«, flüsterte Sam, als er die Fußfesseln

durchschnitt.

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Nun, da Morgan das kalte Eisen zwischen seinen Fingern

spürte, war er obenauf. »Umstellt sie, Sam«, flüsterte er
zurück, »ich will sie lebend.«

John Haggertys Schlaf war in der Regel leicht, aber der

anstrengende Marsch durch die Wüste hatte auch ihn erschöpft.
Als ihn unsanft ein Fußtritt berührte, fuhr er schlaftrunken in
die Höhe. Er sah die Silhouetten zweier Männer am
sternenklaren Himmel. Seine Hand zuckte zum Sattel, in
dessen Mulde sein Colt schußbereit ruhte.

Auf halbem Wege klang ihm Morgans mahnende Stimme

entgegen: »Laß das, Scout, ich möchte nicht, daß du sang- und
klanglos in die Hölle fährst.«

Ein Lichtfunke flammte auf, der John zeigte, daß der

Sprecher bewaffnet war. Zugleich sah er mehrere Schatten in
der Nähe und hörte Earps fluchende Stimme: »Das sind die
Bastarde aus der Borrasca. Ich hätte diesen Smith und Dunney
in Cochise umlegen sollen.«

»Das kannst du jetzt noch versuchen.« Dunney hielt ein

brennendes Zündholz vor Earps Gesicht. Sein Grinsen war
boshaft und gemein.

Doch Glenn Morgan, der diesen Handel nicht wollte,

schüttelte wütend den Kopf.

»Die ganze Wüste steckt voller Rothautbastarde. Willst du

sie auf uns aufmerksam machen? Nein, mit unseren Freunden
habe ich etwas Besseres vor.« Ein schmerzhafter Fußtritt fuhr
John Haggerty in die Flanke. »Los, steh gefälligst auf, Scout.«

John zog die Beine an, um dem Gauner an die Kehle zu

fahren. Doch irgendeiner von ihnen hatte eine Lampe
entzündet, und John sah sich acht Männern gegenüber, deren
häßliche Visagen ihn herausfordernd angrinsten.

»Du machst einen Fehler, Morgan«, sagte John ruhig. »Noch

hast du nichts verloren.«

»Eben«, fluchte der Bandit, »und deshalb werden wir uns die

Waffen holen, bevor Guadalupe zuschlägt. Nicht, daß ich sie

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ihm nicht gönne. Aber Glenn Morgan betrügt man nur einmal.
Los, schnürt sie wie ein Postpaket zusammen. Vielleicht
kommt Butterfield Overland Mail vorbei und liest sie auf.«

Morgan zeigte seine ganze Bosheit. Nachdem die beiden

Freunde verschnürt am Boden lagen, drängte er auf Aufbruch.

»Wir dürfen keine Zeit verlieren. Dunney hat euch sicher

erzählt, daß die Bonanza ein Blow up ist. Wir müssen dem
Caddohalunken zuvorkommen. Man sieht wieder einmal: Einer
Rothaut kann man nur vertrauen, wenn du ihr die Kehle
durchgeschnitten hast.« Er stemmte den Fuß auf Earps Brust.
»Zu rehabilitieren brauche ich dich wohl auch nicht mehr,
Wyatt, wo du hier dein großes weites Grab vor Augen hast.
Schade, Wyatt, wärst vielleicht ein guter Partner geworden.«

»Der Teufel soll dich holen«, fluchte der Abenteurer und riß

zornig an den Stricken. »Oder die Wichitas. Mögen sie dir bei
lebendigem Leib die Haut abziehen, oder dir das Feuer auf den
Bauch setzen.«

Morgan schwang sich lachend auf sein Pferd und erfaßte die

überzähligen Pferde an den Zügeln. Er war wieder einmal in
seinem Fahrwasser.

»Ich wußte doch, Wyatt, du stirbst einmal mit 'nem großen

Maul.« Er riß am Zügelband seinen Gaul herum und
verschwand in der Finsternis.

Noch eine Weile war der Hufschlag ihrer Pferde zu

vernehmen, dann wurde es still.

»Was nun?« fragte Earp einigermaßen ernüchtert. »Rutsche

näher an mich heran«, forderte der Scout.

»Soll ich dich warmhalten? Oder ist da noch was anderes?«
»Ja, im Schaft meines Stiefels steckt eine scharfe Klinge.

Vielleicht kommst du an das Messer heran.«

*

Einsam, ohne Pferde und Waffen, und selbst die Canteen

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hatten sie ihnen genommen. So blieben sie zurück.

John Haggerty starrte in den erwachenden Tag. Irgendwo,

einige Stunden voraus, ritten Morgan und seine Bande, um ihre
schmutzigen Geschäfte fortzusetzen.

John spie zornig in den Sand und massierte seine Gelenke.

Bis zum Morgengrauen hatte Earp versucht, die schmale
Klinge aus seinem Stiefel zu ziehen, ehe er es schaffte.

Erschöpft lag der Abenteurer unter einem Mesquitestrauch

und grinste zu seinem Freund hoch. »Was nun, Falke? Laß
deinen indianischen Spürsinn flattern. Frage dich, was Cochise
in solch einer peinlichen Lage tun würde.«

John lächelte. »Er würde dir danken, daß du deinen Humor

nicht verlierst.« Er stieß einige Sträucher beiseite und stampfte
den Hügel hoch.

Wie ein Leinentuch spannte sich die Ebene aus. Was er sah,

war ein riesiges Meer von Sand, dazwischen dürftiges
Wüstengesträuch wie Collastauden, Kerzenkandelaber und
Organos, die wie Orgelpfeifen in den Himmel wuchsen.

Am Ende des Horizonts erkannte John die dunklen Schatten

der Westhänge der Chiricahua Mountains, die die Sonne noch
nicht berührte. Aus ihrem Dunkel erhoben sich mit mächtigen
Flügelschlägen Greifvögel auf der Suche nach Beute.

Es würde ein heißer Tag werden. Wie jeder Tag in der Gila.
Als John zurückkehrte, saß Wyatt nackt in dem

Wassertümpel und zeigte seinen schwarzen Humor. »Ich frage
mich die ganze Zeit, was angenehmer ist, Falke. In der Wüste
zu verdursten, oder in einem solch herrlichen Wasserloch zu
ersaufen.«

»Das letzte geht schneller, aber ich schätze, es ist ebenso

wenig angenehm wie das andere. Bist du mit dem Leben
zufrieden, das Glenn Morgan dir zurückgelassen hat? Oder
suchst du einen Weg aus dieser Hölle?«

Das Schlitzohr grinste. »Du bist der Erfahrene. Ich vertraue

dir mein Leben an.«

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72

Er hat nicht begriffen, wie es um ihn steht, dachte John

wütend, aber irgendwie trägt er es leicht.

John suchte nach irgend etwas Brauchbarem, das Morgan

zurückgelassen haben könnte. Aber er fand nichts außer dem,
was sie am Leib trugen, und ihre Decken.

Ihre Füße würden sie in der Höllenglut keine zehn Meilen

weit tragen.

Wyatt Earp planschte noch immer im Wassertümpel.

Vielleicht war es sein letztes Bad.

»Wir werden warten«, sagte John schließlich und verkroch

sich im Schatten eines Busches.

»Auf die Butterfield Overland Mail?« fragte Earp spöttisch.
»Auf irgendeine Rothaut. Dies hier ist die einzige

Wasserstelle in zwanzig Meilen Umkreis. Draußen laufen
genug Wichitas durch die Gegend. Wir haben es selbst erlebt.«

»Und wenn welche kommen, willst du ihnen dann mit bloßen

Fäusten an die Kehle fahren?« Earp blickte zum Himmel, wo
mit mächtigem Flügelschlag ein Geierpaar über der Oase
kreiste. »Schau hoch, John«, rief er, »die wissen Bescheid, wie
es um uns steht. Sie haben den nötigen Instinkt.«

John Haggerty konnte Earps bissigen Humor nicht mehr

ertragen. Zum erstenmal sah er keine Lösung ihres Problems
und stieg deshalb noch einmal auf den Hügel.

Weit im Südwesten stand eine mächtige Staubwolke.

Wichitas, war sein erster Gedanke. Er warf sich in Deckung
und starrte mit brennenden Augen auf die Erscheinung. Die
Zeit verrann endlos. Irgendwann tauchte Earp, der sich wohl
einsam fühlte, an seiner Seite auf.

»Rebellen?« fragte er verhalten.
Der Scout schwieg. Er sah die blitzenden, funkelnden

Kaskaden, die aus der Staubwolke blitzten, wie blankpolierte
Knöpfe von Dragonern oder metallene Ringe von Zaumzeug.

»Soldaten«, flüsterte er und war mit einem Satz auf den

Beinen.

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73

Er lief so schnell ihn seine Füße trugen und schrie aus

Leibeskräften sinnlose Worte in den Wind. Doch nach einiger
Zeit verschwand der Beritt zwischen fernen Hügeln und
tauchte nicht wieder auf. Seine Schritte wurden kraftlos,
schleiften durch den Sand. Als er sich enttäuscht umwandte,
eilte Earp ihm entgegen.

»Wo sind deine Soldaten geblieben, John? Wo deine

Armee?« Als der Scout schwieg, schüttelte Earp ihn heftig an
der Brust.

John Haggerty spürte nun Earps offene Angst. Sein makabrer

Humor war nur Fassade. Er löste sich aus dem Griff und
grinste. »Du hast mächtig Bammel, Freund. Aber wir sind noch
nicht verloren und gestorben.«

Ruhig kehrte er zur Wasserstelle zurück und verkroch sich

im Gesträuch. Er mußte eingeschlafen sein, denn am
Nachmittag weckte ihn sein Gefährte.

»Rothäute«, flüsterte Earp, »sie kommen aus der Wüste und

nähern sich der Quelle.«

John fuhr auf die Beine.
»Wie viele?«
»Vier. Sie führen ein Handpferd mit. Was soll das

bedeuten?«

»Sie sind Wasserträger. Irgendwo draußen lauert eine ganze

Horde ihres Geschlechts. Vorwärts, Wyatt, verwischen wir
unsere Spuren.« John riß einen Trappelwhitestrauch aus der
Erde und jagte zum Hügel hoch. Er war in hektischer
Bewegung. Als er zurückkehrte, hatte Earp die verräterischen
Fußabdrücke mit einem Kugelbusch verwischt.

Sie krochen tiefer ins Gesträuch und warteten. Die Sonne

ging im leuchtenden Widerspiel zuckender Strahlen hinter dem
westlichen Gebirgsrücken unter. Dämmerlicht zog durch die
Wüste.

Mit ihr zogen vier Reiter über die Hügel und näherten sich

der Wasserstelle.

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74

»Caddos«, flüsterte John und nahm einen faustgroßen Stein.

»Der mit der Feder im Stirnband ist ein Unterhäuptling.«

Earp betrachtete die prächtigen, durchtrainierten Gestalten,

deren muskelbepackte nackte Oberkörper Kraft und Stärke
zum Ausdruck brachten. Sie schienen ahnungslos, lachten und
scherzten miteinander. Als sie das Wasserloch erreichten,
stiegen sie von den Pferden und ließen die Tiere saufen. Sie
nahmen die schweren Wassersäcke vom Rücken des Packtieres
und legten sie an den Rand des Tümpels. Einer von ihnen
breitete eine Decke aus.

»Sie richten sich häuslich ein«, flüsterte John. Der Stein lag

fest in seiner Faust.

»Was sollen wir tun?« wisperte Earp.
»Warten«, erwiderte John Haggerty.
Nun hörten sie deutlich ihre Stimmen. Sie sprachen

ehrfurchtsvoll von ihrem großen Häuptling Guadalupe, mit
dem sie bald vereinigt sein würden. Von schnellen Gewehren,
die Guadalupe und Locking Bear holten und einem baldigen
Kampf, der sie zum Apachenpaß führte.

Jener mit der Feder, den die anderen Indianer Ana-anka

nannten, schilderte die mächtigen Palisaden, die die
Soldatenfestung umgaben, die Wasserstelle und die
aufsteigenden Felsen, die sich bis an die Festung
herandrängten.

»Bevor der Mond sein volles Gesicht zeigt, werden die

schwarzen Trümmer der Soldatenfestung unseren Sieg
verkünden«, sagte der mit Ana-anka benannte. »Ihre Haare
werden unsere Gürtel schmücken als Zeichen unserer
Tapferkeit.«

John unterdrückte einen Fluch. Er kannte die Festung, die

Ana-anka so plastisch beschrieb. Sie war ein Bollwerk im
Apachenpaß.

Fort Bowie.
In Gedanken suchte er den Mond, der ihnen viele Tage den

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Weg durch die Wüste gewiesen hatte, und er erkannte, daß es
keine vierzehn Tage dauerte, bis Vollmond war.

Die Zeit drängte, denn das, was John seit Wochen vergeblich

suchte, erfuhr er hier durch Zufall.

Wichitas und Caddos waren im Begriff, Fort Bowie

anzugreifen. Und die schnellen Gewehre bedeuteten, daß
Guadalupe seine Beute gefunden hatte. Vielleicht standen sie
in Verbindung mit dem plötzlichen Auftauchen einer starken
Kavallerieabteilung, die sie für kurze Augenblicke gesehen
hatten.

»Wir werden kämpfen müssen«, flüsterte John, als sich einer

der Caddos erhob, zur Quelle trat und Wasser schöpfte.

»Mit einem Stein in der Faust?« flüsterte Earp zurück. »Wie

unsere grauen Vorfahren vor tausend Jahren? Aber es ist
besser, als auf die Armee zu warten. Die ist meist an der
falschen Stelle. Bist du bereit?«

Der einzelne Mann war knietief ins Wasser gestiegen und

plätscherte wie ein freudiges Kind im Tümpel.

John hatte sich aufgerichtet. »Ich nehme den Unterhäuptling,

du den linken Roten«, sagte er leise und spannte den Körper
zum Sprung.

Wie eine Sehne schnellte er vorwärts und schmetterte den

Steinbrocken gegen Ana-ankas Schläfe und riß den Mann zu
Boden. Und noch in der Bewegung erfaßte John dessen
Kriegslanze und tötete damit einen jungen Caddokrieger.

Wyatt Earp hatte einen dritten Caddo erwischt, der nun mit

zertrümmertem Schädel zu Boden ging.

Die Rothaut im Wasserbecken schrie gellend auf. Der

Krieger sprang ans Ufer und jagte durch die Büsche den Hang
hoch.

John folgte ihm, aber die Lanze, die er nach dem Flüchtigen

schleuderte, verfehlte ihr Ziel. Im Laufschritt kehrte John
zurück.

Wyatt Earp kniete über Ana-anka, der schwache

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Lebenszeichen von sich gab. In seiner Faust blitzte ein
Jagdmesser. Noch bevor er zustoßen konnte, war John heran
und riß seinen Arm zurück. »Laß das, wir haben Wichtigeres
zu tun. Füll einen Wassersack, ich sammle ihre Waffen auf. In
einer Stunde wird hier der Teufel los sein. Der Bursche ist mir
entwischt.«

»Und der hier lebt noch.«
»Wenn einer fliehen konnte, genügt's. Der wird seinen

Brüdern schon erzählen, was hier geschehen ist.«

John sammelte Keulen, Lanzen und Steinschleudern auf und

trieb die Pferde zusammen. Earp füllte die Wasserschläuche.
Als der zweite voll war, rief John ungeduldig: »Das genügt bis
zur nächsten Ansiedlung. Lege sie über mein Pferd.«

Er saß auf einem gescheckten Pony, das ungeduldig mit den

Hufen stieß, als dulde es den fremden Reiter nicht. Doch John
hatte das Tier fest im Griff.

Earp bestieg einen braunfarbenen, struppigen Mustang,

dessen breite Brust Ausdauer verriet.

»Welche Richtung?« fragte Earp, als er die Zügel nahm.
John deutete über das üppige Organosfeld. »Nordwesten.

Irgendwo werden wir auf die Abteilung stoßen. Vorwärts, wir
treiben die Ponys eine Weile vor uns her.«

Als sie, aus dem schützenden Strauchwerk kommend, den

Hügel streiften, deutete Earp grinsend nach Osten, wo in eine
Staubwolke gehüllt eine Reiterarmada durch die Wüste ritt.

»Sie kapieren sehr schnell, John. Da soll mir niemand mehr

sagen, Indianer sind blöde Wilde, deren Gehirn im Hintern
sitzt.«

John nickte. Er wußte, die Hetzjagd hatte begonnen.

*

»Sir!« Ein Melder sprengte näher und zügelte vor Major
Tanner seinen Gaul. »Reiter im Südosten.«

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77

Les Tanner, der seit geraumer Weile längsseits des Travois

ritt, auf dem Verwundete transportiert wurden, hob überrascht
den Kopf, denn seit dem Tag, da sie Major Ryans Abteilung
aus einer üblen Lage befreit hatten, war ihnen keine Rothaut
mehr begegnet. Selbst die Angreifer hatten sich in der Wüste
aufgelöst und keine Spuren hinterlassen.

»Rothäute, Switch?«
»Well, Sir«, Korporal Switch nickte. »Etwa zwanzig. Sie

jagen zwei Männer, die direkt auf uns zusteuern. Irgendwelche
Befehle, Sir?«

Tanner überlegte kurz. Er hatte die Feuerkraft der

angreifenden Wichitas aus der Ferne erlebt und war nun
vorsichtig. »Lieutenant Boone soll die Abteilungen absitzen
und in Feuerstellung gehen lassen. Vielleicht können wir dem
Gesindel das heimzahlen, was sie Major Ryans Abteilung
zugefügt haben.«

Sein Blick streifte Ryan, der, vom Wundfieber geplagt, mit

fieberglänzenden Augen auf dem Holztravois lag und
phantasierte.

Er schwenkte sein Pferd und sprengte den Hügel hoch.

Hinter ihm schallten Boones Befehle, und als Tanner die
Kuppe erreicht hatte, lagen die Abteilungen mit schußbereiten
Gewehren in Deckung, bereit, dem angreifenden Feind
unerbittlich zu begegnen.

Tanner hielt das Glas vor die Augen. Die vorderen Reiter

waren kaum noch eine Meile entfernt. Trotz der Entfernung
glaubte er in einem der Reiter General Howards Chiefscout zu
erkennen. Er schwenkte die Arme.

Sofort veränderten die beiden Reiter die Richtung und jagten

zwischen Geröll und Wüstenkraut dem Hügel entgegen.

Wütendes Geschrei folgte ihnen, als die Verfolger die blaue

Uniform der Soldaten erkannten, und sie trieben ihre Ponys zu
schnellerer Gangart an.

Schweiß und Staub klebte an Reiter und Pferd, als sie vor

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78

dem Major den Lauf der Pferde mäßigten.

»Gott sei Dank«, rief Haggerty und wischte sich mit dem

Handrücken über das verschwitzte Gesicht. »Ich dachte schon,
wir hätten Sie verfehlt, Sir. Wo steckt Ihre Abteilung?«

Major Tanner deutete lächelnd über die Schulter. »Dort

liegen zweihundert Soldaten mit grimmiger Wut im Bauch,
John. Sie haben etwas auszubügeln. Dafür kommen uns die
Wichitas gerade recht.«

Der Sprecher zog sein Pferd herum.
»Es sind Caddos, Sir«, rief John an seiner Seite.
Ein erstaunter Blick traf John Haggerty, ehe der Major

sarkastisch lächelte.

»Ob Caddo oder Wichita, das ist den Jungs gleich. Vorwärts,

John, sonst geraten wir ins Schußfeld.«

Die erste Salve krachte, als die Caddos über den Kamm

jagten. Gleich ein halbes Dutzend fiel aus dem Sattel. Ihr
wildes Siegesgeschrei verstummte jäh, und sie schwenkten ihre
Gäule.

»Die Rothäute haben die Nase voll, Sir.« Der Scout lachte

zufrieden. »Ich schätze, sie werden keinen zweiten Angriff
wagen. Major, Sie kommen von Süden?«

»Als Entsatz für Major Ryans Abteilung, die schwer

angeschlagen ist und über vierzig Tote und Verwundete zu
beklagen hat.«

John sah den Travoiszug und die Pferde in der Senke und

sprang aus dem Sattel.

»Locking Bear?«
Tanner nickte hart. »Bewaffnet wie eine Elitearmee.«
»Mit Winchestern?«
»Mit dreizehnschüssigen Winchester-Karabinern.« Tanner

zog eine kurzschäftige Waffe aus dem Futteral und reichte sie
Haggerty. »Das modernste Gewehr auf dem Markt. Für die
Armee nicht aufzutreiben.«

John prüfte die Waffe, die leicht und griffig in der Hand lag.

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Er dachte an Glenn Morgan, der vergeblich die Swisshelm
Mountains durchstreifte, und an Locking Bear, der hundert
dieser tödlichen Repetiergewehre besaß. Ein letzter Gedanke
streifte Fort Bowie, das unter der Feuerkraft und dem
gnadenlosen Haß der Rebellen untergehen würde.

Lange Zeit besprach er mit dem Offizier die Dinge, die ihn

bewegten, und der Major wurde immer stiller. John erzählte
schließlich, daß sie eine Caddogruppe belauscht hatten.

»Locking Bear und Guadalupe sammeln ihre Stämme am

Apachenpaß, um Fort Bowie einzuäschern. Fort Bowie ist
schwach besetzt, Sir. Wenn nicht rechtzeitig Entsatz eintrifft,
verliert die Armee die wichtigste Bastion am Apachenpaß. Sie
wissen, was das bedeutet. Ich empfehle, daß Sie Ihre
Marschrichtung ändern und zum Apachenpaß vorstoßen.
Unbemerkt und lautlos, bis General Howards Truppen
aufmarschieren. Die Schlacht am Apachenpaß muß eine
entscheidende Auseinandersetzung sein, damit Locking Bear
erkennt, daß seine Rebellion gegen die Armee Wahnsinn ist.
Vielleicht wird der Häuptling dann vernünftig.«

»Was ist, wenn Locking Bear sich mit den Apachen

verbündet?«

»Dann stoßen zu seinen achthundert Kriegern weitere

vierhundert gefährliche Kämpfer. Aber das steht noch offen
und liegt an Cochises Klugheit.«

»Sie haben ihn also getroffen?«
John Haggerty nickte. »Er kann nicht allein über die Stämme

der Chiricahuas und Mimbrenjos befehlen. Er braucht die
Zustimmung des Großen Rates. Und zu ihnen gehören Krieger
wie Victorio, der ein Weißenhasser ist, Ulzana und Geronimo,
der es nie verwunden hat, daß seine Familie ermordet wurde.«

»Das taten Mexikaner.«
»Er stellt sie auf die gleiche Stufe wie uns Weiße. Wir

brauchen frische Pferde, Sir, denn ich möchte den General
schnellstens informieren, damit er seine Entscheidungen trifft.«

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»Was geschieht mit den Verwundeten?« Tanner deutete zum

Travois hinüber, die im Schatten einiger Zedrachbäume
standen.

»Zehn Mann reichen zu ihrem Schutz. Sie können in aller

Ruhe nach Tucson ziehen. Locking Bear braucht seine Krieger
am Apachenpaß.«

»Und die Caddos?«
»Sind auf dem Weg dorthin. Unsere Begegnung war ebenso

zufällig wie aufschlußreich.«

Major Tanner überlegte einige Augenblicke, ehe er

zustimmend nickte. »Ich hoffe, die richtige Entscheidung zu
treffen, John, und hoffe, daß General Howards Armee
rechtzeitig auf dem Schlachtfeld erscheint.«

»Der General weiß, was auf dem Spiel steht.«
»All right.« Les Tanner reichte dem Scout die Hand.

»Suchen Sie sich zwei Pferde in der Senke.«

Als John und Earp zum Pferderudel ritten, begann Major

Tanner seine Einheit bereits zu formieren. Lautstark schallten
seine Befehle.

John und sein Freund wechselten die Pferde.
Als sie in die Sättel stiegen sagte Earp: »Nach Tucson findest

du allein, John. Ich selbst werde meine persönlichen Dinge
regeln.«

John wußte, was den Freund bedrückte. »Marshal Marley?«
Earp nickte. »Glenn Morgan wird bald in Tombstone

auftauchen, wenn er erkennt, daß sein mieses Geschäft in die
Brüche ging. Ich werde ihn vor der Stadt empfangen.«

»Du brauchst ihn lebend«, mahnte John, während er das

unruhige Pferd besänftigte.

Wyatt Earp grinste. »Die Armee braucht ihn ebenfalls

lebend, John. Ich schätze, sie werden ihn vor ihr
Füsilierkommando stellen. Aber das ist nicht meine Sache.
Bye, John, auf bald.«

Wyatt Earp zog sein Pferd herum. Als er einmal

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zurückblickte, sprengte John Haggerty in nordwestlicher
Richtung durch die Ebene.

*

Wie lautlose Schatten tauchten sie aus der Erde auf. Sechs,
sieben stark bewaffnete Krieger.

Haggertys Hand fuhr zur Sattelmulde, wo sein schußbereiter

Revolver steckte, gleichzeitig stießen seine Füße die Decke
beiseite. Als er hochfuhr, lag der schwere Colt in seiner Faust.
Doch dann senkte er die Waffe.

Er erkannte Häuptling Cochise, dessen Sohn Naiche,

Häuptling Chato und einige Gesichter der Apachenkrieger.

»Cochise«, rief er beunruhigt, als der Häuptling ihm

entgegentrat und die Hand reichte. »Was führt dich so tief in
die Wüste?«

Ein Lächeln sprang in Cochises kühngeschnittenes Gesicht.

Er winkte seinem Sohn, der eine bunte Decke brachte und
ausbreitete. Während Chato und John sich niedersetzten,
tauchten zwei weitere Apachenkrieger auf, die ein Rudel
Mustangs führten.

»Es ist wohl der gleiche Gedanke, der auch dich bewegt,

Falke. Ich bin auf dem Wege zur Zeltstadt deines Häuptlings.«

John blickte in das glatte bronzefarbene Gesicht mit der

kühngeschnittenen Adlernase, und er sah die Sorge in den
dunklen Augen des Häuptlings.

»Um über den Frieden zu sprechen?« fragte er vorsichtig.

Cochises Lächeln blieb, als er ausweichend antwortete: »Über
die Allianz, von der der Falke gesprochen hat.«

John spürte den Doppelsinn seiner Worte und wußte, daß

ihre Not diese Verbindung geschaffen hatte. Der Friede stand
weitab im Hintergrund. Victorio, Ulzana und Geronimos
Macht war zu groß bei den Stämmen der Apachen.

»Apachen und Cheyennen wissen, daß ein Sieg der Rebellen

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82

unser Schicksal nicht mildert. Sie werden an der Seite der
Pferdesoldaten kämpfen, bis der Feind über die östlichen Berge
getrieben ist.«

»Ist das auch Victorios Wille?«
Cochise nickte würdig. »Der Apachenwolf hat dem

Entschluß des Großen Rates zugestimmt. Ich bin gerade auf
dem Weg, deinem Häuptling diese Botschaft zu übermitteln.
How.«

»Und den Cheyennen? Kann man ihnen vertrauen?« fragte

John vorsichtig, obwohl sein Herz frohlockte. Chiricahuas und
Mimbrenjos lebten links und rechts des Apachenpasses in den
Dragoon und Chiricahua Mountains, also nahe des
Geschehens. Sie konnten ihre Krieger in kürzester Zeit zum
Brennpunkt, Fort Bowie, führen.

»Cheyennen«, beantwortete Chato seine Frage, »haben der

bösen Kraft der Peyotlwurzel entsagt. Sie blicken wieder mit
klaren Augen in die Zukunft. Der Große Geist hat sie von
ihrem Laster befreit.«

Oder ihre Angst vor Locking Bear, dachte John. Aber er

verschwieg seine Gedanken.

Dafür sprach er von Locking Bears Kriegsvorbereitungen,

seinem Aufmarsch und der Angriffszeit auf Fort Bowie, die er
bei Vollmond festgesetzt hatte.

Cochise erschrak sichtlich. »Das wäre am zehnten Sonnentag

von heute gesehen, Falke«, rief er heftig. »Zu kurz für den
langen Weg zu deinem Häuptling und zurück zu meinem
Stamm. Ich werde nachdenken und Rat beim Großen Geist
holen.«

John Haggerty wußte, was Cochises Worte bedeuteten. Der

Chief würde den nächsten Hügel besteigen und lange
Zwiesprache mit seinen Göttern halten.

Deshalb handelte er schnell.
Ehe Cochise sich erheben konnte, sagte er ruhig: »Du

gewinnst vier Tage, Cochise, wenn du mich für würdig hältst,

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deine wichtige Botschaft dem General zu übermitteln. Tage, in
denen sich die Krieger der Chiricahuas und Mimbrenjos mit
den Cheyennen vereinigen und am Apachenpaß
aufmarschieren können.«

Chato nickte zustimmend. »Der Falke spricht weise Worte.

Sie zeigen, wie schnell er zu handeln versteht.«

Auch Cochise bewegte zustimmend den Kopf. »Der Falke

hat einen klaren Blick. Es dürstet mich nicht, den Einarm zu
sehen. Es genügt, wenn er meine Botschaft hört. Wir wollen
handeln.«

Cochise erhob sich und rief seinen Begleitern einige Worte

zu.

Naiche führte sein Pferd heran.
Wenige Minuten später sprengte die Gruppe in die Wüste

zurück, und John Haggerty, der seinen vorgeschriebenen Weg
ritt, wußte nun, daß eine Vorentscheidung gefallen war, aber
nur dann, wenn es General Howard gelang, die US-Truppen
rechtzeitig zum Apachenpaß zu führen.

John lockerte die Zügel und ließ dem Pferd freien Lauf.

*

Von Norden aus den Dragoon Mountains kommend, stieß
Geronimo mit einem vierzigköpfigen Kriegsheer in die weite
Ebene des Apachenpasses. Bewaffnet mit Lanzen, Schild,
Bogen und sonstigem Kriegswerkzeug, suchte er den Weg zu
Locking Bears Heerlager.

Er war zornig auf den Rat der Häuptlinge, die, kranken

Cojoten gleich, den schützenden Schatten der Pferdesoldaten
suchten.

Er und seine Begleiter hatten sich mit tönerner Erde bemalt,

und sie trugen rote Zeichen auf der Brust, aus der Frucht des
Yucca gepreßt, die erkennen ließ, daß sie bereit waren zu
kämpfen und zu sterben.

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Im breiten Fächer hatte er seine Späher ausgesandt, um

Spuren der verschwundenen Wichitas zu suchen.

Am späten Nachmittag, als Sonne und Mond gleichermaßen

den Himmel zierten, sprengten zwei seiner Späher auf flinken
Ponys durch die Hügel.

Als sie Geronimo erreichten, deuteten sie wortlos nach

Südwesten, wo die flachen Erhebungen einer breiten
Felsgruppe im Schatten der sinkenden Sonne standen.

Geronimo gab ein Zeichen und beschleunigte das Tempo, so,

als fürchte er, sein Ziel zu verfehlen.

Nach einer Stunde, das Licht des Tages hatte seine Kraft

verloren, erreichte er die Felsen. Als er durch den breiten, von
dichtem Wuchs besetzten Arroyo sprengte, hörte er den fernen
Ruf des Rotfuchses, der sich wie ein Echo fortpflanzte und ihm
zeigte, daß sein Kommen angekündigt wurde.

Nun, als der Arroyo in einen weiten Talkessel einfloß, der

von senkrechten Felsen umgeben war, sah er das gewaltige
Heer, das hier versammelt war. Tief beeindruckt von diesem
Bild erkannte er die Reiter, die überraschend aus den Felsen
der Schlucht sprengten, erst, als sie auf fünfzig Yards
Entfernung ihre Mustangs schwenkten und seine Gruppe in
weitem Kreis umstellten.

Ihre feindliche Einstellung den Apachen gegenüber zeigten

ihre gespannten, mit Pfeilen besetzten Bogen.

Geronimo hob die Hand, um seine erregt schnatternden

Krieger zu beruhigen und ritt furchtlos auf den Reiter zu, der
sich aus dem Kreis löste. Die Feder im Stirnband zeigte ihm,
daß er ein Unterhäuptling der Wichitas war.

Fünf Yards vor dem Wichita zügelte Geronimo sein Pferd

und streckte Lanze und Schild zum Himmel als Zeichen seiner
friedlichen Absicht.

Mißtrauisch umritt der Wichita Geronimo, der schweigend

auf seinem Pferd saß, und näherte sich ihm dann.

»Du Apache«, sagte Nana-ank, ein Vetter von Locking Bear.

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»Ich Mimbrenjo.« Geronimo hob den Kopf in den Nacken.

»Führe mich zu Locking Bear, dem Träger des braunen Bandes
der tapfersten zehn Häuptlinge.«

Nana-ank trieb seinen Gaul noch etwas näher, so daß sie

einander fast berührten. Seine Finger glitten neugierig über das
harte Büffelfell des Schildes, streiften die Lanze in der
erhobenen Hand und prüften die Farbzeichen auf Geronimos
Haut. Er schien, wie alle Rothäute, voller Neugier zu stecken.

»Du trägst Kriegsfarbe, Apache. Willst du deine Stärke mit

Locking Bear messen?« Spott lag in seinen Augen, die
abschätzend Geronimos kraftvollen Körper maßen.

Der Mimbrenjo-Häuptling nahm es gelassen hin. »List und

Kraft der Apachen sollen das Kriegsheer der Wichitas
stärken«, sagte er dann.

Nana-anks Neugierde schien befriedigt. Er trieb seinen

Mustang wenige Schritte zurück und gab durch ein Zeichen zu
verstehen, daß Geronimo die Arme senken durfte.

»Du Cochise?« fragte er dann zögernd.
Geronimo verzog verächtlich die Mundwinkel. »Cochise ist

eine Krähe, die das Alter schwächt. Ein Adler, dessen Flügel
brechen. Ich bin Gokhlayeh, Häuptling der Mimbrenjos, den
die schlitzäugigen Gelbgesichter im Süden Geronimo nennen.«

Nana-anks dunkle Augen blitzten, als er nickte. »Der Ruf

von deinem Mut und deiner Tapferkeit ist bis über den Großen
Fluß in unsere Jaquales gedrungen. Sei willkommen,
Mimbrenjo.«

Der Wichita zog seinen Mustang herum und sprengte mit

hellen Schreien ins Lager zurück. Der drohende Ring löste
sich. Die Krieger folgten Nana-ank.

Auch Geronimo gab seinen Kriegern ein Zeichen.
Noch am Abend erfuhr Geronimo, daß Locking Bear nicht

im Lager war, jedoch jeden Tag erwartet wurde. Nana-ank wies
ihm und seinen Mimbrenjos eine Senke als Lager zu.

Die folgenden Tage verbrachte Geronimo voller Ungeduld.

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86

In ihm brannte der Wille zum Kampf.

Immer stärker wurde die Kriegsmacht der Rebellen, denn

auch Caddokrieger zogen in Gruppen aus der Wüste.

Die Tage selbst verkürzten Wichitas und Caddos mit

Reiterspielen und körperlichen Kraftproben, zu denen auch
Geronimo und seine Leute geladen waren. Geronimo bewies
seine Sicherheit im Bogenschießen und mit der Lanze. Er
kämpfte mit Nana-ank mit stumpfer Waffe und ließ Nana-ank
den Sieg, weil er Gast in ihrem Lager war und Nana-ank als
Freund gewinnen wollte.

Am vierten Tag seiner Ankunft zog aus dem Morgengrauen

kommend eine lange Karawane Reiter in den Talkessel.

Allen voran ritt, stolz und stark, ein kühner Recke von

Gestalt, mit blitzenden Augen, Locking Bear, sichtlich den
brandenden Jubel genießend, im weiten Bogen durch das
Wüstenlager, um allen seine Beute zu zeigen.

Geronimo, der schweigend der tosenden Huldigung des

großen Häuptlings folgte, sah die Vielzahl blitzender,
moderner Waffen, die seine Krieger trugen, und er fühlte sich
stolz, an der Seite dieses Mannes kämpfen zu dürfen.

*

General Howards Sorgen um seine beiden ausgesandten
Abteilungen verstärkte sich mit jedem Tag, an denen
Hunkpapascouts ihm neue Hiobsbotschaften ins Feldlager
brachten.

Die Botschaften seiner Späher, die von starken Bewegungen

in der Wüste berichteten, ließen erkennen, daß Locking Bear
eine entscheidende Schlacht vorzubereiten schien.

Seine Armee war seit den Vorfällen in der Tonarsenke in

ständiger Alarmbereitschaft, stand Gewehr bei Fuß und wartete
auf seine Befehle.

Noch war es unklar, wo das Angriffsziel der Rebellen lag, als

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John Haggerty in Begleitung zweier Hunkpapaspäher, denen er
im Badsland begegnet war, in die Zeltstadt ritt und sein Pferd
vor dem Stabszelt zügelte.

Er schwang sich steif, von einem fürchterlichen Gewaltritt

gezeichnet, aus dem Sattel und trat General Howard entgegen,
den nichts mehr im Zelt zurückhielt.

General Howard sah an Johns Gesicht, daß sein Chiefscout

wichtige Botschaften brachte. Er bat ihn ins Zelt und ließ durch
die Ordonnanz zugleich seine Offiziere rufen.

»Schießen Sie los, John. Sie sind Locking Bear begegnet?«

fragte der General nervös. Dieses untätige Warten wie auch die
Ungewißheit, hatten ihn nervös gemacht. Er wußte, dort
draußen braute sich Entscheidendes zusammen, ohne daß er
bisher in die Geschehnisse eingreifen konnte.

John nahm unaufgefordert die Brandyflasche vom Regal,

nahm einen tiefen Schluck und wischte sich mit dem
Handrücken über die spröden Lippen.

»Locking Bear hat Major Ryans Einheit angegriffen«,

begann John seinen Bericht. »Major Ryan erlitt fürchterliche
Verluste, weil Locking Bear über etwa hundert moderne
Schnellfeuergewehre verfügt. Kurz vor der totalen Vernichtung
kam Major Tanners Abteilung zu Hilfe. Seither ist Locking
Bear in der Wüste verschwunden.«

»Es tut sich was dort draußen«, erwiderte der General

sorgenvoll. »Unsere Hunkpapascouts beobachten seit Tagen
ziehende Indianergruppen, die sich nach Norden bewegen.
Irgendwo dort oben werden sie sich vereinen.«

»Ihr Treffen findet am Apachenpaß statt, Sir«, erwiderte

John, während er zur Stabskarte trat und von seiner Begegnung
mit den Caddokriegern sprach.

Inzwischen hatten sich einige Offiziere eingefunden, die

neben General Howard schweigend den Tisch umstanden und
Johns Bericht folgten.

John deutete auf einen bestimmten Punkt der Karte. »Das ist

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Locking Bears Ziel.«

General Howard beugte sich nieder. »Fort Bowie?« fragte er

erschreckt. Er dachte an die hundert Schnellfeuergewehre der
Rebellen und an die schwache Besatzung des Forts. »Mit ihrer
Bewaffnung werden sie Fort Bowie überrennen und Feuer und
Tote zurücklassen. Ein Sieg der Rebellen bedeutet allgemeinen
Aufstand aller Indianerstämme. Chiricahuas und alle anderen
Apachen werden sich mit ihnen verbünden. Aus dem
bisherigen Geplänkel zwischen ihnen und uns wird sich ein
blutiger Krieg entwickeln. Mein Gott, Locking Bear soll
siebenhundert Krieger anführen. Die Apachen und Cheyennen,
die in das Land eingedrungen sind, dürften die gleiche Stärke
haben. Noch nie habe ich einen solch gewaltigen Aufzug
erlebt.«

John sah die betroffenen Gesichter und hörte Howards

erregte Stimme: »Arizona wird verbrannte Erde, denn wir
haben nicht die Kraft, uns gegen diese Horde zu stellen. Ich
werde einen Boten nach Fort Bowie entsenden. Major Henning
und die Besatzung sollen sich ostwärts über die Berge
durchschlagen, bevor es zu einem fürchterlichen Gemetzel
kommt.«

»Kein Bote wird Fort Bowie erreichen, Sir«, sagte John

ruhig. »Ich fürchte, Locking Bear hat den engeren Bereich der
Festung bereits abgeriegelt und trifft in dieser Stunde seine
Vorbereitungen für den Aufmarsch. Heute in einer Woche wird
er Fort Bowie überrennen.«

Howards Gedanken arbeiteten fieberhaft. Er schätzte die

Entfernung zum Fort und die Zeit, die seine Armee brauchte,
um den Apachenpaß zu erreichen.

»Selbst mit einem Gewaltmarsch kommen wir zu spät.

Unsere Haubitzen und die Infanterie sind zu träge.«

»Dann werden es Dragoner und Kavalleristen sein, Sir. Mit

ihren schnellen Pferden schaffen sie es in sieben Tagen«,
widersprach John.

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»Gut, ich bringe drei Abteilungen auf die Beine. Das sind

etwa vierhundert Reiter. Major Tanners Einheit bewegt sich
von Süden her zum Apachenpaß. Also weitere zweihundert
Soldaten. Alle schlecht ausgerüstet mit veralteten Waffen.
Demgegenüber stehen rund vierzehnhundert Rebellen. Mein
Gott.« General Howard sank sichtlich zusammen.

Aber John hatte einen letzten Trumpf, der die Hoffnungen

des Generals nährte. Er hatte bisher seine Begegnung mit
Cochise nicht erwähnt, doch nun sprach er davon.

»Apachen und Cheyennen werden nicht an der Seite der

Rebellen stehen, Sir. Cochise hat sich entschieden, an der Seite
der Pferdesoldaten zu kämpfen, weil er in den Wichitas und
Caddos das größere Übel für sein Volk sieht. Das ist Cochises
Botschaft, die ich Ihnen übermitteln soll.«

General Howard hob überrascht den Kopf. Er sah in

Gedanken den großen kühnen Kriegshäuptling aller Apachen,
der seit vielen Jahren sein Gesprächs- und
Verhandlungspartner war, und er fragte sich, wie oft er diesen
Mann schon hatte enttäuschen müssen, weil der Kongreß und
die Regierung in Washington stets anders entschieden hatte,
und er sein gegebenes Versprechen nicht hatte halten können.

»Trotz des Zwiespalts zwischen ihm und mir?« fragte

Howard vorsichtig.

»Cochise ist ein kluger und weitsichtiger Mann. Wichitas

und Caddos sind die angestammten Feinde der Apachen. Er hat
lange erkannt, daß er den Strom der Siedlerkolonnen nicht
aufhalten kann. Er weiß, wenn seine Feinde sich im
Apachenland festsetzen, daß sein Lebensraum weiter
beschnitten wird. Und er hofft…« John lächelte leicht, weil er
wußte, daß Cochises Hoffnungen sich nie erfüllen würden, »…
daß man im Weißen Haus endlich erkennt, daß Cochise einen
annehmbaren Frieden zwischen seinem und unserem Volk
sucht.«

Er wird immer gedemütigt, und so wird es weiterhin bleiben,

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dachte General Howard, weil diese verdammten Schwarzröcke,
die in Washington ihre Entscheidungen trafen, nicht mit den
hiesigen Verhältnissen vertraut waren.

»Wann werden wir zu Cochises Kriegsheer stoßen?« fragte

Howard mit belegter Stimme. Er sah plötzlich eine Chance, das
Gemetzel zu verhindern.

»Cochise wird da sein, wenn er gebraucht wird. Er hat es

versprochen«, erwiderte John ruhig und drängte eingedenk der
schwierigen Situation zu einer Entscheidung.

»Sie glauben an Cochise?« fragte General Howard und

spürte den feinen Seitenstich seines Scouts, als dieser
antwortete: »Cochise hat noch nie sein Wort gebrochen, Sir.«

Nur für einen Augenblick trafen sich ihre Gedanken, und

Howard spürte den bissigen Sinn von Johns Worten. Doch
dann war er ganz der General, der für seine Armee und den
Frieden des jungen Territoriums einstehen mußte. Er winkte
seine Offiziere näher und besprach mit kurzen Zügen die
Aufmarschpläne seiner Truppe.

Am späten Nachmittag formierte sich die Truppe. General

Howard sprach mit knappen Worten zu den Reitern und endete
mit den Worten: »Es wird einen harten und erbarmungslosen
Kampf geben, Männer. Aber ich hoffe, wir sind alle bereit,
unser Leben einzusetzen für den Frieden und für die Zukunft
des jungen Territoriums.«

Dann befahl Howard den Aufbruch. An der Spitze seiner

Dragoner und Kavalleristen verließ er die Zeltstadt in Tucson.

Am Abend, während einer kurzen Rast, rief er seinen Scout

an seine Seite.

»Wie nehmen wir Verbindung zu Cochise auf, John? Wir

müssen wissen, wo seine Krieger aufmarschieren.«

John zuckte mit den Achseln. »Cochise wird mir ein Zeichen

geben, Sir. Er läßt uns wissen, wo er zu finden ist.«

John dachte an den Ruf der Eule, mit dem Apachen einander

verständigten.

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Der Ruf des Bus, dem Vogel des Todes, wie abergläubische

Apachen ihn nannten.

*

Geronimo, aufgenommen in die Armee der Rebellen, saß mit
leuchtenden Augen an Locking Bears Seite und genoß die
mißmutigen Blicke Nana-anks, dessen Platz er eingenommen
hatte.

Um das mächtige hochlodernde Feuer stand ein Meer

kühner, schwerbewaffneter Krieger, ständig in Bewegung, vom
dumpfen Schlag der Felltrommeln aufgepeitscht, und folgte mit
leuchtenden Augen dem Gesang des Schamanen, der behangen
mit kabalitistischen Zeichen und grotesken Mätzchen,
flammendes Pulver ins Feuer schleuderte, um vom Großen
Geist Kriegsglück und reiche Beute zu erbitten. Jedes farbige
Aufzucken brennenden Pulvers wurde mit einem
vielstimmigen Jubelschrei beantwortet, gab der Große Geist,
ihren religiösen Glauben folgend, doch dem Schamanen ein
Zeichen seiner Huld.

Seit Sonnenaufgang schon dauerte das Ritual, das dem

Aufbruch des Heeres vorausging, und es schien kein Ende zu
nehmen.

Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Wüste nieder. Die

schweißnassen Körper der Krieger glänzten im Widerspiel des
Lichtes. Die Bewegungen des Zauberers wurden heftig und
hektisch und näherten sich dem Höhepunkt ekstasischer
Verzückung.

Zu irgendeinem Zeitpunkt, die Sonne stand fast senkrecht

über dem Land, stieß der Schamane einen wilden, nicht mehr
menschlichen Schrei aus und brach wie ein gefällter Baum
zusammen.

Arme und Beine weit von sich gestreckt, starr wie ein toter

Körper, vom Vlies des zottigen Büffelfelles bedeckt, verharrte

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er in völliger Regungslosigkeit.

Die Trommeln waren verstummt, die Bewegungen der

Männer erstarrt. Sie spürten, wie der Große Geist in die Haut
des Schamanen eindrang und ihn mit Weisheit füllte.

Fast eine Stunde verging, ehe der Schamane seine Glieder

rührte und taumelnd auf die Beine kam. Er spreizte die Arme
dem Feuer entgegen, aus dem nun buntschillernde
regenbogenfarbene Flammen sprangen, die in den Himmel
zuckten und verglühten.

Nun trat der Zauberer einige Schritte zurück und beugte sich

in Demut in die vier Himmelsrichtungen.

Nachdem er dies getan hatte, flüsterte Locking Bear an

Geronimos Seite mit glücklichem Blick in den Augen: »Der
Große Geist des roten Mannes wird uns im Kampf führen und
lenken. Seine Kraft und sein Mut wird mit uns sein, wenn wir
morgen die Festung der Blauröcke stürmen. Es ist ein Anfang.«

Der Schamane trat nun näher. Noch immer lag der Glanz

tiefster Verzückung in seinem verwitterten Antlitz, als er sich
an Locking Bears rechte Seite setzte und wortreich beteuerte,
daß der mächtige allen Leben, daß der Menschen und der
Tiere, der Wälder, der Flüsse und der Winde, der alleinige
Herrscher über Blitz und Donner, zum heiligen Krieg seiner
roten Brüder gerufen hatte.

»Ruhm und Ehre, Kriegsglück und Beute, werden den Weg

der Wichitas und Caddos bestimmen«, endete er den Prolog.
»Und jene, deren Blut die Erde tränkt, werden die offene Pforte
der Glückseligkeit finden.«

Locking Bears Augen füllten sich mit Wildheit, als er

kraftvoll aufsprang und seinem Volk die Botschaft verkündete.
Er spürte die Kraft des Großes Geistes, die ihn stärkte und die
große Weisheit seiner Allmächtigkeit.

Ein brausender, nicht endenwollender Ruf füllte das Tal und

zeigte das Ende der Zeremonie an.

Locking Bear rief seine Unterhäuptlinge zusammen, um die

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Taktik des Angriffs wie auch die einzelnen Rollen der Stämme
zu bestimmen.

Er selbst und Guadalupe waren bereit, die Gewehrträger zu

führen und den Angriff auf die Bastion vorzubereiten, während
Nana-ank, sein Neffe, die Nord-, und Chan-ank, Guadalupes
Neffe, die Südflanke schützen und ihren Angriff unterstützen
sollten.

Zu Geronimo gewandt fuhr er fort: »Du wirst an meiner Seite

reiten, Gokhlayeh, damit du deinem Volk von der Tapferkeit
und dem Siegesruhm der Wichitas und Caddos berichten
kannst. Cochise wird dann erkennen, daß ich nicht als Feind,
sondern als Freund in sein Land gekommen bin.«

Geronimo nickte. Ein wenig verwirrt von Locking Bears

Worten, die nur von der Tapferkeit der Wichitas und Caddos
sprachen und die Krieger der Apachen zu erwähnen vergaßen.

Aber er schwieg.
Nun, da die Rollen verteilt waren, formierten die Stämme

sich in drei starke Kampfgruppen ostwärts durch den heißen
Wüstensand. Im Schutz der Dunkelheit zogen sie tief in den
Apachenpaß und bauten, wie von Locking Bear bestimmt, ihre
Angriffsformation auf.

*

Beunruhigt von den fremden Geräuschen in der Nacht, standen
Major Henning und einige Offiziere auf den Palisaden Fort
Bowies.

Noch bedeckten Nachtschatten das weite Feld des Passes und

ließen nichts Genaues erkennen, aber der Commander spürte,
daß dort draußen Ungewöhnliches vorging, dessen Bedeutung
er vielleicht erahnen, jedoch nicht erfassen konnte. Berichte
seiner Patrouillen in den letzten Tagen wiesen darauf hin, daß
starke Indianergruppen sich in der Wüste zusammenschlossen.
Aus diesem Grund hatte er die Alarmbereitschaft des Forts

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erhöht und die beiden Feldhaubitzen in vorderste
Ausgangsstellung bringen lassen.

Langsam hellte sich der Talkessel auf. Flatternde Frühnebel,

von der wärmenden Sonne getrieben, stiegen aus der Erde.

Es wurde Tag.
Zuerst sahen sie zuckende Bewegungen zwischen den

Hügeln, doch als Major Henning das Glas an die Augen setzte
und von Süden noch Norden schwenkte, wich die gesunde
Gesichtsfarbe aus seiner Haut.

»Mein Gott, nein«, rief der Kommandeur fassungslos.

»Rothäute, nichts als Rothäute. Die Erde versinkt unter den
Leibern ihrer Pferde. Es müssen Hunderte, wenn nicht gar
Tausende sein. Einen solchen Aufmarsch habe ich in meiner
langen Dienstzeit noch nie erlebt.«

»Wer mag ein solch mächtiges Kriegsheer vereinigt haben?«

fragte Second-Lieutenant Brammer mit bebenden Lippen. Er
spürte ein Würgen in der Kehle. Die Angst kroch durch seine
Knochen.

Captain Morlock, ältester Offizier unter Major Henning, ein

Soldat, der viele Narben aus Indianerkämpfen trug und sicher
nicht so schnell zu erschüttern war, setzte nur zögernd sein
Glas ab.

»Einsam stirbt ein Fort«, murmelte er, und nach Sekunden

der Resignation kehrte seine alte Kaltblütigkeit wieder, die ihn
in vielen Schlachten ausgezeichnet hatte. »Wenn Tucson davon
erfährt, gibt es hier nur noch einen schwarzen Trümmerhaufen
und von Geiern abgenagte Knochen. Wir werden unsere Haut
so teuer wie möglich zu Markte tragen. Was sind Ihre Befehle,
Asher?«

Major Henning schwieg. Er hielt noch immer sein Glas an

die Augen und beobachtete die kleine Gruppe, die sich aus der
breiten Formation löste und den flachen Hügel hochsprengte.
Einer von ihnen trug eine weiße Fahne.

»Sie schicken Parlamentäre«, rief er verhalten. »Sie wollen

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verhandeln.«

Sein Second-Lieutenant atmete hoffnungsvoll auf.
Doch Captain Morlock schüttelte bestimmt den Kopf. »Sie

werden nicht verhandeln. Sie werden fordern, Asher. Sie
werden die Kapitulation bestimmen, Versprechungen machen,
und dann, wenn wir wehrlos sind und ohne Waffen, werden sie
uns massakrieren.« Der Sprecher hielt sein Glas vor die Augen.
Er musterte den kräftigen Reiter, der an der Seite des
Fahnenträgers ritt. »Es sind auch keine Apachen, sondern
Wichitas. Ich erkenne das Schlitzauge, das sie führt. Locking
Bear. Sir, erlauben Sie mir, ihm entgegenzureiten.«

Major Henning nickte. Er fühlte die Beklommenheit, die

Morlocks Worte auslösten, und sah die Repetiergewehre, die
die Rothäute herausfordernd auf den Schenkeln stützten.

»Brammer soll Sie begleiten, Captain«, befahl er. Captain

Morlock stieg bereits von den Palisaden. Er ließ zwei Pferde
satteln und das Tor öffnen.

Furchtlos ritt er dem Kommando entgegen. Lieutenant

Brammer folgte in seinem Schatten.

Nach hundert Yards hielt Morlock sein Pferd an. Er sah

Locking Bears kühnes Gesicht, und die Winchester in seiner
Faust. Alte Narben juckten, die Wichitas ihm vor Jahren
geschlagen hatten, als Locking Bear die Hand hob und sein
Pferd zügelte.

Major Henning sah vom Ausguck aus, daß der Captain mit

dem Häuptling sprach und dieser nach einiger Zeit die
lanzengeschmückte Fahne nahm und ihre Spitze vor Morlock
in die Erde stieß. Er wußte, was dieses Zeichen bedeutete.

Morlock und Brammer trabten die Hügel zurück durchs Tor.
Morlock glitt vom Pferd und stieg grinsend die breite Leiter

hoch. Er stellte sich an Hennings Seite.

»Wie vorauszusehen war, Asher. Er fordert die Aufgabe des

Forts, verlangt die Entwaffnung der Besatzung und bietet
freien Abzug nach Tucson. Also mitten durch seine Armee.

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Dabei prüfte er bereits meinen greisen Skalp, ob es sich lohnt,
ihn an einen Wichitagürtel zu hängen.«

Major Henning überhörte ganz Morlocks bissigen Humor.

»Was haben Sie geantwortet, Sam?«

»Daß unsere Dreizehnpfünder ihm seine Kriegsgelüste

austreiben werden. Aber er war wenig beeindruckt, Asher. Er
scheint die Kampfstärke des Forts zu kennen und vertraut auf
die schnellen Gewehre.«

»Treffen wir die Vorbereitungen, um ihren ersten Angriff

abzuschlagen«, bestimmte der Kommandeur. »Alle
verfügbaren Leute besetzen den Eingang zum Fort. Die
Besatzung bei den Haubitzen wird verstärkt, daß jeder Ausfall
durch einen neuen Mann ersetzt werden kann. Alle verfügbare
Munition auf den Palisaden verteilen.«

Captain Morlock nickte. »Ich habe es bereits angeordnet,

Sir.«

*

Am Nachmittag, als die Sonne in ihrem Rücken stand und die
Verteidiger im Fort blendete, stieß Locking Bear mit der
Hauptmacht vor.

Auf schnellen Mustangs, die sie sicher mit den Schenkeln

führten, pausenlos schießend, rannten sie den Stützpunkt an.
Die träge feuernden Haubitzen schlugen Lücken in ihre
Reihen, doch die Rothäute waren nicht aufzuhalten. Ihr grelles
Kampfgeschrei füllte den Apachenpaß.

Von Süden und Norden drängten weitere Gruppen heran und

schlossen das sterbende Fort von drei Seiten ein. Etwa ein
Dutzend Indianer erreichte die Außenpalisaden, schleuderte
geschickt lange Seile über die Pfahlspitzen und hangelte sich
hoch.

Captain Morlock, der die Westflanke des Forts befehligte

und bisher keine Feuererlaubnis erteilt hatte, gab nun

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Schießbefehl. Wohl ein Dutzend Rothäute brach vor den
Palisaden zusammen. Infanteristen mit aufgepflanzten
Bajonetten wehrten den Einbruch blutig ab.

Nach minutenlangem tödlichem Ringen sprengten die

Angreifer in die Ausgangsposition zurück.

Die Soldaten jubelten.
Aber der alte Haudegen Morlock wußte, dies war nur eine

Atempause, die der Schöpfer ihnen ließ. Locking Bear würde
sein Ziel niemals aufgeben. Er war zu mächtig.

»Bei Anbruch der Nacht werden sie ihre Toten holen«,

prophezeite Morlock, als er neben den Kommandanten trat, der
den Rückzug der Rebellen vom Hauptturm aus beobachtete.
»Und im Schutz der Dunkelheit einen zweiten Angriff wagen.«

Major Henning nickte schweigend. Er wußte, was ihnen

bevorstand und kannte auch schon das Ende. Was konnten
dreißig Soldaten des Forts gegen eine achthundertköpfige
Horde anrichten, deren infernales Geschrei in der Ferne zu
hören war.

»Es wird eine heiße Nacht«, sagte er sorgenvoll.
Es wird unsere letzte Nacht, dachte Captain Morlock

grimmig und spürte, daß es um ihr Leben ging. Aber er würde
nicht als Feigling sterben. »Wir werden bis zum letzten Mann
kämpfen, Asher.«

Die beiden Offiziere stiegen vom Turm. Der Kommandant

sprach vor der Besatzung von Mut und Opferbereitschaft und
dem heroischen Kampf, der ihnen bevorstand.

Captain Morlock, die praktische Seite sehend, inspizierte die

Innenräume des Forts auf ihre Verteidigungsmöglichkeit und
wählte als letzte Zuflucht die massiv gebaute
Mannschaftsbaracke, unter der die Munitionsräume lagen. Sie
würde ihnen ein Überleben nicht garantieren, aber zumindest
konnten sie sich einen oder zwei Tage dort verschanzen. Wer
wußte, ob nicht doch ein Wunder geschah.

Daß Morlock von Wundern wenig hielt, zeigte er später, als

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er Waffen und Munition in die Mannschaftsräume bringen und
Pulver zu Sprengladungen formen ließ, um eine Art
Faustbombe zu schaffen. In fieberhafter Eile wurde die
Baracke zur Verteidigung eingerichtet, ringsum Fallgruben
errichtet und mit Pfahlspitzen bestückt.

Als die Nacht anbrach, kehrte Captain Morlock mit seinen

Soldaten zur Wehrmauer zurück. Er meldete dem
Kommandanten: »Ich habe alles Mögliche getan, um unsere
Leute zu schützen, Sir. Aber wir werden den Ansturm der
Horden nicht aufhalten können. Möge Gott uns helfen.«

»Oder ein gnädiges Ende schenken.« Major Henning machte

ein Kreuzzeichen. Seit vielen Jahren erinnerte er sich wieder an
Gott.

Die Nacht war gefüllt mit dumpfen Geräuschen, und ehe das

höllische Geschrei der Angreifer losbrach, zuckten
Brandpfeile, von den Steilhängen abgeschossen, wie Kometen
durch die Luft, schlugen in die Schindeldächer innerhalb des
Forts und zündeten ihr flammendes Fanal, das den Untergang
des Forts einleitete.

Locking Bears wilde Horde, von den Worten des Großen

Geistes gestärkt, berannte fanatisch die Festung.

Ein barbarischer Kampf entbrannte, der sich bis Mitternacht

bei den Palisaden abspielte. Doch nun, nachdem Major
Henning keine Chance mehr für die Verteidigung sah, ließ er
zum Rückzug blasen und verschanzte sich im
Mannschaftsgebäude.

Ein erbärmliches Häuflein von neun Männern, deren

pulvergeschwärzte Gesichter im Widerspiel des brennenden
Forts leuchteten. Sie kannten ihr Schicksal, waren aber nicht
bereit, zu resignieren.

Draußen tobte der rote Mob. Pferdehufe trampelten auf

harter Erde. Irgendwer blies schrecklich falsch auf dem
erbeuteten Horn des gefallenen Hornisten. Brandpfeile zuckten
durch die schmalen Fensterschlitze in den Mannschaftsraum.

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Zwei Soldaten, mit Wassereimern bestückt, waren in ständiger
Bewegung, um aufflackernde Brände zu loschen.

*

»Irgendwann wird man davon hören«, sagte Captain Morlock
in der Nacht. Er stand aufrecht und erteilte Befehle. Niemand
merkte die schwere Verletzung, die eine Winchesterkugel in
seine Brust geschlagen hatte.

Captain Morlocks selbstgeschaffene Pulverbomben schafften

eine Weile Luft. Ihre peitschenden Explosionen drängten die
angreifenden Indianer immer wieder zurück. Aber Morlock sah
mit Schrecken, wie seine Sprengladungen mit jeder Minute
abnahmen.

Doch dann, in höchster Not, wie von Zauberhand geführt,

verschwand der nächtliche Spuk. Nur das Prasseln
niederbrennenden Feuers und das Zusammenstürzen verkohlter
Gebäude störte die Stille.

»Was bedeutet das?« fragte Major Henning unruhig,

»Locking Bear gibt nicht ohne Grund kurz vor seinem Ziel
seine Pläne auf.«

Captain Morlock starrte durch die provisorische Scharte in

den aufkommenden Morgen. Dämmerlicht vertrieb die
Schatten. Über die Chiricahua Mountains zuckten goldene
Strahlen in den blauen Zenit. Aus weiter Ferne glaubte er die
Trompetenstöße eines Horns zu vernehmen.

»Sie sind weg«, flüsterte Morlock, »sie sind verschwunden.«

Mit einer wilden Bewegung sprengte er die Eingangstür, eilte,
gefolgt von Major Henning und dem Second-Lieutenant
Brammer, die glimmende Leiter zum Wehrgang hoch und
starrte in den erwachenden Tag.

»Sir«, sagte er und deutete schwerfällig zum Paß. »Eine

Halluzination. Anders kann ich es nicht deuten.«

Major Henning sah mit leuchtenden Augen das mächtige

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Kriegsheer im Westen, das in breiter Front den Paß sperrte.
Apachenstämme im Norden, mit Bogen bewaffnet, die sich in
feindlicher Haltung Locking Bears Heer zugewandt hatten.

»Beim Teufel, Sam, das ist keine Halluzination. Es sind

General Howard und seine Truppen aus dem Feldlager. Beim
Teufel«, rief er noch einmal enthusiastisch, »nur ein guter
Geist kann sie geführt haben. Schau nur, Sam…«

Erst jetzt sah der Kommandant, daß sein Freund und

Kampfgefährte vieler kriegerischer Händel vornübergekippt
zwischen den spitzen Pfählen der Palisaden hing.

Second-Lieutenant Brammer bemühte sich um ihn.
Als Morlock schließlich am Boden lag, hob Brammer

kopfschüttelnd die Schulter. »Captain Morlock ist tot, Sir.
Irgendwann in der Nacht muß es ihn erwischt haben. Ein
tapferer Mann.«

Major Henning spürte, wie Feuchtigkeit seine Augen füllte.

Sein Körper richtete sich hoch auf, und seine Hand berührte die
Krempe des Hutes.

»Brammer«, sagte er schließlich, »schauen Sie nach, ob wir

noch ein Banner haben. Ich möchte Locking Bear durch dieses
Zeichen zu erkennen geben, daß Fort Bowie noch immer in
Freiheit lebt.«

Und während er niederkniete, dachte er an die Kameraden,

die die Verteidigung des Forts mit dem Leben bezahlen
mußten.

»Armer Sam«, sagte er abschließend leise. »Gott sei seiner

Seele gnädig.«

Auf dem brennenden Wehrhof tauchten die Überlebenden

auf. Lieutenant Brammer zog das halbverkohlte Sternenbanner
am Mast hoch. Major Henning grüßte.

*

Des Zweifelns satt, ob Morgan nach Tombstone zurückkehren

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würde, ritt Wyatt Earp in südöstlicher Richtung in die Wüste.
Nach zwei Tagen endlich sichtete er Morgan und einige
Männer seiner Bande.

Schnurgerade ritt Earp nach Tombstone zurück und betrat

mutig die Höhle des Löwen. Marshal Marleys erste Bewegung
führte zum Revolver.

Doch Wyatt Earp war schneller. Er hielt dem Marshal seinen

Colt vor die Nase und schob einen Stuhl heran, auf dem er sich
niederließ. »Wir wollen wie vernünftige Männer sprechen,
Marshal, und nicht wie schießwütige Gesellen. Irgendwer in
Ihrer Stadt hat mir einen Mord angedreht, der nichts mehr als
Notwehr war. Ich konnte mich nicht gegen die Vorwürfe
verteidigen, weil Sie verdammt schnell auf meinen Hacken
saßen.«

Marley schnaufte wütend, aber Earps Colt dämpfte seine

Aggressionen.

»Ich bin freiwillig zurückgekehrt, Marshal, das sollte für

mich sprechen«, fuhr Wyatt fort. »Denken Sie darüber nach.«

»Freiwillig mit einem Revolver in der Faust. Das paßt zu

Ihrem Ruf, Earp«, fauchte Marley wütend.

»Ich werde ihn wegstecken, wenn Sie vernünftig sind,

Marshal. Wenn Sie mir versprechen, ruhig zuzuhören. Sie
wissen von den Unruhen im Norden des Territoriums?«

»Es gibt Gerüchte, daß irgendwer den Rothäuten Karabiner

verkauft hat.«

Wyatts Augen blitzten, als er seinen Colt auf den

Schreibtisch warf. »Ich biete Ihnen den Mann, der diese
Unruhen angezettelt hat. Glenn Morgan.«

Marshal Marley schielte verblüfft auf den Revolver, der

achtlos zwischen seinen Papieren lag. »Der Mann, der nicht
gerade gut von Ihnen gesprochen hat?«

»Derselbe.« Earp nickte. Er wußte, daß er ein risikoreiches

Spiel spielte. Wenn Marley zum Revolver griff, war er
geliefert.

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Aber der Marshal tat es nicht.
So fuhr er fort: »Morgan hat den Caddos moderne Waffen

vermittelt und dafür von Häuptling Guadalupe die Pläne einer
wertlosen Mine erhalten. Ich selbst habe ihn in Cochise City
darüber aufgeklärt. Er und seine Banditen wollten sich die
Waffen holen, bevor Guadalupe zugreifen konnte. Aber er kam
zu spät. Im Norden fällt um diese Zeit eine Entscheidung über
Krieg und Frieden. Morgan aber kehrt enttäuscht nach
Tombstone zurück, um der weiteren Entwicklung gelassen
entgegenzusehen. Sie werden ihm heute noch begegnen.«

»Woher wollen Sie das eigentlich wissen, Earp?« fragte

Marshal Marley mißtrauisch. »Und woher weiß ich denn, daß
Sie mir keine Lüge auftischen?«

»Ich werde Ihnen den Beweis liefern, Marshal. Fragen Sie

Morgan nach der Mine und woher er die Pläne hat. Und dann
setzen Sie ihn fest. John Haggerty oder Beauftragte der Armee
werden bald in Ihrer Stadt auftauchen, denn Morgans
Verbrechen ist bereits im Hauptquartier in Tucson bekannt.
Man wird ihn vor ein Kriegsgericht stellen wollen, um ihn nach
militärischen Kriegsgesetzen abzuurteilen.«

Wyatt Earp sprach so klar und selbstsicher, daß der Marshal

wankelmütig wurde.

»Wann, glauben Sie, wird Morgan hier auftauchen?«
»Im Laufe des Nachmittags.«
»Na gut.« Marley richtete sich auf und ergriff Earps Waffe.

Er hielt sie nachdenklich in der Faust, ehe er die Trommel
auslöste und die Patronen auskippte.

»Sie sehen, ich glaube nur die Hälfte, Earp«, sagte er, als er

Wyatt den Colt zurückreichte. »Wir werden ihn gemeinsam
begrüßen.«

»Er wird nicht allein sein«, schimpfte der Abenteurer.

»Wenn Morgan aggressiv wird, kann ich das Ding nur als
Schleuder benutzen.«

»Sie stehen unter meinem Schutz.« Marley grinste.

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»Kommen Sie, wir wollen die nötigen Vorbereitungen für
Morgans Empfang treffen.«

*

Gegen Mittag ritt Morgans Bande in die Stadt. Ihnen voran
Morgan selbst. Als er ahnungslos am Marshal-Office
vorbeiziehen wollte, trat Marley aus dem Schatten des
Vordaches.

»Ich hätte einiges mit Ihnen zu besprechen, Mr. Morgan«,

sagte er ruhig.

Glenn Morgan zügelte, von plötzlichem Mißtrauen befallen,

sein Pferd. Er sah einen Mann im Hintergrund, der ihn an
Wyatt Earp erinnerte. Earp und Marley, vertraut vereint, ließ
ihn blitzartig erkennen, was hier gespielt wurde.

»Raus aus der Stadt«, schrie er impulsiv und riß sein Pferd

herum.

Im gleichen Augenblick fielen Schüsse von der

gegenüberliegenden Straßenfront, deren Fenster Marleys
Deputies besetzt hielten.

Vier Reiter fielen von ihren Pferden in den Staub der Straße.

Ein fünfter erreichte noch Sam Fletchers Drugstore. Dann
erwischte es auch ihn.

Nur Morgan schien die Flucht zu gelingen. Er hing gedeckt

an der Flanke seines Gauls und jagte die Straße entlang.

Marshal Marley fluchte und schrie nach den Pferden, als

neben ihm ein Karabiner explodierte.

Marley drehte den Kopf herum und sah, daß Earp eine Sharp

senkte, die er als seine eigene erkannte.

»Mann«, sagte er mit dröhnenden Ohren, »wie kommen Sie

an meinen Schießprügel?«

Wyatt deutete grinsend über die Schulter. »Wenn Sie mir

offen mißtrauen, Marshal, müssen Sie schon den
Gewehrständer abschließen. Kommen Sie, ich habe nur seinen

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Gaul erwischt. Morgan ist mir zu kostbar. Auch die Armee
wird ihm einige Fragen stellen wollen. Zum Beispiel, wie er zu
diesen modernen Waffen kam.«

Er sprang über die Balustrade und jagte mit Riesenschritten

zum niedergeschossenen Pferd des Spielers.

Als Marley ihm folgte, rappelte sich Morgan fluchend auf.
Wyatt zog den Karabiner aus dem Sattelschuh und hielt ihn

dem Spieler vor die Nase. »Ich schätze, Glenn, du wirst das
Jahr nicht überstehen. Du hast zu hoch gespielt und wirst nun
dafür bezahlen müssen.«

Er reichte dem Marshal das Gewehr. »Das ist eine

Winchester, Marshal, dreizehnschüssig, stark wie eine Armee.
Hundert von ihnen hat Morgan den Wilden in die Hände
gespielt. Kaltblütig und gewissenlos, obwohl er wußte, was das
bedeutet.«

Marley hielt die Waffe in der Faust. Er glaubte nun an Wyatt

Earp und donnerte los: »Sie sind verhaftet, Morgan! Den
Grund hat Earp Ihnen genannt.«

Aber Morgan gab nicht auf. »Er lügt«, schrie er erregt. »Earp

will seinen eigenen Hals vor dem Galgenstrick retten. Ich
bringe Ihnen hundert Zeugen, daß es nicht stimmt.«

»Hundert gekaufte Gaunerstimmen, die nichts zählen«, sagte

Wyatt gelassen. »Ich nenne dir nur einen Mann, der dich an
den Galgen bringt: John Haggerty. Und an seinem Leumund
kann auch Marshal Marley nicht zweifeln.«

Erst nun resignierte Glenn Morgan, der hoch gespielt und

ebenso hoch verloren hatte.

Wortlos, mit blassem Gesicht, streckte er dem Marshal die

Arme entgegen.

*

Im Westen stand die breite Front der Pferdesoldaten, und im
Süden sah Locking Bear eine mächtige Staubwolke aufziehen,

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die eine neue Abteilung Langsäbel ankündigte, und als sein
Blick nach Norden ging, sah er ein gewaltiges Heer von
Apachen und Cheyennen in der Felsbarriere der Dragoons.

»Apachen«, rief Locking Bear, und sein Blick streifte dabei

zornig die Berge.

»Schakale«, Gokhlayeh spie verächtlich in den Sand. »Feige

Squaws, die vor den weißen Eroberern winselnd in die Knie
gehen. Nicht würdig, sich freie Apachen zu nennen. Gib mir
deine Gewehrträger, Locking Bear, und ich werde dir zeigen,
wie schnell die Pferde der Soldaten in die Wüste laufen.«

Locking Bear würdigte ihn keiner Antwort und ritt zu

Guadalupe hinüber. Kurz darauf schwenkten beide in die
Flanken zu ihren Sippen und kehrten wieder in die
Ausgangsstellung zurück.

Noch immer hatte Locking Bear keine Worte für Geronimo,

dessen Herz unter der Mißachtung zornig zu schlagen begann.
Er fühlte sich plötzlich als Fremdkörper inmitten feindlicher
Sippen, und er blickte zornig hinter dem Häuptling her, als
dieser das Angriffszeichen gab und, den Gewehrträgern voran,
Attacke ritt.

Frei und ungedeckt, mit ohrenbetäubendem Geheul, ritten sie

Howards Soldaten entgegen, die in Zweierreihen in
Schanzlöchern oder hinter ihren niedergerissenen Pferden dem
Ansturm entgegensahen.

General Howard stand wie ein Feldherr auf dem Hügel und

wartete, bis die Rebellenhorde auf Schußnähe war, dann gab er
dem Hornisten das Angriffssignal.

Die vordere Reihe feuerte. Während sie ihre Waffen

aufluden, schlug den Angreifern aus der zweiten Reihe eine
Salve entgegen, die solche Verwirrung stiftete, daß die
Gewehrträger Locking Bears in breiter Front zurückströmten.

Wieder füllte das Angriffssignal das breite Apachental am

Paß.

Im Wechsel bewegten sich beide Reihen vorwärts, feuerten

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und gewannen ständig an Boden.

Zugleich griff Major Tanner mit seinen Reitern in der Flanke

an und stiftete heilloses Durcheinander in den Rebellenreihen.
Aus den Steilhängen herab stießen die Häuptlinge der Apachen
mit ihren Gruppen talwärts.

So eingeengt, sammelte Locking Bear seinen Haufen

inmitten des breiten Tales. Er spürte, daß er der Niederlage
näher war als einem Sieg, denn Howards Truppen waren
erfahren und diszipliniert, und ihr ständig wechselndes Feuer
hob die Kampfstärke der Winchester auf.

Schweigend, reglos auf seinem Schecken hockend,

beobachtete Geronimo die wechselnde Szene. Als er erkannte,
daß sich in der Nordflanke, der den Dragoons zugewandten
Seite, eine breite Lücke öffnete, wußte er, daß Cochise seinen
Fehltritt verziehen hatte und ihm den Weg zur Flucht öffnete.

Er schwenkte sein Pferd und gab seinen Kriegern ein

Zeichen. Immer schwächer wurde der Widerstand. Nur
vereinzelt noch fielen Schüsse. Der Ring um die Rebellen war
fast geschlossen.

Aber noch immer standen die Gruppen sich feindlich

gegenüber. Vom Hügel, wo General Howard die Schlacht
leitete, trabte ein einzelner Reiter, durchbrach den Kreis der
Soldaten und ritt kühn dem abwartenden Haufen der Wichitas
entgegen.

Locking Bear erkannte am weißen Tuch, das der Reiter an

die Spitze seines Gewehrlaufes gebunden hatte, daß der
Soldatengeneral einen Parlamentär sandte.

Er gab seinen Leuten ein Zeichen und sprengte dem Reiter

entgegen.

Zum ersten Male standen sich Locking Bear und John

Haggerty gegenüber.

Locking Bear saß stolz aufgerichtet, mit kühnem Blick, im

Sattel und wirkte nicht wie ein Mann, der eine Schlacht
verloren hatte.

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Der Scout war ruhig und gelassen, obwohl die Kühlheit

seines Blickes nicht seinen Gedanken entsprach.

Nach einer Weile des Schweigens sagte der Häuptling: »Du

bist der Mann, den die Apachen den Falken nennen.«

John nickte. »Ich bin der Bote des einarmigen Generals aus

Tucson. Er will mit dir verhandeln.«

»Über den Fortgang des Krieges?«
Ȇber den Frieden, Locking Bear. Ich habe das Wort meines

Häuptlings, daß er deine Sippe frei über die Pässe der
Chiricahua Mountains ziehen läßt, wenn du die Waffen ablegst
und dein Wort verpfändest, daß es so geschieht. Es ist genug
Wichitablut in fremde Erde geflossen. Kehre in deine Heimat
zurück, ehe deine Stämme im Apachenland sterben.«

Locking Bear senkte die Winchester, so daß die Mündung

auf Haggerty deutete. »Ich könnte dich töten und
weiterkämpfen«, sagte er ruhig.

Doch der Scout blickte ihm furchtlos entgegen. »Was würde

mein Tod an einer Niederlage ändern? Du hast dich zu sehr auf
die schnellen Gewehre verlassen, Locking Bear. Nun zeige,
daß du ein guter Verlierer bist. Dein Volk wird es dir danken.
Schau, wie groß deine Chancen sind.«

Johns Arm deutete nach Süden, wo Tanners Abteilung stand,

schwenkte nach Norden, wo Chiricahuas und Mimbrenjos mit
blitzendem Kriegsrüstzeug bewaffnet, eine starke Einheit
bildeten, und dann über die Schulter, wo keine zweihundert
Yards entfernt die Soldaten der US-Armee schußbereit in
Stellung lagen. »Wer von deinen Männern würde es überleben,
Locking Bear?«

Locking Bears Blick folgte Johns Armbewegung, und er

erkannte, daß der Krieg verloren war.

Der Glanz seiner Augen erlosch, als er John nun die

Winchester reichte.

»Mein Wort wird so stark sein wie das Wort deines

Häuptlings. Lasse es ihn wissen.« Locking Bear zog sein Pferd

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herum.

John ritt zum Hügel und berichtete von seiner erfolgreichen

parlamentarischen Aufgabe.

Howard beobachtete die Wichitas, die auf Locking Bears

Befehl hin die Karabiner auf hartem Fels zerschmetterten, sich
dann zu drei Gruppen formierten und nach Osten ausscherten
und in einer Staubwolke untertauchten.

»Vielleicht ist es nicht gut, Locking Bear ungeschoren ziehen

zu lassen, Sir«, sagte John nachdenklich. »Der Häuptling wird
die Niederlage nie verwinden und vielleicht irgendwann
zurückkehren.«

General Howard, einer drückenden Last enthoben und einer

neuen Zukunft entgegensehend, schüttelte weise den Kopf.

»Cochise wird es nie wieder zulassen und ein Augenmerk

nach Osten richten. Er hat den Augenblick einer nahen
Katastrophe erlebt.«

John Haggerty blickte nordwärts. Durch die breiten

Schluchten ritten Apachen in die Berge zurück, und er wußte,
Cochise betrachtete seine Allianz mit dem weißen General als
beendet. Er suchte nicht seine Nähe.

John deutete zur Felshöhe, wo rauchende Trümmer aus der

Erde ragten.

»Fort Bowie ist zerzaust, als habe ein heftiger Sturm an

seinen Palisaden gerüttelt.«

»Fort Bowie ist unsere nordöstliche Basis im Apachental.

Wir werden es wieder aufbauen, John. Ich glaube, unsere
Mission ist beendet. Rufen Sie Tanners Truppen herbei, wir
brechen bald auf.«

ENDE


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